eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 14/27

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2011
1427 Dronsch Strecker Vogel

Proskynese und andere Loyalitätsgesten in der frühen Kaiserzeit – Christen, Polytheisten und der Körper

2011
Markus Sehlmeyer
Unter Proskynese kann man vielerlei verstehen. Gesten der Unterwerfung und vor allem religiöser Verehrung können in verschiedenster Ausprägung zeitgleich praktiziert werden, was die Photographie 1 deutlich macht: Die Anhänger des Jainismus, einer über 2500 Jahre alten indischen Religion, vollziehen hier Gesten, die in unterschiedlicher Intensität die Selbstverkleinerung vor der Gottheit Bahubali zeigen. Oben haben sich Gläubige niedergekniet; in der Mitte sieht man zwei Gläubige, die nackt der monumentalen Statue die Füße küssen; ganz unten hat sich ein Anhänger gestreckt auf den Bauch gelegt, er vollzieht eine Prostration. Alle drei Formen fallen unter das antike Verständnis von Proskynese. 1. Proskynese: Bedeutungsspektrum in NT und (früher) Kaiserzeit Im Neuen Testament wird den Polytheisten 2 zum Vorwurf gemacht, sie würden Götzen anbeten; auch auf den Herrscherkult wird hierbei angespielt, wenn es beispielsweise heißt »sie beteten den Drachen an« (Offb 13,4) oder »sie beten das Tier an« (Offb 13,12). Das Tier ist Rom (Offb 17,9). Als Wort für das Anbeten wird proskynein verwandt, was im Sinne von »als Gott verehren«, aber auch religiös neutral als »wertschätzen« gebraucht werden kann. Der Vorwurf des Johannes lautet also, dass die Polytheisten Formen der Verehrung, die dem einen wahren Gott zustünden, nicht nur auf Götterbilder aller Art, sondern auch auf eine lebendige Person, den römischen Kaiser, anwandten. In der Johannes-Apokalypse wird nicht nur die Idololatrie der Polytheisten gebrandmarkt, sondern es wird auch der Anschein erweckt, dass in der Zeit der Entstehung dieser Schrift ein Zwang zum Herrscherkult bestand, dem Antipas in Pergamon zum Opfer gefallen sein soll (Offb 2,13). Wann dieses frühe Martyrium geschah, kann nicht entschieden werden, denn die Datierung der Apokalypse ist unsicher, zumeist wird 68/ 69 n.Chr. oder die Herrschaftszeit Domitians (81- 96 n.Chr.) vermutet, jetzt auch die Zeit Hadrians (117-138 n.Chr.). Die Historizität der Sache bzw. die Berechtigung der Bezeichnung als Märtyrer soll hier aber nicht geprüft werden, es geht vielmehr darum zu prüfen, inwiefern es in der frühen Kaiserzeit überhaupt Handlungen körperlicher Art gab, die die Bezeichnung Proskynese rechtfertigen würden, bzw. welche anderen Loyalitätsgesten im Imperium Romanum verbreitet waren. Diese körperlichen Vollzüge sind auch deshalb interessant, weil sie in weiteren Beziehungen zur Entstehung des Christentums im 1. Jahrhundert standen, das sich ja von Palästina aus zunächst in den östlichen Provinzen und größeren Hafenstädten wie Rom verbreitete. Auch Paulus und die Evangelisten kannten mutmaßlich die meisten dieser Loyalitätsbezeugungen und somit gehörten diese Rituale zur Lebenswelt, in der das Neue Testament entstand. Unter Proskynese konnte man in der Welt des Neuen Testaments und auch im späteren Verlauf der Kaiserzeit verschiedene Formen der Verehrung und Wertschätzung verstehen. Die lateinische Entsprechung ist adorare (»anbeten«). 3 Die Griechen verstanden unter proskynein die Anbetung (eines) ihrer Götter. Etymologisch gesehen bedeutet das Wort »zu-küssen«, d.h. einen Hand- oder Fußkuss ausüben. In historischer Literatur wird darunter oft der mit dem Fußkuss verbundene Kniefall verstanden, aber diese Reduzierung ist in der frühen Kaiserzeit, mit der wir uns hier befassen, nicht in jedem Fall gegeben. Die Johannes-Apokalypse ist ein vielschichtiger Text, dem bereits ein Themenheft der ZNT (22) gewidmet war. 4 Seine Offenbarungen lassen naturgemäß verschiedenste Deutungen zu. Was ist der »Thron des Satans« in Pergamon (Offb 2,13)? Wirklich der Tempel von Augustus und Roma? Oder nicht doch ein Zeus- oder Asklepios-Altar? 5 Im Matthäusevangelium spielt Zum Thema Markus Sehlmeyer Proskynese und andere Loyalitätsgesten in der frühen Kaiserzeit - Christen, Polytheisten und der Körper ZNT 27 (14. Jg. 2011) 27 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 27 Zum Thema 28 ZNT 27 (14. Jg. 2011) die Anbetung des Jesus-Kindes durch die Magier, die als Sterndeuter vorgestellt werden, eine große Rolle (Mt 2,1-12: V. 11). Hier wird der Kniefall 6 hervorgehoben, es heißt, dass die Magier niederfielen und die Anbetung vollzogen. An anderen Textstellen bei Matthäus 7 wird der Kniefall nicht betont, so dass in manchen Szenen, in denen Jesus angebetet wird, nicht klar ist, ob die Anbetung zwangsläufig mit einem Kniefall verbunden war. Eine Passage legt zumindest nahe, dass man Proskynese bei Matthäus synonym mit einer kniefälligen Geste verstand: die Szene mit dem verschuldeten Sklaven. 8 Wie verhält sich nun das neutestamentliche Verständnis von Proskynese als einer (kniefälligen) Verehrung, die nur dem einen Gott zukommt, mit den im Imperium Romanum praktizierten Gesten, v.a. der Kaiserverehrung? 2. Kniefällige Proskynese als Ausnahme im Herrscherkult In der frühen Kaiserzeit kommunizierten Kaiser und Volk in einer Vielzahl von Formen. Der Kaiserbiograph Sueton erwähnt verschiedenste Gesten; so konnten beispielsweise zur Begrüßung die Handflächen gen Himmel gestreckt werden. 9 Das Falten der Hände war Teil der Proskynese - wenn sie denn praktiziert wurde. Für das kaiserliche Selbstverständnis als princeps war diejenige Form der Proskynese problematisch, bei der Kniefall und Fußkuss verbunden wurden. Gerade der Kniefall galt als Zeichen despotischer Herrschaft bzw. göttlicher Anbetung, 10 wie sie etwa den Persern zugeschrieben und später auch bei den Römern (Diokletian) 11 praktiziert wurde. Hellenistische Herrscher hatten sich in der Nachfolge Alexanders durch Kniefall verehren lassen, aber zum römischen Prinzipat passte diese Unterwürfigkeit sehr schlecht. Gute Kaiser 12 wie Augustus, Claudius oder Vespasian lehnten sie wohlweislich ab. Caligula und Domitian ließen sich gelegentlich die Hand küssen, was zu ihren Zeiten als unsittlich bzw. ungewöhnlich angesehen wurde. 13 Der princeps sah sich im Allgemeinen als einen unter gleichen an, als ersten Mann im Senat. Von einem römischen Bürger konnte er sich nun wirklich nicht in so devoter Weise begrüßen und verehren lassen. Aber orientalische Klientelkönige durften den Kaiser fußfällig begrüßen, etwa Tiridates den Kaiser Nero (Cass. Dio 62,23,3). Wie sieht es mit der Dynastie des Herodes aus? Von Proskynese vor dem Kaiser hören wir nichts, aber bei Städtegründungen sah Herodes I. (37-4 v.Chr.) auch Tempel für den Kaiserkult 14 vor. Diese waren für die griechischstämmige Bevölkerung gedacht; die Juden waren vom Kaiserkult ausgenommen. Die Klientelkönigreiche wurden - wie die Provinzen - als integrale Bestandteile des römischen Reiches verstanden, als membra (»Glieder«, Suet. Aug. 48). Im Osten des römischen Reiches entstanden schon seit der Zeit des Augustus 15 römische Tempel, die dem Kaiserkult dienten. Im Gegensatz zu den römischen Verhältnissen war hier die Anbetung des Kaisers auch mit körperlichen Gesten denkbar. Der Normalfall war aber wohl eher das Verbrennen von Weihrauch oder das Verschütten von Wein als Opfergaben. Wenn die Loyalität eines Provinzialen in Frage stand, weil ihm beispielsweise die Zugehörigkeit zu den Christen nachgesagt wurde, so musste dieser sich durch ein Opfer für den Kaiser als loyal darstellen. Zu diesem Zweck ließ der Statthalter von Bithynia und Pontus, der jüngere Plinius, Kaiserbildnisse herbeibringen, vor denen die Beschuldigten opfern mussten. 16 Im Allgemeinen jedoch war das Kaiseropfer freiwillig; Unmut erregten Auswüchse, als etwa Kaiser Caligula versuchte, sein Bild im Tempel in Jerusalem aufzustellen. Dass solches die Ausnahme ist, sagt Philo recht deutlich. 17 Die Sitte des Kusses auf Hand oder Fuß wurde erst im 2. Jh. auf den Kaiser übertragen, den man nach langer Abwesenheit aus der Stadt Rom so begrüßte. Das heißt, eine kniefällige Proskynese erfolgte nur in wenigen Ausnahmefällen und war nicht essentiell für die politische Kultur der frühen Kaiserzeit. 3. Die Vielfalt römischer Loyalitätsgesten Wenn ein römischer Kaiser zu Grabe getragen wurde, nahm das römische Volk großen Anteil daran. Die körperlichen Vollzüge der Trauer wurden im Verlauf der Kaiserzeit immer umfangreicher. Als Septimius Severus im Jahre 211 verstarb, wurde er in York eingeäschert und die Asche wurde später in Rom beigesetzt. Dort spielte sich eine merkwürdige Zeremonie ab: Eine Wachsstatue des Kaisers wurde aufgebahrt und von Senatoren wie auch ihren Frauen beweint; der Scheinleib »Für das kaiserliche Selbstverständnis als princeps war diejenige Form der Proskynese problematisch, bei der Kniefall und Fußkuss verbunden wurden. Gerade der Kniefall galt als Zeichen despotischer Herrschaft bzw. göttlicher Anbetung […]« 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 28 Markus Sehlmeyer Proskynese und andere Loyalitätsgesten in der frühen Kaiserzeit konnte von den einfachen Römern aber vermutlich ebenfalls aufgesucht und betrauert werden. 18 Ärzte kümmerten sich um das »Wohlergehen« des Kaisers, der somit als Sterbender betrachtet wurde, bis nach sieben Tagen der Tod festgestellt wurde. Dann begab sich der Leichenzug ohne Leiche unter Trauergesängen vom Palatin zum Forum Romanum; nach der Trauerrede wurde der Scheinleib zum Scheiterhaufen gebracht, der mehrstöckig ausgelegt war. Nun konnte das Volk Blumen und Kräuter niederlegen, die mit dem Abbild des Toten verbrannt wurden. Der Kaiser wurde zum Gott. Die geschilderten Akte der Staatstrauer sind nur ein Beispiel für die vielfältigen rituellen Handlungen, mit denen die Römer ihre Loyalität zum Kaiser und zur Reichsreligion bekundeten. Kaiser und Religion waren eng verbunden: Der Kaiser war Oberhaupt der römischen Religion, pontifex maximus; nach seinem Tode konnte er, wenn er ein guter Kaiser gewesen war, auf Senatsbeschluss vergöttlicht werden und wurde dann beispielsweise als Divus Augustus oder Divus Claudius verehrt (Apotheose). Gestürzte Kaiser wie Caligula oder Nero wurden nicht divinisiert, der Senat verbot die Erinnerung an sie, was man damnatio memoriae nannte. Im Folgenden sollen zunächst verschiedene verbale wie non-verbale Rituale untersucht werden, in denen körperliche Vollzüge eine Rolle spielen. Wenn der Eindruck entsteht, dass hier vieles einfach aufgezählt wird, so ist das beabsichtigt. Meines Erachtens gibt es bislang keine Zusammenstellung der Gesten und Rituale, die hier relevant sind. In Abschnitt 4 wird es dann um die Bedeutung der Körperlichkeit dieser Vollzüge gehen, wodurch wir uns der Welt des Neuen Testaments wieder nähern werden. Der Römer hatte im Verlauf der Regentschaft eines Kaisers immer wieder Gelegenheit, in verbaler Form mit dem Kaiser in Kontakt zu treten. Diese Kommunikation war im Allgemeinen keine persönliche, doch konnte das Volk den Kaiser zum Beispiel sehen, wenn er Spiele veranstaltete und ihm entsprechend Beifall zollen. In der römischen Religion war der Glaube nicht so bedeutend wie die Orthopraxie, 19 womit ich die korrekte Ausführung der religiösen Rituale meine. Das Streben nach Orthopraxie betraf aber auch andere Lebensbereiche. Wer sich unangemessen dem Kaiser gegenüber verhielt, konnte sich eines Majestätsverbrechens schuldig machen. Beispielsweise wurde die Beschädigung eines Kaiserbildnisses als Kapitalverbrechen angesehen. Wer das Asyl bei der Kaiserstatue missbrauchte, indem er ständig ein Kaiserbildnis mit sich führte, machte sich ebenfalls eines Majestätsverbrechens schuldig. Bei Herrschaftsbeginn hatten die Reichsbewohner einen Eid auf den Kaiser abzulegen. Die römischen Bürger leisteten diesen in ihren Heimatgemeinden in Italien. In den Provinzen war der Statthalter dafür zuständig, dass die Bevölkerung den Eid leistete. Offenbar rührte die Eidesleistung von derjenigen her, die Soldaten gegenüber ihrem Feldherrn zu leisten hatten. Nun wurde der Eid zu einer allgemeinem Loyalitätsbekundung gegenüber dem Kaiser. 20 Eidesformeln sind überliefert, eine besondere Körperhaltung ist hingegen nicht bezeugt. Zu vermuten ist aber eine Geste der Hand, 21 die in der römischen Rechtssymbolik eine große Rolle spielt. In Rom und im Reich sah der Kalender verschiedene Feste vor, an denen die Bevölkerung den Herrschaftsantritt oder andere Jubiläen des Kaiserhauses feierte, obwohl die Anzahl der Feiertage altrömischer Feste und öffentlicher Spiele noch überwog. Der Kaiserkult 22 entwickelte sich im Westen des Reiches erst allmählich. Schon Octavian, der spätere Kaiser Augustus, hatte seinen Adoptivvater Caesar, der zu Lebzeiten rudimentäre Formen von Herrscherkult empfangen hatte, regelrecht zum Gott erhoben und ihm den Tempel des Divus Iulius errichtet. Nach der Begründung des Prinzipats im Jahre 27 v.Chr. richtete Augustus einen Kult für die Göttin Roma im westlichen Reich Dr. Markus Sehlmeyer, geb. 1968, hat in Göttingen und Bielefeld Geschichte, Latein und Mathematik studiert. Nach der Promotion bei Jochen Bleicken war er Postdoktorand am Graduiertenkolleg »Leitbilder der Spätantike« in Jena. Assistententätigkeit und Habilitation auf dem Gebiet der Alten Geschichte in Rostock schlossen sich an. Nun ist er als akademischer Oberrat an der Universität Bielefeld tätig. Hauptinteressengebiete sind die politische Kultur Athens und Roms sowie die antike Historiographie. Homepage: http: / / wwwhomes.uni-bielefeld.de/ msehlmeyer/ Markus Sehlmeyer ZNT 27 (14. Jg. 2011) 29 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 29 Zum Thema 30 ZNT 27 (14. Jg. 2011) ein, im Osten ließ er sich aber bereits zu Lebzeiten wie ein Gott verehren, d.h. die Provinzialen konnten ihm oder seinem Vater Opfer darbringen, wovon oben im Zusammenhang mit der Proskynese schon die Rede war. Neben dem Kaiseropfer gab es weitere Formen der Kommunikation. War der amtierende Kaiser verstorben und ein neuer bestimmt, kam es zu einer akklamatorischen Bestätigung des Thronprätendenten durch das Volk. Ein gutes Beispiel ist der aus späterer Sicht schlechte und tyrannische Caligula. Als er im Jahre 37 n.Chr. mit dem Leichnam des Tiberius nach Rom zurückkehrte, wurde er vom Volk begeistert empfangen. Die Erhebung des Sohnes des ungemein beliebten, aber tragisch verstorbenen Germanicus überlagerte die Trauer um den wenig geschätzten Tiberius. Der Einzug in die Stadt Rom war weniger ein Staatsbegräbnis als ein Adventus; diese Zeremonie des Herrschereinzuges wurde zudem religiös überlagert, denn das römische Volk begrüßte Caligula nicht nur als neuen Herrscher, sondern auch als seinen Zögling (alumnus); zudem sollen die Bezeichnungen sidus, pullus (»Junges«, »Küken«) und pupus (»Bübchen«) gefallen sein. Pullus und pupus sind nicht diminutiv zu verstehen, sondern als Liebkosung; die Ansprache mit sidus (wörtlich: »Stern«) hat zudem religiöse Konnotationen. 23 Nach der offiziellen Einsetzung Caligulas kam es zu Festlichkeiten aller Art, angeblich sollen binnen drei Monaten 160.000 Tiere geopfert worden sein. 24 Wichtiges Zeichen der Loyalität war demnach die freudige Begrüßung des heimkehrenden Kaisers. Blieb diese aus, war der Kaiser in Gefahr. Neros Ende ist unter anderem auch daraus zu erklären, dass ihn das Volk nicht mehr in dem Maße unterstützte wie zuvor. Er hatte aber vor allem die Unterstützung der Soldaten verloren. Das Heer war ein wichtiger Faktor für die Sicherung der Herrschaft eines Kaisers. Wenn das Heer seine Loyalität zum Ausdruck bringen wollte, konnte der Kaiser anlässlich eines militärischen Erfolges zum Imperator akklamiert werden. Ebenso wie beim Adventus-Ritual waren damit bestimmte körperliche Ausdrucksformen und Gesten verbunden. Das Ritual stammte schon aus der Republik und wurde bald auf Angehörige des Kaiserhauses beschränkt. Über die Bescheinigung militärischer Leistungen hinaus diente es der Bestätigung der Legitimität des Kaisers. Auch der republikanische Triumph wurde beibehalten. Der Kaiser bzw. der Angehörige des Kaiserhauses hatte am Pomerium auf die formale Bestätigung des Triumphes durch den Senat zu warten - die Teilnahme des Volkes am folgenden Triumphzug war ebenfalls eine Loyalitätsgeste. Kaiser und Heer zogen mit Kriegsgefangenen und Beutestücken feierlich in die Stadt Rom ein. 25 Das Volk bekam Einblick in die Geschehnisse des gewonnenen Krieges, konnte die heimkehrenden Soldaten begrüßen und den Kaiser leibhaftig erleben. Wenn wir diese Vielzahl an Kommunikationssituationen überschauen, dann spielt Proskynese rein quantitativ nur eine geringe Rolle. In den wenigsten Fällen der Begegnung von Kaiser und Volk bestand überhaupt die Gelegenheit, dem Kaiser zu Füßen zu fallen. Nur im engen Bereich des Kaiserkultes in den Provinzen ist die Anbetung des Kaisers in kniefälliger Form bezeugt, die römische Kaiser des 1. Jahrhunderts duldeten, mit Ausnahme Domitians, jedenfalls keine solche Verehrung durch römische Bürger. 4. Performanzen des Kaiserreiches und christliche Rezeption Nach diesem Überblick über körperliche Loyalitätsformen soll es im Folgenden um die beispielhafte Analyse einiger körperlicher Akte gehen, wobei der Versuch unternommen wird, die christliche Rezeption dieser Gesten und Rituale zu ermessen. Dabei ist der Blick durchaus auch über das Neue Testament hinaus auf frühchristliche Literatur zu lenken; wenn dabei Texte zur Sprache kommen, die vom Entstehungshorizont des NT weiter entfernt sind, so ist das dadurch bedingt, dass das NT nicht zu allen in Rede stehenden römischen Ritualen Aussagen tätigt. Gladiatoren- und andere Schauspiele waren ein häufiger Anlass der Kommunikation und körperlichen Darstellung von Kaiser und Volk. 26 In der Kaiserzeit nahm die Anzahl der Spiele rasant zu. Sie wurden zum wichtigsten Ort des Zusammentreffens von Kaiser und Volk, wobei dieser als Euerget in Erscheinung trat, er bezahlte die Spiele und das Volk schaute zu. 80.000 Menschen fanden im flavischen Amphitheater Platz. In Anbetracht der mehrtätigen Dauer vieler Spiele gab es verschiedentlich Gelegenheit, den Kaiser direkt zu adressieren. Verbale Einwürfe, Lob und Tadel gehören in diese Kategorie ebenso wie der Applaus und Jubel, der verhaltener sein konnte und damit Kritik am Kaiser zum Ausdruck brachte. Der Zweikampf von »In den wenigsten Fällen der Begegnung von Kaiser und Volk bestand überhaupt die Gelegenheit, dem Kaiser zu Füßen zu fallen.« 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 30 Markus Sehlmeyer Proskynese und andere Loyalitätsgesten in der frühen Kaiserzeit ZNT 27 (14. Jg. 2011) 31 Gladiatoren, den man in Rom auch und vor allem als ästhetische Darbietung schätzte, führte über kurz oder lang dazu, dass einer die Oberhand gewann und zum Todesstoß ansetzte, diesen aber eben noch nicht ausführte. Zuvor fragte er beim Spielgeber an, ob er den Unterlegenen töten solle. Der Kaiser sah sich dann auf den Rängen um. Das Volk war aufgefordert, mit dem Daumen anzuzeigen, ob der Unterlegene getötet werden solle oder nicht. Dazu drehten die Römer den Daumen in eine bestimmte Richtung, was man als pollicem vertere bezeichnet. Zwei gegensätzliche Thesen werden zumeist vertreten: Dass der nach unten gerichtete Daumen das Todesurteil bedeute oder dass der nach oben an die Brust gerichtete Daumen den Tod fordere. Die wenigen Quellen 27 sind widersprüchlich, so dass allein feststeht, dass der Daumen von der Hand weggespreizt und auch als »feindlicher« Daumen (infestus pollex) bezeichnet wurde. Die Richtung bleibt unklar, Corbeill neigt zu der Annahme, er habe nach oben gezeigt. Die Christen beobachteten die Vorgänge im Amphitheater mit Abscheu. 28 Manche von ihnen waren in der Arena zu Tode gekommen, denn das Amphitheater diente auch der Vollstreckung von Todesstrafen, es zeigte die Macht des römischen Staates. 29 Eine größere Zahl von Christen wurde im Kontext von Spielen hingerichtet, als sie in den Verdacht gerieten, mit dem Brand Roms unter Nero (64 n.Chr.) zu tun zu haben. Das Christentum galt den Römern später generell als superstitio, ein dem römischen Reich feindlicher »Aberglauben«. Der bereits erwähnte Plinius überstellte römische Bürger, die im Verdacht standen, Christen zu sein, nach Rom (Anm. 16). Wer zum Tode verurteilt wurde, konnte in der Arena wilden Bestien zum Fraß vorgeworfen werden. Zudem wurden verurteilte Christen als Gladiatoren gegeneinander in den Kampf geschickt. Offenbar nahmen die Christen den grausamen Tod hin, sie rechneten mit baldiger Auferstehung. 30 Todesurteile aufgrund religiösen Fehlverhaltens wie z.B. des christlichen »Aberglaubens« gab es später zahlreicher, die Mehrzahl der Martyrien gehört ins 2. und 3. Jh. Einige Märtyrerakten sind erhalten und stellen die Körperlichkeit der Opfer in verschiedener, teils drastischer Weise dar. Da es sich um körperliche Vollzüge handelt, weise ich kurz darauf hin, auch wenn die ältesten erhaltenen Martyriumsakten, die Polykarps, erst von 155/ 156 n. Chr. datieren. 31 Die Leidensgeschichte von Perpetua und Felicitas, die 203 n. Chr. vermutlich in Karthago zu Tode kamen, hebt hervor, dass die nackte Präsentation der jungen Frauen in der Arena selbst für die Verhältnisse der römischen Welt anstößig war. Nachdem die Delinquentinnen bekleidet worden waren, suchten sie den Tod, sie flohen nicht vor den Hieben der Gladiatoren. Die Körper der Märtyrerinnen und Märtyrer standen im Licht der Öffentlichkeit, die Todesstrafen waren grausam. 32 Michel Foucault 33 hat, vor allem in Hinblick auf die Verhältnisse der frühen Neuzeit, betont, dass die staatlichen Körperstrafen eine große Bedeutung hatten, um die Allgewalt des Staates zu zeigen. Das sieht man auch am Beispiel des Ignatius von Antiochia, der - möglicherweise unter Kaiser Trajan (98-117 n.Chr.) - nach Rom zitiert worden war, wo er das Martyrium erlitt. Über seine Reise berichtet er in Briefen, die eine Analogie zum Kaiserkult herstellen: Wie im Zug der Mysten nähert sich der Delinquent der Hauptstadt Rom. 34 Die Märtyrer starben in Erwartung der Auferstehung - neuere Forschungen vergleichen ihr Sterben hinsichtlich der angenommenen Unzerstörbarkeit der gefolterten Körper mit dem Scheintod, der in den antiken Romanen der hohen Kaiserzeit 35 ein wichtiges Sujet darstellt. Denn wer nicht wirklich gestorben ist, steht wieder auf. Der aus der Proskynese bekannte Kuss wurde zum festen Bestandteil des Adventus-Rituals, 36 dürfte aber vor allem von dem Kaiser nahestehenden Personen geübt worden sein, während das Volk den Kaiser mit Gesängen begrüßte. Von religiösen Konnotationen des Adventus-Rituals war oben am Beispiel des Caligula schon die Rede gewesen. An dieser Stelle ist zu reflektieren, inwieweit unsere Quellen die Hypothese erhärten können, dass der Kaiser beim adventus auch als Erlöser begrüßt wurde, wodurch sich eine Nähe zu christlichen Vorstellungen ergäbe. Der Begriff Sōtēr oder Messias fällt in den historischen Quellen selten, aber recht deutlich ist, dass die persönliche Ankunft des Herrschers im Volke hohe Erwartungen weckte, die über rein finanzielle Gaben hinausgingen. In Vespasian sahen die Römer nicht nur einen Euergeten, sondern auch einen Sōtēr (Jos. Bell 7,71). Schon weit vor den Mauern der Stadt wurde die Ankunft des Kaisers vor allem mit Opfern gefeiert, die aber nicht als Vergöttlichung zu verstehen sind; hingegen war man der Meinung, dass der Kaiser von den Göttern erwählt sei. Die mehrtägigen Opfer sind somit als Dankfeste zu verstehen, die sich an die römischen Staatsgötter wandten. Neben der Verbrennung von Weihrauch ist das Opfer von Tieren breit bezeugt; die Römer fanden beim gemeinsamen Mahl zusammen, sie verspeisten die unzähligen Opfertiere. Auch beim Adventus Trajans 37 hören wir von der großen Beteiligung der Bevölkerung; viele Tiere wurden geopfert, ihre Eingeweide auf den Altären verbrannt und das Fleisch dann gemeinsam verspeist. 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 31 Zum Thema 32 ZNT 27 (14. Jg. 2011) Als die Offenbarung des Johannes entstand, gab es offenbar Christen, die sich zur Teilnahme an solchen Festen und zum Verzehr des Fleisches der geopferten Tiere verleiten ließen, weil sie diese Handlungsweise für vereinbar mit dem christlichen Glauben hielten. Gegen diese Position wenden sich die Anfangskapitel (Offb 2,13f.). Im frühen Christentum gab es verschiedene Glaubensrichtungen, die sich eben nicht nur stärker an die jüdischen Glaubensvorstellungen anlehnten, sondern unter Umständen auch bestimmte polytheistische Kulthandlungen beibehielten. Die Offenbarung erwähnt die Nikolaiten, die in Ephesus an polytheistischen Kulten teilnahmen. Leider bleiben die Details im Dunkeln, aber noch rund 100 Jahre später kritisiert Tertullian, dass Christen an den Schauspielen teilnahmen (Anm. 28) - ein recht ähnlicher Vorwurf. Somit war die Teilhabe von Christen an bestimmten polytheistischen Kulthandlungen nach wie vor ein Problem. Dass Christen dem Ruf des Kaisers, der die Spiele monopolisierte, folgten, ist also bezeugt, auch wenn nur ein kleiner Teil betroffen war. Schwer zu ergründen ist die Frage, ob die stadtrömische Bevölkerung Kaiserstatuen oder Porträts körperlich einbezog (abgesehen von der kultischen Verehrung im Kontext des Herrscherkultes). In Anbetracht der Vielzahl der Kaiserporträts in Rom und im ganzen Imperium möchte man kaum glauben, dass jede Statue begrüßt oder berührt wurde. Die Berührung von Götterstatuen war üblich zur Bekräftigung eines Eides, bei Kaiserstatuen hört man nur sehr selten davon. Beispielsweise ist der Ort der Verbrennung Caesars auf dem Forum Romanum genutzt worden, um feierliche Eide abzulegen. Leichter zu zeigen ist, dass die Aufstellung von Kaiserporträts im privaten Raum ebenso wie auf den Foren bedeutender Provinzstädte dazu dienen sollte, Loyalität zu bezeugen. 38 Wer seine Nähe zum Kaiserhaus zeigen wollte, fügte also zu den ohnehin vorhandenen offiziellen Porträts der Kaiser noch weitere hinzu. Die Christen haben jedwede Aufmerksamkeit gegenüber Statuen kritisch wahrgenommen, vor allem, wenn man diese als religiösen Akt ansehen konnte, denn das zweite Gebot (Dtn 5,8) widersprach der Abbildung des Christengottes. Die polytheistischen Sakralräume mit Götter- und Kaiserstatuen wurden abgelehnt, der Begriff der Idololatrie (»Götzendienst«) kam auf. In seiner gleichnamigen Schrift hat Tertullian die Kritik an der Verehrung von »Bildern« weiter ausgeführt. Auch wenn diese Schrift deutlich später entstanden ist als die Schriften des Neuen Testamentes, um 200 n.Chr., so werden doch Missstände beklagt, die weit in die Anfänge des Christentums zurückreichten. Beispielsweise dürfe der Christ keinesfalls den Beruf des Bildhauers ergreifen (Tert. Idol. 3,2) und an Festen nicht teilnehmen (ebd. 13f.). 5. Funktionen körperlicher Vollzüge Neben der kniefälligen Proskynese gab es im Imperium Romanum eine große Zahl an Gesten, die vielfach gar nicht religiös konnotiert waren. Christen nahmen diese Gesten wahr, aber eine Beurteilung ist im Wesentlichen nur in den geschilderten Einzelfällen (Gladiatorenspiele, Opferfleisch, Bilderkult) erfolgt. Viele Gesten blieben somit ohne christlichen Kommentar. Die im NT am stärksten kritisierte Verhaltensweise, die kniefällige Proskynese, betraf vor allem die östlichen Provinzen, 39 im von Bürgern bewohnten Italien hören wir nicht davon. Viele der Gesten, die Römer dem Kaiser erwiesen, dienten der Kommunikation zwischen Kaiser und Volk. Wieso waren die Loyalitätsgesten der Römer so ungemein intensiv? Hatten Loyalitätsgesten gegenüber der römischen Republik an Bedeutung gewonnen? Dafür spricht vieles. Loyalitätsgesten wurden wichtiger, da die Plebs urbana die politischen Einflussmöglichkeiten in der Zeit des Tiberius verloren hatte. 40 Auch wenn die Volksversammlungen (comitia) der Republik nur der Bezeugung des Konsenses gedient hatten, so konnte die Plebs in ihnen doch zeigen, dass sie der politischen Führung durch die Nobilität zustimmte. In den contiones gab es sogar Raum für politische Diskussionen mit den führenden Senatoren. Gesetzesvorschläge wurden dort vorgestellt und erläutert. In den comitia erfolgte dann allein die Abstimmung. Meist fanden sich die Römer in den Tribuscomitien zusammen, um über Gesetze abzustimmen. Da wir nur wenige Beispiele dafür haben, dass die Mehrheit der Tribus ein Gesetz ablehnte, lag der Sinn der Veranstaltung darin, Zustimmung zu signalisieren, Loyalität zu zeigen. In der Republik galt die Loyalität dem Patron oder der senatorischen Führung insgesamt. In der Kaiserzeit hingegen fiel diese Möglichkeit, Loyalität zu zeigen, fort. Der Staat hatte sich verändert, Bezugspunkt der Loyalitätsgesten wurde der Kaiser. Oben sind die wichtigsten Loyalitätsgesten vorgestellt worden, Proskynese, Akklamationen und Gesänge, Opfer oder einfach Präsenz bei Veranstaltungen, auf denen der Kaiser zugegen war und die sein Haus betrafen. George Fletcher unterscheidet in seiner Studie zur Loyalität 41 drei Arten: Familiare Loyalität, Gruppenloyalität und religiöse Loyalität. Fletcher zeigt anhand 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 32 Markus Sehlmeyer Proskynese und andere Loyalitätsgesten in der frühen Kaiserzeit ZNT 27 (14. Jg. 2011) 33 zeitgenössischer politischer Fragen, dass Streben nach Loyalität für den Staat essentiell ist, denn die Berufung der Bürger auf Unparteilichkeit könnte dem Staat schaden. Er wendet sich gegen den Utilitarismus von Jeremy Bentham, aber auch gegen die Moraltheorie Kants. Loyalität sei die Voraussetzung für Patriotismus, so Fletcher. In Bezug auf körperliche Vollzüge finden wir in der römischen Kaiserzeit zwei Formen von Loyalität vor. Die wichtigere ist die Gruppenloyalität. Die Plebs zeigte sich beim Tode eines Mitgliedes des Kaiserhauses oder bei Spielen als Gruppe, die Anwesenden bekannten sich als Römer, die Loyalitätsgesten stifteten Identität, römische Identität. Wer körperlich partizipierte, verstand sich als römischer Bürger, möglicherweise sogar als Patriot. Das konnte dann wichtig sein, wenn Betreffender aus den Provinzen stammte und nun besonders römisch wirken wollte. Wenn dieses Loyalitätsband nicht mehr bestand, konnten Aufstände und Bürgerkrieg die Folge sein - als Beispiel wäre der jüdische Aufstand (66-70 n.Chr.) zu nennen. Dieser war so verheerend, da auch religiöse Motive eine Rolle spielten. Religiöse Loyalität ist bedeutsam im Kaiserkult, den die jüdische Bevölkerung gerade nicht ausübte. Dabei ist nicht nur an den Kult für den verstorbenen und vergöttlichten Kaiser zu denken, sondern an Dankfeste aller Art. Auf die religiösen Konnotationen des Adventus-Rituals wurde bereits verwiesen. Kurt Latte hat in seinem Handbuch sogar von der »Loyalitätsreligion der Kaiserzeit« gesprochen. 42 Im Vergleich mit körperlichen Akten des christlichen Kultes zeigen sich typologische Bezüge, die teilweise auf gemeinsame Wurzeln im Hellenismus zurückgehen. Jesus ist für die Christen im hellenisierten Osten des Imperiums Sōtēr 43 gewesen, auch für einige Kaiser ist diese Bezeichnung bezeugt, etwa Claudius und Vespasian. Jesus und der Kaiser waren, auf verschiedene Art und Weise, Heilsbringer. Körperliche Formen der Verehrung sind die Folge. Der Erhebung des Kaisers wird durch Opfer gedankt, gemeinsames Speisen und Feiern scheint sich über längere Zeit erstreckt zu haben. Das ist zwar kein christliches Abendmahl, aber doch eine Handlung, die Identität gestiftet hat. Die christliche Taufe 44 findet hingegen kaum Entsprechung in antiken Religionen. Auch wenn die polytheistische Welt des Imperium Romanum und das Christentum augenscheinlich auf viele gemeinsame Wurzeln aus Orient und Hellenismus zurückgingen, so sind die Auffassungen vom Körper doch recht verschieden. Körperliche Formen der Gottesverehrung wie die Proskynese spielen in großen Teilen des Imperium Romanum keine so große Rolle, wie die Johannes-Apokalypse und Matthäus Glauben machen wollen. Zweifelsohne kommt der Verehrung von Jesus mit körperlichen Akten eine große Bedeutung zu. Das ist am Matthäusevangelium deutlich zu sehen, wo proskynein zur wichtigsten Form der Verehrung wird - ausgeübt von den Magiern, einfachen Menschen, den Jüngern. Taufe und Abendmahl (Eucharistie) sind ebenfalls Akte, die die Körperlichkeit des Initianden wie die körperliche Teilhabe ausdrücken. Performanz bedeutet für die frühen Christen also vor allem Beteiligung an religiösen Akten. Kommt solchen körperlichen Vollzügen im Polytheismus des Imperium Romanum eine ähnlich große Bedeutung zu? Zweifel kommen auf. Proskynese war aus Perspektive der Prinzipatsideologie unerwünscht, allenfalls unterlegene Könige oder Provinzialen durften diese ausüben, wurden dazu aber nicht gezwungen. Prinzipiell lassen sich viele Gesten und Rituale finden, an denen sich römische Bürger in der Öffentlichkeit beteiligten, nur sind die wenigsten religiös konnotiert. Die Offenbarung des Johannes, aber auch Tertullian bestätigen die These: Bei vielen Festen wurde der religiöse Charakter kaum noch wahrgenommen, so dass Christen an ihnen teilnahmen, ohne das Problem der Idololatrie zu sehen. Viele römische Feste und Schauspiele waren zu Loyalitätsgesten geworden, der Kaiser stand im Focus - nicht die Götterwelt. Die Vielzahl der Gesten, die im damaligen religiösen wie auch weltlichen Leben vollzogen wurden, sollten Anlass sein, über ihren Stellenwert nachzudenken, auch wenn die Quellenbasis denkbar schmal ist. Körperlichkeit spielte in der Antike eine große Rolle - ich habe oben auf die Qualen des Amphitheaters verwiesen. Im Kontext der Martyrien sind solche Leiden erforscht worden, 45 für das Thema der Gesten und Gebärden fehlt es anscheinend noch an Grundlagenforschung. Wenn ich hier den Terminus »körperliche Vollzüge« verwendet habe, so stammt die Terminologie von Judith Butler, 46 die aber ihrerseits eher selten auf Gesten zu sprechen kommt, die in der Antike von Belang waren. Auch die Forschungen von Foucault, die sich eher der griechischen Antike bzw. der hohen Kaiserzeit 47 widmen, sind für das Thema dieses Beitrages nur am Rande interessant. »Die Plebs zeigte sich beim Tode eines Mitgliedes des Kaiserhauses oder bei Spielen als Gruppe, die Anwesenden bekannten sich als Römer, die Loyalitätsgesten stifteten Identität, römische Identität.« 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 33 Zum Thema 34 ZNT 27 (14. Jg. 2011) Die Gesten der Römer, die sich auf den Kaiser bezogen, dienten auch als Ersatz für die geringere politische Partizipation. Das Kaiserzeremoniell entwickelte sich im Laufe der Kaiserzeit weiter, den Höhepunkt stellt der byzantinische Hof dar. Aus der politischen und religiösen Partizipation der Plebs in der Republik war eine Partizipation am kaiserlichen Leben geworden. Whitby unterscheidet sechs Typen von Zeremonien, in denen die vorgestellten Rituale eine Rolle spielen. 48 Die Weiterentwicklung der Monarchie bedeutete auch Änderungen in den Ritualen, deren Komplexität uns heute nur noch partiell erschließbar ist. Man sollte überhaupt von einer größeren Dynamik der Rituale ausgehen, auch wenn die Grundidee des Rituals darin besteht, dass sich typische Züge in zeitlichem Abstand sichtbar wiederholt haben. Das Christentum hat die Rituale in der Spätantike deutlich transformiert, so dass die Loyalität, die einst dem Kaiser entgegengebracht wurde, nun auch der christlichen Religion galt. Aber diese Entwicklungen begannen erst im 4. Jahrhundert. Anmerkungen 1 Proskynese (A. Hack), Metzler Lexikon Religionen 3 (2000), 73f. Die Abbildung hat H. Mohr erläutert. Wir danken dem Fotografen Jörg Böthling für die Genehmigung des Abdrucks. - Den Herausgebern der ZNT danke ich für verschiedene Hinweise und Anregungen. 2 Bezeichnungen für Nicht-Monotheisten haben schnell einen pejorativen Beigeschmack. Ich verwende hier die Bezeichnung Polytheisten, die mir neutraler als Pagane (Heiden) erscheint. 3 Zum Folgenden vgl. Proskynesis and adorare (B. Marti), Language 12 (1936), 272-282, und H. Greeven, ThWNT VI (1959), 759-767. Eine gute erste Übersicht liefert auch der schon ältere Artikel von W. Pape, Griechisch-Deutsches Wörterbuch Band 1, Braunschweig 3 1888, 771. 4 Die Beiträge von E. Cuvillier und Elisabeth Schüssler Fiorenza nähern sich der Offb unter anderen Prämissen, als es mein althistorischer Beitrag tut. 5 Die Offenbarung des Johannes, übersetzt und erklärt von A. Satake, Göttingen 2008, 164f. Weitere Deutungsmöglichkeiten bei G. Maier, Die Offenbarung des Johannes 1-11 (HTA), Witten/ Gießen 2009, 164-179: 166f. 6 Vgl. Magierhuldigung (S. Heydasch-Lehmann), RAC 23 (2010), 957-962. - Auch der Satan verlangt von Jesus die kniefällige Verehrung (Mt 4,9). 7 Mt 8,2; 9,18; 14,33; 15,25; 20,20; 28,9.17. Zur Einführung: M. Müller, Proskynese und Christologie nach Matthäus, in: Kirche und Volk Gottes. Festschrift für Jürgen Roloff zum 70. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2000, 210-224. - Ich habe Eckart Reinmuth für diese Hinweise zu danken. 8 Mt 18,26 (ho doulos proskynei autō) offenbar synonym mit 18,29 (pesōn oun ho syndoulos). 9 Suet. Vitell. 7; die ausgestreckten Hände waren aus dem Gebet an die himmlischen Götter hervorgegangen (vgl. Serv. auct. Aen. 4,205). 10 Vgl. Proskynese (W. Fauth), Der kleine Pauly 4 (1967), 1189; J. Horst, Proskynein. Zur Anbetung im Urchristentum nach ihrer religionsgeschichtlichen Eigenart, Gütersloh 1932. 11 Allgemein zu den spätantiken Verhältnissen: S.G. Mac- Cormack, Art and Ceremony in Late Antiquity, Berkeley 1981 (Schwerpunkte: Adventus, Consecratio, Herrschaftsantritt). 12 Zur Einteilung der Kaiser in gute und schlechte vgl. M. Sehlmeyer, Geschichtsbilder für Pagane und Christen. Res Romanae in den spätantiken Breviarien, Berlin 2009, 95-98. 13 Suet. Cal. 56,2: osculandam manum; Suet. Dom. 12,3: manum praebuit. 14 Herodes’ Familie war idumäischer Herkunft und hatte sich den Römern angedient. Seine Königsherrschaft in Judäa war umstritten, obwohl er Jude war. Zu seinen Maßnahmen im Detail vgl. M. Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern und Römern. Untersuchungen zur politischen und religiösen Geschichte Judäas von 30 v. bis 66 n. Chr., Tübingen 2007, und M. Schuol, Augustus und die Juden, Frankfurt 2007, 124-135. 15 J. Bleicken, Augustus, Berlin 1998 (TB Reinbek 2010), 378-386, zeigt den Weg von der Überhöhung des Augustus in Rom bis zum Herrscherkult im römischen Osten auf; allgemein zum Herrscherkult vgl. M. Clauss, Kaiser und Gott, München 2001. 16 Plin. ep. 10,96,5: »imagini tuae [...] ture ac vino supplicarent [...] « 17 Philo leg. 137-139; dazu M. Bernett, Kaiserkult, 264- 287, und M. Schuol, Augustus, 290-293. 18 Hauptquelle für die Aufbahrung und Bestattung des Septimius Severus ist Herodian (4,1); der verwendete Scheinleib (funus imaginarium) stellt aber möglicherweise eine Ausnahme dar, vgl. Anm. 22. 19 Ich verwende also Orthopraxie nicht im Sinne einer ökumenischen Idee, sondern um die damaligen religiösen Praktiken der Polytheisten von Juden und Christen abzugrenzen - nach C. Ando, The Matters of the Gods. Religion and the Roman Empire, Berkeley u.a. 2008. 20 P. Herrmann, Der römische Kaisereid, Göttingen 1968, untersucht Herkunft und Entwicklung des Eides anhand der sechs damals bekannten Eidesformeln (S. 122-126 abgedruckt). Ein Neufund: J. Gonzáles, The first Oath pro salute Augusti found in Baetica, ZPE 72 (1988), 113-115. 21 Jetzt umfassend H. Wirth, Die linke Hand. Wahrnehmung und Bewertung in der griechischen und römischen Antike, Stuttgart 2010. - Zu Formen der Ehrerbietung allgemein vgl. C. Sittl, Die Gebärden der Griechen und Römer, Leipzig 1890 (ND Hildesheim 1970), 147-173. 22 Zum wichtigen Aufsatz von E. Bickermann, Die römische Kaiserapotheose, in: A. Wlosok (Hg.), Römischer Kaiserkult (WdF 372), Darmstadt 1978, 82-121; vgl. H. Chantraine, »Doppelbestattungen« römischer Kaiser, Historia 29 (1980), 71-85. Zum Kaiserbegräbnis als Ritual vgl. S. Price, From noble funerals to divine cult: 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 34 Markus Sehlmeyer Proskynese und andere Loyalitätsgesten in der frühen Kaiserzeit ZNT 27 (14. Jg. 2011) 35 the consecration of Roman emperors, in: D. Cannadine/ S. Price (Hgg.), Rituals of royalty. Power and ceremonial in traditional societies, Cambridge 1992, 56-105. 23 Suet. Cal. 13 mit dem Kommentar von D. Wardle, Brüssel 1994, 148-150. Bereits im Jahre 44 v.Chr. war die Apotheose Caesars durch die Behauptung initiiert worden, er sei zum Stern geworden, dem sidus Iulium, der in der Propaganda der julisch-claudischen Dynastie eine große Rolle spielte (vgl. M. Sehlmeyer, Stadtrömische Ehrenstatuen der republikanischen Zeit, Stuttgart 1999, 238-245). Dabei ist der in die Stadt zurückkehrende Kaiser immer mehr als Erlöser betrachtet worden (A. Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, Darmstadt 31980, 88). Hier haben ältere orientalische Traditionen eine Rolle gespielt - auch die Magier folgten einem Stern, um das Christuskind zu finden (Mt 2,2.7). 24 Suet. Cal. 14. Philo leg. 11. Doch einige Monate später schlug die Stimmung um, dazu ausführlich A. Winterling, Caligula, München 3 2004, 53ff. 25 Zu Kaiser und Heer vgl. E. Flaig, Den Kaiser herausfordern, Frankfurt 1992, 132-172; zum Triumph M. Beard, Roman Triumph, Cambridge/ London 2007. 26 Grundlegend P. Veyne, Brot und Spiele, München 1994, der die Rolle des Kaisers als Euerget betont, und Th. Wiedemann, Kaiser und Gladiatoren, Darmstadt 1992. 27 Literarische und archäologische Quellen bei A. Corbeill, Nature embodied. Gesture in ancient Rome, Princeton/ Oxford 2004, 42-62. 28 Tertullian wendet sich in seiner Schrift De spectaculis in der Zeit um 190/ 200 n. Chr. gegen die Praxis mancher Christen, auch an polytheistischen Ritualen teilzunehmen. Die Spiele galten allesamt auch der Verehrung bestimmter Götter. Zur christlichen Sicht des Kaiserkultes vgl. M. Sordi, The Christians and the Roman Empire, London 1994, 171-179. 29 E.A. Castelli, Martyrdom and memory. Early Christian culture making, New York 2004, 104-111, fasst neuere Forschungen zum Gladiatorenspiel als Performanz zusammen. 30 J.Perkins, Roman imperial identities in the early Christian Era, London u.a. 2009, 52-55, nennt die wenigen Quellen, in denen Christen Stellung zum Tod in der Arena nahmen. Allgemeiner zur christlichen Sicht: W. Weismann, Kirche und Schauspiel, Würzburg 1972. Zur Auferstehung jetzt G.J. Baudy, »Auferstehung«. Codierung nationaler Wiedergeburt im transkulturellen Dialog der Antike, in: U. Pietruschka (Hg.), Gemeinsame kulturelle Codes in koexistierenden Religionsgemeinschaften, Halle 2005, 33-74. 31 Mart. Polyk. 2,2 (körperliche Leiden), 2,3 (Verachtung des Schmerzes); 11,2-3 (Androhung von Tieren und Feuer); 16,1 (Löschen des Feuers durch das Blut des Märtyrers); 18,2-3 (Gebeine als Gegenstand des Gedächtnisses). 32 Castelli, Martyrdom, 121ff. Text, Übersetzung und Interpretation des Martyriums bei P. Habermehl, Perpetua und der Ägypter oder Bilder des Bösen im frühen afrikanischen Christentum, Berlin 2 2004. 33 M. Foucault, Surveiller et punir. La naissance de la prison, Paris 1975 (dt. Überwachen und Strafen, Frankfurt 1977). Vgl. W. Riess, Die historische Entwicklung der römischen Folter- und Hinrichtungspraxis in kulturvergleichender Perspektive, Historia 51 (2002), 206-226. 34 A. Brent, Ignatius of Antioch and the Imperial Cult, VC 52 (1998), 30-58. 35 Perkins, Roman imperial identities, 45-61, verweist mit Rückgriff auf ältere Forschungen (z.B. G. Bowersock, Martyrdom and Rome, Cambridge 1995) u.a. auf den Roman des Achilleus Tatius (2. Jh.), Kleitophon und Leukippe, wo die Hauptdarstellerin den Göttern zum Schein geopfert wird. 36 Näheres dazu bei A. Alföldi, Monarchische Repräsentation, 88-90. Zu den kaiserlichen Reisen allgemein F. Millar, The Emperor in the Roman World, Ithaca 1977 (ND 1992), 28-40: 31f. 37 Plin. Paneg. 22-24, mit C. Ronning, Herrscherpanegyrik unter Trajan und Konstantin, Tübingen 2007, 69-89. 38 P. Stewart, The social history of Roman Art, Cambridge 2009, 43: »portraits of the emperor and his family which were also loyally exhibited in private settings«. 39 Zum Kaiserkult in den östlichen Provinzen gibt es eine sehr umfangreiche Literatur, als aktueller Überblick empfiehlt sich S. Price, Rituals and Power. The Roman imperial cult in Asia minor, Cambridge 1984, der die Kultstätten aufzählt (249-274). 40 J. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches Band 1, Paderborn 4 1995, 48-79, betont, dass die Heeresclientel in der Kaiserzeit wichtiger war als die individuelle Beziehung zwischen Patron und Client und weist zudem auf die geringe politische Bedeutung der Plebs urbana hin. 41 G. Fletcher, Loyalität. Über die Moral von Beziehungen, Frankfurt 1994 (zuerst Oxford 1993). 42 K. Latte, Römische Religionsgeschichte, München 2 1967, 312-326. 43 Vgl. M. Karrer, Jesus, der Retter (Sōtēr). Zur Aufnahme eines hellenistischen Prädikats im Neuen Testament, ZNW 93 (2002), 153-176. 44 W. Burkert, Antike Mysterien, München 4 2003, 86, verweist darauf, dass es in den vorchristlichen Mysterien »kaum Zeugnisse für eine ›Taufe‹« gibt. 45 J. Perkins, Roman Imperial Identities in the Early Christian Era, London 2009, 159ff., mit Rückgriff auf Butler (folgende Anm.). Vgl. auch Perkins’ älteres Buch: The suffering Self. Pain and narrative Representation in the Early Christian Era, London 1995. 46 J. Butler, Bodies that matter, London 1993 (dt. Körper von Gewicht, Berlin 1995); Dies., Precarious Life. The Powers of Mourning and Violence, London 2004 (dt. Gefährdetes Leben, Frankfurt 2008). 47 Z.B. Sexualität und Wahrheit 2. Der Gebrauch der Lüste, Frankfurt 1986 (Paris 1984) mit W. Detel, Foucault und die klassische Antike, Frankfurt 2 2006. - Band 3. Die Sorge um sich, Frankfurt 1986 (Paris 1984). 48 Kaiserzeremoniell (M. Whitby), RAC 19 (2001), 1135- 1177: 1137f. 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 35