eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 11/21

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2008
1121 Dronsch Strecker Vogel

»Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann« (Ps 77,11)

2008
Johannes Woyke
1. Ausgangspunkt: Befindlichkeiten im Gottesglauben von Schülern und Schülerinnen Vor fast 25 Jahren befragte der Religionspädagoge Robert Schuster Berufsschülerinnen und Berufsschüler in Württemberg danach, was sie glauben. Dies ist 1984 als umfangreiche Sammlung veröffentlicht worden 2 und zur Grundlage für eine bis heute einflussreiche These des bekannten, emeritierten Tübinger Professors für Religionspädagogik, Karl Ernst Nipkow, geworden. Nipkow schreibt 1986 3 : »Die erste Einbruchstelle für den Verlust des Glaubens an Gott - vielleicht die zentrale - scheint die Enttäuschung über Gott als Helfer zu sein, in jüngeren Jahren die Enttäuschung über Gott als kindlich erwarteten Wunscherfüller, der stets zur Stelle sein sollte, später besonders die Enttäuschung über die ausgebliebene Hilfe angesichts von unverschuldetem Leiden und unerklärlichem Sterben, des weiteren die ausgebliebene Hilfe angesichts der Ungerechtigkeit in der Welt überhaupt. In verschiedenen Facetten zeigt sich die Theodizeeproblematik als die erste und wahrscheinlich größte Schwierigkeit in der Gottesbeziehung.« Bei einer Untersuchung des Leipziger Religionspädagogen Helmut Hanisch zur zeichnerischen Entwicklung des Gottesbildes bei Kindern und Jugendlichen Mitte der 90er-Jahre 4 bestätigt sich diese These Nipkows zumindest hinsichtlich einiger Schülervoten. Betrachten wir die Zeichnung eines 12-jährigen Mädchens, das nach eigenen Angaben nicht religiös erzogen wurde: Auf einer Erdkugel breiten sich Ungerechtigkeit, Krieg, Hunger, Umweltverschmutzung, Staatenspaltung, Regenwaldabholzung in alle Himmelsrichtungen aus. Darüber auf einer Wolke steht ein alter, bärtiger Mann mit geschlossenen Augen, die Hände untätig in den Hosentaschen. Neben ihm befindet sich ein Schild mit der Aufschrift »Ruhe! Ich schlafe! «. Dazu kommentiert die Schülerin: »Ich glaube nicht an Gott. Denn wenn es ihn gibt, schläft er wohl die ganze Zeit. Es würde doch sonst keine Kriege geben, keinen Hunger, Staatenspaltung, Rassenhaß, Regenwaldabholzung, Umweltverschmutzung, Ungerechtigkeit usw. […]« Ganz ähnlich die Aussage einer 15-jährigen, ebenfalls nach eigenem Bekunden nicht religiös Erzogenen: »Ich sehe das Leid und die Gewalt, die Umweltzerstörung und Gleichgültigkeit auf dieser Welt und frage mich: Wo ist Gott, der ›Allmächtige‹? Als Kind habe ich an ihn geglaubt, bis ich die Welt näher kennengelernt hatte.« Die in diesen Aussagen eindrücklich artikulierte »Enttäuschung über Gott als Helfer«, wie Nipkow es nennt, hängt sicherlich mit einer kon- Hermeneutik und Vermittlung Johannes Woyke »Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann« (Ps 77,11) Erwägungen zur Relevanz eines alttestamentlichen Klagemotivs für die Didaktik neutestamentlicher Wundergeschichten 1 ZNT 21 (11. Jg. 2008) 55 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 14 Uhr Seite 55 Hermeneutik und Vermittlung kreten Erwartungshaltung an ein Handeln, ein Eingreifen Gottes zusammen - sei es in den Lauf der Welt oder aber in das eigene Leben - und zwar einer Erwartungshaltung, die gespeist ist von traditionellen Aussagen über Gott wie etwa das Gottesepitheton »Allmächtiger«. Und die Jugendliche, die danach fragt, wo denn Gott, der Allmächtige, sei angesichts des Elends auf der Welt, muss dabei nicht unbedingt einen ›Hyperzauberer-Alleskönner‹ im Blick haben. Vielmehr scheint sie an dem Gott zu verzweifeln, von dem wir Christen bekennen, dass er als Souverän die ganze Welt in seiner Hand hält, für uns sorgt. 5 Nun spitzt sich diese Problematik in besonderem Maße zu im Zusammenhang des Erzählens biblischer, zumal neutestamentlicher ›Wundergeschichten‹. Auch dies ist hinreichend dokumentiert, so zuletzt von Tobias Ziegler in einer Untersuchung zu Zugängen Jugendlicher zur Christologie. 6 So schreibt die 17-jährige Gymnasiastin Martina: »Jesus war der Sohn Gottes. Er wollte Frieden schaffen. [...] Durch Jesus hat man erfahren, dass Gott wirklich existiert, da er ihn wieder auferstehen lassen hat, und da Jesus während seines Lebens viele ›Wunder‹ vollbracht hat, die nur durch Gottes Hilfe geschehen konnten. Jesus hat während seines Lebens viel von Gott erzählt. Aber ich frage mich, wenn Gott Frieden auf der Welt schaffen wollte, warum es auf der ganzen Welt dann immer zu Kriegen kommen kann [...] Warum lässt Gott zu, dass es so viel Schlechtes auf der Welt gibt und in vielen Ländern Hungersnot herrscht [...].« Oder, mit etwas anderer Akzentsetzung, der gleichaltrige Thomas: »Ich vermisse weitere Zeichen von Gott, oder schickt er sie uns dauernd, aber wir sind nicht aufnahmefähig? Mein Glaube würde enorm gefestigt, wenn Gott wieder Zeichen senden würde wie vor 2000 Jahren. Ich finde es beachtlich von Jesus, dass er Menschen ›mit seinen Händen heilen konnte‹ [...] Mit den Geschichten, die von Wundern erzählen, habe ich Probleme, dies zu glauben, da sie oft widersprüchlich sind. Ich würde sehr gerne ein Wunder von Gott und Jesus selber miterleben. Gott würde dadurch den Glauben von allen stärken.« Hier haben wir es offenkundig mit einer Verknüpfung, ja Konditionierung des Glaubens an Gott mit Erfahrungen zu tun, die den biblischen ›Wundererzählungen‹ analog sind. Angesichts dessen wird eine nicht geringe Anzahl ›Wunderkundiger‹ ExegetInnen und DidaktikerInnen Einspruch erheben müssen: Liegt in dieser Äußerung des Elftklässlers Thomas nicht ein grobes Missverständnis vor - eine Interpretation nämlich, welche die biblischen Wundererzählungen als historische Fakten und Gottvertrauen als Mirakelglauben missversteht? Wird nicht dadurch die Ablehnung des Glaubens an Gottes Mitsein - zumal in Jesus Christus - geradezu forciert? 7 Erkunden wir also in einem nächsten Schritt Erkenntnisse der neutestamentlichen Zunft und widmen wir uns anschließend sich daraus ergebenden didaktischen Überlegungen! 2. Wundererzählungen als unterhaltsame Mut-mach-Geschichten sog. ›kleiner Leute‹ und als zeitlos gültige Bilder der Hoffnung: Exegetische Perspektiven Zunächst einmal ist der bereits mehrfach verwen- Dr. Johannes Woyke, Studium der ev. Theologie von 1991-98 in Tübingen, Vancouver (Kanada) und Heidelberg,1. Theologische Dienstprüfung, Ev. Kirche von Westfalen. Promotion 2004 mit einer Arbeit über »Götter, ›Götzen‹, Götterbilder in der Theologie des Paulus« (BZNW 132). Seit 2003 Assistent am Lehrstuhl für Didaktik der Ev. Theologie, Universität Siegen, im WS 06 / 07 Vertretungspro fessur für Religionspädagogik, Universität Kassel. Forschungsschwerpunkte: Paulinische Theologie, Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen, Religionsdidaktik (bes. Bibeldidaktik). Johannes Woyke 56 ZNT 21 (11. Jg. 2008) 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 14 Uhr Seite 56