eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 16/31

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2013
1631 Dronsch Strecker Vogel

Umdenken als Politik (Lk 3,7-14)

2013
Heike Hötzinger
Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 53 - 2. Korrektur ZNT 31 (16. Jg. 2013) 53 Was hat Lk 3,7-14, die so genannte Täuferpredigt, mit »Politik« zu tun? Diese Frage legt sich nahe, wenn man bedenkt, dass im Zentrum dieses Textes doch die Aufforderung angesichts des nahen Zorngerichts Gottes steht: »Macht also Früchte, die der Umkehr [gr. metanoia] würdig sind.« 1 Da der Begriff metanoia dem ursprünglichen Sprachgebrauch nach eine Sinnes-Änderung beschreibt, 2 ruft Johannes also eigentlich zu einem ›Umdenken‹ auf. Inwiefern enthält dieses ›Umdenken‹ in Lk 3,7-14 politische Horizonte? Um Antwortversuche auf diese Frage finden zu können, betrachte ich Lk 3,7-14 im Folgenden als einen literarischen Text bzw. als eine ›Erzählung‹ 3 , die einen Teil ihres Kontextes Lukasevangelium bzw. lukanisches Doppelwerk bildet und diesen mitgestaltet. Dementsprechend werde ich zunächst den Text in seinen Kontext einordnen und danach fragen, inwiefern hierin Spuren von politischen Implikationen enthalten sein können. Daraufhin werde ich in einer Art kanonisch-intertextueller Lektüre untersuchen, inwiefern intertextuelle Bezüge zu anderen Texten der christlichen Bibel zum Verständnis und zur Entdeckung politischer Sinndimensionen von Lk 3,7-14 beitragen können. 1. Geschichte des »Weges des Heils« Das lukanische Doppelwerk wird aufgrund seines Selbstverständnisses und seiner Intention, die im Proömium des Lukasevangeliums Lk 1,1-4 formuliert werden, sowie aufgrund motivischer, gestalterischer und sprachlicher Merkmale in die antik-jüdische Geschichtsschreibung eingeordnet. 4 Diese zielt darauf ab, im Ringen um das Zusammenleben mit der dominanten hellenistischen Kultur jüdisches Selbstverständnis zu formulieren. In einer Übergangssituation, in der die eigene jüdische Identität in Frage gestellt wird, erfolgt mithilfe von Geschichtsschreibung in (aktualisierender) Erinnerung an die eigene Vergangenheit Selbstvergewisserung ›nach innen‹ und Selbstbehauptung ›nach außen‹. 5 Dementsprechend dient auch das lukanische Doppelwerk der Selbstvergewisserung und Identitätssicherung der entstehenden christlichen Gemeinschaft, die sich in ihrer kulturellen, religiösen, sozialen und politischen Umwelt verorten muss. Da das inhaltliche Zentrum antik-jüdischer Geschichtsschreibung in der Geschichte Gottes mit Israel liegt, ist immer zugleich Geschichtstheologie enthalten. 6 Ähnlich ist es auch im lukanischen Doppelwerk, dessen Gegenstand ebenfalls die Geschichte der Gottesbegegnung ist, so dass Lukas 7 auch als »Theologe der Heilsgeschichte« 8 bezeichnet wird. Diese Auffassung lässt sich beispielsweise durch die sog. »Synchronismen« 9 , d. h. Eintragungen weltgeschichtlicher Ereignisse in die Darstellung der ›Jesus-Christus-Geschichte‹ des Lukasevangeliums (vgl. Lk 1,5; 2,1; 3,1), begründen, die primär dazu dienen, zu zeigen, dass die Geschichte Gottes mit Israel alle Menschen und Völker angeht und sich innerhalb der Weltgeschichte ereignet. 10 Noch stärker verwoben mit weltgeschichtlichen Ereignissen ist die Erzählung der Apostelgeschichte. Vor diesem Hintergrund beschreibt Hans Klein in Aufnahme von Apg 16,17 das Konzept des lukanischen Doppelwerks mit der Wendung »Weg des Heils«. 11 Inhaltlich umschreibt »Weg des Heils« sowohl eine verheißungsvolle Botschaft als auch einen Lebenswandel und verweist darauf, dass Heil nur auf einem Weg zu erreichen ist, der den Weg Jesu nachahmt. 12 Das zeigt sich z. B. an der breit entfalteten Darstellung des Weges Jesu nach Jerusalem (Lk 9,51-19,27), an Paulus’ Weg, der dem Weg des Herrn entspricht (Apg 13,10; 18,25), sowie an der Bezeichnung der christlichen Botschaft oder des entstehenden Christentums als »Weg Gottes« (Apg 9,2; 18,26; 19,23; 22,4; 24,14.22). Vermittelt wird die Theologie des »Weges des Heils« primär im Erzählen verschiedener Episoden. Diverse Gestaltungselemente binden diese zu einer Einheit zusammen und heben unter anderem die Kontinuität mit dem bisherigen Weg Israels, d. h. der Geschichte Gottes mit Israel, hervor. So fassen beispielsweise Summarien wichtige Inhalte zusammen und Reiseberichte verorten den »Weg des Heils« geographisch in einer Kontinuitätslinie-- von Jerusalem (Lk 1,5) bis nach Rom (Apg 28,16-31). 13 Sogar sprachlich spiegelt sich die Kontinuität des erzählten Geschehens als Fortsetzung des vergangenen Weges Israels wider. Denn es werden nicht nur die Sprache und zum Teil auch der episodische Erzählstil der Septuaginta nachgeahmt (vgl. Lk 1,5-79), 14 sondern auch durch Anspielungen oder sogar wörtliche Einspielungen Ereignisse der Geschichte Israels vergegenwärtigt. 15 Hermeneutik und Vermittlung Heike Hötzinger Umdenken als Politik (Lk 3,7-14) Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 54 - 2. Korrektur 54 ZNT 31 (16. Jg. 2013) Hermeneutik und Vermittlung Vor dem Hintergrund, dass in der lukanischen Erzählung des »Weges des Heils« die Geschichte Gottes mit Israel und in Fortsetzung mit Jesus und seinen Nachfolgern in besonderer Weise mit Weltgeschichte verknüpft und so im Sinne antik-jüdischer Historiographie um das religiöse Selbstverständnis innerhalb des Weltgeschehens gerungen wird, findet im lukanischen Doppelwerk schon aufgrund seines Konzepts auch eine Auseinandersetzung mit politischen Situationen statt. So wird hier mithilfe der literarischen Form der Erzählung von einzelnen Episoden gewissermaßen indirekt »Politik« betrieben. Inwiefern spiegeln sich nun in Lk 3,7-14 Charakteristika der Erzählung des »Weges des Heils«? 2. Lk 3,7-14 als Station des »Weges des Heils« Zur Strukturierung des lukanischen Doppelwerks dienen primär zeitliche und örtliche Dimensionen, die sehr eng mit den inhaltlichen Dimensionen verbunden sind. Dadurch wird der »Weg des Heils« als eine Art mehrdimensionaler Weg mit verschiedenen Etappen skizziert. 16 Eine zeitliche Dimension wird schon im Proömium des Lukasevangeliums (Lk 1,1-4) durch das Vorhaben formuliert, basierend auf Augenzeugen »alles der Reihe nach genau aufzuschreiben«. Dementsprechend wird der Eindruck chronologisch zuverlässiger Abfolge stellenweise durch die Aufnahme weltgeschichtlicher Ereignisse und Gestalten in die Erzählung (Lk 1,5; 2,1; 3,1- 2a; Apg 18,2 u. ö.) verstärkt. Durch deren Kombination mit fiktionalen Erzählelementen werden die jeweiligen historischen Ereignisse aber transparent für theologische Interessen. 17 Das Lukasevangelium, als Erzählung der Geschichte Jesu Christi von seiner Geburt bis zu seiner Erhöhung, umfasst in zeitlicher Hinsicht eine Etappe von ca. 30 Jahren. 18 In örtlicher Hinsicht wird dabei- - stark vereinfacht-- eine Wegstrecke von Galiläa nach Jerusalem zurückgelegt. Von Anfang an wird die Geschichte Jesu narrativ in die Geschichte Israels eingeschrieben, indem die lukanische Kindheitsgeschichte (Lk 1,5- 2,52) durch Sprache, Handlungsträger, szenische Darstellung und verheißungsgeschichtliche Leitmotive biblische Erzählungen der Geschichte Israels einspielt. Dadurch entsteht der Eindruck von Kontinuität der Jesus-Geschichte und des Christus-Geschehens mit dieser Vergangenheit. Diese wird zugleich bleibend aktualisiert, indem Jesus mit seinem Weg die Richtung des Weges Israels fortschreibt. Auch inhaltlich wird in der Kindheitsgeschichte-- ebenfalls in Analogie und sogar direkter Aufnahme alttestamentlicher Darstellungsweise- - das Ziel der Erzählung des »Weges des Heils« umrissen, wenn im prophetischen Wort des Simeon (Lk 2,30-32) in Anspielung auf Jesajaworte ›Heil für die Völker und das Volk Israel‹ formuliert wird. 19 So wird deutlich, dass das Lukasevangelium den Weg Jesu nicht nur als Fortsetzung des Weges Israels erzählt, sondern auch als Ausgangspunkt für das verheißene Ziel ›Heil für die Völker zusammen mit Israel‹, dessen Erfüllung noch aussteht. 20 Zugleich wird die Geschichte Jesu in verschiedener Weise in die Weltgeschichte eingetragen, was nicht nur an der Notiz zu Beginn der Geburtserzählung Jesu (Lk 2,1-20) zur Regierungszeit des Kaisers Augustus und des Statthalters Quirinius (Lk 2,1-2) zu sehen ist. Auch die narrative Gestaltung der lukanischen Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu zeugt von einer Verbindung mit Weltgeschichte, da formale und inhaltliche Elemente auch auf dem Hinter- Dr. Heike Hötzinger (geb. Braun), geb. 1977 in Burghausen an der Salzach, Studium der Sozialpädagogik und der Katholischen Theologie in Benediktbeuern und Regensburg, 2004-2005 Pastoralassistentin in Regensburg, 2005-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments an der Universität Regensburg, dort Promotion, seit 2010 Akademische Rätin auf Zeit am genannten Lehrstuhl. Schwerpunkte: Lukanisches Doppelwerk, laufendes Habilitationsprojekt: Paradiesesvorstellungen in neutestamentlicher, frühjüdischer und antikchristlicher Literatur. Heike Hötzinger »Mithilfe der literarischen Form der Erzählung von einzelnen Episoden [wird] gewissermaßen indirekt ›Politik‹ betrieben.« Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 55 - 2. Korrektur ZNT 31 (16. Jg. 2013) 55 Heike Hötzinger Umdenken als Politik (Lk 3,7-14) grund der Konzeption des Goldenen Zeitalters und dessen Propagierungsmethoden gelesen werden können. 21 Diese Verknüpfung mit der Weltgeschichte lässt sich auch für Lk 3,7-14 feststellen. Denn diese Täuferpredigt bildet einen Teil des Überblicks über das Wirken von Johannes dem Täufer (Lk 3,1-20), 22 das sich unmittelbar an die Geburts- und Kindheitserzählung von Johannes und Jesus (Lk 1-2) anschließt und damit der Erzählung über das öffentliche Wirken Jesu vorausgeht. 23 Die Einbettung in diesen Kontext ist schon zu Beginn der Lektüre von Lk 3,7 zu sehen: »Er sagte also zu den Volksmengen, die hinausgingen, um von ihm getauft zu werden …«. Dass die in Lk 3,1-6 gezeichnete Szenerie voraus- und fortgesetzt wird, zeigt sich daran, dass kein neues Subjekt genannt wird, sowie an der Wiederaufnahme des Themas ›Taufe‹, das in Vers 3 als Inhalt der Verkündigung des Johannes genannt wurde. Demnach ereignet sich die Täuferpredigt ebenfalls »im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Judäa regierte und Herodes Tetrarch von Galiläa war, Philippos aber, sein Bruder, Tetrarch von Ituräa und des trachonitischen Landes und Lysanias Tetrarch der Abilene war, unter dem Hohepriester Hannas und Kajaphas« (Lk 3,1-2a). Mit diesem ausführlichen Synchronismus als Einleitung der Erzählung über Johannes’ Wirken wird nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein politischer Rahmen umrissen und in Erinnerung gerufen, in den die Geschichte Gottes mit Johannes, an den sich in der Wüste das Wort Gottes »ereignet« (Lk 3,2b), eingezeichnet wird. Dabei entsteht durch die Aufzählung einer ganzen Reihe an politischen und religiösen Führungsgrößen das Bild einer dominanten Herrschergewalt, die in verschiedener Weise Macht über das Volk Israel ausübt. Ohne den Inhalt des Wortes Gottes an Johannes auszuführen, berichtet Lk 3,3 summarisch von Johannes’ Verkündigung einer »Taufe der Umkehr [gr. metanoia]«, die mit dem Erlass von Sünden zusammenhängt. Diese nur kurz notierten Ereignisse werden dann in den Versen 4-6 als identisch mit Worten des Propheten Jesaja (vgl. Jes 40,3-5) ausgewiesen. So wird also durch die Rückbindung an die lukanische Geburtserzählung mithilfe von Stichwortverknüpfungen und durch die direkte Interpretation mithilfe eines Prophetenwortes die Kontinuität zwischen der Geschichte Gottes mit Israel und mit Johannes hergestellt, wie es auch sonst charakteristisch für das lukanische Doppelwerk als Erzählung des »Weges des Heils« ist. Inwiefern das Wirken des Johannes eine Station auf diesem »Weg des Heils«, der unter anderem als ein Weg durch die politische Lage der damaligen Zeit geschildert wird, darstellt, zeigt sich weiterhin in Lk 3,7-14 anhand von inhaltlichen Aspekten. 24 3. Johannes als prophetischer Wegbereiter des Herrn Da die Szene ihren zentralen Handlungsträger Johannes nicht näher vorstellt und in der Einleitung zu seiner Rede (Lk 3,7) nicht einmal mehr namentlich erwähnt, ist auf die Erzählung über seine Geburt (Lk 1,5-80) zurückzugreifen, um das hier von ihm vorausgesetzte Bild nachzuzeichnen. Lk 3,2 gibt mit der Bezeichnung des Johannes als Sohn des Zacharias und mit der Nennung der Wüste als seines Aufenthaltsorts immerhin schon Grundlinien zu dieser Gestalt an. Der Vater des Johannes spielt nämlich auch in Lk 1,5-80 eine entscheidende Rolle und bürgt als Priester aus der Klasse des Abija (Lk 1,5) für die priesterliche Herkunft des Johannes und damit für seine Verwurzelung in Israel. 25 Außerdem ist Zacharias in der Geburtserzählung als Adressat der Ankündigungen des Engels von Bedeutung. Besonders aussagekräftig für das Bild des Johannes sind in diesem Zusammenhang folgenden Worte: »15 Denn er wird groß sein vor dem Herrn, Wein und Rauschtrank wird er gewiss nicht trinken, und mit heiligem Geist wird er erfüllt werden schon vom Mutterleib an, 16 und viele der Söhne Israels wird er hinwenden zum Herrn, ihrem Gott. 17 Und er wird vorangehen vor ihm in Geist und Kraft des Elias, um hinzuwenden die Herzen der Väter zu den Kindern und Ungehorsame zur Einsicht von Gerechten, um zu bereiten dem Herrn ein zugerüstetes Volk.« Nicht nur der Verzicht auf Alkohol weist darauf hin, dass Johannes in die Folie eines Propheten eingezeichnet wird, sondern auch das Erfülltsein vom Heiligen Geist schon vom Mutterleib an. Dieser Hinweis auf eine grundlegend besondere Gottesbeziehung und Erwählung des Johannes für eine besondere Aufgabe zeigt eine Analogie zur Berufung des Jeremia, bei der Gott zu diesem sagt: »Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, »Dabei entsteht durch die Aufzählung einer ganzen Reihe an politischen und religiösen Führungsgrößen das Bild einer dominanten Herrschergewalt, die in verschiedener Weise Macht über das Volk Israel ausübt.« Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 56 - 2. Korrektur 56 ZNT 31 (16. Jg. 2013) Hermeneutik und Vermittlung habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt« (Jer 1,5). Gemeinsam ist Johannes also mit Jeremia die Erwählung durch Gott »vom Mutterleib an« für eine prophetische Aufgabe. Unterschiedlich sind allerdings die Adressaten, denn Jeremia ist »Prophet für die Völker«, Johannes soll dagegen primär im Volk Israel wirken. Als prophetische Gestalt wird Johannes ausdrücklich vorgestellt, wenn sein »Vorangehen« vor dem Herrn mit dem Wirken des Propheten Elija verglichen und als ein »Vorbereiten für den Herrn« umschrieben wird. Dabei wird die Vorstellung von Elija, der zu Beginn der Endzeit wiederkehrt, um Gottes endzeitliches Handeln vorzubereiten (vgl. Mal 3,1.23-24; Sir 48,10), auf Johannes übertragen. Darauf wird auch im Lied des Zacharias nach der Geburt des Johannes angespielt: »76 Und du aber, Kind, wirst Prophet des Höchsten gerufen werden, denn du wirst voranziehen vor dem Herrn, zu bereiten seine Wege, 77 zu geben Erkenntnis der Rettung [gr. sōteria] seinem Volk im Erlass ihrer Sünden, 78 Erbarmen unseres Gottes, in dem nach uns schauen wird der Aufgang aus der Höhe, 79 zu erscheinen den in Finsternis und Schatten des Todes Sitzenden, auszurichten unsere Füße auf den Weg des Friedens.« Wenn Johannes hier ausdrücklich Prophet des Höchsten genannt und dies damit begründet wird, dass er dem Herrn die Wege bereiten werde, wird also wieder auf die Funktion des Elija als Vorbereiter des endzeitlichen Handelns Gottes angespielt. Demnach setzt der Text mit Johannes »ein Signal für den sich nun geschichtlich vollziehenden Anbruch der Endzeit.« 26 Politische Dimensionen enthält dieses Bild des Johannes als eschatologisch wirkender Prophet insofern, als er von römischer Seite auch als Volksverführer verstanden werden konnte, der zum Aufstand gegen die Römer anstacheln könnte. 27 Zum einen kann die Betitelung Gottes als »der Höchste« im Sinne einer Konkurrenz zum römischen Kaiser betrachtet werden, und zum anderen die »Wege des Herrn«, die mit »Rettung« und »Weg des Friedens« zusammenhängen, als Hinweis auf einen ›Aus-Weg‹ aus der römischen Herrschaft. Was in der Geburtsgeschichte über Johannes angekündigt wird, erfüllt sich in der Erzählung über sein Wirken, wie zahlreiche Stichwortverknüpfungen zeigen. Wenn nämlich Lk 3,3 als Zentrum von Johannes’ Wirken die Verkündigung »der Taufe der Umkehr zum Erlass von Sünden« beschreibt, wird damit zum Teil wörtlich die in Lk 1,77 verheißene Funktion von Johannes aufgegriffen: seinem Volk Erkenntnis der Rettung im Erlass ihrer Sünden zu geben. Dass Johannes damit als Vorbereiter des Weges des Herrn fungiert, wie Lk 1,17.76 voraussagt, erklärt auch die Deutung von Johannes’ Wirken in Lk 3,4-6: »4 Stimme eines Rufenden in der Wüste: ›Bereitet den Weg des Herrn, gerade macht seine Straßen; 5 Jede Schlucht wird gefüllt werden und jeder Berg und Hügel wird niedrig gemacht werden, und es wird werden das Krumme zu Geradem und die rauen zu glatten Wegen; 6 und es wird sehen alles Fleisch das Heil [sōtēria] Gottes.« Indem hier fast wörtlich der Beginn der Ankündigung der Befreiung aus dem babylonischen Exil (Jes 40,3-5) wiedergegeben wird, bestätigt sich das Bild von Johannes als prophetischer Gestalt, die das endzeitliche Handeln Gottes vorbereitet. Ziel dieses Vorbereitens ist das »Heil Gottes«, das »alles Fleisch«, d. h. alle Menschen, sehen wird. Da sich dieses Ziel mit der programmatischen Aussage über Jesus, er sei »Heil [sōtēria] für die Völker und das Volk Israel« (Lk 2,30-32), worin zugleich das Ziel des lukanischen Doppelwerks liegt, deckt, werden die Konturen des Johannes als prophetischen Vorbereiters dieses »Weges des Heils« umso deutlicher. Als Vorbereiter des »Weges des Herrn«, der zum »Heil Gottes« führt, zeigt Johannes auch Analogien zu Jesus, dessen Weg er vorbereitet. Sehr deutlich wird das in der parallelen Erzählung der Geburtsgeschichten von Johannes und Jesus, die in komplexer Weise miteinander verwoben sind. Aber auch die Notiz über die Verkündigung »der Taufe der Umkehr zum Erlass von Sünden« durch Johannes erinnert an die spätere Verkündigungstätigkeit und an das Wirken Jesu (vgl. Lk 4,18; 5,21.24; 7,49; 24,47). Eine weitere Analogie zwischen Johannes und Jesus findet sich im Dialog des Johannes mit den Zöllnern (Lk 3,12-13), denn auch für Jesus ist der wiederholte Umgang mit Zöllnern bekannt (vgl. Lk 5,27-32; 7,29; 18,9-14). Außerdem wird die Anrede des Johannes als »Lehrer« durch die Zöllner (Lk 3,12) sonst ausschließlich auf Jesus bezogen (vgl. Lk 7,40; 9,38; 10,25 u. a..). Insgesamt entsteht also in Lk 3,1-6 vor dem Hintergrund von Lk 1-2 von Johannes das Bild eines von Gott ›berufenen‹, prophetischen Verkündigers der Taufe der Umkehr zum Erlass von Sünden. Als solcher ist er- - analog zu bekannten Propheten Israels-- Vor-Bereiter des Weges des Herrn (Jesus), der zum »Heil Gottes« führt und zwar inmitten einer Situation von anscheinend übermächtigen weltlichen Herrschern (Lk 3,1-2a). Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 57 - 2. Korrektur ZNT 31 (16. Jg. 2013) 57 Heike Hötzinger Umdenken als Politik (Lk 3,7-14) 4. Die Adressaten des Johannes Der Adressatenkreis und damit das Wirkungsfeld des Johannes ist ebenfalls interessant für die Frage nach politischen Implikationen in Lk 3,7-14. Nachdem in Lk 1,16-17.77 das Volk Israel als Zielgruppe von Johannes erscheint, nennt der Bericht über sein Wirken in Lk 3,3 keinen Adressatenkreis, sondern macht nur die Ortsangabe »in der ganzen Umgebung des Jordan«. Dadurch entsteht der Eindruck eines unbestimmt großen Wirkkreises. 28 Dies bestätigt sich in Lk 3,6, wo von »allen Menschen« die Rede ist, die das von Johannes vorbereitete Heil Gottes sehen werden. Der Eindruck einer umfassenden Wirkung und Anziehungskraft entsteht weiterhin in Lk 3,7, wenn als Zuhörer des Johannes »die Volksmengen« (gr. hoi ochloi) eingeführt werden. Über diese unbestimmt große Menge erfährt man lediglich, dass sie »herausgehen« zu Johannes und die Absicht haben, von ihm getauft zu werden. Aber ihre ethnische, religiöse und politische Zuordnung sowie ihre Motivation zur Taufe bleiben offen. Diese Schemenhaftigkeit der »Volksmengen« fällt noch mehr angesichts der Beobachtung auf, dass die Parallele in Mt 3,7 Pharisäer und Sadduzäer als Ansprechpartner des Johannes nennt, also ethnisch und religiös qualifizierte Gruppen, die sich eindeutig als spezielle Gruppen des Volkes Israel identifizieren lassen. Durch die Unbestimmtheit in Lk 3,7 öffnet sich die Szene für alle Leser, die implizit angesprochen werden und sich mit den »Volksmengen« identifizieren können. Zu dieser Offenheit trägt außerdem bei, dass weder eine konkrete Ortsnoch Zeitangabe gemacht wird. Der Eindruck eines umfassenden Adressatenkreises und einer breiten Wirkkraft von Johannes’ Verkündigung bestätigt sich, wenn zu Beginn der Reaktion auf die Rede die Zuhörer in Vers 10 erneut in Wiederaufnahme von Vers 7 als »Volksmengen« bezeichnet werden. Genau diese umfangreiche Anziehungskraft der Botschaft des Johannes enthält implizit politische Brisanz, 29 weil damit die Gefahr besteht, durch ein ›Umdenken‹ einer breiten Masse im Volk die bestehenden Herrschaftsstrukturen zu relativieren. Dieser Gedanke bestätigt sich angesichts der beiden speziellen Untergruppen, die aus den »Volksmengen« herausgehoben werden: Die Zöllner stellen Vertreter finanzieller Machtmittel des römischen Herrschaftssystems dar, die Soldaten sogar Vertreter militärischer Macht, mit der Aufgabe, die Interessen der Amtsinhaber notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Die Befürchtungen einer Relativierung der weltlichen Machtverhältnisse durch ein von Johannes bewirktes ›Umdenken‹ der »Volksmengen« sind auch durchaus berechtigt, wenn man zentrale Inhalte der Rede betrachtet. 5. Konsequenzen von Gottes Zorngericht Schon die schroffe Anrede der Zuhörer mit »Schlangenbrut« 30 (Lk 3,7b), die angesichts der Notiz über die Taufwilligkeit der »Volksmengen«, die eine bereits vollzogene ›Umkehr‹ suggeriert, überrascht, 31 deutet den autoritativen Charakter des Redners und seiner Rede an. Unterstrichen wird die hohe Brisanz der Rede weiterhin durch die rhetorische Frage »Wer hat euch gezeigt, zu fliehen vor dem kommenden Zorn? «, denn damit wird auf die Unentrinnbarkeit von Gottes Zorngericht hingewiesen. Dass die Rede vom Zorn das »Vernichtungsgericht Gottes« 32 impliziert, wird angesichts diverser alttestamentlicher Texte deutlich, in denen das Motiv »Zorn« explizit Teil einer Gerichtskonzeption ist. So spricht Gott in der Anklage gegen Jerusalem vom »Feuer meines Zorns«, das alle vernichten werde (Ez 22,21), 33 und in der Beschreibung der Endzeit (Jes 66,1-24) wird angekündigt: »der Herr wird kommen wie Feuer […], um Strafe zu verhängen in seinem Grimm und Verfluchung in der Flamme [seines] Feuers. Denn durch das Feuer des Herrn wird die ganze Erde gerichtet werden« 34 (Jes 66,15-16). In diesen Texten steht »Zorn« also metonymisch für Feuer, Untergang oder Vernichtung. 35 Die Unentrinnbarkeit vor Gottes Zorn(-gericht) transportiert zugleich die Vorstellung von Gottes absoluter Souveränität und Macht. Nachdem in Lk 3,1 mit der Aufzählung diverser Führungsgestalten der Eindruck geballter weltlicher Macht entstand, wird dieser mit dem unausweichlichen Zorngericht Gottes ein unüberbietbar mächtiger Gegenpol entgegengesetzt. Die Absolutheit, mit der von Gottes Zorn gesprochen wird, weist darauf hin, dass Gott auch diesen weltlichen Herrschern überlegen ist: Wirklich niemand kann Gottes Zorn entkommen. Angesichts der bisherigen Informationen über Johannes’ Verkündigung einer »Taufe der Umkehr zum Erlass von Sünden« als »Vorbereitung des Weges des Herrn«, so »Nachdem in Lk 3,1 mit der Aufzählung diverser Führungsgestalten der Eindruck geballter weltlicher Macht entstand, wird dieser mit dem unausweichlichen Zorngericht Gottes ein unüberbietbar mächtiger Gegenpol entgegengesetzt.« Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 58 - 2. Korrektur 58 ZNT 31 (16. Jg. 2013) Hermeneutik und Vermittlung dass alle Menschen das »Heil Gottes« sehen werden, überrascht die Rede vom Zorngericht Gottes. Wie passt diese Gerichtsankündigung zu der oben erwähnten Heilsverheißung? Eine erste Spur für eine Antwort gibt Vers 8 mit der Aufforderung zu Taten, 36 die dadurch charakterisiert sein sollen, dass sie »der Umkehr würdig sind«. Trotz der Unentrinnbarkeit des Zorngerichts wird hier also ein Weg aufgezeigt, der davor bewahrt, im Zorngericht vernichtet zu werden, und stattdessen ›Freispruch‹ von den Sünden zu erhalten und damit letztlich Gottes Heil zu sehen. Dieser Weg besteht nicht allein darin, »getauft zu werden« (vgl. die passive Formulierung in Lk 3,7a), sondern im aktiven Tun von »Früchten«. Mit der metaphorischen Bezeichnung der Taten als »Früchte« wird darauf hingewiesen, dass die Handlungen Folge eines Vorgangs oder Seins sind, so wie es in paränetischen Kontexten häufig der Fall ist (vgl. Mt 7,16.20; Röm 6,22; Gal 5,22 u. a..). Zusätzlich wird die Forderung durch die Verwendung des Adjektivs »würdig« (gr. axios) unterstrichen, das dazu dient, »ein bestimmtes Sollen als Konsequenz eines bestimmten Seins zu qualifizieren.« 37 Das Sein, das sich in den »Früchten« ausdrücken soll, wird mit dem Begriff metanoia umschrieben, womit im wörtlichen Sinn eine »(Sinnes-)Änderung« bzw. ein »Umdenken« gemeint ist. Da metanoia die Verkündigung »der Taufe der Umkehr [metanoia] zum Erlass der Sünden« aus Vers 3 aufgreift, besteht der Zusammenhang zu der Aufforderung in Vers 8 darin, dass das Umdenken der erste Schritt der Umkehr ist, die zur Vergebung der Sünden führen kann, aber diesem Umdenken entsprechende Taten folgen müssen. 38 Ohne diese Taten zu konkretisieren, folgt eine weitere-- nun negative-- Forderung: »Und beginnt nicht zu sagen bei euch: ›Als Vater haben wir den Abraham.‹« Demnach sollen sich die Zuhörer nicht einfach auf ihre Abstammung von Abraham, durch die sie in den Bund Gottes und die damit verbundenen Heilsverheißungen eingeschlossen sind, als Mittel zur Abwendung des vernichtenden Zorns Gottes verlassen. 39 Zwar überrascht diese Forderung angesichts der bisher im Lukasevangelium betonten heilsgeschichtlichen Kontinuität mit der Geschichte Israels, wobei ebenso auf die Abrahamskindschaft rekurriert wurde (vgl. Lk 1,55.72-73). Denn nun entsteht der Eindruck, diese habe ihre heilsgeschichtliche Relevanz verloren. Aber deutlicher wird der Gedanke durch die sogleich folgende Begründung in prophetischer Manier (vgl. die Einleitung mit »denn ich sage euch«): »Es kann Gott aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken.« Der Grund für die Polemik gegen ein blindes Verlassen auf die genealogische Herkunft von Abraham liegt also in Gottes Macht, aufgrund anderer Kriterien als der leiblichen Abstammung die Zugehörigkeit zu Abraham und zum Bund Gottes zu bestimmen. Gottes absolute Souveränität wird dabei dadurch illustriert, dass Steine als potentielle Grundsubstanz der von Gott erweckten Kinder Abrahams genannt werden. Da Steine mit dem Aspekt des Leblosen konnotiert sind (vgl. z. B. Ez 36,26), kann hierin auf Gottes schöpferische Macht hingewiesen werden. 40 Es geht also nicht darum, die theologische Bedeutung der Abrahamskindschaft im Hinblick auf den damit zusammenhängenden Bund und die Heilszusagen Gottes zu leugnen, sondern ganz im Gegenteil den Grund der Abrahamskindschaft betont auf Gottes schöpferische Macht zurückzuführen und damit deren theologische Relevanz zu untermauern. 41 Insofern demnach das in Aussicht gestellte »Heil Gottes« (Lk 3,6) ausschließlich in der Initiative Gottes begründet ist, kann die Forderung nach Taten, die dem Umdenken entsprechen, als Antwort auf die von Gott grundgelegte Heilsverheißung für die von ihm erwählten Kinder Abrahams verstanden werden. ›Umdenken‹ ist also der erste Schritt auf diesem »Weg des Heils«, der zweite Schritt sind Taten, die dem Umdenken entsprechen. Gottes Macht und Entscheidungsgewalt wird durch Lk 3,9 zusätzlich unterstrichen: »Schon ist auch die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum nämlich, der keine gute Frucht bringt/ macht [gr. poioun], wird umgehauen [gr. ekkoptetai] und ins Feuer geworfen.« Nicht nur das betont vorangestellte Zeitadverb »schon«, sondern auch das Bild von der Axt, die an die Wurzel der Bäume angelegt ist, deutet darauf hin, dass Gottes Gericht bereits angefangen hat. Damit wird der Aufforderung zum ›Umdenken‹ und dem entsprechenden Handeln zusätzliche Dringlichkeit verliehen. Die Warnung gilt ausnahmslos »jedem Baum, der keine gute Frucht bringt«, was der impliziten Aussage von V. 7-8 entspricht, dass niemand dem kommenden Gericht entrinnen kann. Mit der Rede vom Fällen fruchtloser Bäume, einer Praxis aus der Landwirtschaft, als Metapher für Gottes Gericht wird Johannes mit Jesus parallelisiert. Denn auch Jesus wird dieses Bild einige Male in den Mund gelegt, wie z. B. im Gleichnis vom fruchtlosen Feigenbaum in einem Weinberg, der »umgehauen« werden soll (Lk 13,6-9), womit ebenfalls zur Umkehr ermahnt wird. 42 Vor diesem Hintergrund verwirklicht Johannes mit der Aufforderung zu Taten, die dem ›Umdenken‹ würdig sind, also seine in Lk 1,17.76 angekündigte Funktion. Er ist damit prophetischer Vorbereiter des »Weges des Herrn«, der der »Weg des Heils« ist. Dass die Metapher vom Umhauen von Bäumen mit schlechten Früchten auch politisches Sinnpotential ent- Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 59 - 2. Korrektur ZNT 31 (16. Jg. 2013) 59 Heike Hötzinger Umdenken als Politik (Lk 3,7-14) halten kann, ist an Intertexten zu sehen, die ebenfalls dieses Bild verwenden und deutlich politische Horizonte haben. Beispielsweise sieht König Nebukadnezzar in einem Traum einen immer höher und mächtiger werdenden Baum (Dan 4,8-9) und hört einen Wächter vom Himmel herab befehlen: »Fällt [ekkopsate] den Baum und vernichtet ihn! « (Dan 4,11). Diese Aufforderung deutet Daniel später als Beschluss Gottes, den König zu verstoßen, bis dieser erkenne, dass der Höchste über die Herrschaft bei den Menschen gebietet und alleinige Macht hat (Dan 4,20-23). Hier steht also »der schlechte Baum« metaphorisch für den König und das »Fällen dieses Baumes« wird als Gerichtshandeln Gottes über die anmaßende politische Macht des Königs interpretiert. Vor diesem Hintergrund kann auch Lk 3,9 politische Implikationen enthalten, zumal in der Einleitung zum Wirken des Johannes in Lk 3,1-2a die weltlichen Führungsgestalten aufgelistet werden. So kann in der Verkündigung des schon begonnenen Gerichts Gottes mit Hilfe derselben Metaphern wie in Dan 4 unterschwellig Kritik gegen eine Überhöhung der weltlichen Machthaber zum Ausdruck kommen. ›Umdenken‹ bedeutet dann: Die Macht der politischen Größen relativieren angesichts der absoluten (Heils- und Unheils-) Macht Gottes. Eine Steigerung erfährt die Gerichtsdrohung in Lk 3,9 durch den Zusatz, jeder Baum mit schlechten Früchten werde »ins Feuer geworfen«, womit absolute Vernichtung ausgedrückt wird. Feuer als Mittel von Gottes strafender Vernichtung ist nämlich aus diversen Texten, wie z. B. aus Gen 19,24-25 im Hinblick auf Sodom und Gomorra oder in Ez 15,6-7 bezüglich der Bewohner Jerusalems, 43 bekannt. Besonders relevant für die Rede des Johannes sind deutliche Parallelen zu Jer 22,7: »Ich biete Verwüster gegen dich auf, die mit ihren Äxten kommen, deine auserlesenen Zedern umhauen [ekkopsousin] und ins Feuer werfen.« Diese als JHWH-Rede gestaltete Unheilsankündigung ist Teil längerer Drohworte des Propheten Jeremia gegen das »Haus des Königs von Juda« (Jer 22,1) sowie gegen alle Menschen, die sich in Jerusalem aufhalten, wie der Kontext nahe legt (vgl. Jer 21,11; 22,6). Darin wird zu Recht und Gerechtigkeit aufgefordert, wobei die gesellschaftlich Schwachen (Ausgeplünderte, Fremde, Weisen, Witwen) besonders im Blick sein sollen (Jer 22,3). Im Falle der Beachtung dieser Forderung, wird dem davidischen Haus Bestand angekündigt (22,4), im Fall von Missachtung allerdings Zerstörung (22,5), die auch die ganze Stadt Jerusalem betreffe (Jer 22,6-9). Selbst wenn das Haus des Königs bzw. die Stadt Jerusalem für JHWH sehr wertvoll sind, wie die Bezeichnung »auserwählte Zedern« (Jer 22,7) ausdrückt, wird JHWH dennoch Stadt und Palast völlig vernichten (»zur Wüste, zur unbewohnten Stadt« machen; Jer 22,6), indem er die auserlesenen Zedern mit Äxten aushauen und ins Feuer werfen wird (Jer 22,7). Als Grund für dieses Vernichtungsgericht nennt Vers 9, dass die Betroffenen den Bund Gottes aufgegeben und anderen Göttern gedient hätten. Deutlich ist im Jeremiatext also ein politisches und soziales Moment enthalten, da das Haus des Königs als Verantwortlicher und die Bewohner Jerusalems als Gemeinschaft angesprochen sind, und besonders die sozial Marginalisierten thematisiert werden. Das politische und soziale Handeln wird zugleich mit dem Bund Gottes in Verbindung gebracht, insofern schlechtes Handeln implizit mit einem Verlassen des Bundes gleichgesetzt wird. Dafür kündigt JHWH sein Vernichtungsgericht als Strafe an, in dem seine absolute Souveränität deutlich wird. Die Rede des Johannes verwendet nicht nur zum Teil dieselben Worte zur Darstellung von Gottes Gerichtshandeln wie Jer 22,7 (»umhauen« und »ins Feuer werfen« der Bäume), sondern zeigt auch weitere motivische Ähnlichkeiten zum Drohwort Jer 22,1-9. Werden im Jeremiatext das Haus des Königs von Juda und die Bewohner Jerusalems als Hörer vorgestellt, so ist der Adressatenkreis in Lk 3,7-9 ähnlich groß, denn hier werden ganz pauschal die »Volksmengen« angesprochen. Implizit gehören auch die religiös und politisch Mächtigen zur Szenerie, da Lk 3,1-2a mit dem Synchronismus anzeigt, unter welchem politischen und religiösen Machtgefüge sich die Worte des Johannes ereignen. Weiterhin ähnelt sich der Adressatenkreis hinsichtlich seines Gottesbezugs: Ist in Jeremia 22,1-9 deutlich, dass es sich um das erwählte Volk Israel handelt, dieses Privileg allerdings nicht vor dem Abfall von Gottes Bund und vor dem darauf folgenden Vernichtungsgericht bewahrt, so deutet sich in Lk 3,8 Ähnliches an. Die Rede vom »Vater Abraham« weist auf das Selbstverständnis der Zuhörer als zum Bund mit Gott Gehörige und damit von ihm Erwählte hin. Die Aussage, Gott könne aus Steinen Kinder Abrahams erstehen lassen, zeigt, dass dieses Privileg nicht automatisch bedeutet, dem Gericht Gottes zu entkommen. Das Thema der Sorge für die sozial Schwachen fehlt in der Rede des Johannes zwar bisher, wird aber in Lk 3,10-14 ebenfalls anvisiert (s. u.). Ähnlich wie der Prophet Jeremia also das Halten bzw. Nichthalten des Bundes Gottes mit politisch-sozialem Handeln verbindet und in diesem Zusammenhang die Drohung des Gerichts Gottes durch die bildhafte Sprache nachdrücklich betont, kann vor dem Hinter- Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 60 - 2. Korrektur 60 ZNT 31 (16. Jg. 2013) Hermeneutik und Vermittlung grund der Parallelen zu Jer 22,1-9 auch Johannes als prophetische Gestalt verstanden werden, deren Aufruf zur Umkehr, verstärkt durch die Gerichtsandrohung, mit einem politisch-sozialen Impetus verbunden ist. Zugehörigkeit zum Bund Gottes und die damit verbundene Realisierung des »Weges des Heils« bedeutet auch, die zum Bund gehörende Forderung nach sozialem Handeln zu erfüllen. 6. »Was sollen wir tun? « Johannes bleibt nicht bei dieser metaphorischen Aufforderung zum Umdenken und dementsprechenden Handeln stehen, sondern konkretisiert diese im Dialog mit seinen Zuhörern insgesamt (Lk 3,10-11) sowie mit den beiden speziellen Gruppen, den Zöllnern (Lk 3,12-13) und den Soldaten (Lk 3,14). Angestoßen werden diese Konkretisierungen jeweils von der Frage »Was nun sollen wir tun [gr. poiēsōmen]? «, in der die Aufforderung, der Umkehr würdige Früchte zu tun (Lk 3,8), aufgegriffen wird. Nachdem in der Rede des Johannes die Dringlichkeit dieser Forderung angesichts des schon begonnenen Zorngerichts überaus deutlich geworden ist, handelt es sich bei dieser Frage der Zuhörer um eine bedeutende Frage, mit der eine Entscheidung über ihr Schicksal im Zorngericht Gottes zusammenhängt. Auch für die Erzählung des »Weges des Heils« stellt diese eine ›entscheidende‹ Frage dar, die immer wieder von verschiedenen Figuren des lukanischen Doppelwerks formuliert wird (vgl. Lk 12,17; Apg 2,37). 44 Die Antwort auf die erste Frage von den »Volksmengen« besteht in einem zweifachen Imperativ, der sich auf konkrete Situationen bezieht: 1) »Der, der zwei Untergewänder 45 hat, soll Anteil geben dem, der nicht hat.« 2) »Der, der Speisen hat, soll gleichermaßen tun [poieitō].« Insofern es sich bei Kleidung und Nahrung um Dinge handelt, die für das menschliche Überleben erforderlich sind, stehen sie beispielhaft für die existentiell notwendigen menschlichen Grundbedürfnisse. 46 Demnach fordert Johannes nichts Außergewöhnliches, sondern die Erfüllung eines Anspruchs, der für das Bundesvolk Israel grundlegend ist: Keiner in Israel soll Not leiden (Dtn 15,4). 47 Mit dieser selbstverständlichen Sorge für Arme entspricht Johannes nicht nur einer Basis sozialen Handelns im Volk Israel, sondern auch Jesus. Dieser fordert nämlich speziell von den Zwölf bei ihrer Aussendung, das zweite Untergewand nicht mitzunehmen (Lk 9,3), und von all seinen Nachfolgern, ihren gesamten Besitz zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben (Lk 12,33; 18,22). Da also Jesu Anspruch noch radikaler ist als der des Johannes, der nur dazu auffordert »Anteil zu geben«, wird er erneut als Wegbereiter Jesu gezeichnet. 48 Nach dieser ethischen Grundforderung an die gesamten Volksmengen wird in Vers 12 die Gruppe der Zöllner als Dialogpartner des Johannes herausgegriffen. Im Unterschied zu der Betonung des schlechten Rufs von Zöllnern in sehr vielen anderen Texten, die Zöllner in einem Atemzug mit Sündern (Lk 7,34; 15,1 u. a..), 49 mit Prostituierten (Mt 21,31.32) oder in der Reihe »Räuber, Ungerechte, Ehebrecher« (Lk 18,13) nennen, werden sie hier mit ihrer Absicht beschrieben, sich taufen zu lassen. Damit wird also angedeutet, dass sie die Verkündigung und den Umkehrruf des Johannes annehmen. Dass zunächst nicht das negative Bild der Zöllner im Vordergrund steht, sondern die Akzeptanz von Johannes und seiner Botschaft, bestätigt sich in der respektvollen Anrede »Lehrer«, mit der sie sich an Johannes wenden. 50 Wenn Johannes den Zöllnern antwortet »Nicht mehr als das euch Angeordnete fordert ein [gr. prassete]! « (Lk 3,13), wird doch das schlechte Ansehen der Zöllner in Erinnerung gerufen. Als Abgabenpächter, die sich die Lizenz zur Erhebung von Gebühren und Abgaben von einem Steuerpächter erworben haben, mussten Zöllner versuchen, die Kosten für diese Lizenz zu decken und möglichst noch eigenen Gewinn zu erwirtschaften. 51 Da jede Mehreinnahme vom Zöllner selbst behalten wurde, waren sie sehr daran interessiert, möglichst hohe, also über die festgesetzten Tarife hinausreichende Gebühren zu kassieren. Wegen dieses wirtschaftlichen Interesses standen Zöllner in sehr schlechtem Ansehen. 52 Darauf bezieht sich dann auch Johannes’ Forderung, die mit dem Verb prassō, einem terminus technicus für das Eintreiben von Geld, 53 formuliert wird. Durch den Zusatz »mehr als das, was angeordnet ist« wird deutlich, dass Johannes keine Abschaffung von Abgaben verlangt. Vielmehr geht es darum, sich nicht in betrügerischer Art selbst zu bereichern und die Grenzen des herrschenden ethischen Konsenses einzuhalten. 54 Auch hier verlangt Johannes also nichts Außergewöhnliches und akzeptiert das herrschende Wirtschaftssystem. Allerdings soll dieses nicht für egoistische Zwecke ausgenutzt werden. »›Umdenken‹ bedeutet dann: Die Macht der politischen Größen relativieren angesichts der absoluten (Heils- und Unheils-)Macht Gottes.« Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 61 - 2. Korrektur ZNT 31 (16. Jg. 2013) 61 Heike Hötzinger Umdenken als Politik (Lk 3,7-14) Die Soldaten als weitere Gruppe aus dem Zuhörerkreis des Johannes werden nicht näher vorgestellt. Deshalb könnte man zwar fragen, ob es sich um römische, d. h. nichtjüdische Soldaten oder um Soldaten aus dem Heer des Herodes Antipas, die auch Juden gewesen sein könnten, handelt. Allerdings zeigt die Antwort des Johannes, dass die religiöse und ethnische Zugehörigkeit der Soldaten nicht im Zentrum des Interesses steht. Vielmehr geht es um ihren Umgang mit der Zivilbevölkerung, wenn Johannes zwei negative und eine positive Forderung an die Soldaten richtet. Schon mit der ersten negativen Mahnung »niemanden misshandelt« (gr. diaseisēte) kommt zum Ausdruck, dass die Beziehung zwischen Stärkeren und Schwächeren thematisiert wird. Auch die zweite Aufforderung »niemanden unterdrückt« fügt sich in diese Thematik ein, denn das Verb sykophanteō erinnert an Texte der Septuaginta, die damit das hebräische Wort für »unterdrücken, Gewalt ausüben« übersetzen. 55 Zwar ist das Bedeutungsspektrum davon ziemlich breit, denn es reicht vom »unrechtmäßigen Erwerben von Gewinn« (Koh 7,7), über »Verleumdung« in der Mahnung zur Heiligung des Alltags (Lev 19,11) 56 bis hin zu »gewaltsamer Unterdrückung« (Koh 4,1; Ps 118,134 LXX), aber der Aspekt von Gewaltausübung von Stärkeren gegenüber Schwächeren klingt überall an. In Lk 3,14 legt sich diese Konnotation von gewaltsamer Unterdrückung aufgrund des ersten Imperativs ebenfalls nahe. Die positive Aufforderung an die Soldaten, »seid zufrieden mit eurem Sold«, wird mit dem Verb arkeō formuliert, das auch in anderen Zusammenhängen das ethische Ideal ausdrückt, sich mit den eigenen Dingen zu begnügen (vgl. 1Tim 6,8; Hebr 13,5). 57 Dies ähnelt der Mahnung an die Zöllner, nur das Festgesetzte einzutreiben. Beide Gruppen haben besondere Machtmittel und werden so ermahnt, diese nicht zu missbrauchen, weder zur eigenen betrügerischen Bereicherung noch zum Schaden für die weniger Mächtigen durch gewalttätige Unterdrückung. 58 Insgesamt behandeln die Forderungen, mit denen Johannes auf die dreimalige Frage »Was sollen wir tun? « antwortet, Beispiele aus der alltäglichen Situation »im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, Pilatus war Statthalter von Judäa«. Damit verdeutlichen sie, dass genau in diesem Alltag das ›Umdenken‹ entsprechende »Früchte« tragen soll. Somit haben die Aufforderungen auch eine politische Dimension, da sie sich indirekt mit den bestehenden Machtverhältnissen auseinandersetzen und darauf reagieren. Auffällig dabei ist, dass sie nicht nach einer Umwälzung der Verhältnisse verlangen, sondern vielmehr nach einem Handeln genau in dieser Situation. So zeichnen sich diese ethischen Weisungen im Großen und Ganzen durch eine »ausgeprägte Durchschnittlichkeit« 59 aus. Umdenken bedeutet demnach: Dem Umdenken in der jeweiligen Lebenswelt Ausdruck durch entsprechende Taten verleihen, denn genau darin ereignet sich der »Weg des Heils«. Umdenken als Politik Obwohl Johannes der Täufer in keiner Weise ausdrücklich zu einem Widerstand gegen die politische Situation, die mit dem Synchronismus in Lk 3,1-2a umrissen wird, aufruft, enthält seine Rede dennoch politische Horizonte. Diese sind auf der literarischen und auf der inhaltlichen Ebene impliziert. Auf literarischer Ebene gewinnt Lk 3,7-14 durch verschiedene gestalterische Mittel politische Sinnpotentiale. Grundlegend ist die starke Einbettung des Textes in seinen Kontext des lukanischen Doppelwerks mit seinem theologischen Konzept des »Weges des Heils«, das deutlich macht, dass die Geschichte Gottes mit Israel nicht an der weltlichen Geschichte vorbeigeht, sondern sich nur darin ereignen kann. Zu diesem Konzept trägt auch die Rede des Johannes bei, zumal Johannes als prophetische Gestalt mit eschatologischer Ausrichtung in Analogie zu Propheten Israels dargestellt wird. Dieses Bild des Johannes deutet ebenfalls darauf hin, dass sein Wirken auch politisch verstanden werden kann. Weiterhin bietet der Adressatenkreis des Johannes Anhaltspunkte für implizit politische Dimensionen. Mit den »Volksmengen«, die für das Wirken und die Verkündigung des Johannes empfänglich sind, ist nämlich eine unbestimmt große Gruppe gemeint. Wenn eine solche Gruppe zum »Umdenken« motiviert wird, kann auch das scheinbar unpolitische Denken und Handeln, das Gott als absolutem Herrscher verpflichtet ist, politische Auswirkungen haben. Denn dann handelt eine große Gruppe nach den Maßstäben Gottes und nicht nach denen des bestehenden Machtsystems. Außerdem verleihen diese »Volksmengen« Lk 3,7-14 eine politische Note, insofern sie den Text von einer konkreten Zielgruppe, wie etwa in der matthäischen Version mit den Pharisäern und Sadduzäern als Zuhörern, abheben. Dadurch wird der Text geöffnet für verschiedene potenti- »Somit haben die Aufforderungen auch eine politische Dimension, da sie sich indirekt mit den bestehenden Machtverhältnissen auseinandersetzen und darauf reagieren.« Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 62 - 2. Korrektur 62 ZNT 31 (16. Jg. 2013) Hermeneutik und Vermittlung elle Adressaten-- auch für den jeweiligen Leser. Offenen Charakter erhält der Text weiterhin dadurch, dass zunächst ganz allgemein von Gottes Zorngericht gesprochen und zu dem Umdenken entsprechenden Taten aufgefordert wird. Die Beispiele in Lk 3,10-14 sind zwar aus der Lebenswelt zur Zeit der Entstehung des Textes entnommen, bleiben aber zugleich so allgemein, dass sie leicht auf verschiedene Situationen übertragen und aktualisiert werden können. Die inhaltliche Grundlage bildet die Verkündigung des unentrinnbaren Zorngerichts Gottes und damit verbunden die absolut souveräne Macht Gottes. Mit dieser kann er in schöpferischer Art Anteil an seinem Bund und somit Heil bewirken, aber ebenso völlig vernichtend in seinem Zorn handeln. Vor diesem Hintergrund ist die Aufforderung, »dem Umdenken würdige Früchte zu tun«, zentral und ›entscheidend‹ für den Verlauf des bereits begonnenen Zorngerichts Gottes. Dem entspricht dann auch die ebenfalls ›entscheidende‹ Frage der Adressaten des Johannes »Was sollen wir tun? «. Die implizit politischen Aussagen dieser bildhaft ausgedrückten Inhalte lassen sich angesichts diverser Intertexte erkennen, auf die Lk 3,7-14 anspielt, indem dieselben Motive oder sogar Begriffe verwendet werden. Da etwa das Bild von einem Baum, der keine guten Früchte trägt, in Dan 4,8-9.20 und Jes 22,1-9 jeweils auf bestimmte weltliche Machthaber übertragen wird, denen-- ebenfalls mit Bildern, die auch in Lk 3,7-14 auftauchen-- Gottes Vernichtungsgericht angekündigt wird, können diese politischen Konnotationen auch ein Sinnpotential in der Rede des Johannes darstellen. Dies wird noch deutlicher angesichts der Aufzählung der politischen Größen zur Zeit des Wirkens des Johannes (Lk 3,1-2a). »Umdenken« bedeutet in diesem Zusammenhang, die absolute Macht Gottes als Schöpfer und endzeitlicher Richter sowie seine Forderungen anzuerkennen. Nur »Umdenken« reicht allerdings nicht, was sich schon darin andeutet, dass »getauft werden« wollen allein nicht vor dem Zorn Gottes bewahrt. Vielmehr ist »Umdenken« der erste Schritt, dem weitere Schritte in Form von entsprechenden Taten folgen müssen, um den »Weg des Heils« zu gehen. Worin diese »dem Umdenken würdigen Früchte« und weiteren Schritte konkret liegen, formulieren die Antworten des Johannes auf die entscheidende Frage verschiedener Zuhörerkreise »Was sollen wir tun? «. Dabei wird deutlich: »Umdenken« bedeutet zunächst eine Besinnung auf das Wesentliche. Es wird nämlich zur Fürsorge für die existentiell notwendigen Dinge (Kleidung und Nahrung) im direkten Umfeld aufgefordert, genauso wie es seit jeher im Volk Israel geboten wird. Darauf aufbauend (wenn also für das Wesentliche gegenseitig gesorgt ist) bedeutet »Umdenken« ein Anerkennen der festgesetzten Grenzen des herrschenden Systems, d. h. beispielsweise seine eigene Position im politischen Machtgefüge nicht auszunutzen, um seine eigene Macht zu stärken und dabei andere zu schwächen. Wenn nämlich die Basis des Umdenkens ist, die absolute Macht Gottes als Schöpfer und endzeitlicher Richter anzuerkennen, relativiert sich jede weltliche Macht, auch die eines jedes einzelnen. »Umdenken« im Sinn einer Anerkenntnis von Gottes Herrschaft und Gericht, das schon begonnen hat, führt also zu einer neuen Wahrnehmung der politischen Herrschaftsgefüge und zu einer gewissen ›Unabhängigkeit‹, weil primär-- im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten-- nach Gottes Vorstellungen gehandelt werden kann. Das Beispiel der Zöllner und Soldaten zeigt, dass damit nicht unbedingt ein Ausbruch aus dem politischen System nötig ist, sondern eine Integration des davon Geforderten in die Forderungen Gottes. Oder umgekehrt: Die Forderungen Gottes werden innerhalb der bestehenden weltlichen Systeme und deren Grenzen erfüllt. Was ist das ›Neue‹ daran? -- Vielleicht, dass das alles nichts Neues ist. In Anknüpfung an ethische Weisungen Israels 60 und als deren Aktualisierung formuliert Johannes seine Aufforderung zur Umkehr, die sich konkret im Alltag bewähren muss und nicht bei einem »Umdenken« stehen bleiben darf. Damit bereitet Johannes als »Prophet des Höchsten« die »Wege des Herrn« (Lk 1,76; 3,4) vor, die ein »Weg des Heils« sein wollen. Anmerkungen 1 Wenn nicht anders vermerkt, stammen die Übersetzungen der neutestamentlichen Texte der eigenen Übersetzung der Verfasserin dieses Artikels. Die alttestamentlichen Texte sind der Einheitsübersetzung entnommen. 2 Vgl. H. Merklein, μετάνοια, μετανοέω, in: EWNT 2 (1992), 1022-1031, hier: 1024. 3 In Anlehnung an U. Schnelle, Historische Anschlussfähigkeit. Zum hermeneutischen Horizont von Geschichts- und Traditionsbildung, in: J. Frey/ U. Schnelle, Kontexte des Johannesevangeliums (WUNT 175), Tübingen 2004, 47-78, hier: 57 Anm. 51, wird hier ein weiter Erzählbe- »Wenn nämlich die Basis des Umdenkens ist, die absolute Macht Gottes als Schöpfer und endzeitlicher Richter anzuerkennen, relativiert sich jede weltliche Macht, auch die eines jedes einzelnen.« Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 63 - 2. Korrektur ZNT 31 (16. Jg. 2013) 63 Heike Hötzinger Umdenken als Politik (Lk 3,7-14) griff vorausgesetzt, der nicht auf bestimmte literarische Gattungen fixiert ist. Erzählung wird »als eine bedeutungs- oder sinnhafte bzw. Bedeutung oder Sinn stiftende Sprachform« aufgefasst. Vgl. auch U. Eisen, Die Poetik der Apostelgeschichte. Eine narratologische Studie (NTOA 58), Göttingen 2006, 40. 4 Vgl. K. Backhaus/ G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, Neukirchen-Vluyn 2007, 31. 5 Vgl. Backhaus, Historiographie, 31-34. Ähnlich K. Schiffner, Lukas liest Exodus. Eine Untersuchung zur Aufnahme ersttestamentlicher Befreiungsgeschichte im lukanischen Werk als Schrift-Lektüre (BWANT 172), Stuttgart 2008, 58; S. Hagene, Zeiten der Wiederherstellung. Studien zur lukanischen Geschichtstheologie als Soteriologie, Münster/ Aschendorf 2003, 53-58. 6 Vgl. Hagene, Zeiten, 55. Für weitere Kennzeichen antikjüdischer Geschichtsschreibung vgl. J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte (RNT 5), Regensburg 1994, 24-30; Backhaus, Historiographie, 30-35. 7 Es besteht weitgehender Konsens darüber, dass Lukasevangelium und Apostelgeschichte auf einen Verfasser zurückgehen, von dem zwar nicht viel bekannt ist, der aber traditionell ›Lukas‹ genannt wird. Zur Diskussion um die Verfasserfrage des lukanischen Doppelwerks vgl. H. Klein, Lukasstudien (FRLANT 209), Göttingen 2005, 11-40; J. Schröter, Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte, in: E.-M. Becker (Hg.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129), Berlin 2005, 237-240. 8 Klein, Lukasstudien, 105; J. Zmijewski, Apostelgeschichte, 25; Schröter, Lukas als Historiograph, 247-254 u. a. 9 Zmijewski, Apostelgeschichte, 319. 10 Vgl. Hagene, Zeiten, 55-56, fügt hinzu, dass in jüdischer Geschichtsschreibung häufig Existenzbedrohung und radikales Infragestellen des gesamten Volkes thematisiert werden. 11 Damit wird nämlich in Apg 16,17 das Geschehen, das im lukanischen Doppelwerk erzählt wird, prägnant zusammengefasst, wenn die von einem Wahrsagegeist besessene Magd in Philippi von Paulus und seinen Begleitern sagt: »Diese Menschen sind Diener des höchsten Gottes, die euch den Weg des Heils [gr. hodon sōtērias] verkündigen.« Vgl. Klein, Lukasstudien, 106; H. Klein, Das Lukasevangelium (KEK 1,3), Göttingen 10 2006 53. 12 Vgl. Klein, Lukasstudien, 111. Heil und der Weg dorthin bestehe primär in der Nachfolge Jesu, in Glaube, Offenheit für die Zukunft und für die Königsherrschaft Gottes. 13 Auch verschiedene Arten von Reden verstärken die Einheit des »Weges des Heils«, indem sie vorangegangene Ereignisse rückblickend deuten, ihre übergeschichtliche Bedeutung aufzeigen und gelegentlich vorausschauend künftige Ereignisse vorbereiten. Für einen ausführlichen Überblick dazu vgl. E. Plümacher, Apostelgeschichte, in: TRE 3 (1978), 502-506. 14 Vgl. M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 21. Zur ausführlichen Charakterisierung des Episodenstils vgl. ebd., 16-22; M. Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: C. Breytenbach/ J. Schröter/ D.S. du Toit (Hgg.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher (AJEC 57), Leiden/ Boston 2004, 253-284, bes. 258-279. 15 Beispielsweise zeigt Schiffner, Lukas liest Exodus, strukturelle, motivische und sprachliche Analogien des lukanischen Doppelwerks mit der Exoduserzählung. B. Koet, Isaiah in Luke-Acts, in: Ders., Dreams and Scripture in Luke-Acts. Collected Essays, Leuven u. a. 2006, 51-79, untersucht, inwiefern Jesajatexte das lukanische Doppelwerk prägen. 16 Ausführlich dazu vgl. H. Braun, Geschichte des Gottesvolkes und christliche Identität. Eine kanonisch-intertextuelle Auslegung der Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 (WUNT II 279), Tübingen 2010, 48-56. 17 Vgl. Backhaus, Historiographie, 35-41. Auch die zum Teil nicht ganz korrekten bzw. widersprüchlichen Angaben in den Synchronismen könnten zu dieser Transparenz beitragen. 18 Vgl. Eisen, Poetik, 221-222. 19 Lk 2,34 greift außerdem das spezielle Schicksal Jesu in verschlüsselter Weise auf. Vgl. Backhaus, Historiographie, 51-52; Eisen, Poetik, 150-151. Für ausführliche Untersuchungen zu Lk 2,30-32 und die Anspielungen auf Jes 40,3-5; 42,6; 49,6; 60,1-3 vgl. Wolter, Lukasevangelium, 139-143; Koet, Dreams, 99-122; D. Rusam, Das Alte Testament bei Lukas (BZNW 112), Berlin u. a. 2003, 78-85 u. a. 20 Das wird auch am Ende des Lukasevangeliums deutlich. Denn auf dem Weg nach Emmaus deutet Jesus seinen Tod und seine Auferstehung als Erfüllung der gesamten Schrift (Lk 24,26-27), betont also die Kontinuität zur Geschichte Israels. Außerdem beauftragt der Auferstandene seine Jünger zur Verkündigung an alle Völker (Lk 24,47) und mit der Erzählung von der Erhöhung des Auferstandenen wird seine Wiederkunft vorbereitet (Lk 24,50). 21 Eine Schilderung dieser Rezeptionsmöglichkeit würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Ausführlich dazu vgl. S. Schreiber, Weihnachtspolitik. Lukas 1-2 und das Goldene Zeitalter (NTOA 82), Göttingen 2009. 22 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 153. 23 Zur Vorbereitung auf das Wirken Jesu (ab Lk 4,14) zählt neben dem Überblick über Johannes den Täufer weiterhin die Taufe Jesu (Lk 3,21-22), der Stammbaum Jesu (Lk 3,23-38) und Jesu Versuchung (Lk 4,1-13). 24 Darüber hinaus wird in der Fortsetzung über die Erzählung hinaus deutlich, dass es sich um eine Station auf dem »Weg des Heils« handelt, wenn Johannes in Lk 3,16-17 auf die Überlegung des Volkes Israel, ob Johannes der erwartete Christus/ Messias sei, antwortet. Dabei verweist er nämlich ausdrücklich auf einen anderen, der »stärker« sei als er. Nach einer summarischen Zusammenfassung über die Verkündigungstätigkeit des Johannes in Lk 3,18 berichtet Lk 3,19-20 von der Gefangennahme des Johannes durch Herodes. Damit wird erneut der Zusammenhang zur politischen Situation, in der Johannes wirkt, etwas expliziter hergestellt und zugleich der Überblick über das Wirken des Johannes abgeschlossen. Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 64 - 2. Korrektur 64 ZNT 31 (16. Jg. 2013) Hermeneutik und Vermittlung 25 Zusätzlich wird Johannes’ vollkommen priesterliche Herkunft durch seine Mutter Elisabeth gewährleistet, die aaronidischer Abstammung ist. 26 Schreiber, Weihnachtspolitik, 71. 27 Zu politischen Dimensionen der Vorstellung von Johannes als Prophet vgl. auch U.B. Müller, Johannes der Täufer. Jüdischer Prophet und Wegbereiter Jesu (Biblische Gestalten 6), Leipzig 2002, 45-49. 28 Vgl. auch Wolter, Lukasevangelium, 156. 29 Vgl. Chr. Riedo-Emmenegger, Prophetisch-messianische Provokateure der Pax Romana. Jesus von Nazaret und andere Störenfriede im Konflikt mit dem Römischen Reich (NTOA 56), Fribourg 2005, 282. 30 Laut Wolter, Lukasevangelium, 159, ist diese Wendung (gennēmata echidnōn) analogielos, abgesehen von der Anrede der Pharisäer und Schriftgelehrten durch Jesus in Mt 12,34; 23,33. Möglicherweise ist die Wendung als Versuch der Übersetzung einer aramäischen Bezeichnung für ein bestimmtes Tier ins Griechische entstanden, ähnlich wie in Jes 11,8; 14,29. 31 Diese Beschimpfung überrascht auch deshalb, weil sie durch keinerlei Handlungen begründet wird. Vgl. J.-Ernst, Das Evangelium nach Lukas (RNT), Regensburg 1993, 109. 32 Wolter, Lukasevangelium, 159. 33 Vgl. ähnlich Ez 21,36; Jes 5,25; 9,18; 26,11; 30,27; Jer 4,4; 7,20; Zeph 1,15 u. v. m. 34 Übersetzung aus W. Kraus/ M. Karrer (Hgg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009. 35 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 159. Vgl. auch die Rede Jesu gegen Jerusalem Lk 21,23. 36 Die Formulierung mit dem pointiert vorangestellten Imperativ poiēsate unterstreicht die Dringlichkeit der Aufforderung. 37 Wolter, Lukasevangelium, 159. 38 Vgl. auch Merklein, Metanoia, 1024, 1028. 39 Vgl. auch Ernst, Evangelium nach Lukas, 109. 40 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 165, sieht im Bild, dass Gott aus Steinen Kinder erweckt, sogar eine Verschärfung gegenüber der Überlieferung von der Schöpfung des Menschen aus Ton (Gen 2,7), die den Menschen als Lehmgebilde in seiner Vergänglichkeit sieht (Hi 10,9; 33,6; Jes 41,25). Eventuell steckt in Lk 3,8c auch einfach ein Wortspiel, da die aramäischen Wörter für »Steine« (bnn) und »Kinder« (bnn) sich nur sehr geringfügig unterscheiden. Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 160. 41 Ein ähnlicher Umgang mit der Erwählung Israels erfolgt in der Petrusrede in Jerusalem Apg 3,19-26: Nachdem Petrus zur Umkehr (metanoia) auffordert, nennt er als entscheidendes Kriterium für die Teilhabe am verheißenen Heil die Hinwendung zu Jesus Christus. Zwar unterscheiden sich die beiden Texte in diesem Punkt voneinander, da Johannes als Kriterium »Früchte, die der Umkehr entsprechen« nennt, aber gemeinsam ist ihnen, dass die Zugehörigkeit zu Abraham (»Abrahamskindschaft«) von Gott nicht nur auf Grund der leiblichen Abstammung festgestellt werden kann, sondern auch auf Grund von anderen Kriterien. Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 160. Vgl. auch Röm 9,6-13; Gal 3,6-29. 42 Auch in der Warnung vor den falschen Propheten (Mt 17,17-19), die man daran erkenne, dass sie »schlechte Früchte machen«, verwendet Jesus diese Bilder, wenn er ankündigt, jeder Baum, der keine guten Früchte macht, werde ausgehauen und ins Feuer geworfen (Mt 7,19). 43 Dass mit dem Motiv des Feuers der Aspekt absoluter Vernichtung angedeutet wird, legt sich von äthHen 48,9 her nahe, wo angekündigt wird: »Wie Stroh im Feuer […] so werden sie brennen […], und es wird keine Spur von ihnen zu finden sein.« Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 161. 44 Vgl. auch Lk 16,3; 20,13; Apg 22,10 u. a.. 45 Das Lexem chitōn bezeichnet das Untergewand, das auf der Haut oder über einem leinenen Hemd getragen wird. Es reicht bis zu den Knien oder Knöcheln und hat lange oder halblange Ärmel. Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 161. 46 Mit Nahrung und Kleidung wird auch in einigen anderen Texten exemplarisch auf das existentiell Notwendige verwiesen. Vgl. Lk 12,23 par.; Mt 6,25; Gen 28,20; Dtn 10,18; Jes 4,1 u. a.. 47 Dies wird auch in verschiedenen anderen Kontexten formuliert, wie z. B. in Tob 1,17; 4,16; Jes 58,7; Ez 18,7. 48 Das Ideal, dass niemand Not leidet, findet sich auch in der Schilderung der idealisierten Gemeinde von Jerusalem, die in Gütergemeinschaft lebte Apg 2,42. 49 Vgl. auch Mk 2,15.16; Mt 11,19; Lk 18,13; 19,7. 50 Zur Parallelisierung mit Jesus, der sonst mit »Lehrer« angesprochen wird, siehe oben. 51 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 224. 52 Nicht wegen der angeblichen Kollaboration mit der fremden Besatzungsmacht hätten die Zöllner ihren schlechten Ruf, betont Wolter, Lukasevangelium, 162. 53 Vgl. W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg. von Kurt und Barbara Aland, Berlin/ New York 6 1988, 1400. 54 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 162. 55 Vgl. Ps 71,4; 118,122.134 LXX; Spr 14,31; Koh 4,1 u. v. m. 56 Vgl. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (EKK 3,1), Neukirchen-Vluyn 1989, 174. 57 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 163. 58 Ähnliches findet sich auch in Spr 22,16; 28,3. Vgl. Ernst, Lukasevangelium, 111; Wolter, Lukasevangelium, 163. 59 Wolter, Lukasevangelium 163. 60 Vgl. Bovon, Evangelium nach Lukas, 175.