eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 12/24

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2009
1224 Dronsch Strecker Vogel

Jeffrey P. Greenman, Timothy Larsen, Stephen R. Spencer (Hgg.): The Sermon on the Mount Through the Centuries. From the Early Church to John Paul II. Brazos Press. Grand Rapids (Mich.) 2007, 280 S., ISBN 1587432056

2009
ZNT 24 (12. Jg. 2009) 61 Buchreport Jeffrey P. Greenman, Timothy Larsen, Stephen R. Spencer (Hgg.): The Sermon on the Mount Through the Centuries. From the Early Church to John Paul II. Brazos Press. Grand Rapids (Mich.) 2007, 280 S., ISBN 1587432056 Nach »Reading Romans through the Centuries: From the Early Church to Karl Barth« (2005) folgt mit dem anzuzeigenden Buch ein weiterer rezeptionsgeschichtlicher Sammelband gleichen Zuschnitts, nun zur Bergpredigt. Er ist aus einer 2005 am Wheaton College (Illinois) veranstalteten Tagung hervorgegangen. Angesichts der gegenwärtigen Hochschätzung der Rezeptionsgeschichte biblischer Texte innerhalb und außerhalb der Bibelwissenschaften - unübersehbar spätestens seit der Ankündigung der auf 30 Bände angelegten »Encyclopedia of the Bible and Its Reception« (de Gruyter) - sind weitere Bände zu erwarten und in der Sache wünschenswert. In elf Beiträgen in zum Teil paarweiser Darstellung wird ein Bogen von der Väterzeit bis ins ausgehende 20. Jh. geschlagen. Margret Mitchell eröffnet den Band mit Johannes Chrysostomus, der die Bergpredigt in den Homilien 15 bis 24 seiner 90 Homilien umfassenden Auslegung des Matthäusevangeliums behandelt hat. Auf zweierlei legt Mitchell ihr Augenmerk: Auf die Wahrnehmung und Würdigung der Bergpredigt als eines eigenen, rhetorisch gestalteten Redestücks innerhalb des Matthäusevangeliums durch den rhetorisch ausgebildeten Chrysostomus, und auf die überaus selbstbewusste Konfrontation der Bergpredigt als des Grunddokuments einer christlichen politeia mit dem gleichnamigen Werk Platons. Chrysostomus attestiert der Bergpredigt durchweg einen planvollen Aufbau, etwa wenn er den Seligpreisungen ein psychagogisches Stufenschema unterlegt, und er sieht in ihr ein Stück praktischer Philosophie, die durch ihre erwiesene Einheit von Lehre und Tat den heidnischen Philosophen überlegen ist. Bemerkenswert ist auch, wie selbstverständlich Chrysostomus Paulus völlig widerspruchsfrei zur Bergpredigt und zur matthäischen Theologie überhaupt ins Verhältnis setzt. Auch Augustin (R.L. Wilken) stellt die Bergpredigt in einen weit ausgreifenden biblischen Kontext, doch treibt er das intertextuelle Spiel mit (kritisch geurteilt) weit abgelegenen Bibelstellen viel weiter als Chrysostomus. Weil er die Bergpredigt als Lebensregeln für die »Vollkommenen« und ihre Befolgung als Geistesgabe ansieht, bringt er etwa die (nach seiner Zählung) acht Seligpreisungen - in Wahrheit seien es sieben, weil die letzte die erste wiederholt - mit den sieben Wirkungen des Geistes aus Jes 11,1 ins Gespräch. Augustins Interpretation »is driven by a kind of interior guidance system powered by the scriptures. A key to Augustine’s exegesis is to be found (...) in the maxim Scriptura scripturam interpretat« (56). Der für die Schrifthermeneutik des 12. Jh. wichtige Hugo von St. Victor (B.T. Coolman) erweitert die beiden Siebener-Reihen Augustins in seiner Schrift »De quinque septenis« zu derer fünf, ergänzt um die sieben Todsünden, die sieben Vaterunser- Bitten und sieben aus den Seligpreisungen gewonnenen Tugenden. Mithin stammen drei dieser Reihen aus der Bergpredigt, die auf diese Weise zwar nicht als eigene Komposition zu ihrem Recht, aber vielleicht doch insofern zu Wort kommt, als sie in den genannten Stücken Teil eines Ordo Salutis wird, der die in den Todsünden sich manifestierende Verderbnis der menschlichen Natur in einem spirituellen Wachstumsprozess zu überwinden vermag. Einen Exkurs von der Theologie in die Dichtung unternimmt der Band mit Dantes »Göttliche[r] Komödie« und Chaucers »Canterbury Tales« (D.L. Jeffrey). Dante steht ganz in patristischer und scholastischer Tradition, wenn er ein aus den Seligpreisungen gearbeitetes mystisches Stufenschema in seinen Gang durch das Purgatorium einfügt. Chaucer dagegen entwirft anhand von Bergpredigt- Zitaten ein durchaus diesseitiggegenwärtiges Programm persönlicher Läuterung, die sich im sozialen wie im politischen Bereich auswirken soll. In zwei Beiträgen kommt mit Luther (Susan E. Schreiner) und Calvin (S.E. Spencer) die Reformationszeit an die Reihe. Für Luther wird die Bergpredigt nachgerade zu einem Text der mönchischen und täuferischen Widerlager, deren Bekämpfung Luther als Kampf gegen den Satan dämonologisch überhöht hat. Es entsteht der durchaus tragische Eindruck, Luther wäre mit einem Neuen Testament ohne Bergpredigt, deren elitär-mönchische oder radikal-täuferische Interpretation so nahe zu liegen schien, besser zu Rande gekommen. So musste er sich fortwährend an rechtfertigungstheologischen Klarstellungen abarbeiten, wie die Bergpredigt nicht zu verstehen sei. »There is a terrible sense of urgency in Luther’s interpretation of the Sermon on the Mount« (127). Mit Calvin geraten wir in das ruhi- 072209 ZNT 24 Inhalt 22.09.2009 14: 14 Uhr Seite 61 Buchreport 62 ZNT 24 (12. Jg. 2009) gere Fahrwasser einer redaktionskritisch reflektierten Lektüre der Bergpredigt als einer losen Spruchsammlung, die Mt und Lk je unterschiedlich arrangiert haben, die zugleich aber eine Summe der Lehre Jesu darstellt, freilich bar jeder Radikalität: Der Herr habe nur das übertriebene Sorgen verboten, nicht das Sorgen überhaupt, etc. Unangefochten verortet Calvin sein Verständnis der Bergpredigt im Kontinuum von Altem und Neuem Bund, innerhalb einer Synthese von Gesetz und Evangelium. M. Noll stellt in seinem Beitrag über John Wesley die eminente Bedeutung der Bergpredigt für das Denken Wesleys wie auch für die soziale Prägung des Methodismus dar. Wesley nannte die Bergpredigt, der er 13 seiner 44 standard sermons gewidmet hat, »the noblest compendium of religion which is to be found even in the oracles of God« (153). Timothy Larsen ergänzt die angelsächsische Perspektive um die Bergpredigt- Rezeption durch Charles H. Spurgeon, den calvinistischen Baptisten und »straight-shooting conservative evangelical« (187). Gerade seine Auslegungen der Bergpredigt zeigen indes seine Vertrautheit auch mit patristischen und mittelalterlichen Autoren wie überhaupt eine erstaunliche Vielschichtigkeit seiner Theologie und Spiritualität. Dietrich Bonhoeffer und der mennonitische Theologe, Barth-Schüler und radikale Pazifist John H. Yoder werden wiederum in einem Paarbeitrag behandelt (S. Hauerwas). Gemeinsam ist beiden das Insistieren auf der Sichtbarkeit der Kirche in der Welt und ihre sichtbare Unterscheidbarkeit innerhalb der Welt. Damit erhält die Bergpredigt von selbst eine politische Relevanz, die freilich bei Bonhoeffer mit dem Konzept der individuellen Nachfolge verknüpft, bei Yoder dagegen stärker von der um das neue Gesetz Jesu sich bildenden neuen Gemeinschaft her gedacht wird. Etwas mühsam gerät der Vergleich zwischen Johannes Paul II. und Leonardo Boff als zwei denkbar gegensätzlichen Positionen innerhalb der römisch-katholischen Kirche (W.T. Cavanaugh). Zu unterschiedlich sind die Fragestellungen, als dass es gelänge, beide Theologen auf dem Boden der Bergpredigt einander anzunähern. Jeffrey P. Greenman nimmt den Schlussbeitrag über den Evangelikalen John R.W. Stott zum Anlass, den Predigern gegenüber den akademischen Theologen als Schriftauslegern den Vorzug zu geben. Weil die Predigt, nicht die wissenschaftliche Exegese die Brücke zur Gegenwart schlage, gelte: »The preacher, rather than the critical commentator is the true interpreter of Scripture« (280). Überblickt man jedoch den weiten Weg vom vierten bis zum Ende des 20. Jh., lernt man die methodisch geleitete Rückfrage nach der Bergpredigt in ihrem originären literarischen und kulturellen Zusammenhang als Proprium neutestamentlicher Wissenschaft einmal mehr schätzen, denn was nach Mt 11,12 vom Reich Gottes gilt, gilt von der Bergpredigt allemal. Man nehme nur die gängige Spiritualisierung der Brotbitte des Vaterunsers durch den Brückenschlag zur vierten Seligpreisung oder, schlimmer noch, die seit der Väterzeit übliche Entstellung der Seligpreisung der Trauernden zu einem Lobpreis echter Bußgesinnung. So gilt: Die Rezeptionsgeschichte bestätigt und bestärkt die neutestamentliche Wissenschaft darin, Anwältin der Fremdheit der Texte zu sein. Wenn die Predigtarbeit ihr Plädoyer hört, kann sie nur gewinnen. Manuel Vogel 072209 ZNT 24 Inhalt 22.09.2009 14: 14 Uhr Seite 62