eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 14/28

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2011
1428 Dronsch Strecker Vogel

Ingolf U. Dalferth Das Böse. Essay über die Denkform des Unbegreiflichen Mohr Siebeck Tübingen, 2. Aufl. 2010 ISBN 978-3-16-150 489-1 Preis: 24.00 Euro

2011
Axel von Dobbeler
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 66 - 3. Korrektur 66 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Buchreport Ingolf U. Dalferth Das Böse. Essay über die Denkform des Unbegreiflichen Mohr Siebeck Tübingen, 2. Aufl. 2010 ISBN 978-3-16-150 489-1 Preis: 24.00 Euro Das Böse selbst ist unbegreiflich und wird es immer sein. Nicht der Sinnlosigkeit des Bösen einen Sinn zu entlocken, das Unbegreifliche zu erklären, ist D.’s Ziel, sondern die Rede vom Bösen als eine kulturelle Denk- und Artikulationsform des Unbegreiflichen zu untersuchen. Der kulturelle Wert der Rede vom Bösen besteht gerade darin, dass sie nicht zu erklären sucht, was unerklärlich bleibt, sondern es ermöglicht, angesichts der Wirklichkeit des Bösen, angesichts des Einbruchs von Sinnlosigkeit in das Leben weiter zu leben. Die Rede vom Bösen dient dem Leben, nicht indem sie Unfassbares fassbar, handhabbar, begreiflich und damit beherrschbar machte, sondern indem sie nach Möglichkeiten sucht, Orientierung zu geben, wo Leben durch die Unbegreiflichkeit und Sinnlosigkeit des Bösen geschädigt oder zerstört wird. »Das Böse ist immer und überall« heißt es in einem Song der Ersten Allgemeinen Verunsicherung aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die unzweifelhafte Wirklichkeit des Bösen ist die Grundlage: »Es gibt nichts, wo es nicht auftreten könnte, und wo es auftreten könnte, da tritt es früher oder später auch auf« (XI). Dass Böses ist, ist evident. Evident ist auch seine Unbegreiflichkeit und Sinnlosigkeit. Das Nachdenken über die Wirklichkeit des Bösen und seine mannigfachen Erscheinungsformen zielt darauf, sagbar und bedenkbar zu machen, was sich dem Erklären und Begreifen dauerhaft entzieht. Was begriffen werden kann, ist nicht das unbegreiflich bleibende Böse, sondern »sich selbst und seine Welt angesichts des Unbegreiflichen neu zu begreifen« (VI) ist das Ziel: Die Rede vom Bösen ist als eine kulturelle Artikulations- und Denkform zu analysieren, die nicht als Erklärungskategorie, sondern als Kategorie der Lebensorientierung zu fassen ist, weil sie Wege zu einem neuen Welt- und Selbstverständnis eröffnet, wo das Leben und die Welt durch den Einbruch von unbegreiflichem und sinnlosem Bösen aus den Fugen geraten ist. Mit hoher analytischer Präzision, die seine Leser zu steter Aufmerksamkeit und zum Mitdenken einlädt, unternimmt D. seinen Versuch über die Denkform des Unbegreiflichen. Entlang des Leitfadens der beiden grundlegenden Unterscheidungen zwischen »gut« und »böse« und zwischen »böse« und »Gott« und ihrer historisch sich verändernden Zuordnungen zeigt D.’s Essay, »wie sich der Sinn von ›böse‹ im Lauf der Geschichte verändert hat und welche Problemverschiebungen sich darin spiegeln« (XII). Um »die Pointe des religiösen Umgangs mit Bösem im Rekurs auf Gott« nicht zu verfehlen, kommt es darauf an, die Differenzen zwischen »gut« und »Gott« offen zu halten, Religion und Moral weder in eins noch einander abstrakt entgegen zu setzen (ebd.). In der europäischen Geschichte des philosophischen und theologischen Nachdenkens über das Böse haben sich die Kontraste zwischen »böse« und »gut« und zwischen »böse« und »Gott« als Grundformen herausgebildet, in denen die hermeneutische Frage bedacht wird, »was die Sprache des Bösen zur Sprache bringt, die Begriffe des Unbegreiflichen begreifen und die Sinngestaltungen des Sinnwidrigen und Sinnlosen gestalten«, bzw. in methodisch reflexiver Form »wie vom Bösen zu sprechen ist, um zur Sprache zu bringen, wie von ihm gesprochen und wie es erfahren und erlebt wird« (33). In »korrekturresistente Denkweisen«, die in »praktischen Aporien« münden (34f.), führen dabei alle Versuche, die Unterscheidung von Moral und Religion zu verwischen, indem die beiden Grundkontraste nicht mehr in ihrer Bezogenheit aufeinander erkannt werden: Weder die radikale Entkoppelung von Moral und Religion (»Gott« und »gut« ohne Beziehung aufeinander) noch die areligiöse oder religiöse Verschmelzung beider (Moral als Religionsersatz bzw. Religion als Moralersatz) werden den Fragen gerecht, die durch die Wirklichkeit des Bösen sich stellen. Nur wo solche »Reduktion von ›gut‹, ›böse‹ und ›Gott‹ auf einen dualen Kontrast« (35) vermieden wird, bleibt kritisches Nachdenken möglich. Wird das hermeneutische Dreieck von »gut«, »böse« und »Gott« nicht in dualistische Systeme aufgelöst, ist eine Bestimmung der beiden Grundkontraste zwischen »gut« und »böse« und zwischen »böse« und »Gott« immer nur über den jeweils dritten Eckpunkt dieses Dreiecks möglich. Nur das aber entspricht der Komplexität der Herausforderungen, vor die die Wirklichkeit des Bösen stellt. Der Komplexität des Bösen entspricht es dabei, nicht nur jeder Versuchung zur systematisierenden Reduktion auf einen wie auch immer gearteten Dualismus zu widerstehen, sondern darüber hinaus die historisch wechselnden Erscheinungs- und Artikulationsformen des Bösen in Rechnung zu stellen und in eine Sinngeschichte der Denkform des Bösen einzuzeichnen. Im Schlusskapitel seines Essays lädt D. seine Leser dazu ein, die Sinngeschichte des Bösen in fünf Etappen abzuschreiten: Von der Antike, die den Kosmos als Ort des Guten identifizierte, über die mittelalterliche Bestimmung Gottes als Prinzip des Guten, die neuzeitliche Konzentration auf den Menschen als Täter des Guten und auf die Menschen als Herren des Guten in der Moderne bis hin zur Spät- und Nachmoderne (also unserer Gegenwart), in der Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 67 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 67 es zur Banalisierung des Guten kommt, für die nicht nur bezeichnend ist, dass »der Fokus der Unterscheidung von Gutem und Bösem […] konsequent weiter von dem Menschen über die Menschen zu […] Lebendigem überhaupt verlagert wird« (198), sondern absehbar auch »kalkulationspotentere und überlebensresistentere Informationssysteme« (199) als Bezugspunkte einbezogen werden. Die hier bestimmende Leitfrage »Warum eigentlich nicht? « lässt ein weiteres Fragen nach dem Guten oder Bösen mehr oder weniger sinnlos werden. So mündet die Sinngeschichte des Guten und des Bösen nach D. in der ernüchternden Einsicht, dass sich mit der Verlagerung des Bezugspunktes der Unterscheidung von Gutem und Bösem vom Kosmos über Gott, den Menschen, die Menschen bis hin zur Einbeziehung künstlicher Intelligenz eine fortschreitende Nivellierung ergibt »mit dem Erfolg, dass die Unterscheidung [sc. von Gutem und Bösem] immer bedeutungsloser und beliebiger wird und damit immer weniger zur Lebensorientierung austrägt. Wie die Rede von Wahrheit so umgibt auch die Rede vom Guten und Bösen der nostalgische Hauch einer vergangenen Zeit, und sich mit ihr zu befassen scheint wenig mehr als eine recherche du temps perdu« (200). Es gehört zu den Vorzügen des Essays, dass D. nach dieser Bilanz nicht der Versuchung erliegt, sich in (typisch deutscher? ) kulturpessimistischer Tristesse zu ergehen, sondern mit einer seiner Kernthesen einen Ansatzpunkt benennt, »von dem aus der Tendenz zur Banalisierung des Bösen entgegenzuwirken ist« (202): Dass nämlich die denkerische Auseinandersetzung mit dem Unbegreiflichen des Bösen das Ferment menschlicher Kultur bildet, »ohne das es so etwas wie eine Geschichte der Menschen überhaupt nicht gäbe« (27). Die Herausforderung, der sich zu stellen D. in seinem Schlussplädoyer aufruft, »ist nicht schon das Böse, das mein Leben betrifft, sondern das Hineingezogenwerden in das Leben anderer, die durch Böses betroffen werden« (202). Entgegen der Tendenz zur Banalisierung »die Wirklichkeit von Bösem auch im Denken ernst zu nehmen«, folgt die Einsicht, dass »die Unvermeidbarkeit des Unbegreiflichen im Leben und Denken […] kein Makel menschlichen Lebens, sondern ein wesentliches Merkmal seiner Menschlichkeit« ist (203). D.’s Versuch verlangt von seinen Lesern einige Bereitschaft zu geduldigem Mitdenken, besticht dabei aber durch seine analytische Schärfe und argumentative Brillanz. Dass D. die Theodizeefrage »mit Absicht« (V) ausklammert, ist aus meiner Sicht eher ein Vorzug als ein Mangel seiner Studie, ist die Theodizeefrage doch dazu angetan, schnell alle anderen Fragestellungen im Nachdenken über das Böse zu überlagern. Axel von Dobbeler NEUERSCHEINUNG Attempto Verlag • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@attempto-verlag.de • www.attempto-verlag.de Eve-Marie Engels, Oliver Betz, Heinz-R. Köhler, Thomas Potthast (Hg.) Charles Darwin und seine Bedeutung für die Wissenschaften 2011, 291 Seiten, € (D) 29,90/ SFr 41,90 ISBN 978-3-89308-415-9 Das vorliegende Buch vermittelt einen beeindruckenden Einblick in Darwins Bedeutung für die Wissenschaften vom 19. Jahrhundert bis heute. Namhafte Autorinnen und Autoren zeichnen aus der Perspektive ihrer Fächer ein Bild von der Vielseitigkeit des großen Denkers.