eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 14/28

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2011
1428 Dronsch Strecker Vogel

Das Böse hat nicht das letzte Wort

2011
Christfried Böttrich
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 24 - 3. Korrektur 24 ZNT 28 (14. Jg. 2011) »Wer zuletzt lacht, lacht am besten« - sagt der Volksmund. 1 Auf eine vergleichbar einfache Formel ließe sich bringen, was das Neue Testament im Blick auf das »Böse« zu sagen hat. Zwar ist hier nicht von Gelächter die Rede, sehr wohl aber davon, wer das letzte Wort behält. Über das »Böse« wissen die Schriften des Neuen Testamentes immer wieder zu erzählen. 2 Es taucht in verschiedenen Zusammenhängen auf und trägt viele Namen - schwer zu fassen, selten eindeutig und häufig verdeckt. »Böses« begegnet als die Grunderfahrung feindlichen Verhaltens oder als personifizierte Größe, entzieht sich aber gerade in dieser Vielgestaltigkeit jeder Definition oder Systematisierung. So erweist sich wohl auch die Form der Erzählung als die einzig angemessene Weise, diesem diffusen Phänomen eine Gestalt zu geben und dadurch sein bedrohliches Potential zu begrenzen. 3 In der gesamten biblischen Überlieferung aber besteht an einem Punkt Einigkeit: Das »Böse« in der Welt - in welcher Gestalt es auch immer begegnet - hat keine eigenständige Macht. Es tritt Gott nicht wie in anderen Religionen gleichrangig oder »auf Augenhöhe« entgegen, 4 sondern vermag lediglich einen Spielraum zu nutzen, der ihm befristet zugestanden ist. An der Schöpfung, die Gottes Gütesiegel trägt (»und siehe, es war gut«), hat das »Böse« keinen Anteil. Dass es überhaupt zu agieren vermag, verdankt es allein jener Ursituation menschlicher Freiheit, zwischen der Beachtung und der Übertretung des göttlichen Gebotes zu wählen (Gen 3). Die Übertretung gewinnt in der Folge zwar eine Eigendynamik, die nun auch die menschliche Freiheit massiv einzuschränken beginnt und destruktive Kräfte freisetzt, trotzt aller Hybris aber bleibt das »Böse« Gott eindeutig untergeordnet. Das bedeutet nicht, dass es dadurch verharmlost würde. Aber von vornherein ist klar, dass es nur einen Handlungssouverän gibt und das »Böse« nur über eine abgeleitete Macht verfügt. Diese Zusammenhänge sollen im Folgenden an drei exemplarischen Textbereichen näher betrachtet werden. Sie entstammen der synoptischen Jesusüberlieferung, der Theologie des Apostels Paulus und der Bildwelt des Sehers Johannes. Das »Böse« meldet sich darin auf ganz unterschiedliche Weise zu Wort - perfide, attraktiv, bedrohlich. Aber es behält nicht das letzte Wort. Daran lassen die Autoren des Neuen Testamentes keinen Zweifel. 1. Schlagabtausch in der judäischen Wüste (Mt 4,1-11/ Lk 4,1-13) Im Eingangsteil der synoptischen Evangelien nimmt die »Versuchungsgeschichte« einen festen Platz ein. 5 Jesus befindet sich am Unterlauf des Jordans. Hier begegnet er Johannes und lässt sich von ihm taufen. Doch bevor er wieder nach Galiläa zurückkehrt, unternimmt er noch einmal für 40 Tage einen Abstecher in die nahegelegene judäische Wüste bzw. wird - wie die Evangelisten schreiben - vom Geist Gottes in die Wüste »getrieben«. Der Ort hat Bedeutung. Seit jeher gilt die Wüste als lebensfeindliche Gegenwelt zum Kulturland. Sie ist von wilden Tieren bevölkert, die den Menschen bedrohen. In der Wüste haben auch die Dämonen ihren bevorzugten Ort. Wer sich hier aufhält, muss dazu gute Gründe haben. Im Falle Jesu liefert die symbolische Zahl von 40 Tagen dafür den entscheidenden Hinweis: Man erinnert sich der 40 Tage, die Mose auf dem Sinai oder die Elia am Horeb zubrachten; man denkt an die vierzigjährige Wüstenwanderung Israels; später wird Lukas berichten, der Auferstandene sei in Jerusalem 40 Tage lang unter den Seinen erschienen. An der Zeitspanne von 40 Tagen haftet die Bedeutung einer Prüfungs- und Vorbereitungsphase. Genau davon will die Episode berichten. Während Mk 1,12-13 das Ganze mit einem einzigen Satz abhandelt, überliefern Matthäus und Lukas auf der Basis der Logienquelle eine ausführliche, szenisch gegliederte Erzählung. 6 Auch Markus weiß, dass Jesus während dieser 40 Tage vom »Satan« versucht worden sei, verschweigt aber, worin diese Versuchung bestanden habe. Statt dessen bemerkt er, Jesus sei in der Wüste mit den wilden Tieren zusammen gewesen - eine Gesellschaft, die der Gottessohn offensichtlich unbeschadet übersteht. 7 Matthäus und Lukas ihrerseits verschweigen Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. Neutestamentliche Perspektiven zur Überwindung des Bösen Zum Thema »Das ›Böse‹ meldet sich darin auf ganz unterschiedliche Weise zu Wort-- perfide, attraktiv, bedrohlich. Aber es behält nicht das letzte Wort. Daran lassen die Autoren des Neuen Testamentes keinen Zweifel.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 25 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 25 Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. die wilden Tiere, teilen jedoch das Gespräch mit, das zwischen Jesus und seinem »Versucher« stattfindet. Der Satan trägt bei ihnen den Namen »Diabolos/ Teufel«, was wörtlich so viel wie »Durcheinanderwerfer« bedeutet. 8 In der Folge macht der Teufel diesem Namen auch alle Ehre und versucht, mit kleinen, aber folgenschweren Manipulationen der »Schrift« seinen Gesprächspartner zu überlisten. Als jene 40 Tage vorüber sind, tritt er ganz unvermittelt an Jesus heran und verwickelt ihn in einen Dialog. Kein Wort verlieren die Evangelisten darüber, in welcher Gestalt sie sich den Teufel vorstellen. Aber sie stimmen darin überein, dass seine Absicht in einer gezielten »Versuchung« Jesu besteht. 9 Die Erzählung bei Matthäus und Lukas ist in drei Szenen oder Gesprächsgängen angelegt, die eine deutliche Klimax bilden. Nur in der Reihenfolge der zweiten und dritten Szene unterscheiden sich die beiden Evangelisten und setzen einen jeweils eigenständigen Akzent. Das Gespräch beginnt in der ersten Szene zunächst mit dem, was am nächsten liegt: Nach einer vierzigtägigen Fastenzeit verspürt Jesus begreiflicherweise Hunger. Hier setzt der Teufel an: »Wenn du Sohn Gottes bist - sprich, dass diese Steine (Lk: dieser Stein) Brot werden! « Rhetorisch geschickt bedient er sich einer captatio benevolentiae und offeriert seinem Gegenüber sogleich den auszeichnenden Titel »Gottessohn« 10 - freilich nicht, ohne ihn durch das konditionierende »wenn« gleich wieder unter Vorbehalt zu stellen. Ein kleines Wunder aber könnte da alle Zweifel ausräumen. Schon hier erweist sich der Teufel als durchaus bibelfest, denn ganz offensichtlich spielt er mit seinem Vorschlag auf das Mannawunder in der Wüste (Dtn 8,2-5) an, das Jesus hier aufnehmen und überbieten könnte. Der assoziiert diesen Zusammenhang auch sofort und kontert punktgenau mit Dtn 8,3: »Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein [Mt: sondern durch jedes Wort, das aus dem Mund Gottes kommt]! « Damit gibt sich der Teufel aber noch nicht einfach geschlagen und geht erneut in die Offensive. Zwei Versuche behält er sich noch vor - und beide haben es in sich. Lukas legt die Klimax so an, dass der Teufel Jesus zunächst die Vollmacht über »alle Reiche der Erde« anbietet, um dann die Aufforderung zum Sprung von der Tempelzinne an den Schluss zu setzen, mit der das Gottvertrauen Jesu auf den Prüfstand gerät. Für Lukas liegt es näher, den Höhepunkt der drei Versuchungen am Tempel in Jerusalem zu platzieren, weil auch sonst für ihn der Tempel stets als Ort der zentralen Heilsoffenbarung Gottes fungiert. 11 Zugleich aber hat es den Anschein, als verberge Lukas in dieser Mittelstellung seiner zweiten Versuchung eine fundamentale Kritik an der staatlichen Macht überhaupt, die er ansonsten in seinem großen Erzählwerk doch eher positiv und als einen Schutzraum für die Evangeliumsverkündigung darstellt. 12 Denn hier begründet der Teufel sein Angebot ganz unumwunden mit den bemerkenswerten Worten: »[…] mir ist diese ganze Vollmacht und Herrlichkeit übergeben, und wem ich will, dem gebe ich sie« (Lk 4,6). Liegt die Verleihung staatlicher Macht demnach im Zuständigkeitsbereich des Teufels? Ist für Lukas politische Herrschaft satanischen Ursprungs? Matthäus lässt eine solche Begründung vermissen, setzt aber seinerseits die Versuchung mit der Macht an den Schluss und macht sie damit zum Höhepunkt seiner Klimax. Auch das hat Stringenz. Denn für Matthäus nimmt schon am Anfang die Szene auf einem »hohen Berg« den höchsten Rang ein, wie es zum Schluss die Worte des Auferstandenen auf »dem Berg in Galiläa« (Mt 28,16) tun werden. Prof. Dr. Christfried Böttrich, geb. 1959, studierte evangelische Theologie in Leipzig. 1990 promovierte und 1995 habilitierte er sich. Stationen seiner Lehrtätigkeit sind Frankfurt, Marburg und Jena. Seit 2003 ist er Professor für Neues Testament an der Ernst- Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Theologie des lukanischen Doppelwerks, frühjüdischen Schriften als Kontext des Neuen Testaments, altslavischen Apokryphen und der Paulusforschung. Christfried Böttrich »Der Teufel zitiert den Psalter! Spätestens an dieser Stelle schaudert es jeden Frommen, denn Ps 91 galt im Judentum von jeher als Gebet um Gottes Schutz vor den bösen Mächten, vor dem Teufel und allen Dämonen. […] Der Zynismus dieser Szene lässt sich kaum überbieten.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 26 - 3. Korrektur 26 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema Der Wortwechsel, den der Teufel in dieser Erzählung vom Zaun bricht, ist ein Schlagabtausch mit Bibelzitaten. 13 Zunächst weiß der Versucher mit der Erinnerung an das Mannawunder einen ganzen Erzählzusammenhang in Erinnerung zu rufen, in dem Vertrauen und Zweifel eine tragende Rolle spielen. Seine Aufforderung zum Sprung von der Tempelzinne aber begründet er ganz direkt mit Ps 91,11-12. Der Teufel zitiert den Psalter! Spätestens an dieser Stelle schaudert es jeden Frommen, denn Ps 91 galt im Judentum von jeher als Gebet um Gottes Schutz vor den bösen Mächten, vor dem Teufel und allen Dämonen. So ist der Psalm auch in die christliche Liturgie eingegangen und hat seinen angestammten Ort in der Complet, dem letzten Tagzeitengebet vor der Nachtruhe, gefunden. Der Zynismus dieser Szene lässt sich kaum überbieten: Der Teufel führt genau jenes Gebet im Munde, mit dem der Fromme um Beistand gegen die Macht des Bösen zu flehen pflegt! Erst in der Versuchung zur Weltherrschaft lässt der Teufel dann die Maske des Bibelkenners fallen und fordert ganz direkt göttliche Verehrung. Wie reagiert Jesus? Er pariert diesen differenzierten Schriftgebrauch des Versuchers zunächst mit den gleichen Mitteln. Auch er beruft sich auf Bibelworte. Unbeirrt zitiert er dabei vor allem das Deuteronomium - in der Versuchung zum Brotwunder mit einer Relativierung (Dtn 8,3), in der Versuchung der Fürsorge Gottes mit einer klaren Abweisung (Dtn 6,16), in der Versuchung zur Weltherrschaft schließlich mit dem Grundbekenntnis Israels (Dtn 6,13). Der Missbrauch der Schrift durch den Teufel hebt ihren Gebrauch durch Jesus nicht auf. Doch mit dem Zitieren allein ist es eben auch nicht getan. Denn hier steht nicht nur Bibelwort gegen Bibelwort. Der Teufel versucht, die Schrift seinen Zwecken dienstbar zu machen. Jesus indessen beruft sich auf die Schrift im schlichten Gestus des Vertrauens. Die Erzählung endet unspektakulär. Der Teufel kommt mit seiner Strategie nicht durch. Zwar geht die Initiative von ihm aus, doch das letzte Wort behält Jesus. Der Teufel muss abziehen. Nach Lukas tut er das lediglich für einige Zeit (Lk 4,13); zu Beginn der Passionsereignisse wird er erneut aktiv werden (Lk 22,3). Matthäus aber vermerkt, dass nun Engel herbeikamen und Jesus dienten (Mt 4,11). Das oder der Böse lässt sich nicht durch apotropäische Mechanismen - auch nicht durch Bibelzitate - überwinden, wohl aber durch ein unbeirrtes Vertrauen in die Macht Gottes. 2. Konkurrenz in der griechischen Polis (1Kor 8-10) Nicht immer sind die Gegensätze so klar konturiert wie in der Versuchungsgeschichte. Vielmehr gehört es gerade zur Eigenart des »Bösen«, in Verkleidung aufzutreten und seine wahre Identität zu verbergen. Diese Erfahrung muss auch der Apostel Paulus machen, der in seinen Gemeinden einer Reihe von Anfeindungen ausgesetzt ist. Die schwerste Bedrohung geht dabei von verschiedenen Gruppen wandernder »Kollegen« aus, die ebenfalls mit dem Anspruch der Evangeliumsverkündigung auftreten, deren Weichen jedoch in eine ganz andere Richtung zu stellen versuchen. 14 In den paulinischen Gemeinden werden sie während der Abwesenheit des Apostels mit offenen Armen empfangen. Paulus sieht sich zur Verteidigung genötigt und fährt dabei schweres Geschütz auf. Besonders deutlich wird er in 2Kor 11,13-15 und bezeichnet seine Kontrahenten rundheraus als Satansdiener: »Denn sie sind Lügenapostel, hinterhältige Akteure, die sich nur als Apostel Christi verstellen. Und das ist auch kein Wunder, denn der Satan selbst verstellt sich als ein Engel des Lichts. Deshalb ist es auch nichts besonderes, wenn sich seine Diener als Diener der Gerechtigkeit verstellen.« 15 Paulus unterstellt ihnen, dass sie ihre wahren Absichten - nämlich die Manipulation seines Missionswerkes - hinter der Maske der Gerechtigkeit verbergen. Wir würden heute sehr viel vorsichtiger urteilen und ihnen zugestehen, auch bei einer abweichenden Position doch mit gleichem Engagement wie der Apostel selbst bei der Sache zu sein. 16 Doch für Paulus gibt es Punkte, an denen »die Wahrheit des Evangeliums« (Gal 2,5.14) keine Kompromisse duldet. Dann vermag er den Gegensatz nur in Form einer solchen drastischen, überspitzten und die Gegner dämonisierenden Weise zu formulieren - um ihren »Fall« schließlich als schon entschieden darzustellen: »Deren Ende wird ihren Taten entsprechen« (2Kor 11,15). Immerhin - letztlich bleibt es also Gott überlassen, in diesem Konflikt ein Urteil zu sprechen; Recht oder Unrecht wird sich an den »Taten« bzw. am Erfolg der konkurrierenden Aktivitäten herausstellen. In seinen Briefen deutet Paulus immer wieder auf die Realität des »Bösen« hin. Ein klares System wird dabei jedoch nicht erkennbar. Die Vielgestaltigkeit der Erfahrungen spiegelt sich vielmehr in ganz unterschiedlichen Vorstellungen wider. Vom »Diabolos/ Teufel« spricht Paulus nicht - wohl aber vom »Satan«, den er auch als »Beliar« bezeichnen kann; der Satan wie- »Das oder der Böse lässt sich nicht durch apotropäische Mechanismen-- auch nicht durch Bibelzitate-- überwinden, wohl aber durch ein unbeirrtes Vertrauen in die Macht Gottes.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 27 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 27 Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. derum verfügt über ein eigenes Heer von Dienstengeln; zudem gibt es Dämonen und Geister bzw. Mächte und Gewalten, die sich offensichtlich in Koalition mit den gegengöttlichen Aktionen Satans befinden; in diese Gemengelage ordnet der Apostel schließlich auch das gesamte Spektrum des hellenistisch-römischen Pantheons ein, das er auf das Format von Dämonen verkleinert. 17 An diesem Punkt wird die Sache spannend, denn die Götterwelt einer hellenistischen Polis wie der von Korinth dringt auf ihre Bewohner mit einer Intensität und Bildgewalt ein, der sich niemand entziehen kann - auch die christliche Gemeinde nicht. Liest man die Schilderungen des Pausanias, der etwa einhundert Jahre nach Paulus eine detaillierte Reisebeschreibung seines Besuches in Korinth verfasste, 18 dann erhält man eine Ahnung jener Fülle von Tempeln, Götterstatuen, heiligen Hainen und Quellen, Kultbildern und Weiheinschriften, mit denen jede Straße und jeder Platz publikumswirksam besetzt war. Gegen diese Übermacht versucht sich schon seit einiger Zeit die jüdische Diasporagemeinde zu behaupten, und auch die junge Gemeinde der Christusgläubigen sieht sich damit täglich konfrontiert. Viele ihrer Glieder waren bis vor kurzem selbst noch Anhänger verschiedener Kulte. Über familiäre Beziehungen und gesellschaftliche Kontakte bleiben sie ihnen auch weiterhin nahe. Von dieser religiösen Vielfalt geht weniger eine Gefahr als vielmehr eine unbestreitbare Faszination aus. 19 Gehört diese Welt etwa komplett auf die Seite gegengöttlicher Mächte? Besteht hier eine Art Konkurrenzsituation? Was ist »böse« an Kulten, die ihrem Wesen nach auf Kompatibilität angelegt sind und einander tolerieren? Diese Schwierigkeit macht sich an einem Problem ganz besonders bemerkbar: Dürfen Christen Fleisch essen, das im Zusammenhang mit heidnischen Opferhandlungen geschlachtet worden ist? Paulus widmet dieser Frage in 1Kor 8-10 eine ausführliche Erörterung. 20 Sein Ansatz klingt dabei ganz erstaunlich aufgeklärt: Natürlich kann man das Fleisch essen, denn alles von Gott Geschaffene ist gut; nichts kann dem Menschen schaden, was mit Dank genossen wird. Die Vorstellung, dass Opferfleisch gleichsam religiös kontaminiert wäre, weist Paulus mit dem jüdischen Grundbekenntnis aus Dtn 6,4 ab: »Es gibt keine Götzen in der Welt. Und: Es gibt keinen Gott außer dem einen! « (1Kor 8,4). Damit ist eigentlich alles gesagt. 21 Doch die Gemeinde in Korinth lebt nun einmal als verschwindende Minderheit in einer Polis, in der andere Götter in überwältigender Vielfalt ein Teil ihrer Lebenswelt sind - mit Kultorten, Kultpersonal und zahlreichen Anhängern. Deshalb beeilt sich Paulus, erklärend hinzuzufügen: »Denn selbst wenn es auch so genannte Götter gibt, sei es im Himmel, sei es auf Erden, wie es ja viele Götter und Kyrioi gibt […]« - in der Tat ist ihre Präsenz ja nicht zu übersehen! Paulus relativiert dieses Zugeständnis jedoch sofort durch den Zusatz »so genannte«. Die Verehrung gilt nur »Göttern«, die zwar als solche deklariert werden, in Wahrheit aber keine sind. Sie sind Konstrukte, deren Macht allein in der Verehrung ihrer Anhänger liegt. Die allerdings ist ernst zu nehmen, denn sie entzieht Gott, was ihm allein zusteht. Wenn Christen also gleichzeitig am Herrenmahl und an heidnischen Kultmahlen teilnehmen, dann provozieren sie die »Eifersucht« Gottes (1Kor 10,22), dem sie in einem ausschließlichen Treueverhältnis angehören. 22 Das Fleisch selbst aber, wenn es außerhalb einer Opfermahlzeit genossen und wenn seine Herkunft nicht thematisiert wird, bleibt völlig harmlos. Entscheidend ist die Zuordnung: »So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, aus dem alles ist und wir auf ihn hin, und einen Kyrios Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn.« (1Kor 8,6). Wenn für seine Gemeinden in der religiösen Vielfalt einer hellenistischen Polis also der Eindruck der Konkurrenz entsteht, dann ist für Paulus von vornherein entschieden: Diese Konkurrenzsituation ist nur eine scheinbare. Nicht nur, dass das letzte Wort Gott gehörte - alle anderen »Götter und Kyrioi« haben überhaupt nur eine geliehene Stimme und spielen lediglich die Rolle, die ihnen menschliche Verehrung zugesteht. So einfach und überzeugend diese Erklärung auch klingen mag: Paulus weiß wohl, dass die Macht gegengöttlicher Kräfte mit rationaler Erkenntnis zwar zu entmythologisieren, nicht aber einfach aus der Welt zu schaffen ist. Dort, wo der ganze undurchschaubare Bereich gegengöttlicher Wirklichkeit noch Bestand hat, geraten auch diejenigen immer wieder in Bedrängnis, die allein auf »den einen Gott, den Vater« und auf »den einen Kyrios Jesus Christus« vertrauen. Es gehört zu den Lebensbedingungen dieser Weltzeit, solchen Spannungen ausgeliefert zu sein. Deshalb thematisiert Paulus im Zusammenhang seines großen Auferstehungskapitels »Paulus weiß wohl, dass die Macht gegengöttlicher Kräfte mit rationaler Erkenntnis zwar zu entmythologisieren, nicht aber einfach aus der Welt zu schaffen ist. Dort, wo der ganze undurchschaubare Bereich gegengöttlicher Wirklichkeit noch Bestand hat, geraten auch diejenigen immer wieder in Bedrängnis, die allein auf ›den einen Gott, den Vater‹ und auf ›den einen Kyrios Jesus Christus‹ vertrauen.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 28 - 3. Korrektur 28 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema (1Kor 15) noch einmal eigens jene Situation, in der alles, was Gott entgegensteht, an sein Ende gelangt. Sie wird nach 1Kor 15,24-27 dann eintreten, wenn der Parusiechristus »die Herrschaft dem übergibt, der Gott und Vater ist, nachdem er beseitigt hat jede Herrschaft und jede Macht und Kraft. Denn er muss herrschen, bis er [sc. Gott] alle Feinde unter seine Füße legt [Ps 110,1]. Als letzter Feind aber wird der Tod beseitigt. Denn alles hat er [sc. Gott] seinen Füßen unterworfen [Ps 8,7].« Mehrere Dinge sind an dieser Perspektive bemerkenswert: Der Tod erscheint nun als der »letzte Feind«, der unlösbar an den Bestand dieser Schöpfung gebunden bleibt und endgültig erst mit dem Beginn einer neuen Weltzeit überwunden werden kann. Seine lebensfeindliche Macht erweist sich als der Kristallisationskern alles »Bösen«, das sich letztlich nur innerhalb der auch ihm gesetzten Grenzen zu entfalten vermag. Mit Tod und Auferweckung Jesu Christi sind diese Grenzen jedoch schon aufgesprengt, und alles Gottfeindliche ist Christus unterworfen. Wer zu Christus gehört, ist damit dem Zugriff des »Bösen« grundsätzlich entzogen - auch wenn er dasselbe noch als einen Teil seiner Alltagswirklichkeit erfährt. Erst im Umbruch der Zeiten, wenn Christus diese seine Herrschaft Gott zurückgibt, wird wieder ausschließlich »Gott alles in allem« sein (1Kor 15,28). 23 Paulus nimmt auf diese Weise den Beginn und das Ende eines unumkehrbaren Prozesses in den Blick. Die stark mythologisch geprägte Sprache von 1Kor 15 bringt dabei jedoch nichts anderes zum Ausdruck als Röm 8,38-39 in die Form eines schlichten Bekenntnisses fasst: »Denn ich bin überzeugt: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, keine Kräfte, weder Höhe noch Tiefe noch irgendein anderes Geschöpf, kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus, unserem Herrn, ist! « Die Macht alles »Bösen« ist in der Liebe Gottes, die sich in Christus zeigt, überwunden. Sein ohnehin schon begrenzter Spielraum hat sich damit weiter verkleinert, bleibt jedoch zeitlich befristet noch bestehen. Deshalb kann Paulus die Überwindung des »Bösen« nun auch ganz direkt zum Thema der Paränese machen. 24 Er setzt voraus, das hinsichtlich der Unterscheidung von »Gut« und »Böse« Konsens besteht. Jedenfalls hält er sich in dieser Hinsicht nicht erst mit langen Definitionen auf. Gegenüber der Gemeinde in Rom mahnt er kurz und bündig an: »Verabscheut das Böse! Haltet fest am Guten! « (12,9); »Gebt niemandem Böses für Böses zurück! Seid auf das Gute bedacht gegenüber allen Menschen! « (12,17); »Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem! « (12,21). Das bedeutet jedoch nicht, dass hier noch immer alles offen wäre. Die Adressaten sollen in ihrem Leben lediglich nachvollziehen und konkretisieren, was Christus grundsätzlich bereits getan hat. Sie stimmen mit ihrem Leben in jenes letzte Wort ein, das Christus gegenüber dem »Bösen« schon gesprochen hat. 3. Bedrohung in der kleinasiatischen Provinz (Offb 4-5.13) Nirgends sonst stellt sich im Neuen Testament das »Böse« so bedrückend real dar wie in der Offenbarung des Johannes. Hier geht es nicht mehr nur um geschickte Verführung oder irritierende Konkurrenz. Der Seher Johannes adressiert sein Schreiben vielmehr an Gemeinden, die einer ganz unmittelbaren Konfrontation mit dem römischen Staat entgegen gehen. Dabei steht ihre physische Existenz auf dem Spiel. Das Martyrium scheint unausweichlich zu sein für diejenigen, die an ihrem Bekenntnis zu Christus festhalten. Das »Böse« erscheint in einer eigenartigen Ambivalenz: Es bedient sich zwar der politischen Strukturen des Imperium Romanum, sprengt aber zugleich jede Dimension politischen Geschehens. Für den Seher lässt sich das Ausmaß dieser Konfrontation deshalb nur in einer mythologischen Symbolsprache umschreiben, die auf eingeführte Bilder zurückgreift und den weiten Horizont eines endzeitlichen Dramas öffnet. Darüber hinaus wird es keinen Fortgang der Geschichte mehr geben. Was der Seher zu sagen hat, mündet zielstrebig in die große Vision eines neuen Himmels und einer neuen Erde ein (Offb 21-22). Über den zeitgeschichtlichen Kontext der Offenbarung des Johannes ist viel diskutiert worden. Die Sendschreiben am Anfang (Offb 2-3) richten sich zunächst an die christlichen Gemeinden des westlichen Kleinasiens, wobei die Siebenzahl schon deren exemplarischen Charakter andeutet. Auf jeden Fall misst der Seher dem, was er niederschreibt, auch über die konkreten Adressaten hinaus Bedeutung für die gesamte Kirche seiner Zeit zu. Die Auseinandersetzung, um die es dabei geht, resultiert ganz offensichtlich aus einem Aufblühen des Kaiserkultes in Kleinasien. Für eine genauere Datierung gibt es verschiedene Möglichkeiten - je nachdem wie man die zahlreichen Anspielungen auf Herrscherpersönlichkeiten oder politische Ereignisse interpretiert. Am weitesten verbreitet ist die Auffassung, dass die Regierung Domitians (91-96 n. Chr.) den zeitlichen Rahmen biete. 25 Neuerdings wird indessen auch wieder verstärkt mit der Zeit Hadrians (117-138 n. Chr.) eine spätere Datierung vorgeschlagen. 26 Unter Domitian erlebt die Selbstverabsolutierung des römischen Kaisers einen ers- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 29 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 29 Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. ten Höhepunkt; ihre Auswirkungen werden besonders in der Provinz Asien spürbar. Hadrian wiederum entwickelt dieses Programm systematisch weiter und sorgt nun auch für eine organisatorische Ordnung des Kaiserkultes. 27 An den Sendschreiben lässt sich ablesen, dass hier nicht nur vage Befürchtungen im Spiele sind. Einige Gemeinden haben bereits die ersten Märtyrer zu beklagen (2,13). Lob und Tadel des Sehers betreffen Standhaftigkeit und Versagen während einer Reihe von Repressalien, die schon erfolgt sind. In Pergamon gibt es den »Thron Satans« (2,13), was ganz offensichtlich eine mit dem Kaiserkult verbundene Tempelanlage meint. 28 Die Bildsprache deutet auf politische Konstellationen in der Gegenwart der Adressaten hin, von denen diese Sprache auch verstanden wird. Unübersehbar und unaufhaltsam zieht eine Bedrohung herauf, die alles bislang Bekannte weit übersteigt. Sie zeichnet sich schon in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit ab und wirft in sporadischen, zeitlich und lokal begrenzten Bedrückungen ihre Schatten voraus. Genau in dieser Phase bringt der Seher seinen Text zu Papier. Er stilisiert ihn als ein Trostschreiben des erhöhten Christus an die Geängsteten und Bedrängten. In erster Linie verfolgt der Seher damit ein pastorales Anliegen. Ihm geht es darum, vor Ausbruch der andrängenden Ereignisse die Gemeinden zu stärken und zu ermutigen. Es ist der römische Staat, von dem die Bedrohung ausgeht. Die einstigen Mahnungen eines Paulus, dass sich die Christen in Rom der staatlichen Macht als einer von Gott eingesetzten Größe unterordnen sollten (Röm 13,1-7), 29 sind durch die geschichtliche Entwicklung überholt. Im Kaiserkult tritt das römische Imperium mit dem unverhohlenen Anspruch göttlicher Souveränität auf. Dieser Anspruch erinnert an die Hybris des Weltherrschers, wie sie schon in verschiedenen alttestamentlichen Texten gebrandmarkt wird (Jes 14,4-21; Ez 28,1-10; Dan 8,9-14). Nun aber präsentiert sich der Staat geradezu als Verkörperung aller gegengöttlichen Mächte. Deshalb ist ihm auch nicht mehr mit einer schlichten politischen Terminologie, sondern nur noch mit mythologischer Bildsprache beizukommen. Ihren dichtesten Ausdruck findet diese Sprache in Offb 12-13. Dort wird von einem Kampf berichtet, der im Himmel beginnt und sich auf der Erde fortsetzt: Ein großer, feuerroter Drache mit sieben Häuptern wird von Michael und seinen Engeln bekämpft und auf die Erde gestürzt; hinsichtlich der Identität dieses Drachens spricht der Seher Klartext, wenn er ihn als »die alte Schlange, genannt Teufel und Satan« bezeichnet (12,9). Es ist der alte Mythos vom Götterkampf und Satanssturz, der hier aufgegriffen wird, um das Ausmaß und die Ursache des nun beginnenden Konfliktes zu umschreiben. Der Drache, auf die Erde verbannt, rekrutiert sich ein neues Gefolge. Dem Meer entsteigt zunächst ein erstes Tier, das von dem Drachen mit Macht und Herrschaft ausgerüstet wird. Ihm gesellt sich ein zweites Tier vom Lande hinzu, das als sein Propagandist auftritt und nun die Völker in die göttliche Verehrung des ersten Tieres einzuweisen beginnt. Es fällt nicht schwer, in diesem Szenario die Parodie eines anderen Vorganges vom Anfang der Offenbarung zu erkennen (Offb 4-5): Dort war das »Lamm«/ Christus von Gott mit Macht und Herrschaft ausgerüstet worden. So wie der Drache als Gegenspieler Gottes agiert, parodiert das Tier aus dem Meer die Rolle des erhöhten Christus. Schwieriger ist die Entsprechung des Tieres vom Land zu bestimmen, dessen Rolle als »Lügenprophet« auf die bewusste Verkehrung urchristlicher Prophetie zu zielen scheint. 30 In der exegetischen Literatur hat man hier gern von einer »satanischen Trinität« gesprochen, 31 was den engen Zusammenhang der drei Figuren und ihren blasphemischen Charakter zum Ausdruck bringt. Auf der Ebene der politischen Symbolik aber lässt sich in dem ersten Tier deutlich der göttlich verehrte Kaiser erkennen, dessen Macht damit als eine vom Satan verliehene Macht gekennzeichnet wird; 32 der Lügenprophet hingegen fungiert als Agitator des Kaiserkultes und sorgt für dessen Durchsetzung in der Provinz. 33 Noch deutlicher spiegelt sich in der großen Stadt, der »Hure Babylon« (Offb 17), Rom als das Machtzentrum des Imperiums wider. Die Christen Kleinasiens befinden sich in dieser Situation in der Defensive. Angesichts der Übermacht des römischen Staates drohen alle Verheißungen des Evangeliums hoffnungslos zu verblassen. Wer das letzte Wort behält, scheint bereits ausgemacht zu sein. Doch genau hier setzt der Seher sein Trostschreiben an. Er verfolgt darin eine doppelte Strategie. Mit den Sendschreiben (Offb 2-3) lässt er den erhöhten Christus selbst das Wort ergreifen und seinen Gemeinden signalisieren, dass ihr Geschick von Gott wahrgenommen wird. Mit den Visionen aber (Offb 4-21) gestattet er ihnen einen Blick hinter die Kulissen, bei dem sich die Proportionen ganz anders als in ihrer täglichen Erfahrung darstellen. Schlüsselfunktion hat in dieser Hinsicht die große Thronsaalvision in 4,1-5,14. 34 Dem Seher öffnet sich der Himmel, so dass er einen Blick in die Welt Gottes zu werfen vermag. Was er sieht, beschreibt er in Bildern, die schon aus den Visionen alttestamentlicher Propheten bekannt sind (Ez 1,3-15; Jes 6,1-13). Zunächst schaut er einen gewaltigen Thron (4,1-11). Die Erscheinung Gottes selbst wird nur angedeutet - wie das Farbenspiel von Edelsteinen wirkt sie auf den Seher, dem dabei jedes Sprachmuster versagt. Deutlicher nimmt er den Hofstaat Gottes wahr, der wie die Entourage eines Großkönigs den Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 30 - 3. Korrektur 30 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema Thronsitz umgibt und dabei einen ununterbrochenen liturgischen Dienst vollzieht. Der Schwerpunkt aber liegt bei der zweiten Szene (5,1-14). In der Hand Gottes befindet sich ein siebenfach versiegeltes Buch, dessen Inhalt offensichtlich den Ablauf der Geschichte betrifft. Das Buch enthält jedoch nicht etwa Orakel, mit deren Hilfe künftige Ereignisse enthüllt werden sollten. Vielmehr hat es die Gestalt einer Urkunde, die ihren Besitzer legitimiert, einen bereits festgelegten Plan zu vollstrecken. Mit dem Lösen seiner Siegel soll die Geschichte in Gang gesetzt werden, und dazu bedarf es eines Akteurs, der über die entsprechende Befähigung verfügt. Der Seher wird nun zum Ohrenzeugen jener Frage, die in der himmlischen Thronwelt erklingt: »Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen (5,2)? « Nach anfänglichem Schweigen, das die Größe der Aufgabe noch einmal unterstreicht, wird daraufhin der auferstandene und erhöhte Christus in der himmlischen Versammlung präsentiert. Er trägt die Würdetitel »Löwe aus dem Stamm Juda und Wurzel Davids« und erscheint als »ein Lamm, wie geschlachtet« (5,5-6). 35 Als er vor den Thron tritt, akklamieren ihn alle Wesen mit den Worten: »Du bist würdig, das Buch zu empfangen und seine Siegel zu öffnen! Denn du wurdest geschlachtet und hast mit deinem Blut [Menschen] für Gott erkauft aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation und hast sie zu Priestern gemacht, und sie werden auf der Erde herrschen (5,9-10)! « Mit dieser Szene werden die Kräfteverhältnisse zurecht gerückt. Christus ist der Herr der Geschichte. Was auch immer geschieht, liegt in seiner Hand. Diese Entscheidung aber hängt nicht von einem künftig erst noch zu bestehenden Konflikt ab, sondern ist längst schon gefallen. Im Bild des Lammes, das den Schächtschnitt sichtbar am Hals trägt, wird der Kreuzestod Jesu als jenes Datum benannt, mit dem das Geschick aller gegengöttlichen Mächte besiegelt worden ist. Dadurch hat sich der »Löwe aus dem Stamm Juda« jene Vollmacht oder »Würde« erworben, die ihn nun zur Vollstreckung des Geschichtsplanes Gottes qualifiziert. Dass es einen solchen Plan gibt und die Geschichte kein Selbstläufer ist, der sich Zufällen und der Willkür wechselnder Machthaber verdankt - davon zeigt sich der Seher wie auch die ganze alttestamentlich-jüdische Überlieferung fest überzeugt. Die Frage ist nur, wen Gott damit beauftragt, die Geschichte ihrem Ziel zuzuführen. Mit der Szene in Offb 5,1-14 wird diese Frage beantwortet. Zugleich eröffnet sie eine neue Perspektive: Diejenigen, die zu Christus gehören, sind bereits in die Herrschaft des Auferstandenen und nun von Gott Beauftragten einbezogen. Wer das letzte Wort behält, muss damit nicht mehr unter Hoffen und Bangen abgewartet werden. Für den Seher und seine Gemeinden gibt es keinen Zweifel: Dieses letzte Wort ist längst gesprochen. Die Bedrohung, die auf sie zukommt, ist nichts anderes als ein vergebliches Anrennen des »Bösen«, ein letztes Aufbäumen der gegengöttlichen Mächte, ein verzweifeltes Ausreizen eines immer kleiner werdenden Spielraumes. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Seher damit beabsichtigte, die Bedrohung klein zu reden oder gar zu bagatellisieren. In der Folge jagt ein Katastrophenszenario das andere, ein Krieg löst den anderen ab, eine Vernichtungswelle rollt über die andere hin. 36 Jene Mächte, die gegen Gott aufbegehren, erhalten immer wieder Raum zur Entfaltung ihrer Gewalttaten; sie werden überwältigt, erneut freigegeben, und wiederum vernichtet. Das »Böse« liegt zwar durchgängig an der Leine, aber diese Leine ist lang und gestattet ihm, sein ganzes Gewaltpotential in immer neuen Anläufen auszuleben. Die »Überwinder«, die in diesen Verfolgungen standhalten, bezahlen dafür immerhin mit ihrem Leben. Das einzig Tröstliche liegt in der Perspektive, dass ihr Tod kein sinnloses Opfer bleibt, bei dem die Gewalt am Ende triumphiert. Sie werden bei Gott aufbewahrt (Offb 6,9) und wieder ins Recht gesetzt. Man kann fragen, ob eine solche Sicht auf die Geschichte tatsächlich zu trösten vermag, wenn sie nicht mit der Distanz vieler Jahrhunderte, sondern unter der Hitze unmittelbarer Lebensgefahr erfolgt. Spätestens die Erfahrungen des 20. Jh.s haben in der Theologie eine grundsätzliche Skepsis an der geläufigen Vorstellung einer »Heilsgeschichte« aufkommen lassen, deren Spuren im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung abzulesen wären. 37 Die Gemeinden der Offenbarung rechnen freilich nicht damit, am Beginn einer 2000-jährigen Kirchengeschichte zu stehen. Sie antworten vielmehr auf die Zusage vom Schluss dieses Trostbuches - »Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald! « - mit dem sehnsuchtsvollen Ruf: »Amen, komm Herr Jesus! « (22,20). 4. Schluss »Wer zuletzt lacht, lacht am besten! « Mit dem Lachen hat es die biblische Überlieferung allerdings sehr viel weniger als der Volksmund. Die Bedrohungen durch das »Im Bild des Lammes, das den Schächtschnitt sichtbar am Hals trägt, wird der Kreuzestod Jesu als jenes Datum benannt, mit dem das Geschick aller gegengöttlichen Mächte besiegelt worden ist.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 31 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 31 Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. »Böse« in seinen vielfältigen Erscheinungsweisen sind nicht eben dazu angetan, von der heiteren Seite genommen zu werden. Das »letzte Wort« ist eine deutlich ernstere Sache. Denn es lässt sich nur im Zusammenhang jenes ersten Wortes vernehmen, das von Gott ausgeht und das in Jesus Christus Mensch geworden ist. Das hat seinen Preis - dafür aber auch Gewicht und Wirkung. »In Christus« ist das »Böse« zwar noch nicht ein für alle Mal zum Schweigen gebracht, und so lange behält auch die Bitte des Vaterunsers um Erlösung »von dem Bösen« ihren guten Sinn. 38 Aber das letzte Wort ist ihm schon entzogen. Das ist auch der Grund, schließlich doch noch ein befreites Lachen anzustimmen! In der Liturgie des Osterfestes hat es seinen angestammten Ort gefunden. Etwa seit dem 14. Jh. verschafft sich der risus paschalis (das Osterlachen) in einigen Regionen der Christenheit regelmäßig Gehör, 39 um die Gläubigen, die aus der Karwoche auftauchen, nun auch ganz unmittelbar und emotional mit der Freude der Osterbotschaft zu erfüllen. Dabei wird schlicht und einfach der Tod ausgelacht, den Paulus in 1Kor 15,26 als den »letzten Feind« bezeichnet hatte. Dieses Osterlachen klingt fortan auch überall dort hinein, wo das »Böse« nach wie vor seine Stimme erhebt. Anmerkungen 1 H. und A. Beyer, Sprichwörterlexikon. Sprichwörter und sprichwörtliche Ausdrücke aus deutschen Sammlungen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Leipzig 5 1989, 340. 2 Einen guten Überblick bietet E. Reinmuth, Art. Böses, www.wibilex.de, 2010; dazu E. Brandenburger, Das Böse. Eine biblisch-theologische Studie (ThSt 132), Zürich 1986. 3 K. Joisten (Hg.), Narrative Ethik. Das Gute und das Böse erzählen (DZPhil Sonderband 17), Berlin 2007. 4 Hier ist in erster Linie die persische Religion zu nennen; im Umfeld der frühen Christenheit tritt seit dem 2. Jh. vor allem die Gnosis mit einer solchen dualistischen Sicht hervor. 5 J. Dupont, Die Versuchung Jesu in der Wüste (SBS 37), Stuttgart 1969. 6 Vgl. M. Hüneburg, Jesus als Wundertäter in der Logienquelle. Ein Beitrag zur Christologie von Q (ABG 4), Leipzig 2001, 91-125. 7 Immer wieder hat man vermutet, dass in dieser kurzen Notiz schon eine Vorwegnahme des »eschatologischen Tierfriedens« (Jes 11,6-8; 65,25) angedeutet werden soll. 8 Vgl. W. Foerster/ G. von Rad, Art. diaballō, diabolos, ThWNT 2, 1935, 69-80. 9 Das Verb peirazō meint hier so viel wie »prüfen, auf die Probe stellen«; als »Prüfung« versteht bereits Dtn 8,2 den Wüstenaufenthalt Israels. 10 Unmittelbar zuvor war Jesus in der Taufszene von einer Himmelsstimme als »Sohn« proklamiert worden (Mt 3,17/ Lk 3,22), was es nun zu bewähren gilt. 11 H. Ganser-Kerperin, Das Zeugnis des Tempels. Studien zur Bedeutung des Tempelmotivs im lukanischen Doppelwerk (NTA 36), Münster 2000. 12 Den Prozess Jesu gestaltet Lukas als korrektes römisches Akkusationsverfahren; in der Apg bemüht er sich immer wieder, das Wohlwollen gerade der römischen Behörden gegenüber der christlichen Verkündigung darzustellen. 13 Chr. Kähler, Satanischer Schriftgebrauch. Zur Hermeneutik von Mt 4,1-11/ Lk 4,1-13, ThLZ 119 (1994), 857-868. 14 D. Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief. Studien zur religiösen Propaganda in der Spätantike (WMANT 11), Neukirchen-Vluyn 1964; engl. The Opponents of Paul in second Corinthians, Edinburgh 1987. 15 Vgl. P. Arzt, »Diener Satans« und »Feinde des Kreuzes«. Zur Funktion von Gegnerdiffamierungen im 2. Korinther- und im Philipperbrief, in: A. Buschmann (Hg.), Jahrbuch der Universität Salzburg 1987-1989, München/ Salzburg 1991, 75-86. 16 Hier besteht das grundsätzliche methodische Problem, dass wir die Positionen jener ganz verschiedenen »Irrlehrer«, gegen die in den Briefen des Neuen Testaments polemisiert wird, immer nur aus ihrer jeweiligen Zurückweisung und nicht aus authentischen Selbstzeugnissen kennen; vgl. dazu K. Berger, Die impliziten Gegner. Zur Methode der Erschließung von »Gegnern« in neutestamentlichen Texten, in: D. Lührmann (Hg.), Kirche. FS G. Bornkamm, Tübingen 1980, 373-400. 17 So werden etwa die »Götter/ Götzen« im Umfeld Israels von der LXX in Ps 95,5 mit dem Begriff »Dämonen« übersetzt; vgl. zum Ganzen P. Lampe, Die dämonologischen Implikationen von I Korinther 8 und 10 vor dem Hintergrund paganer Zeugnisse, in: H. Lichtenberger/ A. Lange/ K. F. D. Römheld (Hgg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003. 18 Pausanias. Beschreibung Griechenlands, Auswahl und Übersetzung von J. Laager, Zürich 1998, II 2,3-11,2. 19 Vgl. anschaulich D. Zeller, So wahr mir Hercules helfe! Die griechisch-römischen Götter und ihre Gläubigen am Beispiel von Korinth, WuB 25 (2002), 5-13. 20 Vgl. dazu grundlegend W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 2: 1Kor 6,12-11,16 (EKK VII/ 2), Solothurn und Düsseldorf/ Neukirchen-Vluyn 1995. 21 Vgl. J. Woyke, Götter, »Götzen«, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen »Theologie der Religionen« (BZNW 132), Berlin/ New York 2005. 22 Zum Hintergrund vgl. W. Berg, Die Eifersucht Gottes - ein problematischer Zug des alttestamentlichen Gottesbildes? , BZ 23 (1979), 197-211. 23 T. Jantsch, »Gott alles in allem« (1Kor 15,28). Studien zum Gottesverständnis des Paulus im 1. Thessalonicherbrief und in der korinthischen Korrespondenz (WMANT 129), Neukirchen-Vluyn 2011. 24 K. Berger, Das Böse als Thema biblisch-neutestamentlicher Ethik, in: ders., Das Böse und die Sprachlosigkeit der Theologie, Regensburg 2007, 9-33. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 32 - 3. Korrektur 32 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema 25 So die Mehrheitsmeinung, exemplarisch etwa bei M.- Ebner/ S. Schreiber (Hgg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2009, 569-570. 26 Th. Witulski, Die Johannesoffenbarung und Kaiser Hadrian. Studien zur Datierung der neutestamentlichen Apokalypse (FRLANT 221), Göttingen 2007. 27 Vgl. ausführlich Th. Witulski, Kaiserkult in Kleinasien. Die Entwicklung der kultisch-religiösen Kaiserverehrung in der römischen Provinz Asia von Augustus bis Antonius Pius (NTOA 63), Fribourg/ Göttingen 2007. 28 Vgl. ausführlich Witulski, Johannesoffenbarung, 250- 278. 29 S. Krauter, Studien zu Röm 13,1-7. Paulus und der politische Diskurs der neronischen Zeit (WUNT 243), Tübingen 2009. 30 Prophetie lebt in der frühen Christenheit von neuem auf, wie etwa die Gemeindesituation in Korinth zeigt; damit aber macht sich erneut auch die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Prophetie notwendig. 31 Der Ausdruck stammt von J. H. Jung-Stilling; vgl. J. Roloff, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18), Zürich 1984, 139. 32 Einen solchen Zusammenhang stellt ansonsten nur noch Lk 4,6 her (s. oben). 33 Witulski, Johannesoffenbarung, 219-237, der das erste Tier auf Kaiser Hadrian deutet, erkennt in dem zweiten Tier den Sophisten Antonius Polemon (88-145) aus Laodizäa, der unter Hadrian eine maßgebliche Rolle bei der Etablierung des Kaiserkultes in der Asia spielte. Andere Ausleger sehen hier eine kollektive Größe, die ganz allgemein auf die Priesterschaft an den staatlichen Heiligtümern zu beziehen ist. 34 Vgl. grundlegend U. B. Müller, Die Offenbarung des Johannes (ÖTK 19), Gütersloh/ Würzburg 2 1995. 35 M. Hasitschka, »Überwunden hat der Löwe aus dem Stamm Juda« (Offb 5,5). Funktion und Herkunft des Bildes vom Lamm in der Offenbarung des Johannes, ZKTh 116 (1994), 487-493. 36 Dabei machen gerade die Reihen von Siebener-Visionen deutlich, dass hier keine lineare, chronologisch fortlaufende Schilderung vorliegt, sondern eher eine zyklische, entfaltende, intensivierende Art der Darstellung. 37 E. Reinmuth, Neutestamentliche Historik. Probleme und Perspektiven (ThLZ.F 8), Leipzig 2003. 38 Vgl. zu diesem Zusammenhang O. Bayer, Wann endlich hat das Böse ein Ende? , in: F. Hermanni/ P. Koslowski (Hgg.), Die Wirklichkeit des Bösen. Systematisch-theologische und philosophische Annäherungen, München 1998, 149-156. 39 Fluck, Der risus paschalis. Ein Beitrag zur religiösen Volkskunde, ARW 31 (1934), 189-212.