eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 17/33

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2014
1733 Dronsch Strecker Vogel

Allegorisch Lesen? – Einleitung zur Kontroverse

2014
Manuel Vogel
Zeitschrift für Neues Testament_33 typoscript [AK] - 22.04.2014 - Seite 39 - 3. Korrektur ZNT 33 (17. Jg. 2014) 39 Allegorisch Lesen? -- Einleitung zur Kontroverse Michael Tilly übernimmt die Fragestellung dieser Kontroverse samt Fragezeichen in den Titel seines Beitrages, Marius Reiser ersetzt das Fragezeichen durch ein Ausrufezeichen. In dieser minimalen Differenz steckt der Dissens: Bei Reiser ist »Allegorese« in einem weiteren Sinn auch in der heutigen Predigt so gebräuchlich wie unumgänglich, sobald sich die Aufgabe einer aktualisierenden Übertragung stellt. Für Tilly ist Allegorese hingegen dasjenige, was die Moderne zu Recht als vormodern abgetan hat. Für Reiser hat der unstrittige Umstand, dass in den neutestamentlichen Texten selbst häufig allegorisiert wird, methodologische Relevanz: Man soll genau hinsehen, wie die neutestamentlichen Verfasser das gemacht haben, und dann darf und soll man es ebenso machen. Bei Tilly dagegen gilt: Wer so das Neue Testament auslegt, appliziert anachronistisch »ein offenbarungstheologisch-dogmatisches Paradigma der Spätantike«. Nach Reisers Auffassung bleibt die historische Kritik »hinter ihrer Aufgabe zurück«, wenn sie nicht in der Lage ist, der Predigt einen Weg zur Übertragung in das Heute zu weisen. Dagegen konstatiert Tilly: »Die historischkritische Betrachtung des Neuen Testaments verfolgt […] nicht die Absicht, Glauben zu bewirken«. Nach seiner Ansicht ist Allegorese wesentlich ein assoziativer Vorgang, der der Willkür Vorschub leistet, wogegen Reiser der allegorischen Auslegung methodische Klarheit attestiert. Bei Reiser ist die Allegorese eine mögliche Form der Übertragung und als solche, mit Bonhoeffer gesprochen, »eine schöne Freiheit der kirchlichen Auslegung der Schrift«. Anders Tilly, für den hinter solchen Freiheitsforderungen nichts anderes steht als eine Misstrauenserklärung gegen die akademische Bibelwissenschaft. Wo liegen die Gemeinsamkeiten? Sehr allgemein gesprochen darin, dass beide zwischen Wortsinn und Übertragung unterscheiden, und ebenso zwischen historischer Kritik und Allegorese. Von einer kategorischen Ablehnung der historischen Kritik verlautet außerdem bei Reiser kein Wort, und umgekehrt konzediert Tilly der Allegorese dann doch, dem kreativen aktualisierenden Schriftgebrauch nützlich sein zu können. Die historische Kritik verhält sich dazu nicht antagonistisch, sondern, so Tilly, durchaus konstruktiv »als hermeneutisch-kritisches Korrektiv«. Die zwischen Reiser und Tilly geführte Diskussion lässt sich gut am Beispiel der biblischen Rachepsalmen illustrieren. Bei Reiser steht in Ps 137 die Stadt »Babylon« allegorisch für den »inneren Schweinehund«, und ihre »Kinder« für dessen »unreine Gedanken und Absichten«, die man an jenem »Felsen« zerschmettern soll, der »nach 1Kor 10,4 Christus ist«. Für Tilly dagegen ist die »eigentliche Sinngebung« dieser Texte nur zu erheben unter Berücksichtigung ihrer »eigentlichen historischen Funktion«, und diese besteht darin, Not und Verzweiflung in der Situation der Bedrängnis zu artikulieren und in entlastender Weise Aggression auf die göttliche Vergeltung zu übertragen. Was heißt nun »eigentliche Sinngebung«? Wenn darin auch ein Moment der Applikation enthalten sein soll, laufen die allegorische wie historische Auslegung beide auf eine Psychologisierung hinaus, sei es, dass man unreine Gedanken »an Christus zerschmettert«, oder dass man Rachegedanken »auf Gottes Vergelten überträgt«. Wie groß ist hier der Abstand tatsächlich? Ein Unterschied besteht freilich: Die historische Zugangsweise funktioniert nur, wenn sie einen moralisch irgendwie darstellbaren Ursprungssinn des Textes annimmt (»Not artikulieren«, »Aggression übertragen«), die allegorische funktioniert dagegen auch im Falle seiner wortwörtlichen Gewaltsamkeit. Will der Psalm zu Mord und Totschlag anstiften? Historische Anthropologen würden jetzt vielleicht antworten: Ja, das will er. Operiert historisch-kritische Auslegung also mit einem allzu oft textfremden Moral-Postulat (im Sinne der Moral Bible von Moore und Sherwood, s. den Buchreport), oder entdeckt sie an den Texten Aspekte des Ethischen, über die die Allegorese blind hinweggeht? An die Adresse der Allegorese gefragt: Wieviel Mühe gibt sie sich um den Literalsinn, den sie, so Reiser, ja jedenfalls kennt und in Rechnung stellt? Kann man auch und erst recht allegorisieren, wenn man sich dieser Mühe unterzogen hat? Die Schlussfrage der Kontroverse Zeitschrift für Neues Testament_33 typoscript [AK] - 22.04.2014 - Seite 40 - 3. Korrektur 40 ZNT 33 (17. Jg. 2014) Kontroverse Einleitung geht an die historische Kritik: Ist es nicht denkbar, dass sie einen kleinen postmodernen Anlauf nimmt, über ihren eigenen Schatten springt und die Allegorese als das wertschätzt, was sie ist, nämlich ein Spiel? Die Leserinnen und Leser dieses Heftes sind nun eingeladen zur Lektüre einer gehaltvollen Kontroverse, die reichlich zu weiteren eigenen Fragen anregt. Manuel Vogel Weit über 5000 griechische Handschriften des Neuen Testaments sind bis heute bekannt. Davon werden im vorliegenden Band 104 Handschriften ediert, die aus dem ersten bis vierten Jahrhundert stammen und damit einen besonderen Thesaurus für die gesamte Christenheit darstellen. Sie umfassen bereits 60 Prozent vom griechischen Text des Neuen Testaments. Die Handschriften werden jeweils nach acht Gesichtspunkten präsentiert: Herkunft, Auf bewahrung, Beschreibung, Inhalt, Datierung, Bibliographie, Hinweise, wo die Abbildungen zu finden sind, und Transkription. Jede transkribierte Zeile ist mit einer deutschen Übersetzung versehen. Die genaue Kenntnis der ältesten griechischen Textüberlieferung ist für Theologen und für jeden wichtig, der sich ernsthaft mit der Bibel und der Entstehung der einzelnen Schriften des Neuen Testaments beschäftigen will. 2014. 952 S. 5 S/ W-ABB. GB. 200 X 270 MM | ISBN 978-3-412-22215-4 KARL JAROŠ DIE ÄLTESTEN GRIECHISCHEN HANDSCHRIFTEN DES NEUEN TESTAMENTS BEARBEITETE EDITION UND ÜBERSETZUNG böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 info @ boehlau-verlag.com, www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar