eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 14/28

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2011
1428 Dronsch Strecker Vogel

Personale Erfahrungen des Bösen

2011
Peter Busch
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 45 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 45 Kontroverse Ich möchte diese Kontroverse mit einer Anekdote beginnen. Vor Jahren, ich war damals als Pfarrer in einer Studierendengemeinde tätig, hörte ich meinen Anrufbeantworter ab und bekam dort von einer mir fremden Anruferin eine absonderliche Geschichte zu hören, die ich hier aus dem Gedächtnis wiedergebe: »Herr Pfarrer, bitte helfen Sie mir. Mir ist gestern ein Ritual daneben gegangen, und jetzt habe ich mir einen Dämon eingefangen. Was soll ich tun? «. Ich hielt dies zunächst für einen Scherz, wurde aber nach mehrmaligem Abhören dieser verzweifelten Stimme und darauffolgenden Rückruf eines Besseren belehrt. Ich hatte mit einer Frau zu tun, die ein dringendes seelsorgerliches Problem hatte: Ein böses, übelwollendes, wirkmächtiges Wesen war, so war sie überzeugt, in ihr Leben eingebrochen-- und sie bekam es nicht mehr los. Angesichts dieser Episode (sie war in meiner Zeit als Pfarrer nicht die einzige dieser Art) kommt mir das Thema dieser Kontroverse recht akademisch vor: Sollen wir heutzutage theologisch von einer »personalen Macht des Bösen« reden? Was heißt hier: »Sollen wir…«? Ich stelle fest: Die Menschen tun dies. Sie fragen uns dabei nicht. Sie benutzen-- um gegen Bultmanns berühmtes bon mot zu polemisieren-- ihren Radioapparat und glauben dabei gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments. Das rein physikalische Weltbild ist in unserem Milieu des anbrechenden dritten Jahrtausends alles andere als einzigartig, es scheint von vielen anderen Weltbildern flankiert zu sein. Man kann dies als ungelungen ansprechen, wenn beispielsweise in der Einführung zu einem einschlägigen Band der EZW-Texte formuliert wird: »Der modernen, naturwissenschaftlich und rational orientierten Weltauffassung ist es nicht gelungen, eine magische Weltsicht zu überwinden«. 1 Doch Fakt ist: Als Theologinnen und Theologen haben wir mit einer Vielfalt kontroverser und gleichzeitig aktueller Weltbilder zu rechnen-- und in so manches fügen sich personal gedachte »Mächte des Bösen« nahtlos ein. Was mir seinerzeit bei oben skizziertem Anruf zu denken gab: Ich wusste nicht, wie ich dieser Frau helfen konnte. Ich hatte in meiner Ausbildung zum Pfarrer, in Universität und Predigerseminar, kein hinreichendes Handwerkszeug erhalten, mit dem ich auf die »Welt« besagter Dame reagieren konnte. Mir wurde nur eines recht schnell klar: Mit einem entmythologisierenden »Dämonen gibt es nicht, gnädige Frau« kam ich nicht weit. Hier stieß ein Weltbild auf ein anderes, gedeihliche Kommunikation war nicht möglich. Ich musste in die Welt der Anruferin eintauchen, um mit ihr reden zu können. Ich plädiere darum an dieser Stelle dafür, sich theologisch auf die mythische Sprache von einer personal gedachten Macht des Bösen einzulassen. Zum besseren Verständnis-- und vor allem um meinem geschätzten Partner in dieser Kontroverse mehr Angriffspunkte zu liefern--, möchte ich zunächst beschreiben, was ich mit der »personal gedachten Macht des Bösen« meine und dann, was ich unter »sich einlassen« verstehe. Eine »personal gedachte Macht des Bösen« ist Teil einer Weltauffassung, die ich hier (analog zum o. a. Zitat der EZW-Texte) mythisch nennen möchte. Diese Macht hat es, so ich mich in dieser Denkwelt bewege, persönlich auf mich abgesehen. Sie eifert, wendet Energie auf, meint mich ganz persönlich und niemand anderen. So, wie der Versucher in Mt 4 und Lk 4 Jesus und nur ihn angreift und so, wie der böse Drache in Offb 12 seinen Zorn auf die Frau dort ganz persönlich richtet. Wenn mir ein Unglück widerfährt, so ist dies direkt an mich adressiert und an niemanden sonst; und dies kommt von einer Macht, der ich Personenhaftigkeit zusprechen muss, weil ich mein Unglück persönlich nehme. Das Böse wie oben skizziert zu begreifen, liegt den Autoren der einschlägigen antiken Texte sehr nahe, seien es biblische Passagen oder etwa die paganen Dämonologien aus neutestamentlicher Zeit von Plutarch oder Apuleius. Das Gegenteil dieser Weltsicht trägt einer modern-rationalen physikalischen Weltauffassung Peter Busch Personale Erfahrungen des Bösen »Fakt ist: Als Theologinnen und Theologen haben wir mit einer Vielfalt kontroverser und gleichzeitig aktueller Weltbilder zu rechnen-- und in so manches fügen sich personal gedachte ›Mächte des Bösen‹ nahtlos ein.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 46 - 3. Korrektur 46 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse eher Rechnung und wäre als eine Art »shit happens«- Einstellung zu bezeichnen: Mein Unglück ist ein Kollateralschaden in einem größeren Zusammenhang. Ich bin nicht gemeint, war vielleicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder ich bin eben betroffen von der allgemeinen Kontingenz des Weltenlaufs, wie es jeder andere auch ist. Katastrophen und Krebszellen, Todesfälle und Tsunamis lassen sich so recht gut deuten: shit happens. Was bedeutet nun meine Forderung, sich auf die eben skizzierte mythische Weltsicht »einzulassen«? Ich meine damit-- eindeutig gegen Bultmanns Postulat eines »entweder-oder« -- die Kompetenz, auch mit Vertretern der mythischen Weltauffassung in ihrer Sprache reden zu können. Dies sollte für einen aufgeklärten theologisch denkenden Menschen des anbrechenden dritten Jahrtausends, der problemlos mit der Trias »Darwin, Gott und Urknall« rechnet, eigentlich keine Zumutung sein: Es wäre im Gegenteil Ausdruck seiner religiösen Vielsprachlichkeit, durch die er (oder sie) einen massiven Zugewinn an religiöser kommunikativer Kompetenz zu verzeichnen hätte. Um meinem geschätzten Kontroverspartner nun vollends die eigene Brust zu entblößen, möchte ich zwei Bereiche nennen, in denen die mythische Redeweise vom personal gedachten Bösen unumgänglich ist. Der erste Bereich ist schon angeklungen und soll daher nicht weiter ausgeführt werden, es ist die poimenische Disziplin der Theologie. Gerade in der Seelsorge kommen wir mit Menschen in Kontakt, die ihr eigenes Unglück persönlich nehmen. Der religiös polyglotte Seelsorger kann hier mitreden und begleiten. Der zweite Bereich betrifft unsere reichhaltige liturgische Ausdrucksform. Man stelle sich vor, bei einer Taufe zugegen zu sein (vielleicht sogar in leitender Funktion), und es klingt im »Evangelischen Gesangbuch« die dritte Strophe von Lied 200 an: »hingegen sag ich bis ins Grab des Satans schnöden Werken ab«. Wem angesichts dieser Reminiszenz an den altkirchlichen Taufexorzismus das entmythologisierte Gewissen gar zu sehr zusetzt, bleibt nur das Schweigen-- der allseits bekannte siebte Satz aus Wittgensteins »tractatus« ist die letzte Konsequenz der bedingungslosen Ablehnung einer personal gedachten Redeweise vom Bösen in liturgischen Dingen. Der religiös Polyglotte hingegen singt dieses Lied ungebrochen weiter und kann auch Luthers Morgen- und Abendsegen laut mitsprechen (»Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde«). Neben diesen beiden Bereichen möchte ich noch ein drittes Feld ansprechen, dem eine Redeweise vom personal gedachten Bösen gut anstünde, und dies ist das Feld der neutestamentlichen Exegese an den Universitäten. Wenn auch Karl Barths Axiom, die Theologie sei eine Funktion der Kirche, so bedingungslos nicht stehen gelassen werden muss, übernimmt doch die Theologie und eben auch die Exegese Dienstleistungen für die kirchliche Arbeit: Wir bilden in den exegetischen Veranstaltungen Menschen aus, die auch in den beiden von mir zuerst genannten Bereichen professionell tätig sein sollen. Ich meine, diese Menschen sollten in die mythische Denkwelt vom personal gedachten Bösen in neutestamentlicher Zeit empathisch eingeführt und in ihrer Ausdruckskompetenz bezüglich dieser Welt gefördert werden. Es steht der neutestamentlichen Exegese gut an, nicht nur bezüglich des Altgriechischen, sondern auch bezüglich alternativer Denkwelten religiöse Polyglottie zu vermitteln. Ich halte es darum für äußerst wünschenswert, dass Studierende wie auch Dozierende nicht nur über »das Böse«, sondern auch über »den Bösen« reden können. Anmerkungen 1 A. Kick/ H. Hemminger, Geister, Mächte, Engel, Dämonen. Zum christlichen Umgang mit dem modernen Okkultismus (EZW-Texte 171), Berlin 2003, 3. »Gerade in der Seelsorge kommen wir mit Menschen in Kontakt, die ihr eigenes Unglück persönlich nehmen. Der religiös polyglotte Seelsorger kann hier mitreden und begleiten.« Prof. Dr. Peter Busch, geb. 1965, z. Z. apl. Prof. für Neues Testament in Heidelberg. Peter Busch