eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 19/37

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2016
1937 Dronsch Strecker Vogel

Juden und Christen?

2016
Tobias Nicklas
54 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Kontroverse »Sollen die ›Partings‹ betont werden, die im Verlauf der Geschichte zu einem Parting werden oder soll auch das Zueinander, Nebeneinander, Gegeneinander und Miteinander in den Blick rücken? « »Stimmen«, darunter auch die Echos von Gegenstimmen, »einlade«. Ich habe dies an anderer Stelle folgendermaßen beschrieben: »Wir sehen von außen auf eine Gruppe von Tänzern, die sich fortwährend bewegen und in unterschiedlichen Phasen des Tanzes mit unterschiedlichen Partnern tanzen. Je nachdem, aus welcher Distanz und aus welcher Perspektive wir uns dem Tanz nähern, entstehen verschiedene Muster-- nicht jeder tanzt mit jedem oder berührt sich mit jedem, einige Teilnehmer formen Gruppen, einige Paare bleiben wenigstens für einen Teil des Abends beisammen, andere vermeiden den Kontakt und beeinflussen sich schon dadurch gegenseitig. Das Zueinander wirkt komplex, von bestimmten Perspektiven chaotisch, manchmal jedoch werden Ordnungen sichtbar. Ich denke, es macht Sinn, ein derartiges Bild auch auf unsere Vorstellungen antiker christlich-jüdischer Beziehungen zu übertragen. Unsere Perspektive heute jedoch ist höchst problematisch, wir sehen nie den ganzen Tanz, sondern-- vielleicht nur durch das Schlüsselloch aufgenommene Schnappschüsse einzelner Szenen […] Unsere Konstruktionen von Geschichte müssen deswegen immer berücksichtigen, dass sie nur Fragmente vergangener Realitäten vorfinden-- und wir das große Ganze nur in Ansätzen zu erfassen vermögen.« 2 Inwiefern kann uns ein solches dynamisches Bild weiterhelfen, das gleichzeitig immer davor warnt, dass wir nur einen kleinen Einblick in das große Ganze antiker Realitäten besitzen? Zunächst scheint es mir angebracht, deutlich zu machen, dass wenigstens die von uns verwendeten Grobkategorien- - sei es nun »jüdisch«, »christlich«, »gnostisch« oder gar »pagan«-- in vielen Fällen sehr wenig weiterhelfen, um konkrete Phänomene angemessen zu beschreiben. Auch der Versuch, hinter selbst nur fragmentarisch erhaltenen Texten (wie etwa P.Oxy. 840) 3 eine »Gruppe« zu entdecken, die ihre Identität von diesem Text her bzw. in Auseinandersetzung mit diesem Text entwickelt, scheint mir fragwürdig. Die entscheidende Innovation, die ich mit diesem Bild verbinde, besteht darin, dass es mir darum geht, unser Bild verschiedenster mehr oder minder abgeschlossener Gruppen-- seien es die großen Gruppen »Juden« und »Christen« oder seien es die vielen kleinen Gruppen, die man hinter verschiedensten Quellen zu vermuten pflegt-- mit festen Identitätskonstruktionen wenn nicht abzulösen, so doch zumindest zu flankieren durch das Bild von sich dynamisch in verschiedenen Situationen ändernden Diskursen und Disstellen. Das Bild eines schon früh erkennbaren »orthodoxen« Mehrheitschristentums hat lange dazu geführt, dass so genannten »apokryphen« Schriften nur ein Schattendasein in der Erforschung des frühen Christentums zukam. Das Bild eines sich schon früh ab dem Jahr 70 n. Chr. konstituierenden rabbinischen Einheitsjudentums hat für viele Autoren, die das antike Christentum beschreiben, nur eine Negativfolie gebildet, gegen die sich »das« Christentum umso strahlender abheben konnte. Das Bild mehrerer »Partings of the Ways« ist ungleich komplexer und hilfreicher-- und kann somit eine ungleich größere Zahl von Phänomenen in den Blick nehmen. Trotzdem wohnt ihm, solange es das einzige und beherrschende Bild bleibt, eine Gefahr inne: Es lenkt den Blick auf Phänomene der Trennung, während gleichzeitig die Gefahr besteht, die Gegenperspektive zu übersehen. Aber: Sollen die »Partings« betont werden, die im Verlauf der Geschichte zu einem Parting werden oder soll auch das Zueinander, Nebeneinander, Gegeneinander und Miteinander in den Blick rücken? So soll hier kein Widerspruch formuliert, sondern in erster Linie die Gegenperspektive stark gemacht werden, die zeigt, dass die gesetzten Grenzen nicht überall und nicht in gleicher Weise für alle gleich gültig waren, sondern manchem stattdessen gleichgültig gewesen sein dürften. Vor diesem Hintergrund habe ich nicht nur in »Jews and Christians«, sondern auch in späteren Publikationen versucht, weiterführende Modelle zu entwickeln, die uns helfen, die Quellen in anderem Licht zu betrachten. Besonders hilfreich erscheint es mir, zur Beschreibung antiker Realitäten das Bild eines komplexen »Gruppentanzes« zu verwenden, zu dem ich die in allen Quellen erkennbaren Dr. Tobias Nicklas, geb. 1967, Professor für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, Universität Regensburg. Forschungsschwerpunkte: Christliche Apokryphen, Kanongeschichte, jüdisch-christlicher Dialog, johanneische Schriften des Neuen Testaments. Prof. Dr. Tobias Nicklas ZNT 37 (19. Jg. 2016) 55 Tobias Nicklas Juden und Christen? kurskonstellationen. Inwiefern dies weiterhelfen kann, lässt sich am besten an Beispielen illustrieren: 1. Die griechisch/ äthiopische Petrusapokalypse (ApkPetr), ein Text, der wohl im frühen 2. Jahrhundert in Alexandrien (oder im Palästina der Zeit des Bar-Kochba-Aufstands) entstanden sein mag, bietet in ihrem 4. Kapitel eine ausführliche Beschreibung der Auferstehung der Toten, in der Christus wie auch die Auferstehung Christi keinerlei Rolle spielt. Von Christus ist erst deutlich später-- im Zusammenhang mit dem Endgericht-- die Rede. 4 Würde uns ApkPetr 4 als isoliertes Fragment vorliegen, würden wir dies eindeutig als Teil eines jüdischen Textes identifizieren; nur aufgrund des weiteren Kontextes sprechen wir von diesem Text als »christlich«. Fokussieren wir jedoch nicht alleine auf der Beschreibung der Kategorien, fällt z. B. auf, welch große Rolle Ez 37 für die in ApkPetr 4 beschriebene Auferweckung der Toten liefert, welche ganz leiblich, ja fleischlich vorgestellt ist. So gesehen, lässt sich unser Text als Stimme in einem Diskurs um die Auferweckung bzw. Auferstehung der Toten auffassen, in dem er eine Position einnimmt, die deutlich anders aussieht als die des Paulus in 1Kor 15, gleichzeitig aber verwandt ist mit dem, was wir in 4QPs-Ezechiel (aus Qumran! ) und Offb 20 finden. Soll diese Position als »jüdisch« oder als »christlich« eingestuft werden? Aufgrund ihrer Bezüge zu Texten wie Ez 37 und der fehlenden Verbindung zwischen Auferweckung und Christologie mag das Attribut »jüdisch« nicht falsch klingen. Bedenkt man jedoch, dass die Debatte um die Auferweckung des Fleisches vor allem in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts plötzlich so unterschiedliche »christliche« Schriften wie Athenagoras De Resurrectione, den koptischen Brief an Rheginos aus Nag Hammadi (NHC I,4) oder das Philippusevangelium (NHC II,3) erfasste, erscheint diese Kategorisierung kaum mehr adäquat. 5 2. Zu den antiken »Gruppen«, die bis heute, auch aufgrund der Tatsache, dass wir über sie nur über die Aussagen ihrer Gegner Bescheid wissen, besonders obskur geblieben sind, gehören die Anhänger des Elchasai oder Elchasaiten. 6 Wie sehr unser Denken in Kategorien hier an seine Grenzen stößt, zeigt sich an der Beschreibung dieser Gruppe durch Johannes Irmscher: »Der Grundcharakter des Buches [des Elchasai; TN] ist Judentum, jedoch kein reines, sondern ein synkretistisches. Jüdisch ist vor allem die Forderung der Beschneidung, der Sabbatheiligung und des Gebets in Richtung Jerusalem […] Im Gegensatz zum Judentum steht die Verwerfung der Opfer sowie die damit verbundene Kritik am AT […] Christlich mit starkem gnostischen Einschlag sind die Vorstellungen von dem Sohne Gottes bzw. Christus und von dem Heiligen Geist als himmlischen Wesen […], außerdem die religiösen Verheißungen der Sündenvergebung und des ewigen Heiles sowie die sittlichen Forderungen der Heiligung. Im Gegensatz zum kirchlichen Christentum steht die Vorschrift einer zweiten Taufe. Heidnischen Ursprungs sind die Tauchbäder unter Anrufung der sieben Elemente […] sowie die astrologischen Vorstellungen vom Einfluss unheilvoller Gestirne.« 7 Doch nicht nur Irmscher scheitert mit seiner Beschreibung in Kategorien, Ähnliches lesen wir bereits etwa eineinhalb Jahrtausende früher bei Epiphanius von Salamis (etwa 315-403), der schreibt, die Sampseaner, eine Gruppe, die sich auf die Lehren Elchasais beziehe, seien weder »Christen, noch Juden, noch Griechen«-- mit anderen Worten: im Grunde seien sie »gar nichts« (Pan. 53,1,3). Man kann, wie man das oft getan hat, diese Gruppe deswegen als eigenartige Randerscheinung mehr oder minder aus dem Bild antiker Religionsgeschichte ausblenden. Mit einem an sich dynamisch ändernden Diskursen und neuen Konstellationen interessierten Bild antiker Religionsgeschichte dagegen wird erkennbar, dass die Elchasaiten in verschiedenen Situationen so wichtige Antworten zu geben vermochten, dass sie für die sogenannte Mehrheitskirche höchst bedeutsam wurden: In einer Situation, in der in Rom Hippolyt und Calixt um die Frage einer zweiten Buße stritten, musste das Angebot des Elchasai-Anhängers Alkibiades, man könne jederzeit Sündenvergebung durch eine zweite Taufe erlangen, hoch attraktiv gewirkt haben-- Hippolyt war zu folgender Antwort gezwungen (Ref. IX 13,4-5): »Er [Alkibiades] bestimmt eine Taufe […] und sagt, dass die, die in jeder (Form von) Zügellosigkeit, Befleckung und Gesetzlosigkeit verwickelt sind-- selbst wenn er ein Glaubender sei-- wenn er sich bekehrt, auf das Buch hört 8 und (an es) glaubt, [bestimmt er] eine Taufe zu empfangen zur Vergebung der Sünden. […] 5 Da er nämlich erkannte, dass viele sich über eine solche Verheißung freuten, verstand er, dass ein guter Zeitpunkt für einen solchen Versuch war.« Wenige Generationen später ist ein anderer Autor erneut zur Auseinandersetzung mit den Anhängern Elchasais gezwungen. Das im Buch des Elchasai zu findende, positiv bewertete Beispiel des Priesters Pinhas, der im Babylonischen Exil, um sein Leben zu retten, die Artemis von Susa angebetet habe (bei Epiphanius von Salamis, pan. 19,2,1), gewann in der Christenverfolgung unter Kaiser Decius (249-251) höchste Brisanz. Darf man in Todesgefahr seinen Glauben verleugnen, ohne damit zu sündigen? Ein Autor wie Origenes (zitiert bei Eusebius von Caesarea, h. e. 6,38) sah sich gezwungen, dies scharf abzulehnen. 56 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Kontroverse Das Beispiel könnte noch weitergeführt werden: Immerhin entstammt Mani, einer der größten Religionsgründer der Weltgeschichte, einer elchasaitischen Gruppe, und war der Manichäismus so von elchasaitischen Ideen beeinflusst. Wichtiger erscheint mir jedoch: Die gleiche Gruppe, die bei einem Denken in festen Kategorien als obskure Randerscheinung aus dem Blickfeld verschwindet, ist bei einem Denken in sich ändernden Diskurskonstellationen zumindest an wichtigen Orten und in wichtigen Situationen präsent. Ob sie als jüdisch oder christlich wahrgenommen wird, ist dabei zweitrangig. Was sich an einer wenig bekannten Gruppe und dem sich mit ihr verbindenden Cluster an fragmentarischen Quellen zeigen lässt, gilt jedoch auch für Quellen, die sich normalerweise der »Großkirche« einerseits bzw. dem »rabbinischen Judentum« zuordnen lassen: Der in seinen »Reden gegen die Juden« zum Tragen kommende Antijudaismus des Johannes Chrysostomus richtet sich-- situationsgebunden-- mit großer Wahrscheinlichkeit vor allem gegen Christen, die sich in ihrer »Identitätskonstruktion« weniger vom Judentum abgrenzen, als Johannes dies gerne hätte. Wie sehr dies bis in Details des Alltagslebens gehen kann, zeigen Kanones z.T. wenig bekannter regionaler Synoden: In Elvira/ Illiberis (Spanien) verbot man z. B. die Ehe zwischen christlichen und jüdischen Partnern und untersagte die Segnung der Felder durch jüdische Magier, aber auch die Tischgemeinschaft von Juden und Christen (can. 16, 49-50, 78). Verbote jedoch machen keinen Sinn, wenn sie sich nicht gegen vorhandene Praktiken richten. Umgekehrt hat eine Reihe von Studien zu rabbinischer Literatur gezeigt, wie sehr Vorstellungen von der rabbinischen Bewegung als einer abgeschlossenen, isolierten Größe in die Irre laufen. So hat Michal Bar Asher-Siegal jüngst gezeigt, wie viele Parallelen sich zwischen Traditionen im Babylonischen Talmud und christlich-monastischer Literatur, speziell den so genannten Apophthegmata Patrum, finden lassen 9 - - und ist Peter Schäfer in einem sehr grundlegenden Beitrag so weit gegangen, von der Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums zu sprechen 10 -- eine Umkehrung des üblichen Zueinanders, die nur möglich ist, wenn beide Größen miteinander im sicherlich in Teilen konfliktreichen Kontakt und Diskurs verbleiben. Wenigstens in einzelnen Fällen, in denen die Quellen auch diesen letzten Schritt erlauben, kann ein Modell wie das vorgeschlagene auch berücksichtigen, dass nicht nur Gruppenidentitäten sich entwickeln, sondern dass auch individuelle »Identitäten« nicht einfach stabil sind. Das sicherlich schönste Beispiel hierzu bietet uns die Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus in Antiochia (Gal 2,11-21), der berühmte »antiochenische Zwischenfall«: Handelt Petrus hier als Jude oder als Christusanhänger? Offenbar ist zunächst die »Identität« als »Christusanhänger« entscheidend. Dies erlaubt, beim gemeinsamen Speisen mit denen aus den Völkern Grenzen zu überschreiten und Gemeinsamkeiten zu betonen, wie sie für die Gemeinden Antiochiens offenbar schon früh keine Geltung mehr besaßen. Als die Jakobusleute erscheinen, verändert sich die Situation-- die »jüdische« Identität wird bewusster und stärker betont: Interessanterweise spricht Paulus in Gal 2,13 von Petrus, Barnabas und den »anderen Juden«-- sicherlich alles Christusanhänger! -- , die sich nun aus der Gemeinschaft mehr und mehr zurückziehen. Das gleiche jedoch lässt sich auch von Paulus sagen: In Gal 2,11-21 sieht er geradezu »von außen« auf »die Juden«, d. h. die »jüdischen Christusanhänger« in der Gemeinde Antiochiens-- seine eigene Identität als Christusanhänger ist im Vordergrund. Diese bleibt natürlich in all seinen Schriften erhalten-- jedoch ändern sich die Schwerpunktsetzungen: Auch in Röm 9 spricht er als Christusanhänger, jedoch bleibt Israel »sein Volk« und diejenigen aus Israel, die nicht an Christus glauben, »meine Brüder« (Röm 9,3). Spricht er hier als »Jude« oder als »Christ«? Es geht hier m. E. nicht um ein »Entweder«-- »Oder«, er spricht hier als »Jude« und als »Christ«. Anmerkungen 1 Für die ausführliche, freundschaftliche und in wichtigen Punkten kritische Auseinandersetzung mit meinem Büchlein Jews and Christians? Second Century ›Christian‹ Perspectives on the ›Parting of the Ways‹ (Tübingen 2014) möchte ich Jim Dunn ganz herzlich danken. Es stimmt: Gerne hätte ich mit ihm diskutiert. Die »jüdische« Perspektive des Zueinanders habe ich-- als christlicher Autor mit einem Arbeitsschwerpunkt im 2. Jahrhundert unserer christlichen Zeitrechnung-- in Israel vor einem zum großen Teil jüdischen Publikum bewusst offen gelassen. Mit der Kollegin Michal Bar-Asher Siegal von der Ben Gurion University möchte ich jedoch genau dies nachholen-- das Zueinander »jüdischer« und »christlicher« Perspektiven der Antike aus der Sicht einer jüdischen Professorin für rabbinische Studien und eines christlichen Neutestamentlers neu darstellen. 2 T. Nicklas, Parting of the Ways? Probleme eines Konzepts, in: St. Alkier/ V. Leppin (Hg.), Juden-- Christen-- Heiden in Kleinasien (WUNT), Tübingen 2016 [im Druck]; »Handelt Petrus [in Gal 2,11-21] als Jude oder als Christusanhänger? .« ZNT 37 (19. Jg. 2016) 57 Tobias Nicklas Juden und Christen? vgl. zudem T. Nicklas, Getrennte Wege oder verflochtene Linien? ›Juden‹ und ›Christen‹ vor der konstantinischen Wende, in: Kirche und Israel 30 (2015) 35-47, bes. 44- 45. Ich greife im Folgenden immer wieder auf Beispiele zurück, die ich in den genannten Publikationen ausführlicher angesprochen und diskutiert habe. 3 Aufschlussreich zur Diskussion in der Forschungsgeschichte ist E. Hernitscheck, Im trüben Wasser des Davidsteichs. P.Oxy. 840 und die Suche nach seiner Provenienz, in: E. Hernitscheck/ T. Nicklas/ J. Verheyden (Hg.), Shadowy Characters and Fragmentary Evidence: The Search for Early Christian Groups and Movements (WUNT), Tübingen 2016 [im Druck]. 4 Eine ausführliche Interpretation dieses Texts in T. Nicklas, Resurrection-- Judgment-- Punishment: Apocalypse of Peter 4, in: G. van Oyen/ T. Shepherd (Hg.), Resurrection of the Dead. Biblical Traditions in Dialogue (BEThL 240), Leuven [u. a.] 2012, 461-474. 5 Zum Verlauf des Diskurses und seiner Bedeutung für Formen christlicher Identitätskonstruktion im 2. Jh. vgl. O. Lehtipuu, Debates over the Resurrection of the Dead: Constructing Christian Identity (Oxford Early Christian Studies), Oxford 2015. 6 Zum Folgenden deutlich ausführlicher T. Nicklas, Jenseits der Kategorien-- Elchasai und die Elchasaiten, in: E. Hernitscheck/ T. Nicklas/ J. Verheyden (Hg.), Shadowy Characters and Fragmentary Evidence: The Search for Early Christian Groups and Movements (WUNT), Tübingen 2016 [im Druck]. 7 J. Irmscher, Das Buch des Elchasai, in: W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen II: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 6 1997, 619-623, hier: 620. 8 Bei der Verwendung des Verbs κατακούω scheint es mir nicht nur um ein »Hören« des Buches, sondern im weitesten Sinne ein »Gehorchen« zu gehen. 9 M. Bar-Asher Siegal, Early Christian Monastic Literature and the Babylonian Talmud, Cambridge 2013. 10 P. Schäfer, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums (Tria Corda), Tübingen 2010. Das von mir eingangs erwähnte Bild des Baums könnte bestenfalls die Geburt des Christentums aus dem Geist des Judentums erklären, nicht ein weiterhin sich dynamisches, lebendiges Weiterentwickeln des Judentums. 58 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Nachstehende Ausführungen nehmen in einem ersten Schritt frühere religionspädagogische Schulbuch- und Lehrplananalysen zum Thema Judentum und Antijudaismus in den Blick. Diese wurden insbesondere zwischen 1980 und 1995 sowohl im katholischen als auch im evangelischen Bereich durchgeführt. 1 Es ist bemerkenswert, dass in der Folgezeit nahezu zwanzig Jahre keine weiteren einschlägigen Analysen hinsichtlich der Behandlung des Judentums im Religionsunterricht durchgeführt wurden. Die Dissertation von Julia Spichal schließt diese Forschungslücke und geht der Frage nach, welche Entwicklungen sich in Schulbüchern und Lehrplänen in den letzten zwanzig Jahren vollzogen haben. 2 Ausgewählte Ergebnisse dieser Studie bilden den Hauptteil des vorliegenden Beitrags. Abschließend wird zum einen der Revisionsbedarf von Schulbüchern und Lehrplänen festgehalten, zum anderen der Überarbeitungsbedarf hinsichtlich des Analyserasters von Fiedler. 1. Zur Darstellung des Judentums zwischen 1980 und 1995 1.1 Methodische Vorbemerkung In methodischer Hinsicht leistete Peter Fiedler im Rahmen des Freiburger Projekts eine Pionierarbeit, als er im Sinne der Qualitativen Inhaltsanalyse ein differenziertes Raster entwickelte, um die Behandlung des Judentums in Schulbüchern und Lehrplänen intersubjektiv nachvollziehbar analysieren zu können. 3 Auf dieser Basis wurden u. a. auch im evangelischen Bereich Schulbücher und Lehrpläne analysiert. 4 Überblickt man die diversen Analysen im Zeitraum zwischen 1980 und 1995, so lässt sich ein weitgehender übereinstimmender Befund feststellen, der im Folgenden kurz zusammengefasst werden soll. 1.2 Wesentliche Ergebnisse 5 Mitte der 1990er Jahre war die Darstellung des Judentums in Schulbüchern wie Lehrplänen von einer Ambivalenz gekennzeichnet, die sich mit der Formel »zwischen Reform und Stagnation« zusammenfassen ließ. Ein Vergleich der Analysen zu dieser Thematik zeigte nämlich ungeachtet aller Reformprozesse insbesondere folgende neuralgische Bereiche in Lehrplänen und Schulbüchern auf, in denen das Judentum problematisch dargestellt wird: 1) Passionsgeschichte, 2) Tora bzw. Gesetz, 3) Pharisäer, 4) ›Altes‹ Testament, 5) jüdische Geschichte und 6) generell eine unzureichende jüdisch-christliche Verhältnisbestimmung. Exemplarisch sei der damalige Befund anhand der Darstellung ›der‹ Pharisäer sowie der Behandlung der Tora, des sogenannten ›Gesetzes‹, verdeutlicht: Zwar war der gute Wille von Lehrplan- und SchulbuchautorInnen erkennbar, die Pharisäer sachgerecht als eine religiöse Gruppierung zur Zeit Jesu zu schildern, »wenn sie aber im selben Buch-- unter Umständen nur wenige Seiten weiter-- im Gegenüber zu Jesus erscheinen, werden sie unsachlich, negativ, tendenziös dargestellt.« 6 Ähnliches war bei der Behandlung der Tora festzustellen. Wurde die Tora im Kontext des Judentums religionskundlich durchgenommen- - d. h. ohne in Relation zu Jesus, Paulus oder christlichem Gedankengut zu stehen-- war meistens das Bemühen der Lehrplansowie SchulbuchautorInnen greifbar, den SchülerInnen ein möglichst angemessenes Bild der Tora und ihrer lebendigen Bedeutung für den jüdischen Alltag zu vermitteln. Sobald jedoch die Tora im Kontext der Botschaft oder des Wirkens Jesu bzw. im Kontext der Unterrichtseinheiten wie ›Gewalt‹ oder ›Frieden‹ thematisiert wurde, zeigte sich die Tendenz, die Tora als negativen Ausdruck jüdischer Werkgerechtigkeit oder jüdischen Leistungsdenkens zu karikieren. Zu Recht stellten Michael Brocke und Herbert Jochum fest: »Die positiven Ansätze finden ihre Grenzen fast ausnahmslos am lerntheoretischen Instrument der Kontrastierung.« 7 Grundsätzlich wird an diesem Befund eine Herausforderung deutlich, die sich nicht nur in der Reli- Martin Rothgangel / Julia Spichal Antijudaismus in Schulbüchern und Lehrplänen Zwischen Reform und Stagnation Hermeneutik und Vermittlung »Es zeigt sich [...] direkt oder indirekt, dass es dem Religionsunterricht an einer angemessenen Verhältnisbestimmung zwischen Judentum und Christentum fehlt.«