eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 17/34

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2014
1734 Dronsch Strecker Vogel

Fremdbestimmte Freiheit

2014
Manuel Vogel
Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 56 - 2. Korrektur 56 ZNT 34 (17. Jg. 2014) Das Subjekt wird konstituiert in seinen Beziehungen und in seiner Geschichte. Die biblischen Schriften sind ein unerschöpflicher Resonanzraum, weil sie eine Geschichte erzählen, und weil sie Beziehungen eröffnen. Das Subjekt ist keine ontologische, sondern eine narrative und relationale Größe. 1 Das Beharren auf einem schöpfungstheologisch formulierten ontologischen Subjektbegriff hat, wie der Beitrag von Theo Kobusch zeigt, seine philosophiehistorischen Gründe und Kontexte, aber die Bibel hat ihre Stärken nicht auf diesem Feld. Den Schriften des Neuen Testaments liegt zumal der diesem Subjektbegriff assoziierte Freiheitsbegriff fern. Verfolgt man dessen von Kobusch skizzierte Problemgeschichte bis Origenes, wird solche Freiheit zum reinen Postulat: Origenes muss seinen gnostischen Kontrahenten zugestehen, dass sich Unfreiheit naturhaft verfestigen kann. Dass sich außerdem sein Freiheitsbegriff im abstrakten Raum vertut, wird daran deutlich, dass er mit dem Gottesbegriff in Konflikt gerät: Die Freiheit wird zum Prinzip, dem auch Gott unterworfen ist als dem eigentlich Guten. Wenn die philosophische Reflexion zu solchen Gedankenfiguren gelangt, sollte sie kehrt machen. Zurück auf »Los«. Wenn Origenes insistiert, die quasi-naturhafte Unfreiheit sei selbstgewählt, will er doch wohl sagen: Sie ist entrinnbar. Darin wäre ihm zuzustimmen. Freiheit wird, wie Kobusch mit dem schönen Wortspiel des Clemens von Alexandrien sagt, zur ex-ousia, von der aus dem ansonsten totalen Verhängnis der ousia widersprochen werden kann. Aber wie ist Unfreiheit entrinnbar, und wie kann Freiheit gewonnen werden? Hier gabeln sich allerdings die Wege gleich am Anfang. Gleich dem ersten Satz kann und muss in derselben Klarheit widersprochen werden, in der er formuliert ist: Der Mensch ist niemals »nur bei sich« und deshalb auch nicht in nämlicher Weise »bei Gott«. Bei jenem »Ort im Innersten des Menschen« handelt es sich nicht um dasjenige, worauf »es allein ankommt«, sondern um eine Abstraktion. Macht man sie sich zu eigen, gelangt man immer nur zur Verantwortlichkeit des Individuums, und das ist wohl auch ihr Zweck: Den Einzelnen auf sich selbst zurückzuwerfen und ihn des eigenen Glücks wie Unglücks Schmied sein zu lassen. Außerdem stellt sich die Frage nach dem sozialen Ort dieses Diskurses: Im Studierzimmer kann sich das autonome Subjekt entfalten, in der Wellblechhütte nicht. Wird dies zugestanden, lautet die Anschlussfrage nicht, wie man der Wellblechhütte entkommt, sondern zunächst, wen es warum dorthin verschlagen hat. Diese Frage markiert gegenüber Reflexionen zu Gott und Freiheit das andere Ende der Fahnenstange, und zwar das untere. Gegenwärtige Subjekttheorien haben hier unten angesetzt und die soziale und gesellschaftliche Bedingtheit des Subjekts erhoben, indem sie »Momente der Heterogenität, Passivität, Unterordnung, Fremdheit, Materialität, Körperlichkeit, Emotionalität und des Begehrens« 2 betonten. Solche Akte der Dekonstruktion dienen nicht dazu, das Subjekt am Ende für tot zu erklären, sondern es im Gegenteil aus seiner idealistischen Verflüchtigung zurück zu holen in seine realen Möglichkeitsräume, in denen es sich ganz anders als im Modus der Selbstbehauptung eines unverlierbaren Wesenskerns gegenüber seinen kontingenten Daseinsbedingungen bewegen und entfalten kann. Neben die Autarkie als Ziel philosophischer Lebenspraxis tritt dann ebenbürtig die Bejahung des Verstricktseins in Abhängigkeiten und das Verwiesensein auf die Anderen, ohne das die eigene Freiheit weder gedacht noch gelebt werden kann. In der von Kobusch nachgezeichneten Diskussion spielen Sozialität und Geschichtlichkeit keine Rolle. Beides ist aber für die Lebenszusammenhänge und Lebensmodelle der frühen Christusanhänger, die sich in den neutestamentlichen Schriften niederschlagen, konstitutiv. Leib und Geist Die tiefgreifende soziale Verfasstheit des Christusglaubens kommt am deutlichsten bei Paulus zur Sprache. Zugespitzt kann man sagen, dass das ganze Denken des Paulus um die Umgestaltung und Neugestaltung von Beziehungen kreist: Die Beziehung Gottes zu den Menschen und der Menschen untereinander. Er konzeptualisiert die Gruppen der Christusanhänger als realen Leib (1Kor 12,12-27; Röm 12,4 f.). Die Gläubigen bilden Manuel Vogel Fremdbestimmte Freiheit Einige vorwiegend paulinische Paraphrasen Kontroverse Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 57 - 2. Korrektur ZNT 34 (17. Jg. 2014) 57 Manuel Vogel Fremdbestimmte Freiheit Der Leib Christi ist also ein vom Geist bestimmter sozialer Raum, der diejenigen, die sich darin bewegen, umgibt und durchdringt. Er evoziert nach 1Kor 12,26 die gegenseitige »Sym-Pathie« seiner Glieder: »Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; wenn einem Glied Herrliches zuteilwird, so freuen sich alle Glieder mit«. Wird Geistbesitz dagegen als Distinktionsmerkmal gegenüber anderen Gläubigen aufgefasst- - eine Gefahr, die Paulus in Korinth als gegeben ansieht, etwa durch einen kompetitiven Umgang mit unterschiedlichen Geistmanifestationen-- wird der soziale Organismus der Gemeinde beschädigt (»Spaltungen«). Fleisch Der Gegenbegriff zu »Geist« ist bei Paulus »Fleisch«. Hier geht es entgegen einer verbreiteten lutherischen Tradition nicht um eine falsche Sicherheit gegenüber Gott oder ein sonstwie fehlgeleitetes »Selbstverständnis«, sondern um die Haltung, sich auf Kosten anderer mit anderen zu vergleichen. Die kreuzestheologische Option für die sozial Bedeutungslosen (1Kor 1,26-28) zielt darauf, »dass sich vor Gott kein Fleisch rühme« (1,29). Hier wird nun nicht die Mensch-Mensch-Horizontale in die Mensch-Gott-Vertikale überführt, sondern Gott führt Aufsicht darüber, wie die Menschen miteinander umgehen. Gott ist wie ein Bademeister, der darauf achtet, dass niemand vom Beckenrand ins Wasser gestoßen wird. Das meint »vor Gott«. Wo Gott die Aufsicht führt, wird nicht geduldet, dass Menschen sich auf Kosten anderer mit anderen vergleichen. »Fleisch« heißt bei Paulus: Selbstbestimmung, Selbstbehauptung, Selbstdarstellung. »Fleisch« ist, wenn das agonistische Lebensideal, »immer der Erste zu sein und vorzustreben vor andern« (Ilias 6,208; 11,784), die Gemeinschaft der Christusanhänger bestimmt: »Und ich, Geschwister, konnte mit euch nicht reden als mit Geistbegabten, sondern als mit Fleischlichen […]. Noch seid ihr fleischlich: Denn wo unter euch Eifersucht und Zank sind, seid ihr da nicht fleischlich? « (1Kor 3,1-3). Das paulinische Konzept von Gemeinde passt nicht in die antike Elite-Kultur der Selbstoptimierung. Der Christusglaube ist auch keine »Technologie des Selbst«, sondern eine umfassende und tiefgreifende Orientierung am neuen Lebenszusammenhang des Geistes. Aussagen, die im Sinne individuellen Geistbesitzes vereinen realen sozialen Organismus, der nur in seinem organischen Zusammenhalt existiert, durch die Christuszugehörigkeit seiner Glieder zustande kommt und vom Geist Christi belebt wird. Der Geist ist im Lebenszusammenhang des Leibes Christi wirksam und erfahrbar, und zwar nur so und nur dort, 3 nicht aber als individuelle Ausstattung. Individueller Geistbesitz ist bei Paulus nirgends erkennbar. Vielmehr ist der Geist dasjenige, das die Einzelnen miteinander als Leib Christi konstituiert: »Wir sind in einem Geist alle zu einem Leib getauft worden […], und sind alle mit einem Geist getränkt« (1Kor 12,13). Die hier verwendeten Verben baptizō und potizō meinen nicht Taufe und Abendmahl (denn für Paulus wird der Geist nicht bei der Taufe verliehen, sondern schon beim Gläubigwerden, so Gal 3,2, und ebenso wenig gehören Geistempfang und Abendmahl zusammen), sondern offenbar eine realistische Vorstellung vom Wirken des Geistes: Man wird äußerlich von ihm ganz umhüllt wie beim Untertauchen in bzw. Übergossenwerden mit Wasser und man nimmt ihn in sich auf, so wie man Wasser trinkt. Vergleichbar ist auch das Stehen im dichten Nebel: Man wird vom Nebel eingehüllt und atmet ihn zugleich ein. Prof. Dr. Manuel Vogel, geb. 1964 in Frankfurt/ Main, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen, Heidelberg und Frankfurt, 1994-1996 Vikariat in Bayern, 1995 Promotion in Heidelberg, 1996-2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institutum Judaicum Delitzschianum in Münster, 2003 Habilitation in Münster, 2003-2006 Pfarramt in Hessen-Nassau, 2006-2008 Pfarrer im Hochschuldienst an der Goethe-Universität Frankfurt, seit 2009 Professor für Neues Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Veröffentlichungen u.a. zu Paulus, Josephus und zum Hellenistischen Judentum. Manuel Vogel »Das paulinische Konzept von Gemeinde passt nicht in die antike Elite-Kultur der Selbstoptimierung. Der Christusglaube ist auch keine ›Technologie des Selbst‹, sondern eine umfassende und tiefgreifende Orientierung am neuen Lebenszusammenhang des Geistes.« Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 58 - 2. Korrektur 58 ZNT 34 (17. Jg. 2014) Kontroverse standen werden können, lassen deutlich die doppelte Außenorientierung an Gott und den anderen Menschen erkennen. So kann in 1Kor 6,19 der individuelle Leib der einzelnen Christusgläubigen »Tempel des heiligen Geistes« heißen, jedoch nur um deutlich zu machen, dass jeder Einzelne Gottes Eigentum ist: »Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? «. Nach Gal 6,1 gilt: Die sich selbst für »geistbegabt« (pneumatikos) halten, sollen ihren pneuma-Besitz dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie mit denen, die sich verfehlen, im »Geist der Sanftmut« umgehen und sich daran erinnern lassen, dass auch sie selbst nicht unfehlbar sind. Damit codiert Paulus den Geistbesitz um vom möglichen Distinktionsmerkmal zu einer Praxis der Solidarität der Fehlbarkeit. Entscheidend ist, dass diese Praxis ihre Kriterien und ihre Motivation aus dem sozialen Gefüge bezieht, in dem sie allein möglich und zugleich ohne Alternative ist. Sie fordert und versetzt in die Lage, die Übereinstimmung mit sich zugunsten der Übereinstimmung des schwächeren Anderen mit sich zu dispensieren. Die Rücksicht auf das Gewissen des Bruders, der im Verzehr von Fleisch, das bei paganen Kulthandlungen verwendet wurde, nichts anderes sehen kann als eine Spielart von Götzendienst, sticht die von Paulus geteilte Erkenntnis aus, dass dieser Fleischverzehr für Christusanhänger unbedenklich ist (1Kor 8,7-13). Paulus eröffnet diese Erörterung mit einer kleinen erkenntnistheoretischen Betrachtung: »Was aber das Götzenopferfleisch betrifft, so wissen wir, dass wir insgesamt Erkenntnis haben. Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber baut auf. Wenn jemand meint, etwas erkannt zu haben, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen soll; wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt« (8,1-3). Hier wird das menschliche Erkenntnisvermögen im Sinne der genannten doppelten Außenorientierung doppelt relativiert, man kann ruhig auch sagen: düpiert. Für die Erbauung (oikodomē) des von Gottes Geist bestimmten Leibes Christi kann Erkenntnis nachgerade schädlich sein, weil sie regelmäßig zur Angeberei mit der eigenen Intelligenz verführt und den Bruder schwächeren Verstandes (und dann auch schwächer ausgeprägter Gottebenbildlichkeit? ) einschüchtert. Und zweitens: Auch wenn es um Gott geht, muss die Erkenntnis zugunsten der Liebe ihren Platz räumen, um verwandelt wiederzukehren, nicht mehr als selbstmächtiges Vermögen, sondern als Widerfahrnis: Das Erkennen ohne Gemeinsinn und Verstand weicht dem Erkanntwerden dessen, der liebt. Dass Paulus die Erkenntnis ins passive Genus setzt, liest sich für das über sein Erkenntnisvermögen sich definierende gottebenbildliche Subjekt wie eine ausgesuchte Kränkung. Freiheit Auch Freiheit wird bei Paulus nicht als Erinnerung an den Urstand thematisch, sondern als Rettungsgeschehen. Auch Freiheit ist ein Widerfahrnis. Klaus Berger beschreibt die Differenz zwischen modernem und paulinischen Freiheitsbegriff wie folgt: »Unter Autonomie des Ich versteht man heute die Selbstbestimmung des Menschen, seine Befähigung zur Selbstbehauptung, zu ›persönlicher‹ Gestaltung des Lebens. Freiheit gilt dabei als selbstverständlicher, in diesem Sinne positiv bestimmter Wert; sie besteht wesentlich darin, das, was man will, auch ungestraft tun zu können. Dabei gelten eben der Wille und der Lebensplan jedes einzelnen Menschen als Ausgangsbasis. Hier, in dem, was er selbst darstellt und will, liegt der höchste Wert. Für die psychologische Fragestellung ist dabei das konstitutive Gewicht des Willens von Bedeutung. Für Paulus dagegen wird nach Röm 6,15-23 Freiheit nicht durch Wertvorstellungen gefüllt, die mit dem Individuum eo ipso verbunden sind. Während im modernen Autonomiebegriff Freiheit vom Personzentrum her gedacht wird, ist nach Paulus Freiheit vornehmlich negativ bestimmt. Freiheit des Christen nach Paulus besteht darin, der Begierde nicht mehr gehorchen zu müssen, das Gesetz nicht übertreten zu müssen, sie ist am Ende und in der Konsequenz Freiheit vom Tod. Freiheit gibt es daher nur als ›Freiheit von …‹. Die letzte Freiheit, die man erlangen kann, ist die von der Vergänglichkeit. Daher ist ihre Freiheit nicht Selbstbestimmung, sondern zunächst auf jeden Fall Zugehörigkeit zu einem Befreier (und damit neue Bindung). So bleibt Freiheit von außen her bestimmt. Hinzu kommt noch dies: In der Freiheit von Begierde, Sünde und Tod gewinnt der Mensch nun nicht eine ›neutrale‹ Freiheit von allem, sondern er bleibt eingespannt in die Alternative von Leben und Tod. Weil dieser doppelte ›Ausgang‹ besteht, deshalb gibt es keine neutrale Freiheit nur vom Tod ›in der Mitten‹. Weil der Mensch nur entweder tot oder lebendig sein wird, deshalb kann er nur frei vom Tod sein, wenn er gleichzeitig dem Geber des Lebens zugehört. Für die psychologische Fragestellung ist dabei die Einsicht entscheidend, dass der Mensch »Auch Freiheit wird bei Paulus nicht als Erinnerung an den Urstand thematisch, sondern als Rettungsgeschehen. Auch Freiheit ist ein Widerfahrnis.« Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 59 - 2. Korrektur ZNT 34 (17. Jg. 2014) 59 Manuel Vogel Fremdbestimmte Freiheit so oder so von außen bestimmt ist (M. Luther: ›vom Satan oder von Gott geritten wird‹) und sich stets und grundsätzlich in einer Verbindlichkeit vorfindet. Dabei unterscheidet sich die neue Verbindlichkeit, in der der Mensch darinsteht, von der alten vor allem durch ihren Ausgang: Sie bedeutet nicht seine Zerstörung, sondern seine Rettung.« 4 Leben und Tod Wo es um Leben und Tod geht, kommt zur Sprache, was zählt und was bleibt. Was heißt dann Seele, Person, Individuum, Subjekt? Eine Diskussion um die Unsterblichkeit der Seele, der Platons Phaidon durch die Antike hindurch den Weg gewiesen hat, gibt es in den neutestamentlichen Schriften nicht. Gewiss lassen sich Voraussetzungen neutestamentlicher Aussagen über ewiges Leben und postmortales Ergehen philosophiehistorisch ins Verhältnis setzen. Aber es gab im 1. Jh. allem Anschein nach kein Bedürfnis, derlei im christlichen Schulgespräch zu thematisieren. Historische Psychologie Auf die Möglichkeit, dass bereits zwischen der neutestamentlichen und der Väterzeit die anthropologischen Formationen sich in einer Weise verschoben haben, dass bereits hier (und nicht erst in der Moderne) Barrieren des Verstehens sich auftaten, sei nur eben hingewiesen. Hierzu nochmals Klaus Berger: »Bei der Frage nach Identität und Person geht es um den Träger des seelischen Lebens, um die Konstante in der Abfolge psychischer Wahrnehmungen und Äußerungen. Dieser sich durchhaltende Bezugspunkt wird nun im Neuen Testament weitaus anders wahrgenommen als bei uns. Welche enormen Schwierigkeiten das neutestamentliche Denken hier bereits der Alten Kirche bereitete, davon zeugt die Entwicklung der christologischen bzw. trinitarischen Lehraussagen. Denn diese sind weitgehend nichts anderes als der Versuch, die neutestamentlichen Auffassungen mit Hilfe griechischer und lateinischer Begrifflichkeit zu erfassen-- ein Unternehmen, das Jahrhunderte dauerte und an dessen Ende erst die Entfaltung des abendländischen Personbegriffs steht. Für das, was wir heute unter Person verstehen, ist mithin die Diskussion über die trinitarischen Fragen konstitutiv gewesen. Am Anfang dieser Aussagen stehen die biblischen Texte mit ihren meist knappen Formulierungen über Christus und Christen. Es wäre nun freilich verhängnisvoll, wollte man die neutestamentlichen Aussagen einfach in eine Linie mit den altkirchlichen stellen und sich vormachen, sie seien so etwas wie ein unentfaltetes Stadium des Späteren, welches sich nurmehr als konsequentes Durchdenken vom Früheren unterscheide. Vielmehr sind die neutestamentlichen Vorstellungen von seelischer Identität offensichtlich durchaus in sich stimmig, nur sind sie von den späteren und von unserer Auffassung grundverschieden. Das Problem wird etwa deutlich, wenn man nach dem Verhältnis des präexistenten Logos (Joh 1,1; Kol 1,15) zum irdischen Jesus (Joh 1,14; Kol 1,12) ›naiv‹ fragt: Ist Jesus als Geist oder als Seele schon vorher da? Nimmt man sein Menschsein wirklich ernst, wenn man nur eine bereits fertige Seele in einen menschlichen Leib einziehen lässt? Und wie ist es, nun auf den Christen bezogen, wenn Paulus vom ›Christus in mir‹ redet-- hat dieser dann das Ich verdrängt, so wie der Logos vielleicht das menschliche Ich Jesu? Beim Aufgreifen dieser Fragen geht es uns jetzt nicht um eine Klärung der Christologie, sondern um die Weise, in der im Rahmen der neutestamentlichen Offenbarung das Ich des Menschen erfahren wird. Im ganzen gewinnt man den vorläufigen Eindruck, dass im Unterschied zu unserem geläufigen Personbegriff (Person als strikt abgegrenztes, einmaliges Wesen) die Abschottung nach außen hin beim biblischen Konzept weniger ausgeprägt ist.« 5 Enklitisches Personverständnis Das Wort Joh 11,25 f. »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben« bindet die Fortdauer nach dem Tod an den Glauben an Jesus. Gewiss gibt es hier ein grammatisches Subjekt, dass sich durch die Aussagen zu Leben und Tod durchhält. Aber dieses Subjekt markiert kein anthropologisches Kontinuum. Vielmehr gilt: »Das Joh[annesevangelium] gibt der Erkenntnis, dass nur durch und in Jesus zu bestimmen ist, was Auferstehung und Leben besagen, ihren letzten Ernst. Wenn dem nämlich so ist, so steht Jesus in Person für diese Erkenntnis. Ja, er ist sie. In Person ist er die Auferstehung und das Leben. Zur Auferstehung gelangt der Mensch deshalb nicht in einem neu einsetzenden Schritt nach dem Tod, sondern durch die Anlehnung seiner Person an die Person Christi. Wenn an einer Stelle des Neuen Testaments, lässt sich bei Joh[annes] von einem › enklitischen‹ Personverständnis reden Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 60 - 2. Korrektur 60 ZNT 34 (17. Jg. 2014) Kontroverse (nach dem griechischem Wort ›eg-klinein‹, › sich neigend [an Christus] anlehnen‹)« 6 . Auch Röm 14,7-9 gehört hierher, weil auch hier die Todesgrenze nicht von einer unsterblichen Seele überschritten wird. Vielmehr wird sie dadurch relativiert, dass Leben und Tod Bereiche sind, die beide der Herrschaft des kyrios unterliegen. Durch seinen Tod ist Christus in den Bereich des Todes eingedrungen und hat ihn in Besitz genommen: »Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.« Der unmittelbare umgebende Kontext der Stelle ist beachtlich: Es geht darum, dass keiner dem Anderen etwas voraus hat, und dass deshalb alle einander sollen gelten lassen. Das »sich selbst Leben« (heautō zēn) ist aus der Perspektive des »dem Herrn Leben« (kyriō zēn) eine doppelte Unmöglichkeit. Lebensmodelle der Selbstbestimmung werden aufgebrochen in der doppelten Fremdbestimmung durch Gott/ Christus und die Anderen. Eine kurze Geschichte der Welt Die Adam-Christus-Typologie (1Kor 15,21 f.; Röm 5,12-21) erzählt das Wesentliche, das über die Welt und den Menschen zu sagen ist, in Form einer Geschichte. Erzählt wird eine Geschichte, die an ihrem Anfang einen unheilvollen Verlauf nimmt und am Ende gut ausgeht. Ob und inwiefern sich Adam freiwillig ins Unglück gestürzt hat, wird nicht thematisiert. Was Paulus interessiert, ist die Universalität des Unheils als Steilvorlage für die Universalität seiner Beseitigung und Überbietung durch die Gnade. Gewiss kann man mit Kobusch darauf beharren, dass auch das, was in diesem Beitrag Fremdbestimmung heißt, selbstgewählt ist, wie sein Freiheitsbegriff ja selbst die Figur der göttlichen und menschlichen Selbstentäußerung umfasst. Der Mensch in seiner Freiheit kann sich seiner Freiheit entschlagen, zum Guten wie zum Bösen. Verhielte es sich so, dann führe am Ende der Mensch gar noch stolz zur Hölle, weil er darauf verweisen könnte, er habe sich das Ticket dorthin selbst gelöst. Es gibt aber Gründe anzunehmen, dass es so weit nicht kommen wird. Eine Grundüberzeugung frühchristlicher Eschatologie besteht darin, dass Gott am Ende sein Recht auf die Welt und die Menschen universal durchsetzt. Dann wird sich »jedes Knie beugen«, ob freiwillig oder unfreiwillig, spielt keine Rolle. Anmerkungen 1 Vgl. dazu E. Reinmuth, Subjekt werden. Zur Konstruktion narrativer Identität bei Paulus, Johannes und Matthäus, in: Ders. (Hg.), Subjekt werden. Neutestamentliche Perspektiven und politische Theorie (TBT 162), Berlin/ Boston 2013, 251-284. 2 Ch. Strecker, Das liminale Subjekt. Modelle der Subjektivierung im Neuen Testament, in: E. Reinmuth (Hg.), Subjekt werden (s. Anm. 1), 97-123: 101. 3 Vgl. dazu G. Röhser, Das lange Schatten der Vergangenheit, ZNT 32 (16. Jg. 2013), 55 f., der mit Blick auf den Römerbrief feststellt, »dass zwischen der Taufe, in der grundsätzlich die Freiheit der Christusgläubigen von der Herrschaft der Sünde und des Todes erreicht wird (6,3- 11), und der Gabe des Geistes (5,5; 8,9-11.15 f.23) kein direkter Zusammenhang zu bestehen scheint. Überhaupt ist die Verbindung zwischen (Wasser-)Taufe und individuellem Geistempfang bei Paulus auch sonst prekär und theologisch nicht ausgearbeitet. Eher ist an so etwas wie einen der Gemeinde als ganzer gegebenen Gemeinschaftsgeist zu denken, für den zu öffnen und an dem Anteil zu gewinnen der bzw. die Einzelne in der Taufe die grundsätzliche Fähigkeit gewinnt (durch Trennung und Abkehr von der Existenzweise des »alten Menschen«) und die grundsätzliche Verpflichtung dazu (durch gehorsamen Wandel in der neuen Existenzweise) übernimmt.« 4 K. Berger, Historische Psychologie des Neuen Testaments (SBS 146/ 147), Stuttgart 1991, 55 f. 5 Berger, Historische Psychologie (s. Anm. 4), 45 f. 6 M. Karrer, Jesus Christus im Neuen Testament (NTD.E 11), Göttingen 1998, 63. »Das ›sich selbst Leben« (heautō zēn) ist aus der Perspektive des ›dem Herrn Leben« (kyriō zēn) eine doppelte Unmöglichkeit. Lebensmodelle der Selbstbestimmung werden aufgebrochen in der doppelten Fremdbestimmung durch Gott/ Christus und die Anderen.«