eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 15/30

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2012
1530 Dronsch Strecker Vogel

Screening Salome

2012
Reinhold Zwick
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 33 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 33 Für Marie-Theres Wacker zum sechzigsten Geburtstag Die erotische Fantasie findet im Neuen Testament wenig, woran sie sich entzünden könnte. Populär und bildproduktiv geworden ist zum einen die Chiffre der »Hure Babylon« (Offb 17,1-6), deren als Inbegriff des Sündhaften bekannte Herkunftsbezeichnung auch als beliebter Name für Saunaclubs und andere einschlägige Etablissements Karriere gemacht hat. Mit Kenneth Angers unter dem Titel »Hollywood Babylon« erschienener Chronique scandaleuse der amerikanischen Filmmetropole 2 wurde die Hure der Apokalypse auch zu einer emblematischen Figur für die Abgründe der Filmindustrie, unbeschadet, dass sich unabhängig davon der Name »Babylon« auch als Name von Filmtheatern einiger Beliebtheit erfreut, wahrscheinlich in einer offensiven, selbstbewussten Umwertung des alten Vorwurfs vom Kino als Hort der Sünde. 1. Drei Quellgründe erotischer Imagination im Neuen Testament Das »ausschweifende Leben« des verlorenen Sohns Der Auftritt der apokalyptischen »Hure Babylon« verbindet sich allerdings nicht mit einem reizvollen Erzählkern, der die erotische Fantasie zu Expansion und Amplifikation hätte stimulieren können. Das ist anders im Falle von zwei anderen neutestamentlichen Figuren und einer weiteren markanten Leerstelle in den Evangelienerzählungen. Bei besagter Leerstelle handelt es sich um das »zügellose« und verschwenderische Leben des verlorenen Sohns in der Ferne (vgl. Lk 15,13), das nicht nur in der Malerei, vorab der holländischen, eine sehr beliebte, in sittenstrengen Zeiten quasi biblisch legitimierte Vorlage für Bilder der Ausschweifung war, in denen dann die Geldverschwendung in der Spur des Verdachts des älteren der beiden Söhne (vgl. Lk 15,30) bevorzugt im Freudenhaus angesiedelt wurde. Nach diesem Muster ließen später auch verschiedene Filme, die die Gleichniserzählung auf Spielfilmlänge erweiterten, den jüngeren Sohn sein Vermögen in den Armen schöner Frauen durchbringen, wie etwa in der aufwändigen amerikanischen Produktion »The Prodigal« (USA 1955, Regie: Richard Thorpe), wo Lana Turner, eine der »Sexgöttinnen« des damaligen Kinos, in der Rolle der Tempelprostituierten Samarra in Damaskus, in deren Netzen sich der lukanische Tor verstrickt, die Zuschauer anlocken sollte. Maria Magdalena Die erste der beiden Handlungsfiguren, die zum Nukleus 1 erotischer Imagination, Dramatisierung und Inszenierung wurden, ist Maria Magdalena, wohlgemerkt nicht die historische Jüngerin und erste Auferstehungszeugin aus Magdala, sondern die mit ihr aus verschiedenen weiteren Frauengestalten (vorab der namenlosen Sünderin von Lk 7,36-50 und der Ehebrecherin von Joh 8,2-11) amalgamierte Kunstfigur, die bis heute die erotische Einbildungskraft befeuert. Im Kino wurde sie immer mit schönen, mit Rollen von sinnlichen Verführerinnen bekannt gewordenen Darstellerinnen besetzt, angefangen mit dem Stummfilm- Vamp Asta Nielsen, die in Robert Wienes »I. N. R.I.« (Deutschland 1923) Magdalena geben durfte, bis hin zu einem ansonsten so erosfernen Film wie Mel Gibsons »The Passion of the Christ« (USA 2004), wo die selbst in ihrem nonnenhaften Kostüm sinnlich wirkende Monica Bellucci Jesu Passion mitleidet. Legion sind inzwischen die Liebesromane zwischen Jesus und Magdalena. Sie gründen in der erotisch aufgeladenen Salbung von Jesu Füßen durch die später mit der prominentesten Jüngerin identifizierte ›stadtbekannte Sünderin‹ von Lk 7,36-50. In einer skandalös öffentlichen intimen Handlung reibt sie Jesu Füße nicht nur mit Öl ein, sondern benetzt diese auch mit ihren Tränen, trocknet sie mit ihrem Haar und küsst sie, und das nicht etwa nur flüchtig, sondern innig und ausdauernd, so dass Jesus gegen Ende des sich an diesen Aktionen entzündenden Disputs mit seinem Gastgeber Simon dessen Verweigerung eines Begrüßungskusses mit dem Tun der Frau Reinhold Zwick Screening Salome Kino-Lektionen in Macht und Begehren Zum Thema »Wenn Sie eine Sexgeschichte im biblischen Gewand haben, dann können Sie Ihre eigenen Geldscheine drucken.« (Darryl Zanuck, Filmproduzent) Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 34 - 4. Korrektur 34 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema kontrastiert: »Sie hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst.« (Lk 7,45; Herv. R. Z.) Salome Die andere der beiden Handlungsfiguren ist die im Neuen Testament selbst namenlose, auf dem Umweg über Flavius Josephus (vgl. Antiquitates 18,136 f.) allenthalben als »Salome« bekannte junge Frau, die mit ihrem Tanz vor der versammelten Geburtstagsgesellschaft ihren Stiefvater und Onkel Herodes Antipas derart bezaubert, dass er schwört, ihr zum Dank dafür sogar die Hälfte seines Reiches zu geben, wenn sie es wolle. 3 Doch die Tänzerin hat bekanntlich keine materiellen Forderungen, sondern verlangt auf Betreiben ihrer Mutter Herodias den Kopf des eingekerkerten Täufers. Denn dieser war nicht müde geworden, das in seinen Augen ehebrecherische Verhältnis von Antipas und Herodias zu geißeln. Gleichwohl pflegte der König sich häufig mit dem Gefangenen zu unterreden, »hörte ihm gern zu« und begegnete ihm mit Achtung und Furcht, »weil er wusste, dass dieser ein gerechter und heiliger Mann war« (Mk 6,20). Doch versklavt unter seinem Eid muss der König, um nicht vor seinen Gästen das Gesicht zu verlieren, den blutigen Tanzlohn gewähren.-- Was für ein Stoff, was für ein Sujet! Es ist kein Wunder, dass diese vom klassischen Zwiegespann von Eros und Thanatos überwölbte Konstellation aus Ehebruch, Macht, Intrige, Femme fatale und tragischer Verstrickung über die Jahrhunderte hin und bis heute die Erzähler und Maler mit Feder, Pinsel und Kamera zu immer neuen kreativen Ausgestaltungen reizen musste. Befeuert wurde dies sicher zum einen dadurch, dass die Geschichte in diesem Fall für beide männlichen Hauptfiguren Herodes und Johannes tragisch endet, und zum anderen, dass die bei Markus (6,17-29) und Matthäus (14,3-12) mit nur leichten Varianten erzählte biblische Erzählfolge einmal mehr hinreichend viele Unbestimmtheits- und Leerstellen enthält, dass sich weite Räume für szenische und motivationale Konkretisierungen und Variationen auftun. Diese Räume waren für die verschiedensten Künste derart einladend, dass heute gleichermaßen Literatur-, Theater-, Kunst-, Musik- und Filmwissenschaften aufgerufen sind, das weite Feld der durch die biblische Erzählung angestoßenen künstlerischen Bearbeitungen und Fortschreibungen zu vermessen. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im Fin de Siècle kam es zu einem wahren Boom an Salome-Bearbeitungen, und gab es keine andere »christlich-mythologische Frauengestalt, die in Kunst, Literatur und Musik die Zeitgenossen so faszinierte wie Salome. Sie galt speziell in der Literatur der französischen Décadence wahlweise als Inkarnation weiblicher Grausamkeit, aber auch als Modell der Kindfrau und Verkörperung idealer Schönheit und purer Erotik.« 4 Nachdem für die Literatur- und Kunstgeschichte neben umfangreichen Untersuchungen und Sammelwerken 5 auch etliche prägnante Überblicke vorgelegt worden sind, 6 konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen auf den Film als das Leitmedium zumindest des 20. Jahrhunderts, das ältere Bild- und Erzähltraditionen wie Roman, Schauspiel und Oper einschmolz, in unserem Fall insbesondere den sehr einflussreichen Einakter »Salome« (1891) von Oscar Wilde und die darauf aufbauende Oper »Salome« (1905) von Richard Strauß. Just zu jener Zeit, da die Salome- Rezeption in ihrem Zenit stand und die Tochter der Herodias zur »Ikone der Jahrhundertwende« 7 geworden war, wurde der Kinematograph erfunden; und bereits 1902, nur fünf Jahre nach den ersten öffentlichen Kinovorstellungen überhaupt, tanzte Salome erstmals in einem gleichnamigen Leinwandstreifen unter der Regie des deutschen Filmpioniers Oskar Messter 8 , und sehr viele sollten ihr folgen. Mit seinem großen synästhetischen Potential, das aus dem Zusammenspiel von Prof. Dr. Reinhold Zwick, geb. 1954 in Vohenstrauß/ Oberpfalz, Studium der Katholischen Theologie und Germanistik in Regensburg; ebenda langjähriger Assistent am Lehrstuhl für Biblische Theologie (Einleitungswissenschaft); 1988 Promotion und 1997 Habilitation (beides in Regensburg). Von 1996-2001 Professor für »Alt- und Neutestamentliche Exegese« an der Kath. Fachhochschule Freiburg; seither Professor für »Biblische Theologie und ihre Didaktik« an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Wirkungsgeschichte der Bibel, Theologie und Film, narrative und rezeptionsästhetische Methoden der Exegese.-- Zahlreiche Publikationen, insbesondere zum Bereich »Theologie und Film«. Reinhold Zwick Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 35 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 35 Reinhold Zwick Screening Salome Kamera, Licht, Musik, Kostümen und Schnitt resultiert, wurde der Film neben der Bühne zum nachgerade idealen Medium, um den Tanz der Königstochter in jener Eindrucksstärke zu präsentieren, an der sich viele Generationen von Malern und Literaten oft erfolglos abgearbeitet hatten 9 oder klugerweise das Feld ganz für die Imagination freigaben, wie Oscar Wilde, der nur lapidar in einer Regieanweisung bemerkt: »(Salome tanzt den Tanz der sieben Schleier.)« 10 2. William Dieterles »Salome« (1953) als filmischer Midrasch zu Mk 6,14-29 Die bis heute bekannteste und erfolgreichste filmische Entfaltung der Salome-Episode ist die 1953 uraufgeführte Hollywood-Produktion »Salome«. Aufwändig in Israel in Szene gesetzt unter der Regie des deutschstämmigen William (Wilhelm) Dieterle war diese »Salome« einer der größten Kinoerfolge der 1950er Jahre. Die Titelrolle spielte die damals bereits 34-jährige Leinwandschönheit Rita Hayworth, die in den 40er Jahren mit Filmen wie »Cover Girl« (1944) und »Gilda« (1946) zum Kassenmagnet geworden war, in Filmen also, in denen sie immer wieder mit Tanzszenen brillieren und sich so für die Rolle der Salome empfehlen konnte. Ihr zur Seite agierten als prominenter männlicher Charakterdarsteller Charles Laughton als ihr Stiefvater und Stewart Granger als in sie verliebter römischer Tribun Claudius. Der Film fiel seinerzeit zwar nicht an den Kassen, aber so doch allenthalben bei der Kritik durch und hat bis heute in der Filmgeschichtsschreibung keine gute Reputation. Lapidar meinte beispielsweise der katholische »film-dienst«: »Künstlerisch unterdurchschnittlicher Monumentalfilm, der biblische Motive und Figuren nach Belieben zu einer erfundenen, auf Dauer ermüdenden Geschichte zusammenwürfelt.« 11 Dennoch ist Dieterles »Salome« in verschiedener Hinsicht sehr interessant: Zum einen als Medium der in den 50er Jahren sehr gerne im Genre der damals überaus erfolgreichen ›Biblical Epics‹ geführten Selbstverständigung Amerikas über seine tragenden Werte, seien es ethische Maximen, ideologisch-politische Positionierungen oder auch Fragen von Gender und Sexualität. 12 Zum anderen, und dieser Aspekt soll hier zuvorderst interessieren, ist »Salome« bemerkenswert als Expansion der neutestamentlichen Episode vom Tod des Täufers - als eine Art moderner haggadischer Midrasch, verstanden als Ausmalung und Ausfaltung einer kanonischen Erzählung, die diese fortschreibt und ihre Leerstellen kreativ füllt. In unserem Fall sind es insbesondere zwei markante Leerstellen bzw. bei Markus und Matthäus nicht hinreichend motivierte Erzählmomente, die die Filmstory bearbeitet und über diese Bearbeitung die Wahrnehmung dieser Leerstellen nochmals anschärft: Dies ist zum einen die Frage, (1) weshalb Herodes Antipas den Störenfried Johannes so sehr fürchtet, dass er ihn nicht beseitigt; und zum anderen die Frage, (2) wie es angehen mag, dass ein einziger Tanz den Tetrachen derart beeindrucken kann, dass er wie von Sinnen gleich die Hälfte seines Reiches zum Dank dafür anbietet? Dem eng verbunden, aber nachgeordnet, ist die Frage, wieso überhaupt die Tochter der Königin vor der Festgesellschaft tanzt und sich damit exponiert, und nicht statt ihrer irgendeine Sklavin, für die eine solche erotisch getönte Darbietung ›standesgemäßer‹ wäre? Das ist eine weitere Leerstelle in den Evangelien, die zumeist in einem Rückschlussverfahren von der nach dem Tanz durch die Mutter soufflierte Bitte um das Haupt des Täufers mit einer dem Tanz vorgängigen Strategie der Herodias gefüllt wird. Die Antworten, die der Film auf diese beiden Fragen entwickelt, sollen im Anschluss an eine Inhaltssynopse reflektiert werden. Worum geht es in »Salome«, wie erzählt Dieterles Midrasch die Geschichte? Zur Zeit der Regierung des Kaisers Tiberius werden Pontius Pilatus und der mit Judäa vertraute Tribun Claudius, sein alter Kampfgefährte und Freund, nach Judäa entsandt, um dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Galeere, auf der sie sich einschiffen, hat noch einen weiteren prominenten Fahrgast: die jüdische Prinzessin Salome. Sie hat seit ihrer Kindheit lange Jahre in Rom gelebt, wird nunmehr aber vom Kaiser zur Rückkehr in ihre Heimat gezwungen, um eine Verehelichung des Senators Marcellus mit ihr, der »Barbarin«, ein für alle Mal zu unterbinden. Bereits während der Überfahrt bahnt sich aber eine neue jüdisch-römische Liebesbeziehung an: zwischen Salome und Claudius. Da Claudius ein heimlicher Anhänger des Täufers ist, sucht er ihn zu schützen, als dieser das Königshaus und insbesondere Herodias mit seinen Anklagen, die beim Volk auf große Resonanz stoßen, zunehmend in Bedrängnis bringt. Herodes, ein alternder Lüstling, ist fasziniert von der Schönheit und Jugend Salomes und trachtet immer unverhohlener, sie mit Schmeicheleien und kostbaren Geschenken zu »Salome« [ist] bemerkenswert als Expansion der neutestamentlichen Episode vom Tod des Täufers - als eine Art moderner haggadischer Midrasch, verstanden als Ausmalung und Ausfaltung einer kanonischen Erzählung, die diese fortschreibt und ihre Leerstellen kreativ füllt.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 36 - 4. Korrektur 36 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema einer intimen Begegnung zu bewegen. Doch Salome durchschaut ihn und weicht ihm aus. Stattdessen interessiert sie sich für den Täufer, aber nicht für ihn als Mann-- denn in dieser Hinsicht hat Claudius schon ihr Herz erobert--, sondern als religiös-moralische Autorität. Sie war dem predigenden Täufer bei ihrer Anreise nach Jerusalem begegnet und hatte in ihrem Nachtlager in der Nähe der Taufstelle fasziniert den Gesängen der Täuferjünger gelauscht. Schließlich beginnt der Täufer zur großen Empörung besonders der Königin in Jerusalem zu predigen und klagt das Königshaus heftig an: »Die Sünde sitzt auf dem Thron! Herodes vergisst das Volk über Weibern und Orgien. Herodias lebt in sündhafter Verschwendung, ohne Herz für die Not und Bedrängnis des Volkes.« Salome war verkleidet auf den Marktplatz gekommen, um den Täufer zu hören, wird aber von ihm erkannt als sie sich über seine Schimpfreden über die »Verworfenheit« ihrer Mutter ereifert. Verbittert fordert Salome Claudius auf, den Täufer gefangen zu nehmen, doch dies hatte bereits Herodias veranlasst, nachdem ein von ihr initiiertes Attentat auf den Propheten fehlgeschlagen war.-- Antipas wird durch seinen religiösen Berater Esra gewarnt, den Täufer hinrichten zu lassen, und auch Claudius setzt sich Salome gegenüber für den Gefangenen ein. Die Dinge spitzen sich zu, als das Begehren des Herodes nach seiner Stieftochter immer höher lodert und er allmählich doch erwägt, den Täufer zu töten, um für sich und seine Stieftochter-- nicht für Herodias! -- den Thron zu retten. Das Blatt wendet sich auf zweifache Weise: Zum einen bricht Salome mit ihrer Mutter, als diese vorschlägt, vor Herodes zu tanzen und als Lohn den Kopf des Täufers zu fordern, wohl wissend und es der Tochter auf ihre Frage ins Gesicht bejahend, dass ein solcher Tanz bedeutet, dass die Tänzerin dem König »zu Willen sein muss«. Zum anderen bekennt Claudius Salome, ein Anhänger des Täufers und auch Jesu von Nazareth zu sein, wobei letzterer zur gleichen Zeit am Rande des Geschehens immer größeren Zulauf erhält. Nach einem gemeinsamen Besuch im Kerker tut Salome, tief beeindruckt vom Täufer, Buße und kehrt um. Sie erinnert sich an den Plan der Mutter, wendet diesen aber ins Gegenteil: Sie will vor ihrem Stiefvater tanzen, um die Freilassung des Täufers zu erwirken. Doch noch während ihres Tanzes kommt ihr Herodias zuvor und erbittet vom erostrunkenen König das Haupt des Täufers. Die Bitte wird gewährt, die Hinrichtung sogleich vollstreckt und am Ende ihres Tanzes bekommt die entsetzte Salome die makabre Schale präsentiert. Das Finale zeigt Salome und Claudius unter den Zuhörern der Bergpredigt und die Zuschauer werden mit dem Schlusstitel »This was the Beginning« entlassen. Selbst diese recht ausführliche Inhaltsangabe kann noch nicht hinreichend deutlich machen, wie der Film mit den Leerstellen seiner schmalen biblischen Textvorlage umgeht und die beiden zuvor genannten großen Fragen beantwortet. Hierzu müssen wir punktuell noch genauer hinsehen. Zunächst zur Frage (1): weshalb Herodes Johannes so sehr fürchtet, dass er ihn nicht beseitigt? Die vom Film entwickelte Antwort knüpft an Mk 6,14- 16 an: an Herodes’ beharrliche, etwas manische, und insofern auf einen starken Gewissensdruck weisende Identifizierung Jesu mit dem s. E. auferstandenen Täufer. Diese Identifizierung verbindet der Film mit der »De mortibus persecutorum«-Tradition, also dem in 2 Makk 9 grundgelegten, später besonders mit Laktanz verbundenen Genre der Imagination schrecklicher Tode für die Verfolger der Gerechten. Weil er Johannes für den Erlöser hält, den schon sein Vater (nach Mt 2) erfolglos zu töten versucht hatte, fürchtet Antipas expressis verbis eines ebenso »qualvollen Todes« zu sterben wie-- jedenfalls dem Drehbuch nach-- sein Vater, wenn er Johannes hinrichten lässt. Erst alkoholisiert und im Rausch der Sinne beim Tanz Salomes, also quasi besinnungslos, stimmt er der Enthauptung zu. Zur Beantwortung der Frage (2), wie es angehen mag, dass ein einziger Tanz den Tetrachen derart beeindruckt, dass er die Hälfte seines Reiches zum Dank dafür anbietet, entwickelt Dieterles »Salome« ein vergleichsweise komplexes Netzwerk von Motivationen. Da wird zunächst Antipas grundständig als Erotomane exponiert, der beispielsweise von Claudius detailliert erotische Abenteuer in Rom geschildert bekommen möchte und von dem Herodias, als ihr Plan mit dem Tanz Salomes reift, verächtlich sagt: »Wie allen alten Männern erscheint ihm Jugend begehrenswert.« Als Herodias deshalb meint, sie könne Salome für »unsere Zwecke« nutzen, dann bezieht sich dieses »unsere« auf sie und ihren Liebhaber aus den Reihen der Tempelaristokratie, mit dem sie ihre Ränke schmiedet. Das Königspaar hat sich entfremdet, und der König hat Herodias schon jahrelang nicht mehr in ihren Gemächern besucht. So kommt es nicht überraschend, dass Herodes seine Stieftochter begehrt, als diese-- nach jahrelanger Abwesenheit und in der Ferne zu einer wahren Schönheit gereift-- wie eine erotische ›Offenbarung‹ am Hof erscheint. Salomes fiktive Adoleszenz in Rom und die plötzliche Rückkehr als begehrenswerte, gewissermaßen ›fremde‹ Schönheit motivieren das Begehren des Königs ungleich stärker als die Vorstellung, Salome wäre von Kindheit an in seiner Nähe aufgewachsen. Dass ihr Herodes für ihren Tanz das halbe Königreich verspricht, ist dann zum einen die Frucht eines Begehrens, das sich immer weiter, immer ›wahnsinniger‹ aufgeschaukelt hat und in der Aussicht, die Tänzerin müsse ihm anschließend »zu Willen sein«, kulminiert-- und Charles Laughton ist der ideale Darsteller, um diesem Wahnsinn Ausdruck zu verleihen. Zum anderen-- und das ist die interessantere Variante, die das Drehbuch diesem Setting von »Sex und Macht« hinzufügt-- plant Herodes, sich von Herodias zu trennen und den Thron mit der Stieftochter zu teilen. Insofern wäre das Angebot des halben Königreichs implizit ein Anhalten um die Hand Salomes und eine Verstoßung ihrer ihm schon lange Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 37 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 37 Reinhold Zwick Screening Salome fremd gewordenen Mutter. 13 Ob den Drehbuchautoren bei der Entwicklung dieses Motivationszusammenhangs bekannt war, dass die historische Salome tatsächlich in erster Ehe mit einem Sohn von Herodes dem Großen verheirat war, allerdings nicht mit Antipas (ca. 20 v. - 39 n. Chr.), sondern dem nur wenig jüngeren Tetrachen Philippus (ca. 24 v. - 34 n. Chr.), konnte nicht verifiziert werden, wäre aber ein möglicher Quellgrund für diese Idee. Die Drehbuchautoren haben sich aber, wie bereits die Inhaltssynopse zu erkennen gab, noch mehr einfallen lassen, um dem Grundproblem eines jeden Bibelfilms zu kontern: dem Problem, dass die Story und ihr Ausgang eigentlich von vorneherein bekannt sind und sich darüber kaum das Zuschauerinteresse gewinnen lässt. Viele ›Biblical Epics‹ setzen deshalb auf die Schauwerte des Monumentalen oder suchen durch neue Figuren und Handlungsstränge Aufmerksamkeit zu schaffen. Das gilt auch für »Salome«, der seine prachtvollen Settings in leuchtendem Technicolor inszeniert und die Figur des Claudius erfindet, um eine neue Liebesgeschichte etablieren zu können. Diese durchkreuzt die durch Oscar Wildes wirkmächtiges Stück gespurte Zuschauererwartung hinsichtlich einer tödlich endenden ›amour fou‹-Konstellation zwischen Salome und dem Täufer. Obgleich das Filmplakat mit einer aufreizend gewandeten bzw. im finalen Schleiertanzkostüm (teil-)enthüllten Salome ›lockt‹, folgt der Film doch aufs Ganze einer Strategie, die man nach dem Titel eines Buches des Moraltheologen Martin Lintner benennen könnte mit »Den Eros entgiften! « 14 . In der auch um moralischen Wiederaufbau bemühten Restaurationszeit der 50er Jahre wird Salome den Zuschauern zwar als sehr schöne, erotisch attraktive Frau vorgestellt, die mit ihren Reizen nicht (übermäßig) sparsam umgeht. Ihr Sex ist aber doch sehr gezähmt und weit abgerückt von dem der morbiden »Femme fatale« eines Oscar Wilde. Die »Salome« von Rita Hayworth ist keine männermordende schwarzhaarig-sinnliche Versucherin, wie in fast allen anderen Salome-Filmen, sondern wirkt mit ihrem stets sorgfältig frisierten Blondhaar und ihren nie unanständigen Blößen eher wie eine erotisierte Variante des im Kino besonders durch Doris Day verkörperten Typs der amerikanischen ›Sauberfrau‹. Wo die dunkelhaarige Herodias ihre Tochter gleichsam ›verkaufen‹ und Sex als tödliche Waffe einsetzen will, da will Salome den Eros zum Mittel für einen guten Zweck umfunktionieren. Unter dem Vorzeichen des Guten hofft sie dann wohl zugleich-- auch wenn dies nicht explizit gesagt wird--, der königlichen Verfügungsgewalt zu entgehen. Entsprechend ›gebändigt‹ ist dann auch ihr Schleiertanz 15 : Mit seinem lieblichen Spiel bunter Tücher und maßvoll lasziven Bewegungen brauchte dieser Striptease nicht um die Jugendfreigabe zu fürchten und war hierzulande in den prüden fünfziger Jahren schon »ab 12« freigegeben. Kurzum: Salome wurde identifikationsfähig für die Frauen der ›moral majority‹ und auch deren Ehemänner konnten die durch ihre edle Liebe zum frommen Claudius und ihre Bekehrung zu Jesus geadelte Leinwandschönheit mit Wohlgefallen ansehen, ohne befürchten zu müssen, sie könne in ihren Gattinnen eine Sehnsucht nach einer entgrenzenden ›amour fou‹ entfachen. 3. Salome-Filme im Sog von Oscar Wilde 3.1 Ein Blick zurück … Wiederholt war schon die Rede von Oscar Wildes »Salome« aus dem Jahre 1891, die erst 1896 in Paris uraufgeführt wurde, kurz nachdem dort die Gebrüder Lumière im »Grand Café« am Boulevard des Capucines ihre erste öffentliche Filmvorstellung gegeben hatten. Wie Literatur, Malerei und Musiktheater beeinflusste Wildes Drama von Anfang an und bis heute sowohl inhaltlich wie ästhetisch auch die allermeisten Salome-Filme, insbesondere jene, die die biblische Episode nicht nur im Rahmen eines Jesusfilms abhandeln wollten, sondern auf abendfüllendes Format expandierten. Wildes Strahlkraft ist selbst in William Dieterles Hollywood-Bearbeitung spürbar, obwohl sie sich in vielem so deutlich von dessen Plot und schwüler fin de siècle-Dekadenz entfernt, ja Wilde geradezu auf den Kopf stellt. Die von Rita Hayworth vorgestellte Salome ist in ihrer Anlage weit entfernt von der Raffinesse und Lüsternheit der tödlichen Femme fatale Wildes, so weit, dass sie schließlich ›morally correct‹ zur Rettung des von ihr niemals sexuell begehrten Täufers tanzen kann, um sich am Ende zur Jesusnachfolge zu bekehren, statt wie Wildes lasterhafte Protagonistin von den Schilden »Die ›Salome‹ von Rita Hayworth ist keine männermordende schwarzhaarig-sinnliche Versucherin, wie in fast allen anderen Salome-Filmen, sondern wirkt mit ihrem stets sorgfältig frisierten Blondhaar und ihren nie unanständigen Blößen eher wie eine erotisierte Variante des im Kino besonders durch Doris Day verkörperten Typs der amerikanischen ›Sauberfrau‹.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 38 - 4. Korrektur 38 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema der Soldaten des Herodes zermalmt zu werden. Doch selbst bei Dieterle finden sich etliche motivliche Verbindungen zu Wilde, so etwa, um nur einige zu benennen: der kalt-berechnende Pragmatismus der Herodias, ihr distanziertes, ja feindseliges Verhältnis zu Herodes, des Königs Furcht vor dem Täufer-- schon bei Wilde mit einer Beimengung der »De mortibus persecutorum«- Tradition (vgl. u. a. 16.37)-- bei gleichzeitig ausschweifenden, übersättigtem Lebenswandel, und vor allem das sich immer weiter aufschaukelnde Begehren des Tetrarchen nach seiner Stieftochter, bis dahin, dass er ihr kaum verhüllt die Möglichkeit in Aussicht stellt, ihre Mutter als Königin zu beerben (vgl. 28.39). Dieterles »Salome« war nach fast drei Jahrzehnten Pause in der Kino-Rezeption des Salome-Stoffes dessen erste Tonfilmbearbeitung. Ihr voraus gingen mehrere Stummfilme mit der Königstochter als Titelheldin, von denen allerdings die wenigsten erhalten sind. Der bedeutendste, bis heute hin und wieder im Fernsehen gezeigte und im Internet zugängliche Film war zugleich die letzte Bearbeitung der Stummfilm-Ära: »Salome« von Charles Bryant (USA 1923), 16 eine Adaption von Oscar Wildes Drama, die in ihrem Manierismus und ihrer forcierten Künstlichkeit auch ästhetisch sehr eng an dieses und an die (der englischen Buchausgabe von 1894 beigegebenen) Illustrationen von Aubrey Beardsley 17 anschließen wollte. Dieser Film, dessen Visualität in ihrer zwischen Exotismus und Art déco changierenden Stilisierung sehr schön die Dekadenz des Bühnenstücks auf die Kinoleinwand übersetzte, verbindet sich vor allem mit dem Namen »Nazimova«, der russisch-amerikanischen Hauptdarstellerin und Ehefrau des Regisseurs, die in jenen Jahren eine ebenso gefeierte wie wegen ihrer offen gelebten Bisexualität skandalträchtige Aktrice war. Ähnlich berühmt und glamourös war seinerzeit die für Kostüme und Design verantwortliche Natacha Rambova, die mit dem Filmstar und Womanizer Rudolph Valentino verheiratet war und sich für »Salome« dezidiert von Beardsley hatte inspirieren lassen. Trotz dieser Stars im Team war Bryants Film allzu stilisiert, um beim zeitgenössischen Publikum großen Anklang zu finden. Daran änderte auch seine bemerkenswerte Freizügigkeit in Kostümen und Spiel nichts, denn das Gekünstelte der Inszenierung war auch der vom Publikum erhofften Erotik abträglich. Eine Aufführung von Wildes »Salome« war in England durch den Theaterzensor Lord Chamberlain verboten worden. Weniger wegen seiner Erotik, sondern »weil biblische Gestalten in dem Drama auftreten«, was im anglikanischen England beispielsweise auch zum bis Mitte des 20. Jahrhunderts wirksamen Verbot von Passionsspielen geführt hatte. Das Kino tat sich hier wegen der Brechung durch das fotografische Bild leichter, und vor allem in Italien und in den USA hatte man schon früh erkannt, dass biblische Stoffe ein gutes Trägermedium für sonst von der Zensur bedrohte Darstellungen von Erotik 18 und Gewalt sind. Das beginnt nicht erst im Jahre 1932, in dem laut der »Chronologie« im Band »Erotic Cinema« mit Cecil B. DeMilles »The Sign of the Cross« vermeintlich erstmals »ein religiöser Kontext als Vorwand für die Erotik [dient]«, u. a. indem er »eine nackte christliche Märtyrerin an einem Pfahl zeigt.« 19 Schon vorher hatte DeMille in seinem Jesusfilm »The King of Kings« (1927) mit der Exposition Maria Magdalenas als laszive Edelprostituierte für eine sexuelle Aufladung des frommen Sujets gesorgt. Und nochmals früher war dies wiederholt das kaum verhohlene Movens der Inszenierung des Salome-Stoffs für das Kino. So war es bei Bryant/ Nazimova und so war es, noch pointierter, in der 1918 unter der Regie von J. Gordon Edwards gedrehten, heute verschollenen »Salome«. Die Titelheldin spielte der damals überaus populäre, für seine Freizügigkeit berüchtigte Leinwand-Vamp Theda Bara (1885-1955; bürgerlich: Theodosia Goodman). 20 Carlos Fernandez Cuenca bezeichnet sie als »die erste und spektakulärste Inkarnation der ›Femme fatale‹ und Vampirin des nordamerikanischen Kinos« 21 . Und sie wurde auch in »Salome«, ihrem einunddreißigsten Film, ihrem durch Rollen als dunkle Vampirin (»A Fool Was There«, 1915) oder als »Cleopatra« (1917) begründeten Ruf so sehr gerecht, 22 dass er in den USA einen Proteststurm seitens der Kirchen und religiöser Vereinigungen auslöste. 23 Und ausgerechnet für diesen Film hatte Flavius Josephus die zweifelhafte Ehre, einen Credit für die »Story« zu bekommen. Edwards’ »Salome« folgte im Grundzug ebenfalls der Konzeption von Oscar Wilde, bereicherte diese aber um die Variante, dass die Königintochter dieses Mal nicht nur den Kopf des Täufers fordert, sondern zugleich den Sturz ihrer Mutter betreibt. 24 Vergleicht man die Salome-Darstellungen von Theda Bara (die sich recht plastisch rekonstruieren lässt) und Nazimova mit der von Rita Hayworth, wird nochmals klar, welche »Kultivierung« 25 dieser Frauenrolle sich zwischen den 1910er und 1950er Jahren ereignet hat: »Auf das lasterhafte, verführerische, vampmäßige Monument folgt am Ende die gesellschaftsfähige, fast schon biedere Integration in das modifizierte Geschlechterverhältnis. Der anrüchige Reiz der Schaulust, die unheilvolle Verstrickung von Schönheit und Grauen wird verflacht« und so, nach Ansicht des Filmpublizisten Josef Nagel, »einer ursprünglichen Funktion der Kinematographie und ihrer Tabus beraubt.« 26 Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 39 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 39 Reinhold Zwick Screening Salome 3.1.1 »Salome« von Ugo Falena (Italien 1910) Wildes Tragödie inspirierte dezidiert auch die hinter Oskar Messters Film zweitälteste »Salome«, 1908 unter der Regie von J. Stuart Blackton für die seinerzeit erfolgreiche Firma »Vitagraph« gedreht. 27 Und Wilde war ebenfalls die Vorlage für den ältesten erhaltenen Salome- Film überhaupt, eine italienische Produktion aus dem Jahre 1910. 28 Der unter der Regie von Ugo Falena gedrehte, handkolorierte Film kann mit einer neuen, von Pablo Pico (geb. 1983) geschaffenen Musik auf der von der Europäischen Union geförderten Seite »www.europafilmtreasures.de« angesehen werden. 29 Gegenüber Oscar Wildes Drama (ganz zu schweigen von der Bibel und ihrem Leerstellen-Repertoire) bietet der Film wenig Neues, außer dass er eindrucksvoll Aufschluss darüber gibt, wie schwer sich das Kino in seinen Kindertagen damit tat, solch eine Tragödie für die Leinwand zu adaptieren, zumal wenn das Ganze nur 9: 45 Minuten Zeit erhält. Deshalb fällt beispielsweise der für Oscar Wilde als Projektionsfläche der psychischen Zustände so wichtige Mond im Bühnenhintergrund bei Falena völlig aus, und durch die drastische Verkürzung der Erzählzeit erhält keine Aktion den Raum, den sie bräuchte, um einigermaßen plausibel oder zumindest nicht lächerlich zu wirken. Die Salome ist an sich gut besetzt und agiert im Sinne Wildes, aber ihr fatales Begehren nach dem Leib, dem Haar und dem Mund des Täufers wird durch das Grobschlächtige des Johannes-Darstellers ausgehebelt. Interessant sind vor allem eher unscheinbare Nebenzüge der Inszenierung und der Handlung. Da treten beispielsweise die Juden, die wie im Drama wild disputieren, mit den für die zeitgenössischen Passionsspiele typischen Kopfbedeckungen auf, die mit ihrer Hörner-Struktur antijüdischen Ressentiments Ausdruck verleihen, indem sie die Juden-- in einer biblizistischen Lesart von Joh 8,44-- mit dem gehörnten Teufel in Verbindung bringen. Bemerkenswert ist auch eine gegenüber Wilde neu kreierte Nebenhandlung, die einerseits die immer mit dem Salome-Stoff verbundene und dabei meist sadomasochistisch getönte sexuelle Schaulust bedient, andererseits Wildes Handlung um den in Salome verliebten »jungen Syrer«, der sich aus Verzweiflung auf der Bühne tötet (22), substituiert, indem durch sie ebenfalls schon vor der Enthauptung des Täufers ein Tod auf die Bühne gebracht wird. Worum geht es? Während des Gastmahls, noch vor dem Tanz Salomes, verschüttet eine schöne, junge Sklavin mit langem, offen getragenen Haar etwas Wein-- in einer Abwehrreaktion gegen das Betatscht-Werden durch den lüsternen Herodes. Zur Strafe dafür wird sie von schwarzen Sklaven nach draußen weggeführt und an ein Andreaskreuz gebunden, worauf andere Frauen kommen, auf die Gekreuzigte einschlagen und sie erdolchen-- das alles natürlich wie in Zeitraffer und eher pantomimisch angedeutet, aber immerhin. Als die Festgesellschaft zur Stätte dieser Hinrichtung wechselt, wo dann auch Salome tanzen wird, hängt die Tote anfangs noch am Kreuz, wird dann aber weggeschafft. Wie bei Wilde ist so der Schauplatz des Tanzes vom Blut eines bzw. einer Unschuldigen düster überschattet. Als guter Vorwand für derartige erotische Inszenierungen wurde »Salome« zu einer der beliebtesten Figuren der Stummfilmzeit. Und wahrscheinlich waren es die vielen ›stummen‹, freilich immer von Musik begleiteten frühen Salome-Filme, die den für seine »Herr der Ringe«-Trilogie gefeierten Regisseur Peter Jackson dazu bewogen haben, in seinem spielerischen, fiktiven Dokumentarfilm »Forgotten Silver« (1995) den von ihm erfundenen neuseeländischen Filmpionier ›Colin McKenzie‹ ausgerechnet an einem monumentalen, unvollendet gebliebenen »Salome«-Film arbeiten zu lassen. 3.2 … und ein Blick nach vorn in die Post-Dieterle-Zeit Oscar Wildes Tragödie blieb auch in den Jahrzehnten nach William Dieterles »Salome« die größte Inspirationsquelle, wenn es darum ging, die Leerstellen in der biblischen Handlung um den Tod des Täufers aufzufüllen und zu expandieren. So war es bei Kurzfilmen, wie bei jener »Salome« (1973), mit der der später für seine Horrorfilme bekannte Clive Barker debütierte, oder bei einem Streifen des jungen Pedro Almodovar (1978). Wie schon erwähnt, stand aber Wilde insbesondere dann Pate, indem er die Story und oft auch Dialoge lieferte, wenn die Salome-Handlung auf Spielfilmlänge ausgebaut werden sollte. So war es bei der provokativ-blasphemischen »Salome« des italienischen Skandalregisseurs Carmelo Bene (1972), so in der düsteren Bearbeitung durch seinen Landsmann Claude d’Anna (1986), so in der seltsamen Mischung von Manierismus und Experimentalfilm beim deutschen Film- und Opernregisseur Werner Schroeter (1971), so bei der Flamenco-Version von Carlos Saura (2002) oder bei der Verschränkung einer Salomemit einer Gegenwartshandlung im Spielfilm »Visage« (2009) des Taiwanesen Ming-liang Tsai, der trotz seiner Starbesetzung-- u. a. mit Fanny Ardant, Jean-Pierre Leaud, Jeanne Moreau und dem französischen Topmodell und Erotikstar Laetitia Casta als Salome-- und obwohl er Wettbewerbsbeitrag in Cannes war, in Deutschland weder im Kino Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 40 - 4. Korrektur 40 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema noch auf DVD zu sehen war. Tsais Film, der von einem taiwanesischen Regisseur erzählt, der eine Reise zum Pariser Louvre unternimmt, um dort eine Dokumentation über den Salome-Mythos zu drehen, ist nicht der erste Meta-Salome-Film. Ungleich erfolgreicher war hier bereits 1987 der englische Kinoexzentriker Ken Russell, als er mit »Salome’s Last Dance« eine bizarre Adaption des Wilde-Dramas vorlegte, verwoben mit einer im Jahre 1892 angesiedelten Rahmenhandlung über den Dichter selbst: In Anwesenheit Oscar Wildes und zu seinen Ehren lässt Russell Laienschauspieler in einem Bordell die damals noch verbotene »Salome« inszenieren. In seiner »Kurzkritik meint der »film-dienst« zu Russells Film pointiert: »Grell-›erotische‹ Inszenierung von Wildes Bühnenstück und Leben, die mit Stilmitteln der Travestie und Farce moralische Normen und bürgerliche Zuschauererwartungen provokativ unterlaufen will, jedoch meist in vordergründig-derben Kalauern steckenbleibt.« 30 3.2.1 Oscar Wilde begegnet dem »King of Kings« (1961) Die ›dekadente‹ »Salome« Oscar Wildes beflügelte nicht nur, wie es naheliegend war, Kino-Exzentriker wie Carmelo Bene oder Ken Russell, sondern drang gewissermaßen selbst bis in die Herzkammer der ›Biblical Epics‹ vor, bis in den Hollywood-Jesusfilm. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht besonders der 1961 uraufgeführte Monumentalfilm »King of Kings«, entstanden unter der Regie von Nicholas Ray. Als Remake des Stummfilmklassikers »The King of Kings« von Cecil B. DeMille (1927) beendete er die über drei Jahrzehnte lang währende Abstinenz Hollywoods gegenüber dem Mann aus Nazareth. Hatte DeMille seinen Film Salome-frei gehalten und für die Erotik Magdalena sorgen lassen, so setzte Ray auf eine Salome im Oscar Wilde-Format und betraute die bei den Dreharbeiten erst sechzehnjährige Brigid Bazlen mit der Rolle der Königstochter, offensichtlich um die Zuschauererwartung gezielt und massiv zu durchkreuzen. Denn Bazlen war wenig vorher in einer Fernsehserie als liebliche ›Blaue Fee‹ bekannt geworden und gibt nun eine verführerische Lolita-Prinzessin, die ebenso durchtrieben und gewissenlos ist wie ihre Mutter und mit dem Täufer zynisch und grausam spielen möchte. Nachdem der Prophet vor Herodes gebracht worden war, meint die im Unterschied zur Bibel keineswegs ›stumme‹ Salome zu ihrem Stiefvater: »Dieser Prediger macht mir Spaß! Befiehl ihm, für mich zu tanzen! Lass dieses Untier auf glühenden Kohlen tanzen! «- - ein Ansinnen, das ihre Mutter mit der an ihren Mann adressierten Bemerkung sekundiert: »Es wäre besser, Du ließest ihm die Zunge herausschneiden.« Kurz darauf berührt Salome den nackten Oberarm des Täufers, fragt ihn: »Hast Du Blut oder Gift in Deinen Adern? « und wünscht sich vergeblich von einem Römer, er möge Johannes mit seinem Schwert die Haut aufschneiden, denn sie wolle es sehen. Auf Drängen des anwesenden Pilatus lässt Herodes den Täufer in den Kerker werfen.-- Beim Fest zu seinem Geburtstag hat der Tetrarch nur Augen für Salome, will von ihrem Becher trinken (mit Dialogen aus Wildes Drama) und umwirbt sie völlig ungeniert. In Gegenwart von Herodias ruft er Salome zu: »Komm und setz dich neben mich, und ich werde dich dafür mit dem Thron Deiner Mutter beschenken.« Salome entgegnet schroff, das Gespräch auf den Täufer lenkend: »Du bist nicht genug König! Ich verachte Dich! Der Mann, der meine Mutter beleidigt hat, sitzt in Deinem Kerker, obwohl er schon vor Monaten hätte sterben sollen! Warum ist dieser Mann immer noch am Leben? « Für Antipas hingegen ist Johannes ein »bedeutender Prophet«. Als der vom Alkohol und vom Begehren nach seiner Stieftochter trunkene König Salome zum Tanz auffordert, nötigt diese ihm den Schwur ab, ihr dafür zu geben, was immer sie begehre.-- Ebenso verzweifelt wie vergeblich sucht Herodes nach dem Tanz (wieder mit Worten Oscar Wildes) die Bitte um das Haupt des Täufers auf ein anderes Wunschobjekt umzulenken. Doch Salome insistiert darauf, dass sie in des Täufers »tote Augen sehen« will, und die Hinrichtung wird vollstreckt, kurz nachdem Johannes in einer Audition Jesu Antwort auf die sog. Täufer-Anfrage (Mt 11,5 f.) erhalten hatte. Ob Salome dann tatsächlich die toten Lippen des Täufers küsst, wie bei Oscar Wilde, erfahren die Zuschauer nicht, denn die Täuferhandlung bricht mit der Enthauptung ab. Erst zum Ende des Films hin, als Jesus nach seiner Gefangennahme gemäß Lk 23,6-12 auf Geheiß des Pilatus vor Herodes gebracht wird, sehen wir Salome wieder, ein letztes Mal. Der makabre Wunsch nach ihrem Tanz scheint sie depressiv oder gar geistig verwirrt gemacht zu haben. Denn während ihr Stiefvater eher verzweifelt als übermütig seinen Spott mit Jesus zu treiben sucht, starrt sie unentwegt, wie in manischer Fixierung auf einen Ziervogel in einer winzigen Käfigkugel, als wäre dies ein Inbild ihrer eigenen Seelenverfassung. Beim Tod des Täufers war sie kein Werkzeug ihrer Mutter gewesen, sondern wurde im Schulterschluss mit dieser selbst im Gestus menschenverachtender, sadistischer Überheblichkeit aktiv. Doch anders als ihre Mutter, die am Ende immer noch kalt und berechnend erscheint, haben die Ereignisse Salome offensichtlich innerlich gebrochen: Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 41 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 41 Reinhold Zwick Screening Salome Der alttestamentliche Tun-Ergehen-Zusammenhang wird von Hollywood aktualisiert. 4. Salome-Variationen im Jesusfilm Nicholas Rays »King of Kings« war nach einer langen Unterbrechung der Auftakt für eine neue Serie von Jesusfilmen. Nachdem der Mann aus Nazareth in den großen Biblical Epics der Nachkriegszeit, also in Filmen wie »Quo Vadis« (1951), »The Robe« (1953), »Ben Hur« (1959) oder eben auch Dieterles »Salome«, immer nur eine Randfigur war-- jedenfalls was seine Präsenz auf der Leinwand angeht, nicht seine Funktion als inneres Movens der Ereignisse--, rückt Jesus seit den 1960er Jahren wieder häufig in die Hauptrolle ein. Das bedeutet allerdings nicht, dass mit der Erzählung von ihm (und meist auch vom Täufer) immer auch Salome Raum erhält. Manche Jesusfilme übergehen die Tochter der Herodias völlig, so etwa »Jesus Christ Superstar« (1972) von Norman Jewison, »The Last Temptation of Christ« (1988) von Martin Scorsese, »The Passion of the Christ« (2004) von Mel Gibson oder auch der viel zu wenig bekannte »Son of Man« (2006) von Mark Dornford-May, der die Jesusgeschichte nach Südafrika transponiert. 4.1 Salome als Werkzeug der Herodias Einige Regisseure inszenieren zwar die Episode über den Tod des Täufers, bleiben dabei aber sehr dicht an der biblischen Vorlage und schlagen die mit deren Leerstellenangebot einhergehende Einladung zu kreativer Vervollständigung aus. So zum Beispiel Pier Paolo Pasolini, der in »Il Vangelo Secondo Matteo« (1964) die Tanzszene mit einer liebenswürdigen Salome und einer heiteren Musik so anmutig und dezent inszeniert, dass unklar bleibt, weshalb der den Tanz mit großen Augen verfolgende König derart viel als Lohn für diese Darbietung verspricht. Ohne die Exposition einer Geschichte des Begehrens erscheinen das Lohnversprechen und seine Erfüllung völlig überzogen. Die noch sehr mädchenhaft und unerfahren wirkende Salome Pasolinis ist ganz das unschuldige Werkzeug ihrer Mutter, wobei-- wie in der biblischen Vorlage-- offen bleibt, ob der Tanz und die Bitte von Herodias geplant waren oder ob sie nur geschickt, wie der mk Überlieferung zufolge (vgl. Mk 6,21), eine sich bietende »günstige Gelegenheit« zur Beseitigung des Täufers genutzt hat.-- Ganz ein als Figur blasses, am Ende gesichts- und ›charakterlos‹ bleibendes Werkzeug der Herodias ist Salome auch in »Il Messia« (1976), dem letzten Spielfilm von Pasolinis Landsmann Roberto Rossellini. Einerseits hat Rossellini die Gespräche zwischen Täufer und König dahingehend stark ausgebaut, dass der Täufer wie ein Herold der Menschenrechte und neuzeitlicher Bestimmungen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erscheint und mit dieser seiner Aufkündigung von Machthierarchien Antipas nachhaltig beeindruckt. Andererseits ist der König aber doch schwach genug, um der Salome versprochenen Wunschfreiheit nachzugeben. Dabei baut Rossellini die biblische Konstellation etwas aus, ohne aber ihren Skopus zu verändern. Als seine Salome ratlos ist, was sie sich denn wünschen solle, da sie nichts brauche oder wolle, meint ihre Mutter zunächst, sie dürfe den König nicht durch Wunschlosigkeit beleidigen, und flüstert ihr dann raffiniert ein: »Verlange nichts, das ihn etwas kostet. So können die anderen nicht auf den Gedanken kommen, dass du habgierig bist. Wünsche dir etwas, das auch Herodes erfreut! Wünsche Dir das Haupt des Täufers! « Obgleich darüber verwundert, übermittelt Salome diesen Wunsch und nach überraschend kurzer Gegenwehr gibt Herodes dem Drängen der Festgäste und seiner Frau nach, lässt den Täufer herbeibringen und direkt vor den Augen der versammelten Gesellschaft erst erdolchen, dann enthaupten. 4.2 Anerkennung vs. Begehren: Antipas als tragische Figur Nicholas Ray und Roberto Rossellini lassen den Täufer als unerschütterlichen Helden sterben, der mit großer Glaubensstärke und tiefer Zuversicht auf ein Leben bei Gott ohne Angst in den Tod geht. Zur eigentlich tragischen Figur wird bei ihnen einer, der diesen Tod überhaupt nicht will, ihn aber doch befehlen muss: Herodes Antipas. Wie Ray und Rossellini haben noch einige andere Regisseure von Jesusfilmen das, was in Mk 6,20 (par.) zu lesen steht, zu einer mehr oder weniger umfänglichen Nebenhandlung ausgebaut, also die Auskunft, dass Herodias ihren Plan zur Tötung des Täufers bei ihrem Mann »nicht durchsetzen konnte, denn Herodes fürchtete sich vor Johannes, weil er wusste, dass dieser ein gerechter und heiliger Mann war. Darum schützte er ihn. Sooft er mit ihm sprach, wurde er unruhig und ratlos, und doch hörte er ihm gern zu.« In William Dieterles »Salome« war dieses Sich- Fürchten des Tetrarchen unbeschadet seiner Achtung für die Aufrichtigkeit und den Freimut des Johannes zuvorderst seine Angst, selbst eines von Gott befohlenen qualvollen Todes sterben zu müssen, wenn er den Täufer hinrichten ließe. Gegenüber diesem eher ›niederen‹, egoistischen Motiv für die Schonung des Gefangenen Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 42 - 4. Korrektur 42 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema haben andere Filme die »Furcht« des Herodes als Anerkennung der moralischer Überlegenheit des Täufers, ja als Ehrfurcht ihm gegenüber begriffen und die biblisch gespurte Konstellation zu einem großen inneren Konflikt des Tetrarchen ausgebaut, einem Konflikt im Dreieck von Gewissen, Macht (respektive Staatsräson) und Begehren. 31 Beispielhaft hierfür ist der große Fernsehvierteiler »Jesus von Nazareth« (1976) von Franco Zeffirelli, der Abermillionen Zuschauer auf der ganzen Welt erreicht und viele von ihnen nachhaltig beeindruckt hat. Herodes hat hier von Anbeginn an großen Respekt vor dem Täufer und schützt ihn wiederholt vor Herodias, die ihn beseitigt wissen will, zuvorderst indem er den Täufer zu verharmlosen sucht. Als er einmal ohne Zeugen allein mit dem Täufer Zwiesprache hält, ist er sogar bereit ihn freizulassen und ihm Macht zu geben. Herodes: »Es gibt Arbeit für Dich hier, in diesem armseligen Königreich.-- Wenn Du Macht willst? Du kannst Macht haben! Zum Aufbauen, nicht zum Zerstören.« Doch der Täufer widersteht dieser ›Versuchung‹ und bleibt seiner Aufgabe treu, »dem den Weg zu bereiten, der die Krone tragen wird«, wobei er aber zugleich die Angst des Tetrachen vor Machtverlust zu zerstreuen sucht: »Fürchte nicht, von Deinem Thron gestoßen zu werden. Bevor sich Königreiche ändern müssen sich die Menschen ändern.« Herodias aber, herrisch und in ihrem Stolz verletzt, betreibt unermüdlich weiter den Tod des Täufers. Heuchlerisch erbittet sie zunächst in einem Strategiewechsel die Freilassung des Propheten, freilich nur um- - ähnlich wie in Dieterles »Salome«-- Gelegenheit zu einem Attentat zu bekommen. Doch der König durchschaut ihren geheuchelten Sinneswandel und behält Johannes in Haft, nunmehr gleichsam in ›Schutzhaft‹. Doch dann ersinnt Herodias, die schon lange das wachsende Begehren des von ihr verachteten Gatten nach Salome erkannt hat und ihm dies auch auf den Kopf zusagt, die tödliche Tanz-Intrige. Mit den Worten »Geh zu ihm! Du weißt Bescheid! « schickt Herodias ihre Tochter zum König, und Salome ist in Erfüllung dieses Auftrags mehr als nur das willfährige Werkzeug ihrer Mutter. Sie gestaltet das tödliche ›Spiel‹ bewusst mit und bekommt zu ihrer und ihrer Mutter Freude schon vor dem Tanz, nach dem der sinnestrunkene König giert, die unbedingte Zusage, für ihre Darbietung zu bekommen, was immer sie sich wünsche.-- Das für Herodes so erschütternde Ende ist bekannt. Abschluss Die bei Markus und Matthäus erzählte Handlung um den Tod des Täufers gibt in ihrer nicht nur quantitativ überbordenden, sondern auch qualitativ äußerst facettenreichen multimedialen Wirkungsgeschichte, die wir hier nur für das Filmmedium in den Blick genommen haben-- und auch das nur sehr ausschnitthaft--, bestechend Zeugnis vom auf imaginative Vervollständigung drängenden Potential, das gerade aus den Leerstellen der biblischen Texte erwächst. Zugleich macht die Geschichte um die mit Salome identifizierte Tochter der Königin sichtbar, dass der ›Heiligen Schrift‹ nicht nur, wie etwa im Hohenlied, die lichten, sondern auch die dunklen Seiten des Eros nicht fremd sind, die tiefen Abgründe des sexuellen Begehrens, Abgründe, die bis in die Sphäre des Todes reichen. Offensichtlich sind es gerade die dunklen, zerstörerischen Seiten des Begehrens und des Eros, die selbst die Mächtigsten zu Fall bringen können. Sie sind von einer überzeitlich gültigen Kontur, denn weshalb sonst würde der Salome-Stoff-- oder im Alten Testament z. B. die Geschichten von David und Bathseba oder Judith und Holofernes-- bis heute eine solch ungebrochene Strahlkraft ausüben. Bereits in den Filmbearbeitungen, in denen Salome ›nur‹ als naives Werkzeug ihrer Mutter agiert, wird anschaulich, welch subversiver Zug dem Begehren innewohnen, wie Sexualität instrumentalisiert und zur Waffe, mitunter zur tödlichen Waffe werden kann. An der Figur des Antipas führen die Filme vor, welche Macht das Begehren über die Mächtigen gewinnen kann. In der biblischen Version vom Tod des Täufers ist es allein Herodias, die die Klaviatur des Begehrens beherrscht, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Mutter und Tochter in dieser Politik des Eros immer enger verschmolzen-- so eng, dass es in der Imagination der Künstler verschiedentlich die Mutter selbst wurde, die für Herodes tanzte, weit häufiger aber, dass die Tochter zur tödlichen Femme fatale, ja geradezu zum Prototyp derselben avancierte. Die im Neuen Testament namenlose junge Frau, deren Tanz einem Mann das Leben kostet, »Die im Neuen Testament namenlose junge Frau, deren Tanz einem Mann das Leben kostet, wurde als ›Salome‹ eine der wirkmächtigsten Projektionsfiguren der christlichen Kulturgeschichte. Das allein zeugt von der ebenso großen wie tiefen Faszination des Eros, zumal seiner subversiven, dunklen Seiten, die mit ihrer Energie scheinbar festgefügte gesellschaftliche und politische Machtstrukturen aufzubrechen vermögen.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 43 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 43 Reinhold Zwick Screening Salome wurde als »Salome« eine der wirkmächtigsten Projektionsfiguren der christlichen Kulturgeschichte. Das allein zeugt von der ebenso großen wie tiefen Faszination des Eros, zumal seiner subversiven, dunklen Seiten, die mit ihrer Energie scheinbar festgefügte gesellschaftliche und politische Machtstrukturen aufzubrechen vermögen. Wie die von Rita Hayworth vorgestellte, ins Fromme gewendete 32 »Salome« beispielhaft zeigt, hatte demgegenüber der gebändigte, für das Gute zu funktionalisieren gesuchte Eros keine Chance, jedenfalls im Kino nicht. Anmerkungen 1 Zit. n. D. Keesey/ P. Duncan (Hgg.), Erotic Cinema, Köln u. a. 2005, 47.-- Zanuck produzierte u. a. den sehr erfolgreichen Monumentalfilm »David and Bathsheba« (USA 1951; Regie: Henry King). 2 Berlin 2011 (Erstausgabe 1959). 3 Einführend zur historischen Salome, einer Tochter von Herodes Boethos und Herodias (ca. 10-- 64 n. Chr.) vgl. S. Luther, Art. »Salome« in: wibilex.de (Kap. 2.1). 4 http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Salome_%28Tochter_der_ Herodias%29 (zuletzt aufgerufen am 3. Juli 2012- - so auch alle anderen Internetquellen).-- Der erste Satz zitiert: S. Walz, Tänzerin um das Haupt. Eine Untersuchung zum Mythos »Salome« und dessen Rezeption durch die europäische Literatur und Kunst des Fin de Siècle, München 2008 (Lit.). 5 Vgl. Th. Rohde (Hg.), Mythos Salome. Vom Markusevangelium bis Djuna Barnes, Leipzig 2000 (Lit.); E. Wäcker, Die Darstellung der Tanzenden Salome in der Bildenden Kunst zwischen 1870 und 1920, Berlin 1993; L. Winterhoff, Ihre Pracht muß ein Abgrund sein, ihre Lüste ein Ozean. Die jüdische Prinzessin Salome als Femme fatale auf der Bühne der Jahrhundertwende, Würzburg 1998; L.A. Saladin, Fetishism and Fatal Women: Gender, Power, and Reflexive Discourse; New York u. a. 1993; und immer noch: H. Daffner/ W. Thöny, Salome: ihre Gestalt in Geschichte und Kunst, Dichtung, bildende Kunst, Musik, München 1912. - Zum Musiktheater vgl.: C. Vander Stichele, Murderous Mother, Ditto Daughter? Herodias and Salome at the Opera, in: Lectio difficilior Nr. 2, 2001, online unter: http: / / www.lectio.unibe.ch/ 01_2/ v. html (viele Literaturhinweise auch zur Salome-Rezeption in anderen Künsten! ). 6 Vgl. u. a. E.M. Fischer, Salome-- Femme fatale des Neuen Testaments? Ein Streifzug durch die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, in: J. Frühwald-König/ F.R. Prostmeier/ R. Zwick (Hgg.), Steht nicht geschrieben? Studien zur Bibel und ihrer Wirkungsgeschichte (Festschrift für Georg Schmuttermayr), Regensburg 2001, 383-401; Luther, Art. »Salome« (dort: Kap. 2.2).-- Für die Kunstgeschichte bes.: K. Merkel: Salome. Ikonographie im Wandel, Frankfurt a. M. 1990 (zugl. Diss. Universität Mainz 1989). 7 Th. Rohde, Nachwort: Hinter den Schleiern, in: Ders. (Hg), Mythos Salome, 265-290, hier: 289. 8 Vgl. C. Fernandez Cuenca, Cine Religioso. Filmografia Critica (Publicaciones de la semana international de cine religioso y de valores humanos, Vol.-1), Valladolid 1960, 103; Die offiziöse deutsche Website »filmportal.de« kennt von Messter erst aus dem Jahre 1906 einen Film mit dem Titel »Tanz der Salome«. 9 Mutatis mutandis gilt auch für die Malerei, was Thomas Rohde (Nachwort, 283) über die Literatur befindet: »Den Tanz herzustellen, ihn adäquat wiederzugeben, ist den Buchstaben der Literatur nur um den Preis ihres Versagens möglich, nämlich, wenn sie ihre Faszination vielmehr gerade aus der Unangemessenheit ihrer Mittel an ihren Stoff bezieht.« 10 Oscar Wilde, Salome. Tragödie in einem Akt (Reclam UB 4497), aus dem Französischen übersetzt von Hedwig Lachmann, Stuttgart 2012.-- Auf diese Ausgabe wird im Folgenden mit Seitenangaben im Haupttext verwiesen. 11 Zit. n. http: / / cinomat.kim-info.de 12 Vgl. bes.: G.E. Forshey, American Religious and Biblical Spectaculars (Media and Society Series), Westport, Conn./ London 1992; B. Babington/ P.W. Evans, Biblical Epics. Sacred Narrative in the Hollywood Cinema, Manchester/ New York 1993. 13 Auch Th. Rohde (Nachwort, 277) sieht im Angebot des halben Reiches ein »kaum verhülltes Heiratsangebot«. 14 M. M. Lintner, Den Eros entgiften. Plädoyer für eine tragfähige Sexualmoral und Beziehungsethik, Innsbruck 2 2012. 15 Das heute scheinbar unverrückbar mit Salomes Tanz verbundene Motiv der ›sieben Schleier‹ wurde erst durch Oscar Wildes Drama eingeführt. 16 Der Film ist in verschiedenen Musikfassungen mehrfach unter www.youtube.com eingestellt. 17 Vgl. U. Karthaus, Nachwort, in: Wilde, Salome, 57-69, hier: 63 f. 18 Etliche gute Beispiele für erotische Szenen und eine ostentative Zurschaustellung weiblicher und männlicher Körperlichkeit bietet das von Robin Cross mit satirischem Gestus zusammengestellte Buch »The Bible According to Hollywood, London 1984, 7 f.; 20-24 u. passim. 19 Keesey/ Duncan (Hgg.), Erotic Cinema, 186.-- Vgl. das Szenenfoto bei Gibb, Bible According to Hollywood, 46, auf dem sich ein zähnefletschender Gorilla einer nackten Schönen nähert, die mit einer von Blüten umrankten Kette an eine Steinsäule gefesselt ist. 20 Eine Bildergalerie findet sich unter: http: / / www.imdb. com/ media/ rm1298700288/ nm0000847. 21 Fernandez Cuenca, Cine Religioso, 104 (Übers. R. Z.). 22 Vgl. die Abbildungen bei Gibb, Bible According to Hollywood, 23, 57. 23 Vgl. R. H. Campbell/ M.R. Pitts, The Bible on Film. A Checklist, 1897-1980 (Metuchen N.J./ London 1981), 94. 24 Vgl. Campbell/ Pitts, The Bible on Film, 94. 25 J. Nagel, Ikonen aus der Traumfabrik. Film-Stills Ausstellung im Deutschen Filmmuseum Frankfurt, in: filmdienst, Nr. 12, 1993. 26 Ebd. 27 Vgl. Fernandez Cuenca, Cine Religioso, 103 f.; Campbell/ Pitts, The Bible on Film, 77. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 44 - 4. Korrektur 44 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema 28 Als zweite italienische Produktion in der Stummfilmzeit benennt die Filmografie von Fernandez Cuenca (Cine Religioso, 104) für das Jahr 1913 noch eine weitere »Salome«, gedreht unter der Regie von Alberto Nepoti mit Adriana Costamagna in der Titelrolle für die Firma »Savoia Film«. Fernandez Cuenca charakterisiert den Film als »typisch italienischen Bibelfilm, der danach strebt, die Werte des Spektakulären mit denen einer moralischen und religiösen Lektüre der Heiligen Schrift zu verbinden.« (Übers. R. Z.) 29 Vgl.: www.europafilmtreasures.de/ PY/ 424/ uber-den-filmsalome. 30 Zit. nach der online-Ausgabe: http: / / cinomat.kim-info. de/ filmdb/ personen.php? personnr=83 881. 31 In einer interessanten Variante bricht George Stevens in »The Greatest Story Ever Told« (1965) aus diesem Dreieck das Begehren weithin heraus, entkoppelt Tanz und Tod und zentriert den inneren Konflikt seines ernst und streng angelegten, in der Leere seines weiten Palastes existentiell einsamen Antipas auf den Zwiespalt zwischen Machterhalt und Gewissen. Noch während Salome, die bei Stevens mehr ihren Stiefvater begehrt als er umgekehrt sie, den König umtanzt kommt der Henker. Herodes hatte bereits von sich aus die Hinrichtung des Täufers befohlen und sich von diesem verabschiedet. Ja, der Täufer hatte ihn nachgerade zur eigenen Hinrichtung aufgefordert, indem er an ihn appelliert hatte: »Töte mich, damit ich lebe! «, denn: »Dann machst Du mich frei«. 32 Die Inspiration hierfür rührt wohl aus der alten Identifizierung der Herodias-Tochter mit jener »Salome«, die nach Mk 16,1 zusammen mit der Magdalenerin und Maria, der Mutter des Jakobus, zum Grabe kommt, um Jesu Leichnam zu salben. Eine derartige Identifizierung setzt dann eine große Imaginationsmaschine in Gang, um die dazu nötige Umkehrgeschichte zu projizieren. NEUERSCHEINUNG A. Francke Verlag • D-72070 Tübingen • info@francke.de • www.francke.de Matthias Klinghardt/ Hal Taussig (Hrsg.) Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum - Meals and Religious Identity in Early Christianity Texte und Arbeiten zum Neutestamentlichen Zeitalter, Band 56 2012, 372 Seiten, € (D) 78,00/ SFr 105,00 ISBN 978-3-7720-8446-1 Das gemeinsame Essen und Trinken prägte wesentlich die Identität antiker Gemeinschaften: Soziales und religiöses Selbstverständnis, Zugehörigkeit und innere Struktur sowie die Abgrenzung von anderen Gruppen waren in hohem Maße durch das gemeinsame Mahl bestimmt. Unter diesem Paradigma behandeln die Beiträge des vorliegenden Bandes frühchristliche Gemeinschaftsmähler in ihrem kulturellen und religionsgeschichtlichen Kontext.