eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 15/29

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2012
1529 Dronsch Strecker Vogel

Hoffnung hören und sehen!

2012
Stefan Alkier
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 14 - 4. Korrektur 14 ZNT 29 (15. Jg. 2012) 1. Dialogizität als Konzept biblischer Theologie Als Julia Kristeva in der zweiten Hälfte der 60er Jahre des 20. Jh.s den Terminus der Intertextualität in die literaturwissenschaftliche Forschung einbrachte, interpretierte sie damit den Begriff der Dialogizität von Michail Bachtin. 1 Der Philosoph Bachtin hatte sich mit der Schreibweise Dostojewskis befasst und meinte in seinen Romanen einen ganz neuen Typus von Literatur zu finden. Kam der Stimme des Erzählers bis dahin stets die Funktion zu, die Vielzahl der Charaktere und Stimmen monologisch zu bündeln, so stünden in den Romanen Dostojewskis die Stimmen der Charaktere und die des Erzählers gleichberechtigt nebeneinander, ohne dass es eine Lösung gebe in diesem Dialog der Weltanschauungen. Diesen Dialog, der nicht auf Übereinstimmung, Vereinnahmung oder Ausgrenzung ziele, indem es dennoch um die Erschließung der Wirklichkeit gehe, bezeichnet Bachtin mit dem Kunstwort Dialogizität. 2 Gemeint ist das Aufeinanderprallen verschiedener Standpunkte, die trotz oder sogar wegen ihrer Differenzen im Gespräch bleiben. Es ist ein Desiderat der Forschung zu untersuchen, wie in den biblischen Schriften mit verschiedenen Stimmen umgegangen wird. Auf den ersten Blick wird man wohl davon ausgehen können, dass sie eher monologisch angelegt sind, also nicht verschiedene Positionen nebeneinander darstellen, sondern die eine Botschaft verkünden wollen. Wenn Paulus etwa im Galaterbrief die Position des Petrus in Antiochien darstellt, dann um die eigene Position als die widerspruchslose und deshalb wahre Position zu profilieren. Wenn die Gegner Jesu in den Streitgesprächen zu Gehör kommen, dann um ihre Positionen als die Unterlegene gegenüber Jesus Christus zu kennzeichnen. Vielleicht kommen diesbezügliche Untersuchungen einmal zu anderen Ergebnissen, 3 aber vorerst ist davon auszugehen, dass die Vielfalt der Stimmen in den biblischen Schriften der Profilierung der Position des Autors dient und ihnen kein eigenes Recht zukommt. Anders verhält es sich aber, wenn wir nicht die einzelnen Schriften auf die Frage der Dialogizität hin untersuchen, sondern sie als Stimmen im Kanon betrachten. Biblische Theologie wird nämlich durch das Konzept der Dialogizität davon befreit, die Differenz der Schriften auf Kosten einer »Mitte« oder »Einheit« der Schrift abzuschwächen oder gar zu leugnen. Wenn die einzelnen neutestamentlichen Schriften als Positionen im Dialog der Auslegung dessen verstanden werden, was denn nun angesichts des Faktums des Kreuzestodes Jesu Christi und der Überzeugung seiner Auferweckung durch den Gott Israels zu denken und zu tun ist, dann ist das sie verbindende Element nicht in einer Einheitstheologie zu suchen, sondern in dem Ereignis, dass ihnen vorausliegt und sie gleichermaßen motiviert wie es ihnen entzogen bleibt. Die Schriften, die der neutestamentliche Kanon zusammenbindet, sind Interpretanten des sie veranlassenden dynamischen Objekts der Jesus-Christus-Geschichte (E. Reinmuth). So gesehen begrenzen sich diese Schriften in ihren Geltungsansprüchen gegenseitig dadurch, dass sie durch ihre Einfügung in den neuen Zusammenhang des Kanons als eine neben anderen Stimmen verortet werden, die allesamt als Richtschnur des Glaubens wertgeschätzt werden. Fortan gilt, dass eben nicht nur Matthäus, sondern auch Markus, Lukas und Johannes, nicht nur Paulus, sondern eben auch Jakobus und Petrus, nicht nur der Hebr, sondern auch die Johannesapokalypse als Stimmen gehört werden sollen, die dem Glauben seine Richtung weisen. Das Konzept des christlichen Kanons schreibt christlicher Theologie einen inhärenten Pluralismus vor, der längst noch nicht von der theologischen Reflexion eingeholt worden ist. Dabei ist von Fall zu Fall und nicht schon vor jeder Untersuchung zu analysieren, ob hier lediglich verschiedene Formulierungen oder unvereinbare Theologien vorliegen. Luthers Einschätzung der Differenz des Jakobusbriefes zur Theologie des Paulus führte dazu, dass Luther dem Jakobusbrief die Wertschätzung als Stimme der Richtschnur christlichen Glaubens absprach. Auch den Judasbrief, den 2. Petrusbrief und die Johannesapokalypse fasste er nicht als bereichernde Diversität, sondern als die Einheit des Glaubens gefährdende Differenz auf. Stefan Alkier Hoffnung hören und sehen! Beobachtungen zur Dialogizität des Hebräerbriefes und der Johannesapokalypse Zum Thema »Das Konzept des christlichen Kanons schreibt christlicher Theologie einen inhärenten Pluralismus vor, der längst noch nicht von der theologischen Reflexion eingeholt worden ist.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 15 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 15 Stefan Alkier Hoffnung hören und sehen! Diese Urteile konnte er fällen, weil er die Stimme des Paulus zur Norm aller anderen Stimmen machte. Was geschieht aber, wenn wir lernen, nicht nur mit Diversität, sondern auch mit unaufhebbarer Differenz produktiv umzugehen? Kann nicht gerade die andere, differente Stimme die Reichweite der eigenen Aussage angemessen begrenzen, weil sie sie überhaupt erst als eine Interpretation unter anderen Interpretationen zu erkennen gibt? Kann auf diese Weise biblische Theologie nicht nur die Komplexität des Kanons besser erfassen, sondern sogar zu einem Modellfall eines aufgeklärten und qualifizierten Pluralismus werden, jenseits eines ermüdenden »anything goes«, in dem es um nichts mehr geht. Gerade der normative Anspruch des Kanons verwehrt einen alle Unterschiede gleichmachenden Pluralismus, denn er hält auch unter den Bedingungen globaler Wirklichkeiten die Wahrheitsfrage wach. Ich möchte im Folgenden versuchen, den Hebr und die Johannesapokalypse als Stimmen im Dialog des Kanons zu lesen. Dabei frage ich nach Gemeinsamkeiten, Ergänzungen und Widersprüchen. Doch hören möchte ich beide zusammen als dialogische Richtschnur des Glaubens. 2. Die Stimme des Schriftgelehrten: Positionen des Hebräerbriefes 2.1 Die Eröffnung des Diskursuniversums Der Anfang eines Textes führt in die Welt ein, die er setzt und voraussetzt. Innerhalb dieses Diskursuniversums ist eine Zusammenhang stiftende Lektüre möglich, die plausibel Sinn erzeugen kann. Mit den ersten vier Versen des Hebr zeigen sich bereits die grundlegenden Annahmen des Diskursuniversums des Hebr. Die Grundvoraussetzung des ganzen Schreibens ist der kommunizierende Gott. Sein Sprechen bildet den Zusammenhang der Welt über die Zeiten hinweg. Gott spricht auf verschiedene Weise. Er »hat zu den Vätern durch die Propheten« geredet (1,1). Da diese vielfältigen Reden Gottes durch die Propheten in den Heiligen Schriften Israels aufgezeichnet wurden, bleiben diese Worte Gottes präsent. So wird man die Schriftzitate des Hebr als präsente Worte Gottes lesen müssen, wenn man gemäß den Lektüreanweisungen des Hebr lesen will. Gott spricht aber nicht nur durch die Propheten, sondern auch »durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Weltzeiten gemacht hat« (1,2). Die Machtstellung des Sohnes als Erbe und als Medium der Schöpfung verdankt sich der souveränen Entscheidung Gottes, ihn als solchen einzusetzen. Nun gilt er als »Abglanz der Herrlichkeit« Gottes und »Abdruck seines Daseins« (1,3). 4 Kraft dieser göttlichen Ausstattung »trägt er alles durch das Wort seiner Macht«. Der Verweis auf die Schöpfung und auf das Erbe verbindet Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart miteinander und erzeugt damit den Zusammenhang der Weltzeiten im Diskursuniversum des Hebr. Die Rede Gottes durch den Sohn richtet sich an »uns«. Da der Hebr keinen Briefeingang aufweist, der die Empfänger des Schreibens benennen und damit die Reichweite des »uns« beschränken würde, bleibt es für alle Leser und Leserinnen bzw. Hörer und Hörerinnen des Hebr offen. »Uns« wird damit zur Einladung an die Rezipienten, sich in die Welt des Hebr hineinzubegeben und sich daraus neu zu verstehen. Gott hat durch seinen Sohn »am Ende dieser Tage« zu »uns« gesprochen. Die Jetztzeit ist begrenzt. Ihr Ende hat bereits begonnen. Etwas Neues, qualitativ anderes als die Gegenwart bricht an, denn das Problem im Diskursuniversum wird in Vers 3 zugleich benannt, wie als gelöst beschrieben. Sünden sind aufgetreten, doch der Sohn hat bereits Reinigung geschaffen und sich daraufhin »zur Rechten der Majestät in (den) Höhen« gesetzt. Dadurch wurde er stärker als die »Engel, wie sich der Prof. Dr. Stefan Alkier ist seit 2001 Professor für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt/ Main. 2009 erschien im Francke-Verlag als NET 12 seine Monographie: Die Realität der Auferweckung in, mit und nach den Schriften des Neuen Testaments. 2010 erschien wieder im Francke Verlag als UTB Basics sein Lehrbuch: Neues Testament. Er ist seit Heft 1 der ZNT einer ihrer drei geschäftsführenden Herausgeber. Seit 2008 gibt er zudem den neutestamentlichen Teil des bibelwissenschaftlichen Internetlexikons www.wibilex.de heraus. Stefan Alkier Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 16 - 4. Korrektur 16 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Zum Thema Name, den er im Rechtsrang eines Erbes übernommen hat, von ihnen abhebt.« (1,4). Die Eröffnung des Diskursuniversums des Hebr installiert ein kommunikatives Beziehungsgeflecht zwischen Gott, Sohn, Israel und den Adressaten des Sohnes (uns) sowie ein Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Briefsender und Briefempfänger. Raum und Zeit werden als Gottes Schöpfung durch den Sohn vorgestellt. In diesem Schöpfungszusammenhang hat sich aber auch eine Störung ergeben: die Sünden, die als Verfehlungen der Geschöpfe gedacht werden müssen. Doch diese gelten als bereits durch die schöpferische Macht des Sohnes bereinigt. Das überraschende Ergebnis dieser knappen Analyse der Eröffnung des Diskursuniversums des Hebr lautet: Eigentlich gibt es kein Problem mehr. 2.2 Der Hohepriester und die himmlische Stiftshütte Da das Schreiben mit Vers 4 aber nicht endet, scheint es doch noch ein Problem zu geben, das die weiteren Ausführungen veranlasst, denn es folgt nun nicht einfach ein Lobpreis Gottes und seines Sohnes, sondern die schriftgelehrte Begründung und der Ausbau der bereits in den ersten Versen installierten Grundannahmen. Dabei bewegen sich die Vorstellungen des himmlischen Hohepriesters und der himmlischen Stiftshütte ganz auf der semantischen Achse des Problems der Sünden. Die Sühnung der Sünden veranlasst in 2,17 das erste Auftauchen des Titels »Hohepriester«: »Darum musste er in allem den Geschwistern gleich werden, damit er ein barmherziger und treuer Hohepriester vor Gott dazu werde, die Sünden des Volkes zu sühnen.« Die Christologie des Hebr ist Funktion der Soteriologie. Bearbeitet wird damit zunächst das alte Problem der Untreue des Volkes Israel. Obwohl Gott seine Weisungen, die Tora, zu einem guten Leben in der Gemeinschaft der Geschöpfe gegeben hat, verfehlten sie immer wieder diesen guten Weg schöpfungsgemäßen Lebens (vgl. 3,7-19). Der Durcheinanderbringer (Diabolos/ Teufel) hatte die Macht über den Tod (vgl. 2,14). Die Furcht vor dem Tod machte sie zudem zu unfreien Knechten (vgl. 2,15). Diese zusammenwirkenden Kräfte der Sünde und der Todesfurcht verhinderten ein angemessenes Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf. Um diese Sündenmacht zu brechen und damit die Geschöpfe Gottes aus der Knechtschaft der diabolischen Todesfurcht zu befreien, machte sich der Sohn Gottes ihnen gleich, um mit demselben Leib aus Fleisch und Blut sich ihren Lebensbedingungen auszusetzen (vgl. 2,14-17), denn nur so konnte er sie retten: »Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht wurden.« (2,18). Weil er aber allen Versuchungen des Abfalls von Gott auch in seiner fleischlichen Existenz standhielt bis in den Tod (vgl. 5,7 f.), konnte dieser freiwillige Tod des sündlosen Menschen, als Sühne aller Sünden gelten. Diese Geltung konnte der Tod Jesu nicht von sich aus entfalten, sondern allein »durch Gottes Gnade« (vgl. 2,9). Dieselbe Gnade Gottes erhörte den im Garten Gethsemane flehenden Jesus und schenkte ihm nach seinem Tod neues, ewiges Leben (vgl. 5,7) und die Aufnahme in den Himmel, wo er nun »zur rechten Gottes« sitzt (8,1; 10,12). Dieses ewige himmlische Leben des Auferweckten und Erhöhten mit Gott bildet die Voraussetzung dafür, dass er für allezeit Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks sein kann. Da der Titel des Hohepriesters an den Tempel von Jerusalem geknüpft ist, deren Opfer ebenfalls der Sühne dienen, muss der Hebr einigen Argumentationsaufwand betreiben, der an die Logik der Jerusalemer Sühneopfer anknüpft und sie zugleich qualitativ verändert, da es sich nicht um eine reine Verdopplung des Opferkultes handeln soll. Zu diesem Zweck knüpft er an Melchisedek, dem »Priester des Höchsten« (vgl. Gen 14,18) an, um das Hohepriestertum des Auferweckten und Erhöhten aus einem anderen Ursprung abzuleiten als dem aaronitischen. Zudem bedarf es der Konstruktion eines himmlischen Heiligtums, denn der Tempel in Jerusalem hat bereits Hohepriester. Der entscheidende qualitative Sprung besteht in der Überzeugung, dass das Sühnopfer Jesu Christi »ein für alle Mal« (10,26) geschehen ist und keiner permanenten Wiederholung bedarf. Dies wurde möglich, weil Jesus Christus zwar durch seine fleischliche Existenz wie alle anderen Geschöpfe von der Macht der Sünde und der Todesfurcht bedroht war (vgl.5,7), dieser aber standgehalten hat bis hin in den Tod und Gott ihn aus diesem Tod herausgeholt hat (13,20). Nur so konnte Gott ihn als Hohepriester nach der Art Melchisedeks, d. h. »nach der Kraft unzerstörbaren Lebens« (7,16b) einsetzen. Die Auferweckungstheologie ist eine Basisannahme des Hebr. 5 Das himmlische Heiligtum wird mit Bezug auf Ex 25,40 als »die wahre Stiftshütte« begriffen. »Christus aber ist gekommen als ein Hohepriester der zukünftigen Güter durch die größere und vollkommenere Stiftshütte, die nicht mit Händen gemacht ist« (9,11). Von da aus wird eine Reihe von Argumentationen bemüht, um den Jerusalemer Tempelkult abzuwerten und ihn schließlich sogar für überflüssig zu erklären (vgl. 9,1-10, insbes. 10) und mit ihm sogar den alten Bund insgesamt als »veraltet« (8,13) abzutun. Die Opfer des Jerusalemer Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 17 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 17 Stefan Alkier Hoffnung hören und sehen! Tempels waren bestenfalls »Erinnerung an die Sünden« (10,3). Gesühnt wurden sie erst durch den Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks (vgl. 9,11 f.). Nun aber sind alle weiteren Opfer unnötig und unwirksam: »Wo aber Vergebung der Sünden ist, da geschieht kein Opfer mehr für die Sünde.« (10,18). 2.3 Müdigkeit, Verfehlungen und das kommende Gericht Das Problem, das der Hebr bearbeitet, kann also nicht im Himmel verortet werden. Es gehört auch nicht der Vergangenheit an. Es findet sich ausschließlich im irdischen Bereich der Gegenwart. Die Sühne ist erfolgt und zwar ein für alle mal. Diese Sühne ist nicht wiederholbar. Was nun aber bedrohlich ist, ist die Müdigkeit derjenigen, die das Wort Jesu schon als Wort Gottes gehört haben, denn »wie wollen wir entrinnen, wenn wir ein so großes Heil nicht achten? « (2,3a). Das durch die Herrschaft Jesu bewirkte Heil ist jetzt noch nicht uneingeschränkt wahrnehmbar: »Jetzt aber sehen wir noch nicht, dass ihm alles untertan ist.« (1,8c). Die Gemeinde ist von außen bedroht. Es sind Gefangene zu beklagen und der »Raub eurer Güter« (10,34; 13,3). Diese Bedrückungen werden als Pädagogik Gottes interpretiert (12,4-11), um sie angesichts des drohenden Gerichts zu ertüchtigen: »Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie, und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.« (12,12 f.). Diese Ertüchtigung ist notwendig wegen des drohenden Gerichts für diejenigen, die vom Bekenntnis abfallen: »Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir hinfort kein andres Opfer mehr für die Sünden, sondern nichts als ein schreckliches Warten auf das Gericht und das gierige Feuer, das die Widersacher verzehren wird.« (10,26 f., vgl. auch 10,28 ff.). Die Massivität dieser Warnung entspricht der den neuerlichen Sünden zugeschriebenen Bedeutung als abermalige Kreuzigung des Sohnes Gottes (vgl. 6,6). Angesichts dessen warnt der schriftgelehrte Lehrer: »Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.« (10,31) 2.4 Die bessere Hoffnung, das himmlische Jerusalem, die Stimme der Zeugen und die Stimme des Lehrers Angesichts der Schrecken des drohenden Gerichts dient die Lehre dem »Festhalten an dem Bekenntnis« (4,14c). Die »bessere Hoffnung« (7,19) auf das verheißene ewige Leben im »himmlischen Jerusalem«, der »Stadt des lebendigen Gottes« (12,22), erfüllt sich nur für diejenigen, »die Zuversicht von Anfang bis zum Ende« festhalten (3,14). Dafür wird nun nicht nur ein Schriftbeweis eingebracht, sondern es wird eine ganze »Wolke der Zeugen« aufgerufen, ein immenser Geschichtenpool, der als unschlagbarer Beweis für den Lohn des treu bleibenden Glaubens dient, dessen Definition dem Aufruf der Zeugen vorangestellt wird: »Glaube aber ist Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.« (11,1). Diese formale Definition wird durch den Aufruf der Geschichten der Glaubenszeugen inhaltlich ausgestaltet. Am Anfang steht der Schöpfungsglaube: »Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, so dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist.« (11,3). Die Wolke der Zeugen bezeugt mit ihren Glaubensge-schichten Gottes Macht, der nicht einmal der Tod eine Grenze setzen kann (11,19.35). Es ist die Stimme des schriftgelehrten Lehrers, der nicht nur das Zeugnis der Wolke der Zeugen abruft, sondern die im ganzen Hebr eindringlich zu hören ist. Seine gesamten Argumentationen, Metaphern, Bilder, Definitionen entwickelt er aus der Sinn generierenden intertextuellen Verknüpfung der Heiligen Schriften Israels. Auf der Basis des Hörens der durch die Propheten gesprochenen Worte Gottes erschließt er die Bedeutung des an »uns« ergangenen Wortes Gottes, Jesu Christi: »Darum sollen wir desto mehr achten auf das Wort, das wir hören, damit wir nicht am Ziel vorbeitreiben.« (2,1). Er fordert dazu auf, nicht müde zu werden, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen und sich selbst in die Wolke der Zeugen einzureihen: »Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und dem Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten »Seine gesamten Argumentationen, Metaphern, Bilder, Definitionen entwickelt er aus der Sinn generierenden intertextuellen Verknüpfung der Heiligen Schriften Israels.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 18 - 4. Korrektur 18 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Zum Thema des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.« (12,1-3). 3. Die Stimme des Sehers: Positionen des Johannesapokalypse 3.1 Die Eröffnung des Diskursuniversums als Leseanweisung für eine unbegrenzte Leserschaft 6 Bevor sich die Johannesapokalypse in 1,4 als Brief an die sieben Gemeinden in der römischen Provinz Asien zu erkennen gibt, installieren die drei ersten Verse einen über diese briefliche Kommunikationssituation hinausweisenden Lektürevertrag. Der bzw. die die Apokalypse Vorlesende und ihre Hörer und Hörerinnen werden für den Fall seliggepriesen, dass sie das Gehörte auch bewahren und sich in ihrer Lebenspraxis danach ausrichten. Die vorgelesenen Worte werden als »Worte der Prophetie« markiert (vgl. 1,3). Was sie beinhalten, wird in Vers 1 als »Offenbarung Jesu Christi« bezeichnet. Diese hat Jesus Christus selbst von Gott empfangen, damit er denen, die ihm dienen, zeigen kann, was bald geschehen wird und auch geschehen muss. Diese Offenbarung wurde dem Johannes durch einen Engel mitgeteilt. Vers 2 markiert Johannes als den, der das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi genauso bezeugt hat, wie er es gesehen hat. Bezeugt wird damit aber nichts anderes als die Lebendigkeit und Wirkmächtigkeit des gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Jesus Christus, dessen Geschichte die Johannesapokalypse als bekannt voraussetzt. Die Lesenden und Hörenden, die das von Johannes Aufgeschriebene als das lesen, was es in den beiden ersten Versen zu sein beansprucht, bestätigen damit zugleich die Zeugenschaft des Johannes und reihen sich selbst in die Reihe der Zeugen ein.Der Lektürevertrag gestaltet sich als wechselseitige Anerkennung der Lesenden und des Verfassers der Schrift, in den jede/ r Lesende bzw. Hörende zu allen Zeiten und allen Orten einstimmen kann und damit wiederum die Johannesapokalypse als letztlich von Gott ausgehende prophetische Schrift ausweist. Dieser für alle Lesenden offene Lektürevertrag entgrenzt die ab 1,4 einsetzende briefliche Kommunikation zwischen Johannes und den angeschriebenen Gemeinden und öffnet sie so für eine unbestimmte, offene Leserschaft. Damit sind der Lektüre der Johannesapokalypse einige Vorgaben aufgegeben: - Die Johannesapokalypse soll als prophetische Schrift gelesen werden, die zwar von einem Menschen namens Johannes zu einem bestimmten Zeitpunkt der irdischen Geschichte aufgeschrieben wurde, die aber dem Inhalt nach auf Gott zurückgeht und damit die höchste Autorität beansprucht. - Die Johannesapokalypse richtet sich als Brief zwar zunächst zu einem bestimmten Zeitpunkt der irdischen Geschichte an die Gemeinden in Kleinasien, ist aber als Buch prophetischer Worte, die letztlich auf Gott zurückgehen, mittels der drei ersten Verse an eine entgrenzte Leserschaft gerichtet. - Die Johannesapokalypse gibt nicht nur Anteil am Wissen des Johannes über die nahe Zukunft (1,3c), sondern prophetische Worte, die auf das Verhalten der Rezipienten abzielen. - Mit der Semantik des Bezeugens, die verbal auf Johannes und substantivisch auf Jesus Christus bezogen wird, und der Aufforderung zum Bewahren der prophetischen Worte ist das angestrebte Verhalten bereits umrissen. Es geht darum, auch unter Inkaufnahme leidvoller Konflikte Zeuge des auferweckten und machtvoll erhöhten gekreuzigten Jesus Christus zu bleiben und damit Gott die Ehre zu geben. 3.2 Grundannahmen des Diskursuniversum als Leseanweisung für die expliziten Leser 1,4 eröffnet einen Brief, dessen Abschluss erst vom letzten Vers der Apk gebildet wird. Die Verse 1,4-8 stellen dabei theologische, christologische, soteriologische und kosmologische Grundannahmen vor, von denen die weitere Argumentation, die Visionen und ihre Deutungen in der Apk getragen werden. Gott wird als der Pantokrator (1,8), der Allmächtige, ausgewiesen, der ewige, der über den Zeiten steht. Jesus Christus ist sein »treuer Zeuge, der Erstgeborene von den Toten und Herr über die Könige auf Erden.« (1,5). Die uneingeschränkte Treue seiner Zeugenschaft hat er durch seinen Kreuzestod erwiesen (vgl. 1,7b). Gott aber hat ihn von den Toten auferweckt und ihn mit seiner göttlichen Macht ausgestattet, so dass er schon jetzt herrscht. Seine Herrschaft ist aber noch nicht allen sichtbar. Vielmehr wird sie erst vollends offenbar, wenn der auferweckte Gekreuzigte »mit den Wolken« kommt (1,7). Er liebt »uns« und hat »uns erlöst […] von unseren Sünden mit seinem Blut und uns zu Königen und Priestern, gemacht […] vor Gott, seinem Vater« (1,5). Er hat die Seinen also nicht nur gerettet, vielmehr gibt er ihnen Anteil an seiner Königsherrschaft und am himmlischen Gottesdienst. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 19 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 19 Stefan Alkier Hoffnung hören und sehen! 3.3 Gestalten des auferweckten Gekreuzigten In den Versen 1,9-20 verschriftlicht Johannes seine Beauftragung. Er weilt auf der Insel Patmos, »um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus«. (1,9). Dort wird er vom Geist ergriffen und hört eine Stimme, die nicht menschlicher Art ist, sondern »wie von einer Posaune«. (1,10). Dennoch versteht er sie. Sie weist ihn an, alles aufzuschreiben und an sieben Gemeinden Kleinasiens zu schicken. Erst jetzt dreht sich Johannes um und sieht »sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.« (1,12-16). Er sagt zu dem entsetzten Johannes: »Fürchte Dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.« (1,17). Die Identität dieser furchterregenden Gestalt wird über die Selbstaussage »ich war tot und siehe, in bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit« ermöglicht. Tod, Auferweckung und Erhöhung in die Ewigkeit Gottes werden zur Signatur Jesu Christi, des auferweckten Gekreuzigten. Diese Gestalt ist aber nicht die einzige, in der der Auferweckte in der Johannesapokalypse erscheint. In den Kapiteln 4-20, die die Visionen der zukünftigen Ereignisse schildern, erscheint er zumeist als arnion, das aussieht, »wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes« (5,6b). Das Diminutiv Arnion kann mit »Lämmlein« oder »Widderlein« übersetzt werden. In jedem Fall aber handelt es sich mit seinen sieben Augen und seinen sieben Hörnern nicht lediglich um ein gewöhnliches Lamm oder einen gewöhnlichen Widder. Zudem sieht es aus »wie geschlachtet«. In 22,6-16 scheint Jesus auch noch in der Gestalt eines Engels dargestellt zu sein. Es dürfte bereits deutlich geworden sein, dass die Bilder der Johannesapokalypse mit ihren diversen Beschreibungen und der wiederholten Anzeige des Ungefähren (wie geschlachtet) nicht beanspruchen, quasiempirische Sachverhalte des Zukünftigen abzubilden, sondern stammelnd und suchend Möglichkeiten der Versprachlichung des Unaussprechlichen zu kreieren. Die Aufgabe des eigenständigen Schreibens wird dem Seher nicht abgenommen. Mit seiner Schreibweise gibt er zu verstehen, dass menschliche Sprache keine adäquaten Mittel hat, um die göttliche Wirklichkeit auszudrücken. Gerade die verschiedenen Gestalten des auferweckten Gekreuzigten bewahren davor, die Bilder verdinglichend mißzuverstehen. Martin Karrer hat das für die Apk insgesamt trefflich formuliert: »Eine Stärke der Offb ist die durch ihre Konzeption mögliche Sprachskepsis. Denn das aktuelle Sehen (idou, ›siehe‹, wird zum Leitwort; 26x ab 1,7), überschreitet alle im Wort möglichen Artikulationen. Die himmlischen Namen klingen- - hält Offb 2,17 fest- - anders als die Namen, die wir jetzt kennen. Nicht einmal ein semitisierender Sprachklang (wie die Offb ihn ohne Scheu vor Verstößen gegen die griechische Grammatik wählt) kann diese Distanz ganz aufheben. Das macht die Offb zu einer der Wurzeln christlichen Nachdenkens über die Grenzen sprachlicher Gotteserfassung.« 7 3.4 Die Leiden der Zeugen Obwohl der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte seine Zeugen als Könige und Priester an seiner kosmischen Herrschaft bereits teilhaben lässt, erfahren sie noch Bedrückung (thlipsis, vgl. 1,9) vielfacher Art. In der Forschung der vergangenen 10 Jahre ist leider ein Trend auszumachen, diese Bedrückungserfahrungen allein als politische Gewalt des Imperium Romanum zu denken. Diese Engführung wird dem Text aber nicht gerecht. Es geht um Bedrückungen verschiedenster Art. Welche Bedrückung Johannes auf Patmos erlebt hat, wird im Text nicht konkretisiert. Diese Unterbestimmtheit erlaubt es aber allen Lesern und Leserinnen der Apk ihre je eigenen Bedrückungserfahrungen in das Hören des Textes einzubringen. Etwas konkreter hingegen werden die sieben Sendschreiben in Kap 2 und 3. Hier wird deutlich, dass es sich gerade auch um innerchristliche Konflikte handelt. Lügenapostel in Ephesus (1,2), die falsche Lehre Bileams in Pergamon 1,14; Isebel, die falsche Prophetin, in Thyatira. Aber auch Mängel in der eigenen Gemeinde wie das Absterben der aktiven Gemeinde in Sardes (3,1) und die Unentschlossenheit in Laodizea (1,14) werden kritisiert. Lediglich in Pergamon könnte es Konflikte »Mit seiner Schreibweise gibt er zu verstehen, dass menschliche Sprache keine adäquaten Mittel hat, um die göttliche Wirklichkeit zu auszudrücken.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 20 - 4. Korrektur 20 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Zum Thema mit der Obrigkeit gegeben haben, denn »Antipas, mein treuer Zeuge« wurde »bei euch getötet« (2,13). Auf Konflikte mit der jüdischen Gemeinde in Smyrna scheint die drastische Bezeichnung »Synagoge des Satans« (2,9) zu verweisen. Man sollte sich vor nicht vom Text gegebenen Konkretisierungen hüten. Dennoch zeigt der Gesamtverlauf des Textes, dass die Zeugenschaft mit vielerlei Konflikten nach außen wie nach innen verknüpft war und diese zur Gefährdung ganzer Gemeinden führen konnte. Aus diesem Grund sind die Siegessprüche am Schluss der Sendschreiben mit Warnungen verknüpft und beide, also Verheißungen wie Warnungen werden proleptisch auf die Zukunftsvisionen hin zugeschnitten. So heißt es in 2,11 als Schluss des Briefes nach Smyrna: »Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tod.« Dieser zweite Tod wird als Werfen in den Feuerschlund in Kap 20,14b dargestellt: »Das ist der zweite Tod: der feurige Pfuhl.« 3.5 Die Verschränkung der Zeiten Gerade die zahlreichen Pro- und Analepsen zeigen an, dass die Gegenwart und die Zukunft interagieren. So heißt es in 13,9: »Hat jemand Ohren, der höre: Wenn jemand ins Gefängnis soll, dann wird er ins Gefängnis kommen, wenn jemand mit dem Schwert getötet werden soll, dann wird er mit dem Schwert getötet werden. Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen.« Und unmittelbar nach der Vertreibung Satans aus dem Himmel wird resümmiert: »Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der Verkläger unserer Brüder ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott. Und sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben nicht geliebt, bis zum Tod.« (12,10 f.). Das unbeirrte Leben in der Zeugenschaft Christi ist selbst Teil des Kampfes gegen Satan. Jesus, der Zeuge Gottes mit seinem Kreuzestod und die Zeugen des Zeugen mit ihren Leiden bis hin zum Tod, den Antipas in 2,13 als treuer Zeuge auf sich nahm, kämpfen und siegen gemeinsam. Die Jetztzeit der angeschriebenen Gemeinden wird am ehesten die in Kap 12 und 13 beschriebene Zeit sein, in der der Satan nicht mehr im Himmel, aber immer noch auf der Erde sein Unwesen treibt. 3.6 Die Macht Gottes und die Frage nach seiner Gerechtigkeit 8 Die Visionen der Apk sind von der Zuversicht getragen, dass Tod und Auferweckung Jesu Christi nicht einen eschatologischen Spezialfall bilden, sondern das Modell und der Grund des Geschicks derjenigen darstellen, die trotz erfahrenen Unheils ihr Leben als Zeuge Jesu Christi ausrichten, selbst wenn das für sie den gewaltvollen Tod mit sich bringt. In dieser Situation, sei es unter Nero, Domitian, Nerva, Trajan oder Hadrian, verlagern die Gewaltvisionen den Rachewunsch auf den richtenden Gott und seinen Christus. Die Johannesapokalypse legitimiert daher durchaus, Aggressionen und Rachewünsche zu fühlen (vgl. das 5. Siegel in 6,9 ff.), aber sie plädiert dafür, sich nicht von diesen destruktiven Gefühlen leiten zu lassen, sondern an den Geboten Gottes und am Glauben an seinen auferweckten Zeugen Jesus Christus auch dann festzuhalten, wenn es Nachteile für die eigene Person einbringt. Die Rache aber soll Gott und seinem mächtigen Lamm überlassen werden. Nicht sie selbst werden eigenmächtig, sondern Gott wird unter Mitwirkung Jesu Christi sein Recht einfordern und alle, die sich gegen Gott und seine Geschöpfe entscheiden, ja ihnen sogar unermessliches Leid zufügen, werden zur Rechenschaft gezogen werden. Die eigene Treue aber wird mit der ersten Auferstehung belohnt, die bereits endgültig in das ewige Leben mit Gott und Christus hineinführt. Die widergöttliche und widergeschöpfliche Macht und Gewalt wird als so groß erfahren, dass sie nicht auf einen Schlag vernichtet wird, sondern sie zunächst für tausend Jahre gefangen gesetzt und erst dann endgültig entmachtet wird (vgl. Kap 20). Die Johannesapokalypse zeigt, dass die Auferweckung der Toten, ganz an die Überzeugung der Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi gebunden, unabtrennbar mit der Hoffnung auf das Ende des Unrechts verwoben ist. Auf unbequeme Weise bringt die Johannesapokalypse zum Ausdruck, dass mit der Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten und der Auferweckung der Toten immer die Machtfrage und zugleich die Frage nach Gottes Gerechtigkeit gestellt ist. Welche Macht wirkt und bestimmt letztendlich das Geschick dieser Welt und der auf ihr und von ihr Lebenden? Die Antwort der Johannesapokalypse ist schockierend eindeutig. Es ist die Macht des allmächtigen »Auf unbequeme Weise bringt die Johannesapokalypse zum Ausdruck, dass mit der Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten und der Auferweckung der Toten immer die Machtfrage und zugleich die Frage nach Gottes Gerechtigkeit gestellt ist.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 21 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 21 Stefan Alkier Hoffnung hören und sehen! Schöpfergottes, von dem auch die Heiligen Schriften Israels gültig erzählen. Die Johannesapokalypse schreckt nicht davor zurück, in der Konsequenz der theologischen Rede vom Schöpfergott als Allherrscher letztendlich auch die destruktive Gewalt im Kosmos und damit eben auch auf Erden zumindest als von Gott für eine gewisse Zeit als geduldet zu verstehen. Wohl gemerkt: geduldet, nicht gewollt. Gott lässt seinen Geschöpfen die Wahl und in dieser gewährten Freiheit liegt der Grund der Möglichkeit und Wirklichkeit allen Unrechts und jeder Verfehlung des von Gott gewollten Lebens in der Solidarität der göttlichen Geschöpfe. Gott selbst ist daher in die Sünde verstrickt. Sein eschatologisches Gericht ist notwendig, um seinem Recht letztgültige und ewige Geltung zu verschaffen. Deshalb ist die eschatologische Auferweckung der Toten kein selbstloser Gnadenakt eines unbeteiligten Herrschers, sondern der Erweis der Theodizee, der Gerechtigkeit Gottes. 3.7 Der Tempel im Himmel und das himmlische Jerusalem Eindrucksvoll schildern Kap 4 und 5 den himmlischen Gottesdienst. Der auf seinem Thron von zahllosen himmlischen Wesen gepriesene Gott ist das Zentrum der Macht über alles. Diese Macht als Allherrscher kommt ihm zu, weil er alles erschaffen hat. Die vier Gestalten mit den sechs Flügeln sprechen unentwegt: »Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt.« (4,8c). Und die 24 um seinen Thron versammelten Ältesten sprechen: »Herr, unser Gott, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft; denn Du hast alle Dinge geschaffen, und durch deinen Willen waren sie und wurden sie geschaffen.« (4,11). In diese göttliche Verehrung wird der auferweckte Gekreuzigte mit hineingenommen, denn nur er wird würdig befunden, das versiegelte Buch zu öffnen und damit das letzte Gericht Gottes zu eröffnen, in dem er seine Gerechtigkeit machtvoll durchsetzt und damit erweist. Kap 5 erzählt daher die Inthronisation des auferweckten Gekreuzigten. Eine unermessliche Zahl himmlischer Wesen spricht »mit großer Stimme: Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.« (5,11). »Dem der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm, sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit.« (5,13b). Nach der Beschreibung der himmlischen Machtzentrale in Kap 4 und der Einsetzung des Lammes als göttlicher Streiter kündigen die Siegel und die Posaunen das Gericht an, das dann in den Kapiteln 14-20 vollzogen wird. Nach der endgültigen Vernichtung des Todes und des Teufels beginnt endlich das ersehnte ewige Leben. Dieses wird als Leben im himmlischen Jerusalem vorgestellt. Seine Bewohner werden aber nicht in den Himmel transportiert. Vielmehr kommt das himmlische Jerusalem auf die neu gemachte Erde (vgl. 21,1f ). Gott und Jesus Christus wohnen selbst in dieser Stadt, die deswegen keinen Tempel mehr braucht (vgl. 21,22). Diese Stadt ist von unermesslichem Reichtum geprägt (vgl. 21,18-21). Sie hat unendlichen Platz für alle Völker, sogar für den Glanz ihrer Könige (vgl. 21,24). Die erstaunlich fruchtbaren Bäume »dienen zur Heilung der Völker« (22,2). Die Tränen wurden von Gott abgewischt, das Leiden aber bleibt durch die abgewischten Tränen präsent. Die Stadt ist auch kein herrschaftsfreier Raum. Die Heilsvorstellung der Apk ist nicht anarchisch. Vielmehr findet nun statt, was in 1,6 bereits von den Zeugen Christi behauptet wurde: »sie werden Könige sein von Ewigkeit zu Ewigkeit.« (22,4). 4. Hebräerbrief und Apokalypse im Dialog In einem Aufsatz ist es nicht möglich alle Positionen eines Textes wiederzugeben. Die voranstehenden Skizzen des Hebr und der Apk beanspruchen keine Vollständigkeit. Spezialisten der Hebräerbrief- und der Apokalypseforschung werden sie mit Recht als arg eklektisch erscheinen. Ohne die Positionen, wie sie sich dem Ausleger darstellen, zumindest in der gebotenen Kürze kenntlich zu machen, können sie aber auch nicht in einen Dialog gebracht werden. Ähnliches ist für die Skizze eines Dialoges dieser beiden Schriften zu sagen. Im Folgenden können nur wenige Punkte markiert werden. Eine genaue intertextuelle Untersuchung würde zahlreiche inhaltliche, teilweise sogar wörtliche Übereinstimmungen zwischen diesen beiden eigenständigen theologischen Kompositionen aufweisen können. Ich meine aber, dass bereits an den knappen und sicher unzureichenden Positionsbeschreibungen ersichtlich werden kann, wie ertragreich ein Zusammenlesen mindestens zweier kanonischer Schriften für eine biblische Theologie werden kann, wenn man nicht auf Ausgleich und Harmonie der biblischen Schriften setzt, sondern auf den Reichtum und die Vielfalt des Kanons als Ganzen. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 22 - 4. Korrektur 22 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Zum Thema 4.1 Verstärkungen durch Übereinstimmung In Vielem stimmen die beiden Texte überein und verstärken sich damit gegenseitig. Beide Schriften entfalten ihre Theologien unter intertextueller Bezugnahme auf die Heiligen Schriften Israels. Ihre Theologie wie auch die Soteriologie und Eschatologie werden nur durch diese intertextuellen Bezüge verständlich. Ebenso bedeutend, aber weniger offensichtlich und noch zu wenig erforscht sind ihre Bezüge zu Schriften, die wie sie Eingang in den neutestamentlichen Kanon gefunden haben. Dass beide Schriften Kontakt zu paulinischen Briefen oder zumindest zu Rezipienten paulinischer Theologie wie auch zu Evangelien oder zumindest zu Traditionen, die in den Evangelien verarbeitet wurden, hatten, kann nicht bestritten werden. So individuell beide theologischen Konzepte auch sind, so sind sie sicher im Kontakt mit anderen frühchristlichen Theologien entstanden. Für beide ist der aus den Heiligen Schriften Israels bekannte Schöpfergott Ursprung und Ziel der Schöpfung. Ihm steht keine ebenbürtige Gegenmacht entgegen. Es handelt sich also in keiner Weise um anarchische Konzeptionen. Macht und Herrschaft gehören zur Wirklichkeit. Die gute Nachricht der beiden Schriften lautet, dass Gottes Macht und Herrschaft seinen Geschöpfen ewiges Leben anbietet. Er lebt in Beziehungen und teilt seinen Willen auf vielfältige Weise mit.Trotzdem verfehlen seine Geschöpfe ein gemeinsames Leben im Frieden untereinander und damit im Frieden mit Gott. Diese Verfehlungen (hamartia, Sünde) können aber nicht von Gott unbeachtet bleiben, weil er doppelt betroffen ist, denn er ist barmherzig und gerecht. Es ist sein Recht, das gebrochen wird und die Opfer der Rechtsbrechung sind seine geliebten Geschöpfe. Deswegen ist das Gericht notwendig, weil Gott sein Recht endgültig durchsetzen muss und sich so als gerechter und barmherziger Gott erweist, dem die Opfer nicht egal sein können. Die Sühne der Sünden wurde durch das Kreuz Jesu Christi bewirkt. Dabei ist die Kontinuität zwischen Jesus vor seiner Kreuzigung und dem auferweckten und erhöhten Gekreuzigten von großer Bedeutung. Nach dem Hebr begann das Heilsereignis »mit der Predigt des Herrn« (2,3) und für die Apk ist maßgebend, dass er sein Leben gänzlich als treuer Zeuge Gottes gelebt hat (vgl. 1,1-8). Die Christologie ist daher in beiden Positionen maßgeblich von der Soteriologie her zu denken. Der Kreuzestod Jesu gilt beiden als Erwerb besonderer Würdigkeit. Nicht aber der Kreuzestod für sich gilt als Heilsereignis, vielmehr wird er es durch die Gnade Gottes, die diesen Tod als Sühne für alle Sünden anerkennt und gleichursprünglich den Hingerichteten nicht nur erweckt, sondern ihm zum Herrscher und Richter einsetzt. Durch den Zusammenhang von Kreuzigung und Auferweckung Jesu Christi wurde die Macht der Sünde, die sich zwischen Gott und seine Geschöpfe gestellt hat, vernichtet. Der Himmel ist bereits satansfreier Raum. Das ist aber noch nicht vollends sichtbar auf Erden. Der Weg der Zeugenschaft führt auch in Bedrückung und Leiden. Beide Konzepte interpretieren das Leiden der Zeugen mit demselben Bezug auf Sprüche 3,11 als Pädagogik Gottes: »Verachte nicht, mein Sohn, die Unterweisung durch den Herrn und sei nicht unwillig, wenn er dich ermahnt. Denn wen der Herr liebt, den weist er zurecht, und er ist ihm zugetan wie ein Vater dem Sohn.« (vgl. Hebr 12,6 und Apk 3,19) Beide Konzepte stellen sich das ewige Leben im Reich Gottes nicht als Rückkehr ins Paradies vor, sondern als Leben in der Stadt und zwar im himmlischen Jerusalem. Diese Stadt wird nicht von Menschen gebaut. Sie wird vielmehr von Gott bereitgestellt. Sie wartet darauf, endlich bewohnt zu werden, doch ist das Ende der Zeit noch nicht erreicht. 4.2 Wechselseitige Ergänzungen Wechselseitige Ergänzungen können die eine durch die andere Position kommentieren oder konkretisieren, wenn die Ergänzungen zur ergänzten Position passen. So bleibt die Vorstellung des himmlischen Jerusalem in Hebr 12,22 unkonkret. Die bildreiche Ausmalung in Apk 21,1-22,6 kann die Position des Hebr bereichern, wenn sie nicht als quasiempirische Abbildung, sondern als eine Vision verstanden wird, die die Hoffnung der Glaubenden ermutigen und erfreuen soll. In Apk 1,5 ist zu lesen, dass Jesus Christus »uns erlöst hat von unseren Sünden mit seinem Blut.« Dass damit der Kreuzestod gemeint ist, kann aus 1,7 und aus dem Bild des arnion, das aussieht wie geschlachtet, erschlossen werden. Der Hebr arbeitet mit derselben Vorstellung, führt diese aber wesentlich breiter aus. Der »Beide Schriften entfalten ihre Theologien unter intertextueller Bezugnahme auf die Heiligen Schriften Israels. Ihre Theologie wie auch die Soteriologie und Eschatologie werden nur durch diese intertextuellen Bezüge verständlich.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 23 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 23 Stefan Alkier Hoffnung hören und sehen! Diskurs des Hebr über die Bedeutung des Blutes kann daher Apk 1,5 kommentieren. Wie in der Apk so ist auch im Hebr die Auffassung zu finden, dass der Diabolos (Durcheinanderbringer, Teufel) machtvoll wirksam ist. Hebr gibt aber kaum Hilfen, das Wirken des Diabolos mit der erfolgten Sühne durch das Blut Jesu zu verstehen. Die ausgeprägte Dämonologie der Apk kann diesen Aspekt des Hebr dahin kommentieren, dass das Wirken des Diabolos von Gott noch für kurze Zeit auf Erden gewährt wird (vgl. etwa Apk 12 und 13). Diese theologische Erklärung der Wirkmächtigkeit bewahrt die diesbezügliche Aussage des Hebr, dualistisch mißverstanden zu werden. Diese kommentierende Ergänzung kann vorgenommen werden, weil eine dualistische Dämonologie der Theologie des Hebr entgegenstehen würde. Die Apk begreift expliziter noch als der Hebr das Leben in der Nachfolge Christi als Zeugenschaft. Jesus selbst war schon vor seiner Kreuzigung Zeuge Gottes und wurde durch seine Konsequenz in dieser Zeugenschaft am Kreuz zum Zeugen schlechthin. Der Hebr kann diese Martyrologie der Apk verstärken durch seine Wolke der Zeugen in Kap 11. Die hier anzitierten Geschichten können das Modell der Zeugenschaft konkretisieren, indem narrativ entfaltet werden kann, wie zahlreich und wie verschieden Lebenswege der Zeugenschaft aussehen können. 4.3 Differenzen Zwar handelt es sich beim Hebr wie auch bei der Apk um schriftliche Medien, aber ihre Denkweise ist nicht gleichermaßen am Medium der Schrift orientiert. Bei der Theologie des Hebr handelt es sich dezidiert um Schrifttheologie. Wie schon die Eingangsverse zeigen. Das Medium der Schrift bestimmt den Hebr so sehr, dass er Jesus Christus, den Sohn Gottes, analog dazu als schriftähnliches Medium auffasst. Der Schriftkörper wie der Leib Christi werden als Wort Gottes interpretiert. In der Gegenüberstellung zur Apk charakterisiert Karrer den Hebr trefflich: »Der Hebr ordnet umgekehrt das Sehen dem Hören unter, so sehr auch ihm am Sehen liegt (idou nur 4x …). Zugleich fehlt die Sprachskepsis der Offb […]. Gottes Wort bedarf nicht einmal semitisierenden Klanges. Griechisch ist die Sprache des Textes und griechisch die Sprache aller Schriftzitate in ihm. Der Hebr erfordert ein bemerkenswertes Zutrauen zur Sprache, genauerhin zur griechischen Sprache.« 9 Die Apk hingegen nutzt die Sprache als unzureichendes Medium, um Bilder zu kommunizieren. Das Gesehene kann niemals adäquat sprachlich zum Ausdruck kommen. Mit dieser sprachkritischen Hermeneutik des Bildes zwingt die Apokalypse jede sprachliche Äußerung zur theologischen Demut. Die Wirklichkeit Gottes ist größer als die menschliche Sprachkraft. Keine Formulierung menschlicher Sprache kann deshalb als solche als Wort Gottes gelten, denn im Akt der Formulierung unter den Bedingungen menschlicher Sprache ist immer schon ein Übersetzen des Unübersetzbaren eingeschrieben. Die sprachlich verfasste Formulierung des Gesehenen ist nicht das Gesehene selbst. Diese Differenz bleibt konstitutiv für die Theologie der Apokalypse. In der Beurteilung der Medien sind die beiden Positionen des Hebr und der Apk nicht vermittelbar. Sie nötigen aber als Richtschnur des Glaubens, diese Differenz nicht zu verschleiern, sondern das damit angezeigte Sachproblem theologisch wie semiotisch zu reflektieren. Auch die christologische Gestaltgebung kann nicht vermittelt werden. Das Bild des arnion, das aussieht wie geschlachtet, könnte man über die opfertheologische Semantik noch mit dem sich selbst opfernden Hohepriester verknüpfen, wenn man die sieben Hörner des arnion vernachlässigte. Die furchterregende Gestalt des kosmischen Christus in Apk 1,9-20 passt aber in keiner Weise zu der geschwisterlichen Gestalt des mitfühlenden Hohepriesters des Hebr. Man kann diese Gestaltgebung auch nicht einfach additiv nebeneinander stellen, denn zu unterschiedlich sind die daraus erwachsenden christologischen Vorstellungen. Der Hohepriester des Hebr ist kein kosmischer Krieger. Diese unvermittelbaren christologischen Konkretionen nötigen zur theologischen Reflexion. Dabei ist zu diskutieren, ob aus theologischen Gründen christologische Gestaltgebungen grundsätzlich zu kritisieren sind oder nur manche.Als drittes Beispiel soll die nicht vermittelbare Stellungnahme zu den Sünden derjenigen aufgezeigt werden, die bereits zur Gemeinde gehören. In drastischer Weise vertritt der Hebr die Auffassung, dass solche Sünden nicht mehr gesühnt werden können. Wer einmal zum Glauben berufen wurde, muss konsequent den Glaubensweg gehen. Sünden der bereits Glaubenden führen zum Heilsausschluss (vgl. Hebr 10,26). Die Apk hingegen ermutigt in den Sendschreiben zum Neuan- »Die bildreiche Ausmalung in Apk 21,1-22,6 kann die Position des Hebr bereichern, wenn sie nicht als quasiempirische Abbildung, sondern als eine Vision verstanden wird, die die Hoffnung der Glaubenden ermutigen und erfreuen soll.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 24 - 4. Korrektur 24 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Zum Thema fang, nachdem sie das Fehlverhalten in der jeweiligen Gemeinde benannt hat. Selbst einer Gemeinde wie die in Sardes, die als »tot« bezeichnet wird (Apk 3,1), wird nicht verworfen, sondern zur Umkehr aufgerufen. Diese unterschiedlichen Positionen zu sündhaftem Verhalten in der Gemeinde bzw. zu solchem ganzer Gemeinden bedürfen unbedingt einer soteriologischen und ekklesiologischen Diskussion. Man kann nicht beide Positionen gleichermaßen vertreten. 5. Ausblick Die notwendig skizzenhaften Ausführungen zur Dialogizität des Hebr und der Apk möchten auf ein unbestelltes Arbeitsfeld aufmerksam machen, das mir gleichermaßen exegetisch wie theologisch fruchtbar erscheint. Zu sehr hat sich die Exegese in der Logik historisch-kritischer Exegese mit der Rekonstruktion der Entstehungsverhältnisse der Einzelschriften befasst und dabei den Zusammenhang der Schriften als dogmatisch abwegige Einzwängung der individuellen Schriften in das dogmatische Konstrukt des Kanons bewertet. Die historisch-kritische Erforschung der biblischen Schriften leistet seit mehr als 200 Jahren viel, wenn nicht sogar alles, um die Entstehung der Schriften in ihren historischen Ursprungskontexten zu rekonstruieren. Zweifellos wurden dadurch interessante Interpretationsmöglichkeiten erschlossen und abwegige dogmatische Konstrukte der Textverwendung zurückgewiesen. Freilich lässt sie sich in der Ausschließlichkeit der Hinwendung zur ursprünglichen Produktionssituation von einer nicht weniger dogmatischen Grundüberzeugung leiten, nämlich der, dass der Sinn eines Textes einer ist und dieser sich im Ursprung der Textwerdung als Intention des Autors rekonstruieren lasse. Die Texte interessieren also als Individuen, nicht aber als Bestandteile des Kanons. Dieser sei selbst ja ein dogmatisches Konstrukt. Die Kanonbeschimpfung gehörte für viele historisch-kritische Exegeten zum Ausweis ihrer Wissenschaftlichkeit. Die große Distanz zwischen universitärer und kirchlicher Theologie wurde nicht zuletzt dadurch hervorgerufen, dass die wissenschaftliche Theologie sich kaum um die Realität des Schriftgebrauchs im Gottesdienst und im sonstigen Gemeindealltag zu kümmern meinte. In dieser Realität geht es aber nicht allein um die individuellen Positionen der Schriften in ihren jeweiligen Ursprungssituationen, sondern um ihren intertextuellen Zusammenklang des Kanons und um Sinneffekte der Schriften, die sie überhaupt erst im Kontext des Kanons entfalten können. Weder literaturwissenschaftliche bzw. semiotische noch tragfähige exegetische bzw. theologische Konzepte zum Umgang mit Diversität und Differenz der Schriften in ihrer kanonischen Gestalt wurden mit Blick auf die Realität der Glaubenspraxis bisher überhaupt als Arbeitsziel erkannt. Die schale und semiotisch kaum reflektierte Formel von der »Einheit in der Vielfalt« wird diesem schrifttheologischen Grundlagenproblem nicht gerecht. Sie führte vielmehr zu der in der kirchlichen Praxis favorisierten Haltung einer Harmonisierung oder gar Ignorierung der Differenzen. Mit dem Konzept der Dialogizität aber könnte Differenz als theologische Chance eines exegetisch wie theologisch besseren Verständnisses des Kanons in den Blick geraten. Anmerkungen 1 Vgl. S. Alkier, Intertextualität-- Annäherungen an ein texttheoretisches Paradigma, in: D. Sänger (Hg.), Heiligkeit und Herrschaft. Intertextuelle Studien zu Heiligkeitsvorstellungen und zu Psalm 110 (BThS), Neukirchen Vluyn 2003, 1-23; S.Alkier/ R.B.Hays (Hgg.), Die Bibel im Dialog der Schriften. Konzepte intertextueller Bibellektüre (NET 10), Tübingen und Basel 2005; M. Schneider, Gottes Gegenwart in der Schrift. Intertextuelle Lektüren zur Geschichte Gottes in 1 Kor (NET 17), Tübingen und Basel 2011. 2 Vgl. M. Bachtin, Probleme der Poetik Dostojevskijs, übers. v. A. Schramm (Ullstein Materialien), München 1985. Vgl. dazu W. Eilenberger, Das Werden des Menschen im Wort. Eine Studie zur Kulturphilosophie M. Bachtins (Legierungen 5), o. O. 2009. 3 So etwa das noch in den Anfängen steckende Forschungsprojekt meines Assistenten Michael Schneider, Dialogizität im Matthäusevangelium. 4 Die Zitate des Hebr folgen weitgehend M. Karrer, Der Brief an die Hebräer, 2 Bde (ÖTK 20/ 1 und 20/ 2), Gütersloh 2002 und 2008, sowie der Einheitsübersetzung und der revidierten Lutherbibel von 1984. 5 Zur Begründung dieser These vgl. S. Alkier, Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments (NET 12), Tübingen und Basel 2009, 77-84. 6 Dieser Abschnitt ist weitgehend meinem Buch entnommen, Die Realität der Auferweckung, a. a. O., 172. 7 M. Karrer, Der Brief an die Hebräer, Kapitel 1,1-5,10 (ÖTKNT 20/ 1), Gütersloh 2002, 60. Siehe auch T. Holtz, Sprache als Metapher, in: F. W. Horn (Hg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung. FS Otto Böcher, Neukirchen-Vluyn 2005, 10-19. 8 Dieser Abschnitt stammt aus meinem Buch, Die Realität der Auferweckung, a. a. O., 187 f. 9 M. Karrer, Der Brief an die Hebräer Kapitel 1,1-5,10, a. a. O., 60.