eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 15/30

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2012
1530 Dronsch Strecker Vogel

Editorial

2012
Stefan Alkier
Eckart Reinmuth
Manuel Vogel
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 1 - 4. Korrektur ZNT 30 (15. Jg. 2012) 1 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, der viele hundert Seiten lange Weg durch den Text der zweiteiligen christlichen Bibel von der Genesis bis zur Apokalypse dauert nur ganze 27 Verse, bis der Mensch als geschlechtliches Wesen, männlich und weiblich als Gottes Ebenbild, in den Blick kommt: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau (Gen 1,27). Bis zum Ende dieses Weges bleibt menschliche Geschlechtlichkeit und Sexualität präsent, bestimmt die biblischen Narrative von Liebe und Hass, Leidenschaft und Scheitern, generiert einprägsame Sprachbilder, drastische wie poetische, und zeigt überdeutlich, wie tief den biblischen Texten die Kulturen eingeschrieben sind, die sie hervorgebracht haben. Die Johannesoffenbarung setzt mit ihrer Schilderung des endzeitlichen Kampfes der »Hure Babylon« gegen die »Braut des Lammes« einen dramatischen Schlussakzent. Für die Hauptstadt der bösen Weltmacht hat der Seher augenscheinlich keine vernichtendere Schmähung parat als jene sexuell konnotierte, und er fasst auch die Sehnsucht der christlichen Gemeinde nach dem Messias in ein erotisch grundiertes Bild. Will man angesichts der immensen Breite des gestellten Themas nicht im Ungefähren schweben, gilt es, die spezifisch antiken Kontexte biblischer Formationen des Sexuellen zu erheben. Es wird dann schnell deutlich, dass diese von modernen Konzepten von »Sexualität« denkbar weit entfernt sind-- weshalb der Begriff im Titel des vorliegenden Heftes auch nicht vorkommt. Statt dessen wählen wir mit »Sex und Macht« ein Begriffspaar, von dem wir meinen, dass es den antiken Geschlechterdiskurs am besten trifft. Namentlich geht es um die maskuline Deutungshoheit über die geschlechtliche Konstitution des Menschen, die den Vorrang des Männlichen so flächendeckend und selbstverständlich behauptet, dass sie auch für moderne Augen nicht selten allererst sichtbar gemacht werden muss. Ob es hier (und sei es in schwachen Ansätzen) ein unterscheidend Biblisches bzw. Christliches gibt, ist eine drängende theologische Frage. In der Rubrik »Neues Testament aktuell« erschließt der Beitrag von Matthias Klinghardt unter Rückgriff auf neuere und neueste kultur- und altertumswissenschaftliche Arbeiten einen weiten Horizont, der von der biblischen Schöpfungsgeschichte über rabbinische Bibelauslegung, platonische Philosophie und antike Medizin bis in die Patristik reicht. Am Beispiel der antiken Theorie protologischer Androgynie wird deutlich, dass biblische wie frühchristliche Aussagen zu Geschlecht und Geschlechterrollen tief in Grundannahmen antiker Anthropologie verwurzelt sind. Anders Klostergard Petersen trägt diesem Umstand in seinem Beitrag über Konstruktionen von Geschlecht und Sexualität im Neuen Testament damit Rechnung, dass er eine »vertikale Anthropologie« favorisiert, die die Rede vom Menschen auch im Hinblick auf Geschlecht und Sexualität kulturell und diachron zu differenzieren erlaubt. Welche Konsequenzen sich für das Verständnis des Neuen Testaments ergeben, macht er an instruktiven Textbeispielen deutlich. Eindrucksvoll führt sodann Beate Wehn den Konnex von Sex und Macht anhand der Figur der Thekla in den Thekla-Akten vor, einer frühchristlichen Quelle des 2. Jhs. In den Thekla-Akten spiegeln sich reale Gewalterfahrungen von Frauen in der Zeit des frühen Christentums, ebenso aber auch Strategien der Emanzipation. Reinhold Zwick beleuchtet mit der Figur der Salome aus Mk 6 das Verhältnis von Sex und Macht im komplexen Erzähl- und Beziehungsgefüge der Episode vom gewaltsamen Tod Johannes des Täufers, nun aber nicht in kulturanthropologischer Sicht, sondern im Spiegel der Rezeption der Salome im Film. Indem das Kino in zahllosen Variationen die Charaktere der Erzählung ausgestaltet und fortschreibt, kommt das unabgegoltene erzählerische Potential des biblischen Stoffes zum Tragen, das auch die Abgründe des Sexuellen und die dunkle Seite des Eros einschließt. Die Kontroverse, die von Lukas Bormann und Eckart Reinmuth bestritten wird, wirft eine Frage auf, die sich bei der Lektüre der übrigen Beiträge förmlich aufdrängt, die Frage nämlich, ob neutestamentliche Texte für gegenwärtige sexualethische Fragestellungen überhaupt von Bedeutung sein können, oder ob sie nicht vielmehr (in theologischer Überhöhung) eine falsche Fährte zu obsoleten kulturellen Standards legen. Nach der Geltung von Texten und deren Interpretation fragt auch Kristina Dronsch in der Rubrik Hermeneutik und Vermittlung. Am Beispiel aktueller biblisch argumentierender Positionen zum Thema Homosexualität führt sie zwei Lektü- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 12.10.2012 - Seite 2 - 4. Korrektur 2 ZNT 30 (15. Jg. 2012) remodelle vor, die in unterschiedlicher Weise die Machtförmigkeit von Akten der Textinterpretation bestimmen. Christof Meißner beschließt das Heft mit der Besprechung des Buches Indecent Theology von Marcella Althaus-Reid. In eigener Sache verabschieden wir an dieser Stelle Prof. Dr. Jürgen Zangeberg (Univ. Leiden) aus dem Kreis der Herausgeberinnen und Herausgeber der ZNT. Er scheidet wegen zahlreicher anderer beruflicher Verpflichtungen auf eigenen Wunsch aus, bleibt der ZNT aber erklärtermaßen mit Wohlwollen verbunden. Jürgen Zangenberg ist nicht nur Gründungsmitglied der ZNT, sondern auch derjenige, der ihre Gründung maßgeblich mit angeregt und realisiert hat. An dieser Stelle sei ihm mit Nachdruck und von Herzen für alle im Laufe von 15 Jahren geleistete Arbeit gedankt. Ein herzliches Willkommen sagen wir Prof. Dr. Hanna Roose (Univ. Lüneburg). Wir freuen uns sehr, dass Frau Kollegin Roose unserer Einladung gefolgt ist und sich zur Mitarbeit bereit erklärt hat. Durch ihre Forschungen im Schnittfeld von Exegese und Religionspädagogik wird sie der ZNT künftig gewiss wichtige Impulse geben. Schließlich begrüßen wir aufs Neue Dr. Kristina Dronsch, die ihre Mitarbeit zwischenzeitlich aus beruflichen Gründen ruhen lassen musste, nun aber wieder dem Kreis der Herausgeberinnen und Herausgeber der ZNT angehört. Stefan Alkier Eckart Reinmuth Manuel Vogel NEUERSCHEINUNG A. Francke Verlag • D-72070 Tübingen • info@francke.de • www.francke.de Philipp F. Bartholomä The Johannine Discourses and the Teaching of Jesus in the Synoptics Texte und Arbeiten zum Neutestamentlichen Zeitalter, Band 57 2012, XIV, 491 Seiten, € (D) 78,00/ SFr 105,00 ISBN 978-3-7720-8457-7 Especially those scholars with a negative attitude towards Johannine authenticity have frequently employed the argument based on vast differences between John and the Synoptics as to substantiate their view. Having established the methodological necessity for a clear differentiation between similarity in wording and similarity in content, the study’s main result is that what we —nd in the Johannine discourses is a representation of the teaching of Jesus that corresponds conceptually to a signi—cant degree with the picture offered by Matthew, Mark, and Luke.