eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 12/24

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2009
1224 Dronsch Strecker Vogel

»Bergpredigt – Politik des Evangeliums?«

2009
Eckart Reinmuth
ZNT 24 (12. Jg. 2009) 41 Die politische Relevanz des christlichen Glaubens systematisch auszublenden, sei die eigentliche Häresie unserer Zeit, hat der griechische Philosoph Christos Yannaras, emeritierter Professor der Panteion Universität in Athen, kürzlich festgestellt. Aber die Bergpredigt? Ist sie als Testfall geeignet? Die Alternative, die Bergpredigt als moralisches oder gar politisches Programm oder doch eher als lebensferne Utopie einzuschätzen, gehört bereits zu den Ablagerungen ihrer Wirkungsgeschichte. Sie hat dazu beigetragen, dass von diesem vielleicht bekanntesten neutestamentlichen Text nicht mehr allzu viel erwartet wird. Die Kontroverse in diesem Heft klingt anders. Sie überholt wie selbstverständlich unfruchtbare Fragestellungen, die bis vor nicht allzu langer Zeit die beherrschenden Auslegungsalternativen markierten. Die beiden Kontrahenten dieses Heftes eint die Überzeugung, dass die Anstöße der Bergpredigt unersetzliche Impulse jenseits von Alternativen bieten, die uns mit dem Anschein der Alternativlosigkeit im Griff haben. Wie sieht politische Verantwortung aus, und worauf kann ein Handeln gründen, das sich von der permanenten Reproduktion dominierender Alternativen befreit hat? Wo hätte solche Befreiung anzusetzen? Der Neutestamentler François Vouga nimmt seinen Ausgangspunkt beim paradoxen Entwaffnungseffekt der Bergpredigt: Offensiv kommunizierte Schwäche kann zur Schwäche der Macht werden. Hier entspinnt sich ein Gedankengang, der ins Zentrum gegenwärtiger Problemstellungen führt. Weder die Gerechtigkeit als die »bedingungslose Anerkennung der Personen« noch die Vollkommenheit können über das Definieren von Eigenschaften bestimmt werden - diese für die Bergpredigt zentralen Begriffe bilden vielmehr das Ende aller Vollkommenheitsideale. Dem entspricht eine Theologie der Schönheit, die die Schöpfung als Gestalt der Großzügigkeit Gottes zu sehen lernt. Politische Relevanz hat die Bergpredigt folglich nicht im Sinne einer Programmschrift, sondern als Plädoyer für die Stärkung des Politischen als dem Diskurs, in dem politische Verantwortung vor anthropologischen und theologischen Horizonten reflektiert wird. Auch die Politikwissenschaftlerin Tine Stein geht davon aus, dass Politik von sie bestimmenden Voraussetzungen lebt, deren Diskussion dringend erforderlich ist. Folglich müssen im Zeichen eines konstruktiven Dialogs Politik und Religion unterschieden werden, um einander befruchten zu können. Gilt doch die universale Botschaft der Bergpredigt keiner politischen Gemeinschaft, sondern allen Menschen im Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft. Damit wurde die reichsrömische Verschmelzung von Religion und Gesellschaft nachhaltig aufgebrochen - mit der nachhaltigen Wirkung, ›Politik‹ als begrenzte und relationierte Größe zu verstehen. Nicht weniger bahnbrechend war im antiken Kontext die unbedingte Anerkennung des Anderen als Person, für die die Bergpredigt einen der wirkungsvollen Basistexte bildet, weil sie die gültigen sozialen Kriterien gleichgültig machte. Hier gründet eine Auffassung der Menschenwürde, die bis heute wirkt. Die Bergpredigt wird wieder spannend. Lassen Sie sich einladen zu einer Kontroverse, die umso bemerkenswerter ist, als hier zwei unterschiedliche Ansätze zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Eckart Reinmuth Kontroverse Einleitung zur Kontroverse »Bergpredigt - Politik des Evangeliums? « 072209 ZNT 24 Inhalt 22.09.2009 14: 13 Uhr Seite 41