eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 16/31

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2013
1631 Dronsch Strecker Vogel

C. Kavin Rowe World Upside Down. Reading Acts in the Greco-Roman Age Oxford University Press: Oxford 2009 X. 300 Seiten ISBN: 978-0-19-537 787-3 Preis: 43,- £ (Hardback), 15,99 £ (Paperback)

2013
Manuel Vogel
Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 13.03.2013 - Seite 65 - 2. Korrektur ZNT 31 (16. Jg. 2013) 65 Buchreport C. Kavin Rowe World Upside Down. Reading Acts in the Greco-Roman Age Oxford University Press: Oxford 2009 X. 300 Seiten ISBN: 978-0-19-537 787-3 Preis: 43,- £ (Hardback), 15,99 £ (Paperback) Ist die Apostelgeschichte das Dokument eines frühen Friedenschlusses zwischen dem jungen Christentum und dem römischen Imperium? Hat der Auctor ad Theophilum, den wir mit der Tradition Lukas nennen, den zweiten Teil seines Doppelwerkes in den Dienst einer Apologetik gestellt, die einerseits die Christen den Römern als loyale Reichsbürger empfiehlt und andererseits ein positives Rombild propagiert? Mit einem Wort: Hat Lukas dem Christentum noch vor dem Ende des 1. Jh.s politisch den Zahn gezogen? Wo immer diese Frage bejaht wird, erleidet Lukas dasselbe Schicksal wie sein Zeitgenosse Flavius Josephus. Wie es das Judentum Josephus nie verziehen hat, dass er als einstiger General im jüdischen Krieg seinen zweifelhaften Frieden mit Rom gemacht hat und es sich fortan als kaiserlicher Pensionär wohl sein ließ, so haftet Lukas bis heute der schlechte Ruf des Römerfreundes an. In Wissenschaftsdiskursen, die es sich mit eigener politischer Unauffälligkeit und Unanstößigkeit ihrerseits wohl sein lassen, taugt solche Lukas-Schelte dazu, am toten Objekt ein kritisches politisches Bewusstsein zu simulieren, das man sich im echten Leben lieber verkneift. Von so manchem Exegetenschreibtisch, der sich auf die politische Stummheit seiner Produkte schon allein wegen der gebotenen wissenschaftlichen Unparteilichkeit viel zugute hält, mag schon jenes berühmte »Danke, dass ich nicht bin wie dieser da« zum Himmel gestiegen sein. Über »diesen da«, Lukas mit Namen, hat Kavin Rowe, Associate Professor für Neues Testament an der Duke University Divinity School, ein bemerkenswertes und in der englischsprachigen Forschung bereits viel beachtetes Buch geschrieben. Nach seinem Urteil unterläuft der skizzierten Sicht, die auf eine lange Forschungsgeschichte zurückblickt, eine Reihe unzulässiger Vereinfachungen. »For almost three hundred years […] the dominant trend in New Testament interpretation has been to read the Acts of the Apostles as a document that argues for the political possibility of harmonious existence between Rome and the early Christian movement« (3). Regelmäßig werde hier, so Rowe, der Begriff des Politischen zu einfach gefasst: »[W]here the question of Luke’s politics has been taken up, it has been thought about as though one could speak of politics simpliciter« (4). Gefordert sei dagegen eine Ausweitung des Begriffs auf die Christologie und Ekklesiologie der Apostelgeschichte. Die Offenbarung Jesu Christi als kyrios und das soziale Gefüge der ekklesia bilden nach lukanischem Verständnis einen komplexen, eminent politischen Sachzusammenhang, der im Erzählverlauf der Apostelgeschichte narrativ zur Darstellung gelangt. Dann aber gilt: »No longer can Acts be seen as a simple apologia that articulates Christianity’s harmlessness vis-á-vis Rome […] Luke’s second volume is a highly charged and theologically sophisticated political document that aims at nothing less than the construction of an alternative total way of life-- a comprehensive pattern of being- - one that runs counter to the life-patterns of the Graeco-Roman world« (4). Im so knappen wie instruktiven Einleitungskapitel (»Reading Acts«, 3-16) skizziert der Verfasser den Gang der Darstellung und erörtert in souveräner Kürze einige Fragen zu Methode und Begrifflichkeit. Die Diskussion der Sekundärliteratur wird mit Augenmaß weitgehend in den Anmerkungen geführt, die, wie in englischsprachigen Fachbüchern bis heute üblich, als Endnoten gesetzt sind (177-265, die »Select Bibliography« schließt 267-282 an). Auf die Einleitung folgen drei Kapitel, in denen der Verfasser seine Sicht auf die Apostelgeschichte entfaltet. Rowe sieht den zweiten Teil des lukanischen Doppelwerkes von einer tiefgreifenden Spannung (»profound tension«, 4) durchzogen, die er in diesen Kapiteln in einem dialektischen Dreischritt darzustellen unternimmt. Der dialektische Gegensatz besteht in der mit der christlichen Mission einhergehenden kulturellen Destabilisierung einerseits und ihrer gleichzeitigen politischen Unbedenklichkeit andererseits. Dieser Gegensatz kann, so Rowe, keinesfalls im Sinne einer romfreundlichen Grundtendenz der Apostelgeschichte eingeebnet werden. Im ersten der drei Kapitel (»Collision: Explicating Divine Identity«, 17- 51) schreitet Rowe vier Stationen ab, die die destabilisierende Wirkung der christlichen Mission auf die pagane Kultur insgesamt-- »Kultur« verstanden als umfassender Begriff mit den Aspekten des Politischen, Ökonomischen und Religiösen-- paradigmatisch herausstellen: In Lystra (Apg 14) werden Paulus und Barnabas zunächst als Götter verehrt. Als sie aber den paganen Kultbetrieb als »nichtig« (mataia) schmähen, schlägt die Stimmung um, und die Menge steinigt Paulus fast zu Tode. In Philippi (Apg 16) exorziert Paulus einen Wahrsagegeist, schädigt damit massiv fremdes Eigentum, provoziert einen Tumult, wird samt Timotheus verprügelt, eingesperrt und schließlich aus der Stadt verwiesen. Besondere politische und juridische Bezüge erhält das Auftreten des Paulus in Athen (Apg 17): Der »Areopag« ist, so Rowe, nicht lediglich Ortsangabe, sondern bezeichnet den athenischen Gerichtshof. Bezüge zum Prozess des Sokrates klingen an (17,19f.). Der von Paulus namhaft gemachte Altar des »unbekannten Gottes« dient nicht als theologischer Anknüpfungspunkt, sondern stellt ironisch die Ignoranz der Athener bezüglich der wahren Gottesverehrung heraus. In Ephesus (Apg 19) gefährdet die christliche Missionspredigt einen ganzen Erwerbszweig und verletzt die religiösen Gefühle der Artemisverehrer. Wieder kommt es zu Tumulten und zu Festnahmen der christlichen Missionare. Rowe resümiert: »There are priests and crowds in Lystra, religious salesmen and colony magistrates in Philippi, philoso- Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 13.03.2013 - Seite 66 - 2. Korrektur 66 ZNT 31 (16. Jg. 2013) Buchreport phers and political authorities in Athen, magicians and craftsmen in Ephesus. Taken together these figures demolish the possibility of holding that, as Luke narrates it, the Christian mission was in its essence culturally innocuous (i. e., it was purely about eusebeia/ religio). To the contrary, in their social, political, and economic breadth, such persons exhibit the far-reaching and profoundly troubling effects of Christianity for pagan culture« (51). Das folgende Kapitel (»Dikaios: Rejecting Statecraft«, 53-89) setzt neu an und untersucht ein zweites Set an Texten, in denen Lukas exemplarisch (18,12-17: Gallio, 21,27-23,30: Claudius Lysias, 24,1-27: Felix; 25,1- 26,32: Festus) die Haltung der römischen Autoritäten gegenüber Paulus als Repräsentanten der christlichen Mission vorführt. In Korinth wird es für Paulus gefährlich, weil seine Ankläger darauf spekulieren, dass Gallio seine Handlungen als eine Verletzung römischen Rechts einstuft. Gallio erklärt sich jedoch für unzuständig und bescheinigt Paulus damit, dass sein Handeln aus römischer Sicht unbedenklich ist: »[T]he Christian mission in Korinth is not legally culpable« (61). Ein wichtiges Detail bei der Begegnung mit Claudius Lysias ist die betonte Abgrenzung der paulinischen Mission von jüdischen Aufstandsgruppen (21,38f.). Auch nach Lysias’ Urteil stellt Paulus im Übrigen keine Gefahr dar. Wiederum geht es für den Römer um eine binnenjüdische Kontroverse, die aus römischer Sicht weder Haft noch gar ein Todesurteil rechtfertigt (23,29). In der Anklage des Paulus vor Felix fällt ein Reizwort, das den Römer sofort hellhörig machen musste: stasis, »Aufruhr«. Paulus wird Felix als stasiastēs, als »Aufrührer«, vorgeführt, die Anklage mithin in einen politischen Kontext gerückt. Paulus bestreitet diesen und andere Vorwürfe ausdrücklich und stellt die Kontroverse als rein innerjüdische Angelegenheit dar. Zu einer Anklage von römischer Seite kommt es nicht. Paulus bleibt nur deshalb in Haft, weil Felix korrupt ist. Vor Festus (25,8) insistiert Paulus, dass er nichts »wider das jüdische Gesetz, den Tempel oder den Kaiser« getan hat, und am Ende steht Festus’ und Agrippas gemeinsame Erklärung von Paulus’ Unschuld (26,31f.). Allein aus dem formal-juristischen Grund seiner Appellation an den Kaiser bleibt er in römischem Gewahrsam. Selbstredend referiert Lukas in den genannten Texten nicht die römische Rechtsauffassung, sondern seine eigene. Das römische Recht wird damit auf eine Weise in die Pflicht genommen, die an Kühnheit kaum zu überbieten ist: Die christlichen Missionare sollen, obwohl sie überall Unruhe stiften, von römischer Seite als Reichsbewohner angesehen werden, denen strafrechtlich nichts vorzuwerfen ist: »Acts’ political strategy is […] a legal tour de force that argues for the right testimony and application of the Roman law itself. […] Luke’s work stands between the Roman law and his Christian readers and reshapes the former to fit the latter. Rightly read for the question of insurrection in the case of Christians, the law yields the verdict ›innocent‹.« (148). Die Überschrift des Schlusskapitels (»World Upside Down: Practicing Theological Knowledge«, 91-137), ist einer Formulierung aus Apg 17,6 entlehnt, die auch dem Buch seinen Titel gegeben hat: Den Christen wird vorgeworfen, dass sie »die ganze Welt aufwiegeln«, ja, dass sie gegen die Gesetze des Kaisers handeln und einen anderen, Jesus, zum König erklären. Rowe knüpft an die Ereignisse in Thessalonich in Apg 17,1-9, in denen sich der stasis-Vorwurf dramatisch zuspitzt, die Frage, ob und warum der in den beiden vorangehenden Kapiteln beschriebene Gegensatz »does not yield a final or irresolvable contradiction but a complex unity« (135). Die Antwort lautet: Weil die Proklamation Jesu als universaler Herrscher nicht in einem Staatsstreich oder in einer Revolution mündet, sondern »in a new, worldwide and publicly identifiable form of communal life«-- d. h. im Leben der Kirche- - und »because of the peacemaking character of Jesus’s Lordship« (136). Die Tumulte, die die christliche Missionspredigt regelmäßig nach sich zieht, führen nicht zu einer Auflösung der sozialen Ordnung, sondern, je nach missionarischem Erfolg, zur Bildung neuer sozialer Gefüge in Gestalt neuer Christengemeinden; nicht zu einem abstrakten politischen Programm, sondern zu einem neuen Lebensstil, dem »Weg«, wie Lukas ihn nennt, »a different way« in der dreifachen Praxis des Bekenntnisses, der Mission und der Gemeinschaft. Das letzte Kapitel (»The Apocalypse of Acts and the Life of Truth«, 139-176) löst mit der Frage »what it means to read Acts in the first part of the twenty-first century« ein schon am Anfang des Buches gegebenes Versprechen ein (»the very real problems that face us today«, 7). Inhaltlich geht es dabei hauptsächlich um eine kritische Auseinadersetzung mit dem von Odo Marquardt und Jan Assmann ins Spiel gebrachten Konzept eines aufgeklärten Polytheismus als Träger kultureller und religiöser Toleranz, sowie mit der modernen Fiktion einer Politik ohne metaphysische bzw. religiöse Grundannahmen. Die Ausführungen Rowes stoßen über diese wiederum überzeugenden, doch recht abstrakten Folgerungen hinaus Überlegungen an, die in konkrete politische Sachzusammenhänge hineinreichen. Christliche Existenz ist in der lukanischen Zeichnung bis zu einem gewissen Grad immer ein politischer Störfaktor. Sie kann, will sie sich selbst treu bleiben, gar nicht anders als negativ aufzufallen. Zugleich beansprucht sie aber ihren rechtmäßigen Platz im gesellschaftlichen Ganzen und erwartet gerade von den höchsten Staatsorganen, dass ihr dieser Platz zuerkannt wird. Die lukanische Formel »acknowledging cultural disruption and insisting on its specifically Christian interpretation« (151) führt, auf moderne Verhältnisse gewendet, geradewegs zum Konzept des zivilen Ungehorsams im Rechtsstaat: Ziviler Ungehorsam insistiert, ganz im Einklang mit der von Rowe so überzeugend dargestellten lukanischen Dialektik, gegen alle Versuche seiner Kriminalisierung auf seiner Rechtsstaatlichkeit. Für den Auctor ad Theophilum hat solcher Ungehorsam einen genuinen und ursprünglichen Ort: Die Kirche. Manuel Vogel