eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 19/38

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2016
1938 Dronsch Strecker Vogel

Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes

2016
Laurence L. Welborn
Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 27 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 27 1. Der Unrechttäter und das Unrecht Im Zentrum der Vertrauenskrise zwischen Paulus und den Korinthern steht eine geheimnisvolle, namenlose Einzelperson, auf die sich Paulus wiederholt bezieht: 1 Jemand, der »Unrecht getan« (7,12) und »Kummer« bereitet hat (2,5). Das Schwergewicht dieses Angriffs erhellt aus seinen Folgen: Paulus verschob seinen geplanten Besuch nach Korinth (1,15 f.23; 2,1) und schrieb stattdessen einen tränenreichen Brief (2,3f.), der, wie er fürchtete, unter den Korinthern für Bestürzung sorgen würde (7,8). Stellt man die Bedeutung dieser Episode in Rechnung, sollte man meinen, dass die Forschung weitaus mehr Mühe darauf verwenden würde, worin denn das Unrecht bestand und wer der Täter war. Doch in den beiden letzten Generationen sind hierzu nur drei Aufsätze erschienen. 2 Der Grund hierfür ist unschwer zu finden: Im Interesse von Vergebung und Aussöhnung verhüllt Paulus den Unrechttäter mit dem Vorhang der Anonymität und vermeidet aus Diskretion die Beschreibung des Unrechts. In der Konsequenz hat es die Forschung aufgegeben, die Identität des Unrechttäters und die Art des Unrechts ergründen zu wollen. 3 Wenn hier doch noch ein Ergebnis erzielt werden soll, ist der einzige Weg, zunächst das Schweigen des Paulus ernst zu nehmen und nach seiner Ursache zu fragen. In dem Abschnitt, in dem Paulus über Vergebung und Aussöhnung im Blick auf den spricht, der ihm Leid zugefügt hat (2,5-11), ist sein Stil bemerkenswert »ausweichend«. 4 Er vermeidet es konsequent, die schuldige Gruppe beim Namen zu nennen und verwendet stattdessen gänzlich unbestimmte Formulierungen (»jemand«, »ein solcher«, »er«, »ihn, der«) zusammen mit subtilen rhetorischen Mitteln, die den Effekt haben, Anschuldigungen abzumildern und eventuellen Kontrollen vorzubeugen: Konditionalsätze (»wenn denn jemand Leid zugefügt hat«, »wenn ich denn etwas zu vergeben hatte«), relativierende Phrasen (»in gewissem Grade«, »um nicht zu viel zu sagen«), Bekundungen höherer Motive (»um euretwillen«, »damit wir nicht vom Satan übervorteilt werden«, »damit euer Eifer für uns bei euch kund werden möge vor Gott«), etc. Die Beachtung solcher Stilmittel ist ein erster Schritt, um die rhetorische Situation des Paulus gegenüber dem Unrechttäter richtig einzuschätzen. Um aber zu einer begründeten Hypothese über die Identität des Unrechttäters und die Art des Unrechts zu gelangen, ist zunächst die Gattung zu erheben, der der Brief des Paulus zuzurechnen ist, um so in der Lage zu sein, die Logik und die Konventionen des paulinischen Diskurses zu verstehen. In seinem großartigen Kommentar zum 2. Korintherbrief hat Hans Windisch festgestellt, dass die Abschnitte 1,1-2,13 und 7,5-16 dem »therapeutischen« oder »versöhnenden« Brieftypus zuzurechnen sind, wie er etwa im Handbuch des Libanios beschrieben wird. 5 Libanios definiert den »therapeutischen« Brief als einen solchen, »in dem wir jemanden versöhnen, der von uns aus irgendeinem Grund betrübt wurde«. 6 Libanios fügt hinzu, dass »diesen manche den apologetischen Typus nennen«. Die Definition zeigt, dass die Funktion dieses Brieftypus darin besteht, »Schmerz« oder »Kummer« (lypē) zu heilen. Der Beispielbrief, den Libanios bietet, versetzt uns in die Lage, die sozialen Beziehungsmerkmale zu erheben, die für diesen Brieftypus konstitutiv sind. 7 Wer einen versöhnlichen Brief schreiben will, wird anhand folgender Beispielsätze instruiert: »Zusätzlich zu dem, was ich sagte, ging ich dazu über, dies in die Tat umzusetzen, denn ich war mir höchst sicher, dass es niemals irgendeine Betrübnis auslösen könnte. Wenn du jedoch verärgert warst über das, was gesagt oder getan wurde, dann sei gewiss, Bester, dass ich hierauf nicht mehr zu sprechen kommen werde. Denn mein Ziel ist immer, auf meine Freunde heilsam zu wirken, nicht, sie zu betrüben.« 8 Die wesentlichen Merkmale dieses Brieftypus sind folgende: (1) Absender und Adressat sind Freunde, (2) der Adressat wurde vom Absender betrübt, (3) der Absender versucht, den Adressaten zu versöhnen und die Beziehung wieder herzustellen. Es ist klar, wie nahe 2Kor 1,1-2,13; 7,5-16 dem versöhnenden Brieftypus steht. Paulus schreibt den Laurence L. Welborn Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes Das Ringen um Versöhnung Zum Thema »Im Interesse von Vergebung und Aussöhnung verhüllt Paulus den Unrechttäter mit dem Vorhang der Anonymität und vermeidet aus Diskretion die Beschreibung des Unrechts.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 28 - 3. Korrektur 28 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema Korinthern, um sie nach der Betrübnis (lypē), die er mit seinen Worten und Taten ausgelöst hat, wieder mit sich zu versöhnen. Paulus hat zugesagt, nach Korinth zu kommen (1,15 f.), aber anstatt dieses Versprechen einzulösen (1,23; 2,1), hat er einen Brief geschrieben, der bei den Korinthern einige Bestürzung ausgelöst hat (2,34; 7,8). Unter denen, die dieser Brief verletzt hatte, war eine Einzelperson, die darunter mehr als alle anderen gelitten hatte, ja, es bestand die Gefahr, dass dieser Einzelne »von übermäßigem Schmerz verzehrt« werden würde (2,7). Paulus schreibt mit dem Ziel, sich mit allen Korinthern auszusöhnen, gibt aber besondere Anweisungen für diese Einzelperson, die ihm besonders am Herzen liegt (2,7 f.). Dass zwischen Paulus und dem Unrechttäter ein solches Maß an gegenseitig zugefügtem Schmerz im Spiel war, dass Paulus solche Anstrengungen unternahm, diesen Bruch zu heilen, und dass er zu Vergebung, Aussöhnung und Liebe aufrief, lässt auf eine besondere Freundschaft schließen (2,7 f.). Aristoteles, Plutarch und andere antike Autoren beschreiben die besondere Anfälligkeit von Freundschaften für Schmerz. 9 Untersucht man Briefe des »versöhnenden« Typus, wird deutlich, dass die Verfasser konsequent vermieden, die in den Konflikt involvierte(n) Person(en), mit der/ denen Aussöhnung erreicht werden sollte, beim Namen zu nennen, und dass sie stattdessen Umschreibungen wie »jemand« oder »solch eine Person« verwendeten. 10 Laurence L. Welborn (*1954) ist Professor für Neues Testament und Frühes Christentum an der Fordham University (USA) und Honorarprofessor für Alte Geschichte an der Macquarie University (Australien). Wichtige Veröffentlichungen: Politics and Rhetoric in the Corinthian Epistles (1997); Paul, the Fool of Christ (2005); An End to Enmity (2011). Welborn ist Herausgeber der Buchreihe Synkrisis (Yale University Press). Prof. Dr. Laurence L. Welborn Der zweite Brief des Demosthenes ist eine auf Aussöhnung bedachte Apologie an die athenische Ratsversammlung, mit der der Rhetor an die Adressaten appelliert, ihn aus dem Exil zurückzuholen. 11 Im Verlauf der Apologie nennt Demosthenes seine Opponenten nirgends mit Namen, obwohl diese den Adressaten aus anderen Zusammenhängen namentlich bekannt sein müssen. Es handelt sich um Dinarch und Hyperides. 12 Demosthenes nennt seine Ankläger lediglich »gewisse Ratsmitglieder« (Ep. 2,2). Das Bemühen, seine Athener mit sich zu versöhnen, geht so weit, dass er den Anklägern im Voraus dafür dankt, dass sie doch die gegen ihn gerichtete Anklage fallen lassen, wie sie es bei anderen Beschuldigten ja auch getan haben. Die angestrebte Verzeihung rechtfertigt er damit, dass er die Ankläger als Akteure des Volkswillens darstellt. Aber selbst an diesem Punkt des Gedankengangs nennt er sie nicht mit Namen (Ep. 2,26). Mark Aurel achtet in seinem Versöhnungsbrief an seinen Freud und früheren Lehrer Herodes Atticus sorgfältig darauf, dass er keine Personen aus dem Hause des Herodes mit Namen nennt, die nach Mark Aurels Darstellung den Konflikt zwischen ihm und Herodes verursacht haben. 13 Stattdessen ist nur die Rede von »von der Beleidigung durch einige aus deinem Hause« (Philostrat Vit. Soph. 2,1,562). Außerdem bestätigt Mark Aurel seinem Adressaten an selber Stelle, dass dieser die Beleidiger »so mild wie möglich« gestraft hat. Diese und weitere Beispiele 14 legen den Schluss nahe, dass die rhetorische Konvention, gekränkte Freunde nicht mit Namen zu nennen, in apologetischen Kontexten zum Tragen kam, in denen es den Verfassern von Briefen und Reden um Aussöhnung mit Gefährten ging, bei denen persönliche Kränkungen im Spiel waren. Umschreibungen ersetzten in diesen Fällen Personennamen, die den Adressaten wohlbekannt waren, also Mitglieder derselben Gruppe bzw. desselben Haushaltes. Damit wird vermieden, durch namentliche Identifikation beteiligter Personen Salz in offene Wunden zu streuen. Damit werden aber zugleich auch diese Personen zugänglich für Versöhnung. Bild und Verhalten des Beleidigers werden außerdem dadurch aufgewertet, dass der Konflikt generalisiert oder der Beleidiger als Repräsentant einer Mehrheit angesprochen wird. Jedenfalls geht es um Versöhnung, um die Wiederherstellung einer beschädigten Beziehung, um die Heilung von Verwundungen. »Dass zwischen Paulus und dem Unrechttäter ein solches Maß an gegenseitig zugefügtem Schmerz im Spiel war, dass Paulus solche Anstrengungen unternahm, diesen Bruch zu heilen, und dass er zu Vergebung, Aussöhnung und Liebe aufrief, lässt auf eine besondere Freundschaft schließen.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 29 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 29 Laurence L. Welborn Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes Es ist eindrucksvoll, wie eng sich Paulus in 2Kor 1,1- 2,13; 7,5-16 an der Konvention orientiert, seinen verletzten Freund durch Verwendung der üblichen Umschreibungen (»jemand«, »ein solcher«) nicht namentlich zu nennen. Paulus mildert die Härte der gegen den Beleidiger erhobenen Vorwürfe außerdem durch die Verwendung relativierender Formulierungen wie etwa »in gewissem Maße« oder »um nicht zu viel zu sagen« (2,5). Im Interesse von Vergebung und Versöhnung »verbessert« Paulus das Bild des Beleidigers dadurch, dass er den »überaus großen Schmerz« dramatisiert, der ihn zu »übermannen« droht (2,7). Außerdem generalisiert er den vom Beleidiger verursachten Kummer, indem er die Korinther an ihre Mitschuld erinnert, auf die ihre Reue schließen lässt (7,7b.8 f.). Wie die Verfasser anderer versöhnender Briefe auch minimiert Paulus seine Rolle in diesem Konflikt so weit wie möglich, etwa in 2,5 (»Wenn jemand bekümmert hat, so hat er nicht mich bekümmert«) oder in 5,10 (»Wenn ich denn etwas zu vergeben hatte«). Sodann wählt Paulus eine betont objektive Form der Selbstreferenz wie etwa »der, der beleidigt wurde« bei der letzten Erwähnung des Vorfalls in 7,12. Ebenso spricht Demosthenes nicht von »mir«, sondern von »solch einer Person«, wenn er sich selbst als Opfer schlechter Behandlung meint. 15 Bemerkenswert sind auch die terminologischen Gemeinsamkeiten von 1,1-2,13; 7,5-16 mit anderen Versöhnungsbriefen und Reden, die das Stilmittel der Vermeidung von Personennamen gekränkter Freunde verwenden, etwa »betrüben« (lypein), »zu streng sein« (epibarein), »Strafe« (epitimia), »Unrechttun« (adikein), »Unrecht erleiden« (adikeisthai). 16 Die Orientierung des Paulus an den für Aussöhnung maßgeblichen rhetorischen Konventionen ermutigt zu der Frage, ob die Anwendung sozialer Konventionen einen Fortschritt in der Suche nach dem Beleidiger verspricht, verhält es sich doch so, dass rhetorische Konventionen zur Versöhnung soziale Konventionen abbildeten, die einen Versöhnungsvorgang erfolgreich zum Ziel zu führen versprachen. Hierbei ging es um Akte der Gastfreundschaft, zumindest eine gemeinsame Mahlzeit, öfters aber auch ein längerer Aufenthalt, bei dem eine Partei im Versöhnungsprozess der Gast und die andere der Gastgeber war. 17 Das soziale Ritual der Gastfreundschaft zelebrierte das Beiseitelassen von Feindschaft und die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen, und es machte die Versöhnung gegenüber anderen öffentlich. 18 Es gibt zahlreiche Anwendungsbeispiele für diese Konventionen in der römischen politischen Geschichte, in der pragmatisch kalkuliertes Eigeninteresse oftmals zur Versöhnung führte. 19 In einem Brief Ciceros an Lentulus Spinther erfahren wir, dass Cicero sich oberflächlich mit dem von ihm stets gehassten Crassus versöhnt hatte. 20 Diese Versöhnung wurde durch neuen Streit und harte Angriffe wieder gestört. 21 Aber Pompeius bemühte sich um eine Aussöhnung mit Crassus, und als diese Bemühungen den gewünschten Erfolg zeigten, notiert Cicero, dass »Crassus, damit unsere Versöhnung gleichsam dem römischen Volk bekannt gemacht würde, in die Provinz kam, fast in mein eigenes Haus, wie ich sagen könnte, denn nach vorheriger Absprache mit mir war er mein Gast zu einem Mahl im Landhaus meines Schwiegersohnes Crassipes« (Fam. 1,9,20). Plutarch, der dieses Ereignis in seiner Cicero-Vita erwähnt, wirft weiteres Licht auf dieses soziale Ritual: »Als Crassus gerade nach Syrien aufbrach, in dem Wunsch, Cicero möge ihm ein Freund und nicht ein Feind sein, ließ er ihn in freundlichem Ton wissen, dass er mit ihm zu speisen wünschte, und Cicero empfing ihn bereitwillig in seinem Haus.« 22 Diese soziale Konvention, Versöhnung zum Abschluss zu bringen, war im öffentlichen Leben Roms so etabliert, dass sie den Stoff für einen von Ciceros berühmten Scherzen abgab. Hierzu nochmals Plutarch: Er erwähnt, dass »als einige Freunde sich bei Cicero für Vatinius verwendeten und äußerten, dass er Versöhnung und Freundschaft anstrebe, da er nämlich ein Feind war, Cicero geantwortet habe: ›Aber es kann doch wohl nicht sein, dass Vatinius auch noch mit mir speisen will? ‹« 23 Die Versöhnungsbriefe enthalten weitere Anwendungsbeispiele dieser sozialen Konvention namentlich im römischen Osten. Ein Versöhnungsbrief Chariremons, Gymnasiarch in Arsinoe, an Apollinius, seinen »Besten und Teuersten«, wirft ein Licht auf die antizipierte Gastfreundschaft, die Differenzen zwischen Freunden auszuräumen im Stande ist: »Wenn die Götter wollen, werde ich dich nach dem Fest des Souchos gewiss besuchen«, verspricht Chairemon. 24 Bemerkenswert ist auch die Rolle, die Religion bei dieser Versöhnung spielt, denn Chairemon und Appollonius waren Amtsbrüder im Kult der Dioskuren. Chairemon versichert seinem Freund: »Ich schwöre dir bei den Dioskuren, denen wir beide dienen […], dass ich mich nach der Freude deiner Gegenwart sehne. Desgleichen »Die Orientierung des Paulus an den für Aussöhnung maßgeblichen rhetorischen Konventionen ermutigt zu der Frage, ob die Anwendung sozialer Konventionen einen Fortschritt in der Suche nach dem Beleidiger verspricht.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 30 - 3. Korrektur 30 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema wird, wenn das Schicksal es zulässt, dies auch für unsere Kultgemeinschaft zum Besten sein.« 25 Apollonius von Tyana war um Aussöhnung mit seinem Bruder Hesitaeus bemüht, mit dem er wegen einer Geldsache gestritten hatte. 26 In seinem 44. Brief ruft Apollonius zur Aussöhnung auf, und am Ende des Briefes lädt er sich selbst ein, zuhause Gast seines Bruders zu sein. Er gibt seiner Sehnsucht Ausdruck, Odysseus gleich, nach Hause zurück zu kehren und die Gräber seiner Väter zu sehen. Der nächste Brief lässt erkennen, dass sein Ansinnen akzeptiert wurde und die Bereitschaft zur Versöhnung vorhanden ist. Zuerst versichert Apollonius gegenüber Hesitaeus, dass seine versöhnliche Gestimmtheit von Dauer ist: Von denen, die mit Ernst Philosophen seien, könne nicht angenommen werden, dass sie ihre Brüder hassten (Ep. 45). Was nun Apollonius am meisten beschäftigt, ist nicht das Missverständnis wegen des Geldes, etwas, das sie schon zu verachten versucht hatten, bevor sie Philosophen wurden, sondern das Misstrauen und die Verletzungen infolge dessen, was er geschrieben hatte. Es war nie seine Absicht, versichert Apollonius, seinen Bruder zu betrüben. Der Brief schließt mit einem Hinweis auf die Gastfreundschaft, die ihre Versöhnung bestätigen und öffentlich kundtun würde: »Nun mache ich auch dies bekannt, dass, wenn der Himmel wohl zustimmt, ich nach einem Treffen mit meinen Vertrauten in Rhodos rasch von dort aufbrechen und gegen Ende des Frühjahrs zu dir zurückkehren werde« (Ep. 45). Ein letztes ansprechendes Beispiel für die Wirkung konventioneller Gastfreundschaft finden wir im Versöhnungsbrief Mark Aurels an seinen Freund Herodes Atticus. Er beendet seinen Brief mit den Worten: »Aber wenn ich dich in irgendetwas betrübt habe oder dich noch immer betrübe, dann fordere Entschädigung von mir im Tempel der Athene zur Zeit der Mysterien. Denn ich leistete einen Schwur, als der Krieg am heftigsten tobte, damit ich eingeweiht würde, und wünschte, dass du selbst mich in diese Riten einweihen würdest.« 27 Dies ist die konventionelle Bitte um Gastfreundschaft, die Versöhnung feierlich vollzieht und öffentlich macht, jedoch mit der Tiefgründigkeit und Weltgewandtheit, die den Äußerungen eines Philosophen-Königs würdig sind. Wenn wir annehmen, dass Paulus und der Unrechttäter den üblichen Konventionen folgten, die für einen Versöhnungsvorgang maßgeblich waren, dann lässt sich eine plausible Hypothese zur Identität des Beleidigers formulieren: Der Beleidiger müsste eine Person sein, bei der Paulus bei seinem nächsten Besuch in Korinth zu Gast sein wird, im Nachgang zum Konflikt und seiner Beilegung. Unter den Grüßen am Ende des in Korinth abgefassten Römerbriefes sendet Paulus Grüße von »Gaius, meinem Gastgeber, und dem Gastgeber der ganzen Gemeinde« (Röm 16,23). Aus Anlass des dritten und letzten Besuches des Paulus in Korinth war er Gast im Hause des Gaius. Wenn Paulus und sein einstiger Gegenspieler den sozialen Konventionen für einen erfolgreichen Versöhnungsprozess gefolgt sind, kann eine plausible Identifikation des Beleidigers vorgenommen werden: Der Beleidiger war Gaius. 28 Diese Identifikation trägt zur Erklärung des hartnäckigen Bemühens des Paulus um Versöhnung im gesamten 2. Korintherbrief Wesentliches bei. Gaius gehörte zu den ersten Bekehrten in Korinth, und er war einer der wenigen, die Paulus persönlich getauft hat (1Kor 1,14). Als »Gastgeber der ekklēsia« (Röm 16,23) war Gaius der de-facto-Patron der Christusgläubigen in Korinth. 29 In der frühen Jesusbewegung wird einzig und allein von Gaius aus Korinth berichtet, dass er sein Haus für alle Christusgläubigen einer Stadt geöffnet und dasselbe als Versammlungsort zur Verfügung gestellt hat, 30 »was ihn zur wohlhabendsten Person macht, die wir aus dem Umfeld des Paulus kennen«. 31 Bis jetzt haben wir unser Augenmerk auf den paulinischen Gebrauch umschreibender Formulierungen in den mehrheitlich versöhnenden Passagen des 2Kor gelegt (Kap. 2 und 7), wo es klar ist, dass Paulus von einer bestimmten Einzelperson spricht. Aber auch in anderen Partien des Briefes, und besonders in den polemischen Kapiteln 10-13, wo der Konflikt zwischen Paulus und seinen Gegnern in vollem Gange ist, verwendet Paulus Pronomina der 1. Pers. Sg. (»jemand«, »ein solcher«) sowie Verben der 3. Pers. Sg., wo es um Kritik an Paulus geht. Es fragt sich, ob Paulus hier eine bestimmte Einzelperson im Blick hat. 32 Jedes Argument muss zunächst für sich gewürdigt werden, denn es ist fraglos möglich, dass Paulus hier generelle Aussagen tätigt, d. h. über das, was »irgendjemand« über ihn denken oder sagen könnte. In 10,18 ist es beispielsweise deutlich, dass Paulus allgemein redet, ja fast sprichwörtlich, über jemanden, der »sich selbst empfiehlt«, freilich nicht ohne polemischen Bezug auf seine Rivalen. 33 An anderen Stellen, wie etwa in 11,4 und 11,20 deuten Inhalt und Zusammenhang darauf hin, dass mit einem Partizip »Der Beleidiger müsste eine Person sein, bei der Paulus bei seinem nächsten Besuch in Korinth zu Gast sein wird, im Nachgang zum Konflikt und seiner Beilegung.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 31 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 31 Laurence L. Welborn Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes Singular ein rivalisierender Apostel im Blick ist, nicht ein lokaler korinthischer Kritiker. 34 Aber an drei Stellen, in 10,7. 10. 11 deutet das Verb oder das Pronomen im Singular darauf hin, dass eine Einzelperson aus den Reihen der korinthischen Adressaten gemeint ist. Dies ergibt sich aus textlinguistischen Merkmalen, personalisierenden und subjektiven Motiven und einem konsistenten Vokabular. Eine Untersuchung dieser Passagen gibt Einblick in die Wertvorstellungen und Urteile von Paulus’ hauptsächlichem Kritiker in Korinth, und sie erlaubt auch eine plausible Hypothese über die Art des Paulus zugefügten Unrechts. In 10,7 stoßen wir auf eine Ansicht, die ausdrücklich »einer bestimmten Person« oder »jemandem« (tis) zugeschrieben wird: »Wenn jemand von sich selbst überzeugt ist, dass er zu Christus gehört, so bedenke er wiederum dies bei sich selbst, dass, wie er Christi ist, so auch wir«. Mehrere sprachliche Nuancen indizieren, dass es hier tatsächlich um eine Einzelperson geht, Paulus also nicht eine generelle Aussage formuliert. Zuerst ist das verbale pepoithen (»überzeugt sein«) bei einer generellen Aussage unnötig, jedoch passend zur Bezeichnung des Gedankengangs eines Individuums. 35 Außerdem enthält pepoithen die Nuance eines ungerechtfertigten Dünkels, einer unbegründeten Gewissheit. 36 Ein subjektives Moment ist auch im reflexiven heautō enthalten, ganz gleich, ob man den Dativ mit »in sich selbst« oder »mit Bezug auf sich selbst« übersetzt. Eine besondere subjektive Färbung hat die präpositionale Phrase »bei sich selbst« (eph’heautou), d. h. »aus eigenem Verstand oder »zu seinem eigenen Nutzen«, also ein Urteil, das man »für sich selbst« in einem Augenblick des Nachdenkens fällt. Die Ergänzung des »bei sich selbst« zu der Aufforderung »so bedenke er wiederum dies« enthält eine subtile Demütigung. 37 Eine Personalisierung stellt schließlich die Wiederholung der Prämisse in »wie er Christi ist« dar, die reichlich merkwürdig in die angestrebte Konklusion eingeschaltet wird. Alle diese Elemente geben dem Satz eine subjektive und individuelle Note, sind aber streng genommen unnötig für einen direkten Vergleich, der die Gleichheit des Paulus in seiner Zugehörigkeit zu Christus dartun soll. Sie bremsen den Gedankenfluss und erhöhen damit den rhetorischen Effekt. 38 Für einen aufmerksamen Leser, der diese Textsignale beachtet, legt die sprachliche Gestaltung des Satzes die Deutung des »jemand« (tis) auf eine bestimmte Einzelperson nahe. Wie ist nun der Anspruch dieses »jemand« in Korinth, »zu Christus zu gehören«, inhaltlich genauer zu fassen? Wenn wir unser Verständnis der »Zugehörigkeit zu Christus« aus Aussagen der Paulusbriefe wie etwa Gal, 3,29; 1Kor 3,21-23 und 1Kor 15,23 gewinnen, dann ist deutlich, dass diese Erfahrung das Erbe der Abrahamverheißung, den Besitz von Weisheit und Gerechtigkeit und die Teilhabe an der Auferstehung Christi beinhaltete. 39 Warum sollte dann aber ein Einzelner, dessen hohes Christus-Bewusstsein in 10,7 zur Sprache kommt, Paulus die Tiefe dieser Erfahrung bestreiten? Die Antwort liegt in der neuen Bedeutung, die Paulus selbst der Erfahrung der Christuszugehörigkeit gegeben hat, und zwar im Verlauf seiner Beziehung zu den Gläubigen in Korinth. Um der Überbewertung »eloquenter Weisheit« durch einige Korinther zu begegnen, begann Paulus »die Botschaft vom Kreuz« zu betonen (1Kor 1,18). 40 Von besonderer Bedeutung ist die programmatische Aussage in 1Kor 2,2: »Denn ich entschloss mich (ekrina), nichts anderes unter euch zu kennen als Christus, und zwar als Gekreuzigten (estaurōmenon).« Wenn der Aorist des Verbs krinein beim Wort genommen werden kann, dann erinnert Paulus hier an einen Moment in seiner Beziehung mit den Gläubigen in Korinth, als er »sich entschlossen hat«, Christus als »Gekreuzigten« zu verkündigen. 41 Die Wahl des Partizips Perfekt estaurōmenos (1,23; 2,2) zur Charakterisierung des von ihm verkündigten Christus klingt besonders provokativ, denn das Perfekt vermittelt den Gedanken, dass die bleibende und gegenwärtige Bedeutung des Gesagten in nichts anderem besteht, als dass er »der Gekreuzigte« ist. 42 Wie dieses neue Verständnis der »Zugehörigkeit zu Christus« auf diejenige Minderheit unter den korinthischen Christen gewirkt haben muss, die über Bildung, Vermögen und gute Herkunft verfügten, können wir aus dem paulinischen Gedankengang in 1Kor 1-4 und 2Kor 10-13 schließen. Die Reduktion des Evangeliums auf das eine schändliche Ereignis des Todes Christi am Kreuz wurde als »Torheit« (mōria) angesehen. 43 Besonders verwirrend muss Paulus’ Bestimmung der »zu Christus Gehörenden« als »töricht, schwach, von niedriger Geburt, verachtet und nichtswürdig« (1Kor 1,27 f.) gewesen sein. 44 Was wurde aus dem Gefühl der Überlegenheit, dem Besitz von Weisheit, dem Glück und der Hoffnung im Vorblick auf das Kommen Christi, Gaben, die dann diejenigen erhalten würden, die zu ihm gehören? Für jeden, der mit einem Bewusstsein von Weisheit »Für jeden, der mit einem Bewusstsein von Weisheit und Kraft erfüllt war im Blick auf das Kommen Christi, muss die paulinische Aufwertung von Torheit und Schwachheit ein unermesslicher Verlust gewesen sein.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 32 - 3. Korrektur 32 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema und Kraft erfüllt war im Blick auf das Kommen Christi, muss die paulinische Aufwertung von Torheit und Schwachheit ein unermesslicher Verlust gewesen sein. Kurz gesagt, die nicht mit Namen genannte Einzelperson, die Paulus in 10,7 indirekt anspricht, ist von einem leidenschaftlichen Bewusstsein erfüllt, »zu Christus zu gehören«, und sie ist verwirrt durch die von Paulus programmatisch formulierte Infragestellung der Grundlagen dieses Bewusstseins. Hierauf muss besonders hingewiesen werden, weil die Gegner des Paulus im Laufe der Forschungsgeschichte als theologische Epigonen dargestellt wurden, die auf den Augenschein fixiert und mit äußerlichen Dingen befasst waren. 45 Es ist bemerkenswert, dass Paulus den Anspruch seines Kritikers »zu Christus zu gehören«, nicht in Abrede stellt. Seine Entgegnung hat nicht die Form »Allein ich gehöre im Vollsinn zu Christus, du nicht«, sondern »Wie du zu Christus gehörst, so auch ich«, als Bestätigung einer Beziehung unter Gleichen. 46 Was immer dieser Einzelne Paulus an »Unrecht« zugefügt hat, es stellt seinen Status »zu Christus zu gehören« nicht in Frage. Nun zu der Stelle 10,10: Hier finden wir ein explizites Zitat, das ein Urteil über Paulus hinsichtlich des Kontrasts seiner wortmächtigen Briefe und seiner schwachen persönlichen Erscheinung enthält: »Die Briefe, sagt er, sind gewichtig und stark, aber sein Auftreten ist schwach und seine Rede verachtenswert«. Wiederum bedarf es der Angabe der Gründe, die Äußerung in 10,10 einer Einzelperson zuzuschreiben, sie also nicht als generelle Aussage zu lesen, sowie als Urteil eines Gemeindemitglieds, nicht eines Außenstehenden. Das Verb phēsin, für gewöhnlich mit »sagen sie« übersetzt, 47 ist tatsächlich eine 3. Pers. Sg., wörtlich »er sagt« 48 . Zwar kann phēsin auch unpersönlich mit »heißt es« oder »sagt man« wiedergegeben werden, 49 sodass es auch möglich ist, dass Paulus hier eine verbreitete Ansicht wiedergibt, also im Sinne von »so redet man in Korinth«. 50 Aber die Referenzen auf »jemanden« (tis) in 10,7 und »jene Person« (ho toioutos) in 10,11 legen doch nahe, dass die in 10,10 zitierte Äußerung auf eine Einzelperson zurück geht. 51 Wir haben weiter oben auf die zahlreichen Stilelemente hingewiesen, mit denen Paulus die in 10,7 referierte Auffassung personalisiert. In den dazwischen liegenden Versen deutet nichts darauf hin, dass der Sprecher in V. 10 nun ein anderer ist als die Einzelperson, auf die sich Paulus in 10,7 bezieht. Der Abschnitt, der 10,7 und 10,11 umfasst, erhält seine Geschlossenheit durch die Pronomina, die eine ungenannte Einzelperson bezeichnen. Es geht mithin um eine Debatte aus zweiter Hand zwischen Paulus und einer bestimmten Person, eine Debatte, die die Korinther mit anhören sollen. Es liegt deshalb am nächsten, phēsin auf eine Äußerung derjenigen Person zu beziehen, die Paulus indirekt in 10,7 und 10,11 anspricht. Mehrere Stilmerkmale in 10,7-11 legen nun außerdem nahe, dass 10,10 das Verdikt eines ortsansässigen Korinthers enthält, nicht dasjenige eines zugereisten Apostels. Erstens ist auf die Platzierung des Zitats in einem Kontext hinzuweisen, in dem die Korinther direkt angesprochen werden (hymōn in 10,8; hymas in 10,9). Dies lässt vermuten, dass der Sprecher in 10,10 sich unter den Adressaten des Briefes befindet. Zweitens hat die genannte Person die Briefe des Paulus gelesen, und zwar, wie wir sehen werden, mit echter Wertschätzung. Sein Urteil über Paulus’ persönliche Erscheinung enthält eine Einschätzung seines »rhetorischen Vortrags« (hypokrisis), 52 die voraussetzt, dass jene Person ihn persönlich als Verkündiger erlebt hat. Zwar ist nicht auszuschließen, dass auch einer der rivalisierenden Apostel flüchtige Begegnungen mit Paulus hatte, 53 doch ist wahrscheinlicher, dass hier die wiederholte persönliche Erfahrung eines von Paulus bekehrten Korinthers im Hintergrund steht, der Zugang zu seinen Briefen und außerdem die Gelegenheit hatte, ihn reden zu hören. Dass es sich in 10,10 um ein Zitat handelt, ist durch das hoti und das Verb phēsin unzweifelhaft. Die Wortwahl ist hier so präzis, dass wir Grund zu der Annahme haben, dass Paulus das, was er hier wiedergibt, selbst gehört hat, oder dass es ihm von Titus oder einem der anderen Abgesandten des Paulus überbracht wurde. Die Termini, die in 10,10 zur Charakterisierung der Briefe des Paulus verwendet werden-- »gewichtig« (barys) und »stark« (ischyros)-- haben einen festen Platz in der antiken Literaturkritik. 54 In den Essays des Dionysios von Halikarnass gehören »Gewicht« (baros) und »Kraft« (ischys) zu den Stilelementen der besten Autoren, etwa Thukydides bei den Historikern und Demosthenes bei den Rhetoren. 55 Die Eigenschaft, die bei Demosthenes so gelobt wurde, war die Wortmächtigkeit (deinotēs), die nach den Worten des herausragenden Kritikers in dem Traktat »Vom Erhabenen« (De sublimitate) »erhabene Intensität« mit »lebendiger Emotion« verband. 56 Allem Anschein nach teilte jener Kritiker des Paulus die Vorlieben der Literaturkritiker der frühen Kaiserzeit für einen Stil, der ehrwürdig und wortmächtig war. Er fällt also keineswegs ein abschätziges Urteil, 57 sondern »Was immer dieser Einzelne Paulus an ›Unrecht‹ zugefügt hat, es stellt seinen Status ›zu Christus zu gehören‹ nicht in Frage.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 33 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 33 Laurence L. Welborn Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes er spricht, wenn er die Briefe des Paulus »gewichtig und stark« nennt, allerhöchstes Lob aus. Im Gegensatz zu dieser anerkennenden Beurteilung der Briefe des Paulus erklärt die in 10,10 zitierte Person jedoch: »Sein Auftreten ist schwach (asthenēs) und seine Rede verachtenswert (exouthenēmenos)«. In den Rhetorik-Handbüchern wird die stimmliche und gestische Präsentation eines Redners als »Vortrag« (hypokrisis) bezeichnet. 58 Mit Blick auf Mängel in Stimmgebung und Gestik konstatiert Quintilian, dass »körperliche Grobheit« (corporis deformitas) sich so negativ auswirken kann, dass keine Kunstfertigkeit hier Abhilfe schaffen kann, und dass eine »kraftlose Stimme« (vox exilis) mit einem exzellenten Vortrag nicht zu vereinbaren ist. 59 In seiner Abhandlung Über die Beredsamkeit kritisiert Demetrios einen Redner für eine »schwache Rede« (asthenōs eipōn). 60 Plutarch sieht in der »Schwachheit der Stimme« (phōnēs astheneia) den gravierendsten Defekt, dem ein Rhetor abhelfen muss, wenn er ernst genommen werden will. 61 In 1Kor 2,1- 5 verwendet Paulus den Terminus »Schwachheit« (astheneia) zusammen mit »Furcht« und »Zittern«, um sein Auftreten als Redner bei seinem Auftreten in Korinth zu beschreiben. Wir müssen deshalb mit der Möglichkeit rechnen, dass der Kritiker in 10,10 Paulus mit dessen eigenen Worten verspottet, wenn er von »Schwachheit« (astheneia) spricht. Dies legt zumal auch der zweite Terminus nahe, der in 10,10 zur Kennzeichnung des paulinischen Redevortrages verwendet wird, »verachtenswert« (exouthenēmenos). Auch in diesem Fall ist anzunehmen, dass sich die in 10,10 zitierte Person auf eine zunächst von Paulus selbst verwendete Formulierung bezieht. Das Verb exoutheneō findet sich nur in wenigen Quellen: Außerhalb der Septuaginta und der von ihr beeinflussten Literatur finden wir es hauptsächlich in den Papyri und im Leben des Äsop. 62 Das Fehlen von exoutheneō in den kanonischen Autoren legt die Vermutung nahe, dass der Ausdruck als vulgär galt. Gebräuchlich war für »verachtenswert« stattdessen eukatafronētos, und zwar besonders in der Literaturkritik. 63 Die Frage lautet nun: Warum könnte der Kritiker des Paulus den hochsprachlichen Terminus zur Bezeichnung einer »verachtenswerten« Rede vermieden und stattdessen den vulgären gewählt haben? Die Antwort könnte in dem internen Konflikt mir Paulus liegen. Denn nach lexikalischer Aktenlage gehört zu denjenigen, die das Verb exoutheneō am häufigsten verwenden, Paulus selbst! 64 Das heißt: Eine Person mit einer gewissen rhetorischen Bildung bemerkte die Verwendung eines umgangssprachlichen Terminus durch Paulus und verwendete ihrerseits diesen Terminus, um die Unfähigkeit des Paulus herauszustellen. Die Verspottung durch Übernahme paulinischer Sprache wird damit noch vernichtender. Paulus antwortet auf den kritischen Vergleich zwischen seinem Briefstil und seinem rhetorischen Vortrag damit, dass er jegliche Inkonsistenz zwischen beidem bestreitet: »Dies möge eine solche Person bedenken: Was wir durch das Wort in Briefen sind in unserer Abwesenheit, das sind wir auch durch die Tat, wenn wir anwesend sind« (10,11). Das pronominale ho toioutos (»eine solche Person«) zeigt deutlich, dass Paulus mit seiner Antwort vorrangig jene Einzelperson im Blick hat, die die Kritik an Paulus formuliert und in der korinthischen Gemeinde verbreitet hat. Paulus unternimmt nicht den Versuch, die Kritik an seiner körperlichen Erscheinung und an seinem rhetorischen Vortrag zu entkräften, was er nach der Selbstdemontage als Redner in 1Kor 2,1-5 ja auch schwerlich tun kann. Stattdessen überspielt Paulus mittels der Phrase »das Wort in Briefen« geschickt den Kontrast zwischen seinem rhetorischen Vortrag und seinen Briefen. 65 Seiner Behauptung, dass es keine Diskrepanz zwischen der Person des Briefschreibers und derjenigen des persönlich Anwesenden gibt, liegt die bekannte Formel »in Wort und Tat« zugrunde. Paulus unternimmt damit den Versuch, den widersprüchlichen Eindruck seines Verhaltens durch die Überwindung des Gegensatzes zu beseitigen. 66 Die Entdeckung, dass Paulus in 10,7-11 mit einer Einzelperson diskutiert, und zwar mit seinem hauptsächlichen Kritiker in Korinth, hat eine wichtige Konsequenz für unseren Versuch, die Rolle des Unrechttäters im Konflikt um die Legitimität des paulinischen Apostolats zu verstehen. Wie der Gedankengang in 10,12-18 zeigt, war Paulus herausgefordert, die Legitimität seines Apostolats dadurch zu erweisen, dass er sich mit anderen Aposteln verglich, die die Korinther für qualifiziert hielten. 67 Keine Schlussfolgerung scheint mehr gerechtfertigt als die, dass die Einzelperson, die Paulus in 10,7-11 anspricht, maßgeblich dafür verantwortlich war, dass die rivalisierenden Apostel den Standard vorgaben, an dem Paulus sich zu messen hatte. 68 Eine letzte Folgerung aus unserer Entdeckung, dass der Unrechttäter in den polemischen Passagen des 2Kor präsent ist, bezieht sich auf die Eigenart des Paulus zu- »Eine Person mit einer gewissen rhetorischen Bildung bemerkte die Verwendung eines umgangssprachlichen Terminus durch Paulus [exoutheneō] und verwendete ihrerseits diesen Terminus, um die Unfähigkeit des Paulus herauszustellen.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 34 - 3. Korrektur 34 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema gefügten Unrechts. In 12,16-18 setzt sich Paulus mit einer spezifischen Anklage auseinander: »Ich bin euch nicht beschwerlich gefallen. Vielmehr habe ich [sagt ihr], durchtrieben wie ich bin, euch mit List gefangen. Habe ich euch etwa übervorteilt (epleonektēsa hymas) durch einen von denen, die ich zu euch gesandt habe? Ich habe Titus zugeredet [zu euch zu kommen] und den Bruder mit ihm gesandt; hat euch Titus etwa übervorteilt (epleonektēsen hymas)? Haben wir nicht im selben Geist unser Leben geführt? Sind wir nicht in denselben Fußstapfen gewandelt? « Der Kern des hier angesprochenen Vorwurfs liegt in dem Verb pleonektein, das jede Art von »Habsucht«, einschließlich »Machtlust« und »Besitzgier« bezeichnen kann. 69 Der Kontext von 12,16-18 macht jedoch klar, dass finanzielle Dinge im Spiel sind, 70 sodass pleonektein in diesem Fall genauer zu fassen ist als »jemanden in einer finanziellen Situation betrügen«, »widerrechtlich von jemandem durch Betrug Geld an sich bringen«, »veruntreuen«. 71 Daraus kann geschlossen werden, dass Paulus während seines zweiten Besuchs in Korinth, bei dem es zum Eklat gekommen war (2,1), 72 der Veruntreuung im Zusammenhang mit der Kollekte für die Armen bezichtigt wurde. 73 Bei dieser öffentlichen Unterstellung der Unterschlagung dürfte es sich um das Unrecht handeln, auf das sich Paulus in 7,12 bezieht. 74 Aus 12,20 f. geht hervor, wie Paulus das ihm aus diesem Anlass zugefügte Unrecht erlebt hat: Es endete in einer völligen Demütigung. 75 Möglicherweise war Paulus für den Moment einfach sprachlos. Sobald er die Fassung wiedererlangt hat, mag er sich auf die Zeugenregel des Deuteronomiums berufen haben: »Mit der Aussage von zwei oder drei Zeugen steht oder fällt jede Sache« (13,1, zitiert aus Dtn 19,15). Augenscheinlich ist in der Versammlung niemand aufgestanden, um die Anschuldigung des Unrechttäters zu bekräftigen. Dies ließ die Tür zur Aussöhnung offen. Aber Paulus war erschüttert. In Ephesus, wohin er sich zurückgezogen hatte, wurde seine Seele von Kummer überwältigt, ein Zustand, an den sich Paulus in einer emotionalen Darstellung erinnert: »So schwer und unsere Kräfte weit übersteigend ist die Last, die uns auferlegt wurde, dass wir sogar am Leben verzweifelten. Ja, was uns betrifft, so hatten wir das Todesurteil schon in den Händen« (1,8 f.). 76 Die Sprache, in der Paulus seinen Kummer beschreibt, hat erhellende Parallelen in Versöhnungsbriefen, die gattungstypisch Äußerungen des Bedauerns enthalten. 77 In Ephesus schrieb Paulus nach Korinth »aus großer Bedrängnis und mit angstvollem Herzen, unter vielen Tränen« (2,4). Paulus war klar, dass dieser Brief in Korinth seinerseits für Kummer sorgen würde, und er bedauert zunächst, ihn abgeschickt zu haben (7,8). In seiner Betrübnis sandte Paulus Titus nach Korinth mit der schwierigen Mission, eine Versöhnung auszuhandeln (2,12 f.; 7,5 f.). 78 2. Versöhnung und emotionale Therapie Über die Hypothese zur Identität des Unrechttäters und zur Eigenart des zugefügten Unrechts hinaus eröffnet eine Analyse des 2Kor auf dem Hintergrund antiker Versöhnungsbriefe Einsichten in das paulinische Unternehmen der Versöhnung, das wir auch seine »emotionale Therapie« nennen können. Zunächst ist klar, dass die Entscheidung des Paulus, die Initiative zur Aussöhnung zu ergreifen, eine erstaunliche Abweichung von der Norm griechisch-römischer Freundschaftsethik darstellt. Als derjenige, »dem Unrecht zugefügt wurde« (ho adikētheis), d. h. als die verletzte Partei hätte Paulus der Empfänger eines Versöhnungsangebots sein müssen. Nach dem griechisch-römischen Paradigma war es Sache derjenigen Partei, die den Konflikt verursacht hatte, den Streit beizulegen und Aussöhnung anzustreben. 79 Papyrusbriefe illustrieren diese Konvention. In BGU III.846 bittet ein gewisser Antonius Longinos seine Mutter, mit der er zerstritten ist: »Ich bitte dich, Mutter, sei wieder versöhnt mit mir. Ich weiß, was ich über mich gebracht habe. Ich habe eine passende Lektion gelernt. Ich weiß, dass ich Unrecht getan habe.« 80 Ciceros einziger erhaltener Brief an Markus Licinius Crassus (Fam. 5,8) ist eine Bitte um Versöhnung nach einer langen Periode einer ständig weiter abgekühlten Beziehung. 81 Cicero erkennt seine Rolle an, die er bei der gegenseitigen Entfremdung gespielt hat, und er beschuldigt zugleich ungenannte Dritte heftig, Unrecht getan zu haben: »Gewisse Personen, die ihr Gift verspritzt haben, haben dich von mir entfremdet, und sie haben zeitweise auch meine Haltung dir gegenüber verändert« (Fam. 5,8,2). Cicero bittet daraufhin, dass vergangene Kränkungen verziehen werden mögen: »Wenn in der Zwischenzeit gewisse Verletzungen, mehr eingebildet als real, unsere Beziehung beeinträchtigt haben sollten, die doch missverständlich und ohne Sachgehalt waren, lass sie uns gänzlich beseitigen aus unserem Gedächtnis und aus unserem Leben« (Fam. 5,8,3). Wie »Als derjenige, ›dem Unrecht zugefügt wurde‹ […], d.h. als die verletzte Partei hätte Paulus der Empfänger eines Versöhnungsangebots sein müssen.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 35 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 35 Laurence L. Welborn Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes viel poetische Fiktion hier auch im Spiel sein mag, um unangenehme Wahrheiten zu kaschieren, 82 Ciceros Bitte entspricht dem geläufigen Paradigma: Die Partei, die das Zerwürfnis verschuldet hat, ist verantwortlich dafür, eine Versöhnungsbitte vorzutragen. Paulus’ Entscheidung, bei der Suche nach Möglichkeiten der Versöhnung die Initiative zu ergreifen, stellte also eine Umkehrung der gewohnten Rollenverteilung in griechisch-römischer Freundschaftsethik dar. Obwohl Paulus sich in der Rolle des Gekränkten sah, tritt er als Agent der Versöhnung auf, und er bittet die Korinther eindringlich um die Fortsetzung der Freundschaft: »So treten wir nun als Gesandte Christi auf, denn durch uns lässt Gott euch seine Bitte kundtun. Als Abgesandte Christi bitten wir euch, das Freundschaftsangebot anzunehmen, das Gott euch macht« (5,20). 83 Die von Paulus vorgenommene Rollenumkehrung ist umso auffälliger, als er augenscheinlich planvoll termini technici der Versöhnungssprache verwendet. Hierzu gehört erstens das Verb katallassō (5,18. 19. 20), das »Feindschaft in Freundschaft umwandeln« bedeutet, 84 sodann die Verben des Flehens parakaleō (5,20; 6,1) und deomai (5,20), die regelmäßig bei brieflichen Versöhnungsbitten verwendet werden, 85 schließlich die Äußerung von Zuversicht mit dem Wort parrēsia, das sich auch in Papyrusbriefen findet. 86 Eine zweite mehr graduelle Neuerung lässt sich in den therapeutischen Partien des 2Kor feststellen, wenn wir sie mit anderen Versöhnungsbriefen vergleichen, nämlich die Intensität des paulinischen Appellierens an Emotionen. Zwar haben alle Versöhnungsbriefe ein emotionales Element, da es ja darum geht, sich einen gekränkten Freund wieder geneigt zu machen. 87 Dementsprechend ist Chairemons auf Aussöhnung bedachte Apologie an seinen »lieben Freund« Apollonius (BGU II.531) von einem warmherzigeren Ton bestimmt, als dies bei anderen Papyrusbriefen der Fall ist. 88 Mark Aurel spielt mit den Emotionen seines Freundes, als er versucht, im allen Menschen gemeinsamen Leid eine Basis für die Aussöhnung zu finden: Er verweilt bei der Strenge seiner Militäreinheiten, klagt darüber, dass kürzlich seine Frau gestorben ist, und er macht Bemerkungen über seine eigene schlechte Gesundheit. 89 Es gibt jedoch unter den antiken Briefen weit und breit nichts, das dem intensiven Rekurs des Paulus auf Emotionen in 2Kor 1,1-2,13; 7,5- 16 gleich käme. Eine Sichtung des semantischen Feldes lässt erkennen, wie sorgfältig Paulus darauf bedacht ist, seinen Worten ein emotionales Gepräge zu geben. Er eröffnet das Exordium (1,3-7) mit dem Lob Gottes als »Vater der Erbarmungen« und »Gott allen Trostes«. In den folgenden Versen entspinnt sich eine komplexe und wirkungsvolle rhetorische Figur durch den repetitiven Gebrauch von hochgradig emotionalem Vokabular wie etwa thlipsis (»Trübsal«), paraklēsis (»Trost«) oder pathēma (»Leid«). Paulus versichert, dass, wenn er »Trübsal« und »Trost« erfährt, dies »um euretwillen« geschieht, und er gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass eine von Zuneigung geprägte Gemeinschaft entsteht, in der er und die Korinther »teil haben an denselben Leiden«. Paulus fundiert die Möglichkeit einer erneuerten Gemeinschaft in gegenseitiger Zuneigung in dem Umstand, dass »die Leiden Christi reichlich über uns gekommen sind«. In der narratio (1,8-11) vermeidet Paulus die explizite Nennung des besonderen Ereignisses, das seine »Betrübnis« verursacht hat. Stattdessen konzentriert er sich auf seinen Seelenzustand in dieser Situation: »So schwer und unsere Kräfte weit übersteigend ist die Last, die uns auferlegt wurde, dass wir sogar am Leben verzweifelten«. Die propositio, die Paulus in 1,12-14 anschließt, ist mit der Motivation seiner Lebensführung befasst, seiner »Einfalt« und »Lauterkeit«, wie dies sein »Gewissen« bezeugt. In den Argumenten, mit denen Paulus sein Handeln rechtfertigt (1,15-2,4), erklärt er, dass er sich in seinem Verhalten gegenüber den Korinthern davon leiten ließ, weder Agent noch Opfer von »Schmerz« (lypē) zu sein, sondern vielmehr der Geber und Empfänger von »Freude« (chara). Paulus beschließt den Abschnitt mit einer anschaulichen Beschreibung der Stimmungslage, in der er den Korinthern geschrieben hat, nämlich »aus großer Bedrängnis«, »mit angstvollem Herzen« und »unter vielen Tränen«, und dies alles als Zeichen der übermäßigen »Liebe«, die er zu den Korinthern hegt. Vor allem aber ist Paulus um das emotionale Wohlergehen des »Unrechttäters« besorgt (2,5-11), und er drängt die Korinther, ihm »zu vergeben«, ihn »zu trösten«, und ihn ihrer »Liebe« zu versichern, »damit er nicht in übergroßer Trauer versinkt«. Paulus’ Darstellung seiner Stimmungslage, in der er Neuigkeiten zur Wirkung seines Briefes an die Korinther erwartete (2,12 f.; 7,5-7), hebt seine tiefe Sorge deutlich hervor: »Ich hatte keine Ruhe in meinem Geist«, »unser Fleisch hatte keine Ruhe«, »bedrängt in jeder Hinsicht«, »nach außen hin Kämpfe, im Inneren Angst«. Aber die Ankunft des Titus, der aus Korinth berichtete, brachte »Tröstung« für den »niedergeschlagenen« Apostel. Die Zusammenfassung dessen, was Paulus über die Korinther erfahren hat, ist ganz auf die emotionale Seite der Reaktion der Gemeinde konzentriert, auf ihr »sehnsüchtiges Verlangen«, ihr »Trauern«, ihren »Eifer«. Die Schlusspassage (7,8-13a) zielt auf den emotionalen Effekt des Briefes bei den Adressaten als Erweis Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 36 - 3. Korrektur 36 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema der Integrität seiner Handlungsweise. Paulus erkennt an, dass er die Korinther mit seinem Brief »betrübt« hat, ja, dass es ihn zeitweise sogar reute, ihn abgeschickt zu haben. Aber seine Empfindungen verwandelten sich in »Freude«, als er erfuhr, dass die Betrübnis der Korinther zur »Umkehr« anstatt zu »Verzweiflung« oder »geistlichem Tod« geführt habe. Paulus versichert bemerkenswerterweise, dass es so etwas wie »göttliche Trauer« gibt, und dass die Korinther diese erfahren haben. Dann fährt er fort, die Stationen des emotionalen Fortschritts außerordentlich detailliert zu analysieren: »Einsatz« (spoudē), »Bereitschaft zur Entschuldigung« (apologia), »Entrüstung« (aganaktēsis), »Gottesfurcht« (phobos), »Sehnsucht« (epipothēsis), »Eifer« (zēlos), »Willen zu gerechter Bestrafung« (ekdikēsis). 90 Paulus versichert seinen Adressaten, dass sie unter Beweis gestellt haben, dass sie völlig »schuldlos« oder »rein« (hagnoi) in der Affäre des Unrechttäters sind, und er erklärt, dass er selbst »getröstet« ist. Die peroratio (7,13b-16), jubelnd und besonnen zugleich, lobt die Wiederherstellung von Paulus’ »Zutrauen« zu den Korinthern, indem er auf die »Freude« seines Abgesandten Titus verweist. Wiederum wird die Inhaltsebene von Titus’ Bericht zugunsten seiner emotionalen Wirkung völlig ausgeblendet: »Mehr aber noch haben wir uns über die Freude des Titus gefreut, dass sein Geist erquickt wurde von euch allen«. Titus’ emotionale Antwort an die Korinther wird eindringlich beschrieben. Sie rechtfertigt ganz und gar Paulus’ »Rühmen« im Blick auf die Korinther, mit dem Ergebnis, dass er »nicht beschämt wurde«: Titus’ »herzliche Zuneigung« gilt den Korinthern, wenn er sich daran erinnert, wie sie ihn »mit Furcht und Zittern« aufgenommen haben. Die peroratio erreicht ihren Höhepunkt mit einer von Herzen kommenden Bekräftigung: »Ich freue mich, weil ich mich in allem auf euch verlassen kann.« Bereits diese Übersicht macht deutlich, dass das in 1,1-2,13; 7,5-16 verwendete emotionale Vokabular weit über die zur Wiederherstellung einer Freundschaft erforderliche »Liebenswürdigkeit« (philophronēsis) hinausgeht. Was eine Übersicht dagegen nicht vermitteln kann, ist die hochgradig affekthaltige Atmosphäre, die durch die wiederholte Verwendung von Schlüsselbegriffen wie thlipsis, paraklēsis, pathēma, lypē und chara samt den zugehörigen Verbformen hergestellt wird, sowie durch den mehrfachen Gebrauch hyperbolischer Wendungen wie perissoterōs, kath’ hyperbolēn, hyper dynamin etc. Auch kann eine Übersicht nicht den besonderen Sprachklang reproduzieren, der durch den Gebrauch rhetorischer Figuren wie der traductio (in 1,3-7 und 2,1-3) erzeugt wird, oder die Spannung, die durch den geschickten Gebrauch von Partikeln entsteht, oder die in den Konditionalsätzen anklingenden leisen Mahnungen, oder die Empfindungen, die durch den wiederholten Gebrauch von Metonymien aufgerufen werden. 91 Alles in allem kann man sich kaum vorstellen, dass es einen anderen antiken Brief gibt, dem es derart obsessiv um Emotionen zu tun ist, der seinen Verfasser so verwundbar zeigt in der Offenlegung seines Gemütszustandes, oder der so überaus sorgsam umsetzt, was eine »emotionale Therapie« genannt zu werden verdient. Eine erschöpfende Würdigung der Originalität des paulinischen Appels an Emotionen in 2Kor 1,1-2,13; 7,5-16 bedarf einiger Aufmerksamkeit auf emotionale Therapien, wie sie von den Zeitgenossen des Paulus praktiziert wurden. Unter den Philosophen der hellenistischen und römischen Zeit entstand eine lebhafte Diskussion über die Natur von Emotionen und ihre Funktion für das moralische Leben. 92 Die einschlägige Literatur ist nur fragmentarisch erhalten, macht aber gleichwohl deutlich, dass die Philosophen nicht nur die psychologische Basis von Emotionen zu verstehen suchten, sondern auch an Therapien interessiert waren, die geeignet waren, Emotionen zu zügeln, zu modifizieren oder zu eliminieren. Zumal die Stoiker erarbeiteten eine systematische Theorie der Emotionen, in der bestimmte Termini eine technische Bedeutung erhielten. Der Terminus lypē (»Schmerz«) beispielsweise, auf den Paulus in den therapeutischen Passagen des 2Kor sein Augenmerk legt, war im stoischen System eine von vier kategorialen Emotionen, zusammen mit hēdonē (»Lust«), phobos (»Furcht«) und epithymia (»Begehren«). Die Therapie der lypē, nämlich die Entwicklung einer handhabbaren Methode der Tröstung, war das erklärte Ziel des einflussreichen vierten Buches von Chrysipps Werk Über die Affekte, das unter einem eigenen Titel Therapeutik unabhängig vom Rest des Werkes gelesen und verwendet worden zu sein scheint. 93 Im Hinblick auf den Status der lypē unterscheidet sich die Auffassung des Paulus in erstaunlicher Weise von den durchgeformten Systemen seiner intellektuellen Zeitgenossen. Unter den Stoikern wie auch bei denjenigen, die wie Cicero und Seneca stoische Lehren mit platonischer Philosophie zu verbinden suchten, war lypē (lateinisch: aegritudo) die problematischste Emotion von allen. Cicero verleiht dieser Auffassung Ausdruck: »Glaubst du also, dass dies dem Weisen geschehen könne, dass er durch Kummer (aegritudo), also durch Elend bedrückt zu werden vermag? Denn wenn jede Leidenschaft ein Elend ist, so ist der Kummer ein mörderisches. Die Begierde hat ihren Brand, die unmäßige Freude ihre Leichtfertigkeit, die Angst das Demütigende, aber der Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 37 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 37 Laurence L. Welborn Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes Kummer ein noch schwereres Leiden, Verfall, Qual, Niedergeschlagenheit, Verworfenheit. Er zerfetzt und zerfrisst die Seele und vernichtet sie ganz. Wenn wir ihn nicht beseitigen, so dass wir ihn ganz von uns werfen, können wir vom Elend nicht wegkommen.« 94 Die problematische Natur der lypē tritt am deutlichsten dadurch zutage, dass sie keinerlei rationalen Widerpart in der Liste der »guten Emotionen« (eupatheiai) hat, die für die Stoiker das Leben des Weisen charakterisierten. Bekanntlich sprachen sich die Stoiker für eine völlige Eliminierung der »Leidenschaften« oder »schlechten Emotionen« (pathē) aus. Diese rigorose Position war unter griechischen und römischen Denkern populär, ja selbst bei Paulus’ jüdischen Zeitgenossen Philon und dem Verfasser des 4. Makkabäerbuches. 95 Allerdings gestatteten die Stoiker dem Weisen gewisse andere Seelenzustände, die sie »gute Emotionen« (eupatheiai) nannten. Diese unterschieden sich von den Leidenschaften dadurch, dass sie mit akkuraten und wahrheitsgetreuen Zuschreibungen von Gutheit und Schlechtigkeit an die Dinge im Einklang standen. 96 Der »Furcht« (phobos) entsprach als rationale Emotion die »Vorsicht« (eulabeia), dem »Begehren« (epithymia) die »Willenskraft« (boulēsis) und der »Lust« (hēdonē) die »Freude« (chara). Aber es gab keine vierte eupatheia: Der Weise konnte keine konstruktive Beziehung zur lypē haben, so zerstörerisch war diese Emotion für das moralische Leben, so widerlich für einen Mann, der sich in Selbstbeherrschung übte. 97 Diese Haltung gegenüber der lypē veranlasst Dio Chrysostomos in seiner Abhandlung Über den Schmerz (peri lypēs) zu der rhetorischen Frage: »Welch eine erbärmlichere Kreatur gibt es, als einen Mann, der in der Sklaverei des Kummers lebt? Welcher Anblick ist schändlicher? « 98 Angesichts der Beobachtung, dass »das Leben voller leidvoller Dinge ist«, macht sich Dio die stoische Therapie zu eigen: »Doch man soll diesen krankhaften Zustand sich vollständig aus der Seele reißen und einen festen Halt in der Wahrheit finden, dass der kluge Mann niemals irgendeinen Schmerz über irgendetwas empfindet, und fortan ein freier Mann ist.« 99 Das Fehlen eines positiven Widerparts zur lypē im stoischen System der Emotionen ist alles andere als zufällig. Vielmehr ist es mit der stoischen Auffassung vom emotionalen Leben organisch verbunden. 100 Tatsächlich bestand das Ziel des stoischen Systems darin, den weisen Mann gegenüber dem Schmerz unempfindlich zu machen, wie viele Rückschläge und Gefahren das Leben auch bereit hielt. Es war dieses Versprechen der Unverwundbarkeit, das die Attraktivität der stoischen Theorie begründete. 101 Was hat es dann aber damit auf sich, dass Paulus nicht nur anerkennt, dass er und der Unrechttäter und mit ihnen alle Korinther lypē erfahren haben, sondern auch dazu übergeht, eben diejenige Erfahrung detailliert aufzugliedern, die Cicero und Seneca als demütigend aufgefasst hätten? Erstaunlicherweise behauptet Paulus sogar, dass es einen »göttlichen Kummer« (hē kata theon lypē) gibt, der über bestimmte emotionale Zwischenschritte zur »Rettung« führt (2Kor 7,9 f.). Der Vergleich mit den Schriften von Paulus’ philosophischen Zeitgenossen macht deutlich, wie sonderbar, ja schockierend seine Bewertung der lypē erscheinen musste. Cicero beispielsweise konstatiert unzweideutig, dass diejenigen, die dem »Kummer« (aegritudo) unterworfen sind, als »dumm« (stulti) gelten müssen. 102 Dio Chrysostomos betont, dass »das Einwilligen in die Sklaverei der Trauer völlig irrational und befremdlich« ist. 103 Allerdings hatte Paulus mit der Meinung, dass lypē eine positive Rolle für das moralische Leben spielen kann, einen einflussreichen Vorgänger, nämlich Sokrates. Nach Platon war Sokrates nachgerade stolz darauf, dass er den Athenern durch seine philosophischen Aktivitäten lypē bereitet hat, 104 und er verstand sein »Bekümmern« (lypein) als »Gottesdienst«. 105 Aber dieser Aspekt von Sokrates’ philosophischem Wirken erschien späteren Denkern rätselhaft, auch denjenigen, die die platonische Psychologie übernahmen. Cicero bezieht sich auf eine Geschichte, in der Sokrates dem jungen Aristokraten Alkibiades »Kummer« (aegritudo) bereitet hat, als er ihn davon überzeugte, dass er nicht der Mann war, der er hätte werden sollen, und dass es, abgesehen von seiner vornehmen Abstammung, zwischen ihm und einem Handwerker keinen Unterschied gab, »und wo dann Alkibiades traurig wurde und weinend Sokrates anflehte, er möge ihm die Tugend geben und seine Schlechtigkeit vertreiben.« 106 Cicero erkennt die Vexierfrage, die diese Begebenheit den Stoikern aufgibt, deren Definition von »Kummer« er sich zu eigen gemacht hat. 107 Aber er weiß nicht recht, was er über Sokrates sagen soll, der »Kummer« nicht als »das größte Elend« ansieht. 108 In der psychagogischen Literatur des 1. Jh. stößt man auf Ansichten zur Rolle von Kummer und Schmerz beim moralischen Fortschritt, die teilweise Parallelen zu der paulinischen Auffassung von der heilvollen Funktion von lypē aufweisen. So rechnet etwa Plutarch mit der Möglichkeit, dass man einen Freund betrübt und ihm damit Hilfe leistet: »Es darf der Freund beleidigen (lypein), wenn er dadurch nützt, nur darf er nicht durch seine Beleidigungen die Freundschaft zerstören, sondern muss sie wie eine angreifende Arznei gebrauchen, um den Kranken zu retten und zu bewahren.« 109 Ebenso be- Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 38 - 3. Korrektur 38 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema trachtet Epiktet den philosophischen Lehrsaal als einen Ort medizinischer Behandlung. »Leute, der Hörsaal ist ein Hospital! Ihr solltet ihn nicht mit Freude verlassen, sondern im Schmerz.« 110 In einem Text, der von hartem Kynismus geprägt ist, heißt es von Demokrit, er habe danach verlangt, »etwas zu entdecken, das« für seine Mitbürger »schmerzlicher (lypēron) ist«, um eine moralische Reform durchzusetzen. 111 Aber die Autoren der psychagogischen Literatur schreiben der lypē lediglich einen zweckorientierten Wert beim Erreichen moralischer Ziele zu. Plutarch achtet außerdem darauf, das Maß an lypē zu begrenzen, das der Philosoph einsetzt: »Den Biss, den die Philosophie edlen Jünglingen beigebracht, heilt nur die Rede, welche verwundet hat. Deshalb muss man den Tadel ertragen und den Schmerz fühlen, jedoch ohne sich darüber abzuhärmen und mutlos zu werden.« 112 Unter den Zeitgenossen des Paulus gibt es keinen, der sich mit einer »göttlichen lypē« befasst, die über bestimmte emotionale Stadien zur Rettung oder psychischen Gesundheit führt (2Kor 7,10 f.). Ist aber erst einmal zugestanden, dass eine bestimmte Art von Schmerz, derjenige nämlich, der in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes erlitten wird, sich positiv auf das moralische Leben auswirkt, ja sogar das höchste Gut des Daseins vermittelt, dann ist die Tür offen für einen ganzen Schwarm anderer Emotionen, die die Stoiker mit aller Gewalt loswerden wollten, etwa »Empörung«, »Furcht«, »Begehren« etc., für die Paulus nicht nur einen Platz im Leben der Christusgläubigen einräumt, sondern sogar erklärt, dass ihr kumulativer Effekt die korinthischen Gläubigen »rein« (hagnoi) gemacht habe (7,11), eine Eigenschaft, die die Stoiker dem Weisen zuschrieben, der alle Emotionen abgetötet hat! 113 Was ist die Ursache für die revolutionäre Neuerung in der Auffassung von psychischer Gesundheit, derer wir im 2. Korintherbrief ansichtig werden? Zu Beginn des Briefes (1,5-7) erklärt Paulus, dass die Möglichkeit einer Gemeinschaft der Affekte unter den Jesusnachfolgern darin begründet liegt, dass »die Leiden Christi reichlich über uns gekommen sind«. Paulus bezieht sich hier auf seine grundlegende Überzeugung, dass »Christus für uns gestorben ist«, dass Christus »gekreuzigt wurde für uns«. 114 Man kann sich natürlich fragen, welche Wirkung Paulus’ neuartige Therapie der Emotionen wohl auf die Korinther gehabt hat, zumal auf den Unrechttäter. Waren die Kritiker des Paulus überrascht, dass Paulus nicht die stoische Therapie übernahm, die Cicero als die »zuverlässigste Methode« (Tusc. 3,79) bezeichnet hat? Chrysipp meinte, »beim Trösten sei es die Hauptsache, den Trauernden von der Meinung zu befreien, er erfülle eine gerechte und geschuldete Pflicht« (Tusc. 3,76). War der Unrechttäter nicht einfach nur verwirrt von der neuartigen Idee des Paulus, dass lypē nicht nur in kleinen Dosen nützlich, sondern eine umfassende Behandlung sei, durch die man psychische Ganzheit erlangte? Doch wir sollten durchaus in Betracht ziehen, dass die paulinische Aufwertung der Trauer, in der der Unrechttäter zu versinken drohte (2,7), dieser Trauer dadurch Bedeutung verliehen hat, dass Paulus ihr einen göttlichen Ursprung zuschrieb (7,9 f.). Immerhin räumte auch Cicero ein, dass die rationale Tröstung Chrysipps in Zeiten der Trauer eine harte Methode war, dann also, wenn jemand nicht bereit war, zu akzeptieren, dass seine Trauer einfach ein Fehlurteil sei (Tusc. 3,79). Paulus scheint jedenfalls darauf bedacht gewesen zu sein, den Schock seiner neuen Therapie durch die Art und Weise zu mindern, in der er sich im Verlauf von 1,15-2,4 und 7,8-13a präsentiert. Man beachte, dass Paulus seine Lauterkeit dadurch erweisen will, dass er bei der Erläuterung seiner Besuchspläne zuerst auf seine Willensentscheidung (boulēsis) verweist (1,15-22: eboulomēn […] boulomenos). Dann verweist er auf seine »Vorsicht« (eulabeia), mit der er die Korinther mit weiterem Kummer »verschonen« (pheidomenos) wollte, dadurch, dass er seinen Besuch aufschob (1,23-2,4). Schließlich dramatisiert er die Umwandlung seiner Besorgnis in »Freude« (chara) durch das Eintreffen des Titus mit den guten Nachrichten über den Sinneswandel der Korinther (7,7. 9. 13.16). Es ist gewiss kein Zufall, dass Paulus sich in einem Brief, der in so hohem Maße mit Emotionen befasst ist und so eifrig eine emotionale Therapie praktiziert, als jemand darstellt, der über die Eigenschaften eines weisen Mannes verfügt: Willenskraft, Vorsicht und Freude. Auch der Hinweis auf seine »Zuversicht« im Hinblick auf die erneute Zuneigung zwischen ihm und den Korinthern (7,6) sagt etwas aus über Paulus als jemanden, der die seelische Disposition eines weisen Mannes hat. In einem Strang der stoischen Tradition ist die eupathische Antwort auf Furcht »Zuversicht«, nicht »Vorsicht«. 115 Wenn Paulus die eupathische Qualität sei- »Es ist gewiss kein Zufall, dass Paulus sich in einem Brief, der in so hohem Maße mit Emotionen befasst ist und so eifrig eine emotionale Therapie praktiziert, als jemand darstellt, der über die Eigenschaften eines weisen Mannes verfügt: Willenskraft, Vorsicht und Freude.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 39 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 39 Laurence L. Welborn Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes ner Antwort an die Korinther betont, deutet er damit an, dass die ethische Disposition eines weisen Mannes durch einen emotionalen »Überschuss« erreicht werden kann, ebenso wie durch emotionale Sparsamkeit durch die Teilhabe an »den Leiden des Christus« (1,5-7). Ein letzter Paradigmenwechsel im griechisch-römischen Konzept von Freundschaft liegt in der Vergebung gegenüber dem Unrechttäter, zu der Paulus die Korinther drängt (2,7) und die Paulus selbst sehr taktvoll gewährt (2,10). In Korrektur einer Minderheit in Korinth, die auf eine noch härtere Bestrafung drängt (2,6), 116 beharrt Paulus in aller Deutlichkeit darauf, dass die Korinther dem Unrechttäter »vergeben und ihn trösten« sollen (2,7). Paulus ist sogar der Ansicht (2,9), dass die Bereitschaft der Korinther, dem Unrechttäter zu vergeben, ein »Test« ihrer richtigen Einstellung ist, und dass Vergebung nicht in ihr Belieben gestellt, sondern Ausdruck ihres Gehorsams ist. In einem mit großer Umsicht formulierten Satz (2,10) macht Paulus klar, dass er dem Unrechttäter bereits vergeben hat, und er gibt zu verstehen, dass die von den Korinthern geforderte Vergebung Teil des Versöhnungsprozesses ist. 117 Das paulinische Beharren auf Vergebung hat in der griechisch-römischen Literatur kaum Entsprechungen. Keine der philosophischen Schulen scheint ein großes Interesse an diesem Thema gehabt zu haben. 118 Die Stoiker lehrten, dass der Weise sich nichts aus erlittenen Kränkungen macht, was aber nicht heißt, dass er dem Vergeben zugeneigt wäre, würde dies doch der Forderung nach Gerechtigkeit widersprechen und im Ergebnis die Untat billigen. 119 In seiner Abhandlung De clementia fragt Seneca: »Warum wird ein Weiser nicht vergeben? «, und er erläutert: »Verzeihen ist ein Erlass der verdienten Strafe«. Da nun aber der Weise tut, was recht ist, wird er die Strafe für ein willentlich begangenes Vergehen nicht erlassen (Clem. 2,7,2). Seneca hält es zwar für statthaft, dass ein Weiser denjenigen verschont, der ihn beleidigt hat, und dass er versucht, ihn zu bessern, doch auch dann »wird er handeln, als habe er vergeben, aber er wird nicht vergeben, da doch, wer vergibt, damit einräumt, dass er versäumt hat, etwas zu tun, das getan werden muss« (Clem. 2,7,2.). 3. Coda Im Winter des Jahres 56 n. Chr. traf Paulus zu seinem dritten und letzten Besuch in Korinth ein. Wenn die Darstellung der Apostelgeschichte (20,3) zutrifft, blieb Paulus drei Monate in Korinth. Während dieser Zeit war Paulus Gast im Hause des Gaius (Röm 16,23). Die von Gaius gewährte Gastfreundschaft war, wie wir gezeigt haben, keine Frage der Zweckmäßigkeit. Vielmehr verdankte sie sich der etablierten sozialen Konvention, einen Versöhnungsvorgang zwischen zuvor einander entfremdeten Freunden zu vollenden und öffentlich kund zu tun. Man darf wohl versuchen sich vorzustellen, wie sich dies gestaltet haben könnte: Gab es Tränen und Umarmungen, die einen lang andauernden Konflikt lösten (2,4.7)? Paulus hatte »Brüder« aus Makedonien voraus geschickt, um die Dinge im Voraus zu arrangieren (9,3.5). War die ganze Versammlung der Christusgläubigen anwesend, um Augenzeugen der Versöhnung zu sein? Wie wichtig war Paulus’ Aussöhnung mit dem Unrechttäter Gaius? Die Bedeutung dieses Vorgangs bemisst sich an der visionären Qualität der paulinischen Gedanken und am ethischen Gehalt seines Handelns während seines Aufenthalts im Hause des Gaius, denn im Haus des Gaius hat Paulus seinen letzten und bedeutendsten Brief geschrieben, den Römerbrief (16,22f.). An eben diesem Ort hat er seinen wagemutigen Plan einer neuen Missionsinitiative im weit entfernten Spanien bekannt gegeben (Röm 15,13 f.28), und hier hat er auch den mutigen Schritt gewagt, die Kollektendelegation persönlich nach Jerusalem zu begleiten (Röm 15,25-27), obwohl er sich dadurch in Lebensgefahr brachte, und obwohl er damit rechnen musste, dass die Kollekte zurückgewiesen werden würde (Röm 15,30- 32). Die Aussöhnung des Paulus mit dem Unrechttäter und mit der ganzen korinthischen Gemeinde schaffte die psychologischen Voraussetzungen für die letzte und produktivste Phase im Leben des Paulus als Apostel Christi. Für wenige Monate des Jahres 56 n. Chr. muss Paulus in der Gewissheit gelebt haben, dass alle Dinge möglich sind, und dass über allen Verheißungen, die ihm gegeben waren, das »Ja« Gottes stand (2Kor 1,20). Anmerkungen 1 Ähnlich F. Young/ D.F. Ford, Meaning and Truth in 2 Corinthians, Grand Rapids 1987, 22. 2 C.K. Barrett, Ὁ ἈΔΙΚΗΣΑΣ (2 Cor. 7.12), in: O. Böcher/ K. Haacker (Hg.), Verborum Veritas, Wuppertal 1970, 149-157; M.E. Thrall, The Offender and the Offence: A Problem of Detection in 2 Corinthians, in: B.P. Thompson (Hg.), Scripture: Meaning and Method, Pickering 1987, 65-78; C.G. Kruse, The Offender and the Offence in 2 Corinthians 2: 5 and 7: 12, Evangelical Quarterly 88 (1988), 129-139. 3 Vgl. etwa K. Lake, The Earlier Epistles of St. Paul: Their Motive and Origin, London 1914, 169: »Wer war der Beleidiger und worin bestand die Kränkung? Dies eine ist sicher: Eine sichere Antwort kann nicht gegeben werden.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 40 - 3. Korrektur 40 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema 4 Vgl. schon D. Georgi, The Opponents of Paul in Second Corinthians, Philadelphia 1986, 339-340. 5 H. Windisch, Der zweite Korintherbrief (KEK 6), Göttingen 1924 (ND 1970), 8. Windischs Beobachtung wäre selbstredend noch einleuchtender, wenn man 2Kor 1,1- 2,13/ 7,5-16 mit Johannes Weiß und anderen einem ursprünglich eigenständigen Brief zurechnet; vgl. hierzu J. Weiss, The History of Primitive Christianity, 2 Bde., übers. von F. C. Grant, New York 1937, Bd. 1, 349 und L.L. Welborn, Like Broken Pieces of a Ring: 2Kor 1: 1- 2: 13; 7: 5-16 and Ancient Theories of Literary Unity, NTS 42 (1996), 559-583. Aber auch dann, wenn es sich um Teile eines längeren Briefes handelt, sind diese stilistischen Beobachtungen und ihre funktionale Zuordnung von Bedeutung. 6 Ps.-Liban. Ep. Char. 19; Text: A.J. Malherbe, Ancient Epistolary Theorists, Atlanta 1988, 68 f. 7 Zur Bedeutung der sozialen Funktion für die Gattungsbestimmung antiker Briefe vgl. S. K. Stowers, Social Typification and the Classification of Ancient Letters, in: P. Borgen/ J. Neusner (Hg.), The Social World of Formative Christianity and Judaism, Philadelphia 1988, 78-90. 8 Ps.-Liban. Ep. Char. 66. Text: Malherbe, Ancient Epistolary Theorists, 76-77. 9 Arist. Rhet. 2,2,8 f.15, 1379a; Plut. Mor. 460D-463C; Ps.-Liban. Ep. Char. 90; vgl. ebenso Seneca Quomodo amicitia continenda sit. 10 Beispiele versöhnender Briefe: Demosth. Ep. 2; Apollonius von Tyana Ep. 45; Mark Aurel bei Philostrat Vit. Soph. 2,1,562-563; Chion Ep. 16; Ps.-Arist. Ep. 5; Ps.-Eurip. Ep. 5; Chairemon an Apollonius, BGU II.531; Cic. Fam. 3,8; 5,2; 5,8. 11 Zu Anlass und Absicht des Briefes vgl. J. Goldstein, The Letters of Demosthenes, New York 1968, 37-63; 78-94; 157-166. 12 Goldstein, The Letters of Demosthenes, 161. 13 Philostrat Vit. Soph. 2,1,559-563 gibt die Hintergrundinformationen. Vgl. hierzu G. H. R. Horsley, An Imperial Appeal for Reconciliation, in: NDIEC 4 (1991), 83-87. 14 Vgl. etwa Dio Chrys. Or. 45,9. 10. 11.14; Or. 50,3.6. 9. 10. 15 Demosth. Ep. 2.8; vgl. Goldstein, The Letters of Demosthenes, 162. 16 Vgl. Demosth. Ep. 2,2; Dio Chrys. Or. 45,3. 9. 10; Mark Aurel bei Philostrat Vit. Soph. 2,1,563; Chairemon an Apollonius, BGU II.531,18-22; Ps.-Eurip. Ep. 5,2.6; Ps.- Arist. Ep. 5,10-13. 17 D.F. Epstein, Personal Enmity in Roman Politics 218-43 BC, London 1987, 5-11; 13; 15; 18; 86; J. Hall, Politeness and Politics in Cicero’s Letters, Oxford 2009, 71-76. 18 Epstein, Personal Enmity, 5; Hall, Politeness and Politics, 71. 19 B. Rawson, The Politics of Friendship, Sydney 1978, 11- 13; Epstein, Personal Enmity, 5. 20 Cic. Fam. 1,9,20. Zu Ciceros intensiver Abneigung gegenüber Crassus, vgl. Att. 4,13,2; Off. 1,109; 3,75. 21 Cic. Fam. 1,9,20; vgl. Hall, Politeness and Politics, 137 f. 22 Plut. Cic. 26,1. 23 Plut. Cic. 26,2. 24 BGU I,248; vgl. B. Olsson, Papyrusbriefe aus der frühesten Römerzeit, Uppsala 1925, 122. 25 BGU I,248. 26 Text und Kommetar: R. Penella, The Letters of Apollonius of Tyana. A Critical Text with Prolegomena, Translation and Commentary, Leiden 1979, 48-51; 54-57; 62-65; 76- 79; 108-109; 113-14; 118; 128. 27 Philostrat Vit. soph. 2,1,562-563. 28 Es muss betont werden, dass es sich hierbei um eine Hypothese handelt, die ihre Stichhaltigkeit aus der erkennbaren Orientierung des Paulus an für Freundschaft, Feindschaft und Versöhnung maßgeblichen sozialen und rhetorischen Konventionen bezieht. Es ist möglich, dass die Gastfreundschaft, die Paulus während seines letzten Besuches in Korinth bei Gaius genossen hat, in keinem Zusammenhang zu der vorherigen Geschichte von Konflikt und Versöhnung steht. In diesem wie in vielen anderen Fällen ist ein historischer Beweis nicht möglich. Hier geht es darum, den konventionellen Rahmen darzustellen, der die vorgeschlagene Identifikation plausibel erscheinen lässt. 29 P. Lampe, Paul, Patrons, and Clients, in: J.P. Sampley (Hg.), Paul in the Greco-Roman World, Harrisburg 2003, 496. 30 P. Lampe, From Paul to Valentinus: Christians at Rome in the First Two Centuries, Minneapolis 2003, 192. 31 S.J. Friesen, Poverty in Pauline Studies: Beyond the Socalled New Consensus, JSNT 26 (2004), 323-361, hier: 356. 32 Diese Beobachtung hätte selbstredend größeres Gewicht, wenn es sich, wie einige Forscher vorgeschlagen haben, bei den Kapiteln 10-13 um den in 2Kor 2,3 f. erwähnten »Tränenbrief« handelt; vgl. A. Hausrath, Der Vier-Capitel-Brief des Paulus an die Korinther, Heidelberg 1870; F. Watson, 2 Cor. X-Xiii and Paul’s Painful Letter to the Corinthians, JTS 35 (1984), 324-46; L.L. Welborn, The Identification of 2 Corinthians 10-13 with the ‘Letter of Tears’, NT 37 (1995), 138-153. 33 So zutreffend Windisch, Der zweite Korintherbrief, 314. 34 L.L. Welborn, Paul’s Caricature of His Chief Rival as a Pompous Parasite in 2 Corinthians 11: 20, JSNT 32 (2009), 39-56. 35 Windisch, Der zweite Korintherbrief, 300. 36 Dieser Aspekt kommt in einer Textvariante des Codex Vaticanus (dokei pepoithenai) stärker zum Ausdruck; vgl. die Diskussion dieser Variante bei Windisch, Der zweite Korintherbrief, 302. 37 Windisch, Der zweite Korintherbrief, 300, 302; V. Furnish, II Corinthians: A New Translation with Introduction and Commentary (AB 32a), New York, NY [u. a.] 1984, 466. 38 Windisch, Der zweite Korintherbrief, 300. 39 A. Lindemann, Paulus und die korinthische Eschatologie. Zur These von einer ‚Entwicklung‘ im paulinischen Denken, NTS 37 (1991), 373-399; H.D. Betz, Galatians: A Commentary on Paul’s Letter to the Galatians, Philadelphia 1979, 201; J. Weiss, Der erste Korintherbrief (KEK 5), Göttingen 9 1910, 88-92. Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 41 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 41 Laurence L. Welborn Paulus und der »Unrechttäter« des 2. Korintherbriefes 40 W. Schrage, Der gekreuzigte und auferweckte Herr, ZThK 94 (1997), 25-38; T.K. Heckel, Der Gekreuzigte bei Paulus, BZ 46 (2002), 190-210. 41 U. Schnelle, Wandlungen im paulinischen Denken, Stuttgart 1989, 49-54. 42 Heckel, Der Gekreuzigte bei Paulus, 196-200. 43 L.L. Welborn, Paul, the Fool of Christ: A Study of 1 Corinthians 1-4 in the Comic-Philosophic Tradition, London 2005, 22-23; 103. 44 Welborn, Paul, the Fool, 147-148; 230. 45 Vgl. Jerry L. Sumney, Identifying Paul’s Opponents: The Question of Method in 2 Corinthians, Sheffield 1990, 15-48. 46 Windisch, Der zweite Korintherbrief, 300. 47 So etwa die King-James-Bibel und die New Revised Standard Version, zusammen mit vielen Kommentaren und Monographien. 48 So übersetzen A. Menzies, The Second Epistle of the Apostle Paul to the Corinthians, London 1912, 73, C.K. Barrett, A Commentary on the Second Epistle to the Corinthians, New York 1973, 260 und C. Roetzel, 2 Corinthians, Nashville 2007, 100. 49 Windisch, Der zweite Korintherbrief, 305. 50 So Furnish, II Corinthians, 468. 51 M. Thrall, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians, Bd. 2, Edinburgh 2004, 630 (Anm. 249). Vgl. auch M.M. Mitchell, The Corinthian Correspondence and the Birth of Pauline Hermeneutics, in: T.J. Burke/ J.K. Elliott (Hg.), Paul and the Corinthians: Studies on a Community in Conflict, Leiden 2003, 30; 33: »Das Subjekt von φήσιν in 10,10 kann als identisch mit ὁ ἀδικήσας in 7,12 angesehen werden, zugleich derjenige, ›der betrübt hat‹ in 2,5.« 52 B.W. Winter, Philo and Paul among the Sophists: Alexandrian and Corinthian Responses to a Julio-Claudian Movement, Grand Rapids 2002, 204-223. 53 Vgl. Thrall, Second Epistle, Bd. 2, 630, die diese Kritik einem »Repräsentanten der rivalisierenden Mission« zuschreibt und hinzufügt: »Dies erfordert die Annahme, dass der Betreffende sich während des Zwischenbesuches des Paulus in Korinth aufhielt.« 54 C. F. G. Heinrici, Der zweite Brief an die Korinther (KEK 6), Göttingen 8 1900, 329-330; P. Marshall, Enmity in Corinth: Social Conventions in Paul’s Relations with the Corinthians, Tübingen 1987, 384-393; Winter, Paul among the Sophists, 204-221. 55 Dion. Hal. Comp. 11; Thuk. 23, 55; Pomp. 3; Dem. 34. 56 Ps.-Longin. Subl. 34. Vgl. auch Demetr. Eloc. 245, 248, 253, 270, 280, 283 und Dion. Hal. Dem. 21 f. 57 So aber Winter, Paul among the Sophists, 212. 58 J. Martin, Antike Rhetorik. Technik und Methode, München 1974, 351-356. 59 Quint. Inst. 11,3,12 f. 60 Demetr. Eloc. 240. 61 Plut. Dem. 7,4. 62 Vgl. etwa BGU IV.1117,31; PMich. 477,23; Vit. Aesop. G80,60; W77b,96,37, 97,2. Vgl. auch Ps.-Kallisthenes 72,19; Ps.-Plut. Mor. 308E; 310C. 63 Dion. Hal. Comp. 3; Demetr. Eloc. 4; Ps.-Longin. Subl. 3. 64 1Thess 5,20; 1Kor 1,28; 6,4; 16,11; Gal 4,14; 2Kor 10,10; Röm 14,3.10. 65 Windisch, Der zweite Korintherbrief, 307. 66 Vgl. H. W. Merritt, In Word and Deed: Moral Integrity in Paul, New York 1993, 112-115. 67 E. Käsemann, Die Legitimität des Apostels. Eine Untersuchung zu II Korinther 10-13, ZNW 41 (1942), 33-71; G. Strecker, Die Legitimität des paulinischen Apostolates nach 2 Korinther 10-13, NTS 38 (1992), 566-586. 68 Ähnlich Mitchell, The Corinthian Correspondence and the Birth of Pauline Hermeneutics, 31. 69 G. Delling, Art. πλεονεκτέω, TDNT 6 (1968), 266-274. 70 Windisch, Der zweite Korintherbrief, 403; Delling, πλεονεκτέω, 273; Thrall, Second Epistle, Bd. 2, 853, 856 f. 71 A. Plummer, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle of St. Paul to the Corinthians, Edinburgh 1915, 364; Windisch, Der zweite Korintherbrief, 403. 72 Zur Hypothese, dass Paulus den Korinthern vor der Abfassung des 2Kor einen zweiten Besuch abgestattet hat, vgl. Plummer, Second Epistle, 371; Windisch, Der zweite Korintherbrief, 77f.; 398f.; Furnish, II Corinthians, 140; 557 f. 73 Barrett, Second Epistle, 324; H.D. Betz, 2 Corinthians 8 and 9: Two Administrative Letters of the Apostle Paul, Philadelphia 1985, 77. 74 So bereits Betz, 2 Corinthians 8 and 9, 97: »Paulus erwähnt den Vorwurf [der πλεονεξία] nicht bloß rhetorisch, sondern mit Bezug auf eine Anschuldigung, die jemand in Korinth gegen ihn erhoben hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach derjenige, den Paulus in 2Kor 7,12 den ›Unrechttäter‹ (ὁ ἀδικήσας) nennt.« 75 Weiss, Primitive Christianity, Bd. 1, 343. 76 Zum Pathos der paulinischen Formulierung vgl. L. L. Welborn, Paul’s Appeal to the Emotions in 2 Corinthians 1: 1-2: 13; 7: 5-16, JSNT 82 (2001), 31-60. 77 D.E. Fredrickson, Paul, Hardships, and Suffering, in: J.P. Sampley (Hg.), Paul in the Greco-Roman World, Harrisburg 2003, 172-197, hier: 181 f. 78 Weiss, Primitive Christianity, Bd. 1, 345 f. 79 J.T. Fitzgerald, Paul and Paradigm Shifts: Reconciliation and Its Linkage Group, in: Troels Engberg-Pedersen (Hg.), Paul Beyond the Judaism/ Hellenism Divide, Louisville 2001, 241-262. 80 Text und Übersetzung von G. Milligan, Selections from the Greek Papyri, Cambridge 1910, 93-95. Vgl. auch PMich. VIII.502; PGiss. 17. 81 Hall, Politeness and Politics, 71-76. 82 Hall, Politeness and Politics, 74-75. 83 Zur Übersetzung vgl. William Barclay, The New Testament: A New Translation, 2 Bde., London 1969, hier: Bd. 2, 72. 84 C.S. Spicq, Theological Lexicon of the New Testament 2, Peabody 1994, 262. 85 Vgl. etwa PMich. VIII.502,7-8; BGU III.846; PGiss. 17,7-8. Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 42 - 3. Korrektur 42 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema 86 Vgl. etwa PMich. VIII.502,8-9. 87 Ps.-Liban. Ep. Char. 66. 88 Olsson, Papyrusbriefe aus der frühesten Römerzeit, 120. 89 Philostrat Vit. Soph. 2,1,562-563. 90 Dass sich die Abfolge von Emotionen in 7,11 nicht einer zufälligen Zusammenstellung verdankt, wird daran deutlich, dass sie aus exakt sieben Termini besteht, die alle durch ein anaphorisches alla verbunden werden. Vgl. hierzu Windisch, Der zweite Korintherbrief, 234. 91 Vgl. etwa den Wechsel von boulomai zu bouleuomai in 1,15-17 und die subtile Ersetzung von chara durch charis in 1,15. 92 Um nur die neuesten Beiträge zu nennen: J. Sihvola/ T. Engberg-Pedersen (Hg.), The Emotions in Hellenistic Philosophy, Dordrecht 1998; R. Sorabji, Emotions and Peace of Mind: From Stoic Agitation to Christian Temptation, Oxford 2000; M.R. Graver, Stoicism and Emotion, Chicago 2007; J.T. Fitzgerald, Passions and Moral Progress in Greco-Roman Thought, London 2008. 93 T. Tieleman, Chrysippus’ On Affections: Reconstruction and Interpretation, Leiden 2003. 94 Cic. Tusc. 3,13,27. Übersetzung: Cicero, Gespräche in Tusculum. Übersetzt und mit einer Einführung und Erläuterungen versehen von O. Gigon, München 1991, 150 f. 95 D. Aune, Mastery of the Passions: Philo, 4 Maccabees and Earliest Christianity, in: W.E. Helleman (Hg.), Hellenization Revisited: Shaping a Christian Response within the Greco-Roman World, New York 1994, 125-58. 96 Graver, Stoicism and Emotion, 51-55, 203-204. 97 Cic. Tusc. 4,6,12-14. 98 Dio Chrys. Or. 16,1. 99 Dio Chrys. Or. 16,4. 100 Graver, Stoicism and Emotion, 53-55; 194; 204. 101 Seneca De Cons. Sap. 2,1,3; Ben. 2,25,2. 102 Cic. Tusc. 4,6,14. 103 Dio Chrys. Or. 16,1. 104 Plat. Apol. 41E. 105 Plat. Apol. 23B. 106 Cic. Tusc. 3,32,77. Übersetzung: Cicero, Gespräche in Tusculum. Übersetzt und mit einer Einführung und Erläuterungen versehen von O. Gigon, München 1991, 172. 107 Cic. Tusc. 3,31,74 f. 108 Cic. Tusc. 3,32,77; vgl. die Analyse der Episode von den »Tränen des Alkibiades« bei Graver, Stoicism and Emotion, 191-211. 109 Plut. Mor. 55C. Übersetzung: Plutarch, Moralia, hg. von Chr. Weise und M. Vogel, Wiesbaden 2012, Bd. 1, 106. 110 Epikt. Diatr. 3,23,30. 111 Ps.-Hippokrates Ep. 17,45. 112 Plut. Mor. 47A. Übersetzung: Plutarch, Moralia, hg. von Chr. Weise und M. Vogel, Wiesbaden 2012, Bd. 1, 93. 113 Diogenes Laertius 7,119. 114 C. Breytenbach, ’Christus starb für uns’. Zur Tradition und paulinischen Rezeption des sogenannten Sterbeformeln, NTS 29 (2003), 447-475. 115 Graver, Stoicism and Emotion, 213-220, unter Hinweis auf Cic. Tusc. 4,66 and Epikt. Diatr. 2,1,1-7. 116 Plummer, Second Epistle, 87. 117 Windisch, Der zweite Korintherbrief, 90 f. 118 C. Griswold, Platon and Forgiveness, Ancient Philosophy 27 (2007), 269-287; D. Konstan, Remorse, Repentance and Forgiveness in the Classical World, Phoenix 62 (2008), 243-254. 119 Konstan, Remorse, Repentance and Forgiveness, 247 (unter Hinweis auf Stobaios 2,91,10).