eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 12/23

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2009
1223 Dronsch Strecker Vogel

Das Johannesevangelium als literarisches Werk und Buch der Heiligen Schrift

2009
Hartwig Thyen
54 ZNT 23 (12. Jg. 2009) »... Doch ›Gott ist tot‹ heißt Ende der Auslegungen, der Erklärungsfunktion von Mythen, Geschichten, Symbolen an der Universität; Tod der sinntragenden Buchstaben, Tod dessen, was man allgemein - aber auch sehr exakt - Heilige Schriften nennen kann. Aufgrund einer bemerkenswerten Ausnahmeregelung blieben einige olympische Mythen von der Entmythologisierung verschont, thronen, wie der Ödipus-Mythos, weiterhin dort oben, regen das Denken an, zu neuen Dimensionen vorzustoßen, und ›geben zu denken‹. Doch eine Exegese der Heiligen Schrift als ganzer findet nicht mehr statt. Statt ihrer Exegese betreibt man das Studium ihrer Genese. Man sucht nach ihrer Ursache, Urformel oder Struktur, als gehörte sie in den Bereich ethnologischer Tatsachen.« 1 Der Titel dieses Essays kann zugleich als Motto und Quintessenz meines Johanneskommentars angesehen werden. Da ich vieles an der Art meiner Lektüre dieses Evangeliums dem Werk des großen jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas verdanke, soll der mit dem folgenden Zitat aus seinem Artikel Judaisme aus der Encyclopaedia Universalis sogleich noch einmal zu Wort kommen: »Das Ausnahmewesen des Judentums - niedergelegt in quadratischen Buchstaben (der hebräischen Schrift) und den Gesichtern der Lebenden Klarheit gebend, indem es zugleich alte Lehre und Zeitgeschichte ist - läuft es nicht Gefahr, eine mythische Vision nahezulegen, deren Spiritualität zugleich der Analyse zugänglich bleibt? Die objektive Wissenschaft - Soziologie; Geschichte, Philologie - ist bemüht, das Ausnahmewesen auf eine Regel zurückzuführen. Die okzidentalen Juden waren die Initiatoren dieser Forschung. Der Theologisch-politische Traktat Spinozas am Ende des 17. Jahrhunderts begann mit der kritischen Lektüre der Schriften. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts transformierten in Deutschland die Begründer der berühmten Wissenschaft des Judentums die Heiligen Schriften in bloße Dokumente. Die Paradoxien eines unvergleichlichen Schicksals und einer absoluten Unterweisung wurden leicht in die wissenschaftlichen Kategorien eingereiht, die für alle spirituellen Realitäten und für alle anderen menschlichen Partikularismen bereitgestellt wurden. Alles erklärt sich durch Ursachen. Vieles Ursprüngliche löst sich auf in Einflüsse, die methodisch erforscht und entdeckt werden. Das Judentum geht daraus vielleicht bewusster über seine Geschichte hervor, aber zugleich stets unsicherer über seine Wahrheit. Allerdings kann man sich fragen, ob die wissenschaftliche Thematisierung einer spirituellen Bewegung uns ihren wahren Beitrag und ihre wahrhafte Deutung eröffnet. Zeigt die Weisheit ihr Inneres und gibt sie ihr Geheimnis preis, wenn sie nicht die Kraft besessen hat, als Botschaft zu ertönen oder als Ruf zu ergehen? Das jüdische Bewusstsein findet - trotz der Vielfalt der Formen und der Niveaus, in denen es existiert - seine Einheit und seine Einzigkeit in den Stunden der großen Krisen wieder, wenn die ungewöhnliche Verbindung von Texten und Menschen, die öfters die Sprache dieser Texte nicht kennen, sich im Opfer und in der Verfolgung erneuert. Die Erinnerung an diese Krisen dient als Nahrung für die Zwischenzeiten der Ruhe.« 2 Ich denke, was Levinas hier über die berühmte Wissenschaft des Judentums sagt, gilt mutatis mutandis auch von der gegenwärtigen protestantischen Theologie, soweit auch in ihr die Heiligen Schriften zu bloßen Dokumenten und Gegenständen wissenschaftlicher oder psychologischer Analysen verkommen sind und im Anschluss an Spinozas Traktat die historisch-kritische Methode zur Heiligen Kuh des Exegeten geworden ist. Die historistische Devise: »Etwas zu verstehen, heiße zu verstehen, wie es geworden ist«, hat Herbert Schnädelbach darum völlig zu Recht den morbus hermeneuticus genannt. 3 In eben diesem Sinn hatte Karl Barth einst gefordert: »Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein« und die historische Frage nach der möglichen Genese der biblischen Bücher als eine Arbeit bezeichnet, »die vorher zu tun ist«. In ähnlichem Sinn hatte schon Nietz- Kontroverse Hartwig Thyen Das Johannesevangelium als literarisches Werk und Buch der Heiligen Schrift 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 54 Hartwig Thyen Das Johannesevangelium als literarisches Werk und Buch der Heiligen Schrift ZNT 23 (12. Jg. 2009) 55 sche derart »genetische Kurzschlüsse«, als sei die Wahrheit einer Sache identisch mit deren Entstehung und nur mit dieser aufzuklären, als »historische Krankheit« diagnostiziert. 4 Dieses Problem hat auch Christian Link sehr klar erkannt: »Soll also der Theologie der Durchbruch in die eigene Gegenwart gelingen, so muss sie mehr sein als historische Theologie. Aus der Geschichte erklären, auf sie gleichsam abschieben lässt sich ja alles, gerade auch die biblischen Aussagen. Solches ›Historisieren‹ aber bedeutet allemal, sich den verbindlichen Charakter von Aussagen, ihren Wahrheitsanspruch, vom Leib zu halten.« 5 Link zitiert dazu Gadamer: »Der Text, der historisch verstanden wird, wird aus seinem Anspruch, Wahres zu sagen, förmlich herausgedrängt.« 6 Damit komme ich zum entscheidenden Punkt meiner Kritik an der historischen Kritik und des naiven Vertrauens in ihre Leistungsfähigkeit. Wie wir seit der Wiederentdeckung und Interpretation des Schleiermacherschen Werkes durch Manfred Frank wissen, verdankt sich jede Interpretation überlieferter und zumal literarischer Texte der erratenden Divination ihrer Interpreten. Das Angewiesensein auf solche ingenuity und ihre Ausübung ist darum kein Mangel, den man als vorwissenschaftlich zu beklagen hätte, sondern nichts weniger als die Bedingung der Möglichkeit jeglicher Interpretation überhaupt. Erst, wo die Intention des Autors von den Zeichen seiner Schrift abgesprungen ist, sind sie frei, durch ihre Leser mit neuen Interpretanten besetzt und so verstanden zu werden. 7 Eine unfehlbare wissenschaftliche Methode, einen Text im Geiste der neuzeitlichen Analyse adäquat zu verstehen, ist nicht denkbar. Denn alle Texte sind stets die Summe ihrer möglichen Deutungen, deren Zahl unvorhersehbar ist. Sie appellieren an die Freiheit ihrer Leser, ihren toten Zeichen divinatorisch Sinn und neues Leben einzuhauchen. Wohl können aufgrund der grammatischen Verfasstheit von Texten methodisch unmögliche Deutungen ausgeschlossen werden. Doch auch die Überprüfung der nach Graden zu unterscheidenden Plausibilität möglicher Interpretationen ist deshalb nicht subjektiver Willkür ausgeliefert, sondern bedarf angemessener Verfahren. Deshalb »lassen sich Textauslegungen zwar motivieren, aber keineswegs, wie Schleiermacher sagt, ›mechanisieren‹. Man muss alsdann die Illusion eines ursprünglichen, mit sich identischen Textsinnes fahrenlassen und sehen, dass Text und Interpretation nicht zwei Seiten einer teilbaren Arbeit - der Produktion und der Rezeption - sind, sondern dass bereits die im Text selbst verwobenen Ausdrücke nur kraft einer Interpretation bestehen, d.h. den Status von Zeichen erwerben. Nicht die Auslegung verfehlt also - wie es die Theoretiker einer objektiven Interpretation (Betti, Hirsch u.a.) wollen - den ursprünglichen Sinn der Textäußerung; der Text selbst besitzt Sinn nur hypóthesin, nur vermutungsweise«. 8 Für jede individuelle Sprachäußerung (parole) - und das heißt zumal: für jeden literarischen Text - gilt, dass allein in ihnen Sprache wirklich existiert. Abgesehen davon ist Sprache (langue) nur ein stummes, abstraktes und bloß virtuelles Regelsystem. Obwohl jeder Sprecher und Hörer natürlich Prof. Dr. Hartwig Thyen, Jahrgang 1927, studierte von 1947 bis 1951 Evangelische Theologie zunächst in Mainz und seit 1948 in Marburg. 1951 Erstes Theologisches Examen vor dem Oberkirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg. 1953 Zweites Theologisches Examen in Oldenburg und Promotion zum Doktor der Theologie unter der Ägide von Rudolf Bultmann in Marburg. Seit 1951 zunächst Vikar und danach Pastor in Brake / Unterweser und von 1959-1963 Militärpfarrer in Oldenburg. Seit 1963 Wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg, 1966 Habilitation ebd. anschließend ebd. Privatdozent und seit 1967 Professor. Im Oktober 1992 pensioniert. Zu seinen jüngsten Buchveröffentlichungen zählen: Das Johannesevangelium, HNT 6, Tübingen 2005 sowie Studien zum Corpus Iohanneum (WUNT 214), Tübingen 2007. Hartwig Thyen 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 55 Kontroverse 56 ZNT 23 (12. Jg. 2009) notwendig den Regeln der Sprache folgen muss, wenn er verstanden werden will, so kann doch seine individuelle und schöpferische Anwendung der Regeln nicht ihrerseits wiederum von Regeln bestimmt sein. Darum ist natürlich auch das Verstehen literarischer Texte nicht normierbar. Es gibt dafür keinen Code, der bloß decodiert werden müsste. Das literarische Werk lässt sich vielmehr nur begreifen als Appell an das von seinem Autor vorausgesetzte und zugemutete freie und schöpferische Verstehen des Lesers, der, angeleitet von seinen graphischen Zeichen und der Art ihrer Verknüpfung, ihren Sinn erraten muss. Dieses Erraten nennt Schleiermacher divinieren. Obgleich alle literarischen Werke als den Regeln der Sprache und der literarischen Konventionen ihrer Zeit folgernde Produkte natürlich auch besondere Fälle des Allgemeinen der Literatur sind, sind sie doch zugleich und unaufhebbar Individuen, wie ihre Autoren, und als solche »keinem Begriff zu unterwerfen und jeder Definition entzogen«. 9 Hatte Levinas in seinem oben vorangestellten Artikel über das Judentum zu der Auflösung der Heiligen Schriften in bloße Dokumente geäußert, dass das Judentum daraus »vielleicht bewusster über seine Geschichte ... aber zugleich stets unsicherer über seine Wahrheit« hervorgegangen sei, und gefragt, ob die Weisheit denn ihr Inneres zeige und ihr Geheimnis preisgebe, »wenn sie nicht die Kraft besessen hat als Botschaft zu ertönen oder als Ruf zu ergehen«, so ist diese Frage auch an die gegenwärtig weithin auf eine zur »Wissenschaft des Christentums« reduzierte christliche Theologie zu richten. Auch von ihr muss gelten, dass nur da, wo die fremde und ins Eigene unassimilierbare Stimme des Evangeliums als Botschaft ertönt und als Ruf ergeht und mit dem Glauben beantwortet wird, sie jeden, der Ohren hat zu hören, von den Fesseln der eigenen Vergangenheit und Schuldverfallenheit zu befreien vermag. 10 Ist das richtig, dann darf man aber die Frage nach der Wahrheit des Evangeliums und deren Begründungsanspruch nicht einfach mit derjenigen nach dem »legitimen Selbstverständnis« identifizieren, wie Bultmann das unter Berufung auf Heidegger unternimmt. Wobei freilich zu beachten ist, dass Heidegger schon in Sein und Zeit im Interesse am Sein darum bemüht ist, die idealistische Subjektivität hinter sich zu lassen, während Bultmann geradezu umgekehrt die existentialen Strukturen des Daseins zur Konstruktion einer Anthropologie der transzendentalen Subjektivität benutzt. Aber die freimachende Wahrheit, von der Johannes redet (8,31ff.), liegt nicht am Grunde eines durch seine ontologische Zirkelstruktur determinierten Seienden, dem es als In-der-Welt sein »um sein Sein selbst, um seine Eigentlichkeit und Identität mit sich ginge«, sondern vielmehr in dem unvorhersehbaren äußeren Wort, das in Jesus Fleisch geworden ist und diesen vitiösen Zirkel heilsam sprengt: »Nicht der Sinn unserer Existenz, sondern die Erfahrungen, die der Glaube an Jesus macht, werden im Johannesevangelium besprochen. Diese Erfahrungen sind Erfahrungen mit dem Wort, auf das der Glaube gehört hat, und gehören insofern zu der eschatologischen Existenz in Gott« 11 Die in Joh 1,14 redenden Wir-Akteure bezeugen, dass diese Wahrheit nirgendwo anders wahrzunehmen ist als an der Gestalt und Geschichte des fleischgewordenen Logos, des jüdischen Mannes Jesus. Von ihm sagen sie: »Und wir sahen seine Herrlichkeit, voller Gnade und Wahrheit«. Darum ist die Wahrheit, von der der Prolog spricht und die das Evangelium entfalten wird, nicht eine jenseitige göttliche Wirklichkeit im Gegensatz zu der bloßen »Scheinwirklichkeit« der phänomenalen Welt, wie Bultmann 12 - und ganz ähnlich Dodd 13 - interpretieren, sondern die höchst diesseitige und konkrete Wirklichkeit und Wirksamkeit des Juden Jesus. Diese jedem philosophischen Wahrheitsbegriff - sei er nun griechischer oder hellenistisch-gnostischer Provenienz - schlechthin skandalöse Implikation der Aussage von der Fleischwerdung des Logos und ihr buchstäbliches Paradox besteht doch darin, dass hier von einem zufälligen Moment der Geschichte, nämlich von dem Auftreten der unverwechselbar singulären »Das literarische Werk lässt sich vielmehr nur begreifen als Appell an das von seinem Autor vorausgesetzte und zugemutete freie und schöpferische Verstehen des Lesers, der, angeleitet von seinen graphischen Zeichen und der Art ihrer Verknüpfung, ihren Sinn erraten muss.« 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 56 Hartwig Thyen Das Johannesevangelium als literarisches Werk und Buch der Heiligen Schrift ZNT 23 (12. Jg. 2009) 57 Person Jesu behauptet wird, sie sei die ewige Wahrheit (14,6). Von den frühen Apologeten an über Origenes und die ihm folgenden Logos- Theologien sowie die Spekulationen über die zwei Naturen Christi bis hin zu Lessings schroffem Diktum, dass »zufällige Geschichtswahrheiten der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden« können, liegt hier das ungelöste Problem. Haben die Logos-Theologen argumentiert, der historische Christus sei allein darum die ewige Wahrheit, weil er als der Logos Gottes zugleich auch derjenige der Schöpfung sei, so würde die Wahrheit nicht durch die Inkarnation in fundamentaler Weise allererst gestiftet, wie das »er wurde« (gr. egéneto) von 1,14 und 1,17 unüberhörbar erklärt, sondern der Inkarnierte wäre lediglich der Offenbarer einer präexistenten Wahrheit. 14 Im Prinzip urteilt noch Bultmann ganz ähnlich wie der Metaphysiker Origenes, auch wenn er Lessings Frage in der existenz-dialektischen Modifikation Kierkegaards aufnimmt. Zunächst ermäßigt er dazu die Behauptung der absoluten Bedeutung eines zufälligen historischen Ereignisses - das Skandalon für alles aus Prinzipien konstruierende Denken! - dadurch, dass er Jesus aller konkreten Züge seines irdischen Daseins und Weges entkleidet und ihn auf das leere Abstraktum des »Bloßen-Dass-seines-Gekommenseins« reduziert. Und sodann reduziert er die schöpferische Macht Jesu als des fleischgewordenen Logos dadurch, dass er ihr fundamental-ontologisch die Bedingung ihrer Verstehbarkeit vor-ordnet: »Das Kerygma ist als Kerygma nur verständlich, wenn das durch es geweckte Selbstverständnis als eine Möglichkeit menschlichen Selbstverständnisses verstanden wird.« 15 Für diese Möglichkeit beruft er sich auf den Johannesprolog: »Der Prolog aber sagt, dass die Bedeutung, die der Logos als Fleischgewordener hat, ihm von je eigen war: er war das Licht der Menschen. Und wenn er dies war als der Schöpfer, als die zoé (das Leben), so heißt das, dass in dem Ursprung der Existenz die Möglichkeit der Erleuchtung der Existenz, das Heil des definitiven Verständnisses ihrer selbst, gegeben war. Die Schöpfung ist zugleich Offenbarung, sofern das Geschaffene die Möglichkeit hatte, um seinen Schöpfer zu wissen und so sich selbst zu verstehen«. Bezeichnenderweise muss Bultmann zu dieser Prologlektüre aber anmerken: »Vorausgesetzt sind im Grunde die Gedanken, die im Sinne der Quelle in V.5.9-11 ausgesprochen waren«. Diese vermeintlich gnostische Quelle des Johannesprologs erscheint mir wie Bultmanns gesamte literarische Theorie der Genese des vierten Evangeliums höchst fragwürdig. 16 Aber wird hier nicht aus der Not eine Tugend gemacht? Wird hier nicht die schmerzliche Grenzerfahrung, dass ich das Anderssein des Anderen immer nur - und auch das nur hypothetisch! - in dem Maß zu begreifen vermag, indem er es mir gerade erschließt, kurzschlüssig zum hermeneutischen Prinzip allen geschichtlichen Verstehens gemacht? Wenn aber gerade dieses Unbegreifliche und Fremde, dieses Unsagbare und auf keine Weise ins Eigene auflösbare Andere des Anderen die eigentlich bewegende Kraft aller Geschichte ist 17 und hermeneutischer Klärung bedarf, dann ist dieses »hermeneutische Prinzip« Bultmanns ebenso wie jedes andere Prinzip ausgesprochen kontraproduktiv, weil es sich in letzter Konsequenz das Andere unterwirft und ins Selbe und Eigene auflöst. 18 Diese Einsicht von E. Levinas muss dann aber auch der fremden, fernen und unassimilierbaren Stimme unseres Evangeliums gegenüber gelten. Denn Jesus ist in ihm der Logos nicht als dem Bewusstsein immanentes Prinzip, sondern als die - durch das literarische Werk Johannesevangelium vermittelte - liebende Stimme des Schöpfers, demgegenüber gilt: »Heute, so ihr seine Stimme höret, so verstocket euer Herz nicht« (Ps 95,3). Solches Hören und Hörenkönnen entspringt nicht der Intentionalität des Bewusstseins und nicht dem Können eines Daseins, dem es als In-der- Welt-Sein um sein Sein selbst ginge, sondern es wird allererst durch das Sagen des Anderen zum Ich erweckt und unterhalten: »Die Herrlichkeit verherrlicht sich durch den Ausgang des Subjekts aus den dunklen Winkeln seiner Selbstbezogenheit, die - wie die Büsche des Paradieses, in denen Adam sich versteckte, als er die Stimme des Ewigen vernahm, der von Osten von dorther, wo der Tag anhebt und das Licht, durch den Garten kam - eine Ausflucht bieten angesichts der Vorladung, durch die die Stellung des Ich am Anfang und selbst die Möglichkeit des Ursprungs ins Wanken geraten. Die Herrlichkeit des Unendlichen ist die anarchische Identität des Subjekts, des Aufgescheuchten, Vertriebenen, der sich seiner Vertreibung nicht entziehen kann, ich, zur Aufrichtigkeit gelangt, indem ich dem Anderen - für den ich und vor 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 57 Kontroverse 58 ZNT 23 (12. Jg. 2009) dem ich verantwortlich bin - Zeichen gebe von ebendiesem Zeichengeben, das heißt dieser Verantwortung: ›hier, sieh mich! ‹ Sagen vor allem Gesagten, Zeugnis der Herrlichkeit. Zeugnis, das wahr ist, aber von einer Wahrheit, die nicht rückführbar ist auf die Wahrheit der Enthüllung und die nichts Sichtbares berichtet. Sagen ohne noematische Korrelation, im reinen Gehorsam gegenüber der Herrlichkeit, die gebietet ohne Dialog, in einer Passivität, die von vorneherein dem ›hier, sieh mich! ‹ untersteht …«. 19 Dass solches von dem anarchisch Gehörten selbst allererst gestiftete Hören und Hörenkönnen aller Reflexion als der Stoff, ohne den sie buchstäblich nichts zu beißen hätte, immer schon vorausgeht und sie umfängt, hatte schon Hamann in seiner Metakritik der Kritik der reinen Vernunft Kants gegen dessen bis in Bultmanns »existentiale Metaphysik« (Bayer) wirksam gebliebene unselige Trennung der reinen von der praktischen Vernunft geltend gemacht und gegen Kants Rede von der selbstverschuldeten Unmündigkeit als die Herrschaftsgebärde einer »selbstverschuldeten Vormundschaft« bloßgestellt. In seinem Setzen auf das äußere Wort und seine festen Buchstaben als das allem Denken notwendige historische und als solches »unreine Apriori« hat er damit auf seine Weise bereits den »linguistic turn« der Philosophie unseres Jahrhunderts antezipiert. 20 - In seinen beiden Essays Towards a Hermeneutic of the Idea of Revelation und The Hermeneutic of Testimony hat Paul Ricœur eindrucksvoll erwiesen, dass alle Reflexion immer schon durch ein Universum von Zeichen vermittelt und darum nie ursprünglich, sondern stets eine solche »zweiter Ordnung« ist. Darum ist das Hören auf das fremde Wort des Anderen auch nicht der regressive Verzicht auf Autonomie und auf das Wagnis, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, sondern im Gegenteil gerade die Bedingung von deren Möglichkeit. Durch die Kategorie des »Zeugnisses« hat Ricœur in seine Hermeneutik die Dimension historischer Kontingenz eingeführt, die seinem trans- oder ahistorischen Konzept der »Welt des Textes« als dem Gegenstand der Interpretation noch gefehlt hatte. Dadurch, dass es ein zufälliges Moment der Historie mit absoluter Bedeutung bekleidet, stellt erst das Zeugnis die Reflexion vor das Paradox. Doch zum unüberwindlichen Skandal wird dieses Paradox erst einem Bewusstsein, das sich in der illusionären Prätention sonnt, sich selbst begründen und mit sich identisch werden zu können. Aber »this paradox ceases to be a scandal as soon as the wholly internal movement of letting go, of abandoning the claim to found consciousness accepts being led by and ruled by the interpretation of external signs which the absolute gives of itself. And the hermeneutic of testimony consists wholly in the convergence of these two exegeses: the exegesis of self and the exegesis of external signs«. 21 Als Frucht seiner breiten und tiefgründigen Auseinandersetzung mit dem Werk S. Freuds 22 ist Ricœur jedoch genötigt, sowohl die überzogenen Prätentionen des Selbst als auch deren Entsprechungen im Gottesbild als Illusionen der Kritik zu unterwerfen. »Reden wir vom Menschen und von seinen reflexiven Erfahrungen, dann benennen wir den menschlichen Wunsch zu sein (le désir d’être)«. Ricœur schaltet damit die ontologische Reflexionsebene nicht einfach aus. Die Kernsätze der Ontologie sind aber Sätze des Wunsches und allenfalls Sätze über die Möglichkeit. Die Möglichkeit innerhalb des Wunsches zu sein, wird aber der Abarbeitung in vollständige Gewissheit entzogen. Die Sätze der Ontologie werden zugleich bestätigt als Sätze über die Illusion. 23 Darum fordern die beiden genannten ›Exegesen‹ - nämlich diejenige des Selbst und diejenige der ›Zeichen des Absoluten‹ - einander zu wechselseitiger Kritik heraus: Zur Illusionskritik der überzogenen Prätentionen des Selbst einerseits und zu einer Kriteriologie des Göttlichen auf den Spuren der biblischen Frage nach dem wahren im Unterschied zum falschen Propheten, sowie der Forderung: »Prüfet die Geister! « (1Joh 4,1) andererseits. Allein die hier geforderte Konvergenz und wechselseitige Kritik dieser beiden Exegesen vermag auch zu verhindern, dass die existentiale Interpretation Bultmanns von einem dienenden Mittel zum Ziel der Interpretation wird. Dadurch verkennt sie ihr Beschränktsein auf das existential Analogisierbare verkennt und damit zum Instrument der Herrschaft über das nicht analogisierbare Zeugnis des Anderen gerät. 24 Nach diesen breiten, aber notwendigen Ausführungen zur Hermeneutik meiner integrativen Lektüre des vierten und letzten unserer kanonischen Evangelien, die die Redaktion der ZNT aber ausdrücklich erbeten hat und deren Praxis 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 58 Hartwig Thyen Das Johannesevangelium als literarisches Werk und Buch der Heiligen Schrift ZNT 23 (12. Jg. 2009) 59 ich in meinen Kommentar im Detail vorgeführt habe, 25 muss jetzt noch ausdrücklich von der Frage Johannes und die Synoptiker die Rede sein. Da die Kontroverse zur üblichen und auch von Herrn Kollegen Theobald reproduzierten These der Unabhängigkeit des vierten Evangeliums von seinen drei synoptischen Vorläufern bereits in unserer hermeneutischen Differenz grundgelegt ist, kann ich mich jetzt auf einige Thesen zum Thema beschränken: 26 1. Schon im ältesten Textzeugen unseres vierten Evangeliums, in dem Papyrus p 66 , erscheint die seltsame Unterschrift (subscriptio) »Evangelium nach Johannes«. Analoge Zuschreibungen - sei es als Überschrift (inscriptio) oder sei es am Ende als subscriptio -, nämlich Evangelium nach Matthäus, nach Markus, nach Lukas und nach Johannes, zeichnen alle vier kanonischen Evangelien aus. Sie müssen der Feder eines nicht unvermögenden Herausgebers und Verlegers unseres Vier-Evangelien-Kanons entstammen, der durch diese einheitlichen Bezeichnungen zum einen das Wort Evangelium zum Namen einer literarischen Gattung gemacht und zum anderen die vier Evangelien voneinander unterscheidbar und damit zitierbar gemacht hat. 2. Schon weil dann die literarische Gattung Evangelium zufällig mindestens gleich doppelt geschaffen worden sein müsste und weil wir zudem keine einzige Evangelien-Handschrift kennen, die nur eines unserer kanonischen vier Evangelien enthielte, ist mir die Unabhängigkeit des Johannesevangeliums von seinen drei synoptischen Vorläufern höchst fragwürdig. 3. Martin Hengel vermutet, dass schon die Urschrift unseres Evangeliums die Subscriptio Evangelium nach Johannes enthalten habe. 27 Ich muss das bezweifeln. Denn in den Anspielungen auf die Person des Evangelisten in der Gestalt des Jüngers, den Jesus liebte, die das ganze Evangelium von seinem ersten Kapitel an durchziehen und erst in seinem Epilog (Joh 21) zum Ziel kommen, sieht Overbeck treffend »zwei ganz entgegengesetzte Interessen des Verfassers unzertrennlich ineinandergeflochten, von denen das eine darauf ausgeht, uns den Evangelisten ebenso sicher zu verbergen, wie das andere, ihn uns erraten zu lassen«. 28 4. Ich betrachte das Johannesevangelium darum als ein anonymes Pseudepigraph, das heißt als ein Buch, das als Denkmal für einen verfasst wurde, der in der Nachfolge seines Herrn als Märtyrer gestorben ist (Mk 10,35ff.). Die alten Väter haben dessen Namen richtig erraten. Aber sie haben nicht beachtet, dass der Zebedäussohn Johannes wegen seines frühen Martyriums nicht der reale, sondern nur der fiktionale Autor unseres Evangeliums sein kann. 5. Johannes der Täufer wird als »von Gott gesandter Mann namens Johannes« - sein verbreiteter Beiname Der Täufer wird im Johannesevangelium nirgendwo genannt - gleich im Prolog als der von Gott autorisierte Zeuge Jesu eingeführt. In der Nachfolge dieses Johannes, der über den, der nach ihm kommen sollte, über Jesus, bezeugt hatte: »Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen«, hat sich der reale Evangelist bis zur völligen Selbstaufgabe in die von ihm geschaffene Figur des geliebten Jüngers, des geheimen Namensvetters jenes Johannes, und in sein Werk entäußert. 29 Damit hat er dem Wort Umberto Ecos entsprochen, der »Texte Maschinen zur Erzeugung von Bedeutungen« nennt und erklärt: »Der Text ist da und produziert seine eigenen Sinnverbindungen ... Der Autor müsste das Zeitliche segnen, nachdem er geschrieben hat, damit er die Eigenbewegung des Textes nicht stört.« 30 Und auch die primären Erstleser befinden sich dem objektiven Text gegenüber in keiner grundsätzlich anderen Lage als alle späteren. »Denn in Wirklichkeit kann keine Theorie der hermeneutischen Legitimation legitim sein, außer durch den Prozess des hermeneutischen Lesens. Am Ursprung der hermeneutischen Praxis steht ein Zirkel und es ist ganz unerheblich, wie heilig oder wie vitiös er ist.« 31 6. Ist schon für die synoptischen Evangelien, deren ältestes wohl schwer bestreitbar das Markusevangelium ist, mit dessen Text Matthäus und »Schon weil dann die literarische Gattung Evangelium zufällig mindestens gleich doppelt geschaffen worden sein müsste und weil wir zudem keine einzige Evangelien-Handschrift kennen, die nur eines unserer kanonischen vier Evangelien enthielte, ist mir die Unabhängigkeit des Johannesevangeliums von seinen drei synoptischen Vorläufern höchst fragwürdig.« 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 59 Kontroverse 60 ZNT 23 (12. Jg. 2009) Lukas intertextuell spielen, das Modell der älteren Formgeschichte, wonach diese als die evolutionären Produkte von Kollektiven innerhalb eines breiten Prozesses der mündlichen Weitergabe von Jesusüberlieferung quasi naturwüchsig entstanden sein sollen, höchst problematisch, 32 so erscheint es mir gänzlich unmöglich, in Analogie dazu für einen derart poetischen und durch und durch literarischen Text wie unser Johannesevangelium eine ähnlich kollektive Vorgeschichte konstruieren zu wollen. In der Mündlichkeit folkloristischer Überlieferung gibt es den einen fixierbaren und idealen Urtext zudem überhaupt nicht. Der existiert vielmehr nur virtuell und jede seiner neuen Realisierungen durch mündlichen Vortrag ist auf ihre Weise ein neuer »Urtext«. l Anmerkungen 1 Emmanuel Levinas, Außer sich. Meditationen über Religion und Philosophie. München/ Wien 1991, 81. 2 Aus dem französischen Original übersetzt von B. Taureck in: ders., Levinas zur Einführung. Hamburg 1991, 15f. 3 Vgl. H. Schnädelbach, Vernunft und Geschichte (stw 683), Frankfurt 1987, wo der Autor Variationen über die hermeneutische Maxime vorträgt, wonach »Etwas verstehen heiße, verstehen, wie es geworden ist« (125- 151). Ebd. 126 zitiert er A. von Feuerbach: »Die Geschichte erklärt nur, wie etwas nach und nach geworden ist, wie und was dieses Etwas sei, lehrt die Geschichte nicht. Was der Geschichte angehört, ist dem Leben abgestorben«. 4 F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Kritische Gesamtausgabe, 8. Abt, I. Band, Berlin / New York 1974, 209-284. 5 Chr. Link, In welchem Sinn sind theologische Aussagen wahr? , EvTh 42 (1982), 518-540: 525. 6 H.G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 2. Aufl., Tübingen 1965, 287. 7 M. Frank, Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher, Frankfurt 1977; ders. (Hg.), Schleiermacher. Hermeneutik und Kritik (stw 211), Frankfurt 1977; ders. (Hg.), Schleiermacher, Dialektik. 2 Bde: (stw 1529), Frankfurt 2001 (Mit ausführlicher Einleitung von M. Frank. Bd: 1. 10-136); ders., Was ist Neostrukturalismus? (es 1203), Frankfurt 1984. Nach Peirce gehört zum Funktionieren eines Zeichens diese Triade: (1) das Zeichen selbst, (2) sein Objekt und (3) sein Interpretant als dasjenige, was das Zeichen in seinem Leser kraft dessen Divination erzeugt. 8 M. Frank, Die Grenzen der Beherrschbarkeit der Sprache, in: Ph. Forget (Hg.), Text und Interpretation (UTB 1257), München 1984, 181-213, ebd. 202. Vgl. ferner: Frank, Neostrukturalismus. 9 M. Frank, Das Sagbare und das Unsagbare (stw 317), Frankfurt 1990, 541; vgl. ders., Was ist ein literarischer Text und was heißt es, ihn zu verstehen? Ebd. 121-195. 10 Vgl. H. Thyen, Studien zum Corpus Iohanneum (WUNT 214), Tübingen 2007, 435ff. 11 E. Fuchs, Marburger Hermeneutik, Tübingen 1968, 157. 12 R. Bultmann, Johannesevangelium, KEK, 10.Aufl., Göttingen 1968, 332f., 133 u. 234; ders., Art. aletheia (Wahrheit), ThWNT I (1933), 239-251. 13 C.H. Dodd, The Interpretation of the Fourth Gospel, 8. Aufl., Cambridge 1968, 170ff. 14 Vgl. J.D. Zizioulas, Truth and Communion in the Perspective of Greek Patristic Thought, Iren 44 (1971), 465-470. u. I. de la Potterie, La verite dans Saint Jean (AnBib 73 u. 74), Rom 1977, II, 1025. 15 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 9. Aufl., Tübingen 1984, 589; vgl. O. Bayer, Theologie (HSystTh 1), Gütersloh 1994, 475ff.: Weil Bultmann in der Nachfolge Kants den Kosmos als das vermeintlich Verfügbare strikt von der unverfügbaren und nur im Augenblick der Entscheidung wirklichen Existenz trennt, darf das Kerygma keinen Inhalt haben, der erzählt werden kann, sondern muss auf das »Bloße Dass« seines Lautwerdens reduziert werden. Aber: »Die Existenz lässt sich ohne Selbstzerstörung nicht aus dem Kosmos lösen; eine ›Entweltlichung‹, die nicht eine Bekehrung zur Welt, eine neue Weltwahrnehmung wäre, ist eine tödliche Abstraktion. Dass Bultmann weder eine Schöpfungslehre noch eine Eschatologie - sieht man von seinem Konstrukt des Augenblicks ab - entwickelt hat, ist ganz verständlich. Er konnte es von seinem Ansatz nicht - und er wollte es auch nicht« (Bayer, Theologie, 483). 16 Bultmann, Theologie, 27, Anm. 1. Im Gegensatz zu meinem Kommentar, in dem ich mich bemüht habe, das kanonische Johannesevangelium als einen kohärenten poetischen Text zu interpretieren, so dass selbst wenn Bultmanns Quellen je existiert haben sollten - was mir aber als äußerst fragwürdig erscheint -, so muss von ihnen m.E. das entsprechend modifizierte Pauluswort (2Kor 5,17) gesagt werden: »Sind sie erst im Evangelium, so gilt von ihnen, das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden«. 17 F.-W. Marquardt, Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie; Bd. 2, München / Gütersloh 1992, 270f. 18 E. Levinas, Die Spur des Anderen, hg. u. übers. v. W.N. Krewani, 2. Aufl., Freiburg / München 1987, 188ff. 19 E. Levinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, übers. v. Th. Wiemer, 2. Aufl., Freiburg / München 1998, 317f. Vgl. zum Verständnis das erhellende Nachwort zu Levinas, Die Zeit und der Andere, Hamburg 1989, von L. Wenzler, Zeit als Nähe des Abwesenden - Diachronie der Ethik und Diachronie der Sinnlichkeit nach E. Levinas, ebd. 67-92. 20 Vgl. dazu O. Bayer, Zeitgenosse im Widerspruch. Johann Georg Hamann als radikaler Aufklärer, München 1988, 193; vgl. ders., Theologie, 475ff. 21 P. Ricœur, Essays on Biblical Interpretation, 2. Aufl., London 1981, 112; vgl. ebd. 119ff. 22 P. Ricœur, Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt 1969; vgl. auch P. Ricœur, Interpretation Theory. Discourse and the Surplus of Meaning, Fort Worth 1976. 23 M. Raden, Das relative Absolute. Die theologische 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 60 Hartwig Thyen Das Johannesevangelium als literarisches Werk und Buch der Heiligen Schrift ZNT 23 (12. Jg. 2009) 61 Hermeneutik P. Ricœurs, Frankfurt / Bern / New York / Paris 1988, 244f. Das entspricht in etwa der oben erörterten Kritik an der Identifikation von Wahrheit und Erschlossenheit. 24 Vgl. L. Steiger, Die Hermeneutik als dogmatisches Problem. Gütersloh 1961, 169ff. und W. Stegemann, Der Denkweg Rudolf Bultmanns, Stuttgart 1968, 136ff. Siehe ferner: K.E. Løgstrup, Auseinandersetzung mit Kierkegaard, in: K.E. Løgstrup / Harbsmeier (Hgg.), Kontroverse um Kierkegaard und Grundtvig Bd. 2, München 1968, 42ff. u. 226ff.; sowie K.E. Løgstrup, Systematische Theologie I, ThR 23 (1955), 259- 293. Dieser letztere Beitrag bietet eine breite und sehr grundsätzliche Auseinandersetzung mit Bultmanns Aufsätzen im zweiten Band von Glauben und Verstehen (Tübingen 1952). 25 H. Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 2005. 26 Vgl. dazu H. Thyen, Johannes und die Synoptiker, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum (WUNT 211), Tübingen 2007, 155-181. Darin habe ich mich kritisch mit der literarkritischen sowie mit der redaktionsgeschichtlichen Methode auseinandergesetzt und vorgeschlagen, im Anschluss an die Beiträge von Julia Kristeva statt der ungeeigneten und vorwiegend an der Genese interessierten Kategorien Abhängigkeit versus Unabhängigkeit diejenige der Intertextualität zu erproben .(Siehe: J. Kristeva, Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman. Deutsch in: J. Ihwe (Hg.), Literaturwissenschaft und Linguistik 111, 345-375, sowie dies., Probleme de la structuration du texte. Deutsch in: Ihwe (Hg.), Literaturwissenschaft und Linguistik Bd. 2, 84-507). Vgl. zum Problem: U. Broich / M. Pfister (Hgg.), Intertextualität, Tübingen 1985. 27 M. Hengel, Die johanneische Frage (WUNT 67), Tübingen 1993. Wie E. Betti und E.D. Hirsch scheint auch Hengel auf die vermeintliche Autorenintention als die einzige objektive Sinninstanz von Texten zu setzen, die er historisch-kritisch zu eruieren sucht. Er unterscheidet nicht den Autor im Text von dem realen Autor des Textes, der sich aller historischen Nachfrage entzogen hat. Ja selbst der Autor im Text ist auch nur kraft der erratenden Divination des Lesers (also nur hypothetisch) fassbar. Doch Hengel stellt die Frage nach dem realen Autor, den er mit dem papianischen Presbyter Johannes als dem Schulhaupt einer spezifisch johanneischen Gemeinde identifiziert. Aber die gab so wenig wie ihr vermeintliches Schulhaupt. 28 Franz Overbeck, Das Johannesevangelium, hg. v. C.A. Bernoulli, Tübingen 1911, 239. 29 Von dem realen Autor können wir und sollen wir darum nichts wissen; vgl. dazu Overbeck, Johannesevangelium, 417, und zur Sache noch meine Studien in: H. Thyen, Studien zum Corpus Iohanneum (WUNT 211), Tübingen 2007: Das Johannesevangelium als literarisches Werk, 351-369; Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1-12,9) als Palimpsest über synoptischen Texten, 182-212; Noch einmal: Johannes 21 und der Jünger, den Jesus liebte, 252-293; sowie Der Jünger, den Jesus liebte, 603-622. 30 U. Eco, Nachschrift zum ›Namen der Rose‹, München / Wien 1984, 9f. u. 13f. 31 U. Eco, Semiotik und Philosophie der Sprache, München 1985, 222. Eco fährt ebd. fort: »Die einzig mögliche Antwort auf diese Frage war praktischer Natur: die Regeln für gute Interpretationen wurde von den Türhütern der Orthodoxie geliefert, und die Türhüter der Orthodoxie waren die Sieger (politisch und kulturell gesehen) im Kampf um die Durchsetzung ihrer eigenen Interpretation.« 32 Vgl. E. Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums (BEvTh 54), München 1970, 341-360, der nachdrücklich auf die Problematik der organizistischen Wachstums-Metaphorik hingewiesen hat, die seit Herder das historische Denken und zumal die Formgeschichte beherrscht. Siehe auch W. Schmithals, Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin / New York 1985, 246ff. Neue Wege durch ein weites Feld: Hermann Steinthal Was ist Wahrheit? Die Frage des Pilatus in 49 Spaziergängen aufgerollt 2., durchges. Aufl. 2008, 206 Seiten, €[D] 24,90/ SFr 41,70 ISBN 978-3-89308-409-6 Aus der Presse: » D ie 49 Kapitel belohnen die Mühe der Lektüre mit manchem Erkenntnisgewinn ... Der Verfasser muss jedenfalls viel erfahren und lange nachgedacht haben, um ein solches Buch zu schreiben.« NZZ Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen · Fax (07071) 979711 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 61