eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 11/22

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2008
1122 Dronsch Strecker Vogel

Ist die Apokalyptik die Mutter der neutestamentlichen Theologie? Eine alte Frage neu gestellt.

2008
François Vouga
Die Fragestellung »Ist die Apokalyptik die Mutter der neutestamentlichen Theologie«, unter der sich Rudolf Bultmann 1964 mit Ernst Käsemann (1960 und 1962) auseinandersetzt, ist theologiegeschichtlich präzise verortet. Sie ist zum einen durch die geistige Tradition der dialektischen Theologie geprägt, die die historische Frage der gedanklichen Voraussetzung des frühchristlichen Denkens nach einem theologischen Leitinteresse stellt. Die als historisch gestellte Frage ist eigentlich sowohl für Käsemann als auch für Bultmann eine theologische. Zum anderen gehört sie zum kontroversen Dialog, den Bultmann und Käsemann über den Zusammenhang zwischen der existentialen Interpretation und der Entmythologisierung geführt haben. Für Bultmann ist die Entmythologisierung Bestandteil des hermeneutischen Programms der existentialen Interpretation, weil sie die Sprachform des Mythos, die die Präsenz der Transzendenz in der menschlichen Sprache zum sachgemäßen Ausdruck bringt, von der Immunisierungsstrategie - von der Verobjektivierung - der Mythologie befreit. Käsemann sah die Aufgabe, die Perspektive - nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrung des Kirchenkampfs - zu erweitern: Die Notwendigkeit der Entmythologisierung besteht nicht nur in der existentialen Interpretation, sondern im Kampf des Evangeliums gegen die dämonischen Mächte, die in der Welt zu herrschen glauben. Fast ein halbes Jahrhundert später nehmen Dale C. Allison und Mauro Pesce die Frage wieder auf. Die Perspektive hat sich geographisch und intellektuell verschoben: Ihre Beiträge kommen nicht zufällig aus Amerika und aus Italien - zwei Zentren der neueren Forschung zur Geschichte des frühen Christentums -, sie orientieren sich nicht an theologischen, sondern an literaturgeschichtlichen und kulturanthropologischen Ansätzen, und ihre Antworten bestehen in zwei neuen Formulierungen der von Bultmann an Käsemann gestellten Frage. Den beiden gemeinsam ist eine Problematisierung der Begriffe: - Der Begriff der Apokalyptik hat an Eindeutigkeit verloren und verlangt Differenzierungen und Präzisierungen. - Die christliche Theologie, deren Vielfalt Bultmann und besonders Käsemann programmatisch hervorgehoben hatten, lässt sich nach der Entdeckung des Textkorpus von Nag Hammadi nicht mehr als Einheit betrachten. - Die Metapher der Mutter erweist sich nicht mehr als sachgemäß und relevant, weil sie das Verhältnis von einfachen Kausalitäten impliziert, wo nur das Zusammenwirken von vielfältigen Voraussetzungen festzustellen ist. Der Beitrag von Dale C. Allison endet mit der Stellung einer kulturanthropologischen Aufgabe, die Mauro Pesce in Anschluss an mehreren Essays, die er mit der Literaturwissenschaftlerin und Anthropologin Adriana Destro veröffentlicht hat, mit einer profilierten Interpretation erfüllt. François Vouga Kontroverse Ist die Apokalyptik die Mutter der neutestamentlichen Theologie? Eine alte Frage neu gestellt. Einleitung zur Kontroverse 44 ZNT 22 (12. Jg. 2008) 081208 ZNT 22 - Inhalt 07.10.2008 16: 04 Uhr Seite 44