eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 21/42

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2018
2142 Dronsch Strecker Vogel

„… Geld alleine macht auch nicht glücklich“

2018
Michael Sommer
Brenda Willmann
Zeitschrift für Neues Testament Heft 42 21. Jahrgang (2018) „…-Geld alleine macht auch nicht glücklich“ Ein Plädoyer für einen numismatischen Neuansatz in der Apokalypseforschung Michael Sommer und Brenda Willmann 1. Einleitung-- Die Apokalypseforschung im Umbruch und der Ruf nach neuen Politikmodellen Über den Status eines Begegnungsortes zwischen engagierten Nachwuchswissenschaftler / innen und etablierten Forschungspersönlichkeiten ist das Colloquium Iohanneum schon längst hinausgewachsen� Einmal pro Jahr versammelt sich das who is who der deutschsprachigen Exegese und signalisiert im intellektuellen Austausch mit jungen Neutestamentler / innen sowohl Richtungslinien als auch große Kontroversen und Umbrüche in der Johannesforschung� 2017 und 2018 widmeten sich gleich zwei dieser annual meetings überraschenderweise der Johannesoffenbarung und markierten einzig und allein durch die Themenwahl einen Trend der europäischen Forschung� Gerade in der jüngsten Zeit ist in vielen akademischen Epizentren Europas ein aufkommendes Interesse für apokalyptische Literatur mehr als deutlich sichtbar geworden� Mag man über die Gründe für diesen Aufwind spekulieren dürfen, so ist jedoch ein Aspekt sonnenklar: Das Forschungsfeld befindet sich im Moment wohl in einem der stärksten Veränderungs- und Neuorientierungsprozessen seit den 1970er Jahren� Fest eingefahrene Kategorien über Genregrenzen und -definitionen werden gegenwärtig so stark hinterfragt wie seit Langem nicht mehr; gleiches gilt natürlich auch für Modellvorstellungen über die kulturelle und soziale Rolle der apokalyptischen Literatur in der alten Welt bzw� über ihre Standorte innerhalb des frühen Christentums� Schon alleine deshalb ist es nicht wirklich überraschend gewesen, dass 58 Michael Sommer und Brenda Willmann der Eröffnungsvortrag des Wuppertaler Colloquiums 2017 ein ganzes Bollwerk an kritischen Anfragen dem Auditorium zur Diskussion vorlegte� Tobias Nicklas kritisierte in einer Thesenreihe fest eingefahrene Auslegungsmuster, nach denen die schillernden und voluminösen Bilder der Offenbarung vorschnell und allzu leichtfertig als Spiegel- oder gar als Gegenbilder der Realgeschichte allegorisch ausgelegt werden� 1 Wie politisch bzw� antiimperialistisch sei die Offenbarung überhaupt, hieß seine Leitfrage� Er hegte Zweifel daran, dass der apokalyptische Narrativ ausschließlich eine Karikatur der römischen „Kaiserpropaganda“ oder eine Verteidigungsstrategie gegen einen besonders aggressiven Kaiserkult sei� Dafür, so sprach Nicklas weiter, seien die Worte des Sehers zu vielschichtig und interpretationsoffen� Alleine die theologischen und spiritualitätsgeschichtlichen Kontroversen der Sendschreiben, fuhr er fort, seien zu komplex, als dass sie nur als Kontrastbilder zur politischen Propaganda Roms gelesen werden wollten� Nicklas reiht sich nahtlos ein in eine neue Welle der politischen Skepsis, die u� E� Stefan Alkier im deutschsprachigen Raum publik gemacht hat� Alkiers jüngere Publikationen machen sensibel für forschungsgeschichtliche Automatismen, nach denen gedankliche Parallelen zwischen apokalyptischen und römischhellenistischen Diskursen zu Divergenzen und Gegensätzen stilisiert wurden, nur um dem Seher Johannes ein „römisches“ Feindbild gegenüberzustellen� 2 An klug gewählten Beispielen zeigt Alkier, wie Kategorien und Überzeugungen des 19� Jh�s auch heute noch die Offenbarung nicht nur in einem antiimperialistischen, sondern in einem antikulturellen bzw� welt- und kulturflüchtigen Lichte erstrahlen lassen, was seiner Meinung zufolge dem Text nicht gerecht werde� Alkiers Position wird sicher nicht frei von Kritik bleiben, 3 doch ungeachtet dessen deutet er auf ein sehr großes Problem der Apokalypseforschung hin, dem wir mit diesem Aufsatz auf dem Grund gehen möchten� Das Verdikt, die Offenbarung sei zutiefst jüdisch und gleichzeitig gesellschaftsfeindlich und antiimperialistisch, verleitete Forscher oftmals dazu, Quellen problematisch zu 1 Vgl� dazu T� Nicklas, Die Johannesapokalypse und das römische Reich� Kritische Rückfragen zu einem Forschungsparadigma� Eröffnungsvortrag auf dem Colloquium Johanneum Wuppertal 2017 [Veröffentlichung in Vorbereitung]� Wir danken Tobias Nicklas dafür, dass er uns sein Manuskript zur Verfügung gestellt hat� 2 Vgl� dazu S� Alkier, Schwerwiegende Differenzen� Vernachlässigte Antagonismen in der Johannesapokalypse, in: S� Alkier / M� Schneider / C� Wiese (Hg�), Diversität - Differenz - Dialogizität. Religion in pluralen Kontexten, Berlin / Boston 2017, 247-289. 3 Sie rüttelte jedoch wach, Grundsatzfragen nach dem Wesen von antiker Politikkritik und politischer Literatur neu zu stellen� Doch auch die Diskussion nach dem Wuppertaler Hauptvortrag konnte nicht beantworten, ob ein postmodernes Politikverständnis, das durch die Geschichte der europäischen Demokratie genauso geprägt ist wie von medialromantisierten Ideen von Widerstand und Revolution, nicht in gewisser Weise betriebsblind gemacht hat für die politischen Diskursregeln der alten Welt� „…-Geld alleine macht auch nicht glücklich“ 59 hierarchisieren� Während man mit Hilfe von jüdischen Quellen positive Aussagen über die Theologie der Apokalypse getroffen hat oder den Seher und seinen Adressatenkreis profilierte, 4 dienten römisch-hellenistische Quellen vorwiegend nur dazu, dem Feindbild des Sehers ein Gesicht zu verleihen� 5 Nicht-jüdische Diskurse haftete in der Apokalypseforschung größtenteils ein negativer Beigeschmack an, denn durch sie kamen die Gegenspieler von Johannes zu Wort� Im Kontext der aktuellen Diskussion über apokalyptische Politikkritik sei die Frage erlaubt, ob sich die Forschung nicht selbst um eine große Chance beraubt hat� Schließlich war Johannes als kleinasiatischer Autor in einer römischen Provinz sozialisiert� Sein Vorstellungshorizont und seine religionsgeschichtlichen Hintergründe mussten schon deshalb komplexer gewesen sein, als dass sie nur vor dem Hintergrund der Schriften Israels verstanden und erklärt 4 Ein gutes Beispiel hierfür ist die breite Forschungstradition zu den alttestamentlichen Hintergründen der Apokalypse� Vgl� dazu die Forschungsüberblicke von T� Hieke, Die literarische und theologische Funktion des Alten Testaments in der Johannesoffenbarung, in: S� Alkier / T� Hieke / T� Nicklas in Zusammenarbeit mit M� Sommer (Hg�), Poetik und Intertextualität der Johannesoffenbarung (WUNT I 346), Tübingen 2015, 271-290 und von A� Yarbro Collins, Rewritten Prophets: The Use of older Scriptures in Revelation, in: Alkier / Hieke / Nicklas, Poetik, 291-299. 5 Vgl� dazu weiterführend Alkier, Differenzen, 247 ff� Michael Sommer, geb� 1984; 2004 Abitur; 2010 Diplom in Katholischer Theologie; 2013 Promotion im Fach Neues Testament; 2017 Positive Zwischenevaluation der Juniorprofessur� Brenda Willmann, geb� 1993; 2012 Abitur; Erstes Staatsexamen für Lehramt an Sekundarschulen für die Fächer Katholische Religionslehre und Geschichte� 60 Michael Sommer und Brenda Willmann werden können� 6 In diesem Aufsatz möchten (und können) wir natürlich kein Pauschalurteil fällen, jedoch melden wir für eine „Quellengattung“ im Kleinen einen Revisionsbedarf an� Münzen, um die es im Folgenden speziell gehen wird, wurden von Auslegern ausschließlich dazu verwendet, um Bilder des Sehers zu politischen Kampfsymbolen zu stilisieren� 7 Numismatische Funde sind politisch funktionalisiert worden, wobei ein großer Teil des religionsgeschichtlichen Potentials dieser Quellen vollkommen ungenutzt geblieben ist� Löst man sich von den Zwängen, numismatische Artefakte ausschließlich als Repräsentanten eines politischen Diskurses zu betrachten, so können sie Erklärungshilfen für viele Bilder der Offenbarung bieten� 8 Für den vorliegenden Artikel haben wir uns zunächst folgende Ziele gesetzt: (1) Wir beleuchten die Geschichte der Münze RIC II 153 in der Apk-forschung� An ihr sieht man, wie fest eingefahrene Politikmodelle dazu führten, dass numismatische Funde oftmals ohne Sachverstand und Quellenkenntnis verzerrt interpretiert worden sind und dass bisherige Politikmodelle der Apk-Forschung dringend diskutiert werden müssen� (2) Eine traditionsgeschichtliche Analyse des Reversmotivs von RIC II 153 demonstriert, dass numismatische Quellen wertvolle Einblicke in sehr breite religionsgeschichtliche Diskursräume erlauben� Münzen verraten sehr viel über die religiös-mythologische Landschaft der alten Welt� Sie sind weit mehr als politische Hoheitssymbole� 9 RIC II 153 ermöglicht es, neue Facetten von Offb 1 zu erschließen, die bislang unentdeckt geblieben sind� (3) Numismatische Quellen bedürfen, gerade wenn man mit ihnen literarische Texte erschließen möchte, einer besonderen Methode des intermedialen Arbeitens� Dass hier ein Nachholbedarf an methodischer Reflexion besteht, möchten wir zumindest andeuten� 6 Vgl� dazu M� Sommer, Die Jesusgeschichte und die Identitätsgeschichte der Offenbarung, in: P. Dragutinović et. al. (Hg.), Christ of the Sacred Stories (WUNT II 453), Tübingen 2017, 201-222. 7 Vgl� dazu auch M� Sommer, Von Monstern und Männern� Eine Auseinandersetzung mit E� Reinmuths ‚Parodien der Macht‘, in: S� Alkier / C� Böttrich / M� Rydryck (Hg�), Neutestamentliche Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung� Studien im Anschluss an Eckart Reinmuth, Leipzig 2017, 344-368. 8 Vgl� dazu M� Sommer, Reading the Apocalypse of Peter politically: The political portrayal of Trajan and the vision of Christ, in: J� Snyder / K� Zamfir (Hg�), Reading the ‘Political’ in Jewish and Christian Texts, Biblical Tools and Studies, Leuven [in Vorbereitung für 2018]� 9 K� Christ, Antike Numismatik� Einführung und Bibliographie, Darmstadt 1991, 9 spricht sogar von einem „Denkmal mit Aussagen staatlicher, politischer, rechtlicher, religiöser, mythologischer, ästhetischer, paläographischer - überhaupt kultureller Art�“ Münzen zeigen nicht nur, wie politische Diskurse und religiös-mythologische Symbolik interagierten und sich durchdrungen haben� Vielmehr berichten sie davon, dass politische und religiöse Symbolik oftmals mehrere Bedeutungsebenen zur gleichen Zeit besessen haben� „…-Geld alleine macht auch nicht glücklich“ 61 2. Numismatische Quellen in der Auslegungsgeschichte der Offenbarung Einen Überblick über „apokalyptische“ Numismatikforschung zu schreiben, ist sicher nicht die leichteste Übung� Man muss schon ausgiebig im Dickicht der Veröffentlichungen suchen, um hier und da auf numismatische Lichtungen zu stoßen� Münzen spielten nämlich in der von der intertextuellen Einflussforschung geradezu dominierten Auslegungsgeschichte der Johannesoffenbarung nur eine äußerst marginale Rolle� Abgesehen von Annette Weissenrieders Artikel zur Ekphrasis der Offenbarung, der Dea-Roma-Münzen analysiert, lassen sich keine eigenständigen numismatischen Beiträge ausfindig machen� 10 Jedoch greifen zumindest einige Kommentare und christologische Untersuchungen gelegentlich auf Münzen zurück� Es bereitet jedoch weitaus größere Schwierigkeiten, die winzigen Spuren numismatischen Arbeitens zusammenzutragen, als ihre methodische und inhaltliche Ausrichtung zu systematisieren, denn eigentlich verfolgten alle Beiträge meist sehr ähnliche Ziele� Man wertete Rückseitenmotive von Münzen so, als ob sie einen für das gesamte Reich gültigen politischen Diskurs repräsentieren würden� Johannes hätte die auf den Münzen zu sehenden Motive aufgegriffen, daraus Gegenbilder gestaltet, um so den Herrschafts- und Machtanspruch des römischen Imperators narrativ zu brechen� 11 Keine der Veröffentlichungen differenziert numismatische Quellen kleinschrittiger nach geographischen, prägezeitlichen und lokalpolitischen Faktoren� Letztendlich setzen Ausleger damit die Grundregeln des archäologischen und numismatischen Arbeitens außer Kraft� Archäologische Daten (wie Fundorte und die Materialität der Münzen), ihre Überlieferungszustände und die Besonderheiten ihrer Emission fanden bei dieser Art der historischen Rekonstruktion genauso wenig Beachtung wie traditionsgeschichtliche Überlegungen zur Reversgenese und zur Motivverbreitung� In Münzen sah man bislang nur ein Zeugnis der römischen Propaganda, ohne danach zu fragen, welchen politischen Stellenwert die herangezogenen Münzen in der komplexen Welt des römischen Reiches und seinen Provinzen überhaupt gehabt haben� Ein leuchtendes Beispiel hierfür sind Aussagen über RIC II 153� Die wohl bekannteste Münze der Fachkultur wurde ausschließlich als ein Gegenbild zu Offb 1,16 verstanden, weil auf ihrer Rück- 10 A� Weissenrieder, Bilder zum Sehen - Bilder zum Hören? Über die Grenzen von visuellem Bild und Sprache als Ekphrasis in Apk 17, in: Alkier / Hieke / Nicklas, Poetik, 241-270. 11 Ausleger glaubten dies durch einen oft recht unreflektierten intermedialen Vergleich zwischen der Reversmotivik einer Münze und einem Bild der Apokalypse belegen zu können� Demnach hätte Johannes ein numismatisches Symbol in seine Erzählwelt übersetzt, entsprechend gespiegelt und gleichzeitig kritisch zu ihrer politischen Repräsentanzfunktion Stellung bezogen� Dass ein solches Vorgehen nicht nur wegen leichtfertig gezogener intermedialer Parallelen höchstproblematisch ist, liegt auf der Hand� 62 Michael Sommer und Brenda Willmann seite sieben Sterne zu sehen sind, die von einem Kleinkind gehalten werden� Ausleger assoziierten dieses Bild mit dem „apokalyptischen“ Messias, der sieben Sterne auf seiner Rechten liegen hat: „In seiner Rechten hielt er sieben Sterne, und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne�“ RIC II 153 galt in der Forschung bislang als ein Aushängeschild der Propaganda Domitians, gegen welches Johannes polemisiere� Vorsichtigere Thesen wie die von Hans-Josef Klauck glauben, Johannes hätte sich in Offb 1,16 kritisch auf die Apotheose des verstorbenen Sohnes des Imperators bezogen, die auf RIC II 153 abgebildet ist� 12 In den Kommentaren spitzen sich Interpretationen dieser intermedialen Berührung jedoch radikal zu� Recht schnell deutete man das Bild auf RIC II 153 so, als wolle sich Domitian darauf selbst als Gott präsentieren� So glaubt Heinz Giesen, die Münze erzähle nicht nur von der postmortalen Vergöttlichung des Kindes, sondern zeige Domitian als Göttervater� In der Einleitung seines Kommentars schreibt er einige Zeilen darüber, dass der Seher vor allem gegen diesen Machtanspruch des Imperators vorgeht und deswegen das Münzmotiv karikiere� 13 Viele folgen ähnlichen Vorstellungen und glauben, Offb 1,16 sei eine Reaktion auf die Münzrückseite und das Politikum Domitians� Johannes wolle seinen Menschensohnähnlichen noch mächtiger zeichnen als die vergöttlichte Herrscherfamilie� So schreibt Gregory K� Beale: The picture could be a polemic against the imperial myth of an emperor’s son who dies and becomes a devine ruler over the stars of heaven, since the title ‚ruler of the kings of the earth‘�“ 14 Giesens und Beales numismatische Schlüsse differenzieren weder zwischen Innen- und Außenpolitik, noch setzen sie sich mit der Real- und Archäologiegeschichte dieser Münze adäquat auseinander� Für beide sind Münzen ausschließlich Propagandamedien, die die politische Großwetterlage im gesamten Reich signalisieren� 15 12 Vgl� dazu H�-J� Klauck, Die Johannesoffenbarung und die kleinasiatische Archäologie, in: M� Küchler / M� Schmidt / M� Karl (Hg�), Texte - Fakten - Artefakte� Beiträge zur Archäologie für die neutestamentliche Forschung, Fribourg 2006, 196-220, hier 208. 13 Vgl� dazu H� Giesen, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg 1997, 26� 14 G� K� Beale, The Book of Revelation (NIGTC), Grand Rapids, Michigan 1999, 211� 15 In diesem Sinne schreibt Giesen, Offenbarung, 26: „Eine sorgfältige Auswertung der Quellen, zu denen auch Inschriften, Münzen und Prosographien gehören, vermag zu zeigen, dass Domitian wie Augustus den Staatskult zu erhalten und zu stützen sucht� Besonders deutlich geht das aus Münzen hervor, die zur Zeit Domitians geprägt werden; denn es gibt „…-Geld alleine macht auch nicht glücklich“ 63 Konrad Huber geht sogar noch einen Schritt weiter� Er rechnet sowohl mit der Möglichkeit, dass Johannes die Münze gekannt hat (den Konjunktiv Beales schwächt er in dieser Hinsicht ab) und glaubt, dass der Seher damit einen Affront direkt gegen Domitian konstruierte� „Das Bildelement in Offb 1,16a kann von da aus vielleicht sogar als eine bewusste Anspielung auf derartige Münzmotive im Allgemeinen und jene Kaiser Domitians im Besonderen verstanden werden, und zwar im Sinne einer polemischen Auseinandersetzung mit den darin erhobenen Herrschaftsansprüchen, denen von Seiten des Verfassers der Johannesoffenbarung die göttliche Macht des Menschensohngleichen, der die sieben Sterne bereits definitiv in seiner Rechten hält gegenübergestellt wird�“ 16 Tiefergehender wurde das historische Setting von RIC II 153 bislang nicht analysiert� Keiner stellte sich die Frage, ob die stadtrömischen Münzen in den Diskursen Kleinasiens eine Rolle spielten� Ob das Reversmotiv ausschließlich einen Platz in der Propaganda Domitians hatte, stand ebenso wenig zur Debatte� Niemand hat bisher erwogen, ob die numismatischen Schlüsse überhaupt historisch plausibel sind oder ob die materielle Welt der Münze mit der Erzählwelt der Apokalypse überhaupt in Einklang steht� Passt das historische und bildliche Setting von RIC II 153 überhaupt zur Offenbarung? 3. Die Welt des Geldes-- ein Blick auf RIC II 153 und RPC III 35 3.1 Überlegungen zur Prägeauflage, zur Bedeutung und zum Einzugsgebiet von RIC II 153 Die Motivik von RIC II 153 kursierte auf insgesamt drei Münzprägungen ( RIC II 152; 153; 155), deren Averse nicht die Büste Domitians (81-96 n. Chr.) zierte, sondern eine Büste seiner Frau Domitia Longina mit individualisierten, femininen Gesichtszügen und einer kunstvollen Frisur� 17 Die Münzen kursierten als silberne Denare und als goldene Auren� 18 Alle drei numismatischen Funde weisen auf dem Revers (fast) die gleichen Motivwelten und Inscriptiones auf� Die Rückseiten zeigen jeweils ein kleines, wohlgenährtes, nacktes Kind, das auf einer filigran ausgearbeiteten und in verschiedene Meridiane eingeteilten genügend Indizien, die eine direkte Einflussnahme der Flavier in Bezug auf die Motive annehmen lassen�“ 16 K. Huber, Einer gleich einem Menschensohn. Die Christusvisionen in Offb 1,9-20 und Offb 14,14-20 und die Christologie der Johannesoffenbarung (NTA 51), Münster 2007, 162� 17 Klauck, Archäologie, 209 thematisierte auch die Veränderung der Frisuren und Gesichter, die ab Domitia ausgeschmückt und einer Veränderung unterzogen wurden� 18 Vgl� Klauck, Archäologie, 209� 64 Michael Sommer und Brenda Willmann Weltkugel thront� Seine beiden Arme sind mit angewinkelten Ellenbogen nach oben hin ausgestreckt und greifen nach sechs ( RIC II 155) bzw� sieben ( RIC II 152; 153) Sternen, die halbkreisförmig um den Globus angeordnet sind� 19 Das Kind betastet den Sternenbogen und es entsteht der Eindruck, dass es zwischen dem Firmament und der Welt steht� Geprägt wurden die Münzen ausnahmslos in einer sehr frühen Phase der Regierungszeit Domitians� Es handelte sich wohl um eine Sonderprägung mit einer geringen Auflage, die nur für einen speziellen Anlass angefertigt wurde� Kurze Zeit nach dem Amtsantritt Domitians hat er seine Gemahlin zur Augusta ernannt� Um die Würde dieses Titels gebührend zu ehren, wurden wohl ab dem Winter des Jahres 81 n� Chr� diese Münzen zeitweise ausgeschüttet� 20 Die Inscriptiones der Averse (DOMITIA AVGVSTA IMP DOMIT) sowie die feinen Konturen der Büste Domitias, die vom Usus, Kaisergemahlinnen den Gesichtszügen ihrer Männer anzupassen, abweicht, belegen dies mehr oder minder eindeutig� Numismatiker datieren den Prägezeitraum dieser Münzen zwischen die Jahre 81-82 n. Chr. Das spezifische Rückseitenmotiv von RIC II 153 erscheint weder auf späteren Domitia-Münzen noch auf anderen Emissionen, die während der Regierung Domitians hergestellt worden sind� Überblickt man die 15-jährige Herrschaftsperiode Domitians, so sind diese numismatischen Relikte allerhöchstens als Fußnoten des Finanzwesens zu bezeichnen� Sie hatten wegen ihrer geringen Auflage wahrscheinlich eine symbolische Bedeutung� Einen festen Platz in den komplexen Geldsystemen des Reiches und vor allem in den Wirtschaftskontexten der Provinzen, in denen monetäre Lokalprägungen als vorherrschendes Zahlungsmittel kursierten, hatten sie u� E� nicht� Dies deckt sich auch mit den archäologischen Hintergründen von RIC II 153 und ihren Derivaten, denn keine dieser Münzen wurde außerhalb Italiens gefunden� Ein Blick in den RPC (Roman Provincial Coinage) verrät zudem, dass sich die Reverse der provinzialen Domitia-Münzen gravierend von denen im Zentrum des Reiches unterschieden� 21 In den Provinzen des Ostens finden sich auf den Rückseiten von Domitia-Prägungen meist nur lokale Gottheiten� Außerhalb Italiens hatte das Motiv des Kleinkinds mit den sieben Sternen zur Zeit Domitians im Münzwesen wohl kaum Bedeutung� Die Bilderwelt von RIC II 153 sollte wohl ausschließlich eine Exklusivantwort auf Fragen geben, die in Rom eine größere Rolle spielten als im fernen Osten und wohl beim Regierungsantritt Domitians 19 Deshalb kann anhand dieser Funde geschlussfolgert werden, dass wohl mehrere Stempel im Umlauf gewesen sein mussten� 20 Zu den Datierungen vgl� die Angaben zu RIC II 153 in H� Mattingly / E� A� Syndenham (Hg�), Roman Imperial Coinage II: Vespasian to Hadrian, London 1926� 21 Die Quellensuche bezog sich auf M� Amandry / A� Burnett (Hg�), Roman Provincial Coinage III part 1: Nerva, Trajan and Hadrian (AD 96-138), London 2015 sowie auf die Online- Edition: http: / / rpc�ashmus�ox�ac�uk/ � „…-Geld alleine macht auch nicht glücklich“ 65 brisant waren� Im Jahre 73 n� Chr� verstarb der Sohn von Domitian und Domitia und das Kaiserpaar konnte keine Nachkommen mehr zeugen� Die Legende des Reveres (DIVUS 22 CAESAR IMP(eratoris) DOMITIANI F(ilius)) verdeutlicht, dass der nackte Säugling auf der Weltkugel der verstorbene Sohn des Kaiserpaares ist, der nach seinem Tod in den Götterhimmel aufgenommen wird� Um dem öffentlichen Interesse an einem Kaisererben entgegenzukommen, wurde Domitia zu Beginn der Zeit auf stadtrömischen Münzen als besonders fruchtbar (meist ausgedrückt durch Abbildungen von Pietas, der Göttin der Fruchtbarkeit) dargestellt� 23 RIC II 153 sollte in diesem Zuge den Tod des Kindes erklären bzw� stilisieren� 24 Vor dem Hintergrund dieser kurzen Schlaglichter der Geschichte einer Münze kehren wir zurück zur Apokalypse� Denn schon jetzt können einige Anfragen an die Grundüberzeugungen der Forschungsgeschichte gestellt werden: (1) Laut Konrad Huber und Heinz Giesen sei die Münze Ausdruck des Herrschaftsanspruchs Domitians, der sich als gottgleicher Imperator propagieren wollte� 25 Giesen sieht in der Münze sogar bestätigt, dass sich Domitian als Gott verehren hat lassen und zieht Parallelen zwischen RIC II 153 und dem Dominus ac Deus -Titel des Imperators (Sueton, Kaiserviten 13�2)� 26 Betrachtet man den numismatischen Fund jedoch genauer, so erweisen sich diese Thesen zumindest teilweise als überspitzt� Denn strenggenommen ist RIC II 153 keine Domitian-Münze, sondern gilt seiner Frau, der ein teils eigenständiger Machtstatus zugesprochen wird� Ihre Büste trägt individuelle Charakterzüge und sie erhält einen Hoheitstitel� Zwar erscheint sie nicht komplett von Domitian unabhängig, jedoch als eine eigenständige Persönlichkeit� Von daher greift es zu kurz, Offb 1,16 vor dem Hintergrund von RIC II 153 als antidomitianisch lesen zu wollen� Zudem verfolgt die Münze nicht den vordergründigen Zweck, den göttlichen Selbstanspruch der Herrscherfamilie zu propagieren oder eine ausgeprägte Form des Herrscherkultes zu legitimeren� Stattdessen soll der Revers einen vermeintlichen Makel der Kaisergemahlin, ihre Unfruchtbarkeit, positiv 22 Zu den wichtigsten Legenden und ihren Abkürzungen vgl� U� Kampmann, Die Münzen der römischen Kaiserzeit, Regenstauf 2010, 33-34. 23 Imperiale Münzen belegen, wie der Tod des Sohnes von Domitian verarbeitet worden ist� Vor allem die Darstellung der Fruchtbarkeit von Domitia ist in diesem Kontext herauszustellen. Vgl. hierzu Sommer, Jesusgeschichte, 210-18. Sie erscheint zusammen mit einem Kind (wie beispielsweise auf RIC 214 oder RIC 240 und RIC 156) oder in der Verbindung mit der Göttin Pietas, die ein Kind bei sich hat� Bedeutend ist die Darstellung des vergöttlichten Jungen, der sich sowohl auf römischen, als auch Goldmünzen wiederfinden lässt, wie hier gezeigt auf RIC 153� 24 Vgl� Klauck, Archäologie, 209� 25 Vgl� dazu Huber, Menschensohn, 162; Giesen, Offenbarung, 26� 26 Vgl� dazu Giesen, Offenbarung 26� 66 Michael Sommer und Brenda Willmann deuten� Die Münze ist Teil einer regressiven Propagandastrategie, nach der Domitia im Zentrum des Reiches als mächtige Persönlichkeit und zugleich als ideale Ehefrau und Mutter erstrahlen soll� Sie verlor nach der Verbannung Domitias im Jahre 83 n� Chr� und ihrer anschließenden Rückkehr ihre Bedeutung, weshalb vergleichbare Münzen nicht mehr ausgeschüttet wurden� Dass Domitian bereits zu Lebzeiten als Gott verehrt werden wollte, können wir in der Symbolik von RIC II 153 alleine nicht erkennen� (2) Der Prägezeitraum von RIC II 153 beschränkte sich auf die ersten Regierungsjahre des Imperators und endete wohl nach 82 n� Chr� Weitere Ausschüttungen erfolgten in den 15 Jahren seiner Herrschaftsperiode nicht mehr� Das Motiv wurde schlichtweg von unzähligen anderen Prägungen verdrängt� Bedenkt man nun Datierungsfragen zur Johannesoffenbarung, so entsteht eine gewisse Aporie� Selbst konservative Datierungsversuche verorten die Johannesoffenbarung in der Spätzeit Domitians� Jedenfalls besteht zwischen der Ausschüttung von RIC II 153 und Vorschlägen der Einleitungswissenschaft, wann denn die Offenbarung entstanden sei, eine zeitliche Lücke, in der Domitia-Diskurse wenig Relevanz besaßen� Angenommen die Datierungsversuche sind korrekt und Johannes hätte in der Spätzeit Domitians geschrieben, dann erscheint es wenig plausibel, dass er bewusst auf diesen zu seiner Zeit bereits unbedeutenden politischen Diskurs anspielte� (3) Domitia-Prägungen waren randständige Prägungen und Münzen mit der Apotheose ihres verstorbenen Sohnes machten nur einen geringen Bruchteil dieser ohnehin schon sehr seltenen Tradition aus� RIC II 153 kursierte mit ziemlich großer Sicherheit nur in einer sehr begrenzten Stückzahl� U� E� ist es äußerst unwahrscheinlich, dass sie in Kleinasien flächendeckend verbreitet und alltagsrelevant war� Dass Johannes diese seltene Münze sogar in Händen hielt und zur Vorlage für Offb 1,16 erkoren hat, halten wir für fragwürdig� 3.2 Motivparallelen zu RPC III 35 Das Motiv geriet während Domitian in Vergessenheit, trat aber bald nach seinem Tod wieder in Erscheinung� 30 Jahre nach der stadtrömischen Prägung (81-82 n. Chr.) von RIC II 153 schmückte es erneut die Rückseiten von Münzen, die allerdings diesmal nicht aus Rom, sondern aus den Provinzen des Ostens stammten� Zudem änderte sich seine politische und religiöse Sinnspitze� Die Münze RPC III 35 zeigt, dass das nackte Kind mit den sieben Sternen nicht ausschließlich ein Symbol der Propaganda Domitians gewesen ist� Das Bild gehörte anscheinend fest zum römisch-hellenistischen Kulturkreis und konnte in vielen Diskursen adaptiert werden, in welchen Verbindungslinien zwischen einer im- „…-Geld alleine macht auch nicht glücklich“ 67 manenten und einer transzendenten Realität dargestellt werden sollten� 27 Wir glauben, dass Johannes diese Tradition auch in Offb 1,16 positiv aufgegriffen hat und damit seinen Menschensohnähnlichen charakterisierte� Jedenfalls erscheint es uns vor dem Hintergrund von RPC III 35 sehr zweifelhaft, Offb 1,16 als einen Affront gegen Domitian zu lesen� 3.2.1 Die Münzprägetechnik im römischen Reich-- ein Katalysator für Symboltransformationen Bevor wir RPC III 35 analysieren, möchten wir zunächst einige Überlegungen anstellen� Wenn man beginnt, numismatisch zu arbeiten, muss man sich zunächst vom Vorurteil lösen, dass Münzprägung in der alten Welt ein organisiertes und durchstrukturiertes Geschehen war� Mit den Arbeitsabläufen einer globalisierten, postindustriellen Fabrik mit konzentrierter Auftragssteuerung und einem gesicherten Kontrollmanagement sollte dieses Handwerk nicht verglichen werden, obgleich Münzen in der Antike eine weltweite Bedeutung hatten� Feste und standorttreue Prägeorte, die zentralisiert Münzen ausschütteten, gab es wohl nicht� Archäologische Relikte, die solche erahnen lassen, fehlen sowohl im Zentrum des Reiches als auch in seinen Provinzen nahezu vollständig� 28 Numismatiker wie Christopher Howgego kamen deshalb zur Überzeugung, Münzprägestätten seien bestenfalls nur „sporadisch“ ins Leben gerufen worden� Wenn ein wirtschaftlicher Bedarf bestand, dass neues Geld in Umlauf gebracht werden musste, sind wohl in Zusammenarbeit mit ansässigen metallverarbeitenden Handwerkern Werkstätten für eine gewisse Dauer eingerichtet worden� Größere dieser temporären Arbeitseinrichtungen konnten jedoch auch überregionale Aufträge annehmen� Sie produzierten wahrscheinlich nicht nur für die Stadt, in der sie ansässig waren, sondern auch für die anliegenden Gegenden� Weil gerade Expertise und Fachkräfte verfügbar waren, vertrauten verschiedene Provinzregionen einer temporären Werkstätte ihre Münzprägung an� Da zwischen Münzemissionen teils große zeitliche Abstände lagen, lösten sich Prägestätten wieder auf� 29 Wahrscheinlich wanderten Münzmeister, Stempelschneider und Prägehandwerker zwischen einzelnen Prägeorten hin und her� Sie brachten ihr Werkzeug, ihr handwerkliches Geschick und ihr fachliches Know How mit und arbeiteten dort, wo sie gebraucht wurden� 27 Wenn man etwas tiefer graben würde, könnte man erkennen, dass vor allem Berührungen mit Himmelskörpern, wobei das Firmament meist durch eine Anordnung von sieben (manchmal auch sechs) Sternen dargestellt worden ist, ein sehr weit verbreitetes Motiv auf Münzen ist, die nicht unbedingt politische Bedeutungen hatten� 28 Vgl� C� Howgego, Geld in der antiken Welt� Eine Einführung, Darmstadt 2011, 30� 29 Vgl� dazu Howgego, Geld, 31� 68 Michael Sommer und Brenda Willmann „Es ist nicht überraschend, dass es ein gewisses Maß von Zusammenarbeit bei der Produktion städtischer Bronzemünzen für hunderte von Städten gab […]� In den meisten Fällen wissen wir nicht, ob diese Zusammenarbeit in einer zentralisierten Prägung oder bloß im Transfer von Stempeln - vielleicht mittels wandernder Stempelschneider oder Münzwerkstätten - bestand�“ 30 Dies hatte natürlich enorme Auswirkungen auf die Symbolik und Motivik der Münzen, denn Münzmotive wurden oftmals für Prägungen für verschiedene Orte und politische Diskurse gleichzeitig verwendet� In vielen provinzialen Stätten kursierten oft Münzen mit unterschiedlicher Vorder-, jedoch identischer Rückseite� 31 Für dieses Phänomen der Motivverbreitung und -transformation haben sich in der Numismatik zwei Begriffe eingebürgert: Stempeltransfer und Stempelkopplung � Wurden Münzen für verschiedene Städte innerhalb einer Werkstatt geprägt, benutzten Prägemeister häufig ein und denselben Unterstempel für die Form und Kontur der Vorderseite, jedoch verschiedene Oberstempel für die Rückseiten, auf denen sie Bezüge zu den spezifischen Diskursen der Städte herstellten� 32 Hier spricht man von einer Stempelkopplung� Häufiger jedoch als eine solche Koppelung waren allerdings Stempeltransfers zwischen einzelnen Münzprägewerkstätten� Vor allem Oberstempel (für die Rückseite) wanderten oft über die Provinzgrenzen hinaus hin und her� Sie konnten als Zeichen politischer Freundschaft und Verbundenheit verschenkt oder aber auch ohne große Hintergrundbedeutung verkauft werden� Oft wurden gebrauchte Stempel, die für den Diskurs eines Ortes nicht mehr passten, nicht entsorgt, sondern weitergereicht und gelangten in die Hände provinzialer Münzpräger� So erworbene Stempel sind dann oftmals von Stempelschneidern überarbeitet und im Rahmen der technischen Möglichkeiten modifiziert worden, 33 so dass sie zu den Gegebenheiten des neuen Kontexts und seinen politischen und religiösen Spezifika passten� Jedoch konnten hierfür logischerweise nur Grundmotive verwendet werden, die genuin mehrere Bedeutungen haben konnten� RIC II 153 und RPC III 35 sind leuchtende Beispiele für einen solchen Stempeltransfer� 30 Howgego, Geld, 33� 31 Schon alleine deshalb hatten Rückseitenmotive an unterschiedlichen Orten andersgeartete bzw� nuancierte Sinnspitzen� 32 Vgl� dazu Howgego, Geld 33; R� Wolters, Nummi Signati� Untersuchungen zu römischen Münzprägung und Geldwirtschaft, Vestigia 49, München 1999, hier 14-20. 33 Vgl. dazu Howgego, Geld, 33-34. „…-Geld alleine macht auch nicht glücklich“ 69 3.2.2 Das Motiv von RIC II 153 und die provinziale Prägung unter Trajan-- RPC III 35 als Beispiel für einen Stempeltransfer Aus der Provinz Kreta und Kyrene ist uns mit RPC III 35 ein Fundstück erhalten, das dem Revers von RIC II 153 zum Verwechseln ähnlich sieht� Die provinziale Bronzemünze wurde für den Koinon Kreta geprägt, wie die Inscriptio der Rückseite (ΚΟΙΝΟΝ ΚΡΗΤΩΝ) belegt. Der Avers bildet Trajan ab, der nach links blickt und einen Umhang um seine Schultern geschlungen hat� Seine Büste ist unterlegt mit der Inscriptio ΑΥΤ ΑΥΓ ΤΡΑΙΑΝΟС ΓΕΡ ΔΑΚΙ , weshalb Numismatiker RPC III 35 auf das Jahr 115 n� Chr� datieren� Auf der Rückseite ist wie auch auf RIC II 153 ein nacktes Kleinkind zu sehen, das auf einer Weltkugel sitzt� Seine beiden Hände streckt es mit angewinkelten Ellenbogen nach oben aus und es versucht in eine halbkreisförmige Anordnung von sieben Sternen zu greifen� Im linken Feld ist unterhalb der Weltkugel eine Ziege zu erkennen, die ihren Blick nach hinten richtet� 34 Dieses kleine Detail fehlt auf der römischen Motivtradition von RIC II 153 komplett, die ansonsten mit RPC III 35 identisch zu sein scheint� Die winzige Modifikation des Motivs änderte jedoch seine Bedeutung völlig� RPC III 35 hat aufgrund der Ziege eine vollkommen andere Sinnspitze als RIC II 153� Während auf der Letzteren die Inscriptio das nackte Kind eindeutig als den verstorbenen Sohn Domitians identifizierbar macht, so weißt RPC III 35 keine Bezüge zu diesem stadtrömischen Diskurs auf� Durch die Ziege repräsentiert das nackte Kleinkind mit großer Wahrscheinlichkeit Zeus selbst� Der Prägemeister von RPC III 35 gestaltete das Motiv so, dass seine einzelnen Bildelemente einen Mythos wachrufen, der einen Lokalbezug zur Insel Kreta aufweist� Zeus soll auf der Insel geboren worden sein und seine Mutter Rhea hielt ihn dort vor Kronos, seinem Vater, versteckt, um zu verhindern, dass der Titan den kleinen Zeus aus Angst vor Konkurrenz verschlingt� Die Nymphe Amaltheia säugte Zeus auf der Insel mit der Milch einer Ziege bis dieser kräftig genug geworden ist, um seinen Vater Kronos vom Thron zu stoßen� Die Ziege auf RPC III 35 eröffnet Assoziationspotential zwischen dem Leitmotiv der Münze, das global-thronende Kleinkind mit den sieben Sternen, und dem Kindheitsmythos des Zeus her� 35 Durch diesen kleinen Eingriff konnte das Bild auch nach dem Tod Domitians 34 Vielleicht mag dieses Motiv auf die Münze gelangt sein, weil das Tier in Kreata eine lokale Bedeutung hatte� Ähnliches ist häufig auf griechischen Münzen zu beobachten, da dort häufig vorkommende Tierarten einer Region oftmals als Zieraccessoire in Münzmotiviken integriert worden ist� Jedenfalls ist die Ziege zumindest ein kleines Indiz dafür, dass das Motiv von RIC II 153 nicht sklavisch kopiert, sondern adaptiert und interpretiert wurde� 35 Zu Zeus weiterführend vgl� A� Henrichs / B� Bäbler, Art� Zeus, DNP 12, Stuttgart 2002, 782-79; K. Ziegler, Art. Geburt und Grab des Zeus auf Kreta, in: W. H. Roscher (Hg.), Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie� Bd� 6, Leipzig 1937, 578-581. 70 Michael Sommer und Brenda Willmann und seiner damnatio memoriae noch weiter verwendet werden, sogar in einem Kontext, der nichts mit dem ursprünglichen Diskurs gemeinsam hatte� Aus numismatischer Sicht schließen sich an diese Beobachtung eine ganze Reihe von Fragen an� Wie konnte es sein, dass ein Motiv 30 Jahre lang vergessen war, 36 jedoch in einer nahezu identischen Form und Gestalt in einem neuen Kontext weitergeprägt wurde? Wie lässt es sich erklären, dass das Bild vom Zentrum des Reiches nach dem Tod Domitians mit einer abgeänderten Bedeutung in die Provinzen wanderte? Wir vermuten, dass die Stempel der Tradition um RIC II 153 nach Kreta transferiert worden sind, um dort weiterverwendet zu werden� Münzstempel waren schließlich sehr kostbar� Generell war die Münzprägekunst sehr teuer, weshalb Werkzeug und Prägematerial recycelt worden sind� Es ist gut vorstellbar, dass der Geschichte von RPC III 35 ein solcher Transfer zu Grunde liegt� Deshalb blieb das Motiv stabil, obwohl sich der politische und religiöse Diskurs um es herum vollkommen verschoben hat� Unwahrscheinlich ist hingegen, dass der Prägemeister von RPC III 35 einen modifizierten Stempel verwendete, der zuvor bei RIC II 153 zum Einsatz gekommen ist� Detailunterschiede zwischen den Rückseiten der beiden Münzen sprechen gegen eine Stempelmodifikation� 37 Plausibler ist es, dass der Stempel von RPC III 35 nach dem Muster 36 Sommer, Jesusgeschichte, 214� 37 Auch die Prägedetails des Globus sprechen dafür, dass die Stempel von RIC II 153 und RPC III 35 zwar stark verwandt, jedoch nicht identisch gewesen sind� Die Weltkugel auf RIC II 153 ist wesentlich präziser geprägt als auf RPC III 35� Vor allem stechen dort deutlich sichtbare Meridiane ins Auge, die auf RPC III 35 vollständig fehlen� Zwar ist RPC III 35 stark verschlissen, jedoch lässt sich immer noch deutlich erkennen, dass die provinziale Münze einfacher und unschärfer geprägt wurde als der römische Silberdenar� Wäre die Weltkugel auf RPC III 35 ähnlich filigran angelegt gewesen wie auf RIC II 153, so müssten sich trotz der Schleifspuren immer noch Restanlagen der ausgearbeiteten Meridiane erkennen lassen� Ein Vergleich beider Münzen erlaubt es, den Abschleif- und Konsumtionsprozess von RPC III 35 zumindest in Ansätzen zu erhellen� Beide Münzrückseiten sind konkav nach innen gebogen geprägt� Das heißt, dass die Motive auf einer Grundfläche stehen und sich dreidimensional in die Höhe strecken� Blickt man auf RIC II 153, so ist der höchste Punkt des Prägemotivs das Bein des nackten Kindes� Es erstreckt sich plastisch über die Anlage der Meridiane, den zweithöchsten Punkt der Münze, und über die Weltkugel, die sehr flach aus der Grundfläche des Schrötlings hervorsteht� In den Randbereichen der Weltkugel ändern sich die Höhenverhältnisse� Der konvex gewölbte Globus ist dort deutlich flacher als in seiner Mitte� Dort bildet er nahezu eine plane Ebene mit der Grundfläche des Schrötlings� Beide Flächen verlaufen dort fast nahtlos� Auch die Meridiane auf der Weltkugel folgen dieser Prägeneigung und treten an den Globusrändern wesentlich flacher aus der Grundfläche hervor� Sie liegen in diesem Bereich sogar tiefer als die Fläche der Weltkugel im Zentrum� RPC III 35 wurde im Laufe der Zeit so abgeschliffen, dass das Bein des nackten Kindes und die Mitte der Weltkugel eine glatte Fläche bilden� Der Randbereich der Weltkugel ist vom Abschleifungsprozess jedoch unberührt geblieben, weil er durch die konvexe Wölbung tiefer liegt als das Zentrum der Münze� Hier in diesem Bereich müssten theoretisch noch Spuren von Meridiane zu erkennen „…-Geld alleine macht auch nicht glücklich“ 71 eines Prägestempels aus der stadtrömischen Domitia-Tradition gefertigt wurde, der in die Provinz exportiert wurde und dort als Vorlage diente� 38 Jedenfalls zeigt RPC III 35 deutlich, dass das Motiv vom Kind mit den sieben Sternen völlig bedeutungsoffen gewesen ist und nicht ausschließlich den Machtanspruch Domitians zum Ausdruck brachte� 4. Implikationen für die Apokalypseforschung-- Ein Plädoyer für eine politische Neuausrichtung Analysiert man numismatische Exkurse in den Publikationen zur Apokalypse genauer, so bestätigen sich die jüngst geäußerten Zweifel an den gängigen Politikmodellen der Apokalypseforschung� Im Falle von RIC II 153 hat man eine Quelle so angepasst, um die Meinung, die Offenbarung sei antiimperialstisch, zu bestätigen� Wir kamen nach unseren Untersuchungen zum Schluss, dass es zu weit führt, RIC II 153 als eine Quelle für die religiöse Selbstüberhöhung Domitians zu verwenden� 39 Die Münze ist letztendlich nicht einmal ihm, sondern seiner Frau gewidmet� 40 Sie diente dem Zweck, Domitia bei ihrer Inauguration als Augusta Ehre entgegenzubringen, indem der Tod ihres Sohnes in ein positives Licht gerückt wurde� Nach der Exilierung Domitias driftete diese Prägung in die Bedeutungslosigkeit ab� Sowohl der zeitliche Rahmen der Ausschüttung (81-82 n. Chr.), als auch ihre limitierte Auflage und ihr Bezug auf einen römischen Diskurs (Münzen dieses Typus wurden ausschließlich in Italien gefunden), lassen es als äußerst fragwürdig erscheinen, dass Offb 1,16 als ein Gegenbild zur RIC II 153 konzipiert worden ist� Berücksichtigt man sein, weil auch diese dort tiefer gelegen haben müssten als der Abschleifprozess gedrungen ist� Dies ist jedoch nicht der Fall� Von daher legt sich der Schluss nahe, dass die Münze ohne Meridiane geprägt worden ist� Der verwendete Prägestempel war mit ziemlicher Sicherheit plumper angelegt als der von RIC II 153� Infolgedessen kann gesagt werden, dass der Prägestempel von RPC III 35 auch keine Meridiane im Motiv enthalten hatte� Deshalb kann die Einfachheit der Rückseite nur bedingt durch eine Abnutzung erklärt werden� Es kann vermutet werden, dass die Konzeption von RPC III 35 plumper angelegt war als die Konzeption von RIC II 153� 38 Die Qualität des verwendeten Materials als auch die Kunstfertigkeit der Prägetechnik und des Prägestempels sprechen dafür, dass die Münze nicht in Rom, sondern in der Provinz selbst geprägt worden ist und auch das Werkzeug dort hergestellt wurde� Es erscheint unwahrscheinlich, dass die Münze oder der Stempel in Rom hergestellt und exportiert worden ist� Vielmehr glauben wir daran, dass eine Vorlage für den Prägestempel durch einen Transfer auf die Insel Kreta gelangt ist und dort dazu führte, dass das Motiv mit einer anderen Bedeutung weiter verwendet worden ist� 39 Gerade wenn man bedenkt, dass die Münze nahezu parallel mit seinem Regierungsantritt geprägt worden ist, erscheint diese Vermutung als äußerst fragwürdig� 40 Ihr alleine gilt die gesamte Vorderseite� 72 Michael Sommer und Brenda Willmann dazu noch RPC III 35, so wird dieser Zweifel sogar noch lauter� Das Bild des nackten Kleinkindes, das nach den Sternen greift, war definitiv nicht exklusiv als ein Repräsentationssymbol des Domitian im Umlauf� Vielmehr handelte es sich hierbei um ein wertneutrales Motiv, das über die Grenzen Italiens hinaus Verbreitung in Diskursen fand, in denen sich transzendentale und immanente Sphären durchdrungen haben und Schnittstellen zwischen Himmel und Erde inszeniert werden sollten� Dementsprechend passte es sowohl zum römischen Diskurs über die Apotheose des Herrschersohnes als auch zum lokalen Kontext der Provinz Kreta und ihrer Mythologie� Mit nur wenigen Adaptionen erschien das Kleinkind dort als Zeus, der sich auf der Erde vor Kronos versteckt hielt und von der (Ziegen-)Nymphe Amaltheia gesäugt wurde� Kehren wir zu Offb 1,16 zurück, so verschiebt sich u� E� die These, Offb 1,16 müsse antiimperialistisch gelesen werden� Letztendlich will Johannes dort vordergründig beschreiben, dass sich in seiner Erzählkulisse Welten berühren� Der Messias tritt aus der Sphäre Gottes in die Geschichte ein und will sich vor der Welt offenbar machen� Er baut eine Brücke zwischen der Zeitlichkeit des Johannes und der Entzogenheit Gottes, die literarisch auf dem Fundament unzähliger intertextueller Anspielungen auf Ezechiel und Daniel steht� U� E� sind die sieben Sterne, die der Messias auf seiner Rechten trägt, „nur“ ein weiteres Bild, das genau diese Spannung zwischen Transzendenz und Immanenz unterstreichen soll� Dieses Anliegen ist den Bildern auf RPC III 35 und auf RIC II 153 ebenso anzusehen� Johannes konstruierte kein kulturgeschichtliches Gegenbild zwischen dem Messias und Domitian, sondern benutzte den Kulturhorizont seiner Umwelt genauso wie die Schriften� Schließlich wurde er in einer römisch-hellenistischen Umgebung sozialisiert, auch wenn er Israels Tradition genau kennt� Die Annahme, dass er nur Schriften positiv rezipiert hat und andere Formen kulturgeschichtlicher Parallelen lediglich polemischen Charakters seien, halten wir für historisch wenig plausibel� RIC II 153 und RPC III 35 zeigen, dass Johannes in Offb 1,16 zwar die Macht und die Übernatürlichkeit des Messias demonstrieren will, aber diese Bilder selbst eigentlich nicht antidomitianisch gelesen werden wollen�