eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 18/36

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2015
1836 Dronsch Strecker Vogel

Dialog der Gegner

2015
Michael Schneider
Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 22 - 4. Korrektur 22 ZNT 36 (18. Jg. 2015) 1. Dialoge Das Schlagwort »Dialog« begegnet im Alltag auf Schritt und Tritt. Eingefordert wird ein »konstruktiver Dialog« zwischen Tarifparteien oder zwischen Politikern eines oder mehrerer Staaten. Verschiedene Religionsgemeinschaften oder sogar Universitätstheologien sollen einen »Dialog der Religionen« anstoßen, die Frankfurter Museumslandschaft kennt gar ein Dialogmuseum, in dem Blinde einen »Dialog im Dunkeln« für Sehende anbieten. All diese Dialoge setzen eine prinzipielle Verschiedenheit, mitunter sogar eine Gegensätzlichkeit voraus, die im Dialog dann zumeist in Form von Synthesen überwunden werden sollen: Es wird erwartet, dass sich Tarifparteien oder politische Parteien möglichst rasch auf einen Kompromiss einigen. Der Feststellung der Verschiedenheit-- »Die Welt liegt in Agonie.« 1 -- wird eine synthetische Lösungsperspektive gegenübergestellt: »Wir bekräftigen, daß sich in den Lehren der Religionen ein gemeinsamer Bestand von Kernwerten findet und daß diese die Grundlage für ein Weltethos bilden.« Dialoge gelten als notwendiges Durchgangsstadium von der Verschiedenheit zur Einheit. »Ich gehöre nicht zu jenen schlechten Schriftstellern, die behaupten, sie schrieben nur für sich selber. Das einzige, was Schriftsteller für sich selber schreiben, sind Einkaufslisten, die ihnen helfen sich zu erinnern, was sie besorgen wollten, und die sie hinterher wegwerfen können. Alles andere, einschließlich Wäschelisten, sind Botschaften, die sich an jemanden richten. Es sind keine Monologe, sondern Dialoge.« 2 -- So betont Umberto Eco in seinen Bekenntnissen eines jungen Schriftstellers, dass jeder Text als dialogisch verfasst gelten kann, und zwar mit einer einfachen Begründung: Die Texte sind »Botschaften, die sich an jemand anderes richten.« Texte sind an andere gerichtet, einzelne Stimmen treffen auf andere Stimmen, eine Auseinandersetzung, ein Dialog wird angestoßen. Diese literarischen Dialoge sind für Eco nicht nur Durchgangsstadium, sondern Ausweis schriftstellerischer Qualität. Ein einmal angestoßener Dialog wird hier gerade nicht durch eine Kompromiss-Lösung beendet. Michail Michailowitsch Bachtin ist derjenige unter den großen Literaturtheoretikern des 20. Jahrhunderts, der nicht nur den Begriff der »Dialogizität« geprägt, sondern sich auch am intensivsten mit der dialogischen bzw. monologischen Struktur von Texten auseinandergesetzt hat. Sein Leben und Werk bieten Anlass für philosophische und literaturwissenschaftliche Debatten, genauso wie für biographische und wissenschaftsgeschichtliche Anekdoten. Bachtin, der-- einmal mehr aus eigenem Antrieb, ein anderes Mal durch die politischen Verhältnisse gezwungen-- seine Wohn- und Arbeitsorte wechselte, hinterließ ein kaum zu überblickendes Oeuvre mit vielen unvollendeten, unpublizierten und unübersetzten Texten. Der Altphilologe Thomas Schmitz erklärt diesen Befund mit Bachtins Persönlichkeit: »Bachtin war ungewöhnlich wenig ehrgeizig und legte selbst auf die Veröffentlichung seiner Schriften keinen großen Wert. Eine Reihe seiner Schriften wurde, als er selbst schon in Moskau lebte, von Freunden aus Saransk geborgen, wo sie völlig vernachlässigt in einem Schuppen lagen. Es scheint möglich, dass sich auch heute noch irgendwo auf einer der zahlreichen Stationen von Bachtins unstetem Leben bisher unbekannte Manuskripte finden, die unser Bild seines Denkens verändern würden.« 3 Zu den über Bachtin kursierenden Anekdoten gehört auch, dass dieser geringe Ehrgeiz dazu führte, dass er während der Kriegszeit bereits publikationsreife Texte wieder vernichtete, indem er das Manuskript als Zigarettenpapier nutzte. Noch kontroverser als das Problem der nicht verfügbaren Schriften wird in der Bachtin-Forschung über die Autorschaft verschiedener mutmaßlich unter Pseudonymen bzw. unter dem Namen eines Freundes veröffentlichter Texte diskutiert-- insbesondere dann, wenn diese Texte in ideologische Nähe zum Stalinismus gestellt werden könnten. Während die philosophisch-erkenntnistheoretischen Arbeiten 4 Bachtins keine allzu breite Rezeption erfuhren, gehören wenigstens drei von ihm geprägte Begriffe zum Grundbestand der gegenwärtigen Literaturtheorie: »Karnevalisierung«, »Chronotopos« und schließlich »Dialogizität«. In seiner Dissertation Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur 5 beschreibt Bachtin »Karnevalisierung« bzw. das »Karnevaleske« als das gesellschaftlich akzeptierte (und notwendige), zeitweilige Durchbrechen geltender (kultureller oder literarischer) Konventionen. Mit »Chronotopos« wird der wechselseitige Zusammenhang zwischen Raum- und Zeitstrukturen in einem literarischen Werk bezeichnet, maßgeblich geprägt durch Bachtins gleichnamige Monographie. 6 Michael Schneider Dialog der Gegner Ein Blick auf das Matthäusevangelium mit Michail Bachtin Zum Thema Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 23 - 4. Korrektur ZNT 36 (18. Jg. 2015) 23 Michael Schneider Dialog der Gegner langue, sondern die parole, die einzelne sprachliche Äußerung, in den Mittelpunkt rücken. Sprache als Äußerung eines Subjekts verdankt sich nach Bachtins Ansatz immer einem Kontext, ereignet sich, ist an bestimmte Situationen gebunden, durch die ein Text ein bestimmtes semantisches Potential erhält: »Die Sprache ist für das in ihr lebende Bewusstsein nicht etwa ein abstraktes System normativer Formen, sondern eine konkrete in der Rede differenzierte Ansicht von der Welt. Allen Wörtern sind der Beruf, die Gattung, die Richtung, die Partei, das bestimmte Werk, die bestimmten Menschen, die Generationen, Altersstufen, Tag und Stunde anzumerken. […] Im Wort sind die kontextuellen Obertöne unvermeidbar.« Ein Text ist nie ein überzeitliches Etwas, sondern Autor, Leser und Text sind raum-zeitlich (chronotopisch) ge- und verbunden. Sprachliche Äußerungen kommen nicht isoliert vor, sondern begegnen einander in Kontexten-- die grundlegende Definition von »Dialogizität«: Daher ist »das literarische Wort nicht ein Punkt (ein feststehender Sinn) […], sondern eine Überlagerung von Text-Ebenen, ein Dialog verschiedener Schreibweisen: der des Schriftstellers, der des Adressaten […], der des gegenwärtigen oder vorangegangenen Kontextes.« 8 Ein Text lebt von der »Dialogizität« der verschiedenen, nicht aufzulösenden Stimmen in ihm. Bachtin hatte mit dieser Definition jede einzelne sprachliche Äußerung im Blick. Genauso wie er sein eigenes Werk als situationsgebundenes versteht, betont er, dass alle sprachlichen Äußerungen nicht im luftleeren Raum vorkommen, sondern in dialogischer Form auftreten- - als Dialog zwischen realen, literarischen oder fiktiven Personen. Sprache entsteht nicht in jeder Äußerung neu, sondern nimmt immer Bezug auf vorherige Äußerungen und fügt sich in gegebene aktuelle Kontexte ein. Jede Äußerung ist in diesem Sinne dialogisch. »Nur der mythische Adam, der mit dem ersten Wort an eine noch jungfräuliche Welt herantrat, der einsame Adam hatte es nicht mit dieser dialogischen, wechselseitigen Orientierung an dem fremden Wort im Gegenstand zu tun«. 9 Der Idealfall einer solchen literarischen »Dialogizität« liegt für Bachtin in Dostojewski-Romanen vor, Strukturmerkmale findet er aber in Texten bis zurück zur Antike. Es geht ihm dabei um »Dialogizität« als ein nicht zur Synthese gebrachtes Nebeneinander verschiedener, auch gegensätzlicher Stimmen im literarischen Text. Schließlich entwickelt Bachtin den Begriff der »Dialogizität« und stößt damit-- in weiten Teilen erst nach seinem Tod-- eine kaum zu überschätzende Debatte innerhalb der Literatur- und Sprachwissenschaft an. Dabei spielte zunächst gar nicht dieser Begriff, sondern der noch wirkmächtigere und in der Rezeption der Bachtinschen Werke entstandene Begriff der »Intertextualität« eine Rolle. »Intertextualität«-- mittlerweile auch breit als Terminus in der Exegese rezipiert 7 -- beschreibt zugleich eine grundlegende Eigenschaft aller wie auch ein besonderes Strukturmerkmal eines spezifischen Textes: Zunächst stehen Texte in einem allgemeinen Sinn in Bezügen zu anderen Texten, entstehen immer schon in Reaktion auf bereits vorhandene Texte, schreiben sich in die Welt aller vorhandenen Texte einer Kultur ein. Sodann lässt sich aber nach spezifischen intertextuellen Bezügen und den Strategien fragen, die ein Text mit der Bezugnahme auf andere Texte verfolgt. Julia Kristeva, die das Paradigma »Intertextualität« prägt, greift dabei auf Bachtins »Dialogizitätsbegriff« zurück und entwickelt diesen weiter. Bei Bachtin findet Kristeva eine grundlegende Orientierung nicht am System der Sprache (langue), sondern an Sprache und Texten in ihrer jeweiligen, konkreten Situation (parole). Beide Theoretiker unterscheiden sich von strukturalistischen Ansätzen ihrer Zeit dadurch, dass sie gerade nicht die Dr. Michael Schneider, Jahrgang 1977, 1996 -2002 Studium der Evangelischen Theologie, Philosophie und Mathematik; 2008 Promotion; Leiter des Dekanats am Fachbereich Evangelische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; Forschungsschwerpunkte und -interessen: Matthäusevangelium, Paulinische Theologie, Biblische Intertextualität, Bibeldidaktik, Bibel in Liturgie, Predigt und Kirchenmusik. Dr. Michael Schneider »Sprache als Äußerung eines Subjekts verdankt sich nach Bachtins Ansatz immer einem Kontext.« »Ein Text ist nie ein überzeitliches Etwas, sondern Autor, Leser und Text sind raum-zeitlich (chronotopisch) ge- und verbunden.« Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 24 - 4. Korrektur 24 ZNT 36 (18. Jg. 2015) Zum Thema Bachtins Ausführungen zur »Dialogizität« fußen auf der Wahrnehmung des literarischen Wortes als sozialer Erscheinung. Ein Herauslösen aus diesem Bezugsrahmen lässt aus dem lebendigen Wort ein histologisches Präparat entstehen. Ein einheitliches System von Sprache erscheint bei Bachtin nur als ein Projekt, eine Denkfigur, die im Gegenüber zur tatsächlichen Redevielfalt steht. Auch das o. g. Zitat von Umberto Eco greift daher die Bachtinsche Vorstellung eines »Primats des Dialogs über den Monolog« auf: »Jede konkrete Aussage des redenden Subjekts ist ein Angriffspunkt sowohl für die zentripetalen, als auch für die zentrifugalen Kräfte. Die Prozesse von Zentralisation und Dezentralisation, von Vereinheitlichung und Differenzierung überschneiden sich in ihr; sie genügt nicht nur ihrer Sprache als ihrer individualisierten Verkörperung in der Rede; sie genügt auch der Redevielfalt, an der sie aktiv beteiligt ist. Und diese aktive Teilnahme jeder Äußerung an der lebendigen Redevielfalt bestimmt das sprachliche Erscheinungsbild und den Stil der Äußerung nicht weniger als ihre Zugehörigkeit zum normativ-zentralisierten System der Einheitssprache.« 10 Eine Kultur, insbesondere aber jeder Text lebt nach Bachtin von der Partizipation an der lebendigen Redevielfalt. Jede Äußerung ist ein Sich-in-Beziehung- Setzen mit anderen Äußerungen. Dabei-- auch das ist ein Grundgedanke in Bachtins Ansatz-- hat der Andere stets sogar einen perspektivischen Vorteil, kann mich vollständiger wahrnehmen als ich das selbst vermag. »Jedes Verstehen ist das In-Beziehung-Setzen des jeweiligen Textes mit anderen Texten und die Umdeutung im neuen Kontext (in meinem, im gegenwärtigen, im künftigen) […] Die Etappen dieser dialogischen Bewegung des Verstehens sind: Ausgangspunkt-- der vorliegende Text. Bewegung zurück-- die vergangenen Kontexte, Bewegung nach vorn-- Vorwegnahme (und Beginn) des künftigen Kontextes. Der Text lebt nur, indem er sich mit einem anderen Text (dem Kontext) berührt. Nur im Punkt dieses Kontaktes von Texten erstrahlt jenes Licht, das nach vorn und nach hinten leuchtet, das den jeweiligen Text am Dialog teilnehmen läßt. Wir unterstreichen, daß dieser Kontakt ein dialogischer Kontakt zwischen Texten (Äußerungen) ist.« 11 2. Exegetische Monologe »Dialogizität« ist nach dieser kurzen Skizze zum komplexen Bachtinschen Werk offenkundig keine methodische Option zur Analyse eines biblischen Textes. Bachtin bietet stattdessen einen Ansatz, 12 der ein neues Licht auf Einheit und Vielfalt, Polyphonie und Positionalität wirft, auch in biblischen Texten. Bei Bachtin sind Eindeutigkeit, über Synthese hergestellte Einheit genauso wie Widerspruchsfreiheit weder Merkmale einer idealen Ursprungssituation, noch anzustrebende Lösung einer dialogischen Auseinandersetzung. Daher erweisen sich viele Dialoge-- seien sie literarischer oder anderer Natur- - bei näherer Betrachtung gerade nicht als dialogisch im Sinne Bachtins. Wenn die Pointe eines Dialogs in der vollständigen Aufgabe verschiedener Positionen besteht, ist Bachtins Perspektive dezidiert anders. »Dialogizität« in seinem Sinne beschreibt eine Antwortoption auf die Frage, wie mit der Realität des unaufgehobenen Differenten umzugehen ist. In einem Text stehen idealerweise differente Positionen nebeneinander; primäres Ziel ist es nicht, den Dialog aufzulösen, sondern ihn am Laufen zu halten. Damit korrespondiert der bereits erwähnte Aspekt bachtinscher Theoriebildung, dass die eigene Position durch den Anderen immer zutreffender, sicherlich aber umfassender darstellbar ist. Es braucht den Dialog unterschiedlicher Stimmen, um die eigene Position darstellbar zu machen. Bachtin hat keinen systematisch abgeschlossenen hermeneutischen Entwurf, geschweige denn eine theologische Hermeneutik vorgelegt. Dennoch diskutiert er mit dem Konzept der »Dialogizität« Fragestellungen, die für die Exegese von großer Bedeutung sind, im Besonderen die Verhältnisbestimmung von Einheit und Vielfalt bzw. den Umgang mit differenten Positionen, Gegensätzen und Widersprüchen. In vielen exegetischen Zusammenhängen wird Vielstimmigkeit vorwiegend als Problem begriffen, das historisch oder systematisch aufgelöst werden kann. So wird beispielsweise der »Dialogizität« innerhalb einer biblischen Schrift oder zwischen biblischen Einzelschriften regelmäßig damit begegnet, dass diese auf möglichst monologische Sequenzen reduziert wird: »Driven by the › self-evident‹ claims of monologic truth, however, biblical criticism attempted to disentangle the various voices, so that one »Bachtins Ausführungen zur ›Dialogizität‹ fußen auf der Wahrnehmung des literarischen Wortes als sozialer Erscheinung.« »In einem Text stehen idealerweise differente Positionen nebeneinander; primäres Ziel ist es nicht, den Dialog aufzulösen, sondern ihn am Laufen zu halten.« Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 25 - 4. Korrektur ZNT 36 (18. Jg. 2015) 25 Michael Schneider Dialog der Gegner could identify the different individual monologic voices. This seemed to be the way to deal with the phenomenon of a text whose multivoicedness contradicted the reigning notions of authorship.« 13 Nach Carol Newsom begegnet also ein historisch-kritischer Ansatz der in den biblischen Texten (bzw. im biblischen Kanon) angelegten Dialogizität, indem versucht wird, aus diesem neue Textabschnitte zu extrahieren, die monologisch strukturiert sind. Aber auch viele literaturwissenschaftliche Ansätze in der Exegese versuchen laut Newsom, Texte monologisch engzuführen: »Literary readings of the new critical persuasion offered to deal with the final form of the text but did so by reading the text › as though‹ it had been the product of a single author. Reader response approaches located unifying consciousness increasingly in the reader.« 14 Newsoms Essay macht deutlich, dass die Analyse biblischer Texte ganz unterschiedlicher Ansätze geprägt ist von der grundlegenden Annahme des monologischen Charakters eines Textes-- dieser wird entweder durch Reduktion eines Gesamttextes auf kleinste, monologische Einheiten oder durch die Annahme eines einheitlichen impliziten Autors oder Lesers erreicht. »Dialogizität« entsteht demgegenüber »at the point of several unmerged voices.« 15 Diese verschiedenen Stimmen können nicht synthetisch ineinander oder in ein systematisches Drittes aufgelöst werden. Neben Carol Newsom findet man eine ganze Reihe US-amerikanischer Veröffentlichungen, die sich mit Bachtin aus exegetischen bzw. theologischen Perspektiven auseinandersetzen: einführende Sammelbände wie Makhail Bakhtin and Biblical Scholarship: An Introduction, 16 exegetische Studien wie Dialogues of the Word: The Bible as Literature According to Bakhtin 17 oder weiterführende exegetische und religionsphilosophische Arbeiten wie Christianity in Bakhtin. God and the exiled author 18 und Corporeal Words. Mikhail Bakhtin’s Theology of Discourse. 19 Im deutschsprachigen Raum wurde sein Ansatz in erster Linie zur theoretischen Fundierung kanonisch-intertextueller Ansätze (Georg Steins) herangezogen. Bachtin hatte dialogische Elemente insbesondere in den Romanen Dostojewskis vorgefunden, und sicherlich haben die neutestamentlichen Texte, die als Autorenliteratur gerade die Position des Protagonisten stark machen wollen, eine andere Grundstruktur als jene. Dies trifft sicherlich auch, wenn nicht in besonderem Maße für das Matthäusevangelium zu, dessen Textstrategie zu weiten Teilen ja gerade darin besteht, eine Perspektive den anderen vorzuordnen. Gerade in einem solchen Text lässt sich aber mit Bachtin fragen, ob es Matthäus gelingt, die Stimme des Protagonisten monologisch vor alle anderen zu stellen. Welche Rolle spielt dabei die (imaginierte) Perspektive der anderen für die eigene Position? Lässt sich die Welt, die das Matthäusevangelium beschreibt, zutreffend in einer monologischen Systematik beschreiben? Wie geht der Text mit Spannungen und Konflikten um? Gibt es unterschiedliche Positionen und wie werden diese zueinander in Beziehung gesetzt? Innerhalb des Matthäusevangeliums erhalten diese Fragen nach dialogischem Nebeneinander bzw. Gegenüber ihre besondere Relevanz in der Thematik der sogenannten »Gegner Jesu«. Diese steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. 3. Wer gegen wen? - die Gegnerfrage im Matthäusevangelium Die Konfliktlinien im Matthäusevangelium sind scheinbar klar gezogen: hier der Protagonist und seine Anhänger-- dort die Gegner; hier Jesus und die Jünger-- dort die Pharisäer, Schriftgelehrten, Hohepriester etc. Dieser Eindruck eines klaren Gegenübers wird in der grundlegenden Monographie von Jack D. Kingsbury Matthew as Story zunächst unterstützt: Er stellt im Wesentlichen drei große story lines innerhalb des Matthäusevangelium-- die des Protagonisten, der Gegner und der Anhänger Jesu-- dar. Kingsbury legt besonderen Wert auf die Untersuchung der auftretenden Gegner, die er aufgrund ihrer vergleichbaren Funktion innerhalb des Evangeliums bei aller Unterschiedlichkeit als single character 20 bezeichnet. Der Protagonist und seine Anhänger befinden sich in fortwährendem Konflikt mit den Gegnern, die diesen zunächst-- mit dem vollzogenen Tötungsbeschluss-- für sich entscheiden. Mit der Ostergeschichte nimmt die Erzählung dann aber eine Wendung: Nicht die Gegner, sondern der Protagonist setzt sich durch. Im »ersten Schluss« der Erzählung (Kreuzigung) hat sich die eine Position, im »zweiten Schluss« (Auferstehung) die andere Position durchgesetzt. Diese scheinbar klare und auf der Hand lie- »Bachtin hatte dialogische Elemente insbesondere in den Romanen Dostojewskis vorgefunden.« »Lässt sich die Welt, die das Matthäusevangelium beschreibt, zutreffend in einer monologischen Systematik beschreiben? Wie geht der Text mit Spannungen und Konflikten um? « Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 26 - 4. Korrektur 26 ZNT 36 (18. Jg. 2015) Zum Thema gende Analyse wirft wenigstens drei Probleme auf, die im Folgenden vor dem Hintergrund der Skizzen zu Bachtin näher betrachtet werden sollen. 3.1 Welcher Gegner? So wie er in der kommentierenden Literatur verwendet wird, ist »Gegner« ein metasprachlicher Begriff, der im Matthäusevangelium nicht vorkommt. »Gegner Jesu« dient als Sammelbegriff für »die politischen und religiösen Autoritäten seines Volkes«. 21 Das, was mit diesem Sammelbegriff bezeichnet wird, versteht sich aber weder von selbst, noch ausschließlich aus dem Text heraus, indem z. B. bestimmte Handlungen/ Verbalaussagen als typisch für ein gegnerisches Handeln identifiziert werden könnten. Die immer wieder als selbstverständlich vorausgesetzte Kategorisierung, wer »Freund und Feind« ist, wäre zunächst aus dem Text heraus zu erheben. Regelmäßig wird die Frage allerdings über textexterne Plausibilitäten geklärt. Dadurch werden dann zwei grundsätzlich zu unterscheidende Ebenen nicht klar getrennt-- die Rückfrage nach historisch plausiblen Konfliktkonstellationen zur Zeit Jesu (oder zur Zeit der Abfassung des Matthäusevangeliums) und die literaturanalytische Frage nach Figurenzeichnung innerhalb des Matthäusevangeliums. Die implizite Annahme ist zumeist, dass sich im Matthäusevangelium eine »tatsächlich« gegebene Situation wiederspiegelt oder zumindest ihren Niederschlag findet. »Gegner« sind dann solche Personen(gruppen), die zur Zeit der Abfassung des Matthäusevangeliums oder während Jesu Wirken historisch plausibel als Gegner vorgestellt werden können. Die Frageperspektiven lauten daher: Wie lässt sich aus der matthäischen Gemeindesituation heraus die Darstellung »der Pharisäer«, »der Schriftgelehrten«, »der Hohepriester« etc. im Matthäusevangelium plausibel machen? Wer waren die Gegner Jesu, mit denen er sich auseinandersetzte und die schließlich zu seiner Verurteilung geführt haben? Hinter der Vorstellung der »Gegner« als single character scheint schon immer eine genaue Vorstellung darüber zu stehen, wer diese Gegner realhistorisch »waren«. Die matthäische Figurenzeichnung lieferte in einer solchen Perspektive rein deskriptiv Informationen über Konstellationen in den frühen Christengemeinden oder die Lebensumstände Jesu. 22 Die Frage nach den »Gegnern« muss aber zunächst-- wie Hansjörg Schmid treffend für den 1Joh herausgearbeitet hat-- anders gestellt werden: »Die neue Frage lautet: Wie funktioniert der Text? Welche Grenzen zieht der Text, und in welchem Zusammenhang stehen diese Grenzen? Die Frage richtet sich folglich nicht darauf, wie die Grenze zwischen Gemeinde und Gegnern genau aussah, sondern wie und zu welchem Zweck sie gezogen wird. […] Daraus ergibt sich das Programm, Akte der Fremdbezeichnung und Geschichtskonstruktion nicht vorschnell in vermeintlich rekonstruierte Geschichte aufzulösen, sondern in ihrer pragmatischen Funktion zu untersuchen. Nicht wer die Gegner waren, lautet dann die Frage, sondern zu welchem Zweck und in welchem Zusammenhang überhaupt von Gegnern gesprochen wird. Dazu gilt es, in und nicht hinter den Text zu schauen. […] Die Gegnerfrage, wie sie traditionell gestellt wird, ist ein ›Kind des Historismus‹.« 23 Am Beispiel der »Pharisäer« wird die Problematik besonders deutlich: Zweifellos befinden wir uns zur Entstehungszeit der synoptischen Evangelien in einer Zeit, die geprägt ist von Neuformierungsprozessen innerhalb der jüdischen und neu entstehenden christlichen Gemeinschaften: Unterschiedliche jüdische Gruppierungen treten zugunsten einer Gruppe starker pharisäischer Prägung zurück, die dann später mit dem Kollektivbegriff Judentum bezeichnet wird. Nichtsdestotrotz sind wenigstens drei Ebenen berührt, wenn das Matthäusevangelium etwa von »Pharisäern« spricht: a) »Pharisäer« bezeichnet eine religiös-politische Gruppierung zur Zeit Jesu (der dieser Jesus vermutlich relativ nahe stand), gilt b) innerhalb eines beginnenden Abgrenzungsprozesses im 1. Jahrhundert als Sammelbegriff für eine bestimmte jüdische Gemeinschaft (die sich ggf. in Auseinandersetzung mit der matthäischen Gemeinde befand) und bezeichnet c) auf der literarischen Ebene des Matthäusevangeliums eine Figur, die sich (auch) in ihrer spezifischen literarischen Funktion gegenüber dem Protagonisten beschreiben lässt. Die vorschnelle Gleichsetzung aller drei Ebenen führt, nicht zuletzt mit Blick auf die Rolle der Gegner in der Passionsgeschichte, zu erheblichen Kurzschlüssen-- die Wirkungsgeschichte dieser Texte liefert unzählige bedrückende Beispiele dafür. Dabei soll hier keinesfalls die Position vertreten werden, dass die historische Verortung für die Analyse des Matthäusevangeliums irrelevant ist. Gerade mit »Wer waren die Gegner Jesu, mit denen er sich auseinandersetzte und die schließlich zu seiner Verurteilung geführt haben? « Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 27 - 4. Korrektur ZNT 36 (18. Jg. 2015) 27 Michael Schneider Dialog der Gegner Bachtin muss auch ein neutestamentlicher Text nicht als »abstraktes System normativer Formen, sondern [als] eine konkrete in der Rede differenzierte Ansicht von der Welt« verstanden werden. Es besteht eine große historische Plausibilität für die Annahme, dass es im Umfeld der Entstehung des Matthäusevangeliums auch Konfliktkonstellationen gab, die dessen Abfassung beeinflusst haben. Auch der umgekehrte Weg-- Textabschnitte des Matthäusevangeliums werden zur Grundlage antijudaistischer Agitation-- ist wirkungsgeschichtlich leider allzu oft zu beobachten. Aber gerade deshalb sind die genannten drei Ebenen-- mit der Wirkungsgeschichte eines Textes nach seiner Abfassung müsste man eine vierte ergänzen-- in der Analyse und erst recht im theologischen Urteil klar zu differenzieren. Der Text und die Welt außerhalb des Textes stehen zwar in Bezug; textinterne Polemiken, Konflikte, Auseinandersetzungen lassen sich aber nicht einlinig auf die textexterne Welt übertragen. Genauso wenig lassen sich Kategorien wie die der »Gegner« aus der textexternen Welt einfach auf den Text anwenden-- der Text wäre dann auf die Funktion der Abbildung einer historischen Begebenheit reduziert. 3.2 Welche Gegner? Judy Yates Siker hat in ihrer Untersuchung 24 den Versuch unternommen, zunächst einmal zusammenzutragen, welche Personen(gruppen) gemeinhin als »Gegner« vorgestellt werden und kommt insgesamt auf sechzehn (! ) verschiedene Lexeme: 1) Schriftgelehrte und Pharisäer (Mt 5,20; 12,38; 15,1; 23,2. 13. 15.23. 25. 27.29) 2) Pharisäer (Mt 12,2. 14. 24; 15,12; 19,3; 22,15.34; 23,26) 3) Hohepriester und Älteste (Mt 26,3.47; 27,1.3.4.12.20; Mt 28,11 f.) 4) Pharisäer und Sadduzäer (Mt 3,7; 16,1.11.12) 5) Heuchler/ Hypokritai (Mt 6,2.5.16; 15,7) 6) Schriftgelehrte (Mt 7,29; 9,3; 17,10) 7) Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte (Mt 16,21; 27,41) 8) Hohepriester und Schriftgelehrte (Mt 2,4; 20,18; 21,15) 9) Hohepriester und Pharisäer (Mt 21,45; 27,62) 10) Anhänger/ Schüler der Pharisäer und Herodianer (Mt 22,16) 11) Sadduzäer (Mt 22,23) 12) Schriftgelehrte und Älteste (Mt 26,57) 13) Hohepriester und der ganze Hohe Rat (Mt 26,59) 14) Hohepriester (Mt 26,14) 15) Das ganze Volk (Mt 27,25) 16) Juden (Mt 28,15) Die Zusammenstellung von Yates Siker ist aufschlussreich, weil sie die Vielfalt der gemeinhin als »Gegner« zusammengefassten Personengruppen aufzeigt, die noch einmal größer würde, sobald man die mit den Personen verbundenen Handlungen/ Verbalaussagen ebenfalls differenzieren würde. Wenn es eine Gemeinsamkeit dieser unterschiedlichen »Gegner« gibt, dann ist es schlicht die Tatsache, dass sie sich im Matthäusevangelium in einer Gegensatzbeziehung gegenüber Jesus befinden. Zum selben Ergebnis kommt Yates Siker, wenn sie feststellt, dass Identität durch Alterität definiert bzw. das Andere durch den Text polemisch konstruiert wird. Die angeführten Textstellen zeigen zudem, dass sich diese Gegensatzbeziehung auf der inhaltlichen Ebene insbesondere mit Blick auf die Auslegung der Tora und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen erstreckt. Die auftretenden Figuren sind damit weniger Repräsentanten tatsächlicher Gegner der frühen Gemeinden, sondern präsentieren auf möglichst offensichtliche und ggf. auch plakative Weise den Anderen in der Welt des Matthäusevangeliums, um damit die Gegensatzbeziehung überhaupt erst darstellbar zu machen. Das Matthäusevangelium erzählt die Jesus-Christus-Geschichte als Konfliktgeschichte und zeichnet die Figuren neben dem Protagonisten nicht als diejenigen, die einen perspektivischen Vorteil haben. Die Gegner halten den konstitutiven Konflikt aufrecht und offenbaren damit eine bestimmte Funktion im Evangelium: Sie sind prototypisch mögliche Stimmen in der Reaktion auf Jesus Christus. Aber selbst die Differenzierung von Yates Siker greift noch zu kurz. Auch sie lebt von impliziten, aus einer textexternen Perspektive gewonnenen Grenzsetzungen zwischen »Gemeinde« auf der einen und den »Anderen« auf der anderen Seite. Beispielsweise ist klar, dass die Jünger nicht in die Liste der Gegner aufgenommen werden-- »Gegner« sind gerade definiert als »Nicht-Jünger«. Geht man aber rein vom Textbefund aus, lassen sich vergleichbare Oppositionskonstellationen auch mit den Jüngern erheben. So finden wir etwa in Mt 21,15 (»Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohn Davids! , entrüsteten sie sich«) und »Das Matthäusevangelium erzählt die Jesus-Christus-Geschichte als Konfliktgeschichte.« Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 28 - 4. Korrektur 28 ZNT 36 (18. Jg. 2015) Zum Thema in relativer Nähe dazu in Mt 20,24 (»Als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über die zwei Brüder.«) mit ēganaktēsan die identische Verbform für ein Verhalten der »Gegner« und der »Jünger«. Gerade dann, wenn Yates Siker versucht, die Gegnerfrage im Matthäusevangelium mit neueren soziologischen Ansätzen als Identitätskonstruktion eines Gegenübers zwischen »uns« und den »anderen« zu bearbeiten, besteht die Gefahr der zu einseitigen Gleichsetzung: Mit den »Jüngern« wird die eigene Gruppe, mit den »Gegnern« die Gruppe der anderen identifiziert. Eine solche Identifizierung greift in doppelter Hinsicht zu kurz: Die Jünger können sich auch in Gegensatzkonstellationen zu Jesus befinden und die Menge der Antagonisten im Matthäusevangelium ist insgesamt größer als die Menge der historisch plausiblen religiösen und politischen Autoritäten. Während Kingsbury die Gegensatzkonstellationen mit den Jüngern noch bedingt wahrnimmt, werden diese bei Yates Siker als Opponenten aufgrund inhaltlicher Vorentscheidungen gar nicht genannt. Dabei entwickelt das Matthäusevangelium neben der genannten Parallele zwischen Gegnern und Jüngern immer wieder strukturelle Gegensatzbeziehungen zwischen Jesus und seinen Anhängern. Jesus, der Immanuel 25 steht denjenigen gegenüber, die genau daran zweifeln, ob dieser Jesus der Immanuel, der »Gott mit uns« ist. Der matthäische Jesus (z. B. Mt 20,20 f.) hebt diesen Punkt selbst hervor. Gegner wie Jünger befinden sich in fortwährendem Kontakt zum Protagonisten, sind durch Gegensatzbeziehungen zu diesem ausgezeichnet und beschreiben durch diese Konfliktkonstellationen die Koordinaten der Handlung innerhalb des Matthäusevangeliums. Gegner und Jünger zweifeln an der Identität Jesu, leugnen bzw. bestreiten diese öffentlich. Während ein unmittelbares In-Beziehung-Setzen der »Gegner im Matthäusevangelium« mit den »Gegnern der matthäischen Gemeinde« bzw. der »Jünger im Matthäusevangelium« mit der »nachösterlichen Gemeinde« ein klar getrenntes Gegenüber zwischen diesen beiden Gruppen konstruiert, ist deren Funktion innerhalb des Matthäusevangeliums viel stärker vergleichbar: Textpragmatisch sind »Gegner« wie »Jünger« jeweils Personengruppen, die sich zu Jesus in »strukturell erzeugten Gegensatzbeziehungen« 26 befinden. Schließlich bleibt noch zu erwähnen, dass das Matthäusevangelium auch noch gegnerische Figuren kennt, die realhistorisch überhaupt keinen natürlichen Personen(gruppen) zuzuordnen sind-- man denke nur an die Konfliktkonstellationen mit nicht-menschlichen Wesen wie dem Teufel (Mt 4) oder mit Dämonen (Mt 10). 3.3 Konflikte-- Dialoge-- Keine Lösung Das Matthäusevangelium lebt von der Spannung der fortwährenden Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen. Mit Bachtin gesprochen liegen im Text unterschiedliche Stimmen vor, die sich mehr oder weniger deutlich mit der Stimme des Protagonisten und der Stimme des Erzählers gegenüberstehen. Deswegen sind es nicht nur verschiedene »literarische Techniken«, die einen Spannungsbogen aufbauen, der zeigt, »dass das Matthäusevangelium vom Anfang bis zum Schluss gelesen werden will.« 27 Geht man mit Ulrich Luz davon aus, dass das Matthäusevangelium als Ganzes verstanden werden will, muss man konstatieren, dass dieser Spannungsbogen gerade im Aufrechterhalten verschiedener Gegensatzbeziehungen besteht, die bis zum Ende nicht aufgelöst werden. Luz hat diesen Gegensatzbeziehungen innerhalb des Matthäusevangeliums eine wichtige und konstruktive Rolle zugeschrieben: »Von Anfang bis Ende bleiben Leserinnen und Leser aber nur bei der Sache, wenn die jeweilige Geschichte auch einen gewissen Spannungsbogen aufweist […] Die gängige und auch im Deutschen üblich gewordene Bezeichnung plot kann man vorläufig durchaus als eine Art Spannungsbogen bzw. als Grundkonflikt bezeichnen, der im Lauf der Erzählung zum Höhepunkt und schließlich einer Lösung kommt.« 28 Entscheidend ist jedoch, dass Luz davon ausgeht, dass alle Grundkonflikte am Ende der Erzählung gelöst sind. Versucht man, die Konfliktlinien über das gesamte Evangelium nachzuzeichnen, ergibt sich allerdings ein anderes Bild: Wesentliche Merkmale der als »Gegner« konstruierten Gruppen sind die fortwährende Auseinandersetzung mit Jesus, die schließlich zum Tötungsbeschluss führt. Inhaltlich geht es in den Auseinandersetzungen mit diesen gegnerischen Gruppen in erster Linie um die Frage nach der messianischen Würde Jesu (und damit die Frage nach Anerkennung von Macht und göttlich legitimierter Hierarchie) und die Kompetenz zur Schriftauslegung. 29 Matthäus geht in seiner Darstellung dieses gegnerischen Unverständnisses in gewisser Weise konsequenter vor als die anderen synoptischen Evangelien-- keine der anderen Figuren, sondern einzig und allein der matthäische Jesus selbst kann die angemessene Tora-Deutung liefern (Mt 22,34- 39). Das Matthäusevangelium nimmt bei der Darstel- »Gegner und Jünger zweifeln an der Identität Jesu, leugnen bzw. bestreiten diese öffentlich.« Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 29 - 4. Korrektur ZNT 36 (18. Jg. 2015) 29 Michael Schneider Dialog der Gegner lung des Konflikts gerade nicht die Rolle des historisch sorgfältigen Beobachters ein, und zwar weder mit Blick auf die Zeit des Lebens Jesu, noch mit Blick auf die Zeit der Abfassung des Evangeliums. Es geht vielmehr um eine bestimmte Textstrategie: Zwei sich gegenüberstehende Parteien sollen möglichst gegensätzlich dargestellt werden. 30 Entscheidend ist aber, dass diese Konfliktbeziehung nicht aufgelöst, sondern bis zum Ende des Evangeliums konsequent durchgehalten wird. Obwohl mit der Kreuzigung zunächst die Geschichte abrupt endet, ist die Geschichte der widerstreitenden Positionen nicht zu Ende erzählt. Das letzte Kapitel spielt zunächst zwei vermeintliche Lösungen des Konflikts durch: Der Protagonist stirbt- - die Gegner haben sich durchgesetzt. Dann aber: Jesus überwindet den Tod- - die Gegner haben sich nicht durchgesetzt. Beide Lösungen lösen aber die grundsätzliche Konstellation nicht auf: »Als sie aber hingingen, siehe, da kamen einige von der Wache in die Stadt und verkündeten den Hohenpriestern alles, was geschehen war. Und sie kamen mit den Ältesten zusammen, hielten Rat und gaben den Soldaten viel Geld und sprachen: Sagt, seine Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen. Und wenn es dem Statthalter zu Ohren kommt, wollen wir ihn beschwichtigen und dafür sorgen, dass ihr sicher seid. Sie nahmen das Geld und taten, wie sie angewiesen waren. Und so ist dies zum Gerede geworden bei den Juden bis auf den heutigen Tag.« (Mt 28,11-15) Der Konflikt, der in einem Gegenüber unvereinbarer Stimmen in der Erzählung besteht, existiert unverändert weiter. Die Gegner bleiben Gegner, das Verhalten der Kontrahenten bleibt unverändert. Liest man das Matthäusevangelium in erster Linie nicht in deskriptiver Perspektive als literarische Darstellung textextern vorhandener Konflikte, sondern fragt nach der Funktion der Figurendarstellungen, dann heißt das aber auch: das Konflikthafte, Feindliche, Oppositionelle gehört zur Welt dazu und ist selbst durch Ostern nicht aufgehoben. Dieses Aufrechterhalten der verschiedenen Positionen im Evangelium- - mit Bachtin: Dialogizität- - entspricht mit Blick auf das gesamte Evangelium der Aussage, die W.D. Davies und D.C. Allison in ihrem Kommentar bzgl. der Frage der Feindesliebe auf den Punkt bringen: »Jesus does not promise that love will turn enemies into friends.« 31 So wenig wie der Protagonist des Matthäusevangeliums dafür steht, Feindschaften, Gegnerschaften, Oppositionen, Konflikte aufzulösen, so wenig führt der »Dialog der Gegner« im Matthäusevangelium zu einer Lösung. Das Gebot der Feindesliebe setzt deren fortdauernde Existenz voraus. Daher besteht auch kein prinzipieller Widerspruch zwischen den deutlichen Worten Jesu gegenüber den Gegnern hier und dem Gebot der Feindesliebe aus der Bergpredigt. 32 Jesu Gebot der Feindesliebe setzt auf der Textebene des Matthäusevangeliums die gegnerischen Figuren als vorhandene und bleibende voraus. Das Ideal des Textes ist nicht eine Welt ohne Gegner oder Feinde. Vielmehr wird die Existenz der Gegner in dieser Welt bzw. »bis zum Ende dieser Welt« (Mt 28,20) vorausgesetzt, die Welt wird als Welt der Feind- und Gegnerschaften beschrieben. Ähnliches gilt für die Gruppe der Jünger. Tod und Auferstehung haben auch hier keine durchgreifende Verhaltensänderung zur Folge: »Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder, zweifelten jedoch« (Mt 28,16 f.). 33 Die Jünger-- gemeinhin der Prototyp der auf der Seite Jesu stehenden Personen- - zeichnen sich auch nachösterlich ambivalent als Niederfallende, aber Zweifelnde aus. 4. Kein Dialogabbruch Die polyphone, dialogische Struktur zwischen Jesus, Jüngern, Gegnern und anderen Gruppen bleibt im Mat- »Obwohl mit der Kreuzigung zunächst die Geschichte abrupt endet, ist die Geschichte der widerstreitenden Positionen nicht zu Ende erzählt.« »So wenig wie der Protagonist des Matthäusevangeliums dafür steht, Feindschaften, Gegnerschaften, Oppositionen, Konflikte aufzulösen, so wenig führt der ›Dialog der Gegner‹ im Matthäusevangelium zu einer Lösung. Das Gebot der Feindesliebe setzt deren fortdauernde Existenz voraus.« »Das Ideal des Textes ist nicht eine Welt ohne Gegner oder Feinde. Vielmehr wird die Existenz der Gegner in dieser Welt bzw. ›bis zum Ende dieser Welt‹ (Mt 28,20) vorausgesetzt, die Welt wird als Welt der Feind- und Gegnerschaften beschrieben.« Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 30 - 4. Korrektur 30 ZNT 36 (18. Jg. 2015) Zum Thema thäusevangelium bis zum Schluss bestehen. Ein Dialog der unterschiedlichen Stimmen wird bis zum Ende des Textes nicht aufgelöst. Damit wird aber zugleich über den Text hinausgewiesen, die Konfliktkonstellationen bleiben »bis zum Ende der Welt«, und damit auch in der Gegenwart der Leserinnen und Leser, weiterhin bestehen. Kaum eine Auslegung des Matthäusevangeliums hält diese Spannung aus-- irgendwann muss doch der Konflikt gelöst werden und müssen sich alle Spannungen lösen. So stellt etwa Mark Allan Powell fest: »The purpose of the great commission epilogue, then, is to inform us that these resolutions have set into motion new developments that will be resolved in a story yet to be told.« Das Evangelium hat zwar ein offenes Ende, dennoch scheint klar zu sein, dass eine Lösung bevorsteht! 34 Ist mit dieser in Aussicht gestellten-- freilich in die unmittelbare Zukunft datierten-- Konfliktlösung die Pragmatik des Matthäusevangeliums zutreffend wiedergegeben? Die zeitliche Verschiebung der im Matthäusevangelium noch nicht eingetretenen Konfliktlösung in die Zeit der frühchristlichen Gemeinden fußt weiterhin auf der Annahme, der Text ziele ausschließlich auf eine Lösung der Gegensatzbeziehungen. Wenigstens ebenso plausibel scheint aber ein anderes Modell: Genauso wie das Gebot der Feindesliebe nicht auf Überwindung der Kategorie Feindschaft zielt, beschreibt das Matthäusevangelium Gegensatzbeziehungen, um Strategien zu deren Überwindung zu präsentieren. Gerade Mt 28 macht deutlich, dass die Gegensätze auch über die Auferstehung hinweg weiter bestehen. Indem der Matthäusschluss das Diskursuniversum des Textes überschreitet und auf die Zeit nach der Jesus-Christus- Geschichte zielt, gelten für diese auch vergleichbare Wirklichkeitsannahmen. Das Matthäusevangelium stößt hier auch kein Idealbild christlicher Gemeinden an, die sich gerade dadurch als Nachfolger Jesu erweisen, dass die bisher nicht aufgelösten Konflikte nun ihren Lösungen zugeführt werden. Denkt man das matthäische Diskursuniversum über Mt 28,20b hinaus, dann bestehen in diesem Diskursuniversum die stories weiter, es wird keine Auflösung der unterschiedlichen Stimmen in einer geben. Der Bachtinsche Ansatz-- Gegensatzbeziehungen, die dialogisch unvereint nebeneinander stehen-- bietet m. E. hier eine neue Perspektive. Die relevante Frage ist nicht, wie die Kategorie der Gegnerschaft überwunden werden kann (etwa durch Verwandlung in Freundschaft), sondern wie mit den Gegnern umzugehen ist. Es geht nicht um einen Dialog als Durchgangsstadium, der darauf zielt, bestehende Gegensatzbeziehungen aufzuheben. Es stellt sich vielmehr die Frage, wie auf der Basis der real gegebenen Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit der Welt mit den Anderen umzugehen ist. Wenn auf der Textebene verschiedene Charaktere (auch die Jünger) legitimerweise als Gegner dargestellt werden können, dann ist auch die Aufforderung, »alle zu Jüngern zu machen« (Mt 28,20) nicht als Überwindungsstrategie für Gegensatzstrukturen zu verstehen. Bernadette Descharmes hat darauf hingewiesen, dass freundschaftliche wie feindschaftliche Beziehungen in erster Linie Beziehungen stiften und damit Weltstrukturen schaffen: »Wie sich zeigte, ist Gegenseitigkeit ein wesentliches Element von philia-Beziehungen. Doch Gegenseitigkeit prägt auch feindliche Beziehungen, also auch den Rachekonflikt. Die Aspekte der Gabe (potentielle Zirkularität, Mimesis, Intentionalität) sind in gleicher Weise auch die Charakteristika der ›Feindschaftsregeln‹.« 35 Nicht alle Feinde werden Freunde, auch Jünger können Gegner sein. Das Matthäusevangelium zielt darauf, die Gegner argumentativ und durch ihr offensichtlich falsches Handeln im Text zu delegitimieren. Ihre Auslegung der Schrift und ihr Handeln nach der Schrift sind unvollkommen und falsch. 36 Demgegenüber sollen sich die Leser des Matthäusevangeliums bewusst werden, dass das Gebot der Feindesliebe gerade darauf abzielt, sich mit Blick auf das bevorstehende Gericht als Kinder Gottes zu erweisen, und zwar des Gottes, der sich allen Menschen zunächst einmal auf gleiche Weise zuwendet: »Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.« (Mt 5,44 f.) Die Pointe dieser Verse besteht dann gerade darin, dass das Ziel des liebenden Umgangs mit den Gegnern weder in psychologischer noch pädagogischer Hinsicht in der Überwindung der Gegnerschaft liegt, 37 sondern darin, sich als Kinder Gottes zu erweisen, dass man-- wie Gott selbst-- sich Gegnern wie Freunden auf angemessene Weise zuwendet. Die Perspektive des Matthäusevangeliums ist kein Minimalkonsens, auf den sich Jesus mit seinen Konfliktpartnern einigt. Die Lösung ist auch kein einseitiger Maximalkonsens, in dem sich Jesus vor aller Welt durchsetzt und die Gegner verstummen. Es findet sich weder ein »gemeinsamer Bestand an Kernwerten« bei Jesus und seinen Gegnern noch hat sich Jesus als strahlender Held mit seiner Position durchgesetzt. Matthäus formuliert kein Weltethos der Einheit, sondern macht deutlich, dass Gegensätze bis zum Weltende unüberwindbar bestehen bleiben. Der Dialog der Gegner bricht nicht ab. Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 31 - 4. Korrektur ZNT 36 (18. Jg. 2015) 31 Michael Schneider Dialog der Gegner Anmerkungen 1 Informationsseite zum Projekt »Weltethos« (http: / / www. weltethos.org/ 1-pdf/ 10-stiftung/ declaration/ declaration_german.pdf; letzter Abruf am 19. 06. 2015). 2 U. Eco, Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers, München 2011, 33. 3 T.A. Schmitz, Moderne Literaturtheorie und antike Texte. Eine Einführung, Darmstadt 2002, 78. Schmitz bietet auf wenigen Seiten eine profunde Einführung in Biographie und Denken Bachtins. 4 Eine der wenigen deutschsprachigen Arbeiten, die sich mit diesem Bereich des Bachtinschen Werks ausführlich auseinandersetzt, ist W. Eilenberger, Das Werden des Menschen im Wort: Eine Studie zur Kulturphilosophie Michail M. Bachtins, Zürich 2009. Eine detaillierte Einführung in das Denken Bachtins bietet auch P. von Möllendorf, Grundlagen einer Ästhetik der Alten Komödie. Untersuchungen zu Aristophanes und Michail Bachtin, Tübingen 1995. 5 M. Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, hg. v. R. Lachmann, Frankfurt 1987. 6 M. Bachtin, Chronotopos, Frankfurt 2008. 7 Für einen forschungsgeschichtlichen Überblick vgl. M. Schneider, Gottes Gegenwart in der Schrift. Intertextuelle Lektüren zur Geschichte Gottes im 1Kor, Tübingen 2011; grundlegend für die Diskussion ist R.B. Hays, Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Haven 1993; einen Überblick über verschiedene intertextuelle Ansätze bietet S. Alkier/ R.B. Hays, Die Bibel im Dialog der Schriften. Konzepte intertextueller Bibellektüre (NET 10), Tübingen 2005. 8 J. Kristeva, Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman, in: Jens Ihwe (Hg.), Literaturwissenschaft und Linguistik III, Frankfurt am Main 1972, 345-375, hier: 346. 9 M. Bachtin, Die Ästhetik des Wortes, hg. v. R. Grübel, Frankfurt 1979, 172. 10 Bachtin, Ästhetik, 165. 11 Bachtin, Ästhetik, 352 f. 12 Vgl. dazu auch G. Steins, Die »Bindung Isaaks« im Kanon Gen 22, Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre, Freiburg 1999, der die Bachtinsche Theorie als Fundierung für seinen Ansatz heranzieht. 13 C.A. Newsom, Bakhtin, the Bible, and Dialogic Truth, JR 76/ 2 (1996), 290-306, hier: 293. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 B. Green/ D.A. Knight, Makhail Bakhtin and Biblical Scholarship: An Introduction, Atlanta 2000. 17 W.L. Reed, Dialogues of the Word: The Bible as Literature According to Bakhtin, Oxford 1993. 18 R. Coates, Christianity in Bakhtin. God and the exiled author, Cambridge 1999. 19 A. Mihailovic, Corporeal Words. Mikhail Bakhtin‘s Theology of Discourse, Evanston 1997. 20 J.D. Kingsbury, Matthew as Story, New Haven 1988, 18: »Because all of these groups presented in Matthew‘s story as forming a united front opposed to Jesus, they can be treated as a single character.« Vgl. auch B. Repischinski, The Controversy Stories in the Gospel of Matthew. Their Redaction, Form and Relevance for the Relationship Between the Matthean Community and Formative Judaism (FRLANT 189), Göttingen 2000, besonders Abschnitt VII. 21 So der Untertitel von M. Gielen, Der Konflikt Jesu mit den religiösen und politischen Autoritäten seines Volkes im Spiegel der matthäischen Jesusgeschichte (BBB 115), Bodenheim 1998. 22 Vgl. auch E. Reinmuth, Neutestamentliche Historik. Probleme und Perspektiven, ThLZ.F 8 (2003), 40: »Es geht den Texten des Neuen Testaments mit dem grundlegenden Bezug auf die konkrete Geschichte des irdischen Jesus also nicht um eine Reduktion auf ihre historische Faktizität.« 23 H. Schmid, Gegner im 1. Johannesbrief. Zu Konstruktion und Selbstreferenz im johanneischen Sinnsystem, Stuttgart 2002, 20 f. 24 J.Y. Siker, Unmasking the Enemy: Deconstructing the »Other« in the Gospel of Matthew, PRSt 32/ 5 (2005), 109-124, hier: 115. 25 Das Matthäusevangelium stellt seinen Protagonisten in Mt 2,23 mit einem (veränderten) Jesajazitat (Jes 7,14) als »Immanuel« vor: »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns.« 26 Die Definition für »Konflikt«, die Ralf Dahrendorf (Gesellschaft und Freiheit. Zur soziologischen Analyse der Gegenwart, München 1961, 125) in anderen Kontexten entwirft, erscheint hier sinnvoll auf biblische Texte übertragbar. 27 U. Luz, Die Jesusgeschichte des Matthäus, Neukirchen- Vluyn 2008, 12-17. 28 Luz, Jesusgeschichte, 12. 29 Vgl. M. Konradt, Die vollkommene Erfüllung der Tora und der Konflikt mit den Pharisäern im Matthäusevangelium, in: ders./ D. Sänger (Hg.), Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, FS Christoph Burchard zum 75. Geburtstag, Göttingen 2006, 129-152, hier: 141 f. 30 Vgl. Y. Siker, die mit einem soziologischen Ansatz eine ähnliche Position vertritt. 31 W.D. Davies/ D.C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel according to Saint Matthew. Vol. 1: Matthew 1-7 (ICC), London/ New York 2004, 552. Auf diesen Punkt weist pointiert Stefan Alkier (Jesus und seine Feinde, in: Michael Moxter/ Markus Firchow (Hg.), Feindschaft. Theologische und philosophische Perspektiven, Leipzig 2013, 41-60, hier: 58 f.) hin. 32 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), EKK I/ 1, Düsseldorf 2002, 352: »Für mich besteht zwischen Jesu Gebot der Feindesliebe und dem, was in den Weherufen mit den Schriftgelehrten und Pharisäern geschieht, ein grundlegender Widerspruch, der nicht wegzuerklären ist.« 33 Zur Übersetzung vgl. u. a. den Kommentar von Frankemölle, der das hoi in diesem Vers nicht auf einen Teil (partitiv), sondern auf alle Jünger (explikativ) bezieht und Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 32 - 4. Korrektur 32 ZNT 36 (18. Jg. 2015) Zum Thema daher genauso übersetzt (vgl. H. Frankemölle, Matthäus: Kommentar, Bd. 1, Düsseldorf 1999, 542). 34 Vgl. auch U. Poplutz, Erzählte Welt. Narratologische Studien zum Matthäusevangelium, Neukirchen-Vluyn 2008, 53. 35 B. Descharmes, Rächer und Gerächte. Konzeptionen, Praktiken und Loyalitäten der Rache im Spiegel der attischen Tragödie, Göttingen 2013, 72. 36 Yates Siker hat hier eine interessante Perspektive in die Diskussion eingebracht, indem sie den gemeinhin als »Heuchler« wiedergegebenen Begriff hypokritai als in der antiken Theatersprache üblichen Begriff für »Darsteller/ Rollen« übersetzt. 37 Vgl. Alkier, Jesus, 44: »Feindesliebe zielt nämlich im Matthäusevangelium nicht auf den Sinneswandel der Feinde, sondern auf die Identität derjenigen, die den Weg der Nachfolge Jesu einschlagen.« Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 09.11.2015 - Seite 32 - 4. Korrektur Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 12.05.2015 - Seite 14 - 2. Korrektur Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen • Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • Julian Petkov Altslavische Eschatologie Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ), Vol. 59 2016, 483 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-7720-8531-4 Die Identifizierung und Erschließung des umfangreichen Quellenmaterials bleibt ein zentrales Problem auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der Vitalität von Apokalyptik in ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Die Studie stellt einen Beitrag zur Klärung der diffizilen Quellenfrage dar. Sie ist dem Zweck gewidmet, den Verästelungen der apokalyptischen Literatur nachzuspüren, die im kirchenslavischen Schrifttum erhalten sind. Es handelt sich hierbei um eine außerordentlich reichhaltige und nur ansatzweise erforschte Überlieferung, die nahezu lückenlos die wichtigsten Etappen der apokalyptischen Literaturgeschichte dokumentiert. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht daher eine ausführliche Analyse des gesamten in Kirchenslavisch erhaltenen apokalyptischen Textmaterials. Ein Textanhang mit Übersetzungen schwer zugänglicher und kaum bekannter Apokalypsen lädt zu weiterer Forschung auf diesem Gebiet ein. Damit liefert die Arbeit erstmalig eine systematische Darstellung der in kirchenslavischer Überlieferung enthaltenen Apokalypsen und präsentiert wertvolles, bislang nicht verfügbares Quellenmaterial. info@francke.de • www.francke.de