eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 17/34

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2014
1734 Dronsch Strecker Vogel

Rudolf Englert, Helga Kohler-Spiegel u.a.(Hgg.) »Glück und Lebenskunst« Jahrbuch der Religionspädagogik 29 Neukirchen-Vluyn 2013 ISBN: 978-3-7887-2734-5 Preis: 26,99 €

2014
Hanna Roose
Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 71 - 2. Korrektur ZNT 34 (17. Jg. 2014) 71 Buchreport Rudolf Englert, Helga Kohler-Spiegel u.a.(Hgg.) »Glück und Lebenskunst« Jahrbuch der Religionspädagogik 29 Neukirchen-Vluyn 2013 ISBN: 978-3-7887-2734-5 Preis: 26,99 € Welche Rolle spielen neutestamentliche Texte in einem religionspädagogischen Jahrbuch zum Thema »Glück und Lebenskunst«? Um es gleich zu sagen: Quantitativ keine große. Eine ganze Reihe von Beiträgen kommt ohne biblische Bezüge aus. Der systematischtheologische Beitrag von Michael Roth konzentriert sich bei der biblischen Fundierung ganz auf das Alte Testament. Hat das Neue Testament also nicht viel beizutragen? Insbesondere der Neutestamentler Peter Müller und der Praktische Theologe Michael Meyer- Blanck sehen das anders. Unter dem Titel »Viel Glück und viel Segen« fragt Peter Müller nach dem »Reden von Glück in der Bibel« (40- 50). Sein Befund ist zunächst ernüchternd: »Weder im hebräischen Alten noch im griechischen Neuen Testament gibt es ein zusammenfassendes Wort für Glück.« (41) Inhaltlich spiele aber das gute, erfüllte Leben durchaus in vielen Texten eine wichtige Rolle. Von ihm könne biblisch allerdings nur »in Verbindung mit Gott gesprochen werden« (41). Aus neutestamentlicher Sicht sind dabei die Seligpreisungen zentral (Mt 5,3-12; Lk 6,20-26). Müller verhandelt sie unter der Überschrift »Die Paradoxie des Glücks«. Die Paradoxie bestehe darin, dass Jesus gerade diejenigen selig preist, »die nichts zu lachen haben«: die Armen, die Hungernden, die Weinenden (47). Diese Paradoxie sieht Müller bereits in der alttestamentlichen Überlieferung angelegt (z. B. Ps 73). Sie erwächst aus der grundlegenden Einsicht, dass es zumindest einigen Gottlosen im Hier und Jetzt besser zu gehen scheint als den Frommen. Angesichts dieser Paradoxie vereinigen die Seligpreisungen eine weisheitliche und eine eschatologische Traditionslinie. Der weisheitliche Gedanke besteht darin, dass die Frommen trotz widriger Umstände auf Gott vertrauen (vgl. Ps 2,12). Der eschatologische Gedanke richtet den Blick vom elenden Hier und Jetzt auf ein herrliches Ende aus (äthHen 103,5). Müller betont aber, dass die Seligpreisungen über diese beiden Gedanken hinausgehen. Denn Jesus »holt das ihnen [den Elenden] zugesagte Heil in den Umgang mit ihnen hinein und wendet sich ihnen konkret zu« (48). Es geht also nicht um eine Vertröstung auf später, sondern um ein Hineinholen des herrlichen Endes in die Gegenwart. Von hier aus schlägt Müller einen Bogen zur Offenbarung des Johannes, die ihren Leserinnen und Lesern nach zahlreichen Katastrophenbildern Bilder von Glück und Heil im himmlischen Jerusalem vor Augen stellt. Gott wird alle Tränen abwischen (Offb 21,4). Auch hier betont Müller die Funktion der Heilsbilder für die Gegenwart: »Sie vertrösten nicht, sondern richten den Blick über die Leiden der Gegenwart hinaus. […] Glück ist so verstanden Geborgenheit und aktives Leben auf das zugesagte Heil hin.« (49) Unter der Überschrift »Glück, in Geschichten eingewickelt«, verweist Müller auf eine Reihe von neutestamentlichen Texten, die auf den ersten Blick nicht an Glück denken lassen und dennoch-- narrativ-- von Glück handeln: Da ist der »Schalksknecht« (Mt 18,23-35), dem unverhofft eine riesige Schuld erlassen wird. Müller fragt: »Kann er sein Glück fassen? « Er fasst es zu fest und verliert es dadurch- - weil er nichts davon an seinen Mitknecht abgeben möchte. Bartimäus stellt Müller als jemanden vor, der Glück in der Begegnung mit Jesus erfährt. Der Blinde ergreift die Chance, die sich ihm bietet, als Jesus vorbei kommt- - und er gewinnt eine Perspektive für sein Leben. Der »verlorene Sohn« wird vom Vater festlich empfangen und wird zum glücklichen Sohn. Müller resümiert: »In diesen und ähnlichen Erzählungen kommt zwar das Glück nicht als Begriff vor, aber es wird als Erfahrung greifbar, als Einladung hörbar, und es ist gleichsam eingewickelt in Erfahrungen, nicht auf den Begriff gebracht, sondern erzählt. Vielleicht ist das die angemessenste Weise, vom Glück zu sprechen.« (50) Michael Meyer-Blanck fragt aus der Perspektive der Praktischen Theologie nach dem Zusammenhang von Lebenskunst und christlicher Tradition (131-139). Im Anschluss an Schleiermacher beschreibt Meyer-Blanck Künste als menschliche Tätigkeiten, »für die es zwar Regeln gibt, bei denen aber die Regeln als solche noch nicht die Anwendung enthalten« (131). Bei der Lebenskunst gehe es dann darum, Freiheit und Kontingenz »miteinander ins Spiel und in ein optimales Verhältnis zu bringen« (133). Damit ist die Matrix benannt, vor der Meyer-Blanck »Lebenskunst in der Bibel« deutet. Joh 9,3 widerspricht demnach einer weisheitlichen Tendenz, scheinbar »auch die Zufälle des Lebens mit weisheitlichen Regeln in den Griff zu bekommen« (137). Die Behinderung des Blindgeborenen lässt sich nicht nach einer (weisheitlichen) Regel erklären. Die irrige Meinung, alle Ereignisse kausal auf eine Wirkursache zurückführen zu können, führt ins Unglück. Lebensglück lässt sich nicht erzwingen- - wie das Gleichnis vom reichen Kornbauern zeige (Lk 12,16-21). »Der Mensch ist dem Leben unterworfen. Der Versuch, sich die Welt mittels Regeln zu unterwerfen, endet darum im Verlust von Freiheit und Kontingenz gleichermaßen.« (138) Die Seligpreisungen zeigen, dass der Mensch dem Leben in Armut, Hunger und Leid unterworfen ist (Mt 5,3-12). Aber die Bergpredigt weist auch Handlungsspielräume auf: beim Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 72 - 2. Korrektur 72 ZNT 34 (17. Jg. 2014) Buchreport Rechtsstreit (Mt 5,25 f.), beim Umgang mit Feindschaft (Mt 5,38-48) und bei der Sorge (Mt 6,25-32). Die (Berg-) Predigt Jesu-- so Meyer-Blanck-- »lässt Handlungsalternativen wie Deutungen offen und wahrt den Bezug auf das Leben in seiner Ambivalenz, Kontingenz und Freiheit« (138). Von diesem Ansatz aus bezeichnet Meyer-Blanck die neutestamentliche Debatte darum, ob die Predigt Jesu stärker weisheitlich oder stärker eschatologisch geprägt gewesen sei, als irreführend (139). Denn: »Eine und dieselbe Schöpferkraft und Liebe ist sowohl in dem Gott des kommenden Reiches wie schon in den von ihm geschaffenen Lebensordnungen wirksam.« (139) Unter der Rubrik »Ausblick« fragt Bernd Schröder: »Glück + Lebenskunst = Segen? « (197-210). Er stellt fest, dass Theologie und Religionsdidaktik in der aktuellen Debatte um »Glück« auf »eines ihrer Anliegen in fremder Gestalt« treffen (204). »Einerseits stoßen sie auf blinde Flecken ihrer eigenen Tradition-- auf Versäumtes, unzureichend Betontes, kontroverse Anliegen--, andererseits können und müssen sie eigene einschlägige theologische Figuren mit Gewinn einspeisen« (204). Als Beispiele nennt Schröder den Segen, den er biblisch v. a. im Alten Testament verankert (aber auch 1Petr 3,8-22: Aufforderung zum Segnen nach Empfang des Segens): »Wer sein Leben im Licht der biblischen Segenserzählungen interpretiert, wird Glück als bestimmtes Geschenk deuten können und als etwas, das man nur behalten kann, indem man es weitergibt.« (206). Als weiteres Beispiel verweist Schröder auf die (biblische) »Reich- Gottes-Hoffnung«. Sie zeichnet Freude, Seligkeit und Rettung in eine eschatologische Spannung ein-- entweder mit Metaphern der Zeit (schon jetzt-- noch nicht), oder in Metaphern des Raums (hier/ Erde-- dort/ Himmel), oder auch in Metaphern der Personalität (inwendig- - sozial). Biblische Tradition wird zu einer bestimmten Deutungschiffre für Glück. Denn: »Die Figuren aus der Tradition ändern nichts an dem, was für Einzelne ›Glück‹ ist oder was sie dafür halten, sie bieten indes eine Perspektive zur Deutung dieses Glücksempfindens an, die insbesondere für jene lebensgestaltend fruchtbar werden kann, die ihr Leben im Licht des Evangeliums zu sehen versuchen.« (205) Das heißt: Glück »geht« tatsächlich auch ohne das Neue Testament. Neutestamentliche Erzählungen können aber angesichts von Erfahrungen des Glücks neue Deutungsperspektiven auffächern. (rez. von Hanna Roose) A. Francke Verlag • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen • info@francke.de • www.francke.de Wichard v. Heyden Doketismus und Inkarnation Die Entstehung zweier gegensätzlicher Modelle von Christologie Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, Vol. 58 2014, XIV, 567 Seiten, €[D] 88,00 / Sfr 112,00, ISBN 978-3-7720-8524-6 Doketismus und Inkarnation als diametral entgegengesetzte Positionen der frühen Christologie werden erstmals in ihrem Zusammenhang und von ihren Entstehungsmöglichkeiten her erklärt und analysiert. Der Erste Johannesbrief, der lange als Kronzeuge für doketistische Christologie galt, hat im Gegensatz zu den späteren Ignatiusschriften zwar mit Doketismus noch nichts zu tun, liefert aber Hinweise auf die Entstehung der Inkarnationschristologie, die wiederum Voraussetzung für spätere doketistische und gnostische Auffassungen ist. Für beide Positionen spielt die Orientierung an Engeln, frühjüdischer Mystik und Tempelkult eine herausragende Rolle. Die Entstehung der Christologie, das Zentrum christlicher Theologie, wird mit dieser Arbeit in neuer Weise erschlossen.