eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 19/37

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2016
1937 Dronsch Strecker Vogel

Von der schlechten Gewohnheit, schlecht über einander zu reden

2016
Manuel Vogel
36 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Zum Thema »Ethnographische Stereotype sind feststehende Muster, die im Kern unverändert über große Zeiträume tradiert werden und fortwirken.« Der Nexus Inferiorität/ Superiorität ist eines unter zahlreichen ethnographischen Grundmustern, die sich bis in Geographie und Klimakunde hinein auswirken. So finden wir in griechischen Texten die Anschauung, dass in einem rauen Klima kriegerische Ethnien von minderer Intelligenz leben, in klimatisch milden Regionen dagegen kultivierte Ethnien, die jedoch weichlich und feige sind. Griechenland liegt nun (jedenfalls aus Sicht der Griechen) in der goldenen Mitte, sodass die Griechen sich rühmen können, sowohl in der Kriegskunst wie auch in der Kultur bewandert zu sein. Erste Spuren dieser »Ethno-Geographie« finden wir bei Herodot, der in der Schlusspassage der Historien die Perser dafür rühmt, dass sie der Versuchung widerstanden hätten, in weniger unwirtliche Gebiete umzusiedeln, weil dies notwendig Verweichlichung und das Erlahmen jeglicher militärischer Widerstandskraft zur Folge gehabt hätte (Historien 9,122). Die Theorie von der Wirkung des Klimas auf einen kollektiv zu bestimmenden »Volks-Charakter« finden wir bei Hippokrates in der Schrift Über Luft, Wasser und Ortslagen systematisch ausgeführt. 7 Aus griechischer Perspektive verhält es sich nun so-- wir ahnen es schon-- dass Griechenland über das ideale Klima verfügt und daher auch das beste Volk hervorbringt. Als Textbeispiel dient uns Platons Politeia 435e-436a. 8 Es geht um die Frage der Formung eines Staatswesens durch die Eigenschaften Einzelner. Abgewiesen wird die Meinung, […] das Mutige [to thymoeides] sei nicht aus den Einzelnen in die Staaten hineingekommen, die vorzüglich diese Kraft in sich haben, wie die in Thrakien und Skythien und fast überall in den oberen [d. h. nördlichen] Gegenden, oder das Wissbegierige [to philomathes], was man vorzüglich unseren Gegenden zuschreiben kann, oder das »Erwerbslustige« [to philochrēmaton], wovon man sagen könnte, dass man es nicht am schlechtesten bei den Phoinikiern und Ägyptern antrifft. Für Platon sind die Thraker und die Skythen mutig, weil sie im rauen und unwirtlichen Norden leben. Aber die Wissbegierde ist ihre Sache nicht, das ist Sache der Griechen. Als weiteres Beispiel klimatisch-geographischer Charaktervarianten nennt Platon die Phönizier und Ägypter. Platon konstruiert hier ein Nord- Süd-Gefälle, in dessen Mitte Griechenland liegt. Im Norden leben die kriegerischen Wilden und die weit im Süden lebenden Völker sind »erwerbslustig«, wie es die zitierte Übersetzung Schleiermachers überaus freundlich ausdrückt. To philochrēmaton ist aber meist negativ konnotiert im wie die Germanen wilde Tiere erlegen. Solche Neugier auf ’s Detail darf indes nicht dazu verleiten, antike Ethnographie an modernen wissenschaftlichen Standards zu messen. Das gelehrte Interesse an der ethnographischen Einzelheit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass antike Völkerkunde auf weite Strecken mit Stereotypen arbeitet, d. h. mit fest gefügten Beschreibungs- und Deutungsmustern, die nur eingeschränkt etwas mit empirischer Realität zu tun haben. Ethnographische Stereotype sind feststehende Muster, die im Kern unverändert über große Zeiträume tradiert werden und fortwirken. Sie dienen der Profilierung der eigenen Identität mittels Abgrenzung und Selbstunterscheidung, und dies mit einer deutlichen Tendenz zum konkurrierenden Vergleich, der der Demonstration der eigenen Überlegenheit dient. Antiker Ethnographie geht es so gesehen nicht nur um wissenschaftliche Beschreibung, sondern auch um ein konstruktives Spiel mit Identitäten, und dies mit einem starken kompetitiven Grundzug: Ethnien werden nicht objektiv beschrieben, sondern mit dem Mittel ethnographischer Beschreibung zueinander in Beziehung gesetzt und in einer Weise miteinander verglichen, dass die Inferiorität des zu beschreibenden Ethnos eine notwendige Voraussetzung dafür bildet, um die Superiorität des eigenen behaupten zu können. 6 Prof. Dr. Manuel Vogel, geb. 1964 in Frankfurt/ Main, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen, Heidelberg und Frankfurt, 1994-1996 Vikariat in Bayern, 1995 Promotion in Heidelberg, 1996-2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institutum Judaicum Delitzschianum in Münster, 2003 Habilitation in Münster, 2003-2006 Pfarramt in Hessen-Nassau, 2006-2008 Pfarrer im Hochschuldienst an der Goethe-Universität Frankfurt, seit 2009 Professor für Neues Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Veröffentlichungen u.a. zu Paulus, Josephus und zum Hellenistischen Judentum. Prof. Dr. Manuel Vogel ZNT 37 (19. Jg. 2016) 37 Manuel Vogel Von der schlechten Gewohnheit, schlecht über einander zu reden Sinne von »Habsucht« oder »Geldgier«. Der Nord-Süd- Dreischritt setzt zwei geographische Randlagen voraus, in deren einer die Leute, weil sie nichts als mutig sind, bevorzugt Krieg führen und in deren anderer, sozusagen als merkantile Variante, man den ganzen Tag nur ans Geldverdienen denkt. In der Mitte zwischen beiden Rändern leben die Griechen, die weder an Kriegen noch am Handel interessiert sind (oder eben an beidem nur in Maßen), sondern an der philosophischen Bildung. Diese Art von Ethno-Geographie, die aus ethnozentrischer Perspektive die eigene Überlegenheit gegenüber anderen Ethnien konstatiert, ist an zahlreichen weiteren Quellen bis in römische Zeit belegt. Für das lateinische 2. Jh ist ein Passus in Tertullians De anima ein sprechendes Beispiel (De anima 20): 9 Denn auch bei ihr [d. i. bei der Seele] kommt auf den Ort etwas an. Zu Theben kommen, wie berichtet wird, stumpfsinnige und dumme Menschen zur Welt, zu Athen seien die Leute flink und gewandt im Denken und Sprechen; daselbst, in Colyttus, lernen die Kinder immer noch einen Monat früher sprechen, weil frühreifer Zunge. Plato behauptet im Timäus, Minerva habe, als sie mit Gründung der Stadt umging, auf nichts mehr gesehen, als auf die Beschaffenheit des Ortes, welcher dergleichen Talente hervorzubringen versprochen habe. Deshalb schreibt er selbst auch in der Schrift über die Gesetze dem Megillus und Klinias vor, auf Auswahl einer Stelle für die zu gründende Stadt bedacht zu sein […]. Eine bekannte Sache sind die Volkseigentümlichkeiten. Die Phrygier werden von den Komikern als furchtsam verspottet, Sallust stichelt auf die Mauren als eitle Leute und auf die Dalmatier als wild und unbändig; die Kreter brandmarkt sogar der Apostel als verlogen. Es ist kein Zufall, dass die Ethnien, die für Tertullian als Beispiele geographisch und insofern ethnographisch determinierter Eigenschaften der Seele herhalten müssen, überwiegend schlecht wegkommen: Die Fremden sind die Anderen, und da die Anderen anders sind als man selbst und man selbst sich gern für vollkommen hält, können die Anderen nur unvollkommen sein, woraus sich das negative ethnographische Stereotyp dann von selbst ergibt. Die seit Hippokrates in der griechischen Literatur gerühmte und noch von Tertullian als fraglos gegeben vorausgesetzte besondere Qualität des athenischen Klimas ist mit all ihren ethnographischen Konsequenzen nur ein besonders anschauliches Beispiel hierfür, keineswegs aber ein Extrem- oder Sonderfall. Der zu verzeichnende große Variantenreichtum ethnographischer Stereotype ergibt sich daraus, dass jede Ethnie sich im antiken Spektrum anders positionierte und deshalb von sich selbst und den ihr fremden Ethnien ein jeweils anderes Bild entwarf. Dieser Variantenreichtum hat manche Ähnlichkeit mit einer ausdifferenzierten und insofern wissenschaftlich oder wenigstens protowissenschaftlich zu nennenden Ethnographie, sollte aber damit nicht verwechselt werden. Im Grunde handelt es sich um Scheindifferenzierungen, die sich dadurch ergeben, dass jedes Ethnos eigene Varianten gängiger ethnographischer Muster entwickelt. In hellenistischer Zeit sind nun, wie kaum anders zu erwarten, auch über die Judäer zahlreiche Stereotype entstanden und in Umlauf gebracht worden. Nicht nur die Phönizier waren so und so, nicht nur die Phrygier, sondern auch die Judäer. Wenn wir »antike Judäerfeindschaft«, auf deren Spuren wir in der apologetischen Literatur hellenisierter Judäer zu Hauf stoßen, als Spielart einer von der Sache her zur Abschätzigkeit tendierenden Ethnographie auffassen, sind wir von vornherein der Notwendigkeit enthoben, diese Feindschaft essentialistisch zu lesen. Was antijudäische von antiphönizischen oder antiägyptischen Stereotypen unterscheidet, ist ihre nahtlos bis in die Neuzeit reichende christliche Rezeptionsgeschichte und nicht etwa, wie jede historisierende Frage nach den »Ursachen des antiken Antisemitismus« voraussetzt, ihre irgendwie geartete Sach- oder Stichhaltigkeit. Der Grund für die christliche Rezeption antijudäischer Stereotype ist leicht einzusehen, nämlich die im Laufe der ersten christlichen Jahrhunderte zunehmend sich verschärfende Konkurrenz und gegenseitige Hostilität zweier einander sehr nahe stehender Religionen. Es war-- leider, muss man sagen-- gar nicht anders zu erwarten, als dass das »Christentum« in seinem Bestreben, sich gegen das (nun spiegelbildlich zum eigenen Selbstverständnis als »Religion« konzeptualisierte) »Judentum« abzugrenzen, mit vollen Händen aus dem Repertoire ethnographischer Stereotype schöpfen und diese gegen »Die Fremden sind die Anderen, und da die Anderen anders sind als man selbst und man selbst sich gern für vollkommen hält, können die Anderen nur unvollkommen sein, woraus sich das negative ethnographische Stereotyp dann von selbst ergibt.« »Was antijudäische von antiphönizischen oder antiägyptischen Stereotypen unterscheidet, ist ihre nahtlos bis in die Neuzeit reichende christliche Rezeptionsgeschichte.« 38 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Zum Thema die ungeliebte Mutterreligion einsetzen würde, noch gesteigert und verschärft durch den Christusmordvorwurf, 10 womit die christliche Welt bis in die Moderne hinein ein für jeden nur erdenklichen Zweck aufrufbares Feindbild zur sicheren Verfügung hatte. Die Besonderheit antiker »antijudäischer« Stereotype besteht mithin darin, dass sie durch ihre christliche Rezeptionsgeschichte bis in die Gegenwart überdauert haben. In der Sache sind sie nicht mehr und nicht weniger begründet wie antiphönizische oder antigallische Stereotype. Sie wurden unter bestimmten historischen Bedingungen weiterverwendet, bleiben damit aber, was sie sind, Stereotype eben, d. h. keine empirischen Beschreibungen, sondern interessegeleitete Zuschreibungen. Diese Einsicht widerrät einem Positivismus, der den durch und durch rhetorischen bzw. konstruktiven Charakter seiner Quellen verkennt. Wenn Redesituation, historischer Kontext, Darstellungsinteresse und Wirkabsicht eines Quellentextes nur hinreichend erkannt und berücksichtigt werden, ergibt sich von selbst, dass die einschlägigen Texte nicht unmittelbar historische Wirklichkeit darstellen, sondern diese Wirklichkeit in einem kontingenten literarischen oder rhetorischen Kontext konstruieren. Wie disponibel die Glorifizierung des Griechischen war, die für Platon selbstredend unbezweifelbar fest stand, wird deutlich, sobald man die höchst ambivalente bis ablehnende römische Einstellung gegenüber allem Griechischen dagegen hält, 11 wie sie massiv beim älteren Cato auftritt 12 und bis weit in die Kaiserzeit hinein fortgeschrieben wurde: 13 Das Griechische wurde wegen seiner kulturellen Leistungen bewundert, aber aus diesem Grund auch beargwöhnt und verachtet. Die Römer haben zwar die Griechen militärisch besiegt, aber das hatte zur Folge, dass römische Lebensart je länger desto mehr griechisch beeinflusst wurde. Plinius d. Ä. beklagt mit Blick auf den Einfluss der griechischen Medizin: »[J]e mehr das römische Volk an Macht und Größe seiner Besitzungen gewonnen, desto mehr hat es seine alten Sitten und Gebräuche verloren, durch Siege sind wir besiegt worden und gehorchen den Ausländern« (NH 24,5), 14 und Horaz notiert: »[D]as besiegte Griechenland [fing] durch seiner Künste Reiz den rohen Sieger […] und [verpflanzte] seine feinen Künste ins bäur’sche Latium« (Ep. 2,1,156) 15 . Man kann hier beobachten, wie sich in die imperiale Genugtuung militärischer Überlegenheit der Wermutstropfen eines kulturellen Unterlegenheitsgefühls mischt und die Angst, auf einer anderen Ebene als der militärischen von den Besiegten beherrscht zu werden. In einer Zeit, in der Rom längst städtisches Zentrum einer antiken Weltmacht war, wurde das Ideal einer einfachen, aber authentischen bäuerlichen Lebensweise beschworen und in einen Gegensatz zum überfeinerten griechischen Kunstsinn gestellt. Hier schlägt der alte ethnographische Gegensatz von ursprünglicher Wildheit und weichlichem Ästhetizismus durch, wie er seit Herodot und Hippokrates nachweisbar ist. War Griechenland in den griechischen Quellen noch in der goldenen Mitte zwischen beidem positioniert, ist das römische Urteil weit weniger freundlich. Griechenland tendiert bereits deutlich in Richtung der noch weiter östlich lokalisierten asiatischen Weichheit, und zu beklagen ist, dass durch die hohe Präsenz des Griechischen in Rom auf allen Ebenen der ursprüngliche Geist des einfachen, erdverbundenen Römertums (für reiche Stadtrömer nichts weiter als ein wohlfeiles Klischee) kompromittiert wird. 2. Judäerfeindliche Ethnographie aus römischer Feder: Der Judäerexkurs des Tacitus Die griechenfeindlichen Ressentiments unter der stadtrömischen Elite der frühen Kaiserzeit sind geeignet, die judäerfeindlichen Äußerungen etwa eines Tacitus zu den ethnographischen Gepflogenheiten ihrer Zeit ins Verhältnis zu setzen. Der bekannte Judäerexkurs aus dem 5. Buch der Historien des Tacitus 16 ist ein Meisterstück ethnographischer Rhetorik (Historien 5,5): 17 Beim Essen, beim Schlafen halten sie [d. i. die Judäer] auf strenge Trennung und kennen trotz der starken Neigung der Volksart zur Sinnlichkeit keinen Geschlechtsverkehr mit fremden Frauen; unter ihnen selbst ist nichts verboten. Die Beschneidung haben sie als ein besonderes Unterscheidungsmerkmal bei sich eingeführt. Wer zu ihrem Kult übertritt, hält sich auch an diesen Brauch; auch wird den Proselyten zu allererst das Gebot beigebracht, die Götter zu verachten, das Vaterland zu verleugnen, ihre Eltern, Kinder und Geschwister gering zu schätzen. Doch ist den Judäern sehr an Bevölkerungszuwachs gelegen; selbst von den nachgeborenen Kindern eines zu töten, ist in ihren Augen eine Sünde. Und sie halten die Seelen der im Kampf oder durch Hinrichtung Umgekommenen für unsterblich; daher rühren ihre Liebe zur Fortpflanzung und gleichzeitig ihre Todesverachtung. Tacitus montiert in diesem Text positive und negative Elemente ethnographischer Eigenschaftszuschreibungen so zusammen, dass ein ganz und gar negatives Bild entsteht. Die für sich genommen positiven Eigenschaften werden in einen negativen Interpretationsrahmen ZNT 37 (19. Jg. 2016) 39 Manuel Vogel Von der schlechten Gewohnheit, schlecht über einander zu reden eingefügt, sodass den Judäern schließlich alles zum Nachteil gereicht. Zunächst konstruiert Tacitus einen Zusammenhang zwischen Absonderung und sexueller Zügellosigkeit. Dass die Judäer sich trotz ihrer »Neigung zur Sinnlichkeit« des Verkehrs mit nichtjudäischen Frauen enthalten, soll heißen, dass ihr von Menschenhass motiviertes Bedürfnis nach Abgrenzung so stark ist, dass es sogar ihre Triebhaftigkeit überwiegt. Die nach antiken ethnographischen Standards positive Variante dieses Stereotyps würde lauten: Die Judäer achten darauf, dass sie sich nicht mit anderen Völkern vermischen, und sie beweisen ihre Fähigkeit, die eigene Lust zu zügeln, auch das eine wichtige antike Charaktertugend. Aber Tacitus ist an positiven Stereotypen gar nicht interessiert, weil nämlich die Judäer im 5. Buch seiner Historien den Widerpart zu den glorreichen Flaviern spielen. Deshalb rückt er auch die judäische Beschneidung in ein möglichst schlechtes Licht, indem er sie im Schnittpunkt von Fremdenhass und sexueller Zügellosigkeit ansiedelt, gleichsam als Erkennungszeichen für einen Binnenraum, innerhalb dessen sexuell alles erlaubt ist. Man vergleiche dagegen Philons allegorische Deutung der Beschneidung in De specialibus legibus 1,1-10: Hier steht die Beschneidung in diametralem Gegensatz zu Tacitus für eine umfassende freiwillige Selbstbeschränkung des Trieblebens. Auch die doch eigentlich sehr zu lobende judäische Ablehnung der Kindstötung oder -aussetzung gerät dadurch ins Zwielicht, dass Tacitus darin eine Strategie zum zahlenmäßigen Wachstum des judäischen Ethnos erblickt. Ihre Unerschrockenheit im Kampf, die sich dem Glauben an die Unsterblichkeit der im Kampf Gefallenen verdankt, macht sie doppelt gefährlich, und sie wertet den in der historiographischen Synkrisis zu preisenden Sieg der Flavier doppelt auf: Aufgrund ihrer durch Absonderung von allem Nichtjudäischen exklusiv auf das eigene Ethnos fixierten sexuellen Regsamkeit, sowie aufgrund ihrer im judäischen Aberglauben verwurzelten Todesverachtung, die jeden Angriff von außen mutig abzuwehren erlaubt, vermehren sie sich unaufhaltsam und stellen dementsprechend eine wachsende Gefahr dar-- und die Flavier als diejenigen, die dieser Gefahr Herr geworden sind. Dass der judäische Glaube an die Unsterblichkeit der Seele außer den im Krieg Gefallenen auch die Hingerichteten einbezieht, heißt schließlich nichts anderes, als dass bei Judäern die Todesstrafe als Abschreckung vor schweren Verbrechen wirkungslos ist, womit sie für die römische Obrigkeit vollends zu einer unkalkulierbaren Größe werden. Die Tacitusstelle macht deutlich, wie antike Ethnographie ihren Gegenstand konstruiert, ganz so, wie es der Absicht der Darstellung und dem literarischen Kontext entspricht: Die Akzente müssen nur geringfügig verschoben und wenige Details umarrangiert werden, um von einer (»nach Aktenlage« ebenso gut möglichen) lobenden zu einer tadelnden Darstellung zu gelangen. 3. Apologetische Ethnographie bei Josephus 3.1 Griechen Hellenistisch-judäische Apologetik versteht es, wie der Hinweis auf Philon bereits andeutete, ihrerseits mühelos, sich ethnographischer Rhetorik zu bedienen. Sie steigt aus jenem konstruktiven Spiel mit Identitäten keineswegs aus, sondern spielt es nach genau denselben Regeln mit wie diejenigen, die die gegen die Judäer gerichtete Variante dieses Spiels forcieren. Judäische Apologetik kritisiert ethnographische Stereotype nicht, sondern beherrscht ihren Umgang perfekt. Wie subtil in diesen Texten die Akzente verlagert und die Kulissen verschoben werden, um negative Hetereostereotype in positive Autostereotype umzuschreiben, merkt man erst, wenn man durch die vergleichende Lektüre der einschlägigen Texte die Wertigkeit scheinbar wertneutraler ethnographischer Details wahrnimmt. Namentlich Josephus weiß sich auf dem Parkett antiker Ethnographie trittsicher zu bewegen. Der folgende Passus aus Contra Apionem portraitiert die Judäer als selbstgenügsames, erdverbundenes Volk, das sich des Kontakts mit den Griechen von jeher enthalten hat. Das war Musik für römische Ohren, und so war es auch gemeint: Josephus macht sich die griechenfeindlichen Ressentiments seiner römischen Adressaten zunutze, um die Judäer den Römern anzudienen (Ap. 1,60 f.): 18 Wir bewohnen nämlich weder eine Küstenregion, noch liegt uns der Fernhandel, noch der daraus entstehende Verkehr mit Fremden; unsere Städte sind vielmehr fern vom Meer errichtet, und da wir gutes Land besitzen, bebauen wir dieses; auch sind wir ja am meisten von allen (Völkern) auf das Aufziehen von Kindern bedacht und haben uns die Beachtung der Gesetze und der in diesen überlieferten Gottesverehrung zur notwendigsten Aufgabe des ganzen Lebens »Judäische Apologetik kritisiert ethnographische Stereotype nicht, sondern beherrscht ihren Umgang perfekt.« 40 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Zum Thema »Einem Römer aus der konservativen stadtrömischen Oberschicht vom Schlage eines Plinius, der sich zum Verächter von städtischer Dekadenz stilisierte und dem romantischen Bild einer einfachen, erdverbundenen Lebensweise nachhing, muss die judäische Lebensart allen Respekt abgenötigt haben. Josephus jedenfalls hat gehofft, sein römisches Publikum auf diese Weise beeindrucken zu können.« »Der den Samaritanern traditionell anhaftende Synkretismusvorwurf steht zum Konservativismus der auf den Pentateuch konzentrierten Jahwe- Verehrung in evidentem Widerspruch.« gemacht. Da zu dem Gesagten nun noch die Besonderheit unserer Lebensführung hinzukommt, gab es in den alten Zeiten nichts, was uns solchen Verkehr mit den Griechen eingebracht hätte wie den Ägyptern ihre Aus- und Einfuhr und den Bewohnern der phönizischen Küste ihr Interesse an Klein- und Großhandel aufgrund ihres Gewinnstrebens. Was sich zunächst wie eine harmlose geographische Sachinformation liest, dass nämlich die Judäer im gebirgigen Landesinneren und nicht an der Küste wohnen, was für das judäische Kernland geographisch ja zutrifft, ist bei näherem Hinsehen eine absichtsvolle und überlegte Positionierung der Judäer in der seit Herodot gebräuchlichen ethno-geographischen Matrix. In der Notiz, dass die Judäer keine Küstenregion bewohnen, klingt der Gegensatz von fruchtbarem Flachland und unwirtlichem Gebirge an, dem ethnographisch der Gegensatz von charakterlicher Weichheit und konstitutioneller Zähigkeit entspricht. Josephus siedelt die Judäer mit Bedacht auf dieser Seite an, nicht auf jener, und er setzt einen zusätzlichen Akzent mit dem Hinweis auf ihre agrarische Selbstgenügsamkeit. Einem Römer aus der konservativen stadtrömischen Oberschicht vom Schlage eines Plinius, der sich zum Verächter von städtischer Dekadenz stilisierte und dem romantischen Bild einer einfachen, erdverbundenen Lebensweise nachhing, muss die judäische Lebensart allen Respekt abgenötigt haben. Josephus jedenfalls hat gehofft, sein römisches Publikum auf diese Weise beeindrucken zu können. Wenn wir des Weiteren den von Josephus betonten Eifer der Judäer für die Erziehung der eigenen Kinder auf dem Hintergrund der von Tacitus beklagten Unsitte der römischen Oberschicht lesen, die Kindererziehung an griechische Sklaven zu delegieren (De oratore 28 f.), dann müsste Judäa geradezu zur römischen Musterprovinz avancieren, und der Aufstand dieser Provinz, der bei der Niederschrift von Contra Apionem immerhin schon eine Generation zurücklag, wäre vergeben und vergessen. Die Notiz, dass die Judäer sich des Verkehrs mit den Griechen stets enthalten, die Griechen ihrerseits aber Verkehr mit den gewinnsüchtigen Phöniziern oder, noch schlimmer, den Ägyptern gepflegt haben, hebt das Ethnos der Judäer in dem Maße empor, wie es die Griechen herabwürdigt. Erinnern wir uns an die eingangs zitierte Platonstelle: Die Phönizier und Ägypter sind Ethnien, mit denen Platon die Griechen keinesfalls in einem Atem genannt wissen wollte. Josephus, der die Judäer auf Kosten der Griechen, Ägypter und Phönizier ins rechte römische Licht rücken will, tut es mit Lust. Darüber, dass viele Judäer, zumal unter den zahllosen »Auslandsjudäern« in der Diaspora, kulturell betrachtet echte »Griechen« waren und sich rege am weit verzweigten wirtschaftlichen Leben des Mittelmeerraumes beteiligten, verliert Josephus kein Wort, auch darüber nicht, dass nicht zuletzt auch die Römer selbst in allen Ecken und Enden des Welthandels präsent waren. 3.2 Samaritaner Für die Geschichte Samariens und des Jahwekultes auf dem Garizim 19 ist Josephus eine herausragend wichtige Quelle. Die Forschung unterscheidet allerdings seit einigen Jahrzehnten mit zunehmender Deutlichkeit zwischen der josephischen Sicht und den anzunehmenden historischen Verhältnissen, zu deren Aufhellung nicht zuletzt die Archäologie maßgeblich beigetragen hat. Während Josephus im Anschluss an 2Kön 17 die Entstehung der Samaritaner in die Zeit des Untergangs des Nordreiches im 8. Jh. v. Chr. datiert, 20 geht man heute von einer Entstehung der samaritanischen Gemeinschaft von Jahweverehrern mit dem Heiligtum auf dem Garizim erst in frühnachexilischer Zeit (5./ 4. Jh.) aus (Gründung durch dissidente Jerusalemer Priester). Noch die Überschrift der Lutherbibel von 1984 über 2Kön 17,24-41 (»Die Entstehung des Volkes der Samaritaner«) ist der alten Auffassung verpflichtet. Hatte man überdies früher eine homogene Bevölkerung Samariens vorausgesetzt, die man im Anschluss an das von 2Kön 17, Josephus und anderen Quellen bestimmte Bild für synkretistisch geprägt hielt, so geht man heute von einer ethnischen, kulturellen und religiösen Pluralität in dieser Region aus. Der den Samaritanern traditionell anhaftende Synkretismusvorwurf steht zum Konservativismus ZNT 37 (19. Jg. 2016) 41 Manuel Vogel Von der schlechten Gewohnheit, schlecht über einander zu reden der auf den Pentateuch konzentrierten Jahwe-Verehrung in evidentem Widerspruch. Terminologisch wird grob zwischen »Samariern«, der hellenisierten Bevölkerung Samariens, und »Samaritanern«, den Angehörigen der gleichnamigen Religionsgemeinschaft, unterschieden. 21 Bei Josephus ist der Namensgebrauch uneinheitlich, sodass fallweise geprüft werden muss, von welchen Gruppen die Rede ist. Zu einer Trennung zwischen Jerusalem und dem Garizim ist es wohl in hasmonäischer Zeit gekommen (Zerstörung des Heiligtums auf dem Garizim durch Johannes Hyrkan). 22 Die Tendenz des josephischen Samaritaner-Bildes ist uneinheitlich. Im Bellum überwiegen neutrale Darstellungen, insofern, als diese keine besondere pro- oder antisamaritanische Tendenz verraten. Für die Schriften des Josephus insgesamt gilt, dass er sich für samaritanische Traditionen streckenweise nur sehr eingeschränkt zu interessieren scheint. In den Antiquitates fällt die Darstellung dagegen an mehreren Stellen deutlich negativ aus. Benedikt Hensel fasst die josephische Sicht wie folgt zusammen: »Gemäß der Darstellung des Josephus in den Antiquitates gelten die Samaritaner als Synkretismus praktizierende Heiden. Sie seien Fremdkolonisten aus der mesopotamischen Stadt Kutha, die nach der Eroberung des Nordreichs durch die Assyrer dort angesiedelt wurden und Teile des JHWH-Kultes von dort übernahmen, aber auch ihre alten Kultpraktiken weiterhin ausführten (Jos. Ant. 9,288-291). Diese Darstellung samaritanischer Identität ergänzt Josephus an anderer Stelle noch: Die Samaritaner stammen von Priestern ab, die sich selbsttätig vom Jerusalemer Heiligtum entfernten und am Garizim ihr eigenes separatistisches Konkurrenzheiligtum errichteten (Jos. Ant. 11,306-312). In beiden Fällen sieht Josephus die Samaritaner für den gesamten Zeitraum der persisch-hellenistischen Epoche als »Ausländer« (allogenēs, allotrios, allophylos, apoikos) und »Heiden« (Chouthaioi) an, die mit »Israel« nichts oder nur weniges gemein haben.« 23 Im negativen Samatianer-Bild der Antiquitates begegnet einmal mehr der eingangs namhaft gemachte kompetitive Grundzug antiker Ethnographie. Die josephische Darstellung bedient sich abermals einer ethnographischen Vorgaben gehorchenden literarischen Rhetorik: Er benötigt eine ethnographische Vergleichsgröße, die die Judäer positiv dastehen lässt und ihre positiven Eigenschaften von der dunklen Folie ihres negativen Gegenstücks umso heller abhebt. Josephus will erstens zeigen: Die Judäer bewohnen von alters her ihr angestammtes Land, und sie haben sich nicht mit fremden Völkern vermischt. Zu Beginn von Contra Apionem bringt er dieses Darstellungsziel, das den Antiquitates insgesamt zugrunde liegt, klar zur Sprache (Ap. 1,1): 24 Hinreichend meine ich schon in meiner Schrift Altertumskunde […] etwas deutlich gemacht zu haben über unser Volk, die Judäer, dass es nämlich sehr alt ist (hoti palaiotaton esti) und seine ursprüngliche Eigenständigkeit für sich bewahrte (tēn prōtēn hypostasin eschen idian), und wie es das Land, das wir nun innehaben, zum Wohnsitz nahm; ich habe nämlich eine fünftausend Jahre umfassende Geschichte aus unseren heiligen Büchern in griechischer Sprache abgefasst. Nicht minder wichtig ist zweitens, dass die Judäer von jeher zuverlässige Bündnispartner und loyale Untertanen der beherrschenden Fremdmächte waren. An die Adresse einer römischen Leserschaft gerichtet, ist diese Eigenschaft von besonderer Bedeutung. 25 Beides, hohes Alter und ethnische Eigenständigkeit einerseits, und Bündnistreue und Loyalität andererseits, spricht Josephus den Samaritanern ab: Sie sind eine Ethnie, die sich im Laufe ihrer unsteten, von Umsiedlungen geprägten Geschichte mit anderen Völkern vermischt hat, und sie sind, weil sie stets nur kurzsichtig auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, politisch unzuverlässig und doppelzüngig. Josephus positioniert die planvolle ethnographische Abwertung der Samaritaner an wichtigen Schaltstellen der in den Antiquitates nacherzählten Geschichte. In Ant. 9,277-282 288-291 26 paraphrasiert Josephus die Schilderung vom Untergang des Nordreiches in 2Kön 17,24 ff. und charakterisiert die Samaritaner wie folgt (Ant. 9,290 f.): 27 [Wenn d]ie Kuthäer (so heißen sie in hebräischer Sprache, bei den Griechen jedoch Samarier) […] sehen, dass es den Judäern gut geht, nennen sie sich freilich je nach den Umständen ihre Verwandten, weil sie von Josef abstammten und aufgrund dieses Ursprungs von ihm gemeinschaftliche Nähe zu ihnen hätten. Sobald sie aber bemerken, dass ihnen [scil. den Judäern] ein Unglück widerfuhr, behaupten sie, sie hätten zu ihnen nicht die geringste Verbindung noch hätten sie mit ihnen irgendeine Verpflichtung freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher Art, sondern erklären sich zu fremdstämmigen Mitbewohnern. Die Gleichsetzung der »Kuthäer« (nach Ant. 9,279 Kolonisten aus einem persischen Ort namens Kuthos) mit den »Samariern« soll ihre Fremdstämmigkeit dartun. »[Josephus] benötigt eine ethnographische Vergleichsgröße, die die Judäer positiv dastehen lässt und ihre positiven Eigenschaften von der dunklen Folie ihres negativen Gegenstücks umso heller abhebt.« 42 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Zum Thema Ihre Abstammung von Israel wird damit zur bloßen Behauptung, die aus Opportunitätsgründen von diesen Leuten sozusagen aus der Schublade gezogen wird und darin bei Bedarf auch wieder verschwindet. Dieses äußerst nachteilhafte Charakterbild implementiert Josephus noch an mehreren weiteren Stellen der Antiquitates. In Ant. 11,297-243 geht es um die Eroberung Palästinas durch Alexander den Großen: Während der Jerusalemer Hohepriester Jaddus gegenüber Alexander an seiner Bündnistreue gegenüber Dareios festhält, obwohl er fürchten muss, den Zorn Alexanders herauszufordern, fällt Dareios’ samarischer Gouverneur Sanballat vom Perserkönig ab und läuft zu Alexander über. Josephus nennt ihn einen »Kuthäer« und notiert, der Priester Manasse sei wegen seiner Ehe mit Sanballats Tochter Nikaso aus Jerusalem vertrieben worden und habe auf dem Garizim mit Sanballats Unterstützung ein eigenes Heiligtum errichtet. Manasse ist nicht selbst ein »Kuthäer«, wohl aber ist seine Frau Tochter eines Kuthäers. Die Eheschließung mit der Tochter Sanballats disqualifiziert ihn für das Priesteramt. Schon die Gründungsgeschichte des Ersatzheiligtums auf dem Garizim ist damit unrühmlich. Die Geschichte mit Alexander geht so aus, dass Alexander trotz der Bündnistreue des Jaddus den Judäern alle Ehre erweist, ihnen in Judäa wie auch in Medien und Persien ein Leben nach dem mosaischen Gesetz gestattet und ihnen alle sieben Jahre den Tribut erlässt, die Samarier dagegen für eventuelle Vergünstigungen auf seine Rückkehr aus Ägypten vertröstet, die freilich nie stattfindet. In Ant. 11,340-342 charakterisiert Josephus die Samaritaner wie folgt: Nachdem Alexander diese Angelegenheiten in Jerusalem geregelt hatte, zog er mit dem Heer in die benachbarten Städte. Alle, zu denen er gelangte, nahmen ihn in freundlicher Gesinnung auf. Als nun die Samaritaner, die die Metropolis Sichem besaßen, die beim Berg Garizim lag und von den Abtrünnigen des judäischen Volkes (hypo tōn apostatōn tou Ioudaiōn ethnous) bewohnt war, sahen, dass Alexander die Judäer derart glanzvoll geehrt hatte, beschlossen sie, sich für Judäer auszugeben. Denn die Samaritaner sind von Natur aus (tēn physin) so, wie wir schon vorher beschrieben haben: Wenn die Judäer in Schwierigkeiten stecken, leugnen sie, mit ihnen verwandt zu sein, und bekennen damit durchaus die Wahrheit. Sobald sie jedoch bemerken, dass ihnen [scil. den Judäern] vom Schicksal irgendetwas Vorteilhaftes zuteilwird, sind sie sofort da und biedern sich an und sagen, [dies] komme ihnen zu, und berufen sich auf die Abstammung von Ephraim und Manasse, den Nachkommen Josefs. In dieser Passage gesellt Josephus zu der Auffassung, dass die Samaritaner von persischen Kolonisten abstammen, die zweite, dass es sich um abgefallene Israeliten handelt. Beides ist nicht ohne weiteres vereinbar, ja, man hat diesen augenscheinlichen Widerspruch in der älteren Josephus-Forschung so stark empfunden, dass man ihn quellenkritisch meinte lösen zu können und zu müssen. 28 Tatsächlich scheint auch Josephus selbst gewisse Schwierigkeiten zu haben, beides auf einen Nenner zu bringen, muss er doch im zitierten Text (und auch an anderen Stellen: s. u. zu Ant. 12,257) klarstellen, was von beidem der Wahrheit entspricht. Allerdings sind beide Varianten insofern einerlei, als sie demselben rhetorischen Zweck einer ethnographischen Abwertung der Samaritaner dienen, denn nach verbreiteter antiker Auffassung führt Migration (sei es aus Judäa oder aus Persien) zu einer negativen Veränderung der ursprünglichen Volkseigenschaften. 29 Dass die Samaritaner jedenfalls auch etwas mit den Judäern zu tun haben, kommt Josephus insofern zustatten, als damit klargestellt ist, dass ihr Tempel dem Vorbild des Jerusalemer Heiligtums entlehnt ist und ihre Priester von dorther stammen. Das aber heißt: Jerusalem ist der ältere und deshalb der rechtmäßige Kultort. Hier könnte, wie Ingrid Hjelm angemerkt hat, ein religionspolitischer Haftpunkt der josephischen Samaritanerdarstellung liegen: War das Heiligtum auf dem Garizim schon vor Generationen zerstört worden, so lag, als Josephus die Antiquitates verfasste, der jerusalemer Tempel seinerseits seit zwei Jahrzehnten in Schutt und Asche. Diese Situation »may well have enhanced discussions about the proper role of the Jewish Temple.« 30 Auch das Gespräch Jesu mit der Samaritanerin in Joh 4 könnte auf eine solche Diskussion hindeuten: Gab es Stimmen, die für einen Wiederaufbau beider Heiligtümer votierten? 31 Die folgende Passage, die mit der Krise unter Antiochus IV. einen weiteren Brennpunkt der judäischen Geschichte aufruft, setzt ersichtlich alles daran, das samaritanische Heiligtum in ein zweifelhaftes Licht zu rücken (12,257-260): Als nun die Samarier die Judäer leiden sahen, gaben sie nicht mehr vor, dass sie deren Verwandte seien oder der Tempel auf dem Garizim dem Höchsten Gott gehöre, sie folgten darin ihrer Natur, die wir schon enthüllt haben. Sie sagten, sie seien Kolonisten der Meder und Perser, und sie sind ja auch deren Kolonisten. Sie schickten Gesandte zu Antiochus mit einem Brief, in dem sie Folgendes erklärten: »Denkschrift für den König Antiochos Theos Epiphanes von den Sidoniern in Sichem. Unsere Vorfahren haben wegen bestimmter Dürreperioden im Lande einer gewissen abergläubischen Neigung folgend einen Brauch eingeführt, den Tag heilig zu halten, der bei den Judäern Sabbat heißt, und haben auf einem Berg namens Garizim ein namenloses Heiligtum eingerichtet und dort die gebührenden Opfer dar- ZNT 37 (19. Jg. 2016) 43 Manuel Vogel Von der schlechten Gewohnheit, schlecht über einander zu reden gebracht. Nachdem du mit den Judäern umgegangen bist, wie es ihrer Schlechtigkeit würdig ist, bezichtigen uns die königlichen Beamten in der Meinung, wir würden aufgrund verwandtschaftlicher Bindung dasselbe tun wie jene, mit den gleichen Anschuldigungen, wo wir doch von alters her Sidonier sind.« Josephus nennt die Samari(tan)er hier »Kolonisten der Meder und Perser«. Im zitierten Sendschreiben an Antiochus IV. bezeichnen sich die Absender dagegen als »Sidonier von Sichem«. Historisch wird man beide Gruppen zu unterscheiden haben. Auch ist der dem »Höchsten Gott« geweihte Tempel (12,257) auf dem Garizim möglicherweise nicht identisch mit dem im Anschluss erwähnten Heiligtum, das auf Antrag der Sidonier von Sichem dem Zeus Hellenios geweiht wird (12,261.263). »Offensichtlich verehrten mehrere Gruppen denselben Berg aus unterschiedlichen Gründen.« 32 Literarisch kommt es Josephus indes gerade darauf an, beide genannten Gruppen mit einer Stimme auftreten zu lassen und durch diese Indentifikation das Bild eines synkretismusanfälligen Samaritaner-Tempels zu erzeugen. Die Auseinandersetzung um die Legitimität dieses Tempels wird mithin nicht mittels direkter Polemik gegen die Gottesverehrung der Samaritaner geführt, sondern anhand ethnographischer Herabwürdigung. Reinhard Pummer resümiert das josephische Ansinnen zutreffend so: Josephus »hat mit seinem Bild der Samaritaner eine bestimmte Absicht verfolgt, nämlich die Samaritaner mit den Juden zu kontrastieren und letztere den Römern als die weitaus würdigeren Untergebenen zu empfehlen.« 33 Dem ist allerdings hinzuzusetzen, dass die josephische Darstellung zunächst einmal rein literarischen Mustern folgt: Es war in der griechisch-römischen Antike offenbar nicht möglich, jemanden zu loben, ohne im gleichen Atemzug einen anderen zu tadeln. Das gilt auch und gerade für antike Ethnographie. 3.3 Galiläer und Idumäer Nicht anders liegen die Dinge bei der Zeichnung der Idumäer im Bellum Judaicum, wenngleich hier der apologetische Zweck einer Entlastung der Judäer von der Schuld am Krieg gegen Rom ungleich stärker ins Gewicht fällt. Im Bellum geht es Josephus vorrangig darum, die Judäer vom Vorwurf des Aufstandes gegen Rom soweit als irgend möglich zu entlasten oder diesen historisch unbestreitbaren Sachverhalt doch zumindest zu relativieren. U. a. bedient er sich dazu einer ethnographischen Binnendifferenzierung der führenden Aufstandsgruppen in Judäer, Galiläer und Idumäer. Aus religiös-nationaler Perspektive waren alle am Aufstand Beteiligten Ioudaioi, die den judäschen Staat mit Jerusalem und dem Tempel als sakral-politischem Zentralsymbol vom römischen Joch zu befreien trachteten. In ethnisch-geographischer Hinsicht jedoch waren nicht alle Ioudaioi sondern entscheidend auch Galilaioi und Idoumaioi. Für ein römisches Publikum wird in einer für die Ioudaioi / Iudaei entlastenden Weise ethnographisch ausdifferenziert, was in der Wahrnehmung der Adressaten sonst unterschiedslos unter dem Etikett Ioudaioi / Iudaei firmierte. Dies leistet Josephus einerseits dadurch, dass er die außerhalb der drei legitimen judäischen »Philosophien« stehende »vierte Philosophie« dem Clan des Galiläers Judas zuordnet. 34 Die führenden Köpfe dieser Widerstands-Ideologie, die am Aufstand gegen Rom maßgeblichen Anteil hatten, waren somit Galilaioi, keine Ioudaioi. Besonders aber der südlich von Judäa ansässigen Ethnie der Idoumaioi weist Josephus eine entscheidende Rolle im judäischen Krieg zu. 35 Unabhängig vom historischen Wahrheitsgehalt seiner Darstellung ist auffällig, wie sorgsam Josephus in den einschlägigen Passagen Ioudaioi und Idoumaioi terminologisch gegeneinander absetzt. Im umfangreichen Passus Bellum 4,224-352, der von den immer unerträglicher werdenden Zuständen im belagerten Jerusalem handelt, arbeitet Josephus konsequent mit der Trias Judäer, Idumäer und Zeloten, wobei die zahlenmäßig starken und fanatisierten Idumäer der Tyrannei der Zeloten die Machtbasis liefern, während die Judäer die leidende Bevölkerungsmehrheit bilden. Eingangs charakterisiert Josephus 36 die Idumäer als ein stürmisches und ungeordnetes Volk (ethnos), das ständig auf Unruhen Ausschau hielt und an Umwälzungen seine Freude hatte. So würde es nur eines kleinen Aufwands an Schmeichelei seitens der Bittenden bedürfen, dass dies Volk zu den Waffen greife und in die Feldschlacht wie zu einem Feste eile. (Bellum 4,231) Wo sich dagegen im belagerten Jerusalem einer der führenden Köpfe durch Besonnenheit hervortut und der Gewaltherrschaft der Zeloten Einhalt zu gebieten und in letzter Minute eine Einigung mit den Römern zu erreichen sucht, wird er ausdrücklich Ioudaios genannt, so im Falle des Jerusalemer Notablen Gorion, von dessen Ermordung durch die Zeloten Josephus in Bellum 4,358 berichtet. 37 Josephus bringt es sogar fertig, die unleugbar bestehende Verwandtschaft zwischen Judäern »Es war in der griechisch-römischen Antike offenbar nicht möglich, jemanden zu loben, ohne im gleichen Atemzug einen anderen zu tadeln.« 44 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Zum Thema und Idumäern, die seiner Darstellungsabsicht eigentlich zuwider läuft, ausdrücklich anzusprechen, nämlich als dasjenige, wovon die Idumäer sich durch die Tat losgesagt haben, als sie diejenigen hinmordeten, mit denen sie eine Stammverwandtschaft (syngeneia) verband (Bellum 4,311). »Josephus inszeniert in diesem Teil des Bellum ein überaus geschicktes ethnographisches Ablenkungsmanöver zugunsten der Judäer, indem er die Idumäer als eigenes ethnos präsentiert, sie insgesamt charakterlich abqualifiziert und ihnen qua ethnos eine erhebliche Mitschuld an der Eskalation des Aufstandes anlastet«. 38 Die Identifikation auf idumäischer Seite mit dem Jerusalemer Tempel und der Verehrung des Gottes Israels als Motiv für die Beteiligung am Aufstand gegen Rom rechnet Josephus den Idumäern nicht nur nicht an, er legt es ihnen nach Kräften zum Nachteil aus. Dabei wird er keineswegs zum Opfer ethnographischer Stereotype, wie Alan Appelbaum meint, 39 sondern er verwendet diese Stereotype planvoll zur Erreichung seines rhetorischen Zwecks. »Ethnographische Gegebenheiten werden hier« einmal mehr »zu ethnographischen Versatzstücken, die sich der Wirkabsicht entsprechend beliebig arrangieren lassen.« 40 4. Fazit Antike Ethnographie funktioniert wie ein Kaleidoskop: Je nachdem, wie man die mit bunten Glassteinchen gefüllte Pappröhre dreht, zeigen sich dem Auge andere Bilder. Allerdings ist antike Ethnographie insofern gerade kein »Kaleidoskop« (wörtlich etwa: »Gerät zur Betrachtung schöner Bilder«), als sie beileibe nicht nur schöne Bilder vor dem Auge des Betrachters entstehen lässt, sondern wesentlich auch hässliche. Die These lautet: Antike Ethnographie enthält strukturell ein Moment der Abschätzigkeit. Die Vielgestaltigkeit der Bilder (hier greift der Vergleich mit dem Kaleidoskop) resultiert aus den variablen Betrachterperspektiven unterschiedlicher Ethnien. Am Beispiel der Texte des Josephus wird außerdem folgendes deutlich: (1) Der ethnographischen Bildproduktion geht es nicht um Wahrheit sondern um Wirkung. Die Werke des Josephus sind in weiten Teilen eine politische Image-Kampagne an die Adresse der stadtrömischen Elite zugunsten Judäas und der vielen Judäer in der Diaspora. Die Wahl der ethnographischen Mittel ist ganz auf diesen Zweck abgestimmt. (2) Die abschätzige Darstellung anderer Ethnien, die entsprechend den antiken Gepflogenheiten eine obligatorische Zutat dieser Image-Kampagne war, stellt weitgehend ein Konstrukt dar. Lobende und tadelnde Anteile einer ethnographischen Beschreibung waren frei gestaltbar, sei es, dass ein Grieche die Griechen lobte oder ein Judäer sie abschätzig beurteilte, um bei den Römer zu punkten. Eine Probe auf die »Realitätsnähe« solcher Negativurteile bietet das josephische Samaritaner- Portrait: Ausgerechnet die konservativen Samaritaner müssen als Beispiel für wankelmütige Synkretisten herhalten. (3) Antike Ethnographie beherrscht die Kunst des Weglassens. Die Zeichnung eines römischen Idealen entsprechenden »Volks-Charakters« der in Judäa lebenden Judäer blendet nicht nur die nachhaltige Hellenisierung Judäas und der angrenzenden Regionen seit der Alexanderzeit aus, sondern auch die weitestgehende Akkulturation der Diasporajudäer an die jeweiligen Mehrheitsgesellschaften. (4) Die Grenzziehungen zwischen Judäern, Samaritanern, Galiläern und Idumäern sind willkürliche Setzungen, die die gemeinsame Geschichte, die gemeinsame Kultur und die gemeinsame Gottesverehrung dieser Ethnien ausblenden. Das aber heißt: Auch die Kategorie des »Volkes« erweist sich am Ende als Konstrukt. Anmerkungen 1 M. Stern, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, 3 Bde., Jerusalem 1974 -1984. 2 Willkürlich herausgegriffen: Das vierte Kapitel (S. 25-29) in: K. Schubert, Jüdische Geschichte, München 7 1996, ist überschrieben mit »Antijudaismus in der Antike«. 3 So etwa Z. Yavetz, Judenfeindschaft in der Antike, München 1997. 4 P. Schäfer, Judeophobia: Attitudes Toward the Jews in the Ancient World, Harvard 1997 (in deutscher Übersetzung 2010 erschienen unter dem Titel »Judenhass und Judenfurcht. Die Entstehung des Antisemitismus in der Antike«). 5 Das Folgende schöpft weitestgehend aus B. Isaac, The Invention of Racism in Classical Antiquity, Princeton 2004. Vgl. außerdem J.M. Hall, Ethnic Identity in Greek Antiquity, Cambridge 1997, sowie aus der neueren Literatur G. Woolf, Tales of the Barbarians: Ethnography and Empire in the Roman West, Chichester 2011; J. Skinner, The Invention of Greek Ethnography: From Homer to Herodotus, Oxford 2012; E. Almagor, J. Skinner (Hgg.), Ancient Ethnography: New Approaches, London/ New York 2013. 6 Analoges gilt im Übrigen auch für die biographische Literatur der griechisch-römischen Antike, am augenfälligsten greifbar in den Parallel-Biographien Plutarchs, an »Antike Ethnographie funktioniert wie ein Kaleidoskop: Je nachdem, wie man die mit bunten Glassteinchen gefüllte Pappröhre dreht, zeigen sich dem Auge andere Bilder.« ZNT 37 (19. Jg. 2016) 45 Manuel Vogel Von der schlechten Gewohnheit, schlecht über einander zu reden die sich stets eine Synkrisis (»Vergleich«) der paarweise portraitierten Gestalten anschließt. Vgl. hierzu M. Vogel, Commentatio mortis. 2Kor 5,1-10 auf dem Hintergrund antiker ars moriendi (FRLANT 214), 86-109. 7 Griechischer Text mit englischer Übersetzung bei W. H. S. Jones, Hippocrates, Bd. 1 (LCL 147), London/ Cambridge (Mass.) 1948, 65-137. 8 Übersetzung: Platon, Werke in acht Bänden, Griechischdeutsch, hg. von G. Eigler, Bd. 4, Darmstadt 1990, 331. 9 Übersetzung: Tertullians sämtliche Schriften. Aus dem Lateinischen übersetzt von K. A. H. Kellner, Bd. 1, Köln 1882, 319 f. Zur Anspielung auf Tit 1,12 vgl. M. Vogel, Die Kreterpolemik des Titusbriefes und die antike Ethnographie, ZNW 101 (2010), 252-266. 10 Vgl. dazu J. M. G. Barclay, Hostility to Jews as Cultural Construct: Egyptian, Hellenistic, and Early Christian Paradigms, in: Ch. Böttrich, J. Herzer, T. Reiprich (Hgg.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen (WUNT I 209), 365-385. 11 Dazu ausführlich B. Isaac, The Invention of Racism in Classical Antiquity (Anm. 5), 381-405; G. Vogt-Spira, B. Rommel (Hgg.), Rezeption und Identität. Die kulturelle Auseinandersetzung Roms mit Griechenland als europäisches Paradigma, Stuttgart 1999. 12 Vgl. etwa Livius, Römische Geschichte 34,3,3; Plinius, NH 29,17.27; Plutarch, Cato d. Ä., 20,5; 21,2; 23. 13 Zu Plinius vgl. Th. Fögen, Plinius der Ältere zwischen Tradition und Innovation. Zur ›Ideologie‹ der Naturalis historia, in: N.K. Ramer, Ch. R. Reitz, Tradition und Erneuerung. Mediale Strategien in der Zeit der Flavier, Berlin/ New York 2010, 41-61. 14 Zitiert aus: Die Naturgeschichte des Gaius Plinius Secundus. Herausgegeben von L. Möller und M. Vogel, Bd. 2, Wiesbaden 2007, 142. 15 Zitiert aus: Quintus Horatius Flaccus, Werke, Leipzig 1968, 296 (mit Änderungen). 16 Das Folgende verdanke ich R.S. Bloch, Antike Vorstellungen vom Judentum: Der Judenexkurs des Tacitus im Rahmen der griechisch-römischen Ethnographie, Stuttgart 2002. 17 Zitiert aus: P. Cornelius Tacitus, Historien. Lateinischdeutsch. Herausgegeben von J. Borst unter Mitarbeit von H. Hross und H. Borst, München/ Zürich 5 1984, 517 (mit Änderungen). 18 Übersetzung: Flavius Josephus, Über die Ursprünglichkeit des Judentums-- Contra Apionem, herausgegeben von F. Siegert, Bd. 1, Göttingen 2008, 107 (mit Änderungen). 19 Für die Literatur bis 1994 vgl. J. Zangenberg, ΣΑΜΑΡΕΙΑ. Antike Quellen zur Geschichte und Kultur der Samaritaner in deutscher Übersetzung (TANZ 15), Tübingen 1994. Neuere und neueste Literatur bei M. Böhm, Art. Samariataner (Anm. 20) und B. Hensel, Von »Israeliten« zu »Ausländern«: Zur Entwicklung anti-samaritanischer Polemik ab der hasmonäischen Zeit, ZAW 126 (2014), 475-493. Die Samaritaner bei Josephus wurden zuletzt monographisch untersucht von R. Pummer, The Samaritans in Flavius Josephus (TSAJ 129), Tübingen 2009. Neuere Sammelbände zu den Samaritanern: M. Mor, F. Reiterer, V. Friedrich (Hgg.), Samaritans: Past and Present. Current Studies (SJ 53/ Ssam 5), Berlin/ Boston 2010, daraus v. a. I. Hjelm, Mt. Gerizim and Samaritans in Recent Research, 25-41; J. Zsengellér, (Hg.), Samaria, Samarians, Samaritans. Studies on Bible, History and Linguistics (SJ 66/ Ssam 6), Berlin/ Boston 2011, daraus vgl. v. a. M. Kartveit, Josephus on the Samaritans-- his Tendenz and Purpose, 109-120; J. Frey, U. Schattner-Rieser, K. Schmid (Hgg.), Die Samaritaner und die Bibel-- The Samaritans and the Bible. Historische und literarische Wechselwirkungen zwischen biblischen und samaritanischen Traditionen-- Historical and Literary Interactions between Biblical and Samaritan Traditions (SJ 70/ Ssam 7), Berlin/ Boston 2012, daraus v. a. G.N. Knoppers, Samaritan Conceptions of Jewish Origins and Jewish Conceptions of Samaritan Origins: Any Common Ground? , 81-118. Neuesten Datums ist die bis in die Gegenwart reichende Gesamtdarstellung von R. Pummer, The Samarians. A Profile, Grand Rapids 2016. Weitere Literatur: R. Pummer, Antisamaritanische Polemik in jüdischen Schriften aus der intertestamentarischen Zeit, BZ 26 (1982), 224-242; R.J. Coggins, The Samaritans in Josephus, in: L.H. Feldman (Hg.), Josephus, Judaism, and Christianity, Leiden 1987, 257-273; S. Schwartz, The ›Judaism‹ of Samaria and Galilee in Josephus’s Version of the Letter of Demetrius I to Jonathan (Antiquities 13.48- 57), HTR 82 (1989), 377-391; L. H. Feldman, Josephus’ attitude toward the Samaritans: a study in ambivalence, in: ders., Studies in Hellenistic Judaism, Leiden 1996, 114-136; I. Hjelm, The Samaritans and Early Judaism. A Literary Analysis (JSOT SupplSer 303), Sheffield 2000; I. Hjelm, The Samaritans in Josephus’ Jewish History, in: H. Shehadeh and H. Tawa (Hgg.), Proceedings of the Fifth International Congress of the Société d’Études Samaritaines. Helsinki, August 1-4, 2000. Studies in Memory of Ferdinand Dexinger, Paris 2006, 27-39; S. Schorch, The Construction of Samari(t)an Identity from the Inside and from the Outside, in: R. Albertz, J. Wöhrle (Hgg.), Between Cooperation and Hostility. Multiple Identities in Ancient Judaism and the Interaction with Foreign Power, Göttingen 2013, 135-149. 20 Das Folgende nach M. Böhm, Art. Samariataner, WiBiLex (https: / / www.bibelwissenschaft.de/ stichwort/ 25 967/ ). Letzter Zugriff: 1. 3. 2016. 21 Vgl. hierzu v. a. R. Egger, Josephus Flavius und die Samaritaner. Eine terminologische Untersuchung zur Identitätsklärung der Samaritaner (NTOA/ StUNT 4), Freiburg (Schweiz)/ Göttingen 1986. 22 So auch B. Hensel, Von »Israeliten« zu »Ausländern« (s. Anm. 19), 479-483, vgl. v. a. die Beobachtungen zu den Verschiebungen in Sir. 50,25 f. (Polemik gegen Philister, Edomiter und Samaritaner) von der hebräischen zur griechischen Fassung. 23 B. Hensel, Von »Israeliten« zu »Ausländern« (s. Anm. 19), 475. 24 Übersetzung: Flavius Josephus, Über die Ursprünglichkeit des Judentums (s. Anm. 18), 99 (mit Änderungen). 25 Wie es dann aber passieren konnte, dass die Judäer sich im Jahr 66 gegen Rom erhoben haben, steht auf einem anderen Blatt. Im Bellum gibt Josephus darauf die bündige 46 ZNT 37 (19. Jg. 2016) Zum Thema Antwort: Das Volk der Judäer wurde von einer radikalen Minderheit aufgestachelt und verführt. Das Volk insgesamt und als solches ist Opfer einer fehlgeleiteten Elite geworden. 26 Vgl. hierzu I. Hjelm, The Samaritans in Josephus’ Jewish History (Anm. 19), 29-31; R. Pummer, The Samaritans in Flavius Josephus (Anm. 19), 67-76; B. H. Hensel, Von »Israeliten« zu »Ausländern« (s. Anm. 19), 483 f. 27 Übersetzung dieses und der folgenden Zitate aus Ant. nach J. Zangenberg, ΣΑΜΑΡΕΙΑ (Anm. 19), 51 ff. (mit Änderungen). 28 Einen anderen Ansatz wählt neuerdings S.U. Lim, Josephus Constructs the Samari(t)ans: A Strategic Construction of Judaean/ Jewish Identity through the Rhetoric of Inclusion and Exclusion, JThSt 64 (2013), 404-431: Josephus habe für seine Identitätskonstruktion der Judäer im Gegenüber zu den Samaritanern planvoll inklusive und exklusive Momente in seine Darstellung integriert. 29 Vgl. hierzu B. Isaac, The Invention of Racism in Classical Antiquity (Anm. 5), 89 f. zu Livius, Römische Geschichte 38,17; dazu auch M. Vogel, Die Kreterpolemik des Titusbriefes und die antike Ethnographie (Anm. 9), 261 f. Nach S. Weitzman, Mimic Jews and Jewish Mimics in Antiquity: A Non-Girardian Approach to Mimetic Rivalry, JAAR 77 (2009), 922-940 war die Abgrenzung gegenüber illegitimen Adaptionen der eigenen Tradition auch für die römische Selbstauffassung konstitutiv. 30 I. Hjelm, The Samaritans in Josephus’ Jewish History (Anm. 19), 28. 31 A. a. O., 29. 32 J. Zangenberg, ΣΑΜΑΡΕΙΑ (s. Anm. 19), 68. Vgl. auch I. Hjelm, The Samaritans in Josephus’ Jewish History (Anm. 19), 35 f. 33 R. Pummer, The Samaritans in Flavius Josephus (Anm. 19), 285, eigene Übersetzung. Ebenso sieht I. Hjelm, The Samaritans in Josephus’ Jewish History (Anm. 19), 27 »Josephus’ seemingly apologetic interest in contrasting Jews and Samaritans in Antiquities«. Vgl. auch dies., The Samaritans and Early Judaism. A Literary Analysis (Anm. 19), 227: Josephus »composed his history on Jewish antiquity in order to demonstrate that legitimate Judaism belongs to Jerusalem. This message was forcefully given the Roman leaders, not only to defend the sovereignty of the Jewish temple, but also to demonstrate the loyalty of the Jewish leaders to the Romans.« 34 Der Clan des Galiläers Judas spielt an Wendepunkten der von Josephus erzählten judäischen Geschichte jeweils eine entscheidende Rolle: Beim Zensus des Quirinius 6 n. Chr., bei Erhebungen gegen Rom in den vierziger Jahren, zu Beginn des judäischen Krieges und während des letzten Widerstandes gegen die römischen Truppen auf Massada. Vgl. dazu S. Mason, Flavius Josephus und das Neue Testament, Tübingen 2000, 299 f. 35 Die Literatur zu den Idumäern ist weitaus weniger zahlreich als die zu den Samaritanern und befasst sich überwiegend mit der Perserzeit. Eine ältere einschlägige Publikation ist A. Kasher, Jews, Idumeans and Ancient Arabs (TSAJ 18), Tübingen 1988. Zu den Idumäern bei Josephus vgl. A. Appelbaum, ›The Idumaeans‹ in Josephus‘ The Jewish War, JSJ 40 (2009), 1-22. 36 Übersetzung: Flavius Josephus, De Bello Judaico-- Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch. Mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen versehen von O. Michel und O. Bauernfeind (Hgg.), Bd. 2,1, Darmstadt 1963, 39. 37 Vgl. auch 4,318 f.: Der besonnene Ananos ist »Hoherpriester der Judäer«. 38 M. Vogel, Die Kreterpolemik des Titusbriefes (s. Anm. 9), 263. 39 A. Appelbaum, ›The Idumaeans‹ in Josephus’ The Jewish War (s. Anm. 38), 10: »Josephus was a victim of this kind of thinking«. Appelbaum versucht, den der josephischen Darstellung zugrunde liegenden historischen Gegebenheiten gerecht zu werden und unterscheidet vier Gruppen von am Aufstand beteiligten Idumäern. 40 M. Vogel, Die Kreterpolemik des Titusbriefes (s. Anm. 9), 263. ZNT 37 (19. Jg. 2016) 47 Einleitung zur Kontroverse: »Parting(s) of the ways? « Mit dieser Kontroverse greifen wir eine Debatte auf, die durch den gleichlautenden Titel eines im Jahr 1991 erschienenen Buches von James D.G. Dunn ihr Thema erhalten hat: Das »Auseinandergehen der Wege« zwischen Juden und Christen. Schon damals stand das »Auseinandergehen« im Plural (J.D.G Dunn, The Partings of the Ways between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity, London 1991, 2. Aufl. 1996, 3. Aufl. 2006), womit angedeutet war, dass mit vielgestaltigen, komplexen und regional sehr unterschiedlichen Prozessen der Dissoziation dessen zu rechnen ist, was uns heute in Gestalt der zwei Weltreligionen »Judentum« und »Christentum« vor Augen steht. Wie engagiert die Forschungsdebatten in den darauffolgenden Jahren geführt wurden, kann man anhand des Titels eines von Adam H. Becker und Annette Yoshiko Reed im Jahr 2003 herausgegebenen Sammelbandes ermessen: The Ways that never parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the early Middle Ages. Dass die Debatte bis heute andauert, zeigt der Titel einer von Tobias Nicklas 2014 vorgelegten Mongraphie: Jews and Christians? Second-Century ›Christian‹ Perspectives on the ›Parting of the Ways‹. Diese kurze bibliographische Orientierung lässt erkennen, dass die Kontroverse des aktuellen Heftes von zwei Gesprächspartnern geführt wird, die diese Debatte angestoßen haben und/ oder bis heute maßgeblich bestimmen und voranbringen. Der sachliche Dissenspunkt der überaus wertschätzend ausgetragenen Kontroverse-- Dunn kleidet seinen Beitrag in die Form einer Besprechung des Buches von Nicklas- - lässt sich anhand eines terminologischen Dreischritts der genannten Publikationen beschreiben: Hatte Dunn im Jahr 1991 noch von »Judaism« und »Christianity« gesprochen, und hatten Becker und Reed den Gegensatz zweier Religionen auf das Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher Gruppen (»Jews and Christians«) herabgestuft, so setzt nun Nicklas auch hinter die weniger kategorisch anmutenden Gruppenbezeichnungen ein Fragezeichen (»Jews and Christians? «), und selbst das Adjektiv »christian« erscheint im Buchtitel nur in Anführungszeichen. Die Frage lautet mithin: Was leistet die Unterscheidung »jüdisch/ christlich« für die Zeitspanne vom zweiten bis ins vierte und fünfte Jahrhundert und darüber hinaus? Und welche Richtung wird der weiteren Forschung mit der Beantwortung dieser Frage gewiesen? Geht es darum, unser Bild vom Mit-, Neben- und Gegeneinander von Juden und Christen immer weiter zu differenzieren (Dunn), um die für das bloße Auge des Betrachters ja unabweisbare Dissoziation in zwei »Weltreligionen« immer besser zu verstehen? Oder geht es darum, diese Unterscheidung für den genannten Zeitraum nach Möglichkeit auszublenden (Nicklas), um ein religionsgeschichtliches Mittelfeld zu erschließen, von dem man, will man präzis sein, nicht mehr sagen kann, als dass Juden und Nichtjuden für ihre eigene Gottesverehrung in unterschiedlichsten Weisen und Anteilen aus den Traditionen Israels schöpften? Manuel Vogel Kontroverse