eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 16/31

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2013
1631 Dronsch Strecker Vogel

Ist eine politische Auslegung des Neuen Testaments legitim?

2013
Manuel Vogel
Zeitschrift für Neues Testament_31 typoscript [AK] - 21.03.2013 - Seite 40 - 2. Korrektur 40 ZNT 31 (16. Jg. 2013) Einleitung zur Kontroverse Ist eine politische Auslegung des Neuen Testaments legitim? Die Frage, die dieser Kontroverse ihr Thema gegeben hat, entscheidet zugleich über Sinn oder Unsinn des ganzen Heftes. Wir fragen also in eigener Sache: Ist »das Neue Testament in Universität, Kirche, Schule und Gesellschaft« ein politisch’ Ding (wie wir in der Tat meinen) oder nicht (wie das theologische Fach namens »Neues Testament« in beredtem Schweigen weithin nahezulegen scheint)? Die beiden Autoren geraten damit unversehens in die Position externer Gutachter. Das Ergebnis lässt in beiden Teilen aufatmen, ja, beide Beträge bereichern das aktuelle Heft der ZNT auf je eigene Weise ganz erheblich. Jan Dochhorn unterscheidet in seinem Beitrag zwischen politischer Exegese und politischer Hermeneutik. Politische Exegese erarbeitet historisch-kritisch den kulturellen Kontext der biblischen Texte. Der Gegenwartsbezug politischer Exegese ist statthaft, sofern sie nach »Analogien« und »Anregungen« für die politische Gegenwart fragt; zu kritisieren ist sie, wenn sie mit »Projektionen« arbeitet. Die Gefahr der Projektion sieht er namentlich auf dem Feld der Jesusforschung gegeben, sobald einem sozialkritischen Jesusbild das Wort geredet werden soll. Einzelne »antiimperiale« Bezüge des Wirkens Jesu und der frühen Jesusbewegung sind nicht von der Hand zu weisen, sie reichen aber nicht hin, um ein sozialkritisches Jesusbild historisch hinreichend zu unterlegen. Seine tendenziell kritische Position hält er auch dort durch, wo er sich politischer Hermeneutik zuwendet, die nicht nur nach Analogien fragt, sondern aus den Texten belastbare politische Aussagen gewinnen will. Er nimmt sich nämlich mit Röm 13,1-7 eines Textes an, der im politisch-ethischen Diskurs unter Neutestamentlern notorisch unbeliebt ist. Von diesem Text aus entwickelt er im Dreischritt »Politik«, »Theologie« und »Dekonstruktion« Gedanken zum modernen Staats- und Demokratieverständnis, die einer Exegese den Spiegel vorhalten, deren Umgang mit den Texten nicht kritisch genug sein kann, die aber in der kritischen Wahrnehmung der politischen Gegenwart ihre blinden Flecken hat. Wolfgang Stegemann führt aus, dass die gestellte Frage aus zwei Gründen schwerlich pauschal verneint werden kann. Auslegungen des Neuen Testaments, überhaupt der Bibel, sind nämlich erstens immer insofern »politisch«, als die Menschen, die biblische Texte hören, lesen und auslegen, dies notwendig in bestimmten historischen, kulturellen und eben auch politischen Kontexten tun, die in die Wahrnehmung der Texte einfließen. Diejenigen, die apolitisch die Bibel lesen, haben selbst keine Schmerzen und spüren auch nichts von den Schmerzen anderer, die unter denjenigen Verhältnissen leiden, die ihnen selbst zugute kommen. Auch dann handelt es sich um »politische« Lektüren der Bibel. Die gestellte Frage kann zweitens auch deshalb nicht pauschal verneint werden, weil politischen Bibelauslegungen gerade dann, wenn ihnen die Legitimität abzusprechen ist, auf ihrem eigenen Feld begegnet werden muss. Gerade der Missbrauch politischer Bibelauslegung legitimiert, ja erfordert ihren Gebrauch. Das Beispiel, das Stegemann für eine solcherart problematische Lektüre anführt-- ein Text aus der Feder eines palästinensischen Christen--, lässt freilich die in unseren Breiten geführten Diskussionen über das Politische der Bibel vergleichsweise wie akademische Sonntagsspaziergänge aussehen: Es stockt beim Lesen förmlich der Atem, wenn Mitri Raheb, lutherischer Pfarrer in Bethlehem, mit brachialer Gewalt einen Keil zwischen den modernen Staat Israel und jede mögliche biblische Legitimation desselben treibt. Die Irritation, die dieser Text eines lutherischen Christen auslöst, macht allerdings auch die selbstverständliche Vertrautheit und Geneigtheit bewusst, die weithin den im christlich-jüdischen Dialog erprobten Umgang mit der jüdischen Sicht auf den Staat Israel bestimmt. Jene Geneigtheit hat ihre guten Gründe, andererseits muss ich gestehen, dass ich bisher noch nie einen Gedanken darauf verwendet habe, wie palästinensische Christinnen und Christen wohl die Bibel lesen, die doch unter einer Besatzungsmacht leben, die sich ihrerseits auf die Bibel beruft. Kurzum: Zumal dieses von Stegemann in die Kontroverse eingebrachte Fallbeispiel demonstriert die Dringlichkeit einer methodisch kontrollierten und historisch informierten Wahrnehmung des Politischen im Neuen Testament. Manuel Vogel Kontroverse