eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 19/38

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2016
1938 Dronsch Strecker Vogel

Der Zweite Korintherbrief – ein Brief über Versöhnung

2016
Ivar Vogel
Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 13 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 13 1. Einleitung Charakteristisch für den Zweiten Korintherbrief ist eine Spannung zwischen versöhnlichen Passagen in einem milden und freundlichen Ton einerseits (v. a. 2Kor 7,4 und 7,5-16) und anderen, die Aussöhnung einfordern (6,11-13; 7,2-3), sei es in vernehmlicher Apologetik (2,14-6,10) oder mit Drohungen und Polemik (v. a. Kap. 10-13). In der Forschung wurde diese Spannung oft durch Teilungshypothesen aufgelöst: Man betrachtet dann den kanonischen 2Kor als Zusammenstellung mehrerer Briefe oder Brieffragmente. Denn, so wird argumentiert, Krieg und Frieden kann es nicht in ein und derselben Situation geben. Zunehmend argumentieren Forscher gleichwohl für die literarische Einheitlichkeit des 2Kor. Zwei Argumentationslinien werden hierbei vorrangig vertreten: Einige Forscher sind der Auffassung, zwischen Kap. 1-9 und 10-13 sei eine veränderte Situation festzustellen, d. h. Paulus hätten entweder neue Informationen aus Korinth erreicht, oder aber er hätte seine Einstellung geändert. Dies soll die unterschiedliche Tonlage in Kap. 1-9 und 10-13 erklären. Im Zuge aufkommender rhetorischer Ansätze in der Paulusforschung sehen dies andere Forscher primär als textpragmatisches Phänomen und somit nicht als aktuelles Stimmungsbild der Beziehung zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde in unterschiedlichen Phasen. Mein Buch 2 Corinthians-- A Letter about Reconciliation: A Psychagogical, Epistolographical and Rhetorical Analysis gehört in diese zweite Kategorie. 1 Meine These lautet, dass Paulus in Übereinstimmung mit den antiken Popularphilosophen (Psychagogik als Kunst der Seelenführung), 2 Brief-Autoren (Epistolographie) 3 und Rhetoren 4 idealisiertes Lob in ermahnender Absicht verwendete, besonders in 7,5-16, sowie Anschuldigungen und Drohungen zum Zweck der Korrektur, besonders in Kap. 10-13. Ziel ist dabei durchweg die volle Versöhnung zwischen den Korinthern und Paulus als ihrem Apostel. Der Zweite Korintherbrief ist mithin als literarische Einheit anzusehen. 2. Das Problem: Einige weitere Beobachtungen Der Zweite Korintherbrief besteht aus mehreren klar voneinander abgegrenzten Einheiten. Eine davon ist 1,1-2,13/ 7,5-16. Der paulinische Reisebericht in 2,12 f. wird nämlich abrupt unterbrochen und erst in 7,5 wieder aufgenommen. Innerhalb dieses Abschnitts geht es in 2,5-11 und 7,5-16 um den Konflikt mit jemandem, der »betrübt hat« (2,5) und einem, der »Unrecht getan hat« (7,12). Wir nennen ihn fortan den »Beleidiger«. 7,5-15 feiert in höchsten Tönen die Versöhnung zwischen den Korinthern und Paulus. 2,14-7,4 ist ein anderer Abschnitt. Die Eingangsverse 2,14-17 haben die Funktion einer (erneuten) Danksagung, ähnlich anderen paulinischen Prooemien (Röm 1,8-15; 1Kor 1,4-9; 2Kor 1,3-11). Im weiteren Verlauf geht es um Kritik an externen Gegnern (2,17; 3,1; 4,2; 5,12) und um eine Apologie des paulinischen Apostolats. Der Abschnitt endet mit einem Appell zur Versöhnung mit Gott (5,11- 21) und mit Paulus (6,11-13 und 7,2-3). Innerhalb von 2,14-7,4 nimmt 6,14-7,1 nach Vokabular und Inhalt eine Sonderstellung ein. Die Kapitel 8 und 9, die mit der Kollekte für die Armen in Jerusalem befasst sind, sind thematisch eigenständig. Jedes Kapitel ist bedeutsam als eigenständige Texteinheit. Viele Forscher stellen fest, dass der Ton in Kap. 10- 13 wesentlich schärfer und barscher ist als in den ersten neun Kapiteln. Paulus kritisiert nicht nur externe Gegner (10,12-18; 11,3-6; 11,7-15.18-23), sondern er kritisiert auch die Korinther (11,4.19-21a; 12,11.20; 13,5), und er droht ihnen sogar Strafe an (10,2b-6.11; 12,20; 13,2-4). Nach Struktur, Form, Inhalt und Ton unterscheiden deshalb die meisten Forscher, auch diejenigen, die für eine literarische Einheit votieren, folgende Abschnitte: (A) 1,1-2,13/ 7,5-16; (B) 2,14-7,4; (C) Kap 8-9; (D) Kap. 10-13; (E) 6,14-7,1. Unterschiedliche Teilungshypothesen, die die Spannung zwischen Versöhnung und einem freundlichen Ton einerseits und einem andauernden Konflikt andererseits, der in einem harschen Ton ausgetragen wird, auszugleichen versuchen, setzen voraus, dass zumindest einige dieser Abschnitte Fragmente von ursprünglich unabhängigen Briefen darstellen. Namentlich anhand des unterschied- Ivar Vegge Der Zweite Korintherbrief - ein Brief über Versöhnung Eine psychagogische, epistolographische und rhetorische Analyse Zum Thema Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 14 - 3. Korrektur 14 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema Keine dieser Teilungshypothesen kann die Spannung auflösen, die durch die genannten unterschiedlichen lichen Tonfalls in diesen Abschnitten werden mehrere chronologische Abfolgen angenommen. Prof. Dr. Ivar Vegge (*1965), 2001 Doktor der Theologie an der Norwegian School of Theology, Oslo, 2002-2006 Associate Professor für Neues Testament am Mekane Yesus Theological Seminary, und an der Ethiopian Graduate School of Theology, Addis Abeba, 2006-2008 Associate Professor für Neues Testament (Adjunct) am Ansgar University College und am Theological Seminary, Kristiansand, Norway, 2008- 2010 Associate Professor für Neues Testament an der University in Agder, Kristiansand, Norway. Seit 2010 Associate Professor für Neues Testament am Fjellhaug University College, Oslo. Wichtige Veröffentlichung: Ivar Vegge, 2 Corinthians - A Letter about Reconciliation: A Psychagogical, Epistolographical and Rhetorical Analysis, WUNT II/ 239, Tübingen 2008. Prof. Dr. Ivar Vegge Chronologie Semler-Windisch- Hypothese Hausrath-Kennedy- Hypothese Weiss-Bultmann- Hypothese Schmithals-Bornkamm-Hypothese 1. Korintherbrief 1. Korintherbrief 2,14-6,13/ 7,2-4 vgl. 2Kor 2,1 u. a. Zwischenbesuch und Konflikt »Tränenbrief« (vgl. 2Kor 2,4) verloren (oder 1Kor) 2Kor 10-13 2Kor 2,14-6,13/ 7,2- 4/ 10-13 2Kor 10-13 vgl. 2Kor 7,5 ff. Paulus trifftTitus in Makedonien 2Kor 1-7/ 8/ 9 2Kor 1-8/ 9 »Versöhnungsbrief« 2Kor 1,1-2,13/ 7,5-16 »Versöhnungsbrief« 2Kor 1,1-2,13/ 7,5-16 erneuter Konflikt 2Kor 10-13 Besuch des Paulus und Durchführung der Kollekte Teile der korinthischen Korrespondenz in 2Kor 2/ 3 2/ 3 2/ 3 3/ 4/ 5 Tabelle: Briefteilungshypothesen Tonlagen erzeugt wird. In allen Teilen des 2Kor bringt Paulus seine Hoffnung und sein Zutrauen zu den Korinthern zum Ausdruck (1,13b-14; 2,3b; 5,11; 7,4. 14. 16; 8,5; 7,22b.24; 9,1-2; 10,15b; 13,6), auch wenn einige dieser Aussagen optimistischer sind als andere. Besonders bemerkenswert ist das Ende des apologetischen Abschnitts 2,14-7,4. Er schließt mit einem intensiven Appell zur Versöhnung mit Paulus in 6,11-13 und 7,2 f., fährt dann aber in 7,4 fort mit den Worten »Groß ist mein Freimut euch gegenüber, groß ist mein Stolz auf euch; ganz getröstet bin ich und voll überschäumender Freude in all unserer Bedrängnis«. 5 Diese Vertrauensbekundung in 7,4a und der Lobpreis in 7,4b wird nur noch vom überschwänglichen Lob der Aussöhnung in 7,5-16 erreicht, das mit der Vertrauensäußerung in 7,16 schließt. Der Abschnitt 1,1-2,13/ 7,5-16 beschreibt in seinem Schlussteil die Aussöhnung zwischen den Korinthern und Paulus: »Wie viel Einsatz hat dies […] bei euch ausgelöst, ja Bereitschaft zur Entschuldigung, Entrüstung, Gottesfurcht, Sehnsucht, Eifer, Willen zu gerechter Bestrafung. In allem habt ihr euch in der Sache als schuldlos erwiesen« (7,11). Aufgrund dieser und anderer Textbeobachtungen (mehr dazu gleich) wurde oft die Auffassung vertreten, dass 7,5-16 die volle Aussöhnung zwischen Paulus und den Korinthern widerspiegelt. Verglichen mit diesem Passus erstaunt es, dass in 2,6 lediglich »die Mehrheit« der Korinther für Paulus Partei ergriffen und »den Beleidiger« bestraft hat (auch hierzu gleich mehr). Nun sind aber 2Kor 2,5-11 und 7,5-16 Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 15 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 15 Ivar Vegge Der Zweite Korintherbrief - ein Brief über Versöhnung zwei Texte, die nicht auf verschiedene Brieffragmente verteilt werden können. Die Spannung zwischen einem anhaltenden Konflikt in 2,5-11 und dem Eindruck einer völligen Aussöhnung in 7,5-16 wird dann sehr augenfällig. Der Konflikt ist in 1,1-2,13 noch nicht behoben, im Widerspruch zu 7,5-16. Dies schlägt sich auch in der paulinischen Apologie für die Absage seines geplanten Besuches (1,15-24) und in der Zurückweisung des Vorwurfs der Falschheit (1,12-13.17; vgl. 10,1b.10) nieder. In Kap. 10-13 beginnt Paulus mit den Worten »Ich selbst aber, Paulus, ermahne euch bei der Sanftmut und Freundlichkeit Christi« (10,1a). Was jedoch folgt, sind Kritik und Drohungen an die Adresse der Korinther. Dieser Widerspruch ist sonderbar. Kap. 13 wiederum endet in einem Ton der Milde und Freundlichkeit. Nach einer kraftvollen Apologie für seinen apostolischen Dienst führt Paulus aus, dass es keine Rolle spiele, ob er als einer dasteht, der »nichts taugt«, solange die Adressaten »nichts Böses tun« und »vollkommen werden« (13,7-9), denn seine Vollmacht dient »zur Erbauung und nicht zur Zerstörung« (13,10). In der Konsequenz vermag keine Teilungshypothese die Spannung zwischen Aussöhnung und einer freundlichen und optimistischen Tonlage einerseits und dem barsch und kritisch adressierten Konflikt andererseits dadurch zu beheben, dass man den Zweiten Korintherbrief in unterschiedliche Brieffragmente teilt. Nach meiner Auffassung ist es viel schwieriger, den überaus optimistischen Ton und den Eindruck einer vollständigen Aussöhnung in 7,5-16 beim Wort zu nehmen und ihn irgendeinem anderen Abschnitt des Briefes zuzuordnen als den Wechsel zu einer kritischeren Tonlage in Kap. 10-13 zu erklären. Deshalb werde ich in diesem Beitrag ein besonderes Augenmerk auf den Abschnitt 2Kor 7,5-16 legen. 3. Idealisiertes Lob in ermahnender Absicht Um zu zeigen, wie tiefgreifend mein Ansatz das Verständnis von 2Kor 7,5-16 bestimmt, komme ich zunächst auf einige grundlegende Aspekte des Lobes zu sprechen, die in den meisten Gesellschaften und Kulturen geläufig sind. 3.1 Zur Pragmatik des Lobes: Einige grundlegende Aspekte Wenn eine mehr oder weniger große Übereinstimmung zwischen den ehrenvollen Gegebenheiten und ihrer (lobenden) Beschreibung besteht, sagt man, dass einer Person oder einer Sache gerechtes und echtes Lob widerfährt. Stehen die Gegebenheiten aber dazu in Widerspruch, wissen Redner und Publikum intuitiv, dass das Lob ironisch und/ oder sarkastisch aufzufassen ist. Lob wird dann zu einem Modus der Kritik. Insofern ist ironisches bzw. sarkastisches Lob auf eigene Weise »wahr«. Besteht keine volle Übereinstimmung zwischen den Gegebenheiten und ihrer Beschreibung, kann Lob unterschiedliche Funktionen und Ziele haben, entsprechend der Situation und den Motiven des Sprechers bzw. Schreibers. (a) Man spricht von Schmeichelei, wenn das Ziel darin besteht, dem Adressaten der Lobrede zu gefallen und daraus einen persönlichen Vorteil zu ziehen. Schmeichelei ist mithin eine Weise der Manipulation. Solches Lob ist unecht und moralisch verwerflich. (b) Lob ist ermahnend, wenn es zum Ziel hat, bei dem mit Lob Bedachten ein Bewusstsein für eine Verpflichtung im Blick auf die als ideal beschriebene moralische Situation zu erzeugen. Wenn Sprechende und Hörende idealisiertes Lob im Kontext ernstlicher Ermahnung verstehen, handelt es sich um genuine Anleitung mit einem ihr eigentümlichen Wahrheitsgehalt. Gemeinsam ist dem ironischen bzw. sarkastischen, dem schmeichelnden und dem ermahnenden Lob, dass sich seine Bedeutung nicht auf der wortwörtlichen, sondern auf der tieferen Ebene erschließt. Solche Kommunikation kann mit spezifischen rhetorischen Merkmalen und Effekten einhergehen. Allen drei Formen des Lobes ist die Gefahr des Missverständnisses zu eigen, wenn es wortwörtlich verstanden wird. Zwei Faktoren sind hier zu nennen: (a) Menschliche Kommunikation findet üblicherweise auf der wortwörtlichen Ebene statt. Das wörtliche Verständnis scheint das intuitiv nächstliegende zu sein. So haben etwa Kinder zunächst Schwierigkeiten, Ironie zu verstehen. (b) Menschen streben danach, gelobt zu werden, zumal in Ehre-Schande-Gesellschaften der griechisch-römischen Antike, und sind deshalb anfällig für Schmeichelei. Sie tendieren dazu, überhöhtes Lob als echtes Lob anzunehmen. Alle diese Themen wurden in der hellenistischen Rhetorik und Psychagogik thematisiert, und in gewissem Grade auch in der Epistolographie. Da Paulus an hellenisierte Adressaten schreibt, Römer, Griechen, Juden und andere, ist der historische und kulturelle Hintergrund antiker Rhetorik, Psychagogik und Epistolographie besonders erhellend und relevant für den Gebrauch von mahnendem idealisiertem Lob in 2Kor 7,5-16. Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 16 - 3. Korrektur 16 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema 3.2 Mahnender Gebrauch von idealisiertem Lob in Rhetorik, Psychagogik und Epistolographie Antike rhetorische Handbücher fußten auf einer Dreiteilung der Rhetorik in dikanische (Verteidigung und Anklage), deliberative (politische Rede) und epideiktische (Lob und Tadel) Redegattungen. Da die epideiktische Rede viel mit der Schmeichelrede gemein hat, wurde sie schon in der Antike, aber auch später einer scharfen Kritik unterzogen. Schon Platon parodiert die epideiktische Rede in Gestalt des Sokrates, der Grabreden anhört und danach einige Tage verwirrt umherläuft, weil er nicht mehr weiß, wo er ist: Unter dem Eindruck des Gehörten denkt er, er sei auf der Insel der Seligen. 6 Weder Aristoteles noch Cicero haben in ihren Rhetorik-Lehrbüchern eine hohe Meinung von der epideiktischen Rede. Aber moderne Theoretiker wie etwa G.A. Kennedy meinen, dass die aristotelische Definition der epideiktischen Rede zu eng ausfällt: Tatsächlich sind ihre Funktionen viel komplexer, denn die im Lob angesprochenen Ideale werden in der Realität selten erreicht. Ironisches Lob kann auf subtile Weise Fehlverhalten ansprechen. Öfter noch kann der Redner Werte lobend hervorheben in der Erwartung, dass das Publikum sich dieselben zu eigen macht. Isokrates, der diese Form des Lobes in seinen Reden wie auch in seinem Unterricht verwendet hat, scheint dies klarer gesehen zu haben als Aristoteles. 7 D.A. Sullivan resümiert seine Untersuchung zahlreicher epideiktischer Reden wie folgt: »Ein erfolgreiches epideiktisches Unterfangen ist eines, bei dem der Rhetor innerhalb seiner Kultur als reife Persönlichkeit auftritt und eine ästhetische Vision geltender Werte erschafft, ein Beispiel (paradeigma) der Tugend, das zum Nacheifern anreizt und zum Vorbild für künftiges Handeln dient. Epideiktische Rede dient der Unterweisung des Publikums. Sie lädt dazu ein, gemeinsam die Tradition in Ehren zu halten, und schafft damit ein Gemeinschaftsbewusstsein.« 8 Verglichen mit Aristoteles nimmt das epideiktische Redegenus bei Quintilian und in der Rhetorica ad Herennium einen wesentlich breiteren Raum ein. Auch hier ist jedoch nicht leicht zu entscheiden, ob mit epideiktischer Rhetorik als solcher eine mahnende Absicht einhergeht (so Kennedy und Sullivan), oder ob sie innerhalb der von Aristoteles definierten Gattungsgrenzen lediglich für solche Zwecke verwendbar ist. Da mehrere Gattungsmerkmale epideiktischer Reden in 2Kor 7,5-16 fehlen (etwa Personenmerkmale wie Herkunft, Erziehung, physische Attribute, Charaktereigenschaften), dürfte die epideiktische Rhetorik nicht die wichtigste Vergleichsgröße für diesen Textabschnitt sein, sie ist aber dennoch einschlägig, weil sie (1) einen klaren Begriff von der Differenz zwischen Bedeutung (idealisiertes Lob) und Funktion (mahnend) hat, weil sie (2) das schwierige Verhältnis von echter moralischer Anleitung und Schmeichelei reflektiert, und weil sie (3) deutlich macht, dass idealisiertes Lob für gewöhnlich in mahnender Absicht formuliert wurde. Wenn wir uns den Popularphilosophen und ihrer Tradition der »Seelenführung« (Psychagogik) zuwenden, stellen wir fest, dass die in mahnender Absicht formulierte Lobrede weithin geläufig war. Plutarch beschreibt die positive Funktion des Lobes wie folgt: Es »veranlasst in dem Andern auch einen Wetteifer mit sich selbst, weil er bei der Erinnerung an das Lobenswerte des Schimpflichen sich schämt, und im Guten sich selbst zum Muster nimmt« (Moralia 72D). 9 Lob adressierte man bevorzugt an Personen, die bereits einen moralischen Fortschritt erkennen ließen. Das folgende Zitat stammt vom Kirchenvater Klemens von Alexandrien, der sich mit seinem Paidagogos klar in die psychagogische Tradition der Popularphilosophen einreiht. Das abschließende Sprichwort zeigt, wie verbreitet die Auffassung vom (idealisierten) Lob als Mittel der Mahnung gewesen sein muss: »Ich […] behaupte […], dass Lob oder Tadel oder etwas, das Lob und Tadel gleicht, die allernotwendigsten Heilmittel für die Menschen sind. Schwer zu Heilende werden wie das Eisen mit Feuer und Hammer und Amboss, das heißt mit Drohung, Zurechtweisung und Strafe, bearbeitet; die anderen aber, die dem Glauben selbst ergeben sind, werden als solche, die von sich selbst aus und infolge freien Entschlusses etwas gelernt haben, durch das Lob gehoben und gefördert. Denn wenn die Tugend gelobt wird, gedeiht sie wie ein Baum.« 10 Wegen der Ähnlichkeit zwischen Schmeichelei und echter moralischer Anleitung beim idealisierten Lob ist dasselbe in einigen klassischen Texten ein viel diskutiertes Thema. 11 Die Popularphilosophen distanzierten sich häufig ausdrücklich von illegitimen Schmeichlern und betonten ihre eigene Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit als moralische Autoritäten, Paulus nicht unähnlich: »Denn wir sind damals bei euch, wie ihr wisst, weder mit Schmeichelreden aufgetreten noch mit heimlicher Habgier […], noch haben wir Ehre und Anerkennung von Menschen gesucht, sei es von euch oder von anderen […]. Wir konnten unter euch sein wie arglose Kinder. Und wie eine Amme ihre Kinder hegt« (1Thess 2,5-8). 12 Auf dem Feld der antiken Epistolographie haben Forscher wie A.J. Malherbe gezeigt, dass die Brief-Hand- Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 17 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 17 Ivar Vegge Der Zweite Korintherbrief - ein Brief über Versöhnung bücher des Ps.-Demetrios und Ps.-Libanios weniger Sammlungen von Musterbriefen waren, als vielmehr eine Zusammenstellung stilistischer Beispiele für unterschiedlichste Gelegenheiten des Briefschreibens, die je ihre eigenen Tonlagen verlangten. 13 Ps.-Demetrios und Ps.-Libanios machen vom Lob in mahnender Absicht reichen Gebrauch, ebenso von Vorwurf und Drohung als Mittel der Korrektur. Für unser Thema ist Ps.-Demetrios’ Typus des »Lob-Briefes« von besonderem Interesse: »Es handelt sich um einen lobenden Brief, wenn wir jemanden, in dem, was er getan oder zu tun sich vorgenommen hat, in dieser Weise ermutigen: ›Ich bin nämlich schon früher, wenn du (mir) Briefe schriebst, deiner Liebe zum Schönen teilhaftig geworden, und nun hat dein Tun mein Wohlwollen, und ich ermutige dich darin, denn es wird uns beiden nützen‹« (Typoi Ep. 10). 14 Ps.-Demetrios bekräftigt, dass nicht nur Taten, sondern auch Absichten gelobt werden können, um mittels des Lobes auf die Verwirklichung dessen, was man mit Lob bedenkt, hinzuwirken. Das reichhaltige Material hilft uns, (1) klarer zwischen Wortlaut (Lob) und Funktion (Mahnung) zu unterscheiden, (2) der weiten Verbreitung von idealisiertem Lob zum Zweck der Ermahnung in der griechisch-römischen Welt gewahr zu werden, und (3) die mahnende Funktion von idealisiertem Lob als eigenen Modus von Wahrheit wertzuschätzen. Theologen haben allzu oft die Legitimität solcher Rede außer Acht gelassen. 4. 2Kor 7,5-16 als idealisiertes Lob in mahnender Absicht 15 Ich möchte an dieser Stelle eine Reflexion zugunsten der methodologischen Klarheit einflechten. Jedwedes Lob als idealisiertes Lob in mahnender Absicht zu deuten ist genauso unhaltbar wie das Verständnis jedweden Lobes als ironisch oder sarkastisch. Üblicherweise bewegt sich Kommunikation auf der Ebene der wörtlichen Bedeutung. Deswegen möchte ich, um 2Kor 7,5-16 als idealisiertes Lob kenntlich zu machen, zwei Dinge zugleich zeigen: (1) Eine Lektüre von 2Kor 7,5-16 als »echtes Lob« in wortwörtlicher Bedeutung erzeugt Spannungen und Probleme innerhalb des Textes selbst. (2) 2Kor 7,5-16 bedient sich konventioneller Stilelemente der Verstärkung 16 bzw. der Idealisierung von Lob, die in der griechisch-römischen Umwelt des Paulus weit verbreitet waren. In 2Kor 2,5- 11 wie auch in 7,5-15 verhandelt Paulus dieselbe Sache, nämlich den von dem so genannten Beleidiger ausgelösten Konflikt. In 2,5-11 ermutigt Paulus die Gemeinde zu vergeben, zu trösten und dem Beleidiger mit Liebe zu begegnen, um Frieden zwischen der Mehrheit, die wieder auf Paulus’ Seite ist, und einer Minderheit, die noch immer den Beleidiger unterstützt, zu Wege zu bringen. Damit bereitet Paulus auch den Boden für die Aussöhnung zwischen sich und einer noch immer kritischen Minderheit. 17 Historisch kann es sich deshalb in 7,5-16 nur um eine teilweise Aussöhnung zwischen Paulus und der Mehrheit in Korinth handeln, die auf den Umgang mit dem Beleidiger begrenzt ist. Während also 2,5-11 zwischen einer ausgesöhnten Mehrheit und einer noch immer kritischen Minderheit unterscheidet, sind die Adressaten in 7,5-16 als einheitliche Gruppe im Blick, die sich mit Paulus ausgesöhnt hat und die wiederholt in der 2. Pers. Plural angeredet wird: V. 7 (4mal), V. 8 (2mal), V. 9 (4mal), V. 11 (2mal), V. 12 (2mal), V. 13- 15 (je 3mal), V. 16 (1mal), darunter 2mal die Anrede »ihr alle« (7,13.15). Dies ist ein klarer Hinweis auf Idealisierung und rhetorische Verstärkung. Wir stoßen auf nicht weniger als zwei Kataloge mit Synonymen, die die Aussöhnung der Korinther mit Paulus beschreiben (7,7b.11). Kataloge erzeugen den rhetorischen Eindruck einer schier unermesslichen Fülle, ein probates Mittel der Idealisierung und Verstärkung. Der zweite Katalog endet mit einer kollektiven Aussage: »In allem habt ihr euch in der Sache als schuldlos erwiesen« (7,11). Die exegetischen Kommentare, die 7,5-16 wortwörtlich lesen, mühen sich, diese Aussage mit 7,9 f. in Einklang zu bringen, die von notwendiger Umkehr handeln. Dabei ist eine kollektive Aussage wie diejenige in 7,11, die eine ultimative Unermesslichkeit suggeriert, in der antiken griechischen Literatur ein gängiges Stilmittel rhetorischer Verstärkung. In dieser kurzen Passage verwendet Paulus das Verb »trösten« 4mal (7,6[2mal].7.13), das Nomen »Trost« 2mal (7,7.13), das Verb »sich freuen« 4mal (7,7. 9. 13.16) und das Nomen »Freude« 1mal (7,13), um seine eigene und des Titus positive Antwort auf die Aussöhnung mit den Korinthern zum Ausdruck zu bringen. Diese wird durch adverbiale Formulierungen zusätzlich betont: »das hat mich erst recht gefreut« (7,7); »Mehr aber noch […] haben wir uns über die Freude des Titus gefreut« (7,13), und »Seine Zuneigung gilt euch umso mehr« (7,15a). In wortwörtlichem Verständnis notieren mehrere Kommentare, dies sei das freudvollste, das Paulus jemals geschrieben habe. Dies könne aber nicht zeitgleich mit dem in Kap 10-13 (teilweise auch in 2,14-7,4) geführten »Krieg« »Üblicherweise bewegt sich Kommunikation auf der Ebene der wörtlichen Bedeutung.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 18 - 3. Korrektur 18 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema geschrieben worden sein, und müsse mittels einer Teilungshypothese erklärt werden. Jedoch sind Häufung und adverbiale Steigerung von Bekundungen der Freude ein übliches Mittel der Idealisierung. In 7,16 bringt Paulus volles und vorbehaltloses Zutrauen gegenüber den Korinthern zum Ausdruck: »Ich freue mich, dass ich mich in allem auf euch verlassen kann« (vgl. auch 7,14). In den Kommentaren werden zumeist die unterschiedlichen Grade an Zutrauen in 2Kor im Sinne einer exakten »Temperaturmessung« in der Beziehung zwischen Paulus und den Adressaten in ihren verschiedenen Stadien aufgefasst. Dies ist einer der Gründe für die zahlreichen Teilungshypothesen. Doch zielten solche Vertrauensäußerungen in der griechisch-römischen Kultur auf den impliziten oder expliziten Appell oder eine Forderung an die Adresse der Empfänger (dazu gleich mehr). Jeder Leser von 2,5-11 und 7,5-16 ist erstaunt über die Tendenz vom Thema zu abstrahieren, sodass es um die Aussöhnung als solche geht, nicht primär um diejenige mit dem »Beleidiger«. Der Fortschritt der Korinther im Versöhnungsprozess wird als volle Aussöhnung modelliert. Dies schlägt sich etwa in den beiden Katalogen in 7,7 und 7,11 nieder. Außerdem wird dieser Punkt in 7,12 explizit angesprochen: »Wenn ich euch also geschrieben habe [bzw. schreibe], so nicht um dessentwillen, der Unrecht getan, noch um dessentwillen, der Unrecht erlitten hat, sondern damit euer Einsatz für uns bei euch vor Gottes Angesicht zutage trete«. Die argumentative Strategie in 2Kor 7,5-16 ist innerhalb der Paulusbriefe nicht singulär. Vergleichbar ist etwa 1Thess 4,9 f.: »Über die Liebe unter Brüdern und Schwestern aber brauche ich euch nicht zu schreiben, seid ihr doch selbst von Gott gelehrt, einander zu lieben. Und ihr tut es ja auch allen gegenüber, die zur Gemeinde gehören, in ganz Makedonien. Wir reden euch aber zu, liebe Brüder und Schwestern, darin noch verschwenderischer zu werden«. Erkennbar betont Paulus den guten Fortschritt der Adressaten, idealisiert ihn zusätzlich (»Und ihr tut es ja auch allen gegenüber […]«), und drängt sie dennoch, »darin noch verschwenderischer zu werden«. Noch auffälliger ist die Ähnlichkeit zwischen 1Thess 3 und 2Kor 7,5-16. In einem Aufsatz von 1992 hat Margaret M. Mitchell gezeigt, dass sich in 1Thess 3 und 2Kor 7 die soziale Rolle von Abgesandten in geprägten Wendungen niederschlägt, die Parallelen in hellenistischen diplomatischen Briefen haben (vgl. v. a. die Punkte 2 und 3): 1. Vorgeschichte A. Paulus erklärt, warum nicht er selbst gekommen ist (1Thess 2,17 f.; 2Kor 1,15-2,13) B. Paulus erwähnt, dass er einen Gesandten geschickt hat (1Thess 3,1-5; nicht in 2Kor) C. Paulus schildert seine bedrängte Lage während des Wartens auf die Rückkehr des Gesandten (1Thess 3,1; 2Kor 2,12 f.; 7,5) 2. Vergangene Geschichte: Die Rückkehr des Abgesandten A. Ankündigung der Ankunft des Gesandten (1Thess 3,6; 2Kor 7,6) B. Rekapitulation der Botschaft des Gesandten (1Thess 3,6; 2Kor 7,7) C. Paulus’ unmittelbare Antwort: Er wurde getröstet und hat sich gefreut (1Thess 3,7; 2Kor 7,6 f.13) 3. Gegenwärtige Geschichte: Paulus bekräftigt seine frühere Antwort: Er ist noch immer getröstet und freut sich über die Adressaten (1Thess 3,9; 2Kor 7,9. 13. 16) Aus diesen Beobachtungen zieht Mitchell den Schluss, dass Paulus sich in 1Thess 3 und 2Kor 7 »innerhalb verbreiteter Konventionen zur Rolle der Gesandten« bewegt, »die über Distanzen hinweg die Beziehungen zwischen Partnern aufrecht erhalten und bekräftigen […]. Die Beziehungen zwischen Paulus und den beiden Gemeinden werden durch die Tätigkeit der Gesandten und durch das retrospektive Narrativ, das Paulus als Antwort darauf entwirft, bekräftigt (1Thess) und aufs Neue bestätigt (2Kor)«. 18 Allerdings gibt es einen weiteren entscheidenden Faktor für das Verständnis von 1Thess 3 und 2Kor 7, den Mitchell außer Acht lässt, nämlich die mahnende Absicht beider Passagen. Der positive Bericht des Timotheus über den Glauben und die Liebe der Thessalonicher, der die tiefe Beunruhigung des Paulus in starken Trost und in Freude verwandelt hat, untermauert die unausgesprochene Ermahnung zu weiterem Fortschritt im Glauben und in der Liebe in 1Thess 3,10-13. Die Ermahnung in 1Thess 3,10-13 ist implizit, weil sie in die Sprache eines Gebets gekleidet wird. Damit ist auch eine implizite Verpflichtung der Thessalonicher verbunden, die gute Absicht Gottes in ihrem Leben zu erkennen und daran mitzuwirken. 19 Ganz ähnlich bekräftigt Titus’ positiver Bericht über den Sinneswandel der Mehrheit der Korinther und ihre Aussöhnung mit Paulus in dem vom »Beleidiger« verursachten Konflikt, der die tiefe Besorgnis des Paulus in Trost und Freude verwandelt hat, die implizite Mahnung zu weiteren »In den Kommentaren werden zumeist die unterschiedlichen Grade an Zutrauen in 2Kor im Sinne einer exakten ›Temperaturmessung‹ in der Beziehung zwischen Paulus und den Adressaten in ihren verschiedenen Stadien aufgefasst.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 19 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 19 Ivar Vegge Der Zweite Korintherbrief - ein Brief über Versöhnung Fortschritten im Prozess der Aussöhnung in 2Kor 7,5- 16. Die auffälligen Übereinstimmungen zwischen 1Thess 3 und 2Kor 7,5-16 im Detail wie in der Gesamtaussage sind ein starkes Argument für meine Lektüre von 2Kor 7,5-16. Ich lese diesen Abschnitt so, dass Paulus seinen Finger auf die Fortschritte der Korinther legt, diesen zusätzlich idealisiert, um mit dem Mittel des Lobes zur Verwirklichung dessen anzuspornen, was er lobt: Die völlige Aussöhnung zwischen den Korinthern und dem Apostel. Um das von Klemens von Alexandrien zitierte Sprichwort abzuwandeln: »Aussöhnung, die gelobt wird, wächst wie ein Baum«. Diese Lektüre ist beileibe keine arbiträre Eisegese. Vielmehr wird sie durch zwei Argumentationslinien gestützt: (1) Versteht man das in 2Kor 7,5-16 ausgesprochene Lob auf der wortwörtlichen Textoberfläche als echtes Lob, entstehen zahlreiche Interpretationsprobleme. Diese verschwinden, wenn man den Abschnitt als ermahnendes Lob liest. (2) Der Abschnitt bedient sich konventioneller Stilmittel idealisierten Lobs in ermahnender Absicht, die in der griechisch-römischen Welt geläufig waren, und die auch in 1Thess zur Anwendung kommen. 5. Rhetorische Effekte von Modellbeispielen und implizite Kommunikation Wenn zutrifft, dass es sich bei 2Kor 7,5-16 um mahnendes idealisiertes Lob handelt, stellt sich die Frage: Warum soll man überhaupt auf einer tieferen Ebene als der wortwörtlichen kommunizieren und damit Missverständnisse riskieren? Aus der Sicht antiker Rhetoriker und Philosophen ist die Antwort klar: Modellbeispiele und implizite Kommunikation haben einen starken rhetorischen Effekt auf Hörende bzw. Lesende. In der Antike galt die Verwendung von Modellbeispielen als effektivere Mahnung als schiere Logik oder physische Gewalt. Außerdem traute man dem gelebten Leben mehr Überzeugungskraft zu als bloßen Worten. 20 Die Rhetorica ad Herennium betont aber auch, dass ein Beispiel erklärt und verdeutlicht: Das Beispiel »macht eine Sache […] offenkundiger, wenn es das, was zu dunkel ist, heller erscheinen lässt […]; es stellt sie vor Augen, wenn es allen klar ausdrückt, sodass man die Sache sozusagen mit der Hand berühren kann.« 21 Selbst eine oberflächliche Lektüre zeigt, dass keiner der anderen Appelle zur Aussöhnung in 2Kor mit 7,5-16 vergleichbar ist, wenn es darum geht, die Konkretisierung und Visualisierung der vollen Aussöhnung effektvoll zu beschreiben. Namentlich geht es um folgende Motive: - die vielen starken und lebendigen Ausdrücke, die die Aussöhnung der Korinther darstellen (7,7.11), - der Gehorsam der Korinther und ihr »Furcht und Zittern« in Bezug auf Titus (und Paulus) in 7,15, - dass »euer Einsatz für uns bei euch vor Gottes Angesicht zutage trete« (7,12), - dass des Titus (und des Paulus) »Zuneigung euch umso mehr gilt« (7,15), - dass des Paulus tiefe Besorgnis und große Anfechtungen (2,13; 7,5) in umso größeren Trost (7,6. 7. 13) und größere Freude (7,7b.9b.13.16a) verwandelt werden, - dass des Paulus Lob für die Korinther sich als gerechtfertigt erweist (7,14.16). Seneca vergleicht deshalb den Effekt positiver (wie auch negativer) Modellbeispiele mit einem Insektenstich. Obwohl man ihn nicht fühlt, fühlt man doch in Gestalt der Schwellung seinen Effekt. 22 Was die Funktion der impliziten und stillschweigenden Kommunikation betrifft, zitiere ich zunächst zwei Zeitgenossen des Paulus: »Darin besteht das Überredende, wie auch Theophrast sagt, dass nicht alles sorgfältig im Detail ausgeführt werden soll, sondern einiges dem Hörer überlassen bleiben muss, damit er es aus sich selbst heraus versteht und bedenkt. Wenn er nämlich das von dir Ausgelassene erfasst, dann ist er nicht nur ein Hörer, sondern er wird sogar dein Zeuge und wird (dir gegenüber) wohlwollender. Er erlebt nämlich sich selbst als verständig durch dich, der ihm die Gelegenheit geboten hat, verständig zu sein. Ihm dagegen alles zu sagen wie einem Unverständigen, hat den Anschein, ihn als solchen zu beurteilen.« (Demetrios De elocutione 222) 23 »Wenn ein verständiger und literarisch bewanderter Mann etwas zum wiederholten Mal gehört hat und dieses seine Seele nicht in einen hochgemuten Zustand versetzt, auch nicht bei erneuter Betrachtung etwas über das Gesagte hinaus dem Verstand hinterlässt, sondern es, wenn man es in Augenschein nimmt, immer gehaltloser wird, dann ist es nicht etwas wahrhaft Erhabenes, das das erste Hören überdauert. Dies nämlich ist wahrhaft groß, das oftmals wieder betrachtet wird, und dessen man sich doch nur schwer oder gar nicht zu erwehren vermag, und das sich der Erinnerung kräftig und unauslöschlich einprägt.« (Longinos De sublimitate 7,3) 24 Das erste Zitat thematisiert, dass die Bedeutungsebene des Unausgesprochenen die Hörenden in die Rede selbst »Implizite Kommunikation befördert das gemeinsame Verstehen so, dass die Hörenden zu Zeugen für die Gültigkeit der in der Rede aufgerufenen Werte und Bewertungen werden.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 20 - 3. Korrektur 20 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema involviert, sodass diese mehr sind als bloß Zuhörende. Implizite Kommunikation befördert das gemeinsame Verstehen so, dass die Hörenden zu Zeugen für die Gültigkeit der in der Rede aufgerufenen Werte und Bewertungen werden. Außerdem bereitet es den Hörenden ein intellektuelles Vergnügen, wenn sie das in der Rede Implizierte verstehen. Beide Elemente sind für die in der Rede zu leistende Überzeugungsarbeit förderlich. Literatur, die mit Longinos gesprochen »bei erneuter Betrachtung etwas über das Gesagte hinaus dem Verstand hinterlässt«, hat einen starken psychologischen Effekt, weil die implizierte Botschaft bei den Rezipierenden einen Prozess der Reflexion auslöst, und zwar auch noch und gerade dann, wenn die Worte bereits verklungen sind. Es ist dementsprechend fast unmöglich, von solchen Texten nicht beeinflusst zu werden. Es ist auch leicht einzusehen, dass sich solche Texte dem Gedächtnis auf besondere Weise einprägen. Andere antike Quellen, die sich mit der unausgesprochenen Bedeutungsebene von Texten und mit impliziter Kommunikation befassen, enthalten die Auffassung, dass das implizit Gesagte oft für vertrauenswürdiger gehalten wird, denn man glaubt eher an das, was man sich selbst vorstellt und worauf man selbst kommt, als an dasjenige, was klar ausgesprochen wird. 25 Ich meine nicht, dass Paulus die vielerlei rhetorischen und psychologischen Effekte von Modellbeispielen bewusst eingesetzt hat. In Anbetracht des paulinischen Gebrauchs von Metaphern (durchgängig), von Ironie (1Kor 4,8-10 u. ö.) und von idealisiertem Lob (1Thess 4,9 f. u. ö.), in Anbetracht auch seiner »Narrenrede« in 2Kor 11,1-12,18 und einer Reihe weiterer literarischer Stilmittel, solle man gleichwohl nicht vorschnell ausschließen, dass Paulus ein elementares, und sei es: ein intuitives Wissen über die Wirkung von Modellbeispielen und impliziter Kommunikation hatte. Während antike Rhetoriker und Popularphilosophen unterschiedliche Arten der impliziten Kommunikation wegen ihres rhetorischen und psychologischen Effekts zum regen Gebrauch empfahlen, betonten die meisten Epistolographen für das Abfassen von Briefen das Ideal der Klarheit. 26 Das hängt damit zusammen, dass die meisten antiken Briefe sehr kurz waren. Hieran nahmen auch die zeitgenössischen Brief-Handbücher Maß. Ohne hinreichende textimmanente Signale oder andere Weisen der Klärung durch mündlichen Vortrag oder Gebärden konnte implizite Kommunikation leicht zu Missverständnissen führen. Der briefspezifische kommunikative Schwerpunkt auf der Textoberfläche falsifiziert indes nicht unsere Überlegungen zur impliziten Kommunikation in 2Kor 7,5-16. Erstens hat Paulus in seinen Briefen unterschiedlichste Stilmittel verwendet, nicht nur epistolographische. Zweitens ist 2Kor wesentlich länger als die meisten antiken Briefe und enthält dementsprechend eine ganze Anzahl von textimmanenten Signalen und Hinweisen darauf, dass 2Kor 7,5-16 als idealisiertes Lob mit mahnender Absicht zu verstehen ist, mithin als implizite Kommunikation. Drittens wurde der 2Kor im Unterschied zu den meisten kurzen Briefen in der Antike in der korinthischen Gemeinde von einem vertrauenswürdigen Boten und Mitarbeiter des Paulus laut verlesen. Dessen Auftreten wird das Seine beigetragen haben, die Intention der verschiedenen Briefteile zum Ausdruck zu bringen, ähnlich der Darbietung einer Rede durch den Redner. Nicht zuletzt hat das Insistieren auf Klarheit die Epistolographen nicht daran gehindert, bestimmte Formen impliziter Kommunikation für wichtig zu erachten und ihren Gebrauch zu empfehlen. 27 Die in den Brief-Handbüchern empfohlene Vorsicht bei der Verwendung solcher Stilmittel macht dabei deutlich, wie schwierig eine Balance zwischen Klarheit und dunkler Ausdrucksweise beim Gebrauch impliziter Kommunikation ist. Für Lesende mit einem historischen und kulturellen Abstand zur spezifischen Situation in Korinth ist die Gefahr des Missverständnisses naturgemäß viel höher. Die Auslegungsgeschichte von 2Kor 7,5-16 ist hierzu ein beredtes Zeugnis. 6. Vertrauensäußerungen als Bekräftigung von Appellen zur Aussöhnung Mit Bezug auf S.N. Olson 28 will ich in diesem Abschnitt zeigen, dass Vertrauensäußerungen in 2Kor die pragmatische Funktion haben, implizite und explizite Appelle zur Aussöhnung (und zur Kollekte) zu bekräftigen. Wir werden sehen, dass solche Äußerungen in allen Teilen des 2Kor zu finden sind und mit der Absicht von 2Kor 7,5-16 in völligem Einklang stehen. Die Häufung von Termini in 2Kor, die Vertrauen, Optimismus und Zusicherung zum Ausdruck bringen (elpis, elpizō, tharreō, kauchaomai, kauchēma, kauchēsis, ouk egkakeō, parrēsia, pepoithēsis, perf. von peithō) ist innerhalb des Neuen Testaments singulär, wie folgende Wortstatistik zeigt: Röm (28), 1Kor (14), 2Kor (54), Gal (5), Eph (6), Phil (14), Kol (4), 1Thess (5), 2Thess (2), Phil (3). Die Auslegungsgeschichte zeigt, dass die modernen Kommentatoren gewöhnlich annehmen, dass die jeweilige Tonlage die tatsächliche Beziehung zwischen Absender und Adressaten widerspiegelt. Aufgrund dieser Annahme rekonstruieren die meisten Ausleger innerhalb des 2Kor eine Entwicklung in der Beziehung zwischen Paulus und den Korinthern, und die meisten enden mit Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 21 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 21 Ivar Vegge Der Zweite Korintherbrief - ein Brief über Versöhnung Teilungshypothesen. Dagegen hat S.N. Olson anhand von antiken Reden, Briefen und Papyri gezeigt, dass Vertrauensäußerungen gegenüber den Adressaten häufig überdeutlich betont werden, und zwar mit der rhetorischen Funktion, einen impliziten oder expliziten Appell oder eine Forderung zu unterstreichen. Ich zitiere zwei Beispiele aus den Oxyrhynchos-Papyri (POxy 745) und einen weiteren ägyptischen Papyrus aus byzantinischer Zeit (SB 7656): »Du weißt nicht, wie er mich in Oxyrhynchos behandelt hat, nicht wie einen Schuldenfreien, sondern wie irgendeinen Betrüger, der nicht bezahlt hat. Ich bitte dich nun, dass du nicht anders handelst. Ich weiß aber, dass du alles gut ausrichten wirst. Ich will nämlich keinen Streit mit dir haben, da du mein Freund bist. Ich grüße all die Deinen […].« (POxy 745) 29 »Wenn ich auch abwesend bin, bin ich dennoch zuversichtlich, dass meine Angelegenheiten durch deine Tatkraft in bester Obhut sein werden. In dieser Zuversicht habe ich dir geschrieben.« (SB 7656) 30 POxy 745 lässt auf einen möglichen Streit schließen. SB 7656 scheint übersteigertes Lob eines Höhergestellten innerhalb einer patron-client-Beziehung zu formulieren. Der Briefeingang von SB 7656 legt außerdem eine angespannte Beziehung zwischen Absender und Adressat nahe. Die einführenden Bemerkungen in den Typoi Epistolikoi des Ps.-Demetrios zeigen deutlich, dass solche Bekundungen von Freundlichkeit und Zutrauen in keiner Weise eine reale Beziehung zwischen den beiden Parteien widerspiegeln müssen: »Der Freundschaftsbrief ist ein solcher, der von einem Freund an einen Freund geschrieben zu sein scheint […]. Man schreibt ihn nicht, weil man so eng (freundschaftlich) verbunden wäre und nur den einen Anlass (der Freundschaft) hätte, dies zu tun, sondern weil man denkt, dass, wenn man jemandem freundschaftlich schreibt, keiner widerstehen kann, sondern zu Willen sein und das tun wird, wovon im Brief die Rede ist. Gleichwohl heißt dieser Brieftypus Freundschaftsbrief, weil er wirkt wie an einen Freund geschrieben.« 31 Im Galaterbrief, der in der Situation einer angespannten Beziehung zu den Adressaten geschrieben wurde, macht Paulus in vergleichbarer Weise von einer Vertrauensäußerung Gebrauch, um seinen Appell zu unterstreichen: »Ich habe im Herrn Vertrauen in euch, dass ihr nichts anderes im Sinn habt.« (Gal 5,10; vgl. auch 2Thess 3,4; Phlm 21; Röm 15,14 f.). Äußerungen des Vertrauens bzw. ihr Fehlen können deshalb nicht als Hinweise auf verschiedene Stadien in der Beziehung zwischen Paulus und den Korinthern in unterschiedlichen Briefteilen gelesen werden. Olsons wichtige These hat freilich auf die Forschung zum 2Korinterbrief wenig Einfluss gehabt. Unter den zahlreichen Vertrauensäußerungen in 2Kor finden wir die »enthusiastischste« in 7,16: »Ich freue mich, dass ich mich in allem auf euch verlassen kann.« Wenn man diese Aussage nicht als idealisiertes Lob mit einer spezifischen pragmatischen Funktion versteht, kann man zur Pragmatik dieser Stelle schwerlich überhaupt etwas sagen. In meinem Buch habe ich ausführlich gezeigt, dass die Vertrauensäußerungen in 2Kor (u. a. 1,13b.14; 2,3b; 5,11; 7,4.16; 10,15b; 13,6) den Appell zur Aussöhnung und erneuten Freundschaft zwischen den Korinthern und Paulus bekräftigen, näherhin den Appell: - zum gegenseitigen Rühmen (1,13b.14). - zu gemeinsamer Freude (2,3b). - zur Akzeptanz des Paulus durch die Korinther (5,11). - zu völliger Aussöhnung und Eintracht (6,1-13; 7,2-4). - zur endgültigen Versöhnung (7,5-15 als eine idealisierte Beispielerzählung, mithin als impliziter Appell in Verbindung mit der Äußerung des Vertrauens in 7,16). - zur Erweiterung des Handlungsfeldes für Paulus (10,15b). - zur Anerkennung, dass Paulus als Apostel nicht versagt hat (13,6). Außerdem gibt es eine Reihe von Vertrauensäußerungen an die Adresse der Korinther, die den impliziten oder expliziten Appell zur Aussöhnung mit Paulus mit dem Appell zur Vollendung der Kollekte verbinden (7,16; 8,5. 7. 22b.24; 9,1-5). Es dürfte nun deutlich geworden sein: Vertrauensäußerungen gibt es im gesamten 2Kor in allen größeren Texteinheiten (und »Teilbriefen« entsprechend der Briefteilungshypothesen). Sie haben die pragmatische Funktion, implizite Appelle zur Aussöhnung (und zur Vollendung der Kollekte) zu verstärken. Die Vertrauensäußerungen in 2Kor stützen deshalb die These, dass der 2Kor ein einheitliches Schreiben zum Thema der Aussöhnung ist. »Vertrauensäußerungen gibt es im gesamten 2Kor in allen größeren Texteinheiten (und ›Teilbriefen‹ entsprechend der Briefteilungshypothesen).« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 22 - 3. Korrektur 22 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema 7. Kritik als Stilmittel für Korrektur und Aussöhnung in 2Kor 10-13 In diesem Abschnitt werde ich zunächst darstellen, wie Kritik und Drohung in antiker Psychagogik und Epistolographie als Mittel der Korrektur verwendet wurden. Dann werde ich im Lichte dieses Materials den paulinischen Gebrauch von Kritik und Drohung in 2Kor 10- 13 untersuchen. Mein Hauptargument lautet, dass Kritik und Drohung die pragmatische Funktion haben, die Korinther zum »völligen Gehorsam« (10,6) gegenüber Paulus zu bewegen, sowie dazu, ihn als Apostel Christi zu akzeptieren. Ich werde auch auf die Risiken eingehen, die (in der antiken Psychagogik wie auch in 2Kor) mit dem Gebrauch der Drohung als Mittel zur Korrektur verbunden sind. 7.1 Kritik und Drohungen in Psychagogik und Epistolographie Das Zitat aus Paidagogos 1,10 des Klemens von Alexandrien (s. o.) ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Popularphilosophen Lob und Tadel als Mittel der »Seelenführung« verwendeten. Plutarch spricht von Scham, Leidenschaft, Umkehr, Freude, Schmerz und Ehrgeiz als Hilfsmittel der Popularphilosophie: »Durch deren zweckmäßigen und heilsamen Gebrauch [können] die Vernunft und das Gesetz den jungen Menschen mit gutem Erfolg auf den rechten Weg führen« (Moralia 452D) 32 . Moderne Forscher wie Abraham Malherbe, Clarence Glad und andere haben gezeigt, dass die »milderen« unter den Popularphilosophen der Auffassung waren, dass das Mischungsverhältnis dieser Mittel auf die individuelle psychische Disposition des Adressaten abgestimmt sein muss, und dass Faktoren wie Zeit, Ort und Umstände zu berücksichtigen sind (etwa ob der Kritisierte eben erst ein Leid erfahren oder einen Erfolg erlebt hat, ob die Kritik öffentlich oder privat geäußert wurde etc.), ebenso der Grad moralischer Verderbtheit dessen, der gemahnt wird. Einseitige und harsche Kritik galt als zerstörend, wenn sie an schwache und empfindsame Personen gerichtet wurde. Eine popularphilosophische Faustregel lautete: Je schlechter der moralische Zustand war, desto härtere Mittel mussten eingesetzt werden. Harte Kritik war freilich risikobehaftet. Die Behandlung konnte ineffektiv sein oder sogar in ihr Gegenteil umschlagen und als Provokation aufgefasst werden, mit dem Ergebnis der Verhärtung gegenüber jeglicher weiterer Seelenführung. Deshalb musste gewährleistet sein, dass der Schmerz, der durch die geäußerte Kritik hervorgerufen wurde, ein konstruktives, therapeutisches Ziel verfolgte. 33 Der ideale Philosoph wird nur denen Schmerzen zufügen, um die er sich persönlich sorgt, d. h. seinen Freunden, und dann auch nur, um ihnen zu helfen: »Es darf der Freund beleidigen, wenn er dadurch nützt« (Plutarch Moralia 55C). 34 Das Ziel des Schmerzes (lypē) ist Umkehr (metanoia). 35 So gesehen ist es das positive moralische Resultat, nämlich ein tugendhaftes Leben, das die psychologischen Mittel der Seelenführung rechtfertigt, sei es, dass sie bei Lob und Tröstung ansetzen, oder bei Schmerz, Furcht, Scham und Kummer. Die Brief-Handbücher lassen, wie wir gesehen haben, ein rhetorisches Interesse an der Definition verschiedener Typen der Ermahnung erkennen. Der als »drohend« klassifizierte Brief-Typus weist nach Ps.-Demetrios (Typoi Ep. 8) und Ps.-Libanios (Ep. Char. 60) drei Merkmale auf: (1) Die Androhung (von Strafe) wird brieflich angekündigt. (2) Die Strafe wird (möglicherweise) zugemessen, wenn der Briefschreiber beim Adressaten erscheint. (3) Die Androhung von Strafe hat eine ermahnende Funktion. Das Ziel ist, den Adressaten zur Furcht vor Strafe zurechtzuweisen. 7.2 Drohungen und Strafe in 2Kor 10-13 Der Rückblick des Paulus in 2Kor 7,8-12 auf seinen früheren Brief, den er unter Tränen geschrieben habe, ist im Licht der psychagogischen Tradition zu verstehen. Paulus hatte früher einen solchen Brief geschrieben, der bei den Korinthern »Betrübnis« (oder Schmerz, lypē) hervorgerufen hat. Doch wie auch die Popularphilosophen betont Paulus, dass die Betrübnis ein konstruktives, therapeutisches Ziel verfolgt. Es war »göttliche Betrübnis«, die zur »Rettung« führte. Die »Rettung« der Korinther ist eng verbunden mit ihrer Aussöhnung mit Paulus. Hätten die Korinther auf die paulinische Kritik mit »weltlicher Betrübnis« reagiert, hätte ihnen dies »zum Tode« gereicht. Die Gedanken des Paulus zum therapeutischen Schmerz, der den Absichten Gottes entspricht und der zu Umkehr und Rettung führt, im Unterschied zum todbringenden »weltlichen Schmerz«, beeinflussen die Korinther unausweichlich im Blick darauf, wie sie auf die erneute Kritik und das Drohen in 2Kor 10-13 reagieren sollen. Im harschesten Passus, in dem Paulus regelrecht mit Krieg droht, mit Eroberung und Gefangennahme unter den Gehorsam Christi und mit Strafe (2Kor 10,2-6), ist höchst bemerkenswert, dass das Ziel des Paulus im »vollkommenen »Je schlechter der moralische Zustand war, desto härtere Mittel mussten eingesetzt werden.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 23 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 23 Ivar Vegge Der Zweite Korintherbrief - ein Brief über Versöhnung Gehorsam« der Korinther (10,6) besteht. Die eher indirekt ausgesprochene Strafandrohung in 2Kor 12,20a zielt darauf, dass die Korinther von internen Zwistigkeiten (12,20b) und Unmoral (12,21) absehen. Schließlich hat die Drohung, »nicht milde zu sein« nach zwei vorhergehenden Warnungen vor Strafe (13,1 f.) die Absicht, die Korinther zurecht zu bringen, sodass sie sich als Christusgläubige bewähren (13,5) und verstehen, dass Paulus als Apostel bewährt ist (13,6), und dass sie »Gutes tun« (13,7), »stark« sind und »vollkommen werden«. An dieser Schlusspassage wird deutlich, dass die volle Wiederherstellung der Korinther eng mit dem Ziel zusammenhängt, dass sie Paulus als ihren Apostel akzeptieren. Eines der Charakteristika von 2Kor 10-13 ist die sogenannte »Narrenrede«. Diese Rede ist extrem ironisch und sarkastisch. Die von außen gekommenen Gegner des Paulus, die sogenannten »Überapostel« (11,5), die in Wahrheit »falsche Apostel« sind (11,13), wie auch die Korinther werden in der Narrenrede kritisiert. Worauf es mir ankommt: Die erweiterte Einleitung der eigentlichen Narrenrede (11,21-12,10) deutet darauf hin, dass Absicht und Ziel der Rede darin bestehen, dass die Korinther Paulus »akzeptieren« (11,16b) und ihn »ertragen« (11,1. 4. 19.20), und dass sie sich von den falschen Aposteln distanzieren (11,1-15). Die abschließenden Bemerkungen der Rede lassen nochmals das Ziel von Akzeptanz und gegenseitiger Liebe zwischen Paulus und den Korinthern hervortreten. Das bedeutet: Wenn Paulus droht (10,2-11; 12,20f.; 13,1-10) und einen ironischen und sarkastischen Ton anschlägt (11,1-12,10), um die Adressaten zu kritisieren und sie zurecht zu bringen, geht es um volle Aussöhnung und die Akzeptanz des Paulus als Apostel. Das durchgängige Ziel in 2Kor 10-13 ist mithin dasselbe wie in 2Kor 1-9. 7.3 Die Risiken und Grenzen von Drohungen als Mittel der Mahnung In der korinthischen Korrespondenz verwendet Paulus Drohungen als Mittel der Zurechtbringung in 1Kor 4,18-21; 2Kor 10,2-11; 12,20f. und 13,1-0. In allen diesen Texten finden wir die von Ps.-Demetrios (Typoi Ep. 8) und Ps.-Libanios (Ep. Char. 60) verzeichneten Merkmale des drohenden Brief-Typus: (1) Paulus droht brieflich Strafe an, (2) Die Strafe wird (möglicherweise) vollzogen, wenn Paulus nach Korinth kommt, (3) Ziel ist, durch die Furcht vor Strafe die Adressaten zurecht zu bringen. Was aber, wenn einige der Adressaten nicht entsprechend dieser Absicht auf die Drohungen reagierten, und wenn Paulus nach Korinth käme, ohne die angedrohte Strafe zu vollziehen? Dies spricht Paulus in 1Kor 4,18- 21 ausdrücklich an, wenn er zwei mögliche Szenarien zur Wahl stellt: »Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock zu euch kommen oder in Liebe und im Geist der Sanftmut? « Als Paulus freilich zu einem Zwischenbesuch nach Korinth zurückkehrte (2Kor 1,15f.) und wahrscheinlich von dem »Beleidiger« (2,5-11; 7,12) wie auch von denen, »die sich versündigt und […] das ausschweifende Leben, das sie führten, nicht bereut haben« (12,21-13,2), angegriffen wurde, hat er dies nicht mit einer Strafaktion geahndet. Stattdessen hat er die Warnung ausgesprochen, beim nächsten Besuch keine Milde mehr walten zu lassen (13,2). Anstelle eines zunächst angekündigten baldigen weiteren Besuchs (1,15-19) schrieb Paulus den »Tränenbrief« (2Kor 2,1-4). Aus 2,1-4 und 7,8-11 geht hervor, dass dieser Brief auch den Korinthern Kummer bereitete. Er muss also sehr schroff ausgefallen sein und hat möglicherweise auch Drohungen enthalten. Dies ist der Hintergrund für den von den Gegnern an Paulus gerichteten Vorwurf der Doppelzüngigkeit. Auf die Ferne sei er »mutig«, und seine Briefe seien »gewichtig und stark« (10,1). Dagegen sei er in der persönlichen Begegnung servil und schwach und seine Rede sei verächtlich (so ausdrücklich in 10,1.10; angedeutet in 11,21a.30-33; 12,21 und 13,3 f.6-9). Aufgrund dessen bestreiten seine Gegner seine Eignung als Apostel (10,2b.7; 13,3a). Wie hat Paulus nun darauf reagiert? Er verfolgt zwei Gedankenlinien: Einerseits betont er: »Was wir durch das geschriebene Wort vermögen, wenn wir fern sind, das vermögen wir durch die Tat, wenn wir da sind« (10,11). Deshalb ist es wichtig für Paulus, dass er mit rhetorischem pathos dasjenige Verhalten literarisch manifestiert, das er auch in Korinth an den Tag legen wird. Dies tut er am Beginn von 2Kor 10, wenn er davor warnt, dass er Krieg führen, Gefangene machen und zerstören und strafen wird (10,4-6). Ebenso baut Paulus in 2Kor 13,1-4 ein starkes pathos auf, wenn er im Blick auf seinen dritten Besuch warnt. Er wird die Korinther dann nicht mehr »schonen« (13,2). Diese beiden Rahmenstück bestimmen die Tonlage der Kapitel 10-13. Es ist freilich, wie wir sahen, nichts Neues, dass Paulus auf eine Drohung eine Strafe folgen lässt. Dies gilt bereits für 1. Kor 4,18-21. Man beachte besonders die »Im harschesten Passus, in dem Paulus regelrecht mit Krieg droht […] (2Kor 10,2-6), ist höchst bemerkenswert, dass das Ziel des Paulus im ›vollkommenen Gehorsam‹ der Korinther (10,6) besteht.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 24 - 3. Korrektur 24 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema Notiz in 2Kor 1,23: »Nur um euch zu schonen, bin ich nicht mehr nach Korinth gekommen«. Das hier verwendete pheidomai (»schonen«) begegnet auch in 13,2 f. Die Aussage in 1,23 bezieht sich nicht auf eine in der Vergangenheit bereits geklärte Angelegenheit, sie ist vielmehr Teil der paulinischen Selbstverteidigung gegen den Vorwurf der Falschheit wegen der geänderten Reisepläne (1,15-24). Paulus spricht diese strittige Sache in 1,23 kurz an, wartet aber bis Kap. 10-13 damit, diese ausführlich zu behandeln. Die dort (10,1-11; 13,1-4) verfolgte literarische Strategie einer literarischen Manifestation dessen, was er durch ein Strafhandeln in Korinth (möglicherweise) in die Tat umsetzen wird, erklärt die unterschiedliche Tonlage in 10-13 verglichen mit 1,23 und 2Kor 1-9 insgesamt. Es bedarf deshalb keiner Annahme einer Situationsveränderung zwischen 1-9 und 10-13, ebenso keiner Teilungshypothese, die den abrupten Wechsel im Tonfall zwischen diesen Kapiteln erklärt. Andererseits hält Paulus, obwohl er an der Möglichkeit festhalten muss, dass er für eine Strafaktion nach Korinth kommen wird (v. a. 10,2-11; 13,1-4), an der besseren Möglichkeit fest, dass die Korinther sich zurechtweisen lassen (10,1-11; 11,16-21a; 12,20 f.; 13,1-10). Dann wird er in der Lage sein, im Einklang mit der »Sanftmut und Freundlichkeit Christi« (10,1) und der »Vollmacht, euch aufzurichten, nicht euch zu zerstören« (10,8; vgl. 13,10) nach Korinth zu kommen. Wenn Paulus das korinthische Ideal des Apostolats als Tyrannei und der Fremdmissionare als Tyrannen beschreibt und dieses Ideal ironisch als Vergleichsgröße akzeptiert, die ihn schwach dastehen lässt, dann macht er die Torheit der Korinther offenkundig, wenn sie ihn dafür kritisieren, dass er davon absieht, seine Autorität als Strafender unter Beweis zu stellen (11,6-21a). Am Ende der Narrenrede kommt Paulus auf einen Punkt zu sprechen, der ihm nun tatsächlich einen Grund zum Rühmen gibt: seine Schwachheit (11,30-12,10). Wie die Schwachheit des Paulus ein Medium für die Kraft Gottes sein kann, wird aber erst am Ende des Briefes richtig deutlich (13,7-10): Paulus würde lieber so erscheinen, »als ob« (hōs) er die Probe des Apostels nicht bestanden hätte (13,7) und als schwach dastehen (13,9), solange die Korinther nur das Gute tun (13,7), stark sind und vollkommen (13,9). Paradoxerweise würde Paulus gerade damit eine Probe auf die Kraft Gottes geben, nämlich damit, dass die Korinther durch des Paulus Schwachheit erbaut würden. Paulus modifiziert also seine Kriegsmetaphern und nicht zuletzt auch die der Korinther nicht nur (10,2- 6,11), sondern er transformiert sie im Licht des Kreuzes Christi (13,3 f.). Dieser Argumentationsfortschritt im Verlauf von 10,1-11 bis 13,7-10 ist auch der Fortschritt, den Paulus für das rechte Verständnis der Korinther anstrebt, was es bedeutet, ein Apostel Christi zu sein. Diese Gedankenbewegung entspricht dem Ansinnen des Paulus, den Konflikt mit den Korinthern nicht eskalieren zu lassen, sondern Aussöhnung zu erreichen. Es ist daher entscheidend, nicht nur auf das zu achten, was Paulus sagt, sondern an welcher Stelle seiner Argumentation er es sagt und mit welcher Absicht er dies tut. 8. Eine Bemerkung zu 2Kor 2,14-7,4 Wir haben bereits dargelegt, dass und warum 2Kor 2,14- 7,4 ein klar abgrenzbarer Abschnitt ist. Hier möchte ich einfach darauf hinweisen, dass dieser Abschnitt mit einem starken Appell zur Versöhnung mit Paulus endet (6,11-13; 7,2- 4). Das heißt: Der für 2,14-7,4 so charakteristische apologetische Aspekt zielt darauf, den Appell zur Aussöhnung zu stützen. 2Kor 2,14-7,4 ist deshalb integraler Bestandteil des 2Kor, der als Ganzes dem Anliegen der vollen Aussöhnung zwischen Paulus und den Korinthern gewidmet ist. 9. Fazit In diesem Beitrag habe ich gezeigt, dass Paulus im 2Kor eine Reihe mahnender Stilmittel verwendet und darin mit den antiken Popularphilosophen (Psychagogik), Briefschreibern (Epistolographie) und Rhetorikern übereinstimmt. Einerseits tritt Paulus als »freundliche Amme« auf (vgl. 1Thess 2,7), wenn er sich (1) für Vergebung und Wiederannahme des Beleidigers ausspricht (2,5-11), wenn er (2) von idealisiertem Lob Gebrauch in mahnender Absicht macht (7,5-16), und wenn er (3) Vertrauensäußerungen verwendet, die explizite oder implizite Appelle untermauern (1,13b.14; 2,3b; 5,11; 7,4.16; 10,15b; 13,6, vgl. auch 8,5.7; 8,22b.24; 9,1-5), um die volle Aussöhnung mit den Korinthern zu fördern. Andererseits wählt Paulus eine »härtere Gangart«, wenn er (4) eine leidenschaftliche Verteidigung seines apostolischen Dienstes vorträgt, die mit einem eigenen Appell anhebt und endet (2,14-7,4), wie er auch zum »Der für 2,14-7,4 so charakteristische apologetische Aspekt zielt darauf, den Appell zur Aussöhnung zu stützen.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 25 - 3. Korrektur ZNT 38 (19. Jg. 2016) 25 Ivar Vegge Der Zweite Korintherbrief - ein Brief über Versöhnung Mittel der »schmerzhaften Behandlung« greift, wenn er (5) eine extrem ironische und sarkastische »Narrenrede« vorträgt (11,1-12,15), und (6) den Korinthern droht (10,2-11; 12,20 f.; 13,1-10), um sie zu kritisieren und zurechtzubringen. Das Ziel ist aber immerzu dasselbe: Die volle Aussöhnung zwischen den Korinthern und Paulus als ihrem legitimen Apostel Christi. Der 2. Korintherbrief ist deshalb ein einheitlicher Brief über Versöhnung. Anmerkungen 1 Auf diesem Buch fußt der vorliegende Aufsatz: I. Vegge, 2 Corinthians-- a Letter about Reconciliation: A Psychagogical, Epistolographical and Rhetorical Analysis (WUNT II/ 239), Tübingen 2008. 2 Zur Psychagogik und ihrer Beziehung zu Paulus vgl. besonders A.J. Malherbe, Moral Exhortation: A Greco-Roman Sourcebook (LEC 4), Philadelphia 1986; A.J. Malherbe, Paul and the Popular Philosophers, Minneapolis 1989; A.J. Malherbe, Hellenistic Moralists and the New Testament, ANRW II 26/ 1, 1992, 267-333; C.E. Glad, Paul and Philodemus. Adaptability in Epicurean and Early Christian Psychagogy (NovTSup 81), Leiden/ New York/ Köln 1995; J.T. Fitzgerald (Hg.), Friendship, Flattery, and Frankness of Speech. Studies on Friendship in the New Testament World (NovTSup 82), Leiden/ New York/ Köln 1996. 3 Zur Epistolographie vgl. A. J. Malherbe, Ancient epistolary theorists, Atlanta 1988; S.K. Stowers, Letter Writing in Greco-Roman Antiquity (LEC 5), Philadelphia 1986; M.L. Stirewalt, Studies in Ancient Greek Epistolography (SBLRBS 27), Atlanta 1993. 4 Zur antiken Rhetorik vgl. R. Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer in systematischer Übersicht, Leipzig 2 1885; J. Martin, Antike Rhetorik. Technik und Methode. Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft, München 1974; G.A. Kennedy, A New History of Classical Rhetoric, Princeton 1994. 5 Übersetzung hier und nachfolgend nach der Züricher Übersetzung. 6 Vgl. Platon Menexenos 235A-C; vgl. auch Agathons Rede im Symposion und Lysias’ Rede über den Eros im Phaidros. 7 G.A. Kennedy, A New History of Classical Rhetoric, Princeton 1994, 62. 8 D.L. Sullivan, The Ethos of Epideictic Encounter, Ph&Rh 26.2 (1993), 113-133, hier: 118, vgl. auch 115. 9 Übersetzung aus: Plutarch, Moralia, hg. von Chr. Weise und M. Vogel, Bd. 1, Wiesbaden 2012, 131. 10 Übersetzung aus: Klemens von Alexandrien, Teppiche (BKV 2. Reihe, Bd. 17, München 1936, 287f.). Vgl auch Sextus Empiricus Pyr. 3,281. Dass Lob auf diejenigen verwendet wird, die einen moralischen Fortschritt erkennen lassen, kommt auch bei Isokrates Or. 9,79 zum Ausdruck: »Ich handele und werde (auch künftig so) handeln wie die Betrachter bei den athletischen Wettkämpfen: Auch diese nämlich feuern nicht diejenigen Läufer an, die zurückbleiben, sondern die um den Sieg kämpfen« (eigene Übersetzung, griech. Text: TLG). 11 Vgl. z. B. Plutarch Adulator, Dio Chrysostomos Or. 15, Philodem De libertate dicendi, Lukian Apologia, De parasito und De mercede conductis, sowie Maximos von Tyros Or. 14. 12 Vgl. bes. A. J. Malherbe, Paul and the Thessalonians: The Philosophic Tradition of Pastoral Care, Philadelphia 1987. 13 Vgl. dazu Malherbe, Ancient epistolary theorists, 4; vgl. auch H. Koskenniemi, Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen Briefes bis 400 n. Chr (Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia, Annales Academiae Scientiarum Fennicae 102,2), Helsinki 1956, 62 und J.L. White, Light from Ancient Letters, Philadelphia 1986, 190. 14 Eigene Übersetzung, griech. Text: TLG. 15 Bereits R. Bieringer, Plädoyer für die Einheitlichkeit des 2Korintherbriefes. Literarkritische und inhaltliche Argumente, in: R. Bieringer/ J. Lambrecht (Hg.), Studies on 2 Corinthians (BETL 112), Leuven 1994, v. a. 166; 178 f., hat die paulinische Strategie nachgezeichnet, die Beilegung des durch »den Beleidiger« provozierten Konflikts (7,5-16) als Modell für die Lösung des zweiten Problems in Gestalt der Gegner in 2,14-7,4 und in Kap. 10-13 kenntlich zu machen: Wie die Korinther auf den »Beleidiger« reagiert haben, so sollten sie nun auch im Umgang mit den Gegnern handeln. Freilich hat Bieringer seine Hypothese in einer Weise eingegrenzt, dass sie angreifbar wird. Es geht in 7,5-16 nicht darum, von einem Feld des Konflikts auf ein anderes zu schließen. Es geht schlicht um die Aussöhnung mit Paulus. Paulus lobt und idealisiert die geschehene teilweise Aussöhnung, um die volle Aussöhnung zu erreichen. 16 Das Ziel rhetorischer »Verstärkung« (amplificatio) wird von B. Baur, Amplificatio, HWR 1, 1992, 445-449 wie folgt definiert: »Die A[mplificatio] ist ein Verfahren, einem Argument oder dem Teil einer Rede mit Worten oder Gedanken zusätzliches Gewicht zu geben, so dass sie an Überzeugungskraft und affektiver Wirkung gewinnt« (445). Cicero stellt in De or. 3,104 und Part. or. 4-5; 27; 52-54 heraus, dass die amplificatio das rhetorische Stilmittel par excellence ist. 17 Dieses Verständnis von 2,5-11 wird von einer Reihe von Kommentatoren geteilt, so etwa R. Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther (KEK Sonderband), Göttingen 1975, 2 1987; V.P. Furnish, 2 Corinthians (AB 32a), New York 1984; F. Lang, Die Briefe an die Korinther (NTD 7), Göttingen 1986. 18 M.M. Mitchell, New Testament Envoys in the Context of Greco-Roman Diplomatic and Epistolary Conventions: The Example of Timothy and Titus, JBL 111 (1992), 641- 662, hier: 661 f. Vgl. auch 660f.: »Das Ergebnis beider Briefwechsel ist eine Bestätigung des gegenseitigen Wohlwollens der beiden beteiligten Parteien. Dieser Austausch von Bekundungen des Wohlwollens gehört zu den konventionellen Ausdrucksmitteln. Er kann intensiviert werden, wenn die Beziehung der Gefahr der Entfremdung und Störung ausgesetzt ist, wie dies in 2Kor offen zutage liegt und vielleicht auch in 1Thess der Fall ist.« Zeitschrift für Neues Testament_38 typoscript [AK] - 20.03.2017 - Seite 26 - 3. Korrektur 26 ZNT 38 (19. Jg. 2016) Zum Thema 19 Zur mahnenden Funktion solcher Gebete vgl. G. P. Wiles, Paul’s Intercessory Prayers: The Significance of the Intercessory Prayer Passages in the Letters of Paul (SNTSMS 24), Cambridge 1974, 52-63 und A.J Malherbe, Paul and the Thessalonians: The Philosophic Tradition of Pastoral Care, Philadelphia 1987, 77 (zu 1Thess 3,10-13), sowie allgemein K. Stendahl, Paul at Prayer, Int. 34 (1980), 240- 249. 20 Vgl. etwa Seneca Ep. 6,5-6; Ambrosius Virg. 2,1,2. Für die Popularphilosophen war es entscheidend, dass sie ihre Lehre mit eigenen Tatbeispielen unterlegten. Vgl. hierzu A.J. Malherbe, Moral Exhortation: A Greco-Roman Sourcebook (LEC 4), Philadelphia 1986, 38-40 und 135-138, und nicht zuletzt H.W. Merrit, In Word and Deed: Moral Integrity in Paul (ESEC 1), New York 1993. Vgl. auch 1Kor 4,16; 11,1; Eph 5,1; Phil 3,17; 1Thess 1,6; 2,14; 2Thess 3,7.9. 21 Rhetorica ad Herennium 4,49,62. Übersetzung: Rhetorica ad Herennium, Lateinisch-deutsch, Übers. von Th. Nüsslein (Hg.), Darmstadt 1994, 299; 301. Zur erklärenden und illustrierenden Funktion des Beispiels vgl. auch Rhetorica ad Alexandrum 8,1,1429a. Quintilian 8,3,73 betont in einem ähnlichen Kontext, dass das Beispiel deutlicher sein muss als das, was es zu erklären unternimmt. Seneca Ep. 6,5 argumentiert für vorrangige Bedeutung des Beispiels als mahnendes Stilmittel gegenüber dem Gebrauch von Enthymemen mit dem Hinweis, dass Menschen mehr Zutrauen in visuelle als in akustische Sinneswahrnehmungen haben. 22 Seneca Ep. 94,40-42. Zur unmittelbaren Wirkung des Beispiels vgl. auch Plut. Mor. 14A-B. 23 Eigene Übersetzung. Griech. Text: TLG. 24 Eigene Übersetzung. Griech. Text: TLG. 25 In meinem Buch analysiere ich unterschiedliche antike Kategorien impliziter Kommunikation, die ähnliche Aspekte wie in den beiden Zitaten aus Demetrios und Longinos ansprechen; vgl. hierzu Vegge, 2 Corinthians-- a Letter about Reconciliation, 122-137. Ich beginne dort mit der Metapher. Zwar ist es durchaus nicht mein Ziel, den 2Kor insgesamt als Metapher zu interpretieren, doch ist die Metapher als Form der impliziten Kommunikation in der Antike weithin verbreitet und bekannt. Mir kommt es darauf an, dass die Auffassungen antiker Rhetoriker und Philosophen von der Metapher sich auch bei ihren Überlegungen zu anderen Weisen der impliziten Kommunikation finden, die für 2Kor 7,5-16 von größerer Bedeutung sind. Ich fange mit dem an, was weiter verbreitet ist und schreite von dort zum weniger Bekannten weiter, u. a. die ratiocinatio, die controversiae figurate und nicht zuletzt die emphasis. 26 Vgl. Demetrios Eloc. 226; Philostrat Ep. II 257,29- 258,28; Gregor von Nazianz Ep. 51,4; Ps.-Libanios Ep. Char. 48, hier als ein Zitat des Philostrat von Lemnos. 27 Ps.- Libanios thematisiert ironische (Ep. Char. 9) wie auch enigmatische Brief-Typen (Ep. Char. 41). Zu den ironischen Briefen vgl. auch Ps.-Demetrios Typoi Ep. 20. Ps.-Demetrios Typoi Ep. 15 kennt außerdem den allegorischen Brief-Typus, und Gregor von Nazianz Ep. 51,5 weiß, wie wichtig es ist, dasjenige zu schätzen, was er die Qualität des Anmutigen nennt. Hierzu gehört, so Gregor, etwa auch der Gebrauch von Rätseln. 28 S.N. Olson, Confidence Expressions in Paul: Epistolary Conventions and the Purpose of 2 Corinthians (Ph. D. diss), Yale University 1976. Vgl. auch S.N. Olson, Epistolary Uses of Expressions of Self-Confidence, JBL 103.4 (1984), 585-597 und S.N. Olson, Pauline Expressions of Confidence in His Addressees, CBQ 47 (1985), 282-95. 29 Eigene Übersetzung. Griech. Text: http: / / papyri.info/ ddbdp/ p.oxy; 4; 745. 30 Eigene Übersetzung. Griech. Text aus Vegge, 2 Corinthians-- a Letter about Reconciliation, 144. 31 Ps.-Demetrios Typoi Ep. 1,1. Eigene Übersetzung. Griech. Text: TLG. 32 Übersetzung: Plutarch, Moralia., hg. von Chr. Weise und M. Vogel, Bd. 1, Wiesbaden 2012, 771. 33 Plut. Mor. 46E-47A; vgl. 56A; 74D-E, 810C; Epiktet Diss. 2,14,14-22; 3,1,10-11; Dio Chrys. Or. 32,10.16- 19. 30. 33; 33,6-7; Klemens von Alexandrien Quis dives salvetur 41,1-3. 34 Übersetzung: Plutarch, Moralia, hg. von Chr. Weise und M. Vogel, Bd. 1, Wiesbaden 2012, 106. 35 Vgl. Plut. Mor. 55A, 68F, 452C, 476F, 961D.