eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 16/32

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2013
1632 Dronsch Strecker Vogel

Erbsünde

2013
Carl-Friedrich Geyer
Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 29 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 29 I. Dem forschenden Blick können sich bisweilen Zusammenhänge eröffnen, deren adäquate Erfassung ihre größte Schwierigkeit nicht darin findet, sich bislang Unbekanntes anzueignen oder gar einem Denken zu folgen, das gänzlich in sich verschlossen scheint, sondern darin, all das zu vergessen, was man bisher darüber wusste oder zu wissen glaubte. Dafür bietet das, was sich mit dem deutschen Begriff »Erbsünde« verbindet, ein gutes Beispiel. Um nämlich zu verstehen, was dieser Begriff meint, muss man das ursprünglich darunter Verstandene vergessen oder als der gemeinten Sache nicht entsprechend zurückweisen. Um über die Sache selbst etwas zu lernen, ist ein Blick auf denjenigen wichtig, der Begriff und Sache in die Welt gebracht hat, in diesem Falle Augustinus, denn »es gab in der christlichen Antike Tausende von Bischöfen. Es gab zahlreiche Leser der Paulusbriefe. Und doch hat nur Augustin die Erbsündenlehre entwickelt« 1 . Der gesamte christliche Osten kennt beispielsweise keine »Erbsünde«, und auch die Auseinandersetzung mit Pelagius zeigt sehr deutlich, wie befremdlich die Lehre von der Erbsünde auch im Westen gewirkt haben muss. Es ist ja auch festzuhalten, dass es sich bei der sog. »Erbsünde« weder um ein Erbteil noch um eine Sünde im gewöhnlichen Sinne handelt; es geht auch nicht um eine biologisch-genetische Gegebenheit, auch wenn der Begriff vielfach so definiert wird, noch um eine Sünde im Sinne individueller Schuld und Zurechenbarkeit. Von »Sünde«-- und damit befindet man sich bereits auf interpretatorischer Ebene-- kann allenfalls in der Weise die Rede sein, als dass hier ein Zustand gemeint ist, in dem die menschliche Existenz sich immer schon und vor jeder individuellen Ausprägung befindet, um eine umfassende Erlösungsbedürftigkeit, die das augustinische Paradigma von der concupiscentia (der überwiegend sexuell verstandenen »Begierde«) sprengt. II. Augustinus hat mit seiner Erbsündenlehre eine Synthese von Neuplatonismus und jüdischchristlicher Überlieferung vorgelegt, die sich mit dem Anspruch verbindet, die Aporien der stoischen, mittel- und neuplatonischen Lösungsversuche endgültig zu überwinden (philosophischer Aspekt) und deren wesentliche Implikationen dem Christentum zu integrieren. Damit sollte im Rekurs auf die menschliche Willensfreiheit Gott in theodizeeanaloger Weise entlastet werden. Die Bedeutsamkeit dieser Lehre unterstreicht eine, auch im säkularen Kontext unvergleichliche Wirkungsgeschichte in der Neuzeit (unter anderem bei Herder, Schiller, Schelling, von Baader, Schleiermacher, Rousseau und vielen anderen). Die Methode, deren sich Augustinus bedient, ist eine Exegese, die von sich aus bereits theologische Interpretation ist. Daneben greift er auf zeittypische Vorstellungen wie jene von der corporative personality (der Gattungsmensch) zurück, den Traduzianismus (die Lehre, nach der die Seele von den Eltern auf die Kinder übertragen wird), den Sühnebzw. Genugtuungsgedanken sowie auf die Adam-Christus- Typologie (der Vergleich zwischen Christus, dem vollkommenen Menschen, dem zweiten Adam und Initiator des Heils, und dem ersten Menschen, dem ersten Adam, dem Urheber des Verderbens). Die Erbsündenlehre bezieht ihre biblische Begründung (Schriftstellen, die hier in Frage kommen, sind Gen 3, Gen 19 f., Ex 7, Röm 5,12 f.19 ff.) aus einer ganz bestimmten Lesart zweier Worte: »eph hō« (Röm 5,12), wörtlich übersetzt: »per unum«, »durch einen bzw. einen einzelnen Menschen«. Das griechische eph hō kann in mehrfachem Sinne übersetzt werden: »in dem«, »wodurch«, »wonach«, »weil«. Wenn Augustinus die Stelle mit in quo übersetzt, haben in Adam alle gesündigt und sind alle ohne Ausnahme schuldig. Augustinus begründet dieses ›in Adam‹ mit der Vorstellung vom Gattungsmenschen. Die Konsequenz daraus ist das bekannte »non posse non peccare« (wörtlich: das nicht Nicht-sündigen können), dem Pelagius, der das ›in Adam‹ im Sinne der Nachahmung als ›wie Adam‹ verstand, die libertas ad peccandum et ad non peccandum (die Freiheit, sowohl zu sündigen als auch nicht zu sündigen) entgegensetzte. Für Augustinus ist die Sünde Adams primär eine jeden einzelnen Menschen betreffende persönliche Schuld. Sie wird juristisch und biologisch ausgelegt als todeswürdiges Vergehen und als eine mit der Tatsache der Geburt ererbte Last. Die Textstellen Gen 25,19 ff. und Ex 7 begründen die aus dem Erbsündentheorem hervorgegangene Prä- Carl-Friedrich Geyer Erbsünde Zum Thema Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 30 - 2. Korrektur 30 ZNT 32 (16. Jg. 2013) Zum Thema destinationslehre; in ihr verknüpft sich der Gedanke von Auserwählung und Verwerfung, Vorherbestimmung und ererbter Schuld in der Geburt in der Weise miteinander, dass gilt: »Alle Menschen zusammen bilden eine Art Sündenmasse, die vor der göttlichen und höchsten Gerechtigkeit als Sühneschuld dasteht. Gott kann diese Schuld einfordern oder erlassen, ohne dadurch ungerecht zu werden. Es wäre eine Anmaßung der Schuldner, zu entscheiden, von wem die Einlösung der Schuld zu fordern und wem sie zu erlassen ist.« 2 Entsprechend den Überlegungen Augustins wird der freie Wille des Menschen infolge der Sünde Adams zum bösen Willen, der sich vererbt (»per generationem«) und, sofern jeder Mensch an Adam Anteil hat, im Recht gründet. Die Verwerfung des Menschen ist deshalb das ›Naturgemäße‹, seine Auserwählung oder Rettung dagegen das ›Gnadenhafte‹. Auf diese Gnade gibt es keinerlei im Handeln des Menschen beschlossenen Anspruch. Der Frage nach dem Bösen, seiner Herkunft und seiner Rechtfertigung kommt in diesem Zusammenhang nicht zufällig eine besondere Bedeutung zu. Dabei wirken verschiedene Motive einer kohärenten Erklärung des Negativen, des Leidens und des Bösen zusammen. Das erste dieser Motive ist eine Distanzierung von der Gnosis, und zwar in der Überführung des Mythos ins Dogma. Dem Mythos von einem präkosmischen Sündenfall in der Gnosis des zweiten Jahrhunderts bei Valentinus und der Vorstellung von einer Aggression des Fürsten der Finsternis bei Mani setzt Augustinus ein Ur-Geschehen im Sinne eines historischen Faktums entgegen (mit juristischen und biologischen Folgen), das dann Fundament einer Geschichtstheologie wird. 3 Sie macht das nachfolgende historische Faktum der Erlösung erforderlich und soll die Notwendigkeit der Institution der Kirche fortdauernd unter Beweis stellen. Man hat in diesem Zusammenhang von einer pessimistischen Anthropologie Augustins gesprochen. III. Anthropologisch ist das zweite Motiv des Erbsündengedankens. Seine These lautet in Kürze: Das eigene Handeln des Menschen, außerhalb der zeitlichen Dimension vollzogen, macht ihn zum Schuldner. Das Schuldner- Sein gründet im Tod als Verdienst der Sünde sowie in der biologisch und psychologisch ihn bestimmenden Konkupiszenz. Die vergängliche Leiblichkeit symbolisiert den schuldhaften Zustand der Seele. »Der Mensch hat jetzt den Part des bösen Prinzips übernommen […] Der Leidende ist schuldig. An die Stelle des Zweifels an Gott tritt der prinzipielle Zweifel am Menschen […] Der Mensch muss lernen, sein Elend als Strafe zu begreifen.« 4 Zusätzliche Motive Augustins finden sich in der Soteriologie und in der Christologie. Aus der ›pessimistischen‹ Anthropologie folgt konsequent die Rechtlosigkeit des Menschen vor Gott, welche die Größe der Erlösung durch Christus ganz besonders sichtbar machen soll. Wenn Christus nicht umsonst gestorben sein soll, so die Prämisse Augustins, dann müssen alle, für die er starb, vorher im Tode gewesen sein. Die unendliche Genugtuung (Satisfaktion), die Christus durch sein Leiden und Sterben leistet, setzt deshalb auch eine unendliche, irreversible Beleidigung Gottes durch den Menschen, in diesem Falle durch Adam (und implizit durch alle seine Nachkommen), voraus. Sie kann nur durch den Sohn Gottes selber gesühnt werden. Anselm von Canterbury wird diesen Aspekt (»Cur Deus homo? «) später ausbauen. Andererseits muss Augustinus um des Gottesbegriffs der Prädestinationslehre willen die Erlösungstat Christi relativieren: Das Heil, das mit Christus dem Menschen zugesprochen wird, ist nur ›Heil nach Maßgabe des prädestinierenden Gottes‹. Die Heilsvermittlung bewegt sich in den Grenzen des »decretum horribile«. 5 Das Motiv, das bei der Herausbildung des Erbsündentheorems im Vordergrund steht, ist allerdings ein ekklesiologisches, ein- - wie spätere Kritiker behaupten werden- - institutionenlegitimierendes, d. h. also ein ›ideologisches‹ Motiv. In De bapt. IV. 17,24 steht der berühmte Satz Augustins: »Wer wollte daran zweifeln, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt? « Prof. Dr. phil. habil. Carl-Friedrich Geyer, geb. 1949: Lehrtätigkeiten u. a. in Bochum, Saarbrücken, Paderborn und an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen und Themen der Philosophie und Theologie. Zuletzt erschienen: Wahrheit und Absolutheit des Christentums - Geschichte und Utopie, Göttingen 2010. Carl-Friedrich Geyer Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 31 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 31 Carl-Friedrich Geyer Erbsünde M. a. W.: Die Zugehörigkeit zur (katholischen) Kirche ist für die Erlangung des ewigen Heils schlechterdings unverzichtbar. Gemäß der ›apriorischen‹ Geltung dieses ekklesiologischen Axioms ist die vocatio/ electio der Prädestinationslehre diejenige zur Taufe und damit zur Kirchenzugehörigkeit. Gleichzeitig macht sie, weil die Taufe im Verständnis Augustins primär Sündenvergebung ist, die Sünde aller, d. h. auch der Neugeborenen, die nach menschlichem Ermessen gar nicht gesündigt haben können, zur unerlässlichen Voraussetzung des Erlösungswerks Jesu Christi. Erst die Erbsündenlehre rechtfertigt die Kindertaufe und erst diese die ›Institution Kirche‹. Der Kirchenbrauch der Kindertaufe-- die Frontstellung gegen den Montanismus ist hier offensichtlich-- ist nur notwendig und sinnvoll unter der Voraussetzung, die ungetauften Kinder seien ewig verloren, eine Annahme, die wiederum nur einleuchtet, wenn die Kinder, wie die Erbsündenlehre nicht müde wird zu betonen, Schuld auf sich geladen haben. Der ›Kirchenbrauch‹, nicht übergeordnete und aus sich selbst heraus notwendige dogmatische Erfordernisse, stellen jene Herausforderungen dar, auf die sich das Erbsündentheorem als zeitgemäße Antwort versteht. Entsprechend lässt sich mit K. Flasch folgern: »Die Institution normiert intern die Theoriebildung; die Theorie wird Ideologie. Was Schuld, was Sünde ist, soll jetzt von der Institution her gedacht werden.« 6 Augustinus will im Rückgriff auf Röm 5,12 zu verstehen geben, dass durch das peccatum originale, die ›Ursünde‹, das Menschengeschlecht zu einer massa perditionis geworden sei, einer Masse, dem Verderben überantwortet. Durch die concupiscentia carnis wird jene ›Erbsünde‹ fortgepflanzt, die in einem Sünde und Strafe für die Sünde ist. Zu ihrem Wesen zählt der reatus incupiscentiae, der ererbte Mangel der ›geistigen Lebensverbindung mit Gott‹. Da nur die Taufe diesen Mangel auszutilgen vermag, wird sie-- und damit die Kirche-- zur heilsnotwendigen, weil allein heilvermittelnden Instanz. Theologisch wird damit (spätestens seit der Schrift Ad Simplicianum [396 n. Chr.]) die Allmacht und Allursächlichkeit Gottes sowie die Unwiderstehlichkeit der göttlichen Gnade zum alles beherrschenden und alles bestimmenden Gesichtspunkt, sowohl der kirchlichen Praxis wie der theologischen Theoriebildung. Das menschliche Wollen vermag nichts, wenn Gott nicht hilft, das Gute zu vollbringen. Die Existenz von Guten und Bösen, Gläubigen und Ungläubigen, wird ausdrücklich auf das göttliche Wollen zurückgeführt. Augustinus begegnet dem Vorwurf, er leugne die menschliche Willensfreiheit, mit einer Hypostasierung des freien Willens und seiner spekulativen Überhöhung: Weil alle in Adam gesündigt haben und alle als in ihm enthalten zu denken sind, haben sich alle Menschen in Adam ein für alle Mal und unwiderruflich frei für das Böse entschieden. Der nachfolgende, nunmehr ›unfreie‹ Wille des Menschen ist die Folge aus dieser einmaligen, unwiderruflichen freien Entscheidung. Obwohl alle Menschen auf diesem Hintergrund als verloren gelten müssen, hat Gott, zum Erweis seiner Barmherzigkeit, eine im Voraus bestimmte Anzahl von Menschen zur ewigen Seligkeit bestimmt (genau genommen so viele, als Engel von Gott abgefallen sind). Ihnen, die ganz unabhängig von ihren Verdiensten gerettet werden, kommt die Erlösungstat Christi zugute. Die sehr viel größere Anzahl der Menschen, die massa perditionis (die zum Verderben bestimmte Masse der Vielen) oder vasa irae (»Gefäße des Zorns«) heißen, werden verdammt. Ihnen geschieht deshalb kein Unrecht, weil niemand einen Rechtsanspruch auf die Barmherzigkeit Gottes hat, ist es doch nach Augustin gerade dieses Schicksal des Menschen, das die Gerechtigkeit Gottes offenbart. Gottes Entscheidung (er verhält sich den Nicht-Erwählten gegenüber ›passiv‹, den Erwählten gegenüber ›aktiv‹) bedarf keiner Erklärung, weil ja bereits im ›Begriff Gottes‹ selbst mitgesetzt ist, dass es bei ihm keine Ungerechtigkeit geben kann. Die Auseinandersetzung mit der Erbsündenlehre Augustins ist überwiegend als ein die Zeiten überspannender Versuch einer Entschärfung ihres theologischen Radikalismus zu werten, sei es durch den Nachweis der Zeitbedingtheit ihrer Voraussetzungen, sei es durch die Insistenz auf ihrem Ursprung in einer nach heutigen Maßstäben zweifelhaften Exegese, sei es durch symbolische Umdeutung und durch den Hinweis darauf, dass sie im Grunde genommen ohne theoretischen Ertrag und Erklärungswert sei. Dazu einige ausgewählte und repräsentative, die Problemlage skizzierende Beispiele: 1. H. Jonas versucht der augustinischen Erbsündenlehre dadurch eine fortdauernde Bedeutung abzugewin- »Erst die Erbsündenlehre rechtfertigt die Kindertaufe und erst diese die ›Institution Kirche‹.« »Weil alle in Adam gesündigt haben und alle als in ihm enthalten zu denken sind, haben sich alle Menschen in Adam ein für alle Mal und unwiderruflich frei für das Böse entschieden.« Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 32 - 2. Korrektur 32 ZNT 32 (16. Jg. 2013) Zum Thema nen, dass er den Prozess ihrer Entstehung umkehrt: Die vielgestaltige Verwendbarkeit des Dogmas kann nach Jonas nicht darüber hinwegtäuschen, dass es, »genau betrachtet und den einmal betretenen Boden ernst genommen-- nichts« leistet. 7 Jonas spricht von einem »merkwürdige[n], mythologische[n] Gedankengebilde« 8 , dem ähnlich wie dem gnostischen Mythos dadurch ein Sinn abzugewinnen versucht wird, dass die Grundbestimmungen der Heideggerschen Existentialanalyse in das überlieferte Sündenschema hineinprojiziert werden. Bezogen auf die faktische Lebenserfahrung und Daseinsauslegung verweist die Vorstellung von einer ›Erbsünde‹ auf das Faktum der »menschlichen Insuffizienz vor Gott« und die ihr korrespondierende Prädestinationslehre auf jene »vorgreifende Bestimmung […], die über alles Wissen und Sich-vergewissern-Können hinweg bereits über den Sinn unseres zeitlichen Daseins entschieden hat« 9 . Für die Rezeptionsgeschichte hat das zwei Konsequenzen: Philosophisch ist die Erbsündenlehre ein zusätzliches Argument für die Fundierung der Existentialontologie und Existentialdialektik im Kontinuum des okzidentalen Selbstverständigungsprozesses; theologisch lässt sie sich der praktischen religiösen ›Erlebnisproblematik‹ zuordnen, z. B. als Tatbestand der sog. konkreten Daseinserfahrung. Inhaltlich wird sie in beiden Fällen überflüssig. 2. Auch für P. Ricoeur steht und fällt die Idee einer ›Ursünde‹ mit der Sichtbarmachung ihrer symbolischen Funktion. Sie enthüllt eine zeitlos gültige Menschennatur, das heißt eine Erfahrung, die in den Rang eines ›Existentials‹ gerückt wird: »Für jedes Bewusstsein, das zur Verantwortlichkeit erwacht, ist das Böse schon vorhanden. Indem der Mythos den Ursprung des Bösen auf einen fernen Ahnen überträgt, enthüllt er die Situation eines jeden Menschen: Was er erzählt, hat bereits stattgefunden; ich beginne das Böse nicht; ich setze es nur fort; ich bin in das Böse hineinverwickelt; das Böse hat eine Vergangenheit; es ist seine Vergangenheit; es ist seine eigene Tradition.« 10 Dabei ist für P. Ricoeur die Ursünde nur »ein rationalisierter Mythos« 11 , der seine Überzeugungskraft ausschließlich aus dem Sündenbekenntnis der Kirche herleitet. Es ist dieses Bekenntnis, das es verbietet, über das Böse, das wir nicht selbst tun, zu spekulieren: »Wir haben kein Recht, weder über das Böse, das wir beginnen, noch über das Böse, das wir vorfinden, außerhalb jeder Heilsgeschichte zu spekulieren.« 12 3. Der Interpretationsversuch K. Rahners will das Erbsündentheorem einerseits anerkennen, zumindest dogmengeschichtlich ernst nehmen und würdigen, kann jedoch wegen der aus ihm abzuleitenden Folgerungen den eher distanzierenden Umgang mit diesem Traditionsbestand andererseits nicht leugnen. Rahners Ausweg ist im Sinne seines transzendentaltheologischen Ansatzes eine Stilisierung des Sündenfallgeschehens zum quasitranszendentalen Faktum, also zu jenem »Minimum«, das unverzichtbar ist, wenn nach Schrift, Tradition und Dogma von einer »Erbsünde« überhaupt noch die Rede sein soll. Was bleibt, ist »eine allgemeine, alle Menschen im Voraus zu ihrer eigenen personalen Freiheitsentscheidung umfassende Unheilssituation, die dennoch Geschichte und nicht Wesensbestand ist, durch den Menschen geschehen und nicht einfach mit der Kreatürlichkeit gegeben […], denn eine Unheilssituation kann nur von einem kommen, der selbst ganz dieser zeithaften Geschichte angehört […] Die geschichtliche Tat, die eine universale Unheilssituation des einen Geschlechtes begründet, muss also notwendig am Ursprung des Geschlechtes begründet worden sein« 13 . IV. Die meisten modernen und ideologiekritischen Überlegungen verbinden sich mit der Kritik an Augustins »concupiscentia«- Lehre, die, so der Einwand, »so deutlich sexuelle Färbung hat, dass in ihr die bis in die Religion des Bürgertums virulente Verortung von Sünde vor allem im Bereich der Sexualität grundgelegt ist […]. Bürgerlicher Religion konnte Lust als sündig und tierisch zugleich gelten, christlichem Bürgertum konnte die Unterwerfung der Lebenswelt unter die Herrschaft der Zwecke als unschuldig und wahrhaft human zugleich erscheinen. Mögen sich die jeweiligen Begründungslinien auch ausschließen, gemeinsam hielten sie umso fester«. 14 Die Auseinandersetzung mit der Erbsündenlehre ist in gewisser Weise noch in ihrer Infragestellung dem ›Urbild‹ bei Augustin darin verhaftet, dass in der Transformation wie in der Kritik die dogmatische Vorstellung der Idee einer vererbten Ursünde präsent bleibt. Wenn diese weder ersatzlos eliminiert noch durch scheinbar plausiblere Äquivalente aufgefangen werden kann und soll (auf letzteres zielen ebenso die geschichtsphilosophischen Spekulationen im deutschen Idealismus wie das, was Rousseau im ›Discours über die Ungleichheit unter den Menschen‹ entwickelt hat), dann bleibt nur der Mythos als Alternative zum Dogma. Gemeint ist freilich nicht der Mythos im Sinne eines Gegensatzes zu einer wahren Geschichte, sondern der Mythos als Gegensatz zu einer Theorie. Entsprechend erklärt die Erbsündenlehre-- so die Antwort R. Spaemanns 15 -- die gegenwärtige Verfassung des Kosmos dadurch, dass sie eine ›Geschichte‹ erzählt, die gerade nicht in den Kos- Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 33 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 33 Carl-Friedrich Geyer Erbsünde mos, so wie wir ihn kennen, eingebettet ist. Der Sinn der biblischen Erzählung ist dann vor allem eine Sicht des Menschen, nach der dieser dazu bestimmt war, jene Selbstzentriertheit und ›Natürlichkeit‹, die für alle Wesen gleichsam konstitutiv ist, zu verlassen; ein Schritt, den der Mensch verweigert hat, mit allen Folgen für sich und die Schöpfung. Der Genesisbericht über den Sündenfall entfaltet eine Lehre, die erklärt, warum die Welt so ist wie sie als reine Schöpfung nicht sein dürfte. Ähnlich interpretiert J. Ratzinger Gen 3,17 als einen Text, der angesichts gegenwärtiger Welterfahrung längst kein mythologisches Wort mehr sei: »Am Anfang des Weges stand der Hochmut ›wie Gott sein‹ zu wollen. Den Aufpasser Gott musste man abschütteln, um frei zu sein; den an den Himmel projizierten Gott in sich zurücknehmen und selbst als Gott über der Schöpfung zu walten. So kam es dann allerdings wirklich zu einer Art von Geist und Wille, die gegen das Leben standen und stehen, Herrschaft des Todes sind. Und je fühlbarer das wird, desto mehr kehrt sich nun der anfängliche Vorsatz in sein Gegenteil um und bleibt dabei doch dem gleichen Ausgangspunkt verhaftet: Der Mensch, der nur noch sein eigener Schöpfer sein und die Schöpfung selbst neu montieren wollte mit einer von ihm erdachten besseren Evolution […], endet in der Selbstverneinung und Selbstzerstörung. Er findet, es gäbe ihn besser nicht.« 16 Es gibt freilich auch Deutungen, die das biblische Ursprungsgeschehen durchaus im Einklang mit den Ergebnissen der evolutionistischen Forschung sehen. Ist jene im ersten Falle das negative Argument für den Rückgriff auf den Mythos, so im anderen Falle ihre positive Bestätigung. Die Wissenschaft hat in gewisser Weise ans Licht gebracht, was der hebräische Mythos von Anfang an sagen will: »Erstens besteht Erbsünde nicht darin, dass die Menschheit die Sünde eines einzelnen erbt, sondern darin, dass der einzelne einen Teil der Sünde der Menschheit erbt-- und natürlich auch einen Teil ihrer Gutheit. Zweitens zeigt die Paläontologie, dass der Tod lange vor dem Menschen in der Welt war; und auch der Mensch als Teil einer absterbenden Welt unterlag dem Tod. Trotz Tod wird die Welt bevölkert. Ohne Tod wäre die Welt vor langer Zeit erstickt. Der Tod ist zwar furchterregend, aber nötig« 17 . Die angedeutete Sicht des biblischen Mythos konvergiert mit jenen Neoevolutionismen (ihrerseits nicht ebenfalls ›Mythen‹? ), für die die Dualität, wenn nicht gar der Dualismus von ›Lieben und Sterben‹ für alles Leben konstitutiv sind: »Die Sexualität und der Tod sind die beiden Tribute, die wir für den evolutionären Fortschritt entrichten. Die beiden Phänomene sind einander komplementär, aber auch erstaunlich entgegengesetzt. Begleitumstände des ersten sind Freude, Lust und Hoffnung, die Umstände des zweiten Leiden, Entsetzen und das Nichts. […] Absolutes Glück jedoch sollten wir nicht erwarten auf einer Erde, die sich uns so widerstrebend erschlossen hat, in einer Menschheit, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Dieses Glück-- das eitle Versprechen aller philosophischen Gesellschaftsutopien und politischen Regime- - liegt nicht in unserer Reichweite. Die Angst ist ein wesentliches Element des menschlichen Lebens […]. Unser Schicksal ist ein Zustand der Unzufriedenheit […]« 18 . Theologisch entspringt aus dieser Einsicht die gleichsam ins ›Metaphysische‹ gewendete Dualität von Gut und Böse, die ein ›Gutes/ Böses‹-- ›Böses/ Gutes‹ vor jeder individuellen Zurechnung meint. Für das Böse wie für das Gute gilt deshalb, dass es da ist, bevor wir auf die Welt kommen. Der Mythos belehrt darüber, dass der Sieg über das Böse nur ein vorläufiger ist, weshalb »ein Großteil der christlichen Theologie zu Sünde und Erlösung etwas seltsam Unwirkliches hat. Einer der Mängel des Jesus-Mythos ist, dass er den Eindruck erweckt, Jesus hätte ein für alle Mal einen Endsieg über die Sünde errungen« 19 . V. Diesseits theologischer Sprachspiele dominiert die »Metamorphose der absoluten Lehre« (R. Spaemann). Sie findet ihren Ausdruck in Säkularisierungen, deren folgenreichste jene Transformationen von Sündenfall und Erbsünde darstellen, die in der Philosophie des deutschen Idealismus entwickelt worden sind. Charakteristisch ist hier der Zusammenhang von Spekulation, Natur-, Geschichts- und Religionsphilosophie, der den Ursprung des Bösen in der Entwicklung der Freiheit im Menschen verortet. So bedarf es nach Kant, weil der Mensch ein potentiell vernünftiges Wesen ist, nur eines geringfügigen äußeren Anstoßes, um den ersten Schritt aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit zu tun. Nichts anderes verberge sich hinter dem, was in der Bibel »Frucht der Erkenntnis« heißt. Eine besondere Bedeutung im Konzert der säkularen Metamorphosen der Erbsündenlehre kommt J.- J. »Wenn [die Idee einer vererbten Urkunde] weder ersatzlos eliminiert noch durch scheinbar plausiblere Äquivalente aufgefangen werden kann und soll [...], dann bleibt nur der Mythos als Alternative zum Dogma.« Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 34 - 2. Korrektur 34 ZNT 32 (16. Jg. 2013) Zum Thema Rousseau zu. Sie steht nach Rousseau für das Heraustreten des Menschen aus dem Naturzustand hin zu einer höheren Bestimmung. Der Mensch, im Unterschied zum Tier mit einem freien Willen begabt, missbraucht seine Freiheit und setzt damit den Ursprung des Übels in der Welt. Weil aber das Ganze gut ist-- der Leibniz‘sche Optimismus durchzieht das gesamte Denken Rousseaus und wird auf keiner seiner Stufen preisgegeben--, kann der Freiheitsmissbrauch durch den Menschen die allgemeine Ordnung nicht stören. Die Thesen vom Optimismus und von der Unverrückbarkeit einer ein für alle Mal vorgegebenen Ordnung sind mit der Idee einer ›Erbsünde‹ unvereinbar. Die Frage nach einer potentiellen totalen Korrumpierung des Menschen wird daher abschlägig beschieden. Seiner Gattungsnatur nach ist der Mensch nicht in einem solchen Maße geschwächt und entstellt, dass ein Fortschritt zum Besseren nicht mehr möglich wäre. Andererseits bleibt die Korrumpierung dennoch so groß, dass Vorstellungen von einer politisch-ethischen Besserung der Sozialität nicht als Garantien einer realen Besserung angesehen werden dürfen. Tieferliegende Verankerungen sind notwendig. Rousseau versucht sie im Kontext seines ›metaphysischen Optimismus‹ zu entwickeln. Der Denkrahmen dieses Optimismus ist ein Deismus, der sich in mehrfacher Hinsicht vom jüdisch-christlichen Schöpfer- und Erlösergott unterscheidet. Dieser ›Gott ohne Offenbarung‹ wird zu einem Garanten der Güte des Ganzen, der Unsterblichkeit der Seele und der Freiheit des menschlichen Willens, die diesen über das Tier erheben. In diesem Begriff Gottes ist seine ›Entlastung‹ folglich immer schon mitgesetzt. Der Glaube an Gott schließt, wie Rousseau gegen Voltaire argumentiert, die ganze Theodizee ein, denn wenn Gott existiert, muss all das von ihm ausgesagt werden können, was die überlieferten Attribute Gottes enthalten, einschließlich ihrer Widerspruchsfreiheit. Als ›Übel‹ kann entsprechend nur das malum morale bezeichnet werden, eine Konsequenz, die allerdings erheblich mit dem Fundamentalsatz Rousseaus kollidiert, nach dem der Mensch von Natur aus gut ist. Diese Widersprüche führen auf das Feld der Anthropologie, so etwa, wenn Rousseau von der »Hölle im Herzen der Bösen« (durchaus als innerweltliche Vergeltung gedacht) oder von jenem »seligen Gefühl der Existenz« spricht, durch das dem Menschen die Möglichkeit zuwächst, Gott erfahren und erleben zu können. Rousseaus Überlegungen stehen sicherlich außerhalb des Kontextes einer jeden möglichen Theodizee, wenn man eine solche streng an den von Leibniz aufgestellten Prämissen misst. Gleichwohl wurden die Überlegungen Rousseaus-- auch dies ein Beispiel für die zunehmende Unschärfe von Begriff und Sache der Theodizee-- immer wieder als Beispiel einer gelungenen Entlastungstrategie zitiert. E. Cassirer 20 und in seiner Nachfolge J. Starobinski 21 haben die These vertreten, von den Postulaten Rousseaus her lasse sich das Problem der Theodizee lösen, ohne den Ursprung des Bösen entweder Gott oder dem Menschen, der aus freien Stücken gesündigt habe, anzulasten. Wäre dies so, dann müsste man in Rousseau jenes Genie vermuten, dem als einzigem die ›Quadratur des Kreises‹, nämlich die Lösung der Theodizeefrage, gelungen wäre. Umgekehrt beziehen sich auf das, was gemeinhin »jüdisch-christliches Erbsündendenken« genannt wird, philosophische Entwürfe-- etwa Schopenhauer und in seinem Gefolge Max Horkheimer 22 - -, die einen pessimistischen Blick auf den Menschen und seine Geschichte werfen, auch wenn sich dies alles nicht dem Topos von dem »Jüdisch-Christlichen« zuordnen lässt. Das Judentum hat das in Gen 2 Berichtete niemals im Sinne eines biologisch vermittelten Verhängniszusammenhangs interpretiert. Auch das orientalische Christentum kennt keine Erbsündenlehre. Sie ist als »Erbe Augustins« eine Last, die das westliche Christentum bis in seine Säkularisierungen hinein begleitet und zu verschiedenen Zeiten je entsprechende Reaktionen erzwang. Neben den angesprochenen philosophischentmythologisierenden Versuchen einer Entschärfung war der Streit um die Erbsünde auch ein bevorzugtes Feld, Motive der abendländischen Kirchenspaltung zu Beginn der Neuzeit zu artikulieren. In betonter Weise und an prominenter Stelle hält sich beispielsweise die Confessio Augustana an die augustinische Vorstellung, »dass nach Adams Fall alle Menschen […] in Sünden empfangen und geboren werden«. 23 Sie geht jedoch nicht der Frage nach, wie denn im Einzelnen der Zusammenhang zwischen der Ursünde Adams und unserer ›ererbten‹ Sünde zu denken sei; sie verzichtet ebenso darauf, eine biologistische Sicht der ›imputatio‹ (der Zurechnung der Schuld Adams an seine Kinder) zu entwickeln oder die Begierde, von der Augustinus spricht, primär sexuell zu interpretieren. Die auf dem Konzil von Trient entworfene katholische Gegenposition bleibt bei der Begierde (Konkupiszenz) als dem zentralen Terminus der Erbsündenlehre stehen, was auch damit zu tun hatte, dass man die reformatorische Sicht der Konkupiszenz missverstand; man wertete sie moralisch und bezog sie auf die sündhaften Einzelakte, während sie-- beispielsweise bei Luther-- als Aussage über eine in sich verkehrte Daseinshaltung der Menschen insgesamt zu verstehen ist. Legt man diese Lesart Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 35 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 35 Carl-Friedrich Geyer Erbsünde wie auch den Entwurf des Tridentinums zugrunde, der in der Konkupiszenz weniger die Sünde als die Strafe, die sowohl Demut wie Kampf bewirken soll, sieht, dann sind beide Perspektiven von sich aus bereits Entschärfungen der ursprünglichen Erbsündenlehre; die ›verteufelte‹ Begierde erscheint bereits fast als natürliche Lebensäußerung-- freilich theologisch reflektiert. Der Bezug zu Augustin besteht jetzt nur noch darin, dass hier wie in den genannten Dokumenten das »Sünder-Sein« die Brücke ist, die Institution, die jeweilige Gestalt von Kirche also, zu legitimieren. 24 Ungeachtet der jeweiligen Terminologie hinsichtlich des gemeinten Sachverhalts kann also nur in einem analogen Sinne von »Sünde« gesprochen werden. Fünfhundert Jahre nach dieser letzten theologischen Kontroverse um die sog. »Erbsünde« und im Blick auf gegenwärtige interkonfessionelle theologische Überlegungen zur Taufe und zur Sakramententheologie darf man konstatieren, dass Begriff und Sache der »Erbsünde«-- gerade im ursprünglichen Sinne als »peccatum originale«-- die Philosophen 25 viel mehr umtreiben als die Theologen-- ganz zu schweigen vom Alltagsbewusstsein des potentiell »religiösen Analphabeten« am Beginn des dritten Jahrtausends. Anmerkungen 1 K. Flasch, Augustin. Einführung in sein Denken, Stuttgart 3 2003, 201. 2 Ad Simplicianum I,2,16. Vgl.: E.F. Brown, The first evil must be incomprehensible. A critique of Augustin, in: JAAR 46 (1978) 315 ff. 3 Vgl.: K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart 1950. 4 H. Häring, Die Macht des Bösen. Das Erbe Augustins, Einsiedeln 1979, 209. 5 Jansenius folgerte daraus, Christus könne unmöglich für alle Menschen gestorben sein. Das »decretum horribile« bezeichnet den fürchterlichen Ratschluss Gottes, ohne Rücksicht auf Verdienst oder Nichtverdienst die große Mehrzahl der Menschen zu verdammen. 6 Flasch, a. a. O., 195 f. 7 H. Jonas, Augustin und das paulinische Freiheitsproblem, Göttingen 3 1965. 8 H. Jonas, Augustin, 89 (oben Anm. 7). 9 Ebd. 10 P. Ricoeur, Die Erbsünde-- Eine Bedeutungsanalyse, in: C. Andresen (Hg.), Zum Augustin-Gespräch der Gegenwart, Darmstadt 1981, 329-351, 348 f. 11 Ebd., 351. 12 Ebd. 13 K. Rahner, Theologisches zum Monogenismus, in: Ders., Schriften zur Theologie I, Einsiedeln 1954, 253-322, 306 f. 14 J. Ebach, Ursprung und Ziel, Neukirchen-Vluyn 1986, 119 f. 15 R. Spaemann, Transformation des Sündenfallmythos, in: W.Oelmüller (Hg.), Worüber man nicht schweigen kann, München 1992, 14-24. 16 J. Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung und Liebe, Freiburg i. Br. 1989, 75. 17 J. Ruffié, Leben und Sterben. Zur Evolution von Sexualität und Tod, Reinbek bei Hamburg 1990, 352. 18 Ebd., 165. 19 P. de Rosa, Der Jesus-Mythos. Über die Krise des christlichen Glaubens, München 1991, 164. 20 Vgl. E. Cassirer, Das Problem Jean-Jacques Rousseau, Darmstadt 1970. 21 J. Starobinski, Rousseau. Eine Welt von Widersprüchen, München/ Wien 1968, 36 ff. Karl Barth sieht das Neue der Sicht Roussaeus darin, »dass er mit der längst von allen Seiten angefochtenen Lehre von der Erbsünde und mit der ebenfalls längst bedrohten Auffassung von der Offenbarung als einem von der immanenten Entwicklung der Menschheit verschiedenen Geschehen gänzlich gebrochen und beides: die Sünde und die Gnade als relative Bewegungen innerhalb der menschlichen Wirklichkeit verstanden hat, Bewegungen, in denen der Mensch von Natur aus gut und der in dieser natürlichen Güte verharrende Mensch seiner Freiheit sicher bleibt. […] Von Rousseau und erst von Rousseau ab gibt es im Vollsinn des Begriffs das, was man theologischen Rationalismus nennt: eine Theologie, der das Christliche identisch ist mit dem wahrhaft Humanen.« (Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich 1981, 206 f.). 22 Entsprechend antwortet Horkheimer in dem Interview mit H. Gumnior aus dem Jahre 1970 [Max Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Ein Interview mit Kommentar von Helmut Gumnior, Hamburg 1970, 64]: »Frage: Glauben Sie nicht, dass die Lehre von der Trinität, von den drei Personen in einem Gott, eher der Versuch war, den jüdischen Monotheismus mit der Vorstellung zu verbinden, dass Christus Gottes Sohn war? Das war für das Christentum sehr wichtig, denn Christus als Sohn Gottes lieferte den Beweis, dass das Gute in diese Welt von Gott kommen muss? H. Ich würde sagen, die Trinitätslehre war auch der Versuch, Christus als Sohn Gottes in den strengen jüdischen Monotheismus einzubeziehen. Doch ich möchte auf Ihre zweite Bemerkung näher eingehen. Sie sagten, das Gute muss von Gott kommen. Dem kann ich- - und zwar orthodox-christlich wie orthodox-jüdisch-- entgegenhalten, dass das Gute nicht bloß von Gott kommt. Denn Christen wie Juden glauben daran, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde geschaffen und der Mensch deshalb einen freien Willen hat. Wenn der Mensch das Gute tut, tut er es aus freiem Willen, genauso wie er aus freiem Willen das Schlechte tut, das ja auch nicht von Gott kommt. Die großartigste Lehre in beiden Religionen, der jüdischen wie der christlichen, ist-- ich berufe mich hier auf ein Wort Schopenhauers-- die Lehre von der Erbsünde. Sie hat die bisherige Geschichte bestimmt und bestimmt heute für den Denkenden die Welt. Möglich ist sie nur Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 36 - 2. Korrektur 36 ZNT 32 (16. Jg. 2013) Zum Thema unter der Voraussetzung, dass Gott den Menschen mit einem freien Willen geschaffen hat. Das Erste, was der Mensch tat, war, im Paradies diese große Sünde zu begehen, aufgrund deren die ganze Geschichte der Menschheit eigentlich theologisch zu erklären ist. Frage: Teilen Sie diese Ansicht Schopenhauers? H. Ich bin auch in diesem Punkt ein Anhänger Schopenhauers. Auch ich glaube, dass die Lehre von der Erbsünde eine der bedeutendsten Theorien in der Religion ist. Die Religion hatte doch eine gesellschaftliche Funktion, die sie heute verloren hat. Sie sagte nämlich: Wenn Du das Gute tust im Sinne der Religion, dann wirst Du belohnt werden, Deine Seele wird in die Seligkeit eingehen; wenn Du das Schlechte tust, wenn Du sündigst, wirst Du bestraft werden, dann wartet die Hölle auf Dich. Das hat Schopenhauer natürlich geleugnet, aber er hat etwas Ähnliches gesagt. Für ihn wird derjenige, der das Schlechte tut, der mit seinem Willen zum Leben den Willen der anderen Individuen negiert, der sein Glück auf Kosten des Glücks der anderen sucht, wiedergeboren in irgendeiner Weise, ohne dass er um sein vorheriges Leben weiß. Er muss all die Leiden selber durchmachen, bis ihm wie einem wahren und echten Märtyrer, das Leid der anderen so nahe ist wie sein eigenes Leid, bis er Mitleid und Mitfreude empfinden kann. Jetzt können Sie auch verstehen, warum Schopenhauer die Erbsünde eine so großartige Lehre nannte. Die Bejahung des eigenen Selbst, die Negation der anderen Individuen ist für Schopenhauer eigentlich die Erbsünde.« 23 CA II. 24 In diesem Sinne heißt es weiter in der Confessio Augustana (ebd.), »dass auch dieselbe angeborene Seuche und Erbsünde wahrhaftig Sünde sei und verdamme alle unter Gottes Zorn, so nicht durch die Taufe und den Heiligen Geist wiederum neu geboren werden. 25 Vgl. dazu: S. Biebl/ C. Pornschlegel (Hgg.): Paulus-Lektüren, München 2013. N EUERSCHEI N UN G AU GU ST 2013 I ngri d Fi scher Die Tagzeitenliturgie an den drei Tagen vor Ostern Pi etas Liturgi ca Stu di a, Band 22 2013, VI I , 423 Seiten, €[D] 68, 00/ SFr 87, 60 I SBN 978-3-7720-8493-5 Fei er - Theol ogi e - Spi ritu al ität A. Francke Verlag • Di schi ngerweg 5 • D-72070 Tübi ngen • Tel . +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 • www. francke. de