eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 15/29

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2012
1529 Dronsch Strecker Vogel

Der Dritte

2012
Eckart Reinmuth
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 57 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 57 Für den Hebräerbrief gehört die Spannung zwischen ungeteilter Gemeinschaft und unüberwindlichem Getrenntsein von Gott und Menschen zu den grundlegenden Voraussetzungen, um Menschsein in den Dimensionen seiner Gesellschaftlichkeit denken zu können. Das Verhältnis zwischen Gott und Menschen ist von Gegensätzen gekennzeichnet, die überbrückt, medialisiert, vermittelt werden müssen, soll Gemeinschaft möglich und erfahrbar werden: ewig-- sterblich; gerecht-- schuldig; himmlisch-- irdisch; heilig-- profan; vorläufig-- endgültig; einmalig-- vielfach usw. 1 Der Hebräerbrief sieht seine Aufgabe darin, Jesus in der Rolle dieser Vermittlung zu zeichnen und seine Geschichte in sie einzuschreiben. In dieser Rolle wird Jesus zum Urheber der Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen, die sich in der adressierten Gemeinde konkretisiert. Jesus verkörpert damit in sozialphilosophischer und kulturtheoretischer Sicht die Figur eines Dritten. Ich werde zunächst erläutern, was mit der Figur des Dritten gemeint ist, und sodann nach entsprechenden Kennzeichnungen im Hebräerbrief fragen. Abschließend wird es darum gehen, diesen theologischen Impuls des Hebräerbriefes zu skizzieren und in den gegenwärtigen politisch-philosophischen Diskurs einzuzeichnen. 1. Die Figur des Dritten Mit der Figur des Dritten verbindet sich in sozialphilosophischer Sicht 2 ein neues Konzept, mit dem eine Vielzahl gesellschaftlicher Phänomene beschrieben werden kann. Entscheidend für den vorzuschlagenden Entschlüsselungsversuch ist die Frage, wie Gesellschaften bzw. Gemeinschaften 3 angemessen beschrieben werden können, wenn die Verschiedenartigkeit ihrer Elemente, Gruppen, Ethnien, Schichten usw. dabei nicht nivelliert, übersehen oder unterdrückt werden soll. Jede Gesellschaft enthält Partikularitäten, Elemente des Fremden, Andersartigen, Unangepassten, das in den jeweiligen, für grundlegend erachteten Ordnungen und Werten nicht aufgeht. Wenn Gesellschaftlichkeit im Modell substantieller Gleichheit gedacht wird-- dabei geht es stets um den Aufweis gleicher Eigenschaften wie Sprache, Geschlecht, Rasse, Klasse usw.--, werden die jeweiligen Partikularitäten minorisiert, gefährdet, ausgegrenzt. Dabei entstehen scheinbar sichere Subjekt-Objekt-Beziehungen, in denen alles Fremde als das Andere, Nichtzugehörige definiert werden kann, weil die Beziehungen von Gesellschaften zu ihrem ›Außen‹ lediglich in dyadischen Wir-Sie-Relationen gedacht werden. Neu am Modell des Dritten war der Blick auf das Eigenrecht des Fremden, Partikularen in jeder Gesellschaft. In der Perspektive der Differenz wird die Diversität der Gesellschaft sichtbar. Sie ist durch Auseinandersetzungs- und Integrationsprozesse zwischen Menschen und Gruppen disparater Herkünfte gekennzeichnet, so dass die Gründungswerte einer Gesellschaft anders zu formulieren sind als mit Hilfe essentialistischer Eigenschaftszuschreibungen. 4 Das triadische Konzept löste seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts nachhaltig die vorherrschenden dyadischen intersubjektivitätsbzw. alteritätstheorischen Analysestrukturen ab, und es kam zu einer Neubesinnung auf ältere Vordenker. 5 Mit der Entdeckung des Dritten in den Kultur- und Sozialwissenschaften gegen Ende des 20. Jahrhunderts geht es um eine personale Rolle, die nicht mit Vorstellungen eines neutrischen Dritten (Sprache, Recht, Moral usw.) zu verwechseln ist, wohl aber um weitere Zahlen erweitert werden kann, ohne dass die triadische Struktur sich ändert. Die sozialphilosophische Rolle des Dritten beruht auf seiner Andersartigkeit. Er kann seine Rolle nicht als Erweiterung einer Zweierbeziehung erfüllen. Gemeinschaft entsteht vielmehr, wenn zur Dyade die Heterogenität des Dritten tritt. Er kommt als der zunächst Fremde hinzu, nicht als verlängerte Figur einer Ich-Du-Beziehung. 6 Der ›Exkurs über den Fremden‹ Georg Simmels in seiner Grundlegung der Soziologie 7 hatte das bereits anschaulich gemacht. Der Fremde, der zur Gemeinschaft stößt, die aus zumindest zwei Menschen besteht, gehört nicht zu ihnen; seine Ankunft löst jedoch eine Neubestimmung aus, die nicht nur das dyadische Verhältnis der Gemein- Eckart Reinmuth Der Dritte. Eine sozialphilosophische Perspektive auf den Hebräerbrief Hermeneutik und Vermittlung »Jede Gesellschaft enthält Partikularitäten, Elemente des Fremden, Andersartigen, Unangepassten, das in den jeweiligen, für grundlegend erachteten Ordnungen und Werten nicht aufgeht.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 58 - 4. Korrektur 58 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Hermeneutik und Vermittlung »Der Hebräerbrief geht davon aus, dass es ohne die Rolle eines Dritten keinen Kontakt, keine Vermittlung und schon gar keine Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen und damit keine menschliche Gesellschaft geben kann.« schaft, sondern auch den Ankommenden verändert. Die Gemeinschaft nimmt sich im Blick des Fremden neu wahr. Seine ursprüngliche Nichtzugehörigkeit geht in der dyadischen Struktur nicht auf, vielmehr entsteht eine neue, triadische Struktur, in der Vertrautheit und Unvertrautheit sich neu mischen und relationieren. Die ursprüngliche Vertrautheit wird aufgebrochen; Fremdheit bleibt nicht fremd und wird doch nicht nivelliert. Nähe und Distanz kommen in Bewegung und werden neu geordnet. Simmel zeigt, wie an diesem Modell der Prozess der Vergesellschaftung verstanden werden kann. 8 Die Figur des Dritten hat Bedeutung für die Konstitution des Sozialen, des Subjekts, der Intersubjektivität und damit zugleich eine eminent erkenntnistheoretische wie politiktheoretische Funktion. Mit ihr werden zugleich theologisch relevante Erschließungsperspektiven auf neutestamentliche Texte eröffnet. Der vorliegende Beitrag exemplifiziert das am Hebräerbrief, indem er skizziert, wie in diesem antiken Schreiben Jesus in der gesellschaftsbzw. gemeinschaftskonstituierenden Rolle des Dritten gezeichnet wird, und welche Konsequenzen sich damit verbinden. 2. Jesus in der Rolle des Dritten Der Hebräerbrief geht davon aus, dass es ohne die Rolle eines Dritten keinen Kontakt, keine Vermittlung und schon gar keine Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen und damit keine menschliche Gesellschaft geben kann. Das gilt in der Perspektive dieses antiken Textes von der Schöpfung an (1,2b). Im Licht des letztgültigen Sprechens Gottes (1,2a), wie es die Menschen im Reden Jesu, seiner Person und Geschichte vernehmen können, wird jedoch alle bisherige Vermittlung, jede Begründung der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen und damit generell menschlicher Gesellschaft zu einer vormaligen, unzureichenden, vergeblichen oder doch in keinem Fall zum Ziel führenden. 9 Demgegenüber ist die einmalige Geschichte Jesu Christi aus Sicht des Hebräerbriefes effektiv und zureichend. Der Autor variiert diese Überzeugung in unterschiedlichen Rollenzuschreibungen an Jesus. Er nutzt verschiedene Möglichkeiten, die konstitutive Rolle Jesu als des Dritten in immer neuen Metaphern zu umschreiben, z. B. als himmlischer Hohepriester, Gesandter, Mittler, Bürge, Anführer des Glaubens und Verursacher der Rettung. In all diesen Rollen ist Jesus fremd und nah zugleich, Mensch wie Menschen, Bruder unter Brüdern, Sohn unter Söhnen und Gott wie Gott, zu seiner Rechten sitzend, Herr, Schöpfungsmittler und Erbe aller Dinge. Das jeweilige Profil dieser Rollen kann im vorliegenden Beitrag nicht eingehend beschrieben werden. Ich notiere im Folgenden lediglich einige Beobachtungen im Zusammenhang unserer Themenstellung. Mit Jesu Rolle als Hohepriester wird die für die Gemeinschaft mit Gott im Kult Israels grundlegende und unentbehrliche Rolle aufgenommen und in anthropologisch-gesellschaftlicher Dimension interpretiert. Von der ersten Verwendung des Wortes an (2,17 f.) steht die den Menschen zugewandte Barmherzigkeit Jesu (vgl. 2,9) im Vordergrund. Sie äußert sich in der Hilfe, die denen gilt, die versucht werden (V. 18). 10 In der Rolle des himmlischen Hohepriesters nach der Ordnung Melchisedeks wird Jesus in genealogischer Hinsicht so definiert, dass er gerade nicht zum Priestertum prädestiniert war (vgl. Hebr 7,13 f.). Seine Rolle als Dritter, die er als vollendeter Hohepriester einnimmt, verdankt sich ausschließlich der Initiative Gottes. Damit wird entschlossen das Menschsein Jesu als Element der Prof. Dr. Eckart Reinmuth, geb. 1951 in Rostock, studierte Evangelische Theologie in Greifswald, wurde 1981 in Halle promoviert und habilitierte sich 1992 in Jena. Er war Gemeindepastor in Mecklenburg und Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Naumburg und der Universität Erfurt. Seit dem Sommersemester 1995 lehrt er an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock Eckart Reinmuth Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 59 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 59 Eckart Reinmuth Der Dritte. Argumentation beansprucht und dem Gründungshandeln Gottes gegenübergestellt. Seine Rolle als Dritter basiert darauf, dass er Mensch war (vgl. in diesem Sinn auch die Interpretation von Ps 8 in Hebr 2) und als Mensch von Gott ins Leben gerufen worden ist (s. u. Anm. 20). In 3,2 klingt an, dass Jesus von Gott zu dem gemacht wurde, was er ist (es geht um Jesu Treue gegenüber dem, ›der ihn gemacht hat‹ [gr. tō poiēsanti auton]). Gott ist das Subjekt der Identität Jesu. Wie also gerät Jesus in die Rolle des gemeinschaftskonstituierenden Dritten? In der Perspektive des oben skizzierten triadischen Konzepts legt sich eine Lektüre nahe, die nicht essentialistisch nach Eigenschaften, sondern nach Relationen fragt, die in erzählerischer Form begründ- und kommunizierbar sind. Schließlich war, begeben wir uns in die historisch rekonstruierbare zeitgeschichtliche Perspektive, die Kreuzigung Jesu kein weltgeschichtliches Ereignis. Zeitgeschichtlich relevante Quellen schweigen; diese Tötung fand keine Erwähnung, weil sie unter gleichen Bedingungen und nach derselben Prozedur wie unzählige andere exekutiert wurde. Der Hebräerbrief geht wie alle neutestamentlichen Schriften davon aus, dass Jesus als ein Mensch gekreuzigt wurde, ohne dass er als der Christus (vgl. 3,6.14) erkennbar war. Die drastischen Skizzen seiner Angst und Verzweiflung, die im Neuen Testament ihresgleichen suchen, sprechen hier eine deutliche Sprache. 11 Menschen machen Jesus wie andere Delinquenten zum Opfer ihrer Ordnungsvorstellungen, ihrer Rechtsprechung und ihrer Sorge um eine humane Gesellschaft. Die Ausgrenzung, die Jesus als am Kreuz Hingerichteter erfährt, wird vom Autor des Hebräerbriefes jedoch gänzlich anders gedeutet. Er versteht Jesus nicht passiv als Objekt einer Hinrichtung, sondern deutet diesen Tod als Selbstopfer, das jedes weitere Opfer überflüssig macht. 12 Auf der Folie kultischer Opferproduktion wird diese tödliche Ausgrenzung Jesu als einmaliges Geschehen gedeutet, das die Relation zwischen Gott und Menschen neu konstituiert, prägt und bestimmt. Diese Deutung verdankt sich nach Auffassung des Autors jedoch nicht menschlicher Willkür, sondern dem Sprechen Gottes. Sein Sprechen gründet und verbürgt den Glauben der Gemeinde: Jesus wird von Gott nicht nur ›erhört‹ (gr. eisakoustheis 5,7) und ›vollendet‹ (gr. teleiōtheis 5,9), sondern auch öffentlich als ›Hohepriester‹ proklamiert 13 (gr. prosagoreutheis 5,10; vgl. dazu 1,2: Gott hat den Sohn zum Erben aller Dinge ›eingesetzt‹, gr. ethēken). Gott selber nennt ihn ›Gott‹ und ›Herr‹ (vgl. die Anreden in der Zitation von Ps 44,7LXX und Ps 101,26LXX in 1,8.10) und weiß Wahrhaftigkeit (V. 8) und Gerechtigkeit (vgl. V. 9: dikaiosynē) in seiner universalen Herrschaft (gr. basileia) verwirklicht. 14 Gott selber nennt ihn ›Sohn‹ (Ps 2,7 in 5,5; vgl. bereits 1,5). Jesus wird in der Rolle des Dritten bereits im Prolog als der Vermittler göttlichen Sprechens eingeführt, der in der Linie des ›einst‹ (gr. palai) vielfachen und vielgestaltigen Redens Gottes ›durch die Propheten‹ zu verstehen ist (1,1-2). Jedoch ist dieses Sprechen ›durch den Sohn‹ als letztmalig endgültiges gekennzeichnet. Ihn hat Gott zum Erben aller Dinge eingesetzt; war er doch bereits derjenige, ›durch den‹ (gr. di hou) Gott die Welt(en) erschuf. Ich will den Prolog und seine narrativen Elemente hier nicht weiter verfolgen, sondern lediglich darauf aufmerksam machen, dass bereits seine Struktur von einem Gegenüber von Gott und Menschen-- konkret: den Vätern bzw. ›uns‹-- ausgeht, das gleichsam erst durch die Rolle des Dritten (der Sohn bzw. bereits die Propheten) konstituiert wird. Der Sohn ist die personifizierte Anrede Gottes an die Menschen; er ist sein Wort. Er ist es, der das Wort des ihn Sendenden authentisch ausrichtet (vgl. dazu in V. 3 ›tragend das All mit dem Wort seiner Kraft‹). Seine eigene Rolle gründet im Sprechen Gottes (vgl. VV. 5-8. 10. 13). 15 Jesus ist folglich zugleich Bote (bzw. Gesandter, Apostel; 3,1) Gottes, der das Bekenntnis der Glaubenden ermöglicht. Als apostolos wird er im Hebräerbrief (und im gesamten Neuen Testament) nur hier bezeichnet; es ist überdies das einzige Vorkommen des Wortes in diesem Text. Sachlich geht es um die Präsenz des Sprechens Gottes in seiner Person, auf die sich ›unser Bekenntnis‹ (gr. hē homologia hēmōn) bezieht, und auf die bereits der Prolog hinwies (1,2-3). Jesus ist als von Gott eingesetzter Hohepriester zugleich Mittler (gr. mesitēs) 16 des besseren Bundes, der den Menschen durch die Sendung des Sohnes ermöglicht worden ist (8,6; zum Stichwort [besserer] Bund vgl. noch 7,22); als Mittler des neuen Bundes wird er auch in 9,15; 12,24 bezeichnet. 17 Es handelt sich wie bei dem sachlich verwandten Wort ›Bürge‹ (gr. eggyos 7,22) 18 um Metaphern aus dem rechtlichen Bereich. Der Mittler ist zugleich der Bürge; jemand also, der für ein Rechtsgeschäft einstehen und es bezeugen kann. 19 Zu berücksichtigen ist, dass an den drei Stellen, in denen im Hebräerbrief von Jesus als mesitēs gesprochen wird, das Stichwort Bund/ Testament (gr. diathēkē) eine Rolle spielt. In 9,15 ff. geht es ausdrücklich um die diathēkē als testamentarische Verfügung, die mit dem Tod dessen, der sie aufgesetzt hat (gr. tou diathemenou), in Kraft tritt. Seine Mittlerschaft, Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 60 - 4. Korrektur 60 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Hermeneutik und Vermittlung also seine für die Realität der Zuwendung Gottes, für das Wirklichwerden seiner Verheißung (V. 15) bürgende Rolle, gründet darin, dass er sich selbst zum Opfer brachte (9,12-14.26) und von Gott ›von den Toten heraufgeführt‹ (gr. anagagōn ek nekrōn) wurde. 20 Der Hebräerbrief versteht das Selbstopfer Jesu, das jedes weitere Opfer überflüssig macht, als konstitutiv für die neue Gemeinschaft der Menschen. Auf dieser Kernüberzeugung basiert die Theologie bzw. Christologie wie die Ekklesiologie bzw. Anthropologie dieses Textes. 3. Jesu Geschichte und die Situation der Gemeinde Der Autor beschreibt die Erfahrungen des Zum-Glauben-Kommens der Adressaten in 6,4-5 im Zusammenhang seiner Warnung, dass diese Erfahrungen nicht wiederholbar sind. Sachlich geht es mit diesen Wendungen um ein Anteilgeben und Beschenktwerden der Glaubenden, um ihre Begabung, und zwar an der Wirklichkeit Gottes, die ihnen mit der Jesus- Christus-Geschichte erschlossen wurde. Diese Perspektive wird zuerst im Brief mit dem Stichwort ›Rettung‹ (gr. sōteria) benannt (2,3; vgl. 1,14). Sie kommt den Glaubenden als Effekt dieser Geschichte zugute. Es ist eine Geschichte der Befreiung (2,15), der Annahme (gr. epilambanomai 2,16), des sich Erbarmens (2,17), der Schuldtilgung (2,17) und Hilfe (2,18). Jesu Geschichte hat die Adressaten zu Teilhabern Gottes, nämlich an seiner Berufung (3,1), an Christus (3,14), am heiligen Geist (6,4) und an (seiner) paideia (12,8) gemacht (gr. mentochoi, vgl. 3,1.14; 6,4; 12,8 sowie 1,9, wo Ps 45,8 zitiert wird). 21 Sie macht aus den ›Sklaven‹ (2,15) ›Brüder‹ (2,11-13.17), aus den versklavten Söhnen befreite Söhne. Die an die Adressatengemeinde gerichteten Ermahnungen und Drohungen geben zu erkennen, in welcher Gefährdung der Autor sie sah. In 2,1-4 weist er auf die Gefahr hin, dass die göttliche Vergeltung ungleich größer sein könnte, als sie es schon unter den Bedingungen des Gesetzes war (vgl. ähnlich 10,26-31). Er fordert zu gegenseitiger Ermahnung auf, damit niemand ›vom lebendigen Gott abfalle‹ (gr. apostēnai apo theou zōntos 3,12 f.), und er droht damit, dass es denjenigen so gehen könnte wie der Wüstengeneration (3,7-11.15-19; vgl. 4,11 im Kontext von 4,1-13). Das Schicksal derer, die zurückweichen, ist erschreckend (10,39: gr. apōleia; vgl. ferner 12,17.25-29). Diejenigen, die auf der Grenze zum Abfall sind (6,4-12; gr. parapesontes V. 6), kreuzigen den Sohn Gottes erneut und machen ihn zum Spott; sie geben ihn der Schande preis (gr. paradeigmatizontes V. 6). Der Autor hat offensichtlich ein differenziertes Bild von der Adressatengemeinde. Sie ist nicht homogen, sondern umfasst unterschiedliche Glaubenshaltungen, Positionen und Verhaltensweisen. Obwohl der Autor nicht ausdrücklich davon spricht, gehen wir davon aus, dass auch die jeweilige soziale Herkunft und Position der Gemeindeglieder unterschiedlich und nach damaliger Auffassung disparat war (Männer, Frauen, Freie, Freigelassene, Sklaven, Juden, Nichtjuden usw.). Der Autor des Hebräerbriefes macht sich offensichtlich keine Illusionen über die tatsächliche Zusammensetzung der Adressatengemeinschaft. Die Gemeinde des Hebräerbriefes gründet nicht auf normierenden Eigenschaften, sondern besteht-- wie andere Gemeinden des frühen Christentums-- aus verschiedenen Herkünften, sozialen Positionen, ethnischen Kontexten, moralischen Voraussetzungen, Gender-Verständnissen, konkreten Verhaltensweisen usw. Und doch ist sie Volk (gr. laos) Gottes (vgl. 4,9; 8,10 [Jer 31]; 10,30 [Dt 32,36]; 13,12; als Bezeichnung für Israel 11,25 u. ö.). Als Gemeinschaft basiert sie auf nichts Anderem als dem Bekenntnis zu Jesus Christus. Diese Aussage ist freilich so richtig wie allgemein. Sie wird konkreter, wenn wir einen Blick auf die sich im Hebräerbrief abzeichnende Situation der Gemeinde werfen. Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass das kollektive Selbstverständnis des Hebräerbriefes sich nicht als das einer ›Mehrheit-im-Recht‹ äußert, sondern als das einer Auszugsgemeinschaft (vgl. 3,1-19; 12,18-29), die die Mehrheit verlässt und sich über das identifiziert, was von dieser als Schande ausgeschlossen wird (13,12). Die Adressaten des Briefes befinden sich in einer schambesetzten und ausgegrenzten Situation als unmittelbarer, unausweichlicher Folge ihres Bekenntnisses zu der in ihren Augen universalen und für die gesellschaftlichen Bedingungen des Menschseins grundlegenden Bedeutung der Jesus-Christus-Geschichte. Das in dieser Geschichte manifeste Zeugnis Gottes wird in der Sicht des Autors durch die Glaubenden beglaubigt. 22 Eindrücklich kommt die Situation der Adressaten in 10,32-34 zur Sprache: »Erinnert euch aber der vergangenen Tage, in denen ihr, nachdem ihr erleuchtet »Der Hebräerbrief versteht das Selbstopfer Jesu, das jedes weitere Opfer überflüssig macht, als konstitutiv für die neue Gemeinschaft der Menschen.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 61 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 61 Eckart Reinmuth Der Dritte. worden wart, einen schweren Kampf der Leiden durchgestanden habt, (V. 33) teils (selbst) in Schmähungen und Drangsalen zum Schauspiel gemacht, teils Mitgenossen geworden derer, denen es so erging. (34) Denn ihr habt mit den Gefangenen mitgelitten und habt den Raub eurer Habe mit Freuden hingenommen in der Erkenntnis, dass ihr einen besseren und bleibenden Besitz habt.« 23 Hier werden Exklusionserfahrungen reflektiert, die die Adressaten aufgrund ihres Bekenntnisses zum Gekreuzigten machen mussten. Der Hebräerbrief blickt auf massive Verfolgungs- und Ausgrenzungserfahrungen zurück. Er spricht die Adressaten darauf an und macht deutlich, dass ihre gefährdete Identität mit diesen Erfahrungen untrennbar und ursächlich verbunden ist. Im Zentrum steht hier die öffentliche Schande. Die Angeredeten wurden durch Schmähungen (gr. oneidismoi) 24 und Bedrängnisse entweder selbst zum Schauspiel (V. 33-- entscheidend an der Metaphorik des verwendeten Verbs theatrizō ist der öffentliche Charakter der Demütigungen) 25 oder wurden zu Teilhabern (gr. koinōnoi) derer, denen es so erging. Sie waren folglich auch in letzterem Fall von der öffentlichen Schande betroffen und sehen sich von einer Gesellschaft, die auf wechselseitig zuerkannter Ehre basiert, ausgegrenzt. 26 Dem Autor geht es um einen Gegendiskurs, der die mit der Kreuzigung Jesu verbundene Schande thematisiert (vgl. 11,26; 13,13) und als grundlegend für die Identität der Kommunikationsgemeinschaft, die das Schreiben adressiert und damit textuell konstruiert, behauptet. 27 Für den Hebräerbrief ist die Tötungsgeschichte Jesu eine Geschichte der Schande, der Schändung, die unweigerlich dazu führt, dass seine Anhänger Schande tragen und zu Ausgegrenzten werden. 12,3 sieht im Zentrum der Passion Jesu die antilogia, also den Widerspruch, die Gegenrede gegen seine Botschaft. Jesus musste die antilogia ›erdulden‹, wie er den stauros (das Kreuz) erduldete und dabei die damit verbundene Schande verachtete (V. 2). Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass der Hebräerbrief die Jesus- Christus-Geschichte als eine Geschichte der freiwillig erlittenen und zugleich missachteten Schande und so als grundlegend für die Identität der Glaubenden versteht. So, wie Jesus die antilogia, der Widerspruch, die Verneinung, entgegenschlug, erleben es auch die Glaubenden, und zwar als solche, die den (Wett-)kampf aufgenommen haben (V. 2) und wissen, dass der Widerstand im unversöhnlichen Kampf (gr. antagōnizomenoi) gegen die Sünde bis aufs Blut zu führen ist (V. 4). Sie ist die Präsenz der (überwundenen) Vergangenheit. 28 Sie müssen sich der Schande der Kreuzigung nicht schämen (13,13), so wenig wie Mose (11,25 f.), wie Jesus (12,2), wie Gott: 11,16 stellt fest, dass Gott sich derer, die als Gäste und Fremdlinge heimatlos geworden sind, weil sie das verheißene Land suchen, nicht schämt. 29 11,24ff. erinnert an das Verhalten des Mose, der nicht als Sohn der Pharaotochter, sondern in Solidarität mit seinem misshandelten Volk leben wollte. Er hielt die Schande des Christus (gr. oneidismos tou christou 11,26; vgl. 13,13) für größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens. Die Formulierung ist deutlich durch die Analogie ermöglicht, die der Autor zwischen der Passion Christi und der Situation Israels in Ägypten sieht. Gleiches gilt nach 12,2 für Jesus, der wegen der vor ihm liegenden Freude (vgl. für Mose 11,26c die Erwähnung der misthapodosia) die Kreuzesstrafe auf sich nahm und die damit verbundene Schande verachtete. 13,3 fordert von den Adressaten Solidarität mit den Gefangenen-- ›als wärt ihr Mitgefangene‹-- und Misshandelten. Hier hebt der Autor auf die körperliche Existenz der Adressaten ab (gr. einai en sōmati)-- körperliche Existenz bedeutet Sterblichkeit (vgl. 2,14 f.)-- und plausibilisiert mit ihr die Solidarität mit den Misshandelten und Gefangenen. Sie wird folglich zu der Jesu analog konzipiert. Diese Forderung erhält vor dem Hintergrund von 13,13 zusätzliches Gewicht: »Lasst uns hinausgehen aus dem Lager und seine [sc. Jesu] Schmach tragen.« Es geht um die Hinrichtung des Christus. Sie geschah vor den Toren der Stadt (vgl. V. 12). 30 Zum Verständnis dieser Stelle ist der unmittelbar vorausgehende Kontext zu beachten. 13,11 verweist begründend auf Lev 16,27. Hier wird vorgeschrieben, dass die Kadaver der Opfertiere außerhalb des Lagers verbrannt werden, das Blut jedoch zum Altar des Heiligtums gebracht wird, damit der Hohepriester mit ihm die Sünde sühnen kann (gr. exilasasthai en tō hagiō). Vers 12 macht deutlich, wo sich der Altar der Christen befindet. Der Vers beginnt argumentativ mit ›deshalb‹ (gr. dio kai), meint also eine eindeutige Schlussfolgerung aus Lev 16,27. Aber diese Folgerung überschreitet den Gehalt von V. 11. Lev 16,27 sah vor, dass lediglich die für das Opfer unbrauchbaren Reste (Kadaver, Felle, Fleisch, Mist) ›außerhalb des Lagers‹ verbrannt werden. Demgegenüber spricht der Hebräerbrief davon, dass Jesus ›außerhalb des Lagers‹ (gr. exo tēs parembolēs) getötet wird. 31 »Der Hebräerbrief blickt auf massive Verfolgungs- und Ausgrenzungserfahrungen zurück. […] Im Zentrum steht hier die öffentliche Schande.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 62 - 4. Korrektur 62 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Hermeneutik und Vermittlung Damit wird ein neuer Akzent im Hebräerbrief gesetzt, der bisher noch nicht begegnete. Der in V. 12 verwendete Aorist epathen bezieht sich auf das »Einsteinmal« (gr. hapax) der Kreuzigung (vgl. 9,26.28; 10,10.14). Die auf die Adressaten bezogene Folgerung (gr. toinyn) in V. 13 macht den strengen Bezug deutlich, den der Autor auf die Jesus-Christus-Geschichte voraussetzt, wenn es um die Identität der Adressatengemeinschaft geht. Der Ort ›außerhalb des Tores‹ steht im äußersten Gegensatz zu dem heiligen Ort (gr. ta hagia), dem Heiligtum, an dem am Versöhnungstag die Opferhandlung durch den Hohepriester versehen wird. ›Außerhalb des Tores‹ wurden die Überreste der Opfertiere verbrannt und so entsorgt (so auch Ex 29,14; Lev 4,12.21). Dieser unreine Ort steht zum Heiligtum im äußersten Gegensatz. Hans-Friedrich Weiß stellt dazu fest: »Der Ort der Profanität also-- paradoxerweise in einem Brief, der den Kultus zur Grundlage seiner Argumentation macht! -- ist der Ort der ›Heiligung‹. Spätestens an dieser Stelle im Hebräerbrief läuft die Argumentation des Autors im Rahmen der Gegenüberstellung von alter und neuer Kult- und Heilsordnung auf die Infragestellung der für die alte Kultordnung konstitutiven Unterscheidung zwischen ›heilig‹ und ›profan‹ hinaus-- mit entsprechenden Konsequenzen für die diesem Jesus nachfolgenden Christen (V. 13).« 32 Der Hebräerbrief erzählt und reflektiert das endzeitliche Handeln Gottes als Grundlage einer neuen menschlichen Gemeinschaft, indem er die Jesus-Christus-Geschichte als sein schöpferisches Erwählungshandeln interpretiert: Gott hat sich selbst der Schande ausgesetzt, die in Schwachheit, Erniedrigung und Tod Jesu ansichtig wurde. Es ist die Geschichte seiner Solidarisierung mit den Menschen. Sie ist das entscheidende Kriterium für die neue Gemeinschaft. Hebr 2,9 spricht von der zeitweiligen Erniedrigung Jesu unter die Engel; er sollte im Auftrag Gottes (wörtl. ›durch Gottes Gnade‹) für alle Menschen den Tod schmecken. V. 10 begründet diese Aussage mit der Absicht Gottes, den ›Anfänger des Heils‹ durch Leiden zu vollenden. Nur so werden die Menschen zu Brüdern des ›Sohnes‹ (2,11). Das Argument in 2,11 basiert auf der Überzeugung, dass der Sohn und die Söhne von demselben Gott abstammen. 33 Der Solidaritätsgedanke des Hebräerbriefes basiert auf demselben Ursprung des ›Sohnes‹ und der ›Söhne‹, Jesu und der Menschen, 34 betont aber, dass der ›Sohn‹ ganz Mensch geworden ist, um durch seinen Tod den Teufel zu zerstören, der die Macht über den Tod hatte (V. 14), und so die Menschen aus ihrer Todesfurcht zu erlösen (V. 15). V. 17 kann diese narrative Logik gleichsam als Erfordernis ausdrücken: Er musste (gr. ōpheilen) in allem seinen Brüdern gleich werden, 35 damit er barmherzig würde (gr. hina eleēmōn genētai) und ein treuer Hohepriester. V. 18 begründet abschließend: Worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er denen helfen, die versucht werden. Christus identifiziert sich mit denen, die durch ihre Furcht vor dem Tod versklavt sind (2,1-16). 36 Gleiches gilt für ihn als Hohepriester (2,17 f.; 4,15; 5,7-10; 7,23 ff.; 8,1 f.). Der Hebräerbrief reflektiert die Geschichte der Solidarisierung Gottes mit den Menschen als Weg des Christus in schambesetztes Leiden und schandbaren Tod. Sie erwirkte die Befreiung der Menschen von ihrer Furcht vor dem Tod und damit zugleich von dem Zwang, immer neue Opfer zu produzieren. 9,27 f. stellt die Bestimmung der Menschen, ›ein einziges Mal zu sterben‹, der einmaligen Opferung Christi gegenüber. Sein Weg führte zu den Menschen, die durch die Furcht vor dem Tod versklavt sind (2,14 f.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wahrnehmung des Todes im Hebräerbrief im Kontext seiner Welt, seiner Enzyklopädie erfolgt. Die Kommunikation von Tod und Sterben in diesem antiken Text ist geprägt von konkreten kulturellen Vorgaben, die diese Kommunikation erst ermöglichen. 37 Das wird z. B. daran deutlich, dass in der Sicht des Hebräerbriefes Henoch (11,5) aufgrund seiner Entrückung (Gen 5,24; vgl. Sir 44,16) im Gegensatz zur Sterblichkeit aller Menschen nicht gestorben ist. Gleiches gilt-- mit anderer Begründung-- für Melchisedek (vgl. 7,8). Gerade diese Ausnahmen und insbesondere Melchisedek als Präfiguration Jesu sind ein Hinweis darauf, dass die menschliche Sterblichkeit in besonderer Weise thematisiert werden soll. Sie entspricht nicht der schöpfungsgemäßen Bestimmung des Menschen, sondern markiert eine defizitäre Situation, die in der Verstrickung der Menschen in die Sünde (gr. hamartia, vgl. 1,3 u. ö.; ca. 24 Belege) gründet. 38 Damit wird deutlich, dass es dem Hebräerbrief mit der Akzentuierung menschlicher Sterblichkeit nicht darum geht, lediglich an ihre physische Universalität zu erinnern. Der Hebräerbrief zeigt vielmehr einen inhaltlich klar konturierten Blick auf Tod und Sterben, der die Sterblichkeit der Menschen gleichsam »Der Hebräerbrief erzählt und reflektiert das endzeitliche Handeln Gottes als Grundlage einer neuen menschlichen Gemeinschaft, indem er die Jesus-Christus-Geschichte als sein schöpferisches Erwählungshandeln interpretiert« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 63 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 63 Eckart Reinmuth Der Dritte. als Produkt menschlichen Handelns thematisiert. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Interpretation der Jesus-Christus-Geschichte in Hebr 2,14 f. einen konkreten Bezug. Der Sterblichkeit der Menschen entspricht die Insuffizienz des Kultes (vgl. z. B. 7,23). Auch das Priestertum wird in der Rolle eines Dritten, des-- wenn auch ungenügenden-- Vermittlers zwischen Gott und Menschen gesehen. Aber sowohl sein Ursprung wie seine Praxis zeigen, dass es als menschliche Einrichtung seinen mediatorischen Auftrag tatsächlich nicht erfüllt und nicht erfüllen kann. Die Routinen des Kultes können das Ziel des Menschen, die Gemeinschaft mit Gott, 39 nicht erreichen, weil sie die ›Reinigung von den Sünden‹ (1,3) nicht bewirken. Sie können die Verheißungen Gottes nicht einlösen. Diese Verheißungen enthalten jedoch mit Attributen wie Freiheit, Entlastung vom bösen Gewissen, 40 Nähe zu Gott (7,19), parrēsia des freien Zugangs ins (himmlische) Heiligtum (10,19) die Bestimmung der Menschen. Dem Autor geht es mit dem kultischen Metaphernfeld um den Diskurs der Möglichkeit menschlicher Gemeinschaft mit Gott. 41 Die kultischen Vergleiche im Hebräerbrief dienen dazu, die Ineffektivität der kultischen Iterativität herauszustellen. Das zeigt sich bereits beim ersten Hinweis auf den Opferdienst in 5,1ff.: Der Hohepriester ist durch seine Schwachheit (gr. astheneia) gekennzeichnet und kann deshalb einerseits mit den Irrenden und Unwissenden mitfühlen, andererseits muss er auch für die eigenen Sünden Opfer bringen (V. 3). 7,27f. nimmt den Gedanken aus 5,3 auf. Dem ›ein-für-alle-Mal‹ (gr. ephapax) des Selbstopfers Jesu (vgl. 9,12. 14. 26) steht das tägliche Opfer der Hohepriester gegenüber, die zunächst durch Opfer sich selbst entsündigen und dann das Opfer für die Sünden des Volkes darbringen. Offensichtlich sieht der Hebräerbrief einen Zusammenhang zwischen dem redundanten Opferhandeln der Menschen und ihrer Sterblichkeit. Die Iterativität des Opferns erweist seine Ineffektivität. Demgegenüber erzählt der Hebräerbrief die Geschichte einer universalen Befreiung; er erläutert sie an den anthropologischen Metaphern des Versklavtseins durch die Todesfurcht (2,14 ff.) und des kultischen Opferdienstes und plädiert nachdrücklich für eine gesellschaftliche Orientierung, auf die er die Adressaten verpflichtet. 4. Der Dritte und die Ethik der Solidarität Im Hebräerbrief werden politisch-philosophische Definitions- und Begründungsfragen von Solidarität tangiert. Gegenwärtig steht außer Frage, dass die demokratische Gesellschaft um den Preis ihres Überlebens auf praktische, also gelebte, eingeübte und reflektierte Solidarität angewiesen ist. Es handelt sich um eine zentrale Kategorie, mit der es um die Gegenwart und Zukunft der Demokratie geht. Eine ›Solidarität unter Gleichen‹ ist ihren Herausforderungen jedoch nicht gewachsen. 42 Der Hebräerbrief spricht seine Adressaten nicht auf ihre soziale Stärke an, sondern auf Verfolgungserfahrungen, die sie ihrer sozialen Identität beraubten und diese auch weiterhin gefährden (s. o. zu 10,32-34). Die im Hebräerbrief thematisierte Erfahrung öffentlicher Schande und Beschämung ist als Erfahrung gebrochener sozialer Identität, als tiefgreifende Entfremdungserfahrung zu interpretieren. Wir haben die in dem entsprechenden Handeln Gottes (11,16) bzw. Jesu (2,11) gründenden Aufforderungen, die Schande anderer nicht zu scheuen, sie auf sich zu nehmen und zu teilen (10,32-34; 13,3.13), als eindringliche Mahnung des Autors zur Solidarität mit Ausgegrenzten interpretiert. Sein Beitrag ist als Votum für eine gesellschaftliche wie globale Solidarität zu interpretieren, die in erster Linie den Ausgegrenzten gilt und folglich Exklusionsprozesse jeder Art zu analysieren und gegebenenfalls zu bestreiten hat. Dem Hebräerbrief geht es weder um eine Solidarität unter Gleichen, Gleichrangigen oder gleich Qualifizierten noch um die Herablassung Höhergestellter, sondern um eine Solidarität, die bereit ist, sich der eigenen Gebrochenheit, Entfremdung, ›Nicht-Identität‹ oder Fragilität zu stellen. In der aktuellen politiktheoretischen Diskussion des Solidaritätsbegriffs geht es vor allem um die Frage der Geltung, der Reichweite und der Begründung von Solidarität. 43 Dieser Begriff ersetzte seit dem 18. Jh. zunehmend den Begriff der Brüderlichkeit 44 und thematisiert in erster Linie soziale Beziehungen zwischen prinzipiell gleichgestellten Mitgliedern einer Gemeinschaft. 45 Schon im römischen Recht war die obligatio in solidum als das wechselseitige Einstehen einer Gemeinschaft, etwa einer Familie, für den Einzelnen bzw. des Einzelnen für seine Gemeinschaft, etwa in Haftungs- und Schuldenfragen, verstanden worden. 46 Die hier anklingende »Sein Beitrag ist als Votum für eine gesellschaftliche wie globale Solidarität zu interpretieren, die in erster Linie den Ausgegrenzten gilt und folglich Exklusionsprozesse jeder Art zu analysieren und gegebenenfalls zu bestreiten hat.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 64 - 4. Korrektur 64 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Hermeneutik und Vermittlung Reziprozität prägt auch die moderne gesellschafts- und politiktheoretische Bedeutung des Begriffs: »Solidarität unterscheidet sich ja von Wohltätigkeit dadurch, dass eine grundsätzliche Gleichheit zwischen den Beteiligten existiert, die zu der gegenseitigen Erwartung von Hilfe im Bedarfsfall berechtigt.« 47 Diese prinzipielle Gleichheit der Beteiligten wird meist durch einigende Eigenschaftszuschreibungen wie z. B. gemeinsame Sprachen, Lebensräume, Geschichten oder Kulturleistungen sicher gestellt. Voraussetzung von Solidarität ist folglich die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, aus der sich das Gefühl eines Verpflichtetseins, einer Zusammengehörigkeit, eines Einstehens füreinander ergibt. 48 Die Rolle Jesu als des Dritten begründet demgegenüber ein provozierendes Solidaritätsmodell. Geht es vordergründig um eine Solidarität unter Gleichen-- Jesus ist Mensch wie alle Menschen, Brüder unter Brüdern, die Angeredeten sollen Solidarität üben mit verfolgten Gemeindegliedern- -, so liegt der Akzent, der diese Solidarität unter Gleichen erst dauerhaft ermöglicht, in einem solidarischen Gründungshandeln, als das die Geschichte Jesu Christi im Hebräerbrief interpretiert wird. Seine Geschichte wird als eine der öffentlichen Schande interpretiert, die Jesus gleichwohl missachtete, auf sich nahm und erduldete. Sein Verhalten bildet das Handeln Gottes ab, wie es bereits prototypisch an Mose (11,25 f.) sichtbar wurde, und wie es von den Adressaten realisiert werden soll, als deren wichtigstes soziales Band der Autor die Solidarität mit und unter den Ausgegrenzten sieht. Definiert der Hebräerbrief seine Adressaten als Gemeinschaft in der Ausgrenzung, deren Exklusionserfahrungen aus ihrem Bekenntnis zu Jesus Christus resultieren, so wird nun deutlich, dass die Solidarität der Ausgegrenzten auf einem solidarischen Handeln gründet, das ihnen galt und ihre Gemeinschaft konstituierte. Dieses Handeln, wie es im Hebräerbrief an der Jesus-Christus- Geschichte als Paradigma erzählt wird, schließt die Solidarität der Adressaten mit Ausgegrenzten ein-- und zwar gerade mit Hinweis auf ihre eigenen Erfahrungen der Ausgegrenztheit. Lesen wir den Hebräerbrief in der Perspektive des sozialphilosophischen Modells der Triade, so wird zugleich deutlich, worin die ethische Dimension dieses Schreibens gründet. Die gesellschaftskonstitutive Rolle der Figur des Dritten gibt zu verstehen, wie es zur Etablierung und Geltung von Normen kommt. 49 In der dyadischen Beziehung geht es, folgt man Thomas Bedorfs Hinweis auf Emmanuel Lévinas, um die stete Prävalenz des Anderen, dessen ethischem Anspruch das Ich sich weder entziehen noch ihn letztlich erfüllen kann. Es ist dieser Anspruch, der das Subjekt gleichsam zur »Geisel des Anderen« 50 werden lässt-- womit nichts anderes als der unausweichliche und unerfüllbare ethische Anspruch, dem das Ich durch die Präsenz des Anderen sich ausgesetzt sieht, gemeint ist: »Der Andere begegnet mir in der Tat, und zwar in einer Weise, die die Autonomie des Subjekts zugleich ins Werk setzt und unterläuft. Indem der Andere mich anspricht, im Akkusativ, wird das Subjekt in die Position dessen versetzt, der auf einen Anspruch zu antworten hat. Das Subjekt beginnt so sein freies Handeln nicht bei sich selbst, im puren Anfangen-Können oder in der Reflexion auf Maximen der praktischen Vernunft, sondern im Antworten auf eine Vorgängigkeit, die es nicht selbst gesetzt hat« (ebd.). Bedorf stellt in der Konsequenz seiner Lévinas-Interpretation fest, »dass die Freiheit keine Freiheit eines autonomen Subjekts ist, sondern der kreative Spielraum, der sich darin öffnet, die Antworten auf den Appell des Anderen jeweils erfinden zu müssen« (ebd.). Dieser ›kreative Spielraum‹ ist zugleich der Raum der in je eigener Entscheidung konkret wahrgenommenen Verantwortung und somit der Raum, in dem sich Normen und Werte realisieren und etablieren können. Genau genommen aber, insoweit der Appell des Anderen nach Lévinas eine ethische Unbedingtheit enthält, geht es in dieser dyadischen Relation um eine nicht eingrenzbare, gleichsam unendliche Verantwortung, der das Subjekt letztlich nicht genügen kann. Im Hebräerbrief versagen die Menschen gegenüber dem Anspruch Gottes, 51 und das Gesetz 52 ›des Mose‹ (10,28) hält die kultische, freilich vergebliche Opferproduktion in Gang. Der ineffektive Kult und das insuffiziente Gesetz (7,19: gr. ouden gar eteleiōsen ho nomos) sind sachlich nicht voneinander zu trennen (9,19-22; 10,1.8). Der Hebräerbrief erweckt den Eindruck, dass das nicht abreißende Entsühnungshandeln der Menschen die gleichsam zentrale Forderung des Gesetzes sei. Es bezieht sich zwar auf die Sünde, aber diese wird im Gegensatz zum Kult, seiner Bedeutung und Verrichtung, nicht weiter expliziert. Fragen wir in gleicher Weise, worin die ethische Forderung Jesu zusammengefasst ist, so können wir-- neben anderem wie z. B. der Unterscheidung zwischen gut und böse (5,14) oder den ›konventionellen‹ Mahnungen in 13,1ff-- das theologische Engagement des Autors dort »Die Rolle Jesu als des Dritten begründet […] ein provozierendes Solidaritätsmodell.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 65 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 65 Eckart Reinmuth Der Dritte. erkennen, wo er in der Rolle Jesu als des Dritten und seiner Geschichte die zentrale ethische Norm ausmacht, die er mit seinen Adressaten kommunizieren will. In seiner umfangreichen Studie zum Problem der Anerkennung 53 verweist Thomas Bedorf im Zusammenhang seiner Überlegungen zur inhärenten Normativität des triadischen Modells darauf, dass die soziale Welt stets von konkurrierenden und inkompatiblen Sinnentwürfen bewohnt wird. Bedorf geht davon aus, »dass Ethisches ohne Sozialität ebenso wenig zu denken ist wie Sozialität ohne ethische Intersubjektivität« (136). Ohne ethische Rückbindung wäre in dieser Situation lediglich mit einem Verdrängungskampf zu rechnen. Bedorf stellt fest: »Normativ relevant werden die miteinander inkompatiblen Sinnentwürfe der sozialen Welt nur deswegen, weil sie sich dem Anspruch eines Anderen verdanken, der unvergleichlich ist. Die Pointe der Figur des Dritten besteht darin, dass sie den Ort markiert, an dem für sich genommen unvergleichliche Ansprüche verglichen werden müssen.« (208 f.; Kursivierung im Original). Bedorf verweist auf die soziale Erfahrung, in der ethische Ansprüche stets im Modell der Triade wahrgenommen werden, insofern es »den Anderen niemals allein [gibt], sondern stets umgeben von anderen Anderen, d. h. Dritten, von symbolischen Ordnungen und normativen Erwartungen« (209). Die Konfliktivität dieser Ordnungen und Normen führt in eine Freiheit, die die letztliche Unentscheidbarkeit der Ansprüche zu bestehen hat, aber gerade nicht in der exklusiven, gleichsam unentrinnbaren Zweierbeziehung zu lösen ist. Hier wird eine triadische Sozialität entscheidend, auf deren Ebene der unendliche ethische Anspruch genormt und konkret verantwortet werden kann. »Normativ ist das soziale Feld nur, wenn es an das ethische Moment der Erfahrung des Anderen gebunden bleibt, wenn sich Sozialität der Intersubjektivität verdankt« (210). Damit ergibt sich ein letzter Gesichtspunkt für die vorgeschlagene sozialphilosophische Perspektive auf den Hebräerbrief. Schon in 2,17 f. wurde deutlich, dass der Autor auf Seiten der Menschen keinerlei moralische Qualifizierung sieht, die der Zuwendung Gottes vorausgegangen wäre (vgl. die Ausführungen o. unter 3., S. 60 ff.). Seine Aufforderung zur Solidarität (10,32-36; vgl. 13,3.13) gründet nicht in einer (gar überlegenen) Moralität der Adressaten, sondern in dem solidarisierenden Handeln Gottes (11,16; vgl. 2,11), das den in Todesfurcht Versklavten galt und sie in Erfahrungen der Ausgrenzung und Entfremdung führte. Auf dieser (narrativen) Struktur basiert die Orientierung der Adressaten an den Ausgegrenzten, nicht an deren oder etwa eigener moralischer Qualität. Wäre dies der Fall, dann würde solidarisches Handeln auf einer moralischen Überlegenheit basieren, die nicht bereit ist, die Fragilität der eigenen Identität anzuerkennen oder gar in Wahrnehmung der eigenen (Selbst-)Entfremdung zu handeln. Demgegenüber vertritt der Hebräerbrief eine triadische Sozialität, die eine von der Unentrinnbarkeit des Ungenügens -- dargestellt an der Insuffizienz des Kultes-- befreite Ethik freisetzt. Der unvergleichliche ethische Anspruch des solidarischen Handelns Gottes führt nicht in eine gesetzlich verstandene Normierung, sondern in die Freiheit eines Handelns, das sich in intersubjektiv reflektierter Verantwortung realisiert. Anmerkungen 1 Zum mittelplatonisch geprägten philosophisch-theologischen Hintergrund des Hebräerbriefes vgl. zuletzt W. Eisele, Ein unerschütterliches Reich. Die mittelplatonische Umformung des Parusiegedankens im Hebräerbrief (BZNW 116), Berlin/ New York 2003, 371-414; J.W. Thompson, EPHAPAX: The One and the Many in Hebrews, NTS 53/ 4 (2007), 566-581; S. Nordgaard Svendsen, Allegory Transformed. The Appropriation of Philonic Hermeneutics in the Letter to the Hebrews (WUNT.2 269), Tübingen 2009, 9-53. Der vorliegende Beitrag basiert auf Überlegungen, die ich in meinem Aufsatz »Der Hebräerbrief vor dem Horizont politischer Philosophie: Ausgrenzung und Solidarität«, in: E. Reinmuth (Hg.), Neues Testament, Theologie und Gesellschaft. Hermeneutische und diskurstheoretische Reflexionen, Stuttgart 2011, 375-395, vorgelegt habe. 2 Die Bandbreite kulturtheoretischer triadischer Modelle sowie die hier vielfältig rezipierten sozialtheoretischen Impulse können hier nicht skizziert werden; für einen Überblick vgl. T. Bedorf, Dimensionen des Dritten, München 2003; J. Fischer, Der Dritte/ Tertiarität. Zu einer Theorieinnovation in den Kultur- und Sozialwissenschaften, in: H.-P. Krüger/ G. Lindemann (Hgg.), Philosophische Anthropologie im 21. Jahrhundert, Berlin 2006, 146- 163; E. Eßlinger u. a. (Hgg.), Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma (stw 1971), Frankfurt a. M. 2010; T. Bedorf/ J. Fischer/ G. Lindemann (Hgg.), Theorien des Dritten. Innovationen in Soziologie und Sozialphilosophie, München 2010. 3 Im Gegensatz zu älteren soziologischen Theorien (vgl. z. B. F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, 1887; zuletzt Darmstadt 2005), die aufgrund von gegensätzlichen Wesensmerkmalen zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft unterschieden, schließe ich mich einer lediglich graduellen, nicht-essentialistischen Differenzierung beider Begriffe an; vgl. z. B. S. Lüdemann, Metaphern der Gesellschaft, München 2004, 101 ff. 4 T. Bedorf, »Can the Subaltern speak? « Über (nicht-)essentialistische Subjekte in den Postcolonial Studies, in: Ders./ S. A. B. Blank (Hgg.), Diesseits des Subjektprinzips. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 66 - 4. Korrektur 66 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Hermeneutik und Vermittlung Körper-- Sprache-- Praxis, Magdeburg 2002, 113-131, definiert als ›essentialistisch‹ eine Theorie, »die den in ihr thematisierten Subjekten wesentliche (›essentielle‹) Eigenschaften zuschreibt, ohne die sie ihren von anderen unterschiedenen Subjektstatus verlieren« (114). 5 Vgl. z. B. G. Simmels Grundlegung der Soziologie 1907 mit dem Untertitel: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung; Sigmund Freuds triadisches Modell von Familiarität; Theodor Litts Übergang von der Dyade zur Triade in seinem zuerst 1917 erschienenen Werk Individuum und Gemeinschaft. Grundfragen der sozialen Theorie und Ethik. 6 Ein neutestamentlicher Text, an dem dies exemplarisch deutlich wird, ist die Geschichte vom bittenden Freund Lk 11,5-8; vgl. dazu E. Reinmuth, Das Neue Testament und die Zukunft des Politischen, in: ders. (Hg.), Neues Testament und politische Theorie. Interdisziplinäre Beiträge zur Zukunft des Politischen, Stuttgart 2011, 9-25,-20. 7 S. Anm. 5; der Exkurs über den Fremden findet sich in der Ausgabe von 1968, 509-512. 8 Zur permanenten Prozesshaftigkeit des Simmelschen Vergesellschaftungsbegriffs vgl. T. Bedorf, Der Dritte als Scharnierfigur, in: E. Eßlinger u. a. (Hgg.), Die Figur des Dritten, 125-136, bes. 126 f. 9 Das gilt für das frühere Sprechen Gottes durch die Propheten (1,1; vgl. auch 11,32-34), für Bundesschlüsse (7,22; 8,6 ff.13; 9,1. 4. 15ff ), für Kult und Priesterschaft (5,1ff; 7,11), für das Gesetz (7,19; 10,1), für die Vermittlertätigkeit des Mose (3,3-5) und selbst für diejenigen, die mit ihrem Glauben, der ihnen von Gott selbst bestätigt wurde (11,39: gr. martyrēthentes), für die Wahrheit Gottes und seiner Verheißungen eingestanden waren (11,4-40); vgl. Anm. 29. 10 Auch der irdische Priesterdienst (vgl. 5,2 und in Bezug auf Jesus bereits 4,15) ist durch seine Fähigkeit des Mitfühlens gekennzeichnet, jedoch wird er durch die in 5,5-10 geleistete Interpretation der Jesus-Christus-Geschichte überboten. 11 Vgl. 5,7; dazu 2,17 f.; 4,15; 12,2 f.; 13,12 f. 12 Vgl. 10,2 (Hätte nicht sonst das Opfern aufgehört, wenn die, die den Gottesdienst ausrichten, ein für allemal rein geworden wären und sich kein Gewissen mehr gemacht hätten über ihre Sünden? ); 10,17 f. (Wo Vergebung geschah, ist kein Opfer mehr nötig). 13 Vgl. dazu E. Grässer, An die Hebräer (Hebr 1-6) (EKK XVII/ 1), Zürich/ Neukirchen-Vluyn 1990, 312. 14 Der im Zitat Ps 44,7 verwendete Begriff euthytēs ist neutestamentliches Hapaxlegomenon; er bezeichnet im Kern ›Geradheit‹ und umfasst die Bedeutung ›Aufrichtigkeit‹; vgl. die Übersetzung in W. Kraus/ M. Karrer (Hgg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009. Vgl. 5,12 f. (die ›göttlichen Worte‹, in denen die Adressaten unterrichtet worden sind, können als logos dikaiosynēs zusammengefasst werden); Frieden und Gerechtigkeit werden in 12,11 als Zielwerte genannt (vgl. 12,14: gr. eirēnēn diōkete meta pantōn). Gott ist ein Gott des Friedens (13,20). Melchisedek, der Prototyp des Hohepriestertums Jesu, ist ›König der Gerechtigkeit‹ und ›König des Friedens‹ (7,2). 15 Die Konsequenz, die in 2,1-4 für die Glaubenden gezogen wird, bezieht sich denn auch auf das ›gehörte‹ Wort, an dem festzuhalten ist und auf das aufmerksam geachtet werden soll. Bereits die Tora als das Wort, das durch die Engel gesagt war, hatte festen Bestand und war hinsichtlich der gerechten Vergeltung absolut verlässlich (V. 2). Um so weniger ist es möglich, dem Wort, das als vom Herrn gesprochenes seinen Anfang nahm und unter uns durch diejenigen befestigt wurde, die es hörten (V. 3), zu entrinnen. 16 Vgl. im Neuen Testament nur noch 1Tim 2,5 ›einer ist Mittler zwischen Gott und den Menschen‹. 17 Vgl. zum Thema ›Bund‹ im Hebräerbrief noch 8,6.8-10; 9,4.15-17.20; 10,16.29; 12,24; 13,20. 18 Das neutestamentliche Hapaxlegomenon eggyos wird in LXX nur 2Makk 10,28 und Sir 29,15 f. verwendet; an der letzten Stelle wird insbesondere das Risiko des Bürgen deutlich (vergiss nicht: Er setzte sein Leben an deiner statt aufs Spiel [gr. edōken]). Es handelt sich wie bei mesitēs (Hebr 8,6, also am Beginn der eigentlichen Behandlung des Bundesthemas) um »legal metaphors«, die-- analog zu Philos Logos (vgl. z. B. rer. div. her. 205f )- - »as intermediaries between God and human beings« zu verstehen sind (H.W. Attridge, The Epistle to the Hebrews: A Commentary on the Epistle to the Hebrews, Philadelphia 2009 [Nachdruck der Ausgabe von 1989], 208). Vgl. die Ausführungen bei S. Fuhrmann, Vergeben und Vergessen. Christologie und Neuer Bund im Hebräerbrief (WMANT 113), Neukirchen-Vluyn 2007, 79-84. 19 H. Hegermann, Der Brief an die Hebräer (ThHK 16), Berlin 1988, 166. 20 Vgl. 13,20 (vgl. dazu Jes 63,11). Das neue Leben des Gekreuzigten bei Gott wird bereits in den ersten Versen des Hebräerbriefes als gemeinsame Glaubensvoraussetzung erwähnt: ›Er hat sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt‹-(1,3; vgl. 8,1 f.). Hier-- weit höher als die Engel (1,4)-- ist sein gegenwärtiger Ort. Alles ist ihm untertan (2,8). Jesus ist nach seinem Tod zum himmlischen Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks gemäß Gottes Kraft unzerstörbaren Lebens geworden (5,9f; 7,16: gr. kata dynamin zōēs akatalytou). Seine Kraft-- schon Abraham vertraute darauf-- bedeutet, sogar von den Toten erwecken zu können (gr. kai ek nekrōn egeirein dynatos ho theos 11,19; vgl. die Verwendung des Stichwortes ›Auferstehung‹ [gr. anastasis] in 11,35 [bis] sowie in 6,2). Vgl. auch 9,24 (der in den Himmel selbst eingegangen ist, um jetzt für uns [gr. hyper hēmōn] vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen; vgl. 7,26: Jesus als Hohepriester ist hypsēloteros tōn ouranōn gegomenos). Er ist als solcher nach der Ordnung Melchisedeks derjenige, der ›in Ewigkeit bleibt‹ und das Priestertum als ›ein unvergängliches‹ innehat (7,24). In diesem überbietenden Vergleich des Lebens Melchisedeks, der ›als Lebender bezeugt wird‹ (7,8) ›ohne Ende‹ (7,3; vgl. VV. 8.16) mit dem irdischen Priestertum gründet Jesu Fähigkeit, ›für immer diejenigen zu retten, die durch ihn zu Gott hintreten, da er ja allezeit lebt, um für sie einzutreten‹ (7,25; Übersetzung nach E. Grässer, An die Hebräer, (EKK XVII/ 2), Zürich/ Neukirchen-Vluyn 1993, 52). Vgl. den Überblick bei S. Alkier, Die Realität der Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 67 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 67 Eckart Reinmuth Der Dritte. Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments (NET 12), Tübingen/ Basel 2009, 79-84. 21 Vgl. auch metalambanein in 6,7 (fruchtbare Erde empfängt Segen von Gott); 12,10 (Teilhabe an seiner Heiligkeit). 22 Zum Zeugnis Gottes, dem das Zeugnis der Schrift entspricht (7,17; 10,15 u. ö.), vgl. 2,4; 7,8; 11,2. 23 Übersetzung nach Hegermann (Anm. 19), 217. 24 Vgl. dazu E. Grässer, An die Hebräer, (EKK XVII/ 3), Zürich/ Neukirchen-Vluyn 1997, 63. 25 Vgl. z. B. Hegermann (Anm. 19), 218. 26 Die gegenwärtige Situation unterscheidet sich in den Augen des Verfassers offensichtlich nicht wesentlich von der erinnerten; vgl. 10,35 ff. 27 In der Kommentarliteratur zum Hebräerbrief überwiegt in der Analyse von 10,32-34 die Frage nach ihrem historischen Bezugspunkt. Gleiches gilt für K.B. McCruden, Solidarity Perfected. Beneficent Christology in the Epistle to the Hebrews (BZNW 159), Berlin 2008, 126-132. 28 Vgl. die Interpretation von Ps 95,7-11 in 3,7-4,13. 29 P. Eisenbaum, Heroes and History in Hebrews 11, in: C. A. Evans/ J.A. Sanders (Hgg.), Early Christian Interpretation of the Scriptures of Israel. Investigations and Proposals (JSNT.S 148), Sheffield 1997, 380-396, hat eindrucksvoll nachgewiesen, dass die Kennzeichnung der Prototypen des Glaubens in 11,4-40 anders als in vergleichbaren Prätexten wie Sir 44-50; 1 Makk 2,51-60; Sap 10 oder CD 2-3 über die in 11,1 f. formulierten Kriterien erfolgt. Erinnerte wie gegenwärtig Glaubende teilen folglich die Erfahrungen der Marginalisierung, der Ausgrenzung und Isolierung; sie haben Teil an ›derselben Geschichte‹ (395; vgl. P. Eisenbaum, The Jewish Heroes of Christian History. Hebrews 11 in Literary Context [SBL.DS 156], Atlanta 1997, 135-188). 30 Der Wechsel von ›Lager‹ (Lev 16,27LXX) zu ›Tor‹ enthält offenbar einen Hinweis auf die Passion Jesu (vgl. ähnlich H.-F. Weiß, Der Brief an die Hebräer (KEK XIII), Göttingen 1991, 734; Attridge (Anm. 18), 399; vgl. Mk 15,20/ / Mt 27,32 f. (exerchomenoi, topos) und Joh 19,20 (ein Ort, nahe bei der Stadt). Im Gleichnis von den bösen Weingärtnern formuliert Mt 21,39/ / Lk 20,15 (diff Mk 12,8! ) ausdrücklich exō tou ampelōnos. Stephanus wurde nach Apg 7,58 entsprechend exō tēs poleōs gesteinigt. 31 Vgl. dazu Weiß (Anm. 30), 730. 32 Weiß (Anm. 30), 732. 33 Attridge (Anm. 18), 88 Anm. 110 weist darauf hin, dass die Überzeugung, die Menschheit entstamme als Ganzes einem gemeinsamen Ursprung, nicht auf die biblische Tradition zu begrenzen sei (Verweis auf Pindar Nem 6,1; Epict Diss 1,9,1-6; Corp Herm 1,32). Entscheidend in der Sicht des Hebräerbriefes ist, dass Sohn und Söhne nur aufgrund des heiligenden Handelns Christi zu Brüdern werden. 34 E. Grässer (Anm. 13), 143 stellt treffend fest: »Die Inkarnation macht Jesus nicht erst zum Bruder der Menschen. Es ist umgekehrt: Weil sie von Ewigkeit her Brüder sind, die Menschen aber in die douleia gerieten, begibt sich auch der Sohn in die irdische Knechtschaft, um die Seinen zur gemeinsamen himmlischen Heimat zurückzuführen.« 35 Zur Formulierung kata panta tois adelphois homoiōthēnai in 2,17 vgl. 4,15 (pepeirasmenon de kata panta kath homoiotēta); vgl. dazu Weiß (Anm. 30), 295. 36 G. W. Grogan, The Old Testament Concept of Solidarity in Hebrews, TynB 49/ 1 (1998), 159-173. Grogan geht von folgender, den betreffenden Eintrag in Websters Third New International Dictionary (1961) aufnehmender Definition aus: »Solidarity may be defined as ›an entire union of interests and responsibilities in a group‹, involving communal ›interests, objectives or standards‹« (159). Auf dieser Grundlage stellt er entsprechende Texte der biblischen Tradition zusammen, um ihre Bedeutung für den Hebräerbrief aufzuzeigen. 37 Vgl. in diesem Zusammenhang die wichtigen Überlegungen von Chr. Strecker, Auf den Tod getauft-- ein Leben im Übergang. Erläuterungen zur lebenstransformierenden Kraft des Todes bei Paulus im Kontext antiker Thanatologien und Thanatopolitiken, in: JBTh 19 (2004), 259-295, 261. 38 Vgl. dazu den Exkurs zur Anthropologie im Hebräerbrief bei Hegermann (Anm. 19), 81-85 sowie eingehend H. Löhr, Umkehr und Sünde im Hebräerbrief (BZNW 73), Berlin 1994, 11-135. 39 Vgl. z. B. das ›sich Gott nahen Können‹ in 7,19.25 (gr. eggizō, proserchomenoi). 40 Am Stichwort ›Gewissen‹ lässt sich der Unterschied zwischen der vorchristlichen Existenz der Glaubenden und ihrem jetzigen Leiden deutlich herausstellen. Die erste Verwendung von syneidēsis (vgl. 9,9.14; 10,2.22; 13,18) in 9,9 hebt darauf ab, dass der früher im Begegnungszelt vollzogene Kult insofern als Gleichnis (gr. parabolēn) für die besondere Gegenwartszeit (gr. ton kairon ton enestēkota) zu verstehen sei, als (nun) deutlich werde, dass seine Gaben und Opfer den, der sie vollzieht, hinsichtlich seines Gewissens nicht vollkommen machen können (gr. mē dynamenai kata syneidēsin teleiōsai ton latreuonta). 9,14 stellt demgegenüber in einem kal-wachomer-Schluss fest, dass das Blut Christi unsere Gewissen von ›toten Werken‹ (gr. apo nekrōn ergōn) reinigen kann, damit wir dem lebendigen Gott dienen. 10,2 stellt in einer rhetorischen Frage fest, dass eine vorausgesetzte Effektivität des Kultes zu seinem Ende hätte führen müssen-- die den Kult Vollziehenden wären ja von ihrem ›Sündengewissen‹ (gr. syneidēsin hamartiōn) ein für alle Mal gereinigt gewesen. 10,22 spricht von den Glaubenden als hrerantismenoi tas kardias apo syneidēseōs ponēras. Die Wendung ›die Herzen gereinigt vom Gewissen des Bösen‹ zielt erneut auf die kognitive Funktion. Das Gewissen ist eine ›mitwisserische‹ Instanz, die die unmittelbaren Wahrnehmungen übersteigt, aber keineswegs als ›christliches‹ Gewissen bezeichnet werden darf (vgl. 10,2). 13,18 gehört bereits zur abschließenden Paulus-Mimesis des Textes: ›Wir sind überzeugt, ein gutes Gewissen zu haben‹-- vgl. Apg 23,1; 24,16; 2Kor 1,12; 1Tim 3,9; vgl. noch 1Petr 3,16.21. 41 Vgl. dazu die Diskussion bei K. Backhaus, Kult und Kreuz. Zur frühchristlichen Dynamik ihrer theologischen Beziehung, in: ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief (WUNT 240), Tübingen 2009, 239-261, 241 mit entsprechenden Lit.-Hinweisen. 42 Der Begriff einer ›Solidarität unter Gleichen‹ setzt Zuschreibungsprozesse voraus, die auf symmetrische Anerkennungsverhältnisse letztlich vergleichbarer positiver Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 68 - 4. Korrektur 68 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Hermeneutik und Vermittlung Eigenschaften hinauslaufen. Oliver Marchart verweist demgegenüber auf das »Potenzial eines postfundamentalistischen Solidaritätsbegriffs, der über die Begriffe von Freiheit und Gleichheit hinausweist.« (O. Marchart, Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben [stw 1956], Frankfurt a. M. 2010, 358). Marchart geht es um Solidarität mit Menschen, die jenseits der eigenen Gruppe oder Gemeinschaft leben, die also nicht ohnehin Teil ihrer Interessenspolitik sind: »Solidarisch kann ich nur mit jemandem sein, dessen Position sich von meiner unterscheidet« (359). Diese Haltung setze die Bereitschaft zur Selbstentfremdung voraus: »Bedingung der Solidarität mit dem Anderen ist die Entsolidarisierung mit dem Eigenen« (359). Eine neue Beziehung zu den Anderen, Fremden, schließt eine neue Beziehung zu mir selbst ein. Marchart stellt fest, »dass wir das minimale Kriterium demokratischer Solidarität nicht so sehr in der Konstruktion einer Fremdbeziehung als in der Dekonstruktion der Selbstbeziehung suchen müssen. Sobald ich anerkenne und einsehe, dass der Mangel, der mich bestimmt, konstitutiv ist, kann ich von Versuchen ablassen, mein vermeintlich Eigenes gegen das vermeintlich Fremde um jeden Preis beschützen oder verteidigen zu wollen.« (360). Das von Marchart favorisierte Solidaritätsmodell-- Marchart bezeichnet den Begriff der Solidarität als zentral für »das ethische Moment der Demokratie innerhalb des politischen Diskurses« (333)-- eignet sich hervorragend für die Analyse der narrativen Christus- Logik im Hebräerbrief. Vor diesem Hintergrund zielt der Impuls dieses antiken Textes auf eine Neubestimmung und -begründung des Begriffs der Solidarität. 43 Vgl. einführend K. Bayertz (Hg.), Solidarität. Begriff und Problem (stw 1364), Frankfurt a. M. 2 2002; H. Brunkhorst, Solidarität. Von der Bürgerfreundschaft zur globalen Rechtsgenossenschaft, Frankfurt a. M. 2002; H. Thome, Art. ›Solidarität‹, in: D. Fuchs/ E. Roller (Hgg.), Lexikon Politik. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2007, 263-266; K. Bayertz/ S. Boshammer, Art. ›Solidarität‹, in: HPPS 2 (2008), 1197-1201. 44 Vgl. grundlegend den Art. ›Brüderlichkeit‹ von W. Schieder in: O. Brunner/ W. Conze/ R. Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1972, 552-581. 45 Bayertz/ Boshammer (Anm. 43), 1197. Neben Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit gelte Solidarität als »ein politischer und sozialer ›Grundwert‹« (ebd.). 46 K. Bayertz, Begriff und Problem der Solidarität, in: ders. (Anm. 43), 11-53, 11. 47 Bayertz (Anm. 43), 43; Kursivierung im Original. Vgl. ähnlich O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 1999, 90: Die Solidarität biete »Hilfe dem einzelnen von seiten der Gemeinschaft und der Gemeinschaft von seiten der einzelnen.« Grundsätzlich symmetrische Beziehungen sind nach Höffe Voraussetzung der Solidarität; es gehe im Kern um »die Hilfe auf Gegenseitigkeit innerhalb einer Schicksalsgemeinschaft«, um »eine moralische Einstellung, die in der Tat zwischen streng geschuldeter Gerechtigkeit und freiwilliger Menschenliebe steht« (92). Im Vergleich zu dieser komme, wer aus Solidarität handle, »den Anforderungen einer Gegenseitigkeit nach, von der man gegebenenfalls selber profitiert; er erbringt eine Leistung für eine Gegenleistung, von der er aber noch nicht weiß, ob sie je fällig sein wird« (92). 48 Vgl. z. B. Thome (Anm. 43), 263. 49 Vgl. dazu Bedorf (Anm. 8). 50 E. Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, Freiburg/ München 1992, 50; zitiert nach Bedorf (Anm. 8), 132. 51 Zum Stichwort ›Sünde‹ vgl. Anm. 38; zum Stichwort ›Gewissen‹ vgl. Anm. 40. 52 Vgl. 7,18 f.; vgl. VV.5. 12. 16.28; 8,4. 53 T. Bedorf, Verkennende Anerkennung. Über Identität und Politik (stw 1930), Berlin 2010. Vorschau auf Heft 30 Sex und Macht Mit Beiträgen von Lukas Bormann, Kristina Dronsch, Rainer Hirsch-Luipold, Anders Klostergaard Petersen, Eckart Reinmuth, Beate Wehn und Reinhold Zwick.