eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 19/38

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2016
1938 Dronsch Strecker Vogel

Einleitung zur Kontroverse

2016
Manuel  Vogel
Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 43 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 43 Einleitung zur Kontroverse Briefteilung oder literarische Integrität: Hermeneutische Positionen zu einer unerledigten Streitfrage Die Literarkritik hat von den Paulusbriefen schon seit geraumer Zeit abgelassen, nur nicht vom 2. Korintherbrief. Wer den Artikel »Korintherbriefe« in der 4. Auflage der Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) von Margaret M. Mitchell konsultiert, erfährt, dass sich die uns erhaltene korinthische Korrespondenz des Heidenapostels (den 1. Korintherbrief inbegriffen) aus ursprünglich nicht weniger als sechs Teilbriefen zusammensetzt. Ist der 2. Korintherbrief in der auf uns gekommenen Textgestalt also ein sekundäres redaktionelles Gebilde, das die Lesenden auf diverse falsche Fährten lockt? Die kritische Exegese muss es dann richten und die ursprüngliche Ordnung mühsam und hypothesenreich erst wieder herstellen. Dass hier keine sich selbst genügenden Spezialismen ventiliert werden, macht die von Lars Aejmelaeus mit Blick auf 2Kor 7,16 und 13,2 pointiert formulierte Frage, »wie Paulus in demselben Brief gleichzeitig so zufrieden und so unzufrieden mit der Gemeinde sein kann«, beispielhaft deutlich. Dass die kritische Exegese, wenn sie hier erst das Fragen anfängt, aus dem Fragen nicht mehr herauskommt, spricht nicht gegen sie, auch nicht, dass sie mehr Fragen als Antworten produziert, und erst recht nicht, dass am Ende kein Forschungskonsens steht, sondern eine Vielzahl an Forschungsmeinungen. All das spricht nicht gegen sie, denn so geht Wissenschaft. Allenfalls könnte man den Briefteilern vorhalten, dass sie dem Text nicht die nötige Geduld angedeihen lassen, denn ist ein Text erst einmal durchtrennt, kann man ihn zwar wieder zusammenflicken, aber es bleibt eine Naht, ein nicht mehr auszuräumender und in den Lehrbüchern fortan aktenkundiger Verdacht, dass mit dem Text »etwas nicht stimmt«. Sollte man es mit der literarkritischen Schere nicht besser so machen wie mit einem Feuerlöscher (es ist gut, wenn man einen hat, aber noch besser, wenn man ihn nicht einsetzen muss)? Wenn die kritische Exegese »es« richten muss, was ist dann mit »ihm«, dem 2. Korintherbrief? Richtet sie ihn zurecht oder zugrunde? Macht sie ihn allererst genießbar oder (schon allein wegen der schieren Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit ihrer Hypothesenproduktion) ungenießbar? All das sind hermeneutische Fragen, um die es in der Kontroverse dieses Heftes vorrangig gehen soll. Thema ist also nicht ein neuerlicher Schlagabtausch von Argumenten für oder wider die Briefteilung, sondern ein Gespräch über die hermeneutischen Implikationen beider Sichtweisen. Partner in diesem kontroversen Gespräch sind mit Reimund Bieringer und Lars Aejmelaeus zwei ausgewiesene Forscher, die in ihren Publikationen zum 2. Korintherbrief in den vergangenen Jahren immer wieder aufeinander Bezug genommen haben, Bieringer als Vertreter der Einheitlichkeit und Aejmelaeus als Vertreter einer moderaten Briefteilung. Reimund Bieringer geht das gestellte Thema so an, dass er differenzierte Betrachtungen zu Verlusten und Gewinnen anstellt, die die gängigen Briefteilungshypothesen in hermeneutischer Hinsicht nach sich ziehen. Lars Aejmelaeus antwortet darauf mit einem umso eindeutigeren Plädoyer für die Briefteilung, die nach seiner Auffassung eine exegetische wie hermeneutische Notwendigkeit darstellt. Die von Bieringer konstatierten Verluste der Teilungshypothese seien so unvermeidlich wie hinnehmbar, die Gewinne aber unveräußerlich: Nur so könne der 2Kor auch theologisch differenziert ausgelegt werden. Die Kontroverse dieses Heftes macht einmal mehr deutlich, in welch hohem Maße sich texttheoretische, psychologische, hermeneutische und theologische Annahmen und Vorannahmen überall dort ein Stelldichein geben, wo mit Blick auf neutestamentliche Texte literarkritische Fragen verhandelt werden. Wir wünschen eine anregende Lektüre. Manuel Vogel Kontroverse