eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 15/29

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2012
1529 Dronsch Strecker Vogel

Editorial

2012
Stefan Alkier
Eckart Reinmuth
Manuel Vogel
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 1 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 1 Editorial Der Hebräerbrief ist ein harter Knoten. Martin Luther, von dem diese Bezeichnung stammt, meinte damit zwar lediglich den Umstand, dass der Hebräerbrief eine zweite Buße untersagt. Dennoch lässt sich Luthers Wertung auf diese Schrift als Ganze beziehen. So wies er in seiner Vorrede von 1522 darauf hin, dass die Interpretation der Esaugeschichte im Hebräerbrief »wider alle Evangelia und die Episteln S. Pauli ist«-- eine Formulierung, die übrigens in späteren Ausgaben abgemildert wurde. Für Streit hat der Hebräerbrief schon immer gesorgt. Auch gegenwärtig gehört er zu den umstrittensten Schriften des Neuen Testaments. Es gibt Bibelausgaben, in denen der Hebräerbrief fehlt; andere dagegen rücken ihn zusammen und gleichrangig mit dem Römer- und dem ersten Petrusbrief in die Mitte des ersten Jahrhunderts (Die Bibel-- erschlossen und kommentiert von Hubertus Halbfas, Düsseldorf 2001; Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord, Frankfurt a. M./ Leipzig 1999). So nimmt es nicht Wunder, wenn der Eindruck einer ›Sonderstellung‹ des Hebräerbriefes, wie er vor gut 50 Jahren im entsprechenden Artikel der RGG festgestellt wurde, weiterhin vorherrscht. Zugleich aber ist gerade in jüngster Zeit zu beobachten, dass die Forschung am Hebräerbrief boomt. Der erste Beitrag unseres Themenheftes referiert konzentriert und kundig die neuesten Fragestellungen zum Hebräerbrief, die in der englischsprachigen Forschung entwickelt wurden. David M. Moffitt lehrt seit 2011 an der Campbell Divinity School in Buies Creek, North Carolina. Er stellt einleitungswissenschaftliche Themen wie Verfasserschaft, Adressaten, Genre und historische Fragen als auch wichtige theologische und hermeneutische Probleme in den Vordergrund. Im Zentrum des Heftes stehen drei Aufsätze, die sich dem Hebräerbrief auf ganz unterschiedliche Weisen annähern. Stefan Alkier verweist auf die gewachsene Vielstimmigkeit des neutestamentlichen Kanons. Unterscheiden wir zwischen der vielgestaltigen Diversität seiner Schriften und der teilweise unvereinbaren Differenz ihrer Positionen, so stellt sich die Aufgabe, solche Differenzen nicht exegetisch zu neutralisieren, sondern konstruktiv aufzugreifen. Stefan Alkier verdeutlicht das mit seinen Beobachtungen zur Dialogizität des Hebräerbriefes und der Johannesapokalypse. Karl-Heinrich Ostmeyer fragt in seinem Beitrag nach dem Verhältnis von Zeit und Ewigkeit im Hebräerbrief und leitet von dieser Relation ein Gesamtkonzept ab, das verständlich machen kann, worauf dieser antike Text abzielt. Dabei sind insbesondere auch seine Beobachtungen zu Typologie und Typos-Terminologie im Hebräerbrief zu beachten, zu denen er wichtige Vorarbeiten beigesteuert hat. Wilfried Eiseles Beitrag zeigt, wie die Eschatologie des Hebräerbriefes vor dem Hintergrund zeitgenössischer mittelplatonischer Vorstellungen, exemplifiziert an Philo von Alexandria und Plutarch von Chaironeia, ihr spezifisches Profil und überraschende Plausibilität gewinnt. Auf dieser Grundlage wird nicht nur die Umformung des Parusiegedankens im Hebräerbrief, sondern auch die den Text prägende Unterschiedenheit zweier Wirklichkeitsbereiche verständlich. Einen der aktuellen Streitpunkte zum Hebräerbrief nimmt unsere Kontroverse auf: Wie ist diese Schrift im Kontext des antiken Judentums zu verorten? Eckart Reinmuth versucht in der Rubrik Hermeneutik und Vermittlung, eine sozialphilosophische Perspektive auf den Hebräerbrief zu entwickeln, indem er Jesus in die Rolle eines ›Dritten‹ eingezeichnet sieht. Das führt zu einer Ethik der Solidarität, die in erster Linie gesellschaftlich Ausgegrenzten gilt und im Diskurs um die Begründung menschlicher Gesellschaft einzubringen ist. Der Buchreport beschließt das Heft mit der Rezension eines profilierten neueren deutschsprachigen Kommentars zum Hebräerbrief. Ein harter Knoten ist nicht leicht zu lösen. Die Beiträge dieses Heftes zeigen das, und sie fördern weitere Knoten zutage. Manche werden härter, manche gelöst, manche durchschlagen. Wir haben dieses Themenheft vorbereitet, um aktuelle Fragestellungen referieren und diskutieren zu können, aber auch, um die Frage aufzuwerfen: Was macht den Hebräerbrief lesenswert? Wir hoffen, mit den Beiträgen dieses Heftes vielfache Anregung zu geben, nach der Lesbarkeit dieses spannenden Textes zu fragen und selber auf die Suche nach neuen Aufschlüssen zu gehen. Stefan Alkier Eckart Reinmuth Manuel Vogel