eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 16/32

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2013
1632 Dronsch Strecker Vogel

Der lange Schatten der Vergangenheit

2013
Günter Röhser
Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 55 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 55 Ein Text mit einem »unverstandenen Rest« Unverändert gilt die Feststellung von Hermann Lichtenberger zur Auslegungsgeschichte des 7. Kapitels des Römerbriefes: »Was als Konsens der Bemühungen um den Text als gesichert schien, mußte oft ins Wanken geraten, so daß jeder Ausleger genötigt war, erneut mit dem Buchstabieren zu beginnen.« 1 Deshalb mag es gestattet sein, hier abermals-- und in behutsamer Aufnahme und Weiterführung eigener Bemühungen 2 -- einen Auslegungsvorschlag zu Röm 7 zu unterbreiten, der von der gegenwärtigen-- auch von Stefan Schreiber vertretenen-- Mehrheitsmeinung in der Exegese abweicht. Dabei ist mir deutlicher als bei anderen Texten jener unverstandene und unerklärte »Rest« im Hintergrund bewusst geworden, von dem Karl Barth im Vorwort zur 2. Auflage seines »Römerbriefes« von 1922 spricht, an den auch Lichtenberger im vorliegenden Zusammenhang erinnert und den es wahrzunehmen gelte 3 -- wobei mir diese Wahrnehmung am Ende darauf hinauszulaufen scheint, dass Römer 7 zum leuchtendsten Paradigma eines Textes wird, zu dem es mindestens (! ) zwei völlig verschiedene, jeweils textgestützte und gut begründete Auslegungen gibt und geben darf-- ein Leckerbissen für jeden Semiotiker! Dass diese Offenheit nicht mit Beliebigkeit und Willkür zu verwechseln ist, wird schon allein daran deutlich, dass ich mit Stefan Schreiber in zwei grundlegenden exegetischen Entscheidungen zu Röm 7 übereinstimme: Wie er verstehe ich das Ich dieses Kapitels als ein »generisches«, d. h. durch diese Redefigur werden typische, zu verallgemeinernde Erfahrungen zum Ausdruck gebracht, 4 die einen (auto)biographischen Rahmen des Autors (Apostel Paulus) bei weitem übersteigen und einen großen Teil der Menschheit (wenn nicht die ganze) betreffen. Allerdings möchte ich dieses Ich anders als Schreiber, Lichtenberger u. v. a. (auch) auf die Christusgläubigen beziehen, die zwar grundsätzlich aus dem Herrschaftsbereich der Sünde in denjenigen Jesu Christi übergewechselt sind, die aber immer noch (und bis zur endgültigen Erlösung) unter dem Einfluss der Sünde und des hieraus resultierenden existenziellen Konflikts stehen (Röm 7,7-25). Zum anderen stimme ich mit Schreiber darin überein, dass es in Röm 7 um die Rolle des Gesetzes und um dessen Verteidigung gegen ungerechtfertigte Angriffe (und damit auch um diejenige des Paulus gegen unbegründete Einwände) geht: Von dem Ehebeispiel aus der Tora (7,1 ff.) über die rhetorischen Fragen in 7,7 (Ist das Gesetz Sünde? ) und 7,13 (Ist das Gute = Gesetz mir nun zum Tod geworden? ) sowie grundsätzliche Feststellungen über die Dignität des Gesetzes (7,12.14a) zieht sich das Thema bis hin zu seinem (vorläufigen) Abschluss in Röm 8,2-4 (Gesetz des Geistes, Erfüllung seiner Forderungen). Dies schließt jedoch nicht aus, dass es im Rahmen dieses Themas auch zu ausführlichen anthropologischen Reflexionen kommt-- Schreiber spricht ja selbst von der »anthropologische(n) Dramatik« in der Argumentation von Röm 7,14b-21. Und diese verdient bei der Frage nach dem christlichen oder vorchristlichen Ich in Röm 7 im Grunde noch mehr Aufmerksamkeit als die neue Tora-Hermeneutik im Sinne Schreibers. Auf den Kontext kommt es an Um eine neue, erweiterte Perspektive auf Röm 7,7-25 zu gewinnen, ist es hilfreich, auf den vorderen und hinteren Gesamtkontext des Abschnitts zu achten. Spätestens mit Röm 6,1 befinden wir uns im 2. Hauptteil des Römerbriefes, wo es um die Freiheit von Sünde, Gesetz und Tod, um die eschatologische Hoffung sowie die Rolle des Heiligen Geistes geht. Umso mehr überrascht es, dass zwischen der Taufe, in der grundsätzlich die Freiheit der Christusgläubigen von der Herrschaft der Sünde und des Todes erreicht wird (6,3-11), und der Gabe des Geistes (5,5; 8,9-11.15 f.23) kein direkter Zusammenhang zu bestehen scheint. Überhaupt ist die Verbindung zwischen (Wasser-)Taufe und individuellem Geistempfang bei Paulus auch sonst prekär und theologisch nicht ausgearbeitet. Eher ist an so etwas wie einen der Gemeinde als ganzer gegebenen Gemeinschaftsgeist zu denken, für den zu öffnen und an dem Anteil zu gewinnen der bzw. die Einzelne in der Taufe die grundsätzliche Fähigkeit gewinnt (durch Trennung Kontroverse Günter Röhser Der lange Schatten der Vergangenheit Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 56 - 2. Korrektur 56 ZNT 32 (16. Jg. 2013) Kontroverse und Abkehr von der Existenzweise des »alten Menschen«) und die grundsätzliche Verpflichtung dazu (durch gehorsamen Wandel in der neuen Existenzweise) übernimmt. 5 Von daher wären dann in Röm 6-8 mögliche und notwendige Etappen auf dem Weg zur endgültigen Erlösung (7,24; 8,23) anvisiert und nicht der gesicherte Heilsstand in einem »sündenfreien« Raum (der notwendige Zuspruch an »Heilsgewissheit« legte sich dann in 5,1-11 und 8,18-39 wie in einem Rahmen um die ganze Erörterung). Das bedeutet dann natürlich auch eine neue Perspektive auf Röm 7,7-25 als (durchaus auch) christliche Erfahrungsmöglichkeit in der noch unvollkommenen Gegenwart. Doch betrachten wir einige Stationen des Gesamtkontextes etwas genauer: Mit der Rede vom Gestorbenbzw. Tot-Sein (für das Gesetz, d. h. frei zu sein von seiner verurteilenden Funktion) durch den Leib Christi (7,4a; vgl. V. 3) und der Zugehörigkeit zu ihm als dem aus Toten Auferweckten (V. 4b) schließt Paulus explizit erkennbar an das Gestorben-Sein mit Christus in der Taufe samt zukünftigem Auferstehungsleben mit ihm aus Röm 6,3-8 an. Die Abfolge von Alt und Neu (einschließlich ethischer Implikationen) in 6,4-6 und 7,4a.b spiegelt sich dann auch in 7,5-6 wider: Durch die Formulierung »als wir im Fleisch waren, wirkten sich die durch das Gesetz (ausgelösten) sündigen Leidenschaften in unseren Gliedern aus« (V. 5) wird der beschriebene verhängnisvolle Vorgang und damit auch das »Sein im Fleisch [sarx]« (scheinbar) eindeutig der Vergangenheit zugewiesen, während V. 6 (»Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgekommen, indem wir dem gestorben sind, worin wir festgehalten waren, so dass wir im neuen Bereich des Geistes dienen und nicht im alten des Gesetzesbuchstabens«) ebenso (scheinbar) eindeutig die nunmehr erreichte Heilswirklichkeit anhand ihrer ethischen Implikationen beschreibt. Inhaltlich nimmt V. 5 nach allgemeiner Ansicht in komprimierter Form die folgenden Verse 7-23 voraus, während V. 6 mit seiner Vorstellung von der Befreiung vom Gesetz als einer unheilvollen Instanz und v. a. mit seiner Rede vom Geist unmittelbar auf 8,2.9-11 voraus weist. Gleichzeitig erscheint dort aber auch die Rede vom »Sein im Fleisch« (im Präsens: 8,8 f.) sowie die Verpflichtung, nicht »nach dem Fleisch« zu leben, sondern durch den Geist die »Machenschaften des Leibes« (Übers. U. Wilckens) zu töten (sie dürften den »Werken des Fleisches« von Gal 5,19 entsprechen) bzw. sich durch den Geist leiten zu lassen (8,12-14). Denn nur solches »vom Geist bestimmte Trachten« besitzt die Verheißung von Leben und Frieden, während das »vom Fleisch bestimmte« Trachten im Tod endet (8,6). Nur solches geistbestimmte Trachten hat dann die fleischliche Existenzweise auch wirklich hinter sich gelassen. So wird deutlich: Ein vollständiges Bild von den in 7,5-6 beschriebenen Sachverhalten und verwendeten Kategorien erhält man erst durch die Einbeziehung des gesamten Kontextes bis einschließlich Kap. 8. Dann aber gilt: Nur die Christusgläubigen besitzen überhaupt die Fähigkeit, sich dem Gemeinschaftsgeist in ihrer Mitte zu öffnen und ihr Leben an ihm zu orientieren. Sie müssen dies dann aber auch tun und sich gegen die Bestrebungen des Fleisches zur Wehr setzen. Jesus selbst ist »im Fleisch« (d. h. hier: als Mensch, im irdischen Leben; vgl. Phil 1,21 ff.; Gal 2,20) erschienen und hat den Weg dafür frei gemacht (8,3). Von daher kann man dann auch 7,14 lesen: Das »Fleischlich«-Sein als Gefahr dauert an und sichert der Sünde einen bleibenden Angriffspunkt auf die Christusgläubigen-- was nicht heißt, dass sie ihr erliegen müssen (im Gegenteil: Sie haben ja den Geist als Gegenmittel [8,9]). Es gibt also drei Verwendungsweisen von »Fleisch« bei Paulus in diesem Zusammenhang, die genau zu unterscheiden sind: das Leben »im Fleisch« (8,3 von Jesus; wertneutral), das »Sein im Fleisch« (für die Christusgläubigen vergangen: 7,5; 8,8 f.; negativ), das »Sein/ Wandeln/ Leben nach dem Fleisch« (eine für Christusgläubige aktuelle Möglichkeit und Gefahr der falschen Orientierung: 8,4 f.12f.; negativ). Prof. Dr. Günter Röhser, Jahrgang 1956, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen, Heidelberg und Neuendettelsau. Promotion (1986) und Habilitation (1993) in Heidelberg. Pfarrer der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Lehrtätigkeit in Bamberg und Siegen, 1997-2003 Professor für Bibelwissenschaft an der RWTH Aachen, seit 2003 für Neues Testament an der Universität Bonn. Forschungsschwerpunkte: Religiöse Vorstellungen der (biblischen) Antike, paulinische Theologie, Fragen der Bibelübersetzung. Homepage: www.guenter.roehser.de Günter Röhser Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 57 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 57 Günter Röhser Der lange Schatten der Vergangenheit 7,7-13 beschreibt unter diesem Aspekt, was das Im- Fleisch-Sein in der Vergangenheit bedeutete und wozu es führte (vgl. 7,5). In der Begegnung mit dem guten Gebot Gottes stellte sich nämlich heraus, dass der Mensch-- das »Ich« in der »Rolle Adams« (vgl. Schreiber)-- sich vollständig in der Gewalt der Sünde befand, die vermittels des Gebotes die sündige Begierde in ihm weckte und ihn so zugrunde richtete (V. 11: »betrog« und »tötete«). Ob es in der Vorstellung des Paulus jemals eine Phase gab, in welcher der Mensch (Adam) in Übereinstimmung mit den Geboten Gottes lebte, muss offenbleiben (V. 9a); Röm 5,13 (»Sünde wird nicht angerechnet, wenn kein Gesetz da ist«) bezieht sich m. E. nur auf die Phase zwischen Adam und Mose (5,14) und lässt deshalb keine Aussage über den Status Adams vor dem »Sündenfall« zu. In dem Augenblick jedenfalls, in dem das Gebot gegeben wurde, lebte die Sünde auf (7,9b), und eine Phase »Gebot/ Gesetz ohne Sünde« hat es bis zum Erscheinen Jesu nicht gegeben. Eine »übernatürliche Macht«, die sich gar mit heidnischen Gottheiten vergleichen ließe (Schreiber), kann ich freilich in der personifizierten Sünde nicht erkennen, sondern vielmehr den Inbegriff der Menschheitssünden und Verstöße gegen Gottes Gebot, die sich über ihr und jedem/ jeder Einzelnen zusammenballen und für alle zum unentrinnbaren Unheilskomplex geworden sind. So führte das unheilvolle Wirken der Sünde für alle-- trotz oder gerade wegen des Gesetzes-- zum Tod, solange sie »im Fleisch waren« (7,5). Ein Gegenmittel oder eine Hoffnungsperspektive war nicht in Sicht. Tempora mutantur? Dies ändert sich mit 7,14-25. Nach der Feststellung in V. 13, dass die Sünde durch das Gute (= Gesetz) mir den Tod bewirkte, damit sie als solche im Übermaß in Erscheinung trete, folgt zunächst eine allgemeine, zeitlose Aussage (im Präsens) über den Gegensatz zwischen dem Gesetz (»geistlich«) und »mir« (»fleischlich«), bevor dann-- wiederum im Präsens-- eine Art Gegeninstanz zu dem oder innerhalb des fleischlichen »Ich« auf den Plan tritt, die ebenfalls in der Ichform sagt, dass sie nicht das tut, was sie will, und dass sie damit dem Gesetz zugesteht, dass es gut ist (V. 15 f.). Dieser Konflikt setzt sich nun durch den ganzen Abschnitt hindurch fort; es stehen sich gegenüber: Ich und die Sünde, genauer: mein Wollen und das Wirken der Sünde, das Wollen des Guten und das Tun des Bösen, die Mitfreude am Gesetz »gemäß dem inneren Menschen« bzw. das »Gesetz meiner Vernunft« und das (andere) »Gesetz der Sünde in meinen Gliedern«, das Dienen mit der Vernunft und das Dienen mit dem Fleisch. Es besteht ein anhaltender Konflikt in dem gespaltenen Ich, der den betroffenen Menschen nach einem Ausweg rufen lässt und in dem dieser ganz offensichtlich auch eine Antwort erhält (7,24 f.: »wird erlösen«; 8,2: »hat dich befreit«). Damit liegt eine wichtige Frage auf dem Tisch, die die Diskussion über Röm 7 seit jeher bestimmt, nämlich die Frage nach den im Text verwendeten Zeitstufen (Tempora). V.7-13 verwenden nach den einleitenden Überlegungen für die absolute Zeitstufe ausschließlich das Präteritum (überwiegend Aoristformen). Da es hier um Entstehung und Folgen der Sünde geht, kann dies nicht verwundern; denn schließlich sind die Christusgläubigen über diese Phase hinausgelangt in einen neuen Heilsbereich-- »in Christus Jesus«-- hinein und haben den Tod (in der Taufe) hinter sich gelassen. Damit ist nicht gesagt, dass der in V. 7-13 beschriebene Prozess nicht noch einmal für Gläubige in der einen oder anderen Art relevant oder gefährlich werden könnte; der Schwerpunkt des Aussageziels liegt aber eindeutig in der Vergangenheit. Mit 8,1 ist eindeutig die Gegenwart des Heils erreicht: »Also (gibt es) jetzt keine Verurteilung für die, die in Christus Jesus (sind)« (vgl. 7,6 »jetzt aber«). Nach dem Rückblick auf das Heilsgeschehen in V. 2-3 (überwiegend Aoristformen) finden sich ab V. 4 fast nur noch Präsensformen, die beschreiben, was die Christusgläubigen tun bzw. sind oder tun/ sein können bzw. sollen und was der Geist an und mit ihnen tut. Symptomatisch für die noch ausstehende Vollendung ist aber, dass sich ab V. 11b schon deutlich Zukunftsaussagen (z.T. Futurformen) in die präsentischen Aussagen mischen bis hin zur endgültigen Befreiung der Schöpfung und Erlösung unseres Leibes (V. 21-23). Somit ist der zeitliche Spannungsbogen der paulinischen Abhandlung klar, der von Gebot und »Sündenfall« (7,9; vgl. 5,12) über das Kommen des Gesetzes (5,13.20) und das Erscheinen des Messias und Gottessohnes (8,3) bis hin zur zukünftigen »Eine ›übernatürliche Macht‹, die sich gar mit heidnischen Gottheiten vergleichen ließe [...], kann ich freilich in der personifizierten Sünde nicht erkennen, sondern vielmehr den Inbegriff der Menschheitssünden und Verstöße gegen Gottes Gebot, die sich über ihr und jedem/ jeder Einzelnen zusammenballen und für alle zum unentrinnbaren Unheilskomplex geworden sind.« Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 58 - 2. Korrektur 58 ZNT 32 (16. Jg. 2013) Kontroverse »In der jetzt begonnenen letzten Phase müssen die Christusgläubigen sich bewähren, indem sie sich an der Gabe des Geistes orientieren und sich so ihre Zugehörigkeit zu Christus und dem neuen Heilsbereich erhalten (8,9b); ansonsten gehen sie ihrer heilvollen Zukunft verlustig.« Vollendung (Auferstehung, Leben und Herrlichkeit) reicht. In der jetzt begonnenen letzten Phase müssen die Christusgläubigen sich bewähren, indem sie sich an der Gabe des Geistes orientieren und sich so ihre Zugehörigkeit zu Christus und dem neuen Heilsbereich erhalten (8,9b); ansonsten gehen sie ihrer heilvollen Zukunft verlustig. Was ist nun aber mit 7,14-25? Von wem und was ist hier die Rede? Wir notieren die Verwendung von Präsensformen in jedem Vers dieses Textes außer V. 24. Dass dieses Präsens nicht einfach auf derselben Ebene liegt wie dasjenige in Kap. 8, hatten wir oben schon im Übergang von Kap. 7 zu Kap. 8 festgestellt. Denn die ersten Verse von Kap. 8 reagieren ganz offensichtlich auf den Konflikt von 7,14-25 und sind ihm insofern zumindest logisch nachzuordnen. Trotzdem ist ernst zu nehmen, dass die Präsensformen von Kap. 8 zumindest rein grammatikalisch Gleichzeitigkeit mit den Präsensformen von Kap. 7 suggerieren. Für das Verhältnis von 7,14-25 zu 7,7-13 gilt dies nicht in gleicher Weise. Für Letzteres hatten wir schon festgestellt, dass der Schwerpunkt des Aussageziels auf der Vergangenheit liegt. Insofern muss ein deutlicher Unterschied zu 7,14-25 vorliegen. Umstritten ist zunächst die Textgliederung. Soll man einen Einschnitt nach der Schlussfolgerung V. 12 (Rückbezug auf V. 7a) oder nach dem eine Inklusion mit V. 7 bildenden V. 13 (Rückbezug auf V. 7b) annehmen? 6 Entscheidet man sich für Ersteres, so würde deutlicher bleiben, dass die Apologie des Gesetzes das eigentliche Hauptthema der Erörterung ist, und der Tempuswechsel zwischen V. 13 und 14 würde in seiner Bedeutung relativiert. Dem entspricht, dass eine viel größere inhaltliche Nähe von V. 13-24 zu V. 7-12 besteht (Dignität des Gesetzes, Not des Menschen angesichts des Gesetzes mit der Folge Tod) als zu 8,1 ff. Wenn man den Einschnitt hinter V. 13 macht, müsste man den Tempuswechsel angesichts der inhaltlichen Nähe erst recht erklären: Wie können sich die Präsensformen in V. 14-25 auf dieselbe Vergangenheit (vorchristliches »Ich«) beziehen wie die Aoristformen in 7,7-13? Und wie kann gleichzeitig der Zusammenhang gewahrt werden mit den Präsensformen in Kap. 8? Offenkundig doch nur so, dass 7,13/ 14-25 nicht nur in der Struktur des Gesamttextes, sondern auch zeitlich eine Zwischenstellung einnimmt und bezeichnet zwischen der Vergangenheit in 7,7 ff. und der Gegenwart in 8,1 ff. Oder anders und besser ausgedrückt: dass das Mittelstück überhaupt keine absolute Zeitstufe zum Ausdruck bringt, sondern die Beschreibung eines Konfliktes liefert, der sowohl zur sündigen Vergangenheit des Menschen gehört als auch in der Gegenwart des Heils wieder akut werden kann und insofern die Zeiten überdauert bis zur endgültigen Erlösung. Das impliziert zugleich, dass das christliche Ich im schlimmsten Fall wieder in das tödliche Verhängnis von 7,7 ff. zurückfallen kann, wie auch das zurückgefallene (und insofern »vorchristliche«) Ich jederzeit wieder zu dem Heilsstatus von 8,1 ff. zurückkehren (und insofern »voranschreiten«) kann. Tempora non mutantur-- in dieser Hinsicht. Versteht man so, dann liegt es nahe, den Verzweiflungsschrei von 7,24 (auch) auf die zukünftige und endgültige Erlösung des Leibes ausblicken zu lassen (Futurform), die den Christusgläubigen jetzt schon durch die Gabe des Geistes (als »Erstlingsgabe«) verbürgt ist (8,23) und Anlass zur Doxologie bietet (7,25a). Nach wie vor ist der Leib des Menschen (auch des christusgläubigen) dem Tod verfallen (V. 24b)-- wenn auch nicht ohne Hoffnung--, und nur durch leibliche Auferstehung kann der Mensch (auch der christusgläubige) das endgültige Heil erreichen und seine Sterblichkeit hinter sich lassen. Diese »Zwitterstellung« unseres Abschnitts kann man noch einmal bestätigt finden durch eine Betrachtung der Art und Weise, wie Paulus im vorliegenden Zusammenhang von dem »inneren Menschen« redet (V. 22). Zunächst scheint dieser Ausdruck ja die stärkste Bestätigung für ein »christliches« Verständnis des Ich in Röm 7,14-25 zu sein, da so eine gleichsinnige Erklärung mit 2Kor 4,16 möglich zu werden scheint. Wenn Paulus dort davon spricht, dass unser »innerer« Mensch »Tag um Tag erneuert wird«, so meint er mit jenem Ausdruck die Wirklichkeit des neuen Menschen, die durch die Gabe des Geistes (»in uns«) begründet wird (vgl. Röm 8,9; 7,6) und sich allmählich entfaltet. Damit ist jedoch im Hinblick auf Röm 7,22 f. Vorsicht geboten: Die Aussage über die Rolle des inneren Menschen ist gegenüber 2Kor 4,16 stark eingeschränkt. Dieser stimmt zwar dem Gesetz zu und freut sich an ihm mit, aber von einer täglichen Erneuerung wie in 2Kor 4,16 (oder gar einem Wachstum) kann keine Rede sein-- im Gegenteil: Ein Leben nach dem Willen Gottes (»nach dem Geist«), die Erfüllung des Gesetzes (Röm 8,4) ergibt sich daraus nicht; das Ich und das Gesetz seiner Vernunft (welches Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 59 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 59 Günter Röhser Der lange Schatten der Vergangenheit dem inneren Menschen entspricht) befinden sich vielmehr immer schon im Widerstreit mit dem Gesetz der Sünde, welches sie an der Erfüllung des Gesetzes Gottes hindert. So dient das Ich beiden, mit der Vernunft dem Gesetz Gottes und mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde (V. 25b)-- es kommt aber nicht aus dem Konflikt heraus. Als Lösung bietet sich an, was zugleich als Bestätigung für die vorgeschlagene Deutung dient, nämlich den inneren Menschen als zeitübergreifende Instanz zu verstehen, als Vermögen des natürlichen Menschen und seiner Vernunft sowohl beim Christen als auch beim Nichtchristen, das Gesetz Gottes anzuerkennen und sich an ihm zu freuen (vgl. auch Röm 2,14 f.). 7 Auch bezüglich des inneren Menschen gilt: Tempora non mutantur. Heikle Punkte Eine solche Auslegung kann man nicht vorschlagen, ohne die heiklen Punkte, den immer noch und immer wieder »unerklärten Rest« im Sinne K. Barths offen anzusprechen. 1. Der Ausdruck »verkauft unter die Sünde« (7,14) ist als Zustandsbeschreibung des christlichen Menschen sehr stark-- zumindest wenn man es im Sinne eines Sklavenstatus gegenüber der Sünde versteht, den die Christusgläubigen nach Röm 6 eigentlich hinter sich gelassen haben. John Byron hat gezeigt, dass man die Metapher so auch nicht verstehen muss 8 -- einen starken Einfluss, ja Kontrolle über den Menschen beinhaltete sie aber immer noch. 2. Vergleichbares gilt für die Metapher des Innewohnens der Sünde (7,17.20). Kann man vom Christen sagen, dass die Sünde noch in ihm wohnt? -- Nur dann, wenn man die Sünde in strikter Entsprechung zum »Gemeinschaftsgeist« von Röm 8 (s. o. bei Anm. 5) als »Gemeinschaftssünde« begreift, als einen Einflussbereich, dem sich der/ die einzelne Christusgläubige auch verschließen und entziehen kann (der vor- und außerchristliche Mensch jedoch nicht! ). Umgekehrt vollbringt auch der/ die Christusgläubige im Tiefsten nicht immer das, was er/ sie eigentlich will (7,15 ff.-- indem er nämlich diesem Einfluss sich öffnet und ihn in sich einlässt). Diesen Schwierigkeiten versucht die im Aufsatztitel gewählte Metapher zu begegnen, indem sie - einerseits »nur« von einem »Schatten« spricht, der in die christliche Existenz hineinragt und sie in Spannung hält, dem man aber durch den Geist Gottes auch leicht begegnen kann, indem man sich in seinem christlichen Leben an dieser Gottesgabe orientiert und sich ihrer Kraftwirkung überlässt (vgl. 8,14 »sich durch den Geist leiten lassen«); - andererseits von einem »langen« Schatten spricht, weil sich der Weg des Christen doch auch wieder stark verdunkeln kann- - bis hin zur Gefahr des Glaubensabfalls und der Zerstörung der Gemeinde, wie gerade die Briefe des Apostels Paulus schmerzlich bezeugen-- und insofern das christliche »Ich« in einer echten eschatologischen Spannung gehalten wird, der es nicht ausweichen kann und die es zu bestehen gilt (vgl. auch Phil 3,11-14). Wenn dieses Bild zu Recht gewählt ist und den Sachverhalt in Röm 7 angemessen wiedergibt, wird man das »Ich« in Röm 7 auch auf den christusgläubigen Menschen beziehen können und müssen. Ich betone aber noch einmal als besondere Pointe meines Kontroversbeitrages, dass ich vorschlagen möchte, Röm 7,14-25 (und zwar nur diese Verse! ) als zeitlose Beschreibung eines Konfliktes zu lesen, der jeden Menschen (mehr oder weniger) betrifft. Damit grenze ich mich gegen Timo Laato ab, dessen folgende Feststellung ich für einseitig halte: »Röm 7 umfaßt nichts, was nicht auf den Christen paßt, oder-- zugespitzt formuliert-- alles, was Röm 7 umfaßt, paßt nur auf den Christen.« 9 3. Schließlich muss darauf hingewiesen werden, dass die Mehrheit der Exegeten (in Deutschland) Röm 7,25b für eine nachpaulinische Glosse und sekundäre Interpretation zu V. 14-24 hält und dass es auch eine Reihe von Argumenten dafür gibt, auf die hier nicht mehr eingegangen werden kann. 10 Allerdings ist es nicht der geringste Vorzug der hier vorgeschlagenen Deutung von Röm 7, dass mit ihr die Notwendigkeit einer solchen Annahme entfällt bzw. diese unmöglich wird. Außer der nachklappenden Stellung und einer etwas sperrigen Formulierung im Detail gibt es eigentlich keine Argumente mehr dafür-- zumal es auch sonst keine ausreichenden Gründe für die Annahme von Glossen im Römerbrief gibt. Das Nachklappen kann man vielleicht damit erklären, dass dadurch eine eindrückliche Gegenüberstellung zwischen dem auf sich gestellten gespaltenen Ich (autos ego) von »[Es] bietet sich an, [...] den inneren Menschen als zeitübergreifende Instanz zu verstehen, als Vermögen des natürlichen Menschen und seiner Vernunft sowohl beim Christen als auch beim Nichtchristen, das Gesetz Gottes anzuerkennen und sich an ihm zu freuen (vgl. auch Röm 2,14f ).« Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 60 - 2. Korrektur 60 ZNT 32 (16. Jg. 2013) Kontroverse 7,(14-)25 und »denen in Christus Jesus«, also der Gemeinde, von 8,1 entsteht, in deren Gemeinschaft durch das »Gesetz des Geistes des Lebens« immer wieder neu aus dem isolierten und verzweifelten Ich von V. 24.25b ein befreites Du (8,2) mit eschatologischer Hoffnungsgewissheit (vgl. noch einmal das Futur in 7,24b und die Fortsetzung in 8,11.12 ff.) hervorgeht. Aber unsere Gesamtdeutung von Röm 7 hängt von dieser Erklärung von V. 25b nicht ab. So bleibt am Ende der Versuch, Röm 7-8 fast nach der Art eines Zwei-Wege-Schemas zu lesen, bei dem sich allerdings die Möglichkeit zu wählen erst unterwegs auf dem einen (dem neuen) der beiden Wege ergibt, so dass eine Überlappung zwischen den beiden Möglichkeiten entsteht-- und diese Überlappung wird quasi durch Röm 7,14-25 repräsentiert: Es ist die Möglichkeit und Gefahr, auf den alten Weg zurückzukehren und damit unter den langen Schatten der Vergangenheit zu fallen (jedoch ggf. mit erneuter Rückkehroption). Es geht also nicht um die Situation der »Bekehrung« (conversio; diese liegt mit Röm 6 hinter dem Ich), sondern um eine postconversionale Situation und Argumentation, aus der heraus dieser Abschnitt in einer doppelten Perspektive erscheint. Anmerkungen 1 H. Lichtenberger, Das Ich Adams und das Ich der Menschheit. Studien zum Menschenbild in Römer 7 (WUNT 164), Tübingen 2004, 8. 2 Unmittelbarer Vorläufer ist: Paulus und die Herrschaft der Sünde, ZNW 103 (2012), 84-110. Vgl. auch meinen Beitrag: Vom Gewicht der Sünde und des Redens davon. Biblische Aspekte für eine heutige Vermittlung, ÖR 54 (2005), 427-445, bes. 441-443; außerdem meine Rezension zu H. Umbach, In Christus getauft-- von der Sünde befreit. Die Gemeinde als sündenfreier Raum bei Paulus (FRLANT 181), Göttingen 1999 (zu finden auf der ZNT- Homepage unter www.znt-online.de/ roehser3.html sowie unter www.guenter.roehser.de/ downloads.html). 3 Lichtenberger, Ich 9 (vgl. auch VII das Vorwort). 4 Dies kann man schon an dem nahtlosen Übergang von der 1. Person Plural in die 1. Person Singular in 7,7 und 7,14 erkennen. 5 Diese Darstellung ist angeregt durch die Konzeption von Stephan Hagenow, Heilige Gemeinde-- sündige Christen. Zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums (TANZ 54), bes. 156-160. 173 f.179 (vgl. den Buchreport von Thomas Schmeller in diesem Heft). 6 S. zuletzt A. Reichert, Literarische Analyse von Römer 7,7-25A, in: U. Schnelle (Hg.), The Letter to the Romans (BEThL CCXXVI), Leuven u. a. 2009, 297-325: 300 m. Anm. 16. 7 Zum Problem vgl. Lichtenberger, Ich 91. 8 J. Byron, Slavery Metaphors in Early Judaism and Pauline Christianity. A Traditio-Historical and Exegetical Examination (WUNT II 162), Tübingen 2003, 223-225. 9 T. Laato, Paulus und das Judentum. Anthropologische Erwägungen, Abo 1991, 163. Laatos gründliche Überlegungen zur »christlichen« Deutung von Röm 7,14-25 (ebd. 137-182) sind im Übrigen äußerst lehrreich und seien hier nachdrücklich zum Studium empfohlen. 10 S. dazu Lichtenberger, Ich 92-94. 150-160.