eJournals lendemains 37/148

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2012
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Ansprache von Botschafter Maurice Gourdault-Montagne anlässlich der Verleihung des Prix Germaine de Staël 2012 beim Kongress der deutschen Frankoromanisten Leipzig, den 19. September 2012

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12: 43: 43 123 Actuelles Ansprache von Botschafter Maurice Gourdault-Montagne anlässlich der Verleihung des Prix Germaine de Staël 2012 beim Kongress der deutschen Frankoromanisten Leipzig, den 19. September 2012 Magnifizenz, * sehr geehrter Herr Bürgermeister, ** sehr verehrte Frau Professor Oster-Stierle, sehr geehrter Herr Professor De Toro, meine sehr verehrten Damen und Herren ! ich freue mich sehr, heute hier in Leipzig anlässlich dieser Verleihung des Germaine de Staël-Preises im Namen Frankreichs einige Worte an Sie richten zu dürfen. Das geschieht genau zum Auftakt des Deutsch-Französischen Jahres, mit dem wir den 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages feiern werden. Nächsten Samstag werden sich Staatspräsident Hollande und Bundeskanzlerin Merkel in Ludwigsburg treffen und an die Rede General de Gaulles an die deutsche Jugend erinnern. Sie, meine Damen und Herren, spielen bei der Gestaltung der künftigen deutschfranzösischen Beziehungen eine besondere Rolle. Anlässlich dieses Kongresses und der Preisverleihung möchte ich dazu einige Worte sagen. Zuerst möchte ich mich nicht auf Germaine de Staël, sondern ausgerechnet auf ihren größten Widersacher berufen. Sie werden mir das sicher verzeihen, wenn ich hinzufüge - was Sie längst wissen -, dass es sich um keinen anderen als Heinrich Heine handelt, der zusammen mit Madame de Staël als Schutzpatron der deutschen Frankoromanistik und zugleich der französischen Germanistik bezeichnet werden kann. Im Vorwort zu seinen Französischen Zuständen schreibt nämlich der große Dichter und Denker: „Wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr […] zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündniß, die heilige Allianz der Nazionen, kommt zu Stande, […] und wir erlangen Friede und Wohlstand und Freyheit. Dieser Wirksamkeit bleibt mein Leben gewidmet; es ist mein Amt.“ Ja, meine Damen und Herren, auch wir dürfen es stolz sagen: Dieser Vermittlungsauftrag ist unser Amt. Und dieses Amt nehmen Sie alle hier mit großem Einsatz und ebenso großer Leidenschaft wahr. Dafür möchte ich mich zuallererst bei Ihnen bedanken. Wie und warum wird man in Deutschland Frankoromanist - oder in Frankreich Germanist? Nicht nur, weil man sich von der Kultur des Nachbarn angesprochen fühlt. Nicht unbedingt, weil man sich mit ihr identifiziert - das Gegenteil dürfte vielleicht sogar der Fall sein. Denn je mehr man sich mit der Kultur des Anderen auseinandersetzt, desto stärker werden einem die Unterschiede und Eigenheiten bewusst. Und doch verspürt man eine gewisse Affinität zur anderen Kultur. Wahr- * Prof. Dr. med. B. Schücking ** Erster Bürgermeister von Leipzig, A. Müller 124 Actuelles scheinlich also, weil man davon ausgeht, dass die Nachbarn, so anders und zugleich so ähnlich, etwas über uns selbst sagen - über uns, wie wir sind, wie wir nicht sind, wie wir sein können, wie wir vielleicht sein sollten. Vor allem auch, weil man großen Wert darauf legt, die Völker einander vertraut zu machen, die Missverständnisse und die Klischees zu hinterfragen, und Austausch und Dialog zu befördern, ganz im Sinne des wissenschaftlichen Ideals der Moderne. Aber diese Gesinnung hat auch etwas Politisches in sich, und zwar im edelsten Sinne des Wortes, denn die Agenda der deutschen Frankoromanistik geht im gleichen Schritt mit der politischen Agenda unserer beiden Länder. Mehr noch: Sie fördert die Annäherung, nach der wir streben. Wir sind uns dessen bewusst, und ich möchte es Ihnen noch einmal nachdrücklich sagen: Meine Damen und Herren, wir brauchen Sie. Frankreich und der französischsprachige Raum, l’espace francophone, brauchen Sie. Ja, die Entscheidung, sich jahrelang mit dem Nachbarland öffentlich und wissenschaftlich zu befassen und diese Erkenntnis an andere Leute zu vermitteln, diese Entscheidung setzt Werte voraus, die für die Zukunft der europäischen Integration unentbehrlich sind. Eine deutsche Frankoromanistik: Das ist schon ein europapolitisches Programm - und was für ein schönes Programm! Deswegen ist es mir eine große Freude und Ehre, heute Abend zwei junge Menschen für ihre Entscheidung zu belohnen, zwei junge Menschen, die für das Fortbestehen dieses schönen Programms stehen. Ich möchte Ihnen beiden für ihr Talent und ihren Erfolg gratulieren, aber zuerst danken - Danke, dass Sie Romanisten sind! Herr Prof. Dominique Wolton hat eben sehr treffend auf den Punkt gebracht, welche Herausforderungen sich aus der Globalisierung und den damit verbundenen Identitäts- und Kommunikationsfragen ergeben. Im Zeitalter der Globalisierung ist die Vertrautheit zur Kultur des Nachbarn und wichtigsten Partners wichtiger denn je, und der tiefgreifende Wandel im Bereich der öffentlichen Kommunikation, dem sich diese Tagung widmen wird, macht eine solche Vermittlung und Verständigung zwischen den Kulturen, wie sie gerade von Ihnen betrieben wird, noch unentbehrlicher. Solch ein Wandel ist man in Leipzig ja gewohnt, dieser Messestadt, die im Zentrum der geistigen Evolutionen und Revolutionen der Frühmoderne stand, und sich seither stets als Ort des geistigen Austauschs behaupten konnte. Vor dem Hintergrund dieser neuen internationalen Herausforderungen ist es mehr denn je erforderlich, dass unsere beiden Länder geschlossen auftreten: Europa muss voranschreiten auf dem Wege der Integration, und unsere beiden Nationen haben hier aufgrund ihrer langjährigen Konfrontationsgeschichte, die sich zur vielfältigen Partnerschaft entwickelt hat, eine Vorreiterrolle zu spielen. Damit eine solche Integration auf der Grundlage demokratischer Prinzipien erfolgt, brauchen wir jedoch eine geistige und gesellschaftliche Infrastruktur - es geht um die Herausbildung einer deutsch-französischen Öffentlichkeit. Hier sind die deutschen Frankoromanisten natürlich gefragt: Als Wissensvermittler, aber auch als Ausbilder der Lehrkräfte, die wiederum der deutschen Jugend die französische Sprache und Kultur nahebringen werden. Man kann nur begrüßen, dass inzwischen die Schwerpunkte der Ausbildung auch die zeitgenössische Kultur des Landes und den Kul- 125 Actuelles turtransfer von einem Land ins andere umfassen. Vor allem Kulturaustausch und internationale Kommunikation müssen im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen, denn sie beweisen uns, dass der Bezug auf den Nachbarn immer konstitutiv war - dass die anderen Europäer im Laufe unserer eigenen Geschichte eigentlich immer mit an Bord waren. Das braucht man aber in Sachsen, im Land von August dem Starken und von Gottsched, nicht zu sagen, denn hier, im Stammland der deutschen Sprache, sprossen schon im 17. und im 18. Jahrhundert die ersten Blüten der deutsch-französischen Kulturaffinität. Ferner möchte ich betonen, dass Sie als Frankoromanisten nicht nur gegenüber den Deutschen eine entscheidende Vermittlerrolle einnehmen, sondern auch gegenüber den Franzosen. Für Ihre französischen Ansprechpartner wie für den französischsprachigen Raum sind Sie nämlich die ersten Vertreter der deutschen geisteswissenschaftlichen Tradition, und wenn ursprünglich deutsche Begriffe, Konzepte und Theorien im Bereich der Geisteswissenschaften in Frankreich und der Frankophonie wahrgenommen werden, erfolgt das oft dank Ihrer Vermittlung. Umgekehrt sind Sie auch oft Vermittler der französischen Geisteswissenschaften bei den deutschen Akademikern. Schließlich muss man auch sagen, dass Sie über diesen Außenblick verfügen, der Sie freimacht von manchen Denkgewohnheiten und Mustern, mit denen sich Muttersprachler manchmal schwer tun. So können Sie uns vieles über uns selbst lehren. An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass der erste nicht-französische ständige Lehrstuhlinhaber am Collège de France aus Ihren Reihen kam - gemeint ist natürlich Harald Weinrich. 1992 folgte er einer Berufung an diesen altehrwürdigen Ort, der von König François I. im frühen 16. Jahrhundert gegründet wurde, um die freie Wissenschaft und die höchsten geistigen Ansprüche vor Zensur oder Zwang jeglicher Art zu schützen. Wie notwendig und kostbar der Einsatz der Frankoromanisten ist, kann kaum besser symbolisiert werden, als durch die Tatsache, dass wir einen Deutschmuttersprachler brauchten, um die Franzosen ihre eigene Grammatik zu lehren. Ja, meine Damen und Herren: Ob in Deutschland oder in Frankreich, ob für die interkulturelle Kommunikation oder für das Kennenlernen der eigenen Kultur: Wir brauchen Sie, die Frankoromanisten. Deswegen legen wir großen Wert auf die Unterstützung der Romanistik in Deutschland und der Germanistik in Frankreich. Gemeinsam arbeiten das Institut français und das Goethe-Institut seit mehreren Jahren daran, dass wieder mehr Schüler die Sprache des jeweiligen Nachbarlandes lernen. Seit langer Zeit unterstützen wir auch die Tätigkeit der Frankreich-Zentren. Eines davon liegt hier in Leipzig, und es ist nur zu wünschen, dass es seine Tätigkeit im Kielwasser dieser Tagung weiter entwickelt. Die Deutsch-Französische Hochschule fördert weiterhin alle Initiativen im Bereich der akademischen Kooperation, und durch Veranstaltungen wie die Verleihung dieses vom französischen Außenministerium getragenen Preises wollen wir den frankoromanistischen Nachwuchs fördern. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch gerne auf eine neue Initiative hinweisen: Das Institut francais hat jüngst einen Aufruf verfasst, in dem unsere Bereitschaft zur Unterstüt- 126 Actuelles zung sämtlicher innovativer Projekte zur Förderung der Frankoromanistik an den deutschen Hochschulen betont wird. Kurzum: Wir reichen Ihnen die Hand, denn wir sind uns Ihres Beitrags durchaus bewusst, und wir wissen, dass es in unserem gemeinsamen Interesse liegt, unsere Kooperation voranzutreiben. Die Romanisten und alle Vertreter Frankreichs in Deutschland haben einen gemeinsamen Auftrag, man könnte sagen: den Auftrag, Heinrich Heine Recht zu geben. Auch wir dürfen sagen: „Es ist unser Amt“. Es ist freilich ein schwieriges Amt, aber ich bin zuversichtlich, dass unser Fleiß und unser Einsatz diesem Amt gerecht werden. Es ist auch ein langfristiges Amt. Der 50. Jahrestag des Freundschaftsvertrages ist eine Gelegenheit, die wir nicht versäumen dürfen. Ich weiß, dass ich mich dafür auf Sie alle verlassen kann, namentlich auch auf unsere beiden Preisträger Andrea Stahl und Christian van Treek. Ihnen noch einmal herzlichen Glückwunsch! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ansprache von Botschafter Maurice Gourdault-Montagne anlässlich des 49. Historikertags Mainz, den 25. September 2012 Sehr geehrter Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Herr Beck, Magnifizenz, sehr geehrter Herr Professor Plumpe, sehr geehrter Herr Dr. Lautzas, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren, als Vertreter Frankreichs das Wort vor einer wissenschaftlichen Versammlung zu ergreifen, die seit mehr als hundert Jahren mit Spitzenleistungen der deutschen geisteswissenschaftlichen Tradition verbunden ist, ist für mich nicht nur eine große Ehre und eine persönliche Freude, sondern auch eine Herausforderung. Ich möchte mich daher zunächst bei Ihnen für diese Einladung recht herzlich bedanken. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Kongresses hat der Deutsche Historikerverband beschlossen, Frankreich als Partnerland auszuwählen. Diese Entscheidung gewinnt eine besondere Relevanz vor dem doppelten Hintergrund des 50. Jubiläums der institutionellen Aussöhnung und Annäherung unserer beiden Länder und der derzeitigen Überlegungen über eine neue Phase der europäischen Integration. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Politik und die Regierungen