eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 15/30

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2012
1530 Dronsch Strecker Vogel

Der weibliche Körper als Schau-Platz

2012
Beate Wehn
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 24 - 4. Korrektur 24 ZNT 30 (15. Jg. 2012) In den Thekla-Akten, einer frühchristlichen Erzählung aus dem 2. Jh. n. Chr., geht es um Konflikte, die die Verfügungsmacht über eine junge Frau, ihren Körper, ihr Leben betreffen. Im Spannungsfeld zwischen patriarchal geprägten gesellschaftlichen Strukturen und frühchristlicher Theologie und Lebenspraxis wird in letzter Konsequenz ein weiblicher Körper zum öffentlichen Schau-Platz der Kämpfe um Macht, Geschlechterrollen, öffentliches Ansehen und ein selbstbestimmtes Leben jenseits traditioneller Rollenmuster. 1 Die Thekla-Akten-- zur Quelle Die Thekla-Erzählung (ActThecl) war im frühen Christentum des Mittelmeerraumes weithin bekannt und geschätzt. Sie handelt von einer jungen Frau namens Thekla, die durch Paulus zum Glauben an Christus kommt und Paulus’ Predigt vom jungfräulichen und ehelosen Leben für sich entdeckt. In der Folge weigert sich Thekla, ihren Verlobten Thamyris zu heiraten und wird im Rahmen eines Prozesses, den Thamyris ursprünglich gegen Paulus angestrengt hatte, schließlich selbst zum Feuertod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Das rettende Eingreifen Gottes verhindert jedoch, dass Thekla etwas zustößt. Nach ihrer Rettung sucht und findet Thekla Paulus, bittet um die Taufe und kündigt an, mit ihm ziehen zu wollen. Paulus lehnt beides zunächst ab, doch in der nächsten Szene der Erzählung werden Thekla und Paulus gemeinsam bei ihrer Ankunft in Antiochia beschrieben. Hier gerät Thekla in Bedrängnis, weil ein hoher Beamter, Alexander, sie begehrt und auf offener Straße in Besitz nehmen will. Als Thekla sich gegen diesen Übergriff lautstark und handgreiflich wehrt, wird sie vor Gericht gestellt-- in einem Verfahren, das Alexander auf Grund einer falschen Anklage gegen sie anstrengt. Wiederum wird Thekla zum Tode verurteilt, dieses Mal zur Hinrichtung im Tierkampf. Eine Verwandte des Kaisers, Tryphaina, die ihre Tochter verloren hat, nimmt Thekla bis zum Tierkampf in ihrem Haus auf und tut alles, um zu verhindern, dass jemand der Verurteilten im Vorfeld der Hinrichtung Gewalt antut. Am Tag des Tierkampfs werden trotz des lautstarken Protests der Frauen der Stadt wilde Tiere auf Thekla losgelassen. Thekla wird, bis auf einen Schurz unbekleidet, in die Arena geschickt. Sie entkommt auch hier auf wunderbare Weise dem Tod und tauft sich unter Gottes Mitwirkung im Angesicht des nahen Todes im Robbenbecken mitten in der Arena. Als dem Statthalter und Alexander während des Hinrichtungsszenarios die Nachricht vom Tode Tryphainas überbracht wird, gibt der Statthalter Thekla aus Angst, dass der Tod der Verwandten des Kaisers für ihn negative Konsequenzen haben könnte, schließlich frei. Noch einmal wird erzählt, dass Thekla Paulus aufsucht, dieses Mal um ihm mitzuteilen, dass sie als missionarische Gotteslehrerin ihres Weges ziehen wird. In Seleukia, so endet die Erzählung, sei sie schließlich, nachdem sie als Gotteslehrerin gewirkt habe, eines sanften Todes gestorben. Die Thekla-Erzählung wird als Bestandteil der Paulus-Akten überliefert. 2 Sie gehört zu einem breiten Spektrum frühchristlicher Literatur, die keine Aufnahme in den Kanon des Neuen Testaments gefunden hat, aber ungeachtet dieser Tatsache eine unverzichtbare Quelle für die Rekonstruktion von Frauenerfahrungen im Spannungsfeld zwischen christlichem Gemeindeleben und hellenistisch-römischer Gesellschaft darstellt. Die so genannte apokryphe Literatur spiegelt darüber hinaus den Facettenreichtum frühchristlicher Theologie und bildet damit ein wertvolles Gegenüber zu den kanonisierten Schriften des Neuen Testaments. In Bezug auf die Thekla-Erzählung ist in der Forschung immer wieder die Frage nach der Historizität Theklas gestellt worden. Es lässt sich nicht ausschließen, dass eine reale Frau Ausgangspunkt der Erzählung ist, allerdings lässt sich dies auch nicht eindeutig nachweisen. 3 Für die Auseinandersetzung mit der Thekla- Erzählung, wie ich sie hier vornehme, ist die Frage nach der Historizität Theklas nicht von ausschlaggebender Bedeutung. In der Figur der Thekla verdichten sich die Lebenserfahrungen frühchristlicher Frauen im Kontext der Pax Romana, so dass zu fragen ist, welche theologischen Positionen in der erzählten Welt in Bezug auf das Geschlechterverhältnis, die Verfügungsmacht über den weiblichen Körper und weibliche Sexualität, in Bezug auf Gewalt gegen Frauen und Frauenwiderstand transportiert und inwiefern sich hier die Erfahrungswelt der ErzählerInnen, d. h. der sozialgeschichtliche Kontext der ActThecl, spiegelt. Beate Wehn Der weibliche Körper als Schau-Platz Über Macht und Machtverlust, sexualisierte Gewalt und Widerstand in denThekla-Akten Zum Thema Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 25 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 25 Beate Wehn Der weibliche Körper als Schau-Platz Sexualität und Macht in den ActThecl Wie oben skizziert, gerät Thekla zwei Mal in Situationen, in denen ein Mann- - zunächst ihr Verlobter Thamyris, dann ein Fremder namens Alexander-- die Verfügungsmacht über sie beansprucht und ihre Weigerung, sich dem zu fügen, nicht akzeptiert. Beide Male hat dies zur Folge, dass sich Thekla auf der Anklagebank wiederfindet, zum Tode verurteilt wird und öffentlich hingerichtet werden soll. Und beide Male geht es um weit mehr als um Privatangelegenheiten oder individuelle Konflikte zwischen einem Mann und einer Frau. Paulus‘ Predigt von der Ehefreiheit und der Heiligung der Körper In ActThecl 7 ff. wird Thekla als junge Frau, Tochter einer Mutter namens Theokleia und Verlobte des Thamyris in die Erzählung eingeführt. Damit ist das soziale Gefüge, in das Thekla integriert ist, fest umrissen. Thekla und Thamyris gehören außerdem zu angesehenen Familien der Stadt Ikonion, wie später betont wird. Für Thekla ist mit der in Aussicht stehenden Ehe mit Thamyris ein Leben als Ehefrau und Mutter im patriarchalen Haushalt vorgezeichnet. Dieses Gefüge des Haushalts ist mit unserem Begriff der Familie nicht deckungsgleich, da er neben dem Hausvater an der Spitze, der Ehefrau und den Kindern in hierarchischer Abstufung auch Sklavinnen und Sklaven und das Vieh umfasste. Dieses soziale Gefüge, basierend auf der Ehe zwischen Freien, wird in der griechischen wie auch römischen Literatur der Antike, z. B. bei Aristoteles und Cicero, als kleinste Einheit und Keimzelle des Staates bezeichnet. Ein gut geführtes Haus konnte einen freigeborenen Mann für höhere Aufgaben in der Stadtöffentlichkeit qualifizieren, während Fehlverhalten von Mitgliedern des Haushalts, insbesondere der Ehefrau oder des weiblichen Nachwuchses, das Ansehen des Hausvaters in der Stadtöffentlichkeit schmälerte, vor allem dann, wenn es in Verbindung mit einem Verhalten stand, das den guten Sitten-- insbesondere in sexueller Hinsicht-- zuwiderlief. Dies ist-- sehr kurz gefasst-- der Hintergrund für den Konflikt um Lebensformen und Glaubenspraxis im ersten Teil der ActThecl. Ausgangspunkt für die Veränderung, die Theklas Mutter Theokleia und Thamyris an ihrer Tochter bzw. Verlobten bemerken, ist eine Predigt des Paulus, die Thekla hört und die sie für den Glauben an Christus begeistert. Den Kern dieser Predigt bilden Seligpreisungen, die dazu auffordern, die herrschende Weltordnung zu verlassen, also zum Beispiel nicht zu heiraten, sondern ehefrei zu leben. 4 Das griechische Substantiv enkrateia, das hier Verwendung findet, enthält den Stamm krat- (Macht, Herrschaft) und meint die Macht, die jemand bei sich, über sich oder über etwas hat. Es bedeutet in erster Linie Selbst-Beherrschung, ferner Enthaltsamkeit, die häufig auf den Bereich der Sexualität bezogen wird. 5 Die Aufforderung zu einer solchen ehefreien Lebenspraxis-- die von Verheirateten durch den Verzicht auf Sexualität mit ihrem Ehepartner und von Unverheirateten durch den Verzicht auf eine Ehe praktiziert werden kann-- wird in den ActThecl mit einer Verheißung verknüpft: »Glücklich, die den Körper heilig bewahren, denn sie werden Tempel Gottes werden« (§ 5). In diesem Bild vom Körper als Tempel Gottes drücken sich die besondere Nähe der Glaubenden zu Gott und ihre uneingeschränkte Zugehörigkeit zum Machtbereich Gottes aus. Die Botschaft von der enkrateia hatte im frühen Christentum für Männer und Frauen jedoch unterschiedliche Bedeutung und Konsequenzen: Für einen verheirateten Mann bedeutete sie, das Verfügungsrecht über seine Frau, das auch den Körper und die Sexualität der Frau einschloss, aufzugeben. Für Frauen bedeutete sie hingegen, Dr. Beate Wehn, geb. 1970, studierte Ev. Theologie und Germanistik in Siegen und Kassel, Promotion über Gewalterfahrungen und Widerstand von Frauen in den Thekla-Akten (2005), unterrichtet Deutsch und Ev. Religion am Engelsburg-Gymnasium in Kassel und ist Mitarbeiterin in der Schulseelsorge. Beate Wehn »Im Kontext einer gesellschaftlichen Ordnung, in der die Ehe zwischen Freigeborenen eine zentrale Bedeutung hat, musste die Aufforderung des Paulus an Frauen und Männer, ehefrei zu leben, als Provokation und Politikum verstanden werden.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 26 - 4. Korrektur 26 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema das Selbstverfügungsrecht über ihren Körper und ihre Sexualität zu erlangen. Folglich erlebten sie durch die ehefreie Lebenspraxis einen Zuwachs an Autonomie. Im Kontext einer gesellschaftlichen Ordnung, in der die Ehe zwischen Freigeborenen eine zentrale Bedeutung hat, musste die Aufforderung des Paulus an Frauen und Männer, ehefrei zu leben, als Provokation und Politikum verstanden werden. Der hier entstehende Konflikt zwischen den Normen und Traditionen der gesellschaftlichen Ordnung, insbesondere in Bezug auf das Geschlechterverhältnis, und der Praxis der Abkehr von genau diesen Normen und Traditionen in frühchristlichen Lebens- und Glaubenszusammenhängen wird nun in den ActThecl am Beispiel Theklas thematisiert. Das Private wird politisch-- Eheverweigerung als Anfrage an die gesellschaftliche Ordnung Indem Thekla sich zu dem Glauben, den Paulus im Nachbarhaus verkündigt, hingezogen fühlt und sich fortan den Erwartungen ihrer Mutter und ihres Verlobten verweigert, wird das nur vordergründig Private zum Politikum: In Theokleias und Thamyris‘ Augen verhält Thekla sich schamlos, d. h. sie lässt mit ihrer Begeisterung für die Predigt des fremden Mannes Paulus die von einer (verlobten) Jungfrau erwartete Zurückhaltung vermissen. Thamyris sieht sich durch Paulus gar seiner Braut »beraubt«. Für Thamyris droht, wenn es bei Theklas Begeisterung für ein ehefreies Leben bleibt, ein massiver Verlust an öffentlichem Ansehen. Thamyris schafft es in der Folge, Paulus vor den Statthalter zu bringen und anzuklagen. Der zentrale Vorwurf, der Paulus hier und in der Folge gemacht wird, bezieht sich immer auf seine Lehre von der Ehefreiheit, die Thamyris als für sich persönlich, aber auch für die Stadt als bedrohlich empfindet: »Du verdirbst die Stadt der IkonierInnen und auch meine Verlobte, dass sie mich nicht mehr will.« (§ 15) Paulus wird vom Statthalter zunächst ins Gefängnis gesteckt, wo Thekla ihn nachts besucht und von ihren Angehörigen zu Paulus‘ Füßen sitzend gefunden wird. In der Erzählung markiert Theklas nächtlicher Alleingang ihre neue Bindung an den Glauben, den Paulus verkündigt hat, und an ihn. Für ihre Angehörigen ist diese Grenzüberschreitung Theklas-- sie sehen sie als »mitgefesselt aus Liebe« (§ 19)-- Anlass, sofort vor den Statthalter zu ziehen. Im Zuge des Prozesses, der zunächst nur Paulus galt, wird nun auch Thekla vom Statthalter verhört: »Weswegen heiratest du Thamyris nicht nach der Sitte der IkonierInnen? « (§ 20). Wie zuvor gegenüber ihrer Mutter und ihrem Verlobten schweigt Thekla, so dass ihre Mutter fordert: »Verbrenne die Gesetzlose, verbrenne, die die Ehe verweigert, in der Mitte des Theaters, damit alle Frauen, die von diesem [sc. Paulus] belehrt wurden, Furcht bekommen! « (§ 20). In der erzählten Welt ist es Theklas eigene Mutter, die mit großer Härte und Unerbittlichkeit für das Festhalten an der traditionellen gesellschaftlichen Ordnung plädiert und damit deutlich macht, dass es hier nicht nur um einen privaten Beziehungskonflikt geht. Während Paulus nur aus der Stadt verbannt wird, verurteilt der Statthalter Thekla zum Verbrennungstod, der sogleich erfolgen soll. Junge Männer und Jungfrauen der Stadt müssen den Scheiterhaufen für Thekla in der Arena herrichten, bevor diese nackt dem Feuer und den Blicken der anwesenden Stadtöffentlichkeit preisgegeben wird. Damit wird Theklas Körper nun im Wortsinn Schau-Platz des Kampfes um die Verfügungsmacht über sie, ihr Leben und ihren Körper. Ihr Verhalten, das im Rahmen antiker Geschlechterrollenkonstruktionen von ihrer Mutter und ihrem Verlobten als scham- und gesetzlos wahrgenommen worden war, soll hier durch eine öffentliche Beschämung und Entwürdigung sanktioniert werden und Nachahmerinnen abschrecken. Die öffentliche Hinrichtung ist so auch als Machtdemonstration der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung gedacht. Die erzählende Instanz gibt hier allerdings den Blick auf Thekla nicht durch voyeuristische Blicke von Zuschauenden frei, sondern schildert, wie der Statthalter Thekla wahrnimmt: Er, der Thekla zum Tode verurteilt hat, weint bei ihrem Anblick und angesichts der Kraft, Macht und Stärke (gr. dynamis), die Thekla ausstrahlt. Dies ist eine starke narrative Strategie, erklärt sie doch das Ansinnen des Statthalters, Thekla zu entwürdigen, zumindest im Hinblick auf diesen als gescheitert. Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff der dynamis bezieht sich nicht auf die äußere Erscheinung Theklas, sondern bedeutet in diesem Kontext, dass Thekla die Gegenwart Gottes ausstrahlt. Ihr Wunsch, ehefrei zu leben, wird von der erzählenden Instanz legitimiert, was dadurch verstärkt wird, dass Thekla anschließend durch Gottes Eingreifen vom Verbrennungstod gerettet wird. Theologisch bedeutsam ist zudem, dass Thekla, bevor sie auf den Scheiterhaufen steigt, so heißt es in § 22, mit ihrem Körper ein Kreuz darstellt. Unter Rückgriff auf ähnliche Zeugnisse aus den Märtyrer- Akten lässt sich dies als Bekenntnis und Protest gleichermaßen verstehen: Mitten im Theater bekennt sich Thekla mit ihrem Körper-- das ist die einzige Sprache, die ihr geblieben ist-- selbstbewusst zu Jesus aus Nazaret, den der römische Statthalter Pontius Pilatus kreu- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 27 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 27 Beate Wehn Der weibliche Körper als Schau-Platz zigen ließ. Mit der für alle sichtbaren Verletzlichkeit ihres entblößten Körpers verweist sie auf ein anderes Unrecht, den gewaltsamen, qualvollen Tod Jesu und gewinnt damit auch die Deutungsmacht über das Geschehen zurück. 6 »Vergewaltige nicht die Sklavin Gottes! «-- Gewalt und Widerstand in Antiochia Die zweite Situation, in der ein Mann Anspruch auf Thekla erhebt, findet sich in ActThecl 26 ff. Thekla erscheint dort nach ihrer Rettung und Wiederbegegnung mit Paulus als dessen Begleiterin. Ihre Ankunft in Antiochia wird wie folgt erzählt: »(26) b Gleich bei ihrer Ankunft erblickte ein Syrer namens Alexander Thekla, und er begehrte sie. c Und er bat Paulus mit Geld und Geschenken. d Paulus antwortete: ›Ich kenne die Frau nicht, von der du sprichst, sie ist nicht mein.‹ e Weil er (Alexander) ein sehr mächtiger Mann war, umschlang er sie auf offener Straße. f Sie aber duldete es nicht, sondern suchte Paulus. g Und sie schrie bitterlich und rief: ›Vergewaltige nicht die Fremde, vergewaltige nicht die Sklavin Gottes! Ich bin die Erste der IkonierInnen, doch weil ich Thamyris nicht heiraten wollte, bin ich aus der Stadt vertrieben! ‹ e Und sie ergriff Alexander, zerriss sein Amtsgewand, riss ihm den Ehrenkranz von seinem Kopf und machte ihn zum Gespött. (27) a Weil er sie aber liebte und gleichzeitig beschämt worden war durch das, was ihm geschehen war, führte er sie zum Statthalter. b Und da jene zugab, dies getan zu haben, verurteilte dieser sie zu den wilden Tieren.« Alexanders Verhalten, als er Thekla sieht, sie begehrt und über Paulus an sie heranzukommen versucht, entspricht der gängigen antiken Logik, nach der Frauen in der Regel einer männlichen Person zu- oder auch untergeordnet sind- - sei es, dass sie unter der Verfügungsgewalt des Vaters, des Ehemannes oder auch eines Vormundes stehen. Welches Verhältnis Alexander zwischen Paulus und Thekla vermutet, bleibt unklar. Wichtig ist, dass Alexander durch seine Vorgehensweise absteckt, ob Thekla Paulus zugeordnet ist oder nicht. Geld und Geschenke, die er dabei einsetzt, zeigen ihn als wohlhabenden Mann. Weichenstellend ist nun, dass Paulus sowohl leugnet, Thekla zu kennen, als auch, dass ein Zuordnungsverhältnis zu ihr besteht. Damit geht er als Ortsfremder in Antiochia, der hier über kein schützendes soziales Netzwerk verfügt, potenziellen Schwierigkeiten aus dem Weg. Auch wenn Paulus in Bezug auf das nicht vorhandene Zuordnungsverhältnis zu Thekla die Wahrheit sagt, bedeutet dies für Thekla, dass sie damit Alexander ausgeliefert ist. Dieser wird nicht nur als wohlhabend, sondern auch als mächtig charakterisiert. Er trägt ein Amtsgewand und einen Ehrenkranz auf dem Kopf. Später wird er auch als Ausrichter des Tierkampfes, zu dem Thekla verurteilt wird, bezeichnet (vgl. ActThecl 30). Die erzählende Instanz betont hier das Machtgefälle zwischen Alexander und Thekla: auf der einen Seite der mächtige, in der Stadtöffentlichkeit angesehene Mann Alexander, auf der anderen Seite die ortsfremde junge Frau Thekla, die noch dazu auf sich allein gestellt ist und nicht auf den Schutz eines männlichen Verwandten oder einer Familie zurückgreifen kann. Alexanders Übergriff ist nun als Versuch zu sehen, Thekla in Besitz zu nehmen. Nach römischem Recht erfüllt Alexanders Übergriff mindestens den Tatbestand des stuprum per vim (»Unzucht durch/ mit Gewalt«), denn es handelt sich eindeutig um den Versuch, Thekla den sexuellen Kontakt ungeachtet ihres eigenen Willens mit physischer Kraft aufzuzwingen. 7 Während Alexanders Übergriff in einem Satz geschildert wird, gilt die zweite Hälfte von ActThecl 26 dem Versuch Theklas, sich gegen Alexanders Übergriff zu wehren. Dies tut sie, indem sie hilfesuchend nach Paulus Ausschau hält, schreiend protestiert und schließlich handgreiflich gegenüber Alexander wird. Ihre Notsituation wird dabei unmittelbar deutlich. Zunächst zeigt Theklas suchender Blick, dass Paulus nicht nur nicht zu Hilfe kommt, sondern gar nicht mehr in der Nähe zu sein scheint. Die neuerliche »Prüfung«, vor der er bei ihrer Wiederbegegnung Thekla gewarnt hatte, hat er nicht nur selbst mit verursacht, sondern er selbst ist es auch, der nicht standhält, weil er sich einem möglichen Konflikt mit Alexander, zu dem sein Eintreten für Thekla hätte führen können, entzieht. In der Art und Weise, wie Paulus’ Warnung und sein Verhalten in Antiochia innerhalb weniger Zeilen aufeinander bezogen werden, liegt eine deutliche Kritik, die Luise Schottroff bereits treffend formuliert hat: »Aus der Theklalegende spricht viel Zorn christlicher Frauen gegen christliche Männer, die Jungfräulichkeit predigen, aber die Gewalt gegen Frauen feige zulassen oder sogar unkritisch akzeptieren.« 8 Die alleingelassene Thekla geht nun zum lautstarken verbalen Protest über. Ihr Schreien kennzeichnet den Beginn eines massiven Frauenwiderstands in Antiochia, der sich durch ActThecl 26-39 zieht. Theklas Worte sind in vieler Hinsicht bedeutsam. Thekla bezeichnet »Aus der Theklalegende spricht viel Zorn christlicher Frauen gegen christliche Männer, die Jungfräulichkeit predigen, aber die Gewalt gegen Frauen feige zulassen oder sogar unkritisch akzeptieren.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 28 - 4. Korrektur 28 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema das, was Alexander ihr anzutun im Begriff ist, mit dem Verb biazomai, das zunächst ganz allgemein Gewalt anwenden bedeutet. Im Kontext von ActThecl 26 ist diese Gewalt auf dem Hintergrund von Alexanders Begehren und seinem körperlichen Übergriff eindeutig als sexualisiert zu bezeichnen. Daher ist die Übersetzung des zwei Mal in Folge von Thekla verwendeten Verbs mit vergewaltigen nicht nur gerechtfertigt, sondern für eine präzise Beschreibung des Geschehens unerlässlich. 9 In Theklas Protest kommt zudem die ganze Spannung zum Ausdruck, die ihre Existenz prägt, als sie auf der Straße von Antiochia vergewaltigt zu werden droht: Dafür werden die Begriffspaare Fremde ↔ Sklavin Gottes und Erste der IkonierInnen ↔ aus der Stadt verbannt verwendet. Nach Paulus’ Weggang ist Thekla als ortsfremde junge Frau allein auf sich gestellt, schutzlos und dadurch in besonderer Weise gefährdet. 10 Sie verfügt über kein schützendes Beziehungsnetzwerk. Dem steht allerdings die Selbstbezeichnung als Sklavin Gottes gegenüber, die im Neuen Testament nur noch in Lk 1,38 von Maria verwendet wird, um ihre Gottesbeziehung auszudrücken. Das Bild, das dem Herr-Sklavin-Verhältnis zu Grunde liegt, ist zunächst ein patriarchales Bild, in dem sich Freiheit und Unfreiheit, Herrschaft und Unterordnung, Macht und Machtlosigkeit, Befehlsgewalt und Ausgeliefertsein gegenüberstehen. Das Herr-Sklavin-Verhältnis ist ein Eigentumsverhältnis, da SklavInnen grundsätzlich nicht sich selbst, sondern ihren HerrInnen gehören. Im römischen Recht zeigt sich dies darin, dass Delikte gegen SklavInnen in die Nähe der Sachbeschädigung gerückt werden und SklavInnen gegenüber ihren eigenen HerrInnen nur wenig geschützt sind. 11 Der Spielraum dessen, was als gesellschaftlich und juristisch erlaubt im Umgang mit SklavInnen gilt, ist weit und reicht von körperlichen Züchtigungen bis zur sexuellen Ausbeutung. 12 Von diesem sozialgeschichtlichen Befund aus ist für ActThecl 26 und im Anschluss an Lk 1,38 mit Jane Schaberg zu fragen, ob mit der Bezeichnung Sklavin Gottes eine auf Unterwerfung ausgerichtete Frauenrolle, die Akzeptanz einer patriarchalen Überzeugung von der weiblichen Inferiorität, Abhängigkeit und Hilflosigkeit manifestiert und transportiert werden. 13 Jane Schaberg verneint dies in Bezug auf Maria in Lk 1,38.48. 14 Sie findet die religiöse Verwendung der SklavInnen-Terminologie bereits im Heiligkeitsgesetz in Lev 25,42 angelegt. Dort spreche Gott von den IsraelitInnen als seinen SklavInnen, die er aus der ägyptischen Sklaverei befreit habe und die deshalb nicht mehr als SklavInnen verkauft werden sollen: »The paradox is a strange one: the God who sets slaves free, frees them to be slaves to God. There is an enslavement to the God who liberates slaves. But of fundamental importance here for real social revolution are the insights that each person among the people of Israel was originally a slave who had been set free; and the real ›ruler‹ is one who frees the oppressed and yet is a servant.« 15 Auf dieser Linie liegt auch die Verwendung der SklavInnen-Terminologie in Lk 1. 38. 48 und bekommt eine positive Bedeutung, die noch dadurch unterstrichen wird, dass Maria sich, wenn sie sich als Sklavin Gottes bezeichnet, in eine Reihe mit herausragenden SklavInnen Gottes in der Hebräischen Bibel stellt: Mose, Josua, Abraham, David, Isaak, den Propheten und Hanna. Sklavin Gottes zu sein, so Schaberg, sei hier ein Ehrentitel für solche Personen, die sich selbst Gott ganz anvertraut und verpflichtet hätten. 16 Lk 1,38.48 sei außerdem verknüpft mit dem Zitat von Joël 3,1-2 in Apg 2,17 f., in dem es heißt: »auch auf meine Sklaven und auf meine Sklavinnen werde ich in jenen Tagen meine Geistkraft ausgießen, und sie werden weissagen.« Dieses- - prophetisch reden- - tue Maria in Lk 1,46- 55. 17 Die Selbstbezeichnung Marias als Sklavin Gottes ist im Kontext des Lukasevangeliums als Ausdruck ihrer Freiheit und ihres Mutes, sich ganz auf Gott einzulassen zu verstehen: »Wenn Maria sich Sklavin nennt, dann drückt sie damit ihr Wissen um die Konsequenzen, die ihr Weg für sie bedeuten wird, aus und trifft eine bewußte und aktive Entscheidung. Sie tritt als handelndes Subjekt in die Heilsgeschichte Gottes ein« 18 . Dies kann auch auf Thekla übertragen werden, und ihre Selbstidentifikation als Sklavin Gottes in ist möglicherweise eine absichtsvolle Anspielung auf Lk 1,38.48 als Ausdruck der besonderen Qualität der Beziehung zwischen Thekla und Gott. 19 Auf einer zweiten Ebene treffen hier Alexander als Repräsentant des imperialen oder eines lokalen Kults und Thekla als Repräsentantin ihres Gottes aufeinander. Diese Dimension der Erzählung wird bis ActThecl 39 immer wieder aufgenommen. Da Alexander auf Theklas verbalen Widerstand nicht reagiert, wehrt sich Thekla schließlich handgreiflich, indem sie Kranz und Amtsgewand, die äußeren Zeichen und Symbole, die Alexanders politisch-religiöse Funktion und seinen Status bzw. seine Macht für alle sichtbar kennzeichnen, herunterreißt bzw. zerstört. Angesichts der Bedeutung, die dem sozialen Status und politischen Rang entsprechende Kleidung in der Antike auch für Männer zukommt, zumal wenn es sich um hohe Amts- und Funktionsträger handelt, stellt dies eine gravierende öffentliche Demütigung dar: Alexander wird auf der Straße von Antiochia von einer Frau, die sich gegen ihn wehrt, zum Gespött gemacht. Juristisch Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 29 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 29 Beate Wehn Der weibliche Körper als Schau-Platz ist Theklas Widerstand Notwehr: »Der […]Vergewaltigung oder der Injurie gegenüber ist es wohl zulässig, Gewalt gegen Gewalt zu setzen« 20 , insbesondere auch »bei einem Angriff auf die Keuschheit einer Frau« 21 . Dass diese Notwehr bzw. der deutliche Widerstand gegen den Angreifer von ZeugInnen bestätigt werden konnte, ist im antiken Kontext von essentieller Bedeutung für die Chancen einer Frau, dass ihre-- oder ihrer Angehörigen-- Klage auf (versuchte) Vergewaltigung als solche anerkannt und ihr stattgegeben wurde. 22 Ein fragwürdiger Prozess und ein falsches Urteil ActThecl 27a zeigt, dass Thekla sich offenbar erfolgreich gegen Alexanders Übergriff wehren konnte, aber Alexander selbst nicht entkommen ist. Die erzählende Instanz geht allerdings nicht weiter auf Thekla ein, sondern schildert die innere Motivation, aus der heraus Alexander sofort einen Prozess gegen Thekla initiiert: Die in ActThecl 27a verwendeten sprachlichen Wendungen und grammatikalischen Formen geben Einblick in Alexanders Perspektive: Er sieht sich als Opfer, das beschämt worden und dem etwas geschehen ist. Das Verb aischynō (beschämen) im Passiv bedeutet vor allem entehrt werden und meint, im öffentlichen Ansehen, in der Würde angegriffen zu werden, die öffentliche Anerkennung für den eigenen sozialen Status und Rang zu verlieren. Da sich die Szene in ActThecl 26 auf offener Straße abgespielt hat, ist es wahrscheinlich, dass Alexanders Ansehen tatsächlich Schaden genommen hat. Der Bericht über die Initiierung des Prozesses und das Urteil beschränkt sich auf zwei knappe Sätze, innerhalb derer die Täter-Opfer-Konstellation vollständig umgedreht wird. Weil es heißt, dass Thekla »zugab, dies getan zu haben« (§ 27b), ist klar, dass vor Gericht der Vergewaltigungsversuch durch Alexander gar nicht zur Debatte steht. Eine Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses erscheint nämlich nur dann möglich, wenn Alexander seinen Übergriff auf Thekla verschweigt und stattdessen Theklas in Notwehr ausgeübten Widerstand in einen Angriff umdeutet. Für einen einheimischen Mann in einer unstrittig gehobenen Position innerhalb der Stadtbzw. Provinzialhierarchie-- mutmaßlich mit Verbindungen zum Statthalter- - ist dies historisch keineswegs abwegig, 23 zumal wenn die Angeklagte eine ortsfremde Frau ohne hilfreiche Verbindungen in der Stadt ist. Dass es in § 27b lediglich um Theklas ›Geständnis‹ geht und unmittelbar darauf das verhängte Strafmaß berichtet wird, kann als deutliche Kritik am Inhalt des Prozesses und der Urteilsfindung verstanden werden. Das Delikt, dessen der Statthalter aus Alexanders Anklage heraus Thekla für schuldig befunden hat, wird erst in § 28c als Tempelschändung bezeichnet. Da Alexander von der erzählenden Instanz als hoher Beamter in politisch-religiöser Funktion dargestellt wird, erklärt sich diese (falsche) Anklage als iniuria gegen einen Repräsentanten der römischen Herrschaft-- symbolisiert z. B. durch eine Büstenkrone mit Götter- und Kaiserköpfen-- und das ist eine Form des Sakrilegs, der Tempelschändung. Bei einem solchen Delikt lautet das Urteil häufig Tod durch Volksfesthinrichtung, d. h. Tierkampf. Macht-Spiele, Gewalt und Widerstand in Antiochia Thekla wird nach der Urteilsverkündung an eine Löwin gebunden in einem Umzug durch die Stadt geführt-- eine Machtdemonstration Alexanders, die allerdings vom Protestgeschrei der Frauen Antiochias begleitet wird. Bis zur Hinrichtung im Tierkampf nimmt sich Tryphaina, die Verwandte des Kaisers, Theklas an und bewahrt sie damit vor weiteren sexuellen Übergriffen in der Exekutionshaft. Dass solche Übergriffe bis hin zur Einstellung von Verurteilten ins Bordell durchaus üblich waren, belegen die zahlreichen Hinweise in zeitgenössischen Quellen, z. B. in den Märtyrer-Akten. 24 Tryphaina gibt Thekla selbst am Tag der Hinrichtung nicht heraus-- weder an die Soldaten des Statthalters noch an Alexander, den Veranstalter des Tierkampfes selbst- -, sondern bewahrt Thekla dadurch, dass sie sie selbst zur Arena geleitet, vor möglichen Gewalttaten im Vorfeld des Tierkampfes, den auch Tryphaina nicht verhindern kann. Auffallend ist, dass das Unrecht, das Thekla in Antiochia widerfährt, von der erzählenden Instanz vom Prozess gegen Thekla an mit dem Widerstandsgeschrei der Frauen Antiochias gleichsam unterlegt wird und dadurch eine eindeutige und durchgehende Verurteilung erfährt. Dies setzt sich auch fort, wenn von Theklas öffentlicher Hinrichtung im Tierkampf erzählt wird. Wie bereits zuvor in Ikonion wird Thekla auch für den Tierkampf entkleidet und nur mit einem Schurz bekleidet den wilden Tieren ausgesetzt, die nun auf sie losgelassen werden und sie töten sollen. Auch in Antiochia soll Theklas Weigerung, sich dem Verfügungsanspruch eines Mannes zu unterwerfen, der sie begehrt, »Der Bericht über die Initiierung des Prozesses und das Urteil beschränkt sich auf zwei knappe Sätze, innerhalb derer die Täter-Opfer-Konstellation vollständig umgedreht wird.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 30 - 4. Korrektur 30 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema mit öffentlicher Beschämung und Degradierung zu einer Person, die keine Würde mehr hat, beantwortet werden. In Antiochia erfährt Thekla allerdings durch den verbalen und tätigen Widerstand der Frauen der Stadt, die versuchen, die Tiere in der Arena mit Hilfe wohlriechender Kräuter zu betäuben, und durch den Schutz, den ihr Tryphaina gewährt, eine große Solidarität. Auch die erneute Rettung durch Gottes Eingreifen-- er schickt z. B. eine Feuerwolke, die Thekla vor den wilden Tieren schützt und den Blicken des Publikums entzieht-- macht deutlich, dass die erzählende Instanz auf der Seite Theklas steht und das, was ihr an Unrecht widerfährt, als solches eindeutig kritisiert und verurteilt wird. Alexander und der Statthalter, die letztlich ihr Vorhaben, Thekla hinzurichten, erst aufgeben, als die Nachricht von Tryphainas Tod sie fürchten lässt, dass ihr Tun negative Konsequenzen für sie selbst haben könnte, erscheinen damit am Ende als eher schwach und in ihrer Macht begrenzt. »(37) a Der Statthalter rief Thekla mitten aus den Tieren heraus und fragte sie: ›Wer bist du? Und was ist um dich, dass dich keines der Tiere angerührt hat? ‹ b Diese antwortete: ›Ich bin des lebendigen Gottes Sklavin. c Das ist um mich: Ich habe an den geglaubt, an dem Gott sein Wohlgefallen hatte-- seinen Sohn. d Um seinetwillen hat mich keines der Tiere angerührt. e Dieser allein ist das Wegzeichen der Rettung und die Grundlage unsterblichen Lebens. f Den vom Sturm Geplagten ist er Zufluchtsort, den Gequälten ist er Linderung, den Verzweifelten (ist er) Schutz, und überhaupt: g Wer an ihn nicht glaubt, wird nicht leben, sondern tot sein für immer.‹ (38) a Als dies der Statthalter hörte, befahl er, Kleider zu bringen und sprach: ›Zieh diese Kleider an! ‹ b Sie antwortete: ›Der mich bekleidet hat, als ich nackt zwischen den Tieren war, wird mich am Tag des Gerichts/ der Gerechtigkeit mit Rettung/ Wohlergehen bekleiden.‹ c Und sie nahm die Kleider und zog sie an. d Und sofort gab der Statthalter eine Verfügung heraus, indem er sagte: ›Thekla, die gottesfürchtige Sklavin Gottes, gebe ich euch frei.‹ e Und alle Frauen schrien mit lauter Stimme und wie aus einem Munde und lobten Gott mit den Worten: ›Einer ist Gott, der Thekla gerettet hat! ‹, so dass von den Stimmen die ganze Stadt erschüttert wurde.« Der Freispruch Theklas durch den Statthalter in Verbindung mit der Aufforderung, ihr Kleidung zukommen zu lassen, ist als Rehabilitation der zuvor ihrer Würde Beraubten zu verstehen. In einem gesellschaftlichen Gefüge, in dem die angemessene Kleidung-- vor allem in der Öffentlichkeit-- einen wesentlichen Beitrag zur Würde einer Person leistet, kommt dem Befehl des Statthalters eine wichtige Funktion zur Wiederherstellung von Theklas Status als ehrbarer Frau zu. Der Freispruch des Statthalters enthält außerdem die Anerkennung des Gottes, als dessen Sklavin sich Thekla jetzt bezeichnet und zuvor bei Alexanders Übergriff bekannt hat. Sexualität und Macht in den ActThecl-- Fazit Die ActThecl thematisieren den Zusammenhang von Sexualität und Macht im Geschlechterverhältnis vor allem im Zusammenhang von Theklas Eheverweigerung und dem Übergriff des Alexander. Auch wenn die Situationen in Ikonion und Antiochia durchaus unterschiedlich sind, weisen sie Parallelen auf, die erkennen lassen, dass hier auf strukturelle Probleme im gesellschaftlichen Gefüge hingewiesen wird: 1) Problematisiert wird am Beispiel Theklas das herrschende Geschlechterverhältnis, das für Frauen die Zu- und Unterordnung unter die Interessen des (Ehe-)Mannes vorsieht und alternative Lebensformen jenseits der patriarchalen Ehe für Frauen nicht toleriert. Fällt eine Frau aus dem patriarchalen familiären Zusammenhang heraus, ist sie in der Öffentlichkeit weitgehend ungeschützt. 2) Widerstand gegen die Interessen und das Begehren eines Mannes-- sei er Verlobter oder auch ein Fremder- - wird von diesem unter bestimmten Bedingungen als öffentliche Beschämung und Ehrverlust wahrgenommen, der dann auch öffentlich sanktioniert werden muss. Scheinbar private Beziehungskonflikte erweisen sich als gesellschaftspolitisch relevante Auseinandersetzungen um die gesellschaftliche Grundordnung. In den ActThecl scheitern die Ankläger Theklas letztlich mit ihrem Bestreben, die gesellschaftliche Ordnung bzw. ihre Ehre als Männer wiederherzustellen. 3) Die öffentliche Zurschaustellung des Körpers in Hinrichtungsszenarien ist Bestandteil der antiken Bestrafungsriten und symbolisiert sowohl die Schutzlosigkeit der Verurteilten als auch ihren Ehrverlust. In einer Gesellschaft, in der angemessener Kleidung insbesondere von Frauen eine hohe Bedeutung zukommt, ist die Entblößung des »Problematisiert wird am Beispiel Theklas das herrschende Geschlechterverhältnis, das für Frauen die Zu- und Unterordnung unter die Interessen des (Ehe-)Mannes vorsieht und alternative Lebensformen jenseits der patriarchalen Ehe für Frauen nicht toleriert.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 31 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 31 Beate Wehn Der weibliche Körper als Schau-Platz weiblichen Körpers vor der Öffentlichkeit eine besonders gravierende Sanktion und muss als Form der sexualisierten Gewalt bezeichnet werden. 4) Die frühchristliche Predigt und Praxis der Ehefreiheit bedeutet für Frauen zwar einen Zuwachs an Autonomie und Selbstbestimmung, aber bedeutet insbesondere für unverheiratete Jungfrauen auch eine erhöhte Gefährdung in der Öffentlichkeit, zumal dann, wenn die Solidarität der Glaubensgeschwister ausbleibt, wie hier im Fall des Paulus. Die Macht der Gewalt durchbrechen-- zur theologischen Bedeutung der ActThecl Die Menschen, die im frühen Christentum Theklas Geschichte tradieren, erzählen von einer Frau, die wiederholt von Gewalt(tätern) bedroht und betroffen ist, deren Körper im wahrsten Sinne des Wortes zum »Schau-Platz« wird für das Ringen um die Macht über das eigene Leben, die eigene Sexualität, und die an der Schwelle des Todes zwei Mal auf wundersame Weise gerettet wird. Diese Rettungswunder auf der Ebene der erzählten Welt stehen in Spannung zu den realen Erfahrungen der frühchristlichen ErzählerInnen, denn Frauen und Männer, die in den Arenen des römischen Reiches landeten, überlebten diese Hinrichtungsspektakel mehrheitlich nicht, sondern starben qualvolle Tode an Kreuzen, auf Scheiterhaufen und in Tierkämpfen. Die dargestellten Konflikte um die Verfügungsmacht über Thekla, ihre Sexualität, ihren Körper und ihr Leben bis hin zur Gewalt und die Analyse dieser Gewalt durch die erzählende Instanz in den ActThecl lassen sich vor dem Hintergrund ihres sozialgeschichtlichen Kontextes als äußerst realitätsnahe Verdichtung von Frauenerfahrungen verstehen. Deutlich auf die Realität rekurrierend, wird Gewalt gegen Frauen in den ActThecl als im patriarchal strukturierten Geschlechterverhältnis angelegt entlarvt und als politisch brisantes Thema dargestellt. Ebenso deutlich wird mit der Art der Darstellung des Paulus auch Kritik an frühchristlichen Männern laut, die die ehefreie Lebensweise für Frauen und Männer propagieren, aber weiterhin gängige Vorurteile über das Wesen von Frauen reproduzieren bzw. durch mangelnde Solidarität zu Mittätern an Gewalt gegen diejenigen Frauen werden, die ihre Schwestern im Glauben sind. Gleichzeitig schildert die Erzählung, wie die in der Realität zumeist unumkehrbare Gewaltdynamik, die dort- - allem Widerstand zum Trotz- - zum sicheren Tod führt, mehrfach durch das Eingreifen Gottes, den Widerstand Theklas, das Handeln von Frauen und auch eines Tieres durchbrochen wird, so dass Thekla dem Tod auf dem Scheiterhaufen, einer Vergewaltigung und dem Tod im Tierkampf entkommt. Diese Spannung innerhalb der ActThecl und zwischen der Erzählung und der Welt ihrer zeitgenössischen ErzählerInnen betrachte ich als den Schlüssel zum Verständnis der ActThecl als einer Geschichte, die die widerständige Sehnsucht nach dem Ende von Gewalt ausdrückt und die Hoffnung am Leben hält, dass Gott und Menschen gemeinsam dazu beitragen müssen, die täglich gefährdete physische und psychische Integrität von Frauen und ihre immer wieder von Gewalttätern in Frage gestellte Würde zu bewahren. Die ErzählerInnen der ActThecl erzählen Theklas Geschichte auch in Erinnerung an die, die nicht davongekommen sind und auch in der Gegenwart nicht davonkommen-- und sie erzählen sie um ihres eigenen Überlebens willen. Ivone Gebara drückt diese Verbindung aus, die zwischen denen besteht, die davonkommen und denen, die nicht überleben: »Die Toten sind Verbündete in der Geschichte unserer Kämpfe für Gerechtigkeit, Gleichheit, Recht auf Wohnung und Land. Die Toten sind unsere Verbündeten in den Tragödien, die wir heute erleben. Ihre zum Schweigen gebrachte Stimme schreit in uns weiter, die erlebte und erlittene Gewalt wiederholt sich in gewisser Weise weiterhin in uns, ebenso wie das gerechte Anliegen von Toten auch unser Anliegen ist. […] Die Gemeinschaft zwischen denen, die aus dem alltäglichen Zusammenleben in unserer Geschichte weggegangen sind, und denen, welche noch hier sind, verbindet die Erinnerung mit der Hoffnung als Momente ein und desselben Prozesses, in dem wir uns alle begegnen. Sie zeigt den Zusammenhang zwischen den Kämpfen der Vergangenheit und den Kämpfen der Gegenwart, die Ausdrucksformen desselben Wunsches nach Gerechtigkeit und Würde sind.« 25 Die Botschaft der ActThecl ist zudem, dass der Widerstand von Frauen gegen Gewalt, die sich gegen sie selbst oder gegen andere richtet, und das Bestreben, gewaltförmigen Beziehungen zu entfliehen, legitim und von Gott gewollt sind. In den ActThecl wird die Frage, auf welcher Seite Gott steht, klar zu Gunsten der Opfer und Überlebenden beantwortet. Für diejenigen, die Opfer von Gewalt werden, erwächst daraus die Hoffnung auf Überleben und Befreiung, für die ZeugInnen der Wahrheit die Verpflichtung, zu schreien und zu handeln, bis diese Befreiung realisiert ist. Den TäterInnen »Deutlich auf die Realität rekurrierend wird Gewalt gegen Frauen in den ActThecl als im patriarchal strukturierten Geschlechterverhältnis angelegt entlarvt und als politisch brisantes Thema dargestellt.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 32 - 4. Korrektur 32 ZNT 30 (15. Jg. 2012) Zum Thema führt die Erzählung vor Augen, dass ihre Macht begrenzt ist, wenn Gott und Menschen sich im Kampf um die Überwindung von Gewalttätern und Gewaltstrukturen verbinden. »Die Erinnerung an die Vergangenheit kann gefährliche Einsichten aufkommen lassen, und die etablierte Gesellschaft scheint die subversiven Inhalte des Gedächtnisses zu fürchten. Das Erinnern ist eine Weise, sich von den gegebenen Tatsachen abzulösen, eine Weise der ›Vermittlung‹, die für kurze Augenblicke die Macht der gegebenen Tatsachen durchbricht. Das Gedächtnis ruft vergangenen Schrecken wie vergangene Hoffnung in die Erinnerung zurück. Beide werden wieder lebendig.« 26 An die vergangenen Schrecken und Hoffnungen zu erinnern, die in der Geschichte über Thekla als verdichtete Auseinandersetzung mit den realen Erfahrungen von Frauen am Anfang der Geschichte des Christentums zur Sprache gebracht werden, ist notwendig und nährend im Ringen darum, der »Macht der gegebenen Tatsachen« in der Gegenwart zu trotzen. Anmerkungen 1 Grundlage hierfür sind die Ergebnisse meiner Dissertation, vgl. B. Wehn, »Vergewaltige nicht die Sklavin Gottes! «. Gewalterfahrungen und Widerstand von Frauen in den frühchristlichen Thekla-Akten, Königstein/ Ts. 2006, 48 ff. Um auf Fußnoten weitgehend verzichten zu können, nutze ich sie im Folgenden im Wesentlichen dort, wo ich mich auf andere als meine eigenen Forschungsergebnisse beziehe. Meine Übersetzung der Thekla-Akten ist auf der Homepage der ZNT zugänglich: www.zntonline.de. 2 Für ausführlichere Angaben zum hier skizzierten Entstehungskontext der ActThecl vgl. Wehn, Thekla-Akten. 3 Vgl. W. Schneemelcher, Paulusakten, in: Ders. (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen II: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 6 1997, 193-241: 193 ff., und A. Jensen, Thekla-- die Apostolin. Ein apokrypher Text neu entdeckt, Freiburg/ Basel/ Wien 1995. 4 Vgl. auch Beate Wehn, »Selig die Körper der Jungfräulichen«-- Überlegungen zum Paulusbild der Thekla-Akten, in: C. Janssen; L. Schottroff; B. Wehn (Hg.), Paulus. Umstrittene Traditionen-- lebendige Theologie. Eine feministische Lektüre, Gütersloh 2001, 182-198. Zur Ehefreiheit vgl. grundlegend L. Sutter Rehmann, »Und ihr werdet ohne Sorge sein …« Gedanken zum Phänomen der Ehefreiheit im frühen Christentum, in: D. Sölle (Hg.), Für Gerechtigkeit streiten. Theologie im Alltag einer bedrohten Welt, Gütersloh 1994, 88-95. 5 Vgl. Wehn, Thekla-Akten, 70 ff. Dort auch Ausführungen zu den Parallelen zwischen der Predigt des Paulus in den ActThecl und den Äußerungen des historischen Paulus u. a. in den Briefen an die Gemeinde in Korinth. 6 Vgl. zu den Parallelen zwischen den ActThecl und der Passion Jesu Wehn, Thekla-Akten, 304 ff. 7 Vgl. ausführlich zum Verständnis von Gewalt gegen Frauen in römischen Rechtsquellen Wehn, Thekla-Akten, 203 ff. 8 Luise Schottroff, »Ich kenne die Frau nicht…, sie ist auch nicht mein«. Die zwei Gesichter des Paulus, in: R. Jost/ U. Kubera (Hgg.), Wie Theologen Frauen sehen-- von der Macht der Bilder, Freiburg/ Basel/ Wien 1993, 12. 9 In der Bedeutung vergewaltigen wird das Verb biazomai z. B. in Dtn 22,25.28, in Est 7,8 und auch in SusLXX 21 gebraucht. Vgl. auch G. Doblhofer, Vergewaltigung in der Antike, Stuttgart/ Leipzig 1994. 10 Nicht umsonst gehören die Fremden schon in der Hebräischen Bibel neben Witwen und Waisen zu den Bevölkerungsgruppen, für die rechtliche Bestimmungen gelten sollen, die ihr Überleben sichern. Zur Gefährdung von Fremden vgl. exemplarisch Gen 19; Ri 19. 11 Vgl. Beate Wehn, »Geschunden die einen, und die anderen leben …« Über Herrschaft, Gewalt und Tod in einem christlichen Schreckenstext (Andreas-Akten 17-22), in: F. Crüsemann; M. Crüsemann; C. Janssen; R. Kessler u. B. Wehn (Hg.), Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel, Gütersloh 2004, 465-487. Vgl. Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, 2. Neudruck der Ausg. 1899, Aalen 1990. 12 Vgl. J. Schaberg,The Illegitimacy of Jesus. A FeministTheological Interpretation of the Infancy Narratives, New York 1990, 136; Claudia Janssen, Maria und Elisabet singen… Das Magnificat im Kontext der Begegnung einer alten und einer jungen Frau (Evangelium nach Lukas 1,39-56), in: C. Janssen/ B. Wehn (Hgg.), Wie Freiheit entsteht. Sozialgeschichtliche Bibelauslegungen, Gütersloh 1999, 178-183, 179. 13 Vgl. Schaberg, Illegitimacy, 135 f.; Janssen, Maria und Elisabet, 179. 14 Für das Folgende vgl. Schaberg, Illegitimacy, 136. 15 Ebd. 136 f. 16 Vgl. ebd. 17 Vgl. ebd., 137 f. 18 Janssen, Maria und Elisabet, 179. 19 Anne Jensen merkt an, dass Thekla in der Christentumsgeschichte zunächst der Inbegriff für Jungfräulichkeit war, bevor sie von Maria als der Jungfrau-Mutter verdrängt worden sei (Thekla 110). 20 Mommsen, Römisches Strafrecht, 620 f.; vgl.auch ebd., 653.830. 21 Ebd., 621. 22 Vgl. dazu die Ausführungen in Wehn, Thekla-Akten, und J.F. Gardner, Frauen im antiken Rom. Familie, Alltag, Recht, München 1995, 122. 23 Vgl. ausführlich Wehn, Thekla-Akten, 120 ff. 24 Vgl. ebd., 217 ff. 25 I. Gebara, Erinnerungen an Zärtlichkeit und Schmerz-- Auferstehung vom Alltag des Lebens her denken. Eine feministische Perspektive aus Lateinamerika, in: L. Sutter Rehmann u.a. (Hg.), Sich dem Leben in die Arme werfen. Auferstehungserfahrungen, Gütersloh 2002, 32-52: 41. 26 H. Marcuse, Der eindimensionale Mensch 117. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, München 4 2004.