eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 21/42

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2018
2142 Dronsch Strecker Vogel

Die große Stadt.

2018
Stefan Alkier
Zeitschrift für Neues Testament Heft 42 21. Jahrgang (2018) Die große Stadt. Warum die Johannesapokalypse nicht als „Kampfschrift gegen Rom“ erschlossen werden kann Stefan Alkier Manuel Vogels engagierte Kritik am Imperium Romanum leitet in wünschenswerter Klarheit sein Verständnis der Johannesapokalypse als „Kampfschrift gegen Rom“� Diese beherzte Positionierung eröffnet die Möglichkeit, in der gebotenen Kürze Probleme des imperial criticism zu diskutieren und eine hermeneutisch und exegetisch begründete Alternative vorzuschlagen� Die Argumentation Vogels steht auf tönernen Füßen� Sie zeigt sich abhängig von einer voraussetzungsreichen religionsgeschichtlichen Hypothese� Am Aufbau der Argumentation Vogels wird die hermeneutische und theologische Problematik nicht nur der bibelwissenschaftlichen imperial studies , sondern des entwicklungsgeschichtlichen Paradigmas historisch-kritischer Exegese überhaupt sichtbar: Der Auslegung der Texte wird das Geschichtsbild des Auslegers vorangestellt� Dieses deduktive Verfahren verstellt den Blick auf die Texte� Wenn Exegese inter- und transdisziplinär anschlussfähig bleiben bzw� wieder werden möchte, bedarf es eines Paradigmenwechsels� Es gilt mit dem „Geist der Urteilsfähigkeit und Leidenschaft“ 1 zunächst die Texte selbst als Texte abduk- 1 M� Luther, Assertio omnium articulorum Martini Lutheri per bullam Leonis X� novissimam damnatorum / Wahrheitsbekräftigung aller Artikel Martin Luthers, die von der jüngsten Bulle Leos� X verdammt worden sind (1520), in: Martin Luther, lat-dt� Studienausgabe Bd. 1: Der Mensch vor Gott, hg. v. W. Härle, Leipzig 2006, 71-217, hier: 73. 92 Stefan Alkier tiv 2 zu erschließen und auf dieser Basis dann induktiv historische Zusammenhänge hypothetisch zu rekonstruieren und die so erschlossenen Geschichtsmodelle auch als das zu behandeln, was sie sind: mehr oder weniger plausible Hypothesengebäude für heuristische Interessen� Gesamtvorderorientalische Opposition im Kampf gegen Rom? Vogel stützt sich für sein Geschichtsbild auf die Hypothese des Religionswissenschaftlers Hans G� Kippenberg, der von einem „gesamtvorderasiatischen Standpunkt im Kampf gegen Rom“ gesprochen hat� Diese Hypothese fand allerdings kaum Eingang in die althistorische Forschung� Kippenbergs Hypothese, die auch ältere Vorläufer hat, wie z� B� Hans Windisch 3 , kann als eine Variante der universalhistorischen Leitperspektive Herodots 4 begriffen werden, der den Konflikt zwischen den griechischen Stadtstaaten mit Persien weltgeschichtlich als Kampf Ost gegen West darstellte und damit bis heute wirksam ist: „Daß diese Aufteilung […] existiert - daß der Osten der Osten ist und der Westen der Westen -, kann ohne weiteres als das beständigste Axiom der Geschichte gelten. Die Einteilung ist älter als die Kreuzzüge, älter als der Islam und älter als das Christentum; seine Ursprünge sind so altehrwürdig, daß sie fast 2500 Jahre zurückreichen� ‚Warum hassen sie uns? ‘ Mit dieser Frage wurde die Geschichte selbst als Disziplin geboren, denn gerade im Konflikt zwischen Ost und West fand der erste Historiker der Weltgeschichte im fernen 5� Jahrhundert v� Chr� das Thema für sein Lebenswerk�“ 5 Nach dem Zerfall des so genannten „Ostblocks“ gegen Ende des 20� Jahrhunderts, der weltgeschichtlich für eine kurze Zeit die Rolle des Ostens „kommunistisch“ ausgefüllt hat, ist der islamische Osten mit den Terroranschlägen vom 11� September 2001 erneut in die Rolle des Gegenspielers zum Westen geraten� Es war auch Thema in dieser Zeitschrift 6 , dass dieses Ereignis und die 2 Vgl� zur Bedeutung der drei Schlußverfahren S� Alkier, Neues Testament (NT basics), Tübingen 2010, 141 f� 3 Vgl� H� Windisch, Die Orakel des Hystaspes� Verhandlungen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam Afdeeling Letterkunde nieeuwe Reeks, DEEL XXVIII, No� 3, 52� 4 Vgl� Herodot, Historien� Erster Band, Bücher I-V, gr� - dt�, hg� v� Josef Feix, 7� Aufl� 2006, I�1 f�; vgl� dazu Thomas Paulsen, Geschichte der griechischen Literatur, Stuttgart 2004, 180 f� 5 T� Holland, Persisches Feuer� Ein vergessenens Weltreich und der Kampf um Europa, aus dem Engl� v� A� Wittenburg u� S� Held, 3� Aufl� Hamburg 2014, 10� 6 Vgl� L� L� Welborn, Vom Unterrichten der Bibel im „Ausnahmezustand“� Reflexionen über die hermeneutische Aufgabe eines neutestamentlichen Historikers nach dem 11� September 2001� Die große Stadt. 93 militärischen Reaktionen der USA darauf die bibelwissenschaftlichen imperial studies hervorbrachten� Der von der Raumsoziologie angeregte spatial turn in den Kulturwissenschaften 7 hat den Blick auch für literarische Raumphänomene geschärft� Vogel kann aber gerade nicht zeigen, dass die Topographie der Johannesapokalypse 8 einen Ost-West-Konflikt inszeniert� Damit das universalhistorische Narrativ des Kampfes „Ost gegen West“ mit Blick auf die Johannesapokalypse weitererzählt werden kann, wählt Vogel gleich zweimal das Mittel einer allegorischen Interpretation: „Babylon“ wird ebenso durch „Rom“ ersetzt, wie die umstrittenen „Kittäer“ durch die „Römer“� Vogel interessiert nicht, welche Funktionen das Zeichen „Babylon“ in der Komposition der Johannesapokalypse ausfüllt und welche intertextuellen Bezüge damit hergestellt werden, vielmehr will er die Geschichte vom „Hass gegen Rom“ 9 erzählen� Diesem Narrativ ordnet er quellenkritische Bedenken unter, denn er benötigt für sein Anliegen eine synchrone Perspektive, in die er allegorisch gedeutete jüdische Quellen aus vorchristlicher Zeit mit christlichen Quellen aus dem 4� Jh� n� Chr� in einem antirömischen Amalgam zusammenschmelzen lässt, das dann die Geschichte vom Hass gegen Rom erzählen kann� Gegen solche ideologisch hoch belasteten universalhistorischen Narrative liegen mit Hayden Whites „Metahistory“ 10 aus dem Jahr 1973, spätestens aber seit 7 Vgl� J� Döring, T� Thielmann (Hg�), Spatial Turn� Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008� 8 Vgl� dazu S� Alkier / T� Nicklas, Wenn sich Welten berühren� Beobachtungen zu zeitlichen und räumlichen Strukturen in der Apokalypse des Johannes, in: S� Alkier, T� Hieke / T� Nicklas (Hg�) in Zusammenarbeit mit M� Sommer, Poetik und Intertextualität der Johannesapokalypse, WUNT 346, Tübingen 2015, 205-226. 9 Manuel Vogel, S� 80� 10 Hayden White, Metahistory� Die historische Einbildungskraft im 19� Jahrhundert in Europa, aus dem Amerik� v� P� Kohlhaas, Frankfurt a� M� 1991, i� O� 1973; vgl� auch H� White, Stefan Alkier ist seit 2001 Professor für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt / Main� 2009 erschien im Francke Verlag als NET 12 seine Monographie: Die Realität der Auferweckung in, mit und nach den Schriften des Neuen Testaments � 2010 erschien wieder im Francke Verlag sein Lehrbuch: Neues Testament , UTB Basics� Er war bis Heft 39 / 40 der ZNT einer ihrer drei geschäftsführenden Herausgeber� Seit 2008 gibt er zudem den neutestamentlichen Teil des bibelwissenschaftlichen Internetlexikons www�wibilex�de heraus� 94 Stefan Alkier Jean-Francois Lyotards Programmschrift „Das postmoderne Wissen“ 11 kritische Analysen und theoretische Impulse vor, die reichlich dazu Anlass geben, sich nicht länger im Zeichen einer deduktiven Geschichtsschreibung von universalhistorischen Narrativen wie „Ost gegen West“ blenden zu lassen� Diese Impulse wurden auch in der neueren politikwissenschaftlichen Imperienforschung aufgegriffen, wie sie etwa Herfried Münkler angeregt hat: „Unser Bild von Imperien ist durch die Vorstellung geprägt, dass die Peripherie von ihnen ausgesaugt und ausgebeutet wurde: Sie verarme, und das Zentrum werde immer reicher� Tatsächlich hat es solche Imperien stets gegeben, aber sie waren nur von kurzer Dauer� Nach einiger Zeit nahm der Widerstand gegen das Zentrum überhand, und die Beherrschungskosten überstiegen die aus der Peripherie gezogenen Gewinne� Dagegen hatten diejenigen Imperien eine längere Dauer, die in ihre Randbereiche investierten und so dafür sorgten, dass die Peripherie schließlich am Fortbestand des Imperiums ebenso interessiert war, wie das Zentrum�“ 12 „Im Gegensatz zu den üblichen Vermutungen der Ideologiekritik erwachsen aus den imperialen Missionen gerade auch Selbstbindung und Selbstverpflichtungen, die sich mit den unmittelbaren materiellen Interessen imperialer Akteure nicht erklären lassen, ja, die aus deren Perspektive fast immer als Ressourcenverschwendung erscheinen�“ 13 Der Soziologe Michael Mann hatte bereits 1986 begründet, warum der enorme politische Erfolg des Imperium Romanum nicht monokausal mit der unterdrückenden Macht militärischer Gewalt zu erklären sei� Er zeigt vielmehr das komplexe Ineinander von militärischer, wirtschaftlicher, politischer und ideologischer Macht auf und kommt bezüglich des Imperium Romanum zu einer differenzierten Neubewertung, die die Machtausübung des Römischen Reiches nicht verharmlost, zugleich aber auf ihre allen Bevölkerungsteilen zu Gute kommenden Erfolge in der Institutionalisierung von rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen hinweist, wovon etwa der enorme Ertragsquotient 14 der Landwirtschaft und die im ganzen Römischen Reich wachsenden Bevölkerungszahlen 15 zeugen� Gerade die Zeit, in der die Abfassung der Johannesapo- Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen� Studien zur Tropologie des historischen Denkens, aus dem Amerik� v� B� Brinkmann-Siepmann u� T� Siepmann, Einführung v� R� Koselleck, Sprache und Geschichte 10, Stuttgart 1986� 11 J�-F� Lyotard, La condition postmoderne, 1979; dt�: Das Postmoderne Wissen� 12 H� Münkler, Imperien� Die Logik der Weltherrschaft - Vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005, 9� 13 Münkler, ebd�, 133 14 M� Mann, Geschichte der Macht 2� Vom Römischen Reich bis zum Vorabend der Industrialisierung, aus dem Engl� v� H� Herkommer, Studienausgabe Frankfurt / New York 1994, 33 (i� O� 1986)� 15 Ebd�, 35 f� Die große Stadt. 95 kalypse zumeist angenommen wird, also die Zeit nach Nero bis hin zu Trajan, ist für Kleinasien eine friedliche Zeit mit wachsendem Wohlstand� Sowohl der landwirtschaftliche Ertragsquotient als auch die Bevölkerungszahlen gehen nach Mann dann erst wieder mit dem Ende des Römischen Reiches zurück� „Angesichts dieser beträchtlichen Aktivposten ist es falsch, das Römische Reich, wie einige Klassizisten dies tun, schlicht und einfach als ‚ausbeuterisch‘ zu bezeichnen; es ist falsch, ganz gleich, ob darunter Ausbeutung einer Klasse durch eine andere Klasse oder Ausbeutung der Landregionen durch die Stadt verstanden wird� Es gab Ausbeutung, daran kann kein Zweifel bestehen, aber das […] System der Zwangskooperation profitierte auch von ihr� Worin dieser Profit bestand? Wie die dünnen Bande aussahen, die die Ausbeutung und ihr Nutzen zwischen den bäuerlichen Produzenten und der weiteren Welt knüpften, jene Bande, die so viele Menschen in so dichten Konzentrationen über ein so weites Gebiet verteilt oberhalb des Existenzminimums leben ließen? Es gab sie in zweierlei Form: einmal als horizontale, ‚freiwillig‘ eingegangene Verknüpfungen in der Form des Austauschs und Handels von Gütern und zum andern als vertikale, unfreiwillige Zwangsverknüpfung in Form der Abpressung von Pachten und Steuern�“ 16 Das in den imperial studies weit verbreitete und auch von Vogel propagierte einseitige Rombild hält der kritischen Rückfrage historischer Forschung nicht stand� Mit Blick auf unsere Fragestellung, müsste man doch zumindest die von diversen Bürgerkriegen und lokalen Konflikten geprägte Zeit des 1� Jh� v� Chr� unterscheiden von der weitgehend friedlichen Zeit in Kleinasien im 1� Jh� n� Chr� Bezeichnenderweise scheinen sich die Juden Kleinasiens dann auch nicht an den verheerenden Diasporaaufständen 115-117 n. Chr. beteiligt zu haben, wenn auch die schwierige Quellenlage darüber kein abschließendes Urteil erlaubt� Ein Brandherd des jüdischen bzw� christlichen Romhasses war Kleinasien 17 zur Abfassungszeit der Johannesapokalypse jedenfalls nicht� Es ist schon merkwürdig, dass Vogel fast ausschließlich Quellen aus der republikanischen Zeit anführt, aber keine Quelle findet, die den Romhaß in Kleinasien zur Zeit der Abfassung der Johannesoffenbarung belegen könnte� Man fühlt sich bei Vogels Romkritik unweigerlich an Monty Pythons „Leben des Brian“ erinnert: Rech : Sie haben uns ausbluten lassen, diese Schweine� Sie haben alles genommen, was wir hatten� Und nicht nur von uns� Von unsern Vätern und von unserer Väter Väter� Loretta : Und von unserer Väter Väter Väter� Rech : Ja� Loretta : Und von unserer Väter Väter Väter Väter� Rech : Das reicht� Noch genauer brauchen wir es nicht� Was 16 Ebd�, 36� 17 Vgl� Ch� Marek, Geschichte Kleinasiens in der Antike, a� a� O� 96 Stefan Alkier haben sie dafür als Gegenleistung erbracht, frage ich? 2. Mitglied : Den Aquädukt� Rech : Was? 2�Mitglied: Den Aquädukt� Rech: Oh� Jajaja� Den haben sie uns gegeben, das ist wahr� 3. Mitglied : Und die sanitären Einrichtungen� Loretta : Oh ja� Die sanitären Einrichtungen� Weißt Du noch, wie es früher in der Stadt stank? Rech: Also gut ja, ich gebe zu, der Aquädukt und die sanitären Einrichtungen, das haben die Römer für uns getan� Matthias : Und die schönen Straßen� Rech : Ach ja, selbstverständlich die Straßen� Das mit den Straßen versteht sich ja von selbst, oder? Abgesehen von den sanitären Einrichtungen, dem Aquädukt und den Straßen … 4. Mitglied : Medizinische Versorgung … 5. Mitglied : Schulwesen … Rech : Naja gut� Das sollte man erwähnen� 6. Mitglied : Und der Wein … Alle : Oh ja! Francis: Ja� Das ist wirklich etwas, was wir vermissen würden, wenn die Römer weggingen� 7. Mitglied : Die öffentlichen Bäder … Loretta : Und jede Frau kann es wagen, nachts die Straße zu überqueren, Rech . Francis : Jaha� Die können Ordnung schaffen, denn wie es hier vorher ausgesehen hat, davon wollen wir ja gar nicht reden� Rech : Also gut� Mal abgesehen von sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, ein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen, was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan? 2. Mitglied : Den Frieden gebracht … Rech : Aach! Frieden! Halt die Klappe� Gibt es Quellen für den „gesamtvorderorientalischen“ „Hass gegen Rom“? Um von einer „gesamtvorderorientalischen Opposition gegen Rom“ 18 sprechen zu können, benötigte man eine Reihe unabhängiger Quellen aus verschiedenen Regionen und Kulturen des vorderen Orients� Vogel hat dafür aber keine Belege und ist daher gezwungen, die Chimäre eines „persischen Hystaspesorakel“ zu bemühen� 19 Alle anderen Quellen, die Vogel anführt, sind nämlich jüdische Quellen aus dem 2� und 1� Jh� v� Chr�: Psalmen Salomos, Habakuk-Pescher aus Qumran und besonders die jüdischen Sibyllinen� Auf dem kurzen Hystaspes-Orakel liegt daher die ganze Last, alle anderen Stämme, Völker, Reiche, Verwaltungsbezirke, Sprachen und Provinzen des vorderen Orients zu repräsentieren� Selbst wenn es ein persisches Hystaspes-Orakel in einer persischen Quelle oder zumindest in einer nicht-jüdischen Rezeption gäbe, die sich zeitlich vor der Johannesapokalypse ansetzen ließe, wäre das für eine kritische historische Bewertung der Quellenlage nicht ausreichend, um die so weitreichende Hypothese vom gesamtvorderorientalischen Hass gegen Rom zu begründen� Allein: ein solches Hystaspes-Orakel ist nicht überliefert� Vogel 18 Manuel Vogel, 81� 19 Ebd� Die große Stadt. 97 muss deshalb eine christliche Quelle aus dem frühen 4� Jh� n� Chr� heranziehen, nämlich die Divinae Institutiones von Laktanz� Vogel fragt nicht quellenkritisch nach dem Interesse des Laktanz 20 an einem solchen Orakel für sein eigenes Anliegen in seinen Divinae Institutiones und gibt es daher ohne Prüfung als persische Quelle aus� Selbst Hans Windisch, der in seiner religionsgeschichtlichen Monographie „Die Orakel des Hystaspes“ aus dem bei Laktanz zu findenden „Hystaspes-Orakel“ mit einem übermäßigen Aufgebot von unkontrollierbaren Vermutungen auf einen parsisch-synkretistischen Ursprung schließen wollte, konstatierte mit Blick auf die Romfrage: „Demgegenüber ist der Untergang Roms, soviel ich weiß, kein nachweisbares Motiv in der parsischen Eschatologie� So scheinen wir hier doch gezwungen zu sein, das ganze Orakel aus jüdischer oder christlicher Feder herzuleiten�“ 21 Vogel hat keinen Beleg für seinen vorderorientalischen Gesamthass auf Rom� Michael Sommer, einer der führenden Althistoriker für den römischen Orient, beschreibt genau das Gegenteil einer gesamtorientalischen Romopposition: „Vor allem der Kult für den römischen Kaiser, den der römische Klientelkönig Herodes seit 31 v� Chr� aktiv förderte, war für gläubige Juden ein beständiger Stein des Anstoßes und trieb viele von ihnen immer weiter in die Radikalität� Allerdings waren die Juden die absolute Ausnahme unter den Bewohnern des Vorderen Orients“� 22 Es bleibt noch hinzuzufügen, dass es auch keine einhellige Ablehnung Roms unter Juden gab� Denken wir nur an Philo von Alexandrien, Paulus, Josephus oder Tiberius Alexander, den jüdischen Statthalter von Ägypten, so wird man zu einem der historischen Diversität angemesseneren Urteil kommen� Konfliktkonstellationen in der Johannesapokalypse Das größte Problem in der Argumentation Vogels sehe ich darin, dass er seine Auffassung nicht exegetisch begründet� Zur Johannesapokalypse schreibt er eine knappe Seite, die aber nicht aus einer Exegese des Textes erwachsen ist, sondern aus seinem breit vorangestellten Geschichtsbild, das ihn zu der allegorischen Auslegung treibt: Babylon ist Rom� Wenn die Johannesapokalypse eine Kampfschrift gegen Rom darstellen würde, so müsste sich das in ihrer Gesamtanlage, in den chronotopischen Struk- 20 Vgl. dazu J. Dochhorn, Laktanz und die Apokalypse: Eine Untersuchung zu Inst. 7.15-26, in: J� Verheyden, T� Nicklas, A� Merkt (Hg�), Ancient Christian Interpretations of „Vilolent Texts“ in the Apocalypse, NTOA 92, Göttingen 2011, 133-160. 21 H� Windisch, Die Orakel des Hystaspes, a� a� O�, 49� 22 M� Sommer: Syria� Geschichte einer zerstörten Welt, Stuttgart 2016, 84� Vgl� auch die weiteren Ausführungen ebd. 83-85. 98 Stefan Alkier turen und vor allem in den vielfältigen Konfliktkonstellationen in der Johannesapokalypse zeigen� Vogel bemüht aber nur Kapitel 17� Warum finden sich in der Eröffnung der Johannesapokalypse und dann in den Sendschreiben kaum Anzeichen eines Konflikts mit dem Imperium Romanum, sondern vor allem vielfältige Antagonismen 23 innerhalb der Versammlungen der Christusanhänger? Warum gibt es keine Hinweise eines die Darstellung leitenden Konflikts zwischen Rom und den östlichen Völkern in den Siegel- und Posaunenvisionen? Die hier beschriebenen Konfliktsituationen laufen quer durch Völker und Stämme� Kein Volk wird negativ hervorgehoben� Vom römischen Kaiser fehlt jede Spur� In den berühmten Reitervisionen der ersten vier Siegel liegen eine Reihe von Anspielungen auf griechische Götter 24 vor, nicht aber auf den römischen Kaiser oder das Imperium Romanum� Ein Konflikt Ost gegen West ist nirgends zu finden� So heißt es bei der Öffnung des zweiten Siegels: „Und heraus kam ein anderes Pferd, ein feuerrotes, und dem auf ihm Sitzenden, gegeben wurde ihm zu nehmen den Frieden von der Erde, und dass sie einander schlachten werden, und gegeben wurde ihm ein Schwert, ein großes�“ (6,4)� 25 Die Menschen schlachten sich gegenseitig ab! Es heißt nirgendwo in der Apk: Und ein Volk aus dem Westen, ein großes, schlachtete die Völker aus dem Osten ab� Die bereits Getöteten verlangen nach der Öffnung des 5� Siegels nicht die Rache an einem Imperium oder an einem bestimmten Volk aus dem Westen, vielmehr schreien sie: „Wie lange, Machthaber, heiliger und wahrer, richtest du nicht und vollstreckst nicht Recht unserem Blut an denen, die auf der Erde wohnen? “ (6,10b) Schauen wir uns die positiven Verheißungen an, so gelten sie „jeder Bevölkerung, sowohl Stämmen als auch Völkern als auch Sprachen“ (7,9b) und in das auf die Erde herabgekommene himmlische Jerusalem ziehen alle Völker und sogar die Könige der Erde ein (vgl� 21,24) und es dienen „die Blätter der Bäume zur Heilung der Völker“ (22,2c) - aller Völker! Wenn man von einem Universalismus der Johannesapokalypse sprechen möchte, so ist es ein Universalismus des Heils, in den auch die Römer integriert sind� 23 Vgl� S� Alkier, Schwerwiegende Differenzen - Vernachlässigte Antagonismen in der Johannesapokalypse, in: S� Alkier / M� Schneider, Ch� Wiese (Hg�), Diversität - Differenz - Dialogizität. Religion in pluralen Kontexten, Berlin / Boston 2017, 247-289. 24 Vgl� dazu S� Alkier / Th� Paulsen, Der kommende Gott und die Götter der Anderen� Beobachtungen zur intratextuellen Komposition und zur intertextuellen Schreibweise der Johannesapokalypse, in: dies� (Hg�), Apollon, Artemis, Asteria und die Apokalypse des Johannes� Eine Spurensuche zur Intertextualität und Intermedialität im Rahmen griechischrömischer Kultur, Kleine Schriften des FB Ev� Theol� des Goethe-Universität Frankfurt a. M. 9, 13-147; insbes.118-138. 25 Alle Zitate aus der Apk wurden übersetzt von S� Alkier und Th� Paulsen� Die große Stadt. 99 Die große Stadt Jerusalem Vogel betrachtet Kapitel 17 f� isoliert und vernachlässigt die intra- und intertextuelle Textur des Makrotextes� Dadurch entgeht ihm, dass als erste „große Stadt“ in der Johannesapokalypse Jerusalem eingeführt wird: „Und ihr Gefallenes: auf der Fläche der Stadt, der großen, die genannt wird im geistigen Sinne Sodom und Ägypten, wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde“ (11,8)� Jerusalem wird hier kodiert als „Sodom und Ägypten“ und identifiziert durch den Raumindex „wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde“� Beide Erläuterungen der „großen Stadt“ assoziieren Jerusalem mit Gewaltgeschichten: „Sodom“ dient als intertextuelle Disposition zu Genesis 19� Die Assoziation von Jerusalem und Sodom ist nicht erst die Idee des Apokalyptikers� Sie findet sich vielmehr bereits in Jesaja 1,9 und Ezechiel 16,46�49� In Ez 16,49 heißt es hinsichtlich Jerusalem: „So wahr ich lebe, spricht Gott, der Herr, Sodom, deine Schwester, samt ihren Töchtern, hat’s nicht so getrieben wie du und deine Töchter�“ Im gesamten Kapitel 16 stellt Ezechiel Jerusalem als große, vielfältig geschmückte und blutrünstige Hure dar, die ihre eigenen Kinder schlachtet und verbrennen lässt� Ezechiel wird mehrfach in der Apk intertextuell eingespielt und das Syntagma „Sodom und Ägypten“ lässt direkt auf Ez 16 schließen: „Zuerst triebst du Hurerei mit den Ägyptern“ (Ez 16,26a)� Jerusalem, personifiziert als Frau, als Hure, als gewalttätig, als Stadt des Unrechts und der wirtschaftlichen Ausbeutung ist ein vielfaches Motiv in Schriften Israels, die in die Johannesapokalypse eingewoben sind� Aber auch in der Evangelienliteratur ist das mörderische Jerusalem Thema: „Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind�“ (Mt 23,37; Lk 13,34)� Jerusalem ist nicht nur im Ezechielbuch eine gewaltige, imperiale Stadt mit einem riesigen Tempel, der selbst das große Babylon übertrifft� Von hier aus werden Königreiche okkupiert und an die Stämme Israels verteilt (Vgl� Ez 46,13-48,29). Es blieb in der Gewaltgeschichte Jerusalems, der großen Stadt, aber nicht bei bloßen Machtphantasien: Josephus erzählt in erschütternder Weise, wie der jüdische König und Hohepriester Alexander Jannai (103-76 v. Chr.), der sich innenpolitisch auf die Sadduzäer stützte, aber immer stärker in einen Konflikt mit den Pharisäern und ihren Sympathisanten geriet, der in einen sechsjährigen, blutigen Bürgerkrieg führte, 800 Pharisäer in Jerusalem kreuzigen ließ� Die Pharisäer hatten ihm das Recht des Hohenpriestertums abgesprochen, was er ihnen nun grausam heimzahlte: „Es steigerte sich nun infolge maßloser Wut seine Rohheit zu widergöttlichem Frevel: er ließ von den Gefangenen 800 mitten in der Stadt ans Kreuz binden und vor deren 100 Stefan Alkier Augen ihre Frauen und Kinder abschlachten; er sah dabei während eines Trinkgelages mit seinen Kebsweibern zu� Das Volk ergriff solch ein Entsetzen, daß von den Gegnern in der folgenden Nacht 8000 aus ganz Judäa entflohen, für die ein Ende des Flüchtlingsdaseins erst bei Alexanders Tod eintrat�“ ( Jos Bell 1,97 f�) 26 Jerusalem, die große Stadt, die unter den Hasmonäern imperiale Expansionspolitik mit grausamer Härte und sogar Massenkreuzigungen unternahm, wenn sie die innere Ordnung gefährdet sah, kann deshalb für den Verfasser der Johannesapokalypse nie wieder zum Ort Gottes werden� Nur ein gänzlich neues, im Himmel errichtetes Jerusalem ohne Tempel kann als Heilsort für alle Völker dienen - auch für die Römer� Babylon Als zweite „große Stadt“ wird in 14,8 Babylon eingeführt: „Gefallen, gefallen ist Babylon, die Große, die von dem Wein des Ingrimms ihrer Hurerei zu trinken gegeben hat allen Völkern�“ Der erste Teil des Satzes wird in 18,2 wiederholt, nun aber mit einer anderen Fortführung� Dabei kann schon hier festgehalten werden, dass beide Verse das Ergebnis der intertextuellen Schreibweise der Apk sind und sich nicht einer erkennbaren Referenz auf Rom verdanken� Offb 14,8 vernetzt Jes 21,9 und Jer 51,7; Offb 18,2 verarbeitet u� a� Jes 21,9; 13,21 und Jer 9,10� Das gleiche gilt für das zweite Auftreten des Städtenamens Babylon� Hier handelt es sich um die intertextuelle Vernetzung u� a� mit Jer 25,15: „Und es wurde die Stadt, die große, zu drei Teilen und die Städte der Bevölkerungen fielen� Und Babylon, die große, wurde bedacht vor Gott ihr zu geben den Becher des Weines des Ingrimms seines Zornes� Und jede Insel floh und Berge wurden nicht gefunden�“ (16,19 f) Nicht nur Babylon wird von der 7� Zornesschale in Mitleidenschaft gezogen, vielmehr fallen ohne jede topographische Beschränkung die Städte� Und im folgenden Vers sind nicht nur Sizilien oder Capri, sondern ohne jede räumliche Begrenzung alle Inseln und alle Berge betroffen� Der räumliche Index „die sitzt an vielen Wassern“ identifiziert die „große Hure“ in 17,1 mit intertextuellem Bezug zu Jer 51,13 als Babylon� Von der mit Wasser umgebenen architektonischen Pracht Babylons, durch die auch der große Euphrat fließt, war auch Herodot zutiefst beeindruckt� In seinen zum griechischen Bildungskanon 27 auch noch des 1� Jh� n� Chr� gehörenden Historien 26 Ich zitiere folgende Ausgabe: Flavius Josephus, De Bello Judaico - Der jüdische Krieg, Griechisch und Deutsch, hg� u� m� e� Einleitung, sowie mit Anm� vers� v� Otto Michel u� Otto Bauernfeind, Darmstadt, 3� Aufl� 1982� 27 Vgl� dazu den Beitrag in diesem Heft von Th� Paulsen, Apollon, Babylon und die Insel der Seligen� Intertextuelle Beziehungen zwischen Werken nichtchristlicher griechischer Die große Stadt. 101 schreibt er: „Die Stadt ist also recht groß� Sie ist aber auch die schönste Stadt von allen, die wir kennen�“ 28 Dieses Geschmacksurteil findet sich auch in Jes 13, das Kapitel gegen Babylon, das Johannes mit seiner intertextuellen Schreibweise in seine Komposition der 7 Zornesschalen eingewoben hat: „So soll Babel, das schönste unter den Königreichen, die herrliche Pracht der Chaldäer, zerstört werden von Gott wie Sodom und Gomorra“ ( Jes 13,19) 29 � Mit dem gemeinsamen Bezug auf Sodom werden Jerusalem (vgl� Offb 11,8) und Babylon intertextuell vernetzt� Wie intensiv die Gestaltung der 7 Zornesschalen in Offb 16-18 sich einer intertextuellen Schreibweise verdankt, wird vollends offensichtlich, wenn man Jer 50-52 hinzuzieht. Der überwiegende Teil von Offb 16-18 kann als rewriting, als generative Intertextualität begriffen werden, wofür ich wegen der gebotenen Kürze nur noch ein Beispiel anführen möchte: In Offb 17,1bf heißt es: „Hierher, zeigen werde ich dir das Gericht der Hure, der großen, die sitzt an vielen Wassern mit der hurten die Könige der Erde und es berauschten sich die, die bewohnen die Erde an dem Wein ihrer Hurerei�“ In Jer 51,7 heißt es: „Ein goldener Kelch, der alle Welt trunken gemacht hat, war Babel in der Hand des Herrn� Alle Völker haben von seinem Wein getrunken; darum sind die Völker so toll geworden�“ Und Jeremia fährt fort: „Wie plötzlich ist Babel gefallen und zerschmettert“ ( Jer 51,8a)� Durch die intertextuelle Schreibweise verbunden mit dem räumlichen Index „die sitzt an vielen Wassern“, ist Babylon in der Johannesapokalypse Babylon, wie es in den intertextuellen Bezugstexten beschrieben wird� Als solches ist es intertextuell verwoben mit Jerusalem ein besonders erschreckendes Exemplar einer großen Stadt, in der es zugeht wie einst in Sodom und Gomorra� Aber nicht nur durch den gemeinsamen Sodombezug werden Jerusalem und Babylon durch die intertextuelle Schreibweise der Apk miteinander verwoben� In Offb 17,4 f� ist zu lesen: „Und die Frau war umkleidet mit Purpurfarbenem und Scharlachrotem und vergoldet mit Goldenem und kostbarem Stein und Perlen habend einen Becher, einen goldenen, in ihrer Hand voll von Abscheulichkeiten und hinsichtlich des Unreinen ihrer Hurerei und auf ihrer Stirn ein Name geschrieben, ein Geheimnis: Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Abscheulichkeiten der Erde�“ Die große Stadt als Frau, als auffällig herausgeputzte Hure wird in ganz besonderer Weise in Ezechiel 16 dargestellt - mit Bezug auf Jerusalem! Offb 17 vernetzt Jerusalem und Babylon als zwei Exemplare der Autoren und der Johannesapokalypse� 28 Herodot, Historien I, Gr�-dt�, hg� v� J� Feix, Lizenzausg� Darmstadt 1988, 1,178 (S� 163)� 29 Ich zitiere nach der Lutherbibel 2017, die auf dem hebräischen Text beruht� Es sei hier angemerkt, dass es sachgemäßer wäre, auch die LXX Versionen anzuführen, was zu einer Komplexitätssteigerung führen würde, die hier aber den Raum gesprengt hätte� 102 Stefan Alkier schändlichen großen Stadt� Aber an keiner Stelle wird in der Johannesapokalypse dazu aufgefordert, den Stadtnamen „Babylon“ allegorisch zu dechiffrieren� Und Rom? Der Name „Rom“ findet sich in der Johannesapokalypse nicht� Er wird hineingelesen durch eine allegorische Interpretation von Offb 17,9: „So der Verstand, der Weisheit hat: Die sieben Köpfe sieben Berge sind sie - wo die Frau sitzt auf ihnen - und sieben Könige sind sie�“ Es geht in 17,9 nicht um eine Ersetzung des Namens Babylon, sondern um eine doppelte Dechiffrierung der sieben Köpfe des Tieres: Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt� Die Berge fungieren nicht als eine zu entschlüsselnde historische Referenz� Sie sind vielmehr Teil des Bildes der großen Stadt als Hure� Diese Berge werden dann ausgedeutet als Könige� Die Siebenzahl ergibt sich im Allgemeinen aus der Bevorzugung dieser Zahl in der Johannesoffenbarung (sieben Geister Gottes, sieben Sendschreiben, sieben Versammlungen, sieben Siegel, sieben Posaunen, sieben Zornesschalen, sieben Hörner, sieben Köpfe) und im Besonderen durch die nachäffende Inversion von Gott und seinem Böcklein seitens des Drachen und des Tieres� In Offb 5,6 heißt es: „Und ich sah in der Mitte des Thrones und der vier Lebewesen und in der Mitte der Älteren ein Böcklein stehend wie geschlachtet, habend sieben Hörner und sieben Augen, welche sind die sieben Geister Gottes, ausgesandt auf die ganze Erde�“ Während die sieben Hörner des Böckleins die sieben Geister Gottes symbolisieren verweisen die sieben Köpfe des Tieres lediglich auf irdische Könige� Die Pointe dieser Inversion lautet: Das gewaltige Tier, das das kleine Böcklein nachäfft, ist mit weit weniger Machtfülle ausgestattet als das Böcklein selbst� Offb 17,9 verweist deshalb nicht mit historischer Referenz auf eine Stadt, die auf sieben Bergen liegt� Obwohl Babylon in einer Ebene liegt, wird bildlich von Babylon selbst als Berg des Verderbens in Jer 51,25 gesprochen und in Jes 14,13 spricht Babylon: „Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen, ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden�“ Dass Babylon über die Könige der Erde herrscht, ist ebenfalls ein intertextueller Bezug, heißt es doch In Jes 47,1: „[…] du sollst nicht mehr heißen ‚Herrin über Königreiche‘�“ Jerusalem dagegen wird nicht nur symbolisch als Berg begriffen� Der Berg Zion, auf dem König David seinen Palast erbaute, nachdem er die Burg Zion von den Jebusitern erobert hatte (vgl� 2 Sam 5,7), ist mit mehr als 150 Belegen im Alten Testament der zweite Name für Jerusalem� Andere bekannte Berge in und in unmittelbarer Nähe zu Jerusalem sind der Tempelberg, der Ölberg und Golgota� Es sind aber auch noch zu nennen: Goath, Akra Morija und Ophel, das macht zusammen 7 Berge� Die große Stadt. 103 In Offb 17,9 wird sachgemäß das griechische Wort oros für Berg verwendet� Es gibt keinen Beleg dafür, dass irgendeine Stadt in der griechischen Literatur als Stadt auf den 7 Bergen bezeichnet wird, obwohl es für Jerusalem Sinn gemacht hätte, wenn diese 7 Berge Jerusalems geographisch auch eher als Hügel (lophos) zu bezeichnen wären, vergleichbar mit den 7 Hügeln Roms� Für Rom als siebenhügelige Stadt sind 6 Belege bekannt, die sachgemäß das griechische Wort lophos (Hügel) bzw. heptalophos (siebenhügelig) aber eben nicht oros (Berg) verwenden� 3 von diesen 6 Belegen finden sich in den schwer zu datierenden Oracula Sibyllina (2�18; 13�45; 14�108), ein Beleg stammt aus Plutarch, Moralia 2�280d, eine Schrift aus dem Ende des 1� oder Anfang des 2� Jh�s, und ein Beleg aus der Anthologia Palatina (14�121�1), einer späten Gedichtsammlung. Die Epigramme Anth. Pat. 14,116-146 werden in das 4. Jh. n� Chr� zu datieren sein� Der früheste Beleg ist Cicero, Epistula ad Atticum 6�5�2� Bei einem geflügelten Wort dürfte man doch deutlich mehr Belege erwarten, insbesondere wenn man damit Offb 17,9 erklären will, denn dafür käme dann zeitlich gesichert nur noch ein einziger Beleg in Frage, nämlich Cicero, der aber wie die späteren Belege auch das griechische Wort heptalophos mit Blick auf Rom verwendet und nicht von der Stadt auf sieben Bergen spricht� Von einem Sprichwort, das Rom als Stadt auf den sieben Bergen markiert, kann in der griechischen Literatur keine Rede sein� Aber selbst in der lateinischen Literatur gibt es keine sprichwörtliche Rede von Rom als Stadt auf den sieben Bergen� Die dafür in der Kommentarliteratur angeführten Belegstellen, die überwiegend aus der lateinischen Dichtung zur Zeit des Augustus stammen, haben keinen einheitlichen Duktus: Vergil, Aeneis 6.781-783, spricht von sieben Burgen, Horaz, Carmen saeculare 7, spricht von sieben Hügeln, Properz, 3. 11. 55-58, erwähnt sieben Joche, Ovid, Tristia 1. 5. 67-70, und Martial 4,64.11s, sprechen von sieben Bergen� Ein geflügeltes Wort ergibt diese disparate Redeweise nicht einmal in der lateinischen Literatur� In dieses Bild passt auch die von Vogel als Beleg für seine Hypothese einer sprichwörtlichen Rede von Rom als Stadt auf den sieben Bergen herangezogene Dea Roma Münze� Es gibt zahlreiche Dea Roma Münzen zur Zeit Vespasians, die Vogel hier im Blick hat, aber nur eine von ihnen zeigt die wohlgesittete Göttin teils sitzend, teils anlehnend an sieben Hügeln� Es handelt sich um eine 71 n� Chr� in Rom geprägte Münze� Das RIC 30 bemerkt zu dieser Münze: „very few examples known“� Ob es eine dieser Münzen überhaupt bis nach Kleinasien geschafft hat, ist eher fraglich, weite Verbreitung über ihre Prägestätte Rom hinaus, die zu einem „geflügelten Bild“ hätte beitragen können, hatte diese 30 H� Mattingly / E� A� Sydenham et al� (Hg�), The Roman Imperial Coinage, London 1923 ff� 104 Stefan Alkier Münze mit lateinischer Aufschrift nach Ausweis des numismatischen Befundes jedenfalls nicht� Alles, was in Offb 17 und 18 von der großen Stadt geschrieben wird, erklärt sich durch intertextuelle Bezugnahmen auf Sodom, Jerusalem und Babylon in Genesis, Jesaja, Jeremia und Ezechiel� Die Johannesapokalypse ist also keine Kampfschrift gegen Rom� Vielmehr bietet sie eine Analyse großer Städte als Orte menschlicher Machtkonzentration, die mit ihrer ungerechten und unbarmherzigen Herrschaft über andere Städte und Königreiche nicht den Werten Gottes und seiner Schöpfung entsprechen� Leser, die ein negatives Rombild hatten, werden bei der Lektüre von Offb 16-18 sicher auch an Rom gedacht haben, so wie heutige Leser vielleicht an Washington, Moskau oder Peking denken mögen� Aber die Rezipienten zur Zeit des Imperium Romanum, die die prophetischen Schriften Israels kannten, werden die intertextuellen Bezüge ebenfalls wahrgenommen und so ihre Romkritik mit der Kritik an Sodom und Gomorra, an Jerusalem und Babylon zusammengedacht haben - eine Verschmelzungstechnik, die der Verfasser der Johannesoffenbarung in anderer Hinsicht auch in 12,9 expliziert: „Und geworfen wurde der Drache, der große, die Schlange, die alte, der sogenannte Durcheinanderwerfer und der Satan, der durchstreift die bewohnte Welt als Ganze�“ Wie Johannes die diversen Akteure des Bösen als Exemplare ein und desselben Gegenspielers Gottes zu lesen aufgibt, so begreift er Sodom, Jerusalem und Babylon als Exemplare der Gott vergessenden, Unrecht ausübenden, großen Stadt, die mit ihrer Herrschaft überregionalen Schaden anrichtet� Das Tier und die Frau: Das dämonische Prinzip der Weltreiche und die begrenzte Macht der großen Stadt „Und ich sah eine Frau sitzend auf einem Tier, einem scharlachroten, voll hinsichtlich Namen der Schmähungen habend sieben Köpfe und zehn Hörner�“ (Offb 17,3b)� Durch die Farbe Scharlachrot (vgl� 17,4) sind die Frau und das Tier verbunden� Da die Frau auf dem Tier sitzt, scheint sie dessen Herrin zu sein� Sie reitet aber nicht auf dem Tier, gibt ihm nicht die Sporen - vielmehr ist sie als auf ihm Sitzende abhängig von all seinen Bewegungen, eine Abhängigkeit, die in ihrer Zerstörung mündet: „Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, und das Tier, diese werden hassen die Hure und verlassen werden sie sie machen und nackt und ihre Fleischstücke werden sie essen und sie verbrennen im Feuer�“ Das Tier und seine Hörner wenden sich gegen die Frau und zerfleischen sie� Wir wissen aus 17,18, dass die Frau die große Stadt symbolisiert, deren Macht soweit reicht, dass sie „über die Könige der Erde“ herrscht� Wer aber ist das Tier, das diese mächtige irdische Stadt zu zerstören in der Lage ist? Die große Stadt. 105 Die Antwort darauf hat der Text der Johannesapokalypse in Kap 13,1 f� längst gegeben: „Und ich sah aus dem Meer ein Tier heraufsteigen habend 10 Hörner und sieben Köpfe und auf seinen Hörnern 10 Diademe und auf seinen Köpfen Namen der Schmährede� Und das Tier, das ich sah, war gleichend einem Panther und seine Füße wie eines Bären und sein Maul wie das Maul eines Löwen� Und es gab ihm der Drache seine Macht und seinen Thron und Vollmacht, große�“ Die große Vollmacht, die das tierische Mischwesen in die Lage versetzt, in 17,16 sogar die große Stadt zerstören zu können, erhält es vom Drachen, der in 12,9 nach seinem verlorenen Kampf im Himmel auf die Erde geworfen wird und u� a� als Satan und Diabolos (Durcheinanderwerfer) identifiziert wird� Das in Offb 17,3b näher beschriebene Tier ist zusammengesetzt aus den vier Tieren, die in Dan 7 vier aufeinanderfolgende Weltreiche symbolisieren� In Dan 7,2-8 treten die Tiere nacheinander auf, das erste wie ein Löwe, das zweite wie ein Bär, das dritte wie ein Panther� Das vierte, besonders schreckliche Tier ist keinem bekannten Tier vergleichbar, aber es hat zehn Hörner� Dan 7,17 dechiffriert so: „Diese großen Tiere sind vier Königreiche, die auf Erden kommen werden�“ Mit der Verschmelzung der vier Tiere zu einem Tier, das auf diese Weise 7 Köpfe zählt - der Panther hat 4 Köpfe addiert mit den Köpfen der drei anderen Tiere ergibt das 7 Köpfe - und 10 Hörner - die 10 Hörner des vierten Tieres -, wird die diachrone Logik der Weltherrschaft des Danielbuches verdichtet zu einem überzeitlichen diabolisch bevollmächtigten Prinzip der Weltherrschaft, das stärker und dauerhafter ist, als jede noch so große Stadt� Vogel übersieht durch seinen Fokus auf Frau Babylon, dass nicht diese, sondern das vom Drachen mit Vollmacht ausgestattete Tier die diabolische Weltherrschaft repräsentiert, die auch über die Vernichtung Babylons hinausreicht� Babylon, die große Stadt, ist in Offb 18,2 gefallen, nicht aber das Tier, auf dem sie saß und das sich dann gegen sie gewendet hat� Das Tier und seine irdischen Verbündeten werden erst in 19,19 f� vernichtet� Aber damit ist der Kampf immer noch nicht beendet, denn der Drache, die Schlange, der Diabolos, der Satan werden in 20,3 zunächst für 1000 Jahre gebunden und dann erst für immer in den Feuerpfuhl geworfen, wo das Tier bereits gefangen gehalten wird (20,10)� Zuletzt aber folgen dahin Tod und Hades (20,14) und erst dann kommt das neue Jerusalem aus dem Himmel auf die Erde� Ermutigung zur Zeugenschaft Die Johannesapokalypse als „Kampfschrift gegen Rom“ zu verstehen, verstellt den Blick für die theologisch und kosmologisch differenzierende Machtkritik dieses faszinierenden Textes� Arbeitete sie sich nur am Imperium Romanum ab, so hätten wir auch keine theologische Veranlassung, soviel Zeit und Arbeit in 106 Stefan Alkier ihre Interpretation zu investieren, denn das Imperium Romanum ist Vergangenheit� Wenn das Problem, mit dem dieser Text sich abmühte, längst erledigt wäre, wäre die Johannesapokalypse zwar noch philologisch und auch als historische Quelle interessant, sie hätte aber keine theologischen Impulse für die Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft zu geben� 31 Die Johannesapokalypse holt aber viel weiter aus und gelangt so zu grundlegenden theologischen und kosmologischen Einsichten in die Problematik von Machtsphären� Gott ist der Johannesapokalypse zufolge der Pantokrator, der Allherrscher (vgl� 1,8)� Es gibt keine von ihm unabhängige Gegenmacht� Das Wirken böser Mächte verdankt sich einem partiellen Machtverzicht Gottes� Er räumt der diabolischen Machtsphäre - symbolisiert durch den Drachen - wenig Zeit ein (vgl� 12,12)� Diese aber nimmt schlimmen Einfluss auf das Prinzip irdischer Weltherrschaft - symbolisiert durch die Verdichtung der vier Tiere aus Dan 7 in das eine Tier aus Offb 13� Auf diesem Prinzip irdischer Weltherrschaft baut die Machtausübung großer Städte - symbolisiert durch Jerusalem und Sodom in Offb 11 und durch Babylon in Offb 14-18 - auf, die überregional herrschen, dann aber selbst zum Opfer dieses unheilvollen Machtprinzips werden (vgl� 17,16)� Erst wenn Gott seine Macht ganz in Anspruch nimmt (vgl� 11,17), wird Gericht gehalten und Gottes Gerechtigkeit wirksam erwiesen� Jede Tränen verursachende Macht wird vernichtet und allen Völkern wird ein heilvolles Leben in unüberbietbarer Gottesnähe eröffnet (vgl. Kap 21,1-22,5). Bis dahin aber gilt es, Zeuge des Zeugen Jesu Christi zu sein, der den Weg der Zeugenschaft der schöpferischen Macht Gottes gegangen ist und sich nicht von den diabolischen Machtsphären beeindrucken ließ, die ihn dann sogar kreuzigten (vgl. 1,1-7). Unrecht klar zu benennen, nicht wegzusehen, wo immer unbarmherzig zerstörerische Macht ausgeübt wird, sei es in Sodom, in Jerusalem, in Babylon, in Rom, in Berlin, in Peking, in Moskau, in Washington, in der eigenen Gemeinde, am Arbeitsplatz, zu Hause - die Wahrheit bezeugen gegen alle Widerstände ist der subversive Aufruf der Johannesapokalypse mit Blick auf jeden Missbrauch von Macht in der visionären Zuversicht, dass das Böse die Macht Gottes nur nachäffen, sie aber niemals bezwingen kann� Wer sich auf den Text der Johannesoffenbarung einlässt, wird das Versprechen des Lektürevertrages in 1,3 nicht als leere Worte empfinden: „Reich beschenkt, der, der liest und die, welche hören die Worte der Prophetie und beachten das, was in ihr geschrieben ist: der günstige Augenblick nämlich - nahe�“ 31 Vgl� aber S� Alkier, Witness or Warrior? How the Book of Revelation can help Christians live their political Lives, in ders� / R� B� Hays (Hg�), Revelation and the Politics of Apocalyptic Interpretation, Waco, Texas 2012, 125-141. Die große Stadt. 107 „Das letzte Buch der Bibel - die Johannesoffenbarung - ermutigt im Alltag der Welt, die so viel Angst und Schrecken erzeugt, zu träumen vom gemeinsamen Leben Gottes und seines Heilands mit allen Völkern� […] Mit den Augen des Johannes lässt sich zuversichtlich sehen, was war und was ist und was sein wird�“ 32 32 Hörbuch „Nacht der Bibel“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Track 58�