eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 13/25

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2010
1325 Dronsch Strecker Vogel

Kurt Erlemann Unfassbar? Der Heilige Geist im Neuen Testament Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 2010 Paperback 211 Seiten ISBN: 978-3-7887-2426-9 Preis: 16,90 €

2010
Kristina Dronsch
ZNT 25 (13. Jg. 2010) 95 Buchreport Kurt Erlemann Unfassbar? Der Heilige Geist im Neuen Testament Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 2010 Paperback 211 Seiten ISBN: 978-3-7887-2426-9 Preis: 16,90 € Schon eine ganze Weile hat man auf eine deutschsprachige Gesamtdarstellung zum Thema Geist im Neuen Testament warten müssen, nun liegt sie vor - und alleine die schlichte Präsenz des Buches ist sehr begrüßenswert, denn sie schließt eine seit Jahren vorhandene Lücke im Bereich neutestamentlicher monographischer Literatur. Auf gut 200 Seiten führt der Neutestamentler Kurt Erlemann in die Rede vom Heiligen Geist ein, wobei der Fokus der Untersuchung auf den Wirkungen des Geistes liegt, die durch die exegetische Arbeit an den Texten zu erheben sei. Ziel des vorliegenden Buches ist es, »ein buntes Kaleidoskop von Geistwirkungen, aber auch von Vorstellungen und Konzepten über den Heiligen Geist« (S. 3) sichtbar zu machen, die als textualisierte Momentaufnahmen die Vielfalt der Entwicklung von Geistvorstellungen bezeugen. Das Buch ist didaktisch ansprechend aufgebaut: Es besteht aus 14 Kapiteln, an deren Ende jeweils die wichtigsten Ergebnisse noch einmal zusammengefasst sind und diverse Anfragen, die sich nach Auskunft des Verfassers durch die Diskussion mit Studierenden der Evangelischen Theologie in Wuppertal maßgeblich ergeben haben, beispielsweise »Ist der Geist eine Person? « (S. 23) oder »Worin zeigt sich heute inspirierte Rede? « (S. 135), runden zahlreiche Kapitel ab und geben dem Buch einen lebensweltlich orientierten Zuschnitt. Im Anhang findet sich neben einem Schlagwortverzeichnis auch eine Liste erklärter theologischer Fachbegriffe sowie eine Auswahl außerbiblischer Texte, die für die Geistthematik relevant sind, und eine - wenn auch äußerst knapp gehaltene - Liste mit Literatur zum Weiterlesen. Angesichts der oben genannten Zielsetzung des Buches mag es auf den ersten Blick verwundern, wenn der Verfasser nun nicht einen Aufbau wählt, der das erwähnte bunte Kaleidoskop der Geistwirkungen anhand der einzelnen Schriften des Neuen Testaments entfaltet, sondern in gleichsam theologischphänomenologischer Zuspitzung seine Kapitel anordnet und erst in Kapitel 13, wenn auch dem längsten Kapitel des Buches, unter der Überschrift »Viele Schriften - viele Geistvorstellungen« auf die unterschiedlichen Geistkonzeptionen zu sprechen kommt (S. 155-182). Die Kapitel 1-12 weisen demgegenüber einen deutlich thematischen Zugriff auf. Nach dem einleitenden Kapitel erfolgt in Kapitel 2 unter der Überschrift »Der Geist, die Geister und der Mensch« (S. 6-25) eine ausführliche Begriffsklärung sowie die Hinführung zu der für die Bibel grundlegenden Unterscheidung zwischen dem Leben schaffenden Geist und dem Leben bedrohenden Geist. Erlemann arbeitet heraus, dass die Fähigkeit der Unterscheidung zwischen Geist und Ungeist in der Bibel als ausgezeichnete Weise der Geistes-Gegenwart gelten kann, denn von »den Menschen aus überwindet der Geist Gottes die widergöttlichen Mächte« (S. 23). In Kapitel 3 unter der Überschrift »Der Geist und Israel« (S. 26-39) arbeitet der Verfasser die in der neutestamentlichen Forschung größtenteils geteilte Grundeinsicht heraus, dass die Rede vom Geist im Neuen Testament entscheidend von der alttestamentlich-frühjüdischen Tradition geprägt wurde. Der große alttestamentliche Bogen vom Geist als Schöpferkraft, über die exklusive Geist- Begabung ausgewählter Individuen bis hin zum Geist als gestalterische Kraft der Endzeit, auf der die eschatologischen Hoffnungen Israels ruhen, seien die Traditionsstränge, an die »das Neue Testament mit seiner Christologie und seinen Geistvorstellungen« anknüpft (S. 37). Die in Kapitel 4 unter der Überschrift »Der Geist und der Sohn« herausgearbeitete Geistbegabung Jesu von Nazareth, dem »Geistträger par excellence« (S. 40), stellt deshalb heraus, dass das Charisma Jesu, als die erfahrbare Seite des Geistes, vor dem Hintergrund der Messiastraditionen Israels zu verstehen sei. Doch nicht nur die Wirkungen des Geistes sind an Jesus »urbildlich ablesbar, sondern der Heilige Geist bezeugt umgekehrt auch die Identität und Vollmacht Jesu« (S. 47), was so zu verstehen sei, dass Jesus im Rahmen seiner messianischen Rolle »den Geist der Sanftmut und Gerechtigkeit bis zur letzten Konsequenz« lebt und »damit authentisch seine göttliche Vollmacht« (S. 49) ausweist. Danach werden in theologisch-phänomenologischem Zugriff Facetten neutestamentlicher Geistvorstellung aufgearbeitet: der Geist und das Leben (Kapitel 5), der Geist und die (Gottes-)Erkenntnis (Kapitel 6), der Geist und die Wahrheit (Kapitel 7), der Geist und das Böse (Kapitel 8), der Geist und das ethische Verhalten (Kapitel 9), der Geist und die Gemeinde (Kapitel 10), der Geist und die Verbreitung des Evangeliums (Kapitel 11) sowie der Geist und die Erlösung (Kapitel 12). Seinen sachlichen Grund hat dieser Zugriff in einer vom Autor präferierten theologischen Grammatik, deren Grundüberzeugung es ist, dass der »Heilige Geist […] in der neutestamentlichen Theologie seine fest umrissene und begrenzte Funktion« (S. 195) habe, die sowohl den Sinn als auch die Verbindlichkeit der Rede vom Geist garantiere. Durch dieses Sprachspiel, in das Erlemann die Rede vom Geist hineingestellt sieht, grenzt er sich einerseits von einer Gleichsetzung der neutestamentlichen Rede vom Geist mit dem exzessiv in der Gegenwart kursierenden Begriff Spiritualität ab, wendet 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 95 96 ZNT 25 (13. Jg. 2010) sich andererseits auch gegen eine Verabsolutierung der Rede vom Geist (vgl. z.B. die Ausführungen auf S. 192f.). Das Kapitel 5 arbeitet innerhalb der theologischen Grammatik mit Blick auf den Heiligen Geist heraus, dass Geistträger - einst und heute - Lebensspender sind, denn sie sind berufen, »Gottes Leben spendende Kraft weiterzugeben, den Menschen Hoffnung zu bringen und sie zu neuem Leben zu befreien« (S. 55); Kapitel 6 zeigt im Gespräch mit den neutestamentlichen Texten auf, dass die Gotteserkenntnis »zu den ersten und wesentlichen Gaben des Heiligen Geistes« (S. 67) gehört, die das Wissen zur heilvollen Lebensgestaltung ermöglicht. In Kapitel 7 wird der Zusammenhang von Geist und Glauben sowie die Rolle des Geistes bei der Schriftauslegung näher betrachtet. Hier stellt Erlemann die disseminative Kraft des Geistes heraus, der die Wahrheit über Gott und seinen Sohn unter die Menschen bringt, »sei es durch inspirierte Propheten und Verkündiger, die den Glauben der Menschen wecken, sei es durch inspirierte Schriftauslegung« (S. 71). Innerhalb dieses medialen Prozesses werde zur Klärung zwischen guten und unguten Geistern beigetragen. Nach Erlemann ist der Heilige Geist der göttliche Protagonist, der die Sabotage des göttlichen Heilsplanes durch das Böse verhindere, denn »gegen die subtilen Wirkmechanismen des Bösen stellt Gott seinen Geist« (S. 95), wie in Kapitel 8 verdeutlicht wird. In Kapitel 9 wird demgegenüber vom Standpunkt einer »inspirierten Ethik« (S. 97) aus das Leben jenseits des Bösen dargestellt, in der das Wohl der Gemeinschaft und Gottes schalom als die Bezugsgrößen für menschliches Handeln gelten. Diese ethische Profilierung des Geistes wird in Kapitel 10 in ekklesiologischer Perspektive weiter ausgezogen, in der der Raum des Geistes als der Raum der Gemeinschaft entfaltet wird. In Kapitel 11 wird der Heilige Geist im Neuen Testament als ein Mittel der »effektiven Verkündigung« (S. 134) aufgearbeitet; welches »der Wahrheit über Gott und seinen Heilsplan in der geistlosen Welt« Gehör verschaffe. Als letzte Facette der theologisch-phänomenologischen Grammatik widmet sich Erlemann in Kapitel 12 dem Geist als Gabe der Endzeit, in der der Geist als »das bedeutendste Zeichen der nahe bevorstehenden Vollendung« dargelegt wird (S. 152). Mit Kapitel 13 rücken die divergierenden Geistkonzeptionen der neutestamentlichen Schriften in den Fokus der Betrachtung. Das, was dieses Kapitel auszeichnet, ist zweifellos, dass nicht nur die ›Klassiker‹ neutestamentlicher Pneumatologien gewürdigt werden, wie die Protopaulinen, das lukanische Doppelwerk oder die johanneischen Schriften, sondern dass der Blick auf die oft wenig bekannten Nebenschauplätze gelenkt wird. So wird der Heilige Geist im Matthäusevangelium als »die Speerspitze Gottes im Kampf gegen die widergöttlichen Mächte« (S. 161) erschlossen, der Hebräerbrief wird als Exempel gelesen, dass das Thema Geist nicht nur als charismatische Erfahrung ins Blickfeld der neutestamentlichen Autoren gerät und die Offenbarung wird verstanden als Schrift, in der das »geistgewirkte Wissen um die endzeitlichen Vorgänge« [...] »die Glaubenden auf die Spur der Nachfolge« (S. 182) setzt. In Kapitel 14 schließt sich mit einer gewissen Redundanz der Kreis, indem unter der Fragestellung »Viele Schriften - ein Geist? « die roten Fäden ausgezogen werden, die sich nach Sicht des Verfassers aus der dargelegten Grammatik des Geistes ergeben. Nicht nur, dass der Geist der Stabilisierung der Glaubenden, der Vergewisserung der Glaubensgrundlagen und der Bestärkung der christlichen Hoffnung diene, vielmehr sei der Heilige Geist »Gottes Mittel der Wahl, um sein Versöhnungs- und Erlösungswerk in der noch bestehenden Welt auf sanfte Art und Weise vorwärts zu treiben« (S. 195). Mit diesem großen Bild, welches den Bogen von den alttestamentlich-frühjüdischen bis hin zu den neutestamentlichen Geistvorstellungen spannt, hebt Erlemann das für ihn dominierende Proprium hervor: der Geist als das aktive Wohin von Gottes Geschichte mit den Menschen. In der Vielfalt der Geistvorstellungen geht es Erlemann also nicht um die Unfassbarkeit des Geistes, sondern um das substantiell Markante aller Geistkonzepte im Neuen Testament: »Mit seinem Geist gibt Gott seinen Wesenskern, der auf liebende Versöhnung mit der Welt gerichtet ist, zu erkennen« (S. 196). Man kann gewiss kritisch einräumen, dass diese substanzontologische Zuspitzung nur um den Preis gewisser Ausblendungen zu haben ist. Diese betreffen nicht nur die Ausklammerung der im Zusammenhang mit der Thematik relevanten griechisch-römischen Pneumavorstellungen, sondern auch das seltsam in der Schwebe bleibende Verhältnis eines erfahrungsgesättigten Geistbegriffs à la Gunkel zu einem theoriegesättigten Geistverständnis, wie es Horn formulierte (der leider nicht im Literaturverzeichnis mit seiner einschlägigen Monographie genannt wird) und welches bei Erlemann in Sätzen wie dem folgenden implizit mitgedacht werden muss: »In allen Phasen neutestamentlicher Theologiebildung wird mit dem Geist argumentiert, da die Unsichtbarkeit der neuen Heilswirklichkeit zu theologischen Antworten zwang, die die Unsichtbarkeit als Folge einer inneren, letztlich von Gott selbst begründeten Logik zu verstehen halfen« (S. 192). Dennoch: Es ist Erlemanns Verdienst, mit seinem Buch das Thema Geist endgültig aus seinem Appendix-Dasein innerhalb der deutschsprachigen exegetischen Literatur befreit zu haben und zu Recht zu einem zentralen Topos neutestamentlicher Theologien erhoben zu haben. Kristina Dronsch Buchreport 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 96