eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 11/21

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2008
1121 Dronsch Strecker Vogel

Kindertheologie auf dem Prüfstand

2008
Renate Hofmann
Gerhard Büttner hat in sechs Punkten dargelegt, worin das Innovationspotential der Kindertheologie zu sehen ist. Ich möchte im Folgenden aufzeigen, wo Desiderate und Probleme dieses Konzeptes liegen. 1. Vom hermeneutischen Zugang von Kindern zu biblischen Texten Natürlich machen sich Kinder Gedanken zu ihrer Welt, ihren Sachen, ihren Lebenskontexten. Auch ExegetInnen machen sich diese Gedanken. Der Versuch, die Welt zu verstehen und ihr Sinn zuzuschreiben, gehört elementar zum Menschsein. Dieses Verstehen der Welt ist Hermeneutik, denn diese wird abgeleitet vom griechischen Wort hermeneuein, welches erklären, auslegen, übersetzen heißt. Kinder erklären ihre Welt, legen sie aus und übersetzen ihnen Fremdes in ihre Sprache. Sobald ExegetInnen sich mit biblischen Texten, deren Welten und Kontexten beschäftigen, tun sie dies jedoch auf ganz spezifische Weise. Dieses Vorgehen ist eingebettet in ein Wissenschaftssystem, das sich mit diesen Zugängen zum einen primär, durch das direkte Anwenden, zum anderen sekundär, mit der Reflexion dieser Zugänge, beschäftigt. »Exegese« ist die nach bestimmten Kriterien vorgehende Beschäftigung mit biblischen Texten und schließt einen kriterienlosen bzw. intuitiven Weg aus. Das große Verdienst der Exegese liegt darin, dass für jeden und jede nachvollziehbar ist, wie die Auslegung von Texten zustande kommt und welche Vorannahmen bzw. Rahmenbedingungen der Arbeit mit den Texten zugrunde liegen. Kinder gehen hier einen anderen Weg: Sie nähern sich Texten ohne Kriterien, ohne theologische Vorannahmen an, aber mit festgesetzten Rahmenbedingungen (Elterngespräch, Klassengespräch, Kindergartengespräch) und bringen ihre je spezifischen intuitiven Theorien der Welt in Beziehung zu den Texten. 1 Im Sinne der Rezeptionsästhetik machen erst die LeserInnen aus einem Text ihren Text und es gehört nachgerade zum Prozess des Lesens und Aneignens von Texten, dass der Horizont des Textes mit dem eigenen Lebenshorizont verschmilzt - Hans-Georg Gadamer nennt das »Horizontverschmelzung«. 2 Dies ist, was in der Kindertheologie passiert. Dieses unverstellte Herangehen an Texte bringt viele Vorteile mit sich, da dadurch Perspektiven auf Texte zum Vorschein kommen, die in der Exegese sonst oft eine marginale Rolle spielen. Aber wie werden die Ergebnisse der Kinder in ein theologisches System bzw. eine Kriteriologie eingebettet? Hier liegt meines Erachtens ein Desiderat der Kindertheologie, die doch - so zeigen das die mittlerweile sechs Jahrbücher und zwei Sonderbände des Jahrbuches für Kindertheologie 3 - stetig mehr Material zu bestimmten theologischen Topoi erhebt, aber bisher nicht den Versuch unternommen hat, dieses Material im Sinne einer Systematik auszuwerten und zu bündeln. Kinder als ExegetInnen zu bezeichnen, weil sie ihre Meinung zu biblischen Texten äußern, ist meines Erachtens zu hoch gegriffen, weil eine Systematik bzw. ein Bezug zu einem Wissenschaftssystem fehlt. Die Kindertheologie kann es nicht geben, weil keine Einheitlichkeit vorhanden ist! Es müsste daher von Kindertheologien oder vom Theologisieren mit Kindern gesprochen werden. 2. Von der Kontextualität der Kindertheologie Gerhard Büttner bezeichnet die Kindertheologie als kontextuelle Theologie. Kinder entwickeln Kontroverse Renate Hofmann Kindertheologie auf dem Prüfstand Kritische Anfragen an das Konzept der Kindertheologie »Kinder als ExegetInnen zu bezeichnen, weil sie ihre Meinung zu biblischen Texten äußern, ist meines Erachtens zu hoch gegriffen ...« 50 ZNT 21 (11. Jg. 2008) 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 14 Uhr Seite 50 Kontroverse ihre Ansichten zu theologischen Themen in ihrem je individuellen Lebenskontext. Karl Ernst Nipkow fragt an, welche theologische Disziplin (biblische, systematische oder praktische) den Bezugspunkt der Kindertheologie darstelle. 4 Es ist zu beobachten, dass die KindertheologInnen - also die TheologInnen, die sich mit den kindlichen Äußerungen zu theologischen Fragen beschäftigen - größtenteils ReligionspädagogInnen bzw. praktische TheologInnen sind. Dies könnte dazu führen, dass Methodik bzw. Didaktik eine größere Rolle für die Kindertheologie spielen als Systematik oder Exegese. Die feministische Theologie als andere kontextuelle Theologie hat sich mit allen theologischen Disziplinen und Fragestellungen auseinander gesetzt und ihre je kontextabhängigen Positionen herausgearbeitet. Kontextuelle Theologie lebt davon, dass sie von den BeobachterInnen ausgehend theologische Fragen bearbeitet. In der feministischen Theologie wird zum Beispiel die Frage nach angemessenen Gottesbildern von Frauen bearbeitet. Dies geschieht im Interesse der Frauen, die sich als feministische Theologinnen bezeichnen. In der Kindertheologie wird nicht nur über angemessene Gottesbilder von Kindern reflektiert, sondern zugleich werden Kinder darum gebeten, ihre Gottesbilder zum Ausdruck zu bringen. Meines Erachtens verwischt hier die schon von Friedrich Schweitzer präzise eingeführte Unterscheidung einer Theologie der Kinder, einer Theologie mit Kindern und einer Theologie für Kinder. 5 Kindertheologie erschöpft sich in weiten Teilen in einer Theologie der oder einer Theologie mit Kindern, dies auch aus methodischen Gründen (vgl. dazu 5.). Die Büchertische zu Publikationen zur theologischen Arbeit mit Kindern, zur religiösen Früherziehung etc. biegen sich unter der großen Anzahl der Materialien, dennoch fehlt eine Verknüpfung der Erkenntnisse über die Zugangsweisen der Kindertheologie mit den praktisch daraus folgenden Ideen für eine Theologie für Kinder. So bleiben die Ansätze oft unvermittelt nebeneinander stehen. Eine Perspektive der Kindertheologie müsste meines Erachtens auch darin bestehen, die bisherigen Erkenntnisse und Ergebnisse aus den einzelnen Jahrbüchern für Kindertheologie zu bündeln und zu strukturieren, um systematisch an die Topoi der Theologie zu gelangen und damit ein Konzept zu verfolgen, dass alle theologischen Disziplinen berücksichtigt. Bisher stehen zahlreiche »Kindertheologien« nebeneinander, umso schwieriger ist es daher, von der Kindertheologie zu sprechen. Erst nach und mit einer Bündelung und Strukturierung ließe sich meines Erachtens wirklich von »Kindertheologie« als eigenständiger Theologie sprechen. Kindertheologie, wie sie sich momentan zeigt - hier kann und will ich Gerhard Büttner durchaus zustimmen -, ist kontextuelle Theologie - nicht weniger, aber auch nicht mehr! 3. Von der Synchronie kindlicher Textlektüre Kinder lesen biblische Texte synchron - auch dieser These Gerhard Büttners kann ich zustimmen. Zu prüfen ist jedoch, was dies für das Konzept einer Kindertheologie impliziert. Sowohl Synchronie als auch Diachronie sind sprachwissenschaftliche, systematische Perspektiven, die ein Thema oder eine Fragestellung in einer bestimmten Hinsicht betrachten. Synchronie bezieht sich dabei auf einen parallelen Zugang der Sprache zu den im Sprachsystem existierenden Phänomenen. Diachronie geht weiter: sie betrifft auch den Sprachwandel und damit eine dynamische Sicht auf Sprache. In der Exegese wurde lange Zeit der diachrone Ansatz bevorzugt, weil die historischkritische Exegese auch nach dem Sitz im Leben von Texten fragt, ohne den Text sofort auf die heutige Wirkung zu übertragen. Der synchrone Ansatz, den Kinder in ihrem Zugang auf Texte haben, entspricht ihrem Wunsch nach sofortiger Sinngenerierung für ihre jetzige Lebenssituation. Dies wird eindrücklich bei der Verstehensweise von »Hefata« als »He, Vater! « deutlich. 6 Das theologisierende Kind versteht das Wort nicht, kennt es auch nicht aus anderen Zusammenhängen, möchte es aber in sein aktuelles Sprachsystem assimilieren und interpretiert es daher als Anrede Jesu: »He, Vater! «, weil es synchron mit Texten umgeht und sie dementsprechend rezipiert. Kinderexegese als synchrone Exegese hat daher ihren Platz als eine mögliche Form, mit Texten zu arbeiten, wohl aber muss weiterhin geprüft werden, ob sie damit Ex-egese und nicht Eis-egese ist. Ex-egese wäre sie, wenn sie aus den Texten etwas ZNT 21 (11. Jg. 2008) 51 Renate Hofmann Kindertheologie auf dem Prüfstand 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 14 Uhr Seite 51 Kontroverse herausarbeiten würde, Eis-egese, wenn sie in die Texte etwas hineinbringt - in diesem Fall die Deutung der Kinder. 4. Von den Voraussetzungen der Kindertheologie Gerhard Büttner hat die These aufgestellt, dass der Kindertheologie - gerade was ihre Arbeit mit biblischen Texten anbelangt - Regelhaftigkeit zuzusprechen ist. Aber was besagt Regelhaftigkeit? Ist ein Herangehen an Texte immer dann regelgeleitet, wenn es nicht willkürlich ist? In den Jahrbüchern für Kindertheologie werden zahlreiche Zugänge zu mannigfaltigen Themen und Texten publiziert, die - zumindest in einer Metaanalyse - gewissen Regeln unterliegen. Woher aber kommen diese Regeln? Hängen diese nicht viel mehr als mit einer intrinsischen Theologie der Kinder mit einer relativ gleich strukturierten religiösen Erziehung der Kinder zusammen? In vielen Beiträgen der Jahrbücher für Kindertheologie wird der Eindruck erweckt, dass die Kinder von sich aus ihre eigenen theologischen Vorstellungen darlegen. Bei einer genauen Auswertung der Impulse bzw. Fragen der Erwachsenen, die mit den Kindern »theologisieren«, wird aber allzu oft deutlich, dass diese sie in eine bestimmte Richtung lenken. Der sog. Versuchsleiter- oder Rosenthaleffekt 7 besagt, dass suggestive Fragen bzw. Erwartungen des/ der Interviewerin/ s die Antworten der Interviewten beeinflussen. Gerade was die Fragetechnik bzw. die Gesprächsführungstechnik der AnleiterInnen betrifft, ist kritisch zu prüfen, inwieweit durch rhetorische oder suggestive Fragen nicht gewisse »Kindertheologien« avisiert werden. Dies wirft die erwachsenen KindertheologInnen immer wieder in dilemmatische Situationen, denn gerade kleinere Kinder theologisieren selten von sich aus und benötigen dazu gute Impulse bzw. Fragen. Wenn diese jedoch zu eng formuliert sind, werden Kinder schnell in eine Richtung gedrängt, die nicht intrinsisch geprägt ist. Die bloße Reproduktion bzw. Imitation Erwachsener bzw. kultureller Vorstellungen scheint in vielen Kinderstimmen in den Jahrbüchern für Kindertheologie durch und reagiert daher auf die Erwachsenenwelt, die die Fragen bzw. Impulse vorgibt. Wenn zum Beispiel nach dem Aussehen des lieben Gottes gefragt wird, werden zwei Präsuppositionen gemacht, die die Kinder aufgreifen können: Gott hat ein Aussehen und Gott ist lieb. Hiermit werden die Antworten der Kinder in eine bestimmte Richtung gelenkt, ohne zum Ziel zu haben, dass diese je für sich überlegen, wie sie sich Gott vorstellen. Wenn der Kindertheologie also eine Regelhaftigkeit zugesprochen werden soll, dann sind zuvorderst die theologischen Regeln der fragenden Erwachsenen bzw. der erwachsenen GesprächspartnerInnen zu betrachten. Die Vorstellungen der Kinder und deren sprachliche Ausdruckskompetenz entwickeln sich in Imitation ihrer Lebenskontexte und spiegelt diese wider. Kindertheologie müsste diese beiden Bereiche, also Kinderwelten und dazugehörige Erwachsenenwelten, immer wieder miteinander in Beziehung setzen und Kongruenzen und Abweichungen dieser Theologien prüfen, um dann in diesem Abgleich festzustellen, was wirklich von den Kindern theologisiert wird und was lediglich die Imitation der Erwachsenentheologie ist. Nur dann kann m.E. von eigenständiger Kindertheologie gesprochen werden! Dr. Renate Hofmann, Jahrgang 1976, Studium der Evangelischen Religionspädagogik, Theologie und Psychologie in Augsburg, Magister Artium 2000, Promotion zur Dr. phil. 2001. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Theologie / Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bildungsreferat der EKD. Derzeit ist sie Lektorin im Gütersloher Verlagshaus. Renate Hofmann 52 ZNT 21 (11. Jg. 2008) 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 14 Uhr Seite 52 5. Von der Schwierigkeit, die Äußerungen der Kinder empirisch zu bearbeiten Seit langer Zeit - und nicht erst angestoßen durch die Kindertheologie - wird in Theologie und Religionspädagogik empirisch gearbeitet. Innovativ an der Kindertheologie ist, dass sie das Forschungssubjekt und -objekt »Kind« gewählt hat. Kinder werden in der Kindertheologie als ExpertInnen ihrer Theologien befragt bzw. in Gespräche verwickelt und dazu aufgefordert, ihre Meinungen zu theologischen Themen zu äußern. Diese Methode des Theologisierens ist ein wichtiger Zugang zu religiösen Vorstellungen und Einstellungen von Kindern und Jugendlichen und daher ohne Einschränkungen für alle religionspädagogisch Arbeitenden von höchster Relevanz. Die Arbeit von Petra Freudenberger-Lötz 8 zu theologischen Gesprächen mit Kindern hat darüber hinaus aufgezeigt, dass Lehrende dazu gewisse Kompetenzen benötigen, die in ihrer Ausbildung initiiert und entwickelt werden müssen. Bezugnehmend auf Punkt vier meiner kritischen Prüfung der Kindertheologie ist die Theologie der Lehrenden bzw. derer, die die Gespräche mit Kindern anleiten, von großer Bedeutung für das Gelingen dieser Gespräche. Nur, wenn die GesprächspartnerInnen theologisch in ihren Positionen gesichert sind, können gute Gespräche stattfinden - so zeigt das auch die große Bandbreite sowohl geals auch misslingender theologischer Gespräche, die in den Jahrbüchern für Kindertheologie publiziert sind. Hierbei ist aber oft der Umgang mit empirischen Methoden zu bemängeln. Einerseits ist natürlich zu begrüßen, dass sich immer mehr TheologInnen und ReligionspädagogInnen zutrauen, empirische Methoden der Sozialforschung anzuwenden. Oft jedoch werden Interpretationen der Kinderstimmen schon vorgenommen, bevor überhaupt die Schritte der Beschreibung (Paraphrase) und Kategorisierung erfolgen. Empirische Methoden sind wie exegetisches Herangehen an Texte nicht willkürlich, sondern unterliegen Regeln, die Objektivität, Validität und Reliabilität empirischer Forschung garantieren sollen. In vielen Beiträgen werden wie auch immer zustande gekommene Ergebnisse präsentiert, ohne die verwendeten Erhebungs- und Auswertungsmethoden transparent darzulegen. Manche Ergebnisse scheinen konstruiert oder werden normativ gesetzt und nicht aus dem empirisch erhobenen Material hergeleitet. Viele der dargestellten »Studien« sind daher mehr Erfahrungsberichte denn empirische Forschung! Das Vorgehen kindertheologischer Forschung geht in vielen Fällen einen »klassischen Vierschritt«: (1) Es wird eine Forschungsidee entwickelt, die im Zusammenhang mit einem theologischen Topos steht. (2) Es werden durch Gespräche bzw. Interviews mit Kindern Kinderstimmen gesammelt. (3) Die erwachsenen KindertheologInnen rezipieren die erhaltenen Kinderstimmen, interpretieren diese in Bezug auf ihre Forschungsfrage und bewerten Antworten, die nicht den bereits bekannten theologischen Zugängen entsprechen, als Kindertheologie - ohne zu fragen, wie diese entstanden sind. (4) Die Ergebnisse werden gebündelt auf die gesuchte Forschungsfrage zusammengestellt und publiziert. Um explizit und den Regeln empirischer Sozialforschung folgendes empirisches Forschen handelt es sich hierbei nicht! Die Kinder sind in diesem vierschrittigen Forschungsprozess Subjekte der Inhalte, nicht aber der Deutung ihrer Theologie, denn diese erfolgt durch Erwachsene. Erst in jüngster Zeit haben einige ForscherInnen dieses Desiderat erkannt und legen den Kindern Kinderstimmen anderer Kinder vor und bitten sie, sich dazu zu äußern. Erst dadurch werden Kinder zu HermeneutInnen ihrer spezifischen Theologie. Die Ergebnisse, die als vierter Schritt von den erwachsenen KindertheologInnen publiziert werden, gleichen dabei in vielen Teilen Alltagstheorien bzw. intuitiven Theorien zu theologischen Fragestellungen. Kindertheologie ist daher in vielen Bereichen Laientheologie, die durch Impulse von außen angeregt werden muss und nach dem Schema »Aktion - Reaktion« funktioniert. Darüber hinaus wird auch der enge Zusammenhang von Sprachentwicklung und kognitiver Entwicklung vernachlässigt. Dies zeigt das schon erwähnte Beispiel zum »Hefata«. Hier ist die kindertheologische Deutung des Kindes - dass es sich um die Anrede Jesu »He, Vater! « handle - fragwürdig. Liegt hier nicht einfach ein Verhören bzw. eine Sinngenerierung des Kindes vor, ein Phänomen, dass Axel Hacke schon im »weißen Neger Wumbaba« 9 ironisch aufgegriffen hat? In seinem Handbuch des Verhörens beschreibt Hacke, wie Verhörer zu interessanten Neudeutungen ZNT 21 (11. Jg. 2008) 53 Renate Hofmann Kindertheologie auf dem Prüfstand 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 14 Uhr Seite 53 V führen, etwa wenn ein Kaplan als Kind in einer Messe das »speravimus in te« als »Sperr ab, i muss in d’Höh« verstanden hat. Der Wunsch nach der Zuschreibung von Sinn zu Dingen des Lebensalltags führt zu Neudeutungen, die aber nicht nur von Kindern, sondern auch von LaiInnen vollzogen werden (siehe 1.). Im Gegensatz zu feministischer Theologie, die von Frauen initiiert und betrieben wird, und Befreiungstheologie, die in einem bestimmten Kontext entstanden sind, ist bei Kindertheologie zu fragen, ob Kindertheologie eine Erwachsenentheologie von ReligionspädagogInnen ist, die Kinder zu den verschiedensten theologischen Themen befragen, oder ob sie von Kindern für Kinder ist. Dann müsste sie auf das Material für die religionspädagogische Arbeit mit Kindern direkt bezogen sein. Statt bewusst eigenständig Theologie zu treiben, wie dies von Friedrich Schweitzer als Kriterium der Kindertheologie postuliert wurde, braucht das Theologisieren des Anstoßes von außen. Das Theologisieren mit Kindern ist m.E. daher eine Methode, mit Kindern über theologische Themen Gespräche zu führen, aber kein eigenständiges theologisches Konzept. Im Gegenüber zur Mathematik oder Physik, wo es auf die meisten Fragen eindeutige Antworten gibt, liegt in der Theologie und der Philosophie in theologischen und philosophischen Gesprächen der Schwerpunkt auf der Suche, auf dem Weg nach plausiblen Antwortmöglichkeiten. Es gibt keine letztgültigen Antworten auf bestimmte Fragen, der Weg ist das Ziel. Das griechische Wort met-hodos bezeichnet den Weg, etwas zu erreichen, den Gang einer Untersuchung. Kindertheologie ist ein solcher Weg, ein Gang auf der Suche nach Antworten und ist eine Methode im ursprünglichen Sinn des Wortes. 6. Von den Chancen einer Kontroverse zur Kindertheologie Die neuere Exegese erleichtert es, den kindlichen Zugängen zu biblischen Texten einen Raum in der Theologie zu offerieren. Sie geht im Zuge der Konstruktivismusdiskussion 10 davon aus, dass die Frage nach der Letztgestalt von Texten nicht ein für allemal gültig geklärt werden kann. Annäherungen zwischen Kindertheologie und Exegese sind daher immer mehr möglich. Der Paradigmenwechsel, der die Theologie und hierbei speziell die Exegese prägt, schlägt sich auch in dieser Kontroverse nieder. Vor vielleicht zwanzig Jahren wäre eine Kontroverse zu diesem Thema sicherlich in einer Zeitschrift für Neues Testament so nicht möglich gewesen. In der Multiperspektivität der Postmoderne wird immer wieder deutlich, dass Differenzen die Forschung befruchten und anregen, dass Grenzen geklärt und Desiderate aufgezeigt werden müssen, dass jedoch die Differenzen nicht dazu führen, dass überhaupt kein Diskurs stattfinden kann. Die vorliegende Kontroverse ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. l Anmerkungen 1 Vgl. G. Büttner, Kinder - Theologie, EvTheol 67 (2007), 228. 2 Vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 3. Aufl., Tübingen 1972. 3 Vgl. A.A. Bucher / G. Büttner / P. Freudenberger-Lötz / M. Schreiner (Hgg.), Jahrbücher für Kindertheologie. Bände 1 bis 6, Stuttgart 2002ff. 4 K.E. Nipkow, Theologie des Kindes und Kindertheologie, ZThK 103 (2006), 422-442. 5 F. Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? , in: A.A. Bucher / G. Büttner / P. Freudenberger-Lötz / M. Schreiner (Hgg.), »Im Himmelreich ist keiner sauer.« Kinder als Exegeten (JaBuKi 2), Stuttgart 2003, 9-18. 6 Vgl. G. Büttner & P. Freudenberger-Lötz, »He Vater, heil den Mann«. Die Heilung des Taubstummen (Mk 7, 31-37) in der Interpretation von Siebenjährigen, in: ders. / Martin Schreiner (Hgg.), »Man hat immer ein Stück Gott in sich«. Mit Kindern biblische Geschichten deuten. Teil 2: Neues Testament, Stuttgart 2006, 85-94. 7 Vgl. R. Rosenthal / L.F. Jacobson, Teacher expectations for the disadvantaged, Scientific American 218 (1968), 19-23. 8 Vgl. P. Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 2007. 9 Vgl. A. Hacke / M. Sowa, Der weiße Neger Wumbaba. Kleines Handbuch des Verhörens, München 2004. 10 Vgl. G. Büttner, Kindertheologie - beobachtet. Dekonstruktive Ansichten, Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 6 (2007), 2-11. »Die Kinder sind in diesem ... Forschungsprozess Subjekte der Inhalte, nicht aber der Deutung ihrer Theologie, denn diese erfolgt durch Erwachsene.« 54 ZNT 21 (11. Jg. 2008) Kontroverse 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 14 Uhr Seite 54