eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 14/27

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2011
1427 Dronsch Strecker Vogel

Gemeindeleib und Mahlritual

2011
Matthias Klinghardt
Klaus Berger zum 25. November 2010 Im Zusammenhang seiner Ausführungen über das christliche Mahl in 1Kor 10f. verwendet Paulus das Stichwort »Leib« (gr. to sōma) drei Mal, jeweils an entscheidenden Stellen seiner Argumentation (10,16f.; 11,23.29). Was sōma hier bedeutet - und: ob es an allen drei Stellen dieselbe Bedeutung hat -, ist alles andere als eindeutig und in der Forschung umstritten. Die Hauptfrage heißt: Ist to sōma als Bezeichnung der sozialen Dimension der Gemeinschaft ekklesiologisch konnotiert? Oder bezeichnet to sōma den Körper Jesu und ist in erster Linie christologisch zu verstehen? Kompliziert wird diese Hauptfragestellung dadurch, dass an allen Stellen zwischen der sozialen und der christologischen Dimension von sōma eine Beziehung besteht. Strittig ist also, wie genau diese Beziehung zu bestimmen ist. Eckart Reinmuth hat diese Beziehung als Geschichte des gefolterten Körpers Jesu beschrieben, für die der »gebrochene Körper«, das »vergossene Blut« und der »Tod Jesu« jeweils narrative Abbreviaturen seien, und daraus gefolgert: Diese Geschichte, die letztlich die Geschichte Gottes mit den Menschen sei, benenne im Unterschied zu allen anderen Begründungsroutinen den unableitbaren Ursprung der Gemeinde und ihrer sozialen Identität. Im Unterschied zu seinen Überlegungen gehe ich davon aus, dass das, was sōma heißt, sich nicht in erster Linie von einer Geschichte her bestimmt, also von einer Größe, die erzählt oder gewusst wird, sondern von dem Mahl, das rituell erfahren wird. Das Ritual des Gemeinschaftsmahls liegt dieser spezifischen Erzählung voraus: Paulus hat das Mahl ebenso wenig »erfunden« wie die Korinther, und auch die Mähler Jesu, einschließlich seines letzten, haben diese rituelle Form von Gemeinschaft bereits vorgefunden. In diesem Sinn ist die Erzählung vom Tod Jesu, die Paulus mit den narrativen Abbreviaturen hier evoziert, gegenüber der habituellen Erfahrung in der Tat sekundär. Die Unterschiede - für die Argumentation in 1Kor 10f. ebenso wie für das Verständnis von sōma - sind auf den ersten Blick gering, aber folgenreich. Sie hängen in jedem Fall von dem Verständnis des Gemeinschaftsmahls und seines rituellen Charakters ab. 1. Das Mahlritual und seine Probleme Am Anfang steht daher eine Analyse der korinthischen Mahlprobleme und des paulinischen Lösungsvorschlags, denn damit hängt das Profil der theologischen Argumentation unmittelbar zusammen: Es sind gerade diese spezifischen Probleme, die sōma als zentralen Begriff für die Lösung empfehlen. In 1Kor 11 tadelt Paulus die Spaltungen, die sich während des Mahls ergeben, weil sich die Gemeindeglieder zwar zu einem gemeinsamen Mahl treffen, dazu aber jeweils ihre eigenen Speisen mitbringen und diese dann selbst verzehren. Obwohl alle zum Essen in einem Raum zusammenkommen (epi to auto, V. 20), entsteht keine Gemeinschaft, die nach Paulus’ Einschätzung diesen Namen verdient: Da alle ihre eigenen Speisen verzehren, werden die sozialen Unterschiede sichtbar. Anstelle eines wirklich gemeinsamen Mahls nehmen die Korinther ihr eigenes, individuelles Abendessen ein. Auch wenn dies in einem gemeinsamen Rahmen geschieht, bleibt es am Ende doch das jeweils eigene Abendessen (to idion deipnon V. 21). Weil die einen mehr (und vermutlich: bessere) Speisen mitbringen als andere, werden die sozialen Unterschiede zwischen Arm und Reich sichtbar: Die Habenichtse (hoi mē echontes V. 22) bleiben hungrig, die anderen sind gut gesättigt und »betrunken« (V. 21). Das Sichtbarwerden der sozialen Differenzen beim Mahl versteht Paulus als eine »Beschämung« der Armen und als Aufhebung der Gemeinschaft. Soweit die Rekonstruktion der Ausgangssituation. An diesem Verständnis sind einige Aspekte wichtig: (a) Das Phänomen der »Beschämung« setzt voraus, dass gleichzeitig und in einem Raum gegessen wurde, auch wenn dabei verschiedene Speisen zum Verzehr kamen. 1 Das heißt: prolambanein besitzt hier (wie auch sonst häufig) 2 keine temporale Bedeutung und heißt nicht »(eine Speise/ ein Mahl) vorwegnehmen«, sondern schlicht: »(Speisen) einnehmen/ zu sich nehmen«. Die früher verschiedentlich geäußerte Vermutung, dass es in Korinth zu einem »Voressen« der Reichen gekommen sei oder dass die Habenichtse erst später oder getrennt von den Reichen gegessen hätten, 3 ist unhalt- Kontroverse Matthias Klinghardt Gemeindeleib und Mahlritual So¯ ma in den paulinischen Mahltexten ZNT 27 (14. Jg. 2011) 51 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 51 Kontroverse 52 ZNT 27 (14. Jg. 2011) bar: Sie widerspricht dem Text und ist auch sozialgeschichtlich völlig unwahrscheinlich. Die Annahme eines »ungeregelten« (also: ungleichzeitigen) Mahlbeginns ist gerade nicht durch irgendwelche Zeugnisse belegbar. 4 - (b) Wenn prolambanein V. 21 keinen temporalen Sinn trägt und Paulus nicht ein separates Essen kritisiert, gibt es auch keinen Grund, seine Lösung des Problems (11,33) temporal zu deuten. Paulus schlägt nicht den Reichen vor, auf die Armen zu »warten«, sondern empfiehlt, dass alle sich gegenseitig »annehmen« (gr. ekdechesthai): Alle sollen die zum gemeinsamen Mahl mitgebrachten Speisen der Einzelnen wie bei einer »potluck party« untereinander aufteilen und sich gegenseitig bewirten. - (c) Der Hinweis auf die »eigenen Häuser« (V. 22.34) besagt daher auch nicht, dass Paulus das Sättigungsmahl vom sakramentalen Mahl abgetrennt und in die Privathäuser verlegt wissen will, sondern nur, dass der Aspekt des Sattessens bei dem Herrenmahl nicht im Vordergrund stehen darf, weil anders man sich »zum Gericht isst oder trinkt« (V. 34). Der Ablauf des von Paulus kritisierten Mahls in Korinth (V. 20) ist daher derselbe, den er selbst auch für seine Lösung im Auge hat (V. 34) und den er für das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern (V. 23-25) voraussetzt: Es handelt sich um ein Sättigungsmahl mit der auch sonst ausnahmslos bezeugten Abfolge (Eingangsgebet -) Mahl - Libationshandlung - Symposion. Jede Vermutung einer anderen Abfolge würde eine Sonderlösung substituieren, der die überwältigende Menge der Zeugnisse entgegensteht und die deshalb völlig unwahrscheinlich ist. Tatsächlich wurde dieser Ablauf der christlichen Mahlfeiern erst im 3. Jh. verändert. - (d) Legt man diesen Ablauf zugrunde, dann leuchtet ein, dass es nicht nur nach dem Mahl eine Libationshandlung gab, die von einem Gebet (über dem Libationsbecher) begleitet war, sondern dass auch am Anfang ein Mahleröffnungsgebet über dem Brot stand: Weil das Brot als Essbesteck diente, begann das Mahl mit seiner Verteilung. 2. Die Mahlteilnehmer als Ein Leib Von dieser Rekonstruktion des Ausgangsproblems (11,17-22) und der empfohlenen Lösung (11,33f.) ist die Begründung (11,23-32) zu unterscheiden, mit der Paulus die Korinther davon überzeugen will, dass die »Beschämung« der Habenichtse theologisch gefährlich ist, weil sie dem Sinn des Herrenmahls entgegensteht. Die Begründung setzt ein mit der Herrenmahlsparadosis (11,23-25), die mit dem Anamnesisbefehl darauf aufmerksam macht, dass das christliche Mahl in der Folge des letzten Mahls Jesu Verkündigung seines Todes ist (11,26). Beides reicht allerdings als Begründung nicht aus: Wäre dies der Fall, hätte Paulus sich das Folgende (11,27-32) ja einfach schenken können. 5 Dies konnte er nicht, weil der Zusammenhang zwischen dem Tod Jesu und dem richtigen Verhalten der Korinther beim Mahl nicht so ohne weiteres erkennbar ist. Das aber heißt: Weder der »stiftungsgemäße« Vollzug des korinthischen Mahls in Analogie zum letzten Mahl Jesu noch das Bewusstsein, mit dem Mahl »den Tod des Herrn zu verkündigen« gewährleisten für sich genommen den von Paulus intendierten »gemeinsinnigen« Charakter des Mahls. Beide Elemente sind notwendige, aber nicht hinreichende Elemente des Arguments. Diese entscheidende Verbindung leistet erst der Hinweis, dass »der Leib zu unterscheiden« sei (11,29: diakrinein to sōma). Aber was heißt »Den Leib unterscheiden«? Da das Ausgangsproblem nicht in einer Geringschätzung des sakramentalen Charakters des Mahles besteht (sondern darin, dass alle ihre eigenen Speisen verzehren), und da Paulus umgekehrt auch nicht Ehrfurcht vor den Sakramenten einfordert (sondern die gegenseitige Bewirtung), kann sich diese »Unterscheidung des Leibes« nicht auf den Respekt vor der sakramentalen Qualität der Mahlelemente als »Leib Christi« o.ä. beziehen - auch nicht darauf, dass die Korinther die »pure Körperlichkeit des Gefolterten« und »ihre Präsenz im Mahl« verkennen und deshalb Defizite ihres Gemeinsinns in Kauf nehmen. Der Foltertod Jesu gibt nicht eo ipso zu erkennen, inwiefern er die von Paulus eingeforderte Gemeinschaft der Korinther zu begründen in der Lage ist: Er ist nicht an sich gemeinsinnig. Am nächsten liegt daher, den zu unterscheidenden Leib auf die Gemeinschaft der Esser zu beziehen: Sie sollen sich selbst als »ein Leib« verstehen. Der »Leib« ist nicht, was die Gemeinde isst (eine besondere, sakramentale Speise), sondern was sie ist: eine korporative Einheit. Dass sōma in 11,29 diese korporative Qualität der sozialen Einheit aussagt, wird auch an der ganz analo- »Weder der ›stiftungsgemäße‹ Vollzug des korinthischen Mahls in Analogie zum letzten Mahl Jesu noch das Bewusstsein, mit dem Mahl ›den Tod des Herrn zu verkündigen‹ gewährleisten für sich genommen den von Paulus intendierten ›gemeinsinnigen‹ Charakter des Mahls.« 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 52 Matthias Klinghardt Gemeindeleib und Mahlritual ZNT 27 (14. Jg. 2011) 53 gen Verwendung des Wortes in 1Kor 10 deutlich. Hier argumentiert Paulus gegen die Teilnahme von Christen an paganen Kultmählern. Nachdem er sichergestellt hat, dass Anteilhabe an derselben Speise und an demselben Trank Einheit und daher Heil gewährleistet (10,1-4), sowie in 10,5-13 die Wüstengeneration als warnendes Beispiel für die Aufkündigung dieser Einheit angeführt hat, zieht er in 10,14ff. die Konsequenz. Die Korinther sollen pagane Kultmähler meiden (»Götzendienst«! ), weil dies die Einheit ihres eigenen Mahles aufheben würde: Der Segensbecher ist die Gemeinschaft des Blutes Christi, das Brot ist die Gemeinschaft des Leibes Christi (10,16). Zur Vermeidung von Missverständnissen sei gleich hinzugefügt, dass die Ausdrücke koinōnia tou haimatos bzw. sōmatos tou Christou nicht »Teilhabe an …« bedeuten können. 6 Es geht nicht um »sakramentale Teilhabe« an Christus oder an seinem Tod. In beiden Ausdrücken ist die Verbindung von »Gemeinschaft« einmal mit »Blut Christi«, einmal mit »Leib Christi« zwar syntaktisch parallel, nicht aber semantisch gleichbedeutend: Die »Gemeinschaft des Blutes« ist die Gemeinschaft, die aufgrund des Blutes - also des gewaltsamen Todes Jesu - existiert. Von der »Gemeinschaft des Leibes« lässt sich jedoch nicht sagen, dass die Gemeinde eine Einheit aufgrund des (dahingegebenen? ) Körpers Christi ist. Denn Paulus führt sehr deutlich im nächsten Satz aus, dass »wir vielen ein Leib sind, weil wir alle an dem einen Brot teilhaben (metechein)« (10,17). Deutlicher als hier lässt sich nicht sagen, dass to sōma nicht den Körper Jesu, sondern die Gemeinschaft der Esser bezeichnet. Mit Blick auf den gesamten Zusammenhang ab 10,1 muss man wohl sagen, dass Paulus zirkulär argumentiert. Denn im Grunde führt er aus: Eine Gemeinschaft, die gemeinsam isst (10,3), ist eine Gemeinschaft, die gemeinsam isst (10,16f.). Dass die zugrundeliegende Denkfigur (nicht das ausgeführte Argument) tautologisch ist, ist nicht von ungefähr. Paulus kann eine soziale Gemeinschaft gar nicht anders denn als Mahlgemeinschaft denken: Die Einheit einer Gruppe ist ihr gemeinsames Mahl. 7 Dass diese Einheit anhand des einen Brotes demonstriert wird, ist - wie die religions- und traditionsgeschichtlichen Analogien zeigen 8 - nicht nur in hohem Maß charakteristisch, sondern erläutert auch das Verständnis der »Unterscheidung des Leibes« in 11,29: Weil alle an dem einen Brot Anteil haben und es unter sich aufteilen, werden sie zu einem Leib. Wenn Paulus die Korinther in 11,29 zur Anerkennung ihrer besonderen sozialen Qualität als korporative Einheit auffordert, dann intendiert er genau dieses Verhalten: Dass sie sich gegenseitig Anteil an den mitgebrachten Speisen geben. 3. Mein Leib für euch Damit bleibt zum Schluss die Erwähnung von sōma im sog. Brotwort der Herrenmahlsparadosis: Weil Paulus Tradition zitiert, ist zumindest denkbar, dass sōma hier eine andere Bedeutung hat. Aber das ist nicht der Fall, wie die Parallelität zum sog. Becherwort zeigt. Bevor man nach dem Sinn der Deutungen (»mein Leib«; »neuer Bund in meinem Blut«) fragt, ist es wichtig zu wissen, was genau durch sie gedeutet wird. Längst ist erkannt, dass das Brotwort sich nicht auf das Brot, sondern auf den gesamten Gestus der Mahleröffnung bezieht. Ganz analog dazu deutet das sog. Becherwort nicht den Inhalt des Bechers (mutmaßlich Wein), sondern den »Segensbecher, den wir segnen« (10,16), also den Becher, der im Rahmen der Libationshandlung nach dem Mahl (und vor dem Symposion) vergossen (gelegentlich auch einmal getrunken) wurde. Beide Handlungen, die Mahleröffnung und die Libation, waren von Gebeten (ganz analog zu Did 9f.) begleitet. 9 »Der ›Leib‹ ist nicht, was die Gemeinde isst […], sondern was sie ist: eine korporative Einheit.« Prof. Dr. Matthias Klinghardt, Jahrgang 1957, 1986 Promotion und 1993 Habilitation (Neues Testament) in Heidelberg, 1988/ 89 Rice University, Houston (Tx), 1989 bis 1998 Assistent an der Universität Augsburg, seit 1998 Professor für Biblische eologie an der TU Dresden. Matthias Klinghardt 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 53 54 ZNT 27 (14. Jg. 2011) Kontroverse Im Zitat der Überlieferung vom letzten Mahl deutet Jesus den Libationsbecher und sagt: »Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut.« Dass die Libation der Bund ist (also nicht: ihn versinnbildlicht, repräsentiert o.ä.), ist nicht ungewöhnlich. Im Griechischen sind Libationen anlässlich eines Friedensschlusses zum Synonym für diesen Friedensschluss geworden: Die Libation ist der Friede, den sie besiegelt. 10 Genau so ist die Deutung des Becherworts zu verstehen: Der Libationsbecher, d.h. der Vollzug der Libation, ist der neue Bund. Inwiefern dieser Bund durch das Blut Jesu ermöglicht wurde, führt Paulus nicht aus; aber dies tut er auch an zahlreichen anderen Stellen nicht, an denen er die soteriologische Bedeutung des Todes Jesu nur erwähnt, sie aber nicht erläutert. In jedem Fall ist klar, dass Paulus zwischen der Ermöglichung des neuen Bundes durch den Tod Jesu und seiner konkreten Realisierung im Mahl unterscheidet. Der neue Bund, der nach Jer 31(38 LXX) - und im Unterschied zu Ex 24 - gerade die Gleichheit der menschlichen Bundesgenossen betont, 11 konstituiert sich im Mahlritual und gewährleistet dadurch die Einheit der Mahlgemeinschaft. Ganz analog dazu ist auch die Deutung des Mahleingangs zu verstehen: Wenn Jesus den Mahleröffnungsgestus der Verteilung des Brotes als »mein Leib für euch« deutet, dann ist damit gemeint, dass die Einzelnen, die sich zum Mahl niederlassen und von diesem einen, gemeinsamen Brot essen, zu einem Leib werden: Die Gemeinschaft entsteht im Mahl und als Mahlgemeinschaft. Diese neue Qualität kommt »euch zugute« - mehr ist aus dem »für euch« nicht herauszulesen: Dass das Brot »gebrochen« wird, trägt keine Betonung, sondern ist unvermeidlich und geschieht in jedem Mahl. Das gebrochene Brot verweist nicht auf den gebrochenen Körper Jesu: Der Tod Jesu ist weder im Eröffnungsgestus noch in der Deutung des »Brotwortes« präsent. Die entscheidende Einsicht besteht m.E. darin, dass weder Paulus selbst noch das von ihm zitierte Traditionsstück von 11,23-25 davon ausgehen, dass sich die sog. Deuteworte auf die »Mahlelemente« beziehen: Nicht Brot und Wein sind die herausgehobenen Haftpunkte der Deutung, sondern das Ritual selbst. 4. Die Unverfügbarkeit der Gemeinschaft im Ritual Nach meiner Überzeugung bezeichnet sōma an allen drei der genannten Stellen die korporative Einheit der Gemeinde als ein Leib; dass dies auch jenseits der Fragen des Mahls gilt, sei hier nur angemerkt. 12 Darüber hinaus sind vor allem drei Fragekreise spannend - und natürlich strittig: 1.) Der erste betrifft den Tod Jesu als gemeinschaftsfundierendes Ereignis. Dass Paulus dem Tod Jesu eine entscheidende und unverzichtbare Funktion für die Bestimmung christlicher Identität zuweist, steht außer Frage, wie ja nicht zuletzt die Herrenmahlsparadosis sehr deutlich zeigt. Aber der Tod Jesu ist nicht automatisch »gemeinsinnig«: Dass er nicht nur die individuelle Identität jedes einzelnen Christen definiert, sondern auch die Gemeinschaft der Christen untereinander begründet, ergibt sich nicht unmittelbar. Dazu bedarf es der vermittelnden Kategorie des Mahls, das nun in der Tat - lange vor und lange nach Paulus - die entscheidende Instanz war, in der die Antike Gemeinschaft erfahren hat. Diese Verbindung von Mahl und Tod Jesu zeigt Paulus, indem er den Tod Jesu in der Deutung der Libation als Begründung des Neuen Bundes benennt. Der Tod Jesu ist die Voraussetzung für den Neuen Bund, der bei der Libation in Kraft gesetzt und Wirklichkeit wird. Es ist gewiss bezeichnend, dass diese zentrale Verbindung ihren rituellen Ort während des Mahls in der ganz besonders herausgehobenen Libationszeremonie hat: Dies ist traditionell der Ort, an dem die kollektive Identität versichert und, so lässt sich vermuten, in den Gebeten auch express gemacht wurde. Wie solche Libationsgebete zur Fundierung religiöser Gemeinschaften in christlichem Horizont ausgesehen haben, zeigt vor allem Did 10 - allerdings ohne den Tod Jesu zu erwähnen. Während Paulus den Tod Jesu im Zusammenhang der Libation erwähnt, kommt er im Zusammenhang der Mahleröffnung nicht vor: Dass die Gemeinde zu einem Leib wird, konnte Paulus auch ohne die Erwähnung des Todes Jesu denken. Aber nicht ohne das Mahl. 2.) Ein zweiter Aspekt hängt damit eng zusammen. Wenn Eckart Reinmuth argumentiert, dass die christliche Gemeinschaft letztlich auf der Geschichte des gefolterten Körpers Jesu basiert, dann legt er dafür die Kategorie der Erzählung zugrunde, die erzählt, erinnert oder auch vergessen werden kann. Der Umstand, dass »Das gebrochene Brot verweist nicht auf den gebrochenen Körper Jesu: Der Tod Jesu ist weder im Eröffnungsgestus noch in der Deutung des ›Brotwortes‹ präsent.« 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 54 Matthias Klinghardt Gemeindeleib und Mahlritual ZNT 27 (14. Jg. 2011) 55 Paulus im Zusammenhang des Todes Jesu ausdrücklich zur anamnēsis auffordert (11,24f ), scheint seine Ansicht zu bestätigen. Allerdings versteht Paulus die Erinnerung an den Tod Jesu nicht als mnemonischen Akt des Gedenkens, sondern fordert zu einem rituellen Handeln auf: »Tut dies …! « Der Modus der »Erinnerung« ist rituelle Vergegenwärtigung, indem beim Mahleröffnungsritus bzw. der Libation die Wirkungen dieses Geschehens in Kraft gesetzt werden. Anders gesagt: Paulus hätte nicht direkt formulieren können, dass die Korinther an der Geschichte des gefolterten und getöteten Körpers Jesu teilhaben sollen. Vielmehr haben sie Teil an dem einen Brot (1Kor 10,17), das sie zu einer Gemeinschaft macht. Die für die Fundierung der Gemeinschaft grundlegende Kategorie ist das Ritual, nicht eine Geschichte. 3.) Ein letzter Aspekt betrifft die weitreichende Frage der Begründbarkeit von Gemeinschaften: Welche Mechanismen sind dafür verantwortlich, dass sie, allen Eigeninteressen zum Trotz, den für Zusammenhalt und Fortbestand nötigen Gemeinsinn entwickeln? Reinmuth verweist völlig zu Recht auf die Tabuisierungen und Transzendierungen, die die Unhintergehbarkeit von Begründungsprozessen sicherstellen, und deutet an, dass die frühchristliche Gemeinschaftsbegründung in der Geschichte Gottes in Christus darin einzigartig sei, dass sie den »Begründungsroutinen reichsrömischer Macht zuwider« lief. Dies trifft vermutlich zu, ist m.E. aber wenig aussagekräftig. Denn für Paulus liegt die primäre Gemeinschaftsbegründung im Mahl und seinem rituellen Vollzug. Dadurch ruft er Wertvorstellungen und Verhaltensnormen ab, zu denen auch die Gemeinschaft der Mahlteilnehmer und ihr Selbstverständnis als eine korporative Einheit gehören. Weil dieser Wertekanon längst kulturelles Allgemeingut war, konnte es über das angemessene rituelle Verhalten einer Gruppe im Mahl keine Diskussionen geben: Der gesellschaftliche Habitus stellt die primäre und unvordenkliche Transzendierung der Gemeinschaft dar. Die Verknüpfung dieses rituellen Habitus mit der Geschichte Jesu und seines Todes, die Paulus im sog. Becherwort vornimmt, ist demgegenüber in der Tat sekundär und auch verzichtbar - wie beispielsweise die Mahlgebete der Didache zeigen, die ohne diesen spezifischen Begründungszusammenhang auskommen. Anmerkungen 1 Vgl. O. Hofius, Herrenmahl und Herrenmahlsparadosis. Erwägungen zu 1Kor 11,23b-25, in: ders., Paulusstudien (WUNT 51), Tübingen 1989, 203-240: 220 mit Anm. 98. 2 Belege bei M. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft. Soziologie und Liturgie frühchristlicher Mahlfeiern (TANZ 13), Tübingen/ Basel 1996, 289; Hofius, a.a.O., 218. 3 Vgl. z.B. G. Bornkamm, Herrenmahl und Kirche bei Paulus, in: ders., Studien zu Antike und Urchristentum. Gesammelte Aufsätze II (BEvTh 28), München 3 1970, 138-176; H.-J. Klauck, Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief (NTA N.F. 15), Münster 1982, 291ff; G. Theissen, Soziale Integration und sakramentales Handeln. Eine Analyse von 1 Cor. XI 17-34, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums (WUNT 19), Tübingen 2 1983, 290-317. 4 Gegen M. Konradt, Gericht und Gemeinde (BZNW 117), Berlin/ New York 2003, 406ff., der an der Vorstellung eines ungleichzeitigen Beginns festhalten will und auch eine räumliche Trennung des Mahls der Reichen und der Armen erwägt. Aber Paulus verortet das kritisierte Verhalten zweifelsfrei in einem Mahl, zu dem alle an einem Ort zusammenkommen (11,20f ). Die Hartnäckigkeit, mit der sich die Annahme eines »Voressens« der Reichen hält, ist ebenso ärgerlich wie unverständlich: Sie hat das gesamte sozialgeschichtliche Material gegen sich, das an keiner Stelle erkennen lässt, dass es so etwas gegeben hat, vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl 281ff; D.E. Smith, From Symposium to Eucharist. The Banquet in the Early Christian World, Minneapolis 2003, 13-172; H. E. Taussig, In the Beginning Was the Meal. Social Experimentation and Christian Identity, Minneapolis 2009, 21-54. Angesichts der eindeutigen Verteilung der Belege fällt die Beweislast denen zu, die ein zeitversetztes Essen als Grundproblem annehmen; methodisch wäre es geboten, diese Annahme nicht nur durch Hinweise auf die Sekundärliteratur, sondern durch Quellenbelege zu untersetzen. 5 Die komplexe Struktur der paulinischen Begründung wird vor allem an den verwendeten Konjunktionen deutlich: Causale (11,23.26.29), konsekutive (11,27.30.33) und finale (11,32.34); zur Analyse vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 303ff. 6 So z.B. die Einheitsübersetzung, Wilckens u.a. Vgl. jetzt zu Recht dagegen N. Baumert, Koinonein und Metechein. Eine umfassende semantische Untersuchung (SBB 51), Stuttgart 2003. 7 Aus diesem Grund reicht es nicht aus zu sagen, dass die Feier des Gemeinschaftsmahls das »stärkste Sinnbild christlicher Gemeinschaft« sei (Reinmuth). Cum grano salis formuliert: Die Einheit der Gemeinschaft basiert nicht auf der Einschreibung in dieselbe Körpergeschichte, sondern: die Einheit des Leibes entsteht durch Einverleibung desselben Brotes, an dem alle teilhaben. 8 Belege und weitere Lit. bei Klinghardt, a.a.O., 310ff. 9 Der »Segensbecher, den wir segnen« bezieht seine beson- 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 55 Kontroverse 56 ZNT 27 (14. Jg. 2011) dere Qualität also in erster Linie aus dem Ritual, nicht aber aus der Verbindung mit der Lebenshingabe Jesu (gegen M. Karrer, Der Kelch des neuen Bundes. Erwägungen zum Verständnis des Herrenmahls nach 1 Kor 11,23b-25, BZ 1990 198-221: 215): In jedem antiken - paganen, jüdischen, christlichen - Mahl wird der Libationsbecher »gesegnet«. 10 Vgl. LSJ s.v. spondē. So heißt beispielsweise die olympische Waffenruhe »hai olympiakai spondai« (Thuk. V 49). Besonders schön bringt Aristoph., Acharn. 186-196 zum Ausdruck, dass die Spende und der dadurch besiegelte Friede ein und dasselbe sind. 11 Jer 31(38),34 LXX: Aufgrund der Internalisierung der Gebote werden »alle mich kennen«, was in der Folge die Unterschiede zwischen Groß und Klein nivelliert. 12 Zu sōma als Metapher sozialer Einheit vgl. M. Klinghardt, Unum Corpus. Die genera corporum in der stoischen Physik und ihre Rezeption bis zum Neuplatonismus, in: Religionsgeschichte des Neuen Testaments (FS Klaus Berger), Tübingen 2000, 191-216. Das Lehrbuch für BA- und Lehramtsstudiengänge Den Theologiestudierenden in Bachelor- und Lehramtsstudiengängen stehen für den Erwerb der nötigen Grundkenntnisse im Fach Neues Testament in der Regel nur wenige Lehrveranstaltungen zur Verfügung. 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