eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 13/25

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2010
1325 Dronsch Strecker Vogel

Geistesgegenwart

2010
Hermann Deuser
I. Nicht nur den prägnant übertriebenen Satz, die europäische Philosophie bestehe aus nichts als Fußnoten zu Platon, hat der englisch-amerikanische Mathematiker und Philosoph A. N. Whitehead der neueren Geistesgeschichte ins Stammbuch geschrieben, sondern auch die nicht weniger subtile religionsphilosophische Beobachtung: In dem neutestamentlichen Satz »Bleibe bei uns; denn es will Abend werden« sei unwiderruflich die augenblickshafte »Intensität« von fließendem Vergehen und unvergänglicher »Beständigkeit« zum Ausdruck gebracht, kurz: das »ganze Problem der Metaphysik« ebenso wie der Trost des Evangeliums: »Zeit […] wird zum ›bewegten Bild der Ewigkeit‹.« 1 Die Emmaus-Perikope (Lk 24,13-35) ist beispielhaft für die Präsenz des Auferstandenen - der sich entzieht im Augenblick des Erkennens (V. 31: »Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr.« 2 ); und so wird die erzählte Hermann Deuser Geistesgegenwart Pneumatologie und kategoriale Semiotik 78 ZNT 25 (13. Jg. 2010) Hermeneutik und Vermittlung Erscheinung des Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus - [Lutherbibel 1912] 13 Und siehe, zwei aus ihnen gingen an demselben Tage in einen Flecken, der war von Jerusalem sechzig Feld Wegs weit; des Name heißt Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. 15 Und es geschah, da sie so redeten und befragten sich miteinander, nahte sich Jesus zu ihnen und wandelte mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, daß sie ihn nicht kannten. 17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr zwischen euch handelt unterwegs, und seid traurig? 18 Da antwortete einer mit Namen Kleophas und sprach zu ihm: Bist du allein unter den Fremdlingen zu Jerusalem, der nicht wisse, was in diesen Tagen darin geschehen ist? 19 Und er sprach zu ihnen: Welches? Sie aber sprachen zu ihm: Das von Jesus von Nazareth, welcher war ein Prophet mächtig von Taten und Worten vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Obersten überantwortet haben zur Verdammnis des Todes und gekreuzigt. 21 Wir aber hofften, er sollte Israel erlösen. Und über das alles ist heute der dritte Tag, daß solches geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt etliche Weiber der Unsern; die sind früh bei dem Grabe gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben ein Gesicht der Engel gesehen, welche sagen, er lebe. 24 Und etliche unter uns gingen hin zum Grabe und fanden’s also, wie die Weiber sagten; aber ihn sahen sie nicht. 25 U ND ER SPRACH ZU IHNEN : O IHR T OREN UND TRÄGES H ERZENS , ZU GLAUBEN ALLE DEM , WAS DIE P ROPHETEN GERE - DET HABEN ! 26 M USSTE NICHT C HRISTUS SOLCHES LEIDEN UND ZU SEINER H ERRLICHKEIT EINGEHEN ? 27 U ND FING AN VON M OSE UND ALLEN P ROPHETEN UND LEGTE IHNEN ALLE S CHRIFTEN AUS , DIE VON IHM GESAGT WAREN . 28 Und sie kamen nahe zum Flecken, da sie hineingingen; und er stellte sich, als wollte er weiter gehen. 29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 30 U ND ES GESCHAH , DA ER MIT IHNEN ZU T ISCHE SASS , NAHM ER DAS B ROT , DANKTE , BRACH ’ S UND GAB ’ S IHNEN . 31 Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. 32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege, als er uns die Schrift öffnete? 33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten wieder gen Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren, 34 welche sprachen: Der HERR ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen. 35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wäre an dem, da er das Brot brach. Szene zum Bild der Geistesgegenwart des Auferstandenen, ganz ohne dass das Evangelium selbst die theologische Theorie des Hl. Geistes explizit machen müsste: Auf dem Weg nach und zuletzt im Dorf Emmaus geschieht damals, in der Erzählung und für unsere Interpretation jedenfalls Dreierlei: • Die einschneidend-dringliche Frage nach der lebendigen Bedeutung des Schreckens der Kreuzigung wird als Verstehensversuch angesichts des Grabes erzählt, wo Tod und Leben ebenso zusammenzutreffen wie sie sich wiederum zu trennen scheinen (VV. 19-24.29). »Die Emmaus-Perikope (Lk 24,13-35) ist beispielhaft für die Präsenz des Auferstandenen - der sich entzieht im Augenblick des Erkennens.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 78 ZNT 25 (13. Jg. 2010) 79 Hermann Deuser Geistesgegenwart • Die messianische Tradition der Propheten und Mose, also die »gesamte Schrift«, sind ebenso der gegebene empirische Anlass für Auslegungen des Geschehenen wie die - zunächst unerkannte - Wiederholung eines gemeinsamen Essens: Zeichenhandlungen und symbolisch vermittelte Interpretationen sind unabdingbar für neues Verstehen (VV. 25-27.30). • Was die Bedeutungsfrage schließlich beantwortet und die Auslegung von Schrift und gegenwärtigem, gemeinsamem Brotbrechen erfüllt, ist eben die Präsenz des Auferstandenen als Erschließungsgeschehen, das die empirische Gegenwart überholt, aber als vergangene voraussetzt (VV. 31f.) - und genau dafür, für diese neue, kreative Zusammenhangsbildung muss von der bisher nicht derart manifesten Realität des Hl. Geistes gesprochen werden, wie es am Ende des LkEv angekündigt wird (Lk 24,49; vgl. Apg 1,4) und dann explizit im JohEv der Fall ist (Joh 14,26: »Der Beistand aber, der Heilige Geist […], der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.«). II. Die begriffliche Verbindung Kategoriale Semiotik bezeichnet eine tendenziell einheitliche erkenntnistheoretische (d.h. semiotische) und kategoriale (d.h. ontologische) wissenschaftliche Einstellung, die die gerade am Beispiel schon vorgestellte Dreigliedrigkeit zum ebenso logisch wie phänomenologisch plausiblen und unüberspringbaren Verstehensmodell einer prozesshaften Realität erklärt. Der Begriff Kategorie wird dabei - bewusst nach und anders als bei Aristoteles und Kant - in einer zugleich phänomennahen und strukturell formalisierbaren Dreigliedrigkeit aufgefasst: 3 An erster Stelle (Erstheit) steht die immer wahrnehmungsintensive, passive Vorstellungspräsenz einer unableitbar vorausgehenden Qualität; an zweiter Stelle (Zweitheit) die unterscheidbare Bestimmtheit eines Gegenstandsbezugs empirischen Zuschnitts; an dritter Stelle (Drittheit) ein interpretatives Verhalten, das die beiden vorausgehenden Kategorien braucht, enthält und doch auf eigenständige Weise zum lebendigen Ausdruck bringt. Diese kategoriale Strukturbildung korrespondiert nun mit der triadischen Grundlegung der Peirceschen Semiotik, wonach ein Zeichen als qualitativ Erstes in einem Zeichenereignis (sei es in empirischer oder in textvermittelter oder in bloß idealer Wahrnehmung) einen Objektbezug impliziert (ein bestimmbar Zweites), und diese beiden Vorgaben kommen wiederum zum Austrag in der Wirksamkeit eines Interpretanten, d.h. einer geistigen Aktivität, Konsequenz- oder Verhaltensbildung an dritter Stelle. Die hier zum analytischen Zweck idealisierte Grundstruktur kategorialer Semiotik tritt in Wirklichkeit immer nur in äußerst komplexen Verflechtungen, Reihen, Stufungen etc. auf, jene aber kann in diesen erkennbar gemacht und zur Auslegung der erfahrbaren Realität genutzt werden, ohne vorweg metaphysische Prämissen (z.B. substanzontologische wie im christlichen Mittelalter, materialistische oder idealistische wie in der europäischen Neuzeit) unterstellen zu müssen. Angewandt auf die exponierte Drei- Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Deuser, 1946 in Wetzlar geboren, Studium der Ev. eologie, Germanistik und Philosophie in Frankfurt am Main, Marburg und Tübingen; Promotion zum Dr. theol. (1973) und Habilitation (1978) für Systematische eologie an der Universität Tübingen; Professor für Ev. eologie an der Bergischen Universität Wuppertal (1981-1993), Forschungssemester an der Boston University, School of eology (1990/ 91); Universitätsprofessor für Systematische eologie an der Universität Gießen (1993-1997), seit 1997 für Systematische eologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt am Main; 2006/ 07 und seit 2008 Fellow am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Mitherausgeber der Kierkegaard Studies: Yearbook und Monograph Series (DeGruyter: 1996ff.) und der Deutschen Sören Kierkegaard Edition (DeGruyter: 2005ff.); Herausgeber von Ch.S. Peirce: Religionsphilosophische Schriften (F. Meiner: 1995/ 2000); Monographien: Kleine Einführung in die Systematische eologie (Reclam: 1999/ 2005) - Die Zehn Gebote (Reclam: 2002/ 2005) - Gottesinstinkt. Semiotische Religionstheorie und Pragmatismus (Mohr Siebeck: 2004) - Religionsphilosophie (De- Gruyter Lehrbuch: 2009). Hermann Deuser 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 79 Hermeneutik und Vermittlung 80 ZNT 25 (13. Jg. 2010) gliedrigkeit der Emmaus-Perikope ergibt sich dann die folgende Zuordnung: III. Damals - was vorweg geschehen ist, provoziert die ursprüngliche Emmaus-Szene, ist Anlass der Erzählung und verlangt ein jeweils neues Verstehen. Ob es im historischen Sinn diesen Weg der Jünger nach Emmaus faktisch gegeben hat, spielt dabei keine Rolle, denn es geht eben um den problematischen Erzählanlass als grundlegendes Datum: Was sich ereignet hat und in seiner Qualität offenbar noch nicht angemessen wahrgenommen wird (VV. 19-24). Wer Jesus unter diesen gegebenen Bedingungen denn war, das ist die Schlüsselfrage, und ihre noch unbegriffene Lösung steckt in dem »Bleib doch bei uns« (V. 29). Zu diesen fundamentalen Fragen und Antworten passt sehr gut die (historisch-literarische) Einschätzung Bultmanns, »ihrem Gehalt nach« sei die »Emmaus-Geschichte« die »älteste der synoptischen Auferstehungsgeschichten«. 4 Es geht also um eine Ursprünglichkeit der bedeutenden Sache nach, die ihrem neuen Verstehen zugrunde liegt. Das Damals des Erzählanlasses hat zwar auch einen chronologischen, wesentlich aber einen kategorialen Sinn: Alles Fragende und Folgende ist aus der Vorgabe ermöglicht (VV. 19-24), die sich in der kreativen Situation des »Bleib doch bei uns« (V. 29) zugleich bündelt und öffnet. Die bislang nur gespürte und deshalb fragliche Qualität des Zusammen von Kreuzigung und Messianität (V. 20f.), von Tod und Leben (V. 23), von Gegenwärtigkeit und distanzierendem Zeitverlauf 5 wird zum neuen Erfahrungsausgang im eindringlich gesuchten Bleiben des Vorübergehenden. Hierauf gibt Damals Erzählung Interpretation Erstheit Kreativer Grund: Implizite Gefühlte (Zeichenqualität) Objekt- Relationalität: relationen: Ermöglichung Bestimmtheit Existentielle Situation Zweitheit [Ermöglichung] Schrift / Zusammen- (Objektbezug) Brotbrechen setzung von Vergangenheit und Gegenwart Drittheit [Ermöglichung] [Schrift / Identifikation (Interpretant) Brotbrechen] von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft es kein Anrecht, keine schon wissende Herleitung, keine maßstäbliche Begründung - sondern diese Situation ist neu, in ihr steckt das kreativ Neue, das entgegenkommt wie der scheinbar fremde Wanderer. Sich derart auf voraussetzungslos Neues zu verlassen und es erzählend umzusetzen ist die Domäne der Religiosität, kulturgeschichtlich gesehen: der Religionen. Die Abkünftigkeit und Unbedingtheit 6 solcher Ereignisqualitäten stecken zwar in allen Erfahrungszusammenhängen, können in ihnen auch stillschweigend eingeklammert werden (wie es z.B. die Methoden neuzeitlicher Naturwissenschaften praktizieren), jene Unbedingtheit aber als solche sichtbar, beziehbar und - in indirekten Verfahren z.B. des Erzählens - bearbeitbar zu machen, das ist Sache des religiösen Verhältnisses in seiner Eigenständigkeit. Was in den mythischen Traditionen und bis in die moderne Kosmologie Schöpfung genannt zu werden verdient, zeigt sich in der Zeichenqualität eines Ersten, Neuen, Ermöglichenden - soweit diese Qualität überhaupt als solche und für sich genommen beschreibbar werden kann. Das Phänomen der schöpferischen Ermöglichung ist so allgemein wie die Schöpfungserzählungen der Religionen, so strukturell einsichtig wie ein Erstes in der Terminologie kategorialer Semiotik - und so konkret wie der christliche Glaube an Gott den Schöpfer und Vater aller Dinge. Diese trinitarische Akzentuierung ist entscheidend für die Pneumatologie, denn sie zeigt an, dass Geist nur als Verhältnisbegriff zu konzipieren ist. Die Relationalität von Vater, Sohn und Geist gibt bildhaft wieder, wie diese Gegenseitigkeit immer nur als ganze Ereignis werden kann und wie sie doch als interne Struktur durchaus auch der begrifflichen Erläuterung (wie es die klassischen Trinitätslehren immer versucht haben) zugänglich ist. Fürs Erste heißt das: In der Person des Vaters wird die ursprüngliche Ermöglichung abgebildet, die schöpferisch Kosmos und Menschsein immer vorausgeht; und in umgekehrter Perspektive: Alle Relationen im Werdensprozess der Welt wie im Wahrnehmen, Denken und Handeln der Menschen setzten die ursprüngliche Kreativität voraus, beziehen sich auf sie und bleiben von ihr geprägt. Zu sagen, der Hl. Geist sei schöpferisch, hat eben diese trinitarische 7 Begründung. Das Damals als qualitativ Erstes im Ereignis aufzufassen, konzentriert den Blick auf die schöpferische Ermöglichung - des ganzen Kosmos im Anfang wie jedes Ereignisses in seiner konstitutiven Eigenqualität. Dieser Erstaspekt geht in allen folgen- »Die Relationalität von Vater, Sohn und Geist gibt bildhaft wieder, wie diese Gegenseitigkeit immer nur als ganze Ereignis werden kann.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 80 Hermann Deuser Geistesgegenwart den Bestimmungen und Bezugnahmen nicht verloren, auch wenn er nicht mehr eigens thematisiert wird. Die ermöglichende Qualität in einem Ereignis liegt eben, weil unableitbar kreativ, vor allen Bestimmungen und Bezugnahmen. So ist Schöpfung das erste Charakteristikum des göttlichen Geistes; personal und trinitarisch gesagt: des Vaters. Sein Wirken zeigt sich in den schöpferischen Qualitäten der Zeichenereignisse, die unser ganzes Leben bestimmen. IV. Die Erzählung ist - im Blick auf Sprache und Texte - hier stellvertretend für die zweite Kategorie und den (semiotischen) Objektbezug zu nennen. Sie wird immer dann verlangt und notwendig, wenn das Neue an einem Ereignis in genuiner Weise menschlichem Verstehen lebensorientierend vermittelt werden soll. Dabei spielt die religiöse Aufmerksamkeit auf die schöpferische Ermöglichung eine besondere und (kulturgeschichtlich gesehen zusammen mit Kunst und Philosophie) einzigartige Rolle, weil sie die Unbedingtheit und kreative Unbestimmtheit des qualitativ Neuen respektiert - und trotzdem zur Darstellung zu bringen versucht. Die Vermittlung des Unmittelbaren wird so zur Grundfigur, zum religiösen Paradox, wie es S. Kierkegaard allen anderen Methoden des Bestimmtheitsgewinns in dieser Sache entgegengehalten hat. Anstelle objektiver, d.h. durch Einschränkungen abgesicherter Zugänglichkeit stehen dann indirekte Vermittlungszugänge: Bilder, Geschichten und Symbole, kurz: die Humanität des Erzählens, die die Wirklichkeit des Selbstseins erschließen lässt. 8 Im Wie des Erzählens aber wird immer ein Was erzählend gegenständlich: Ein Zweites steht in Relation zum Ersten, und so wird vermittlungsfähige Bestimmtheit erreicht. In der Emmaus-Erzählung entsteht dieser zweite Schritt des Verstehens an bewusst ausgezeichneten Objekten: Einerseits in der Textauslegung »von Mose und allen Propheten« auf Christus hin (VV. 25-27), und andererseits in der Präsenz eben dieser Auslegung im lebendigen Zeichenhandeln des Brotbrechens (V. 30). Die Nähe des Objektbezugs im Zeichenereignis selbst hat Peirce als unmittelbares Objekt von der externen Eigenständigkeit des dynamischen Objekts unterschieden 9 ; und setzen wir mit der Intention der Emmaus-Erzählung voraus, dass der Messias der Schriften mit dem Christus des Brotbrechens identisch ist, so lässt sich sagen: Das dynamische Objekt der Texttraditionen, d.h. die Bedeutung von Messianität als Verheißung der Schriften (V. 27: »was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht«), wird auslegend Ereignis im unmittelbaren Objekt der Präsenz (V. 30 in Luthers Übers.: »Und es geschah […]«) des brotbrechenden Christus. Auf diese Weise geschieht die zunehmende Bestimmtheit des Objektbezugs im Erzählen, die kreative Ermöglichung des Damals gewinnt Gestalt im Jetzt der Szene wie im Augenblick der Erzählung. Diese - für die narrative Vermittlungssituation typische und konstitutive - Doppeldeutigkeit wiederholt die Differenz im Objektbegriff: Die gegenständliche Vergegenwärtigung hat einen Außen- und Innenbezug, und diese beiden messen sich aneinander. Außen ist das fremde Gegenüber, hier: der Schriften, die verstanden werden wollen und dazu bestimmte Anforderungen stellen - und das historische Damals ist ein Aspekt dieser Fremdheit. Innen ist die Aneignung des Damals als jetzt geschehende Bestimmtheit der Schriftauslegung in der Gegenwart ihrer neu erschlossenen Bedeutung. Der Erzählung gelingt die Übertragung von außen nach innen, und sie bestimmt damit das bisherige Außen neu. Dies alles so zu analysieren vollzieht sich aber längst auf speziellen Ebenen der Theoriebildung und ist in seiner kontrollierenden Bewusstheit Sache der Interpretation. Auf der Ebene des Erzählens selbst allerdings geschehen die Übertragungen authentisch, d.h. die Bestimmtheit des Erzählten gelingt wie von selbst, und die Objektrelationen bleiben implizit. So wirkt der kreative Grund in der Erzählung. Wird diese erste Hinsicht aber ausgeblendet und der Bestimmtheitsgewinn in den Vordergrund gerückt, so sind die Gegenstände für sich auch abgrenzbar, hier: Schrift und Brotbrechen. Aber nicht nur das, denn über die literarische Analyse hinaus geht es ja auch hier um die lebendige, d.h. die vertrauende (V. 25: »alles zu glauben«) und damit lebensorientierende Bedeutung der Schrift, die sich im Brotbrechen personal vergegenwärtigt. Was dies über den exemplarischen Menschen - und damit über alle Menschen - sagt (V. 26: »musste nicht der Messias all das erleiden«), ist der entscheidende Punkt. Der wissenschaftlichen Terminologie gemäß ist deshalb von Christologie und Anthropologie zu sprechen, und zwar so, das weder die vorausliegende kosmologische Ermöglichung vergessen wird noch die damit gegebene ZNT 25 (13. Jg. 2010) 81 »Im Wie des Erzählens aber wird immer ein Was erzählend gegenständlich.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 81 Hermeneutik und Vermittlung 82 ZNT 25 (13. Jg. 2010) trinitarische Lokalisierung an der zweiten Stelle: der geschaffenen Welt bzw. des Sohnes in ihrem Verhältnis zum Vater. Dass Sünde, Leiden und Tod zu diesem Leben gehören und dass Versöhnung, Trost und neues Leben ihre Negationen umfassen, kann nicht einfach so gewusst werden, sondern muss in der allem zugrundeliegenden Unbedingtheit entdeckt und auch hier indirekt erschlossen werden: Der Christus als Sohn des Vaters bringt die personale Bestimmtheitsrelation der Schöpfung, das Gegenüber zum Schöpfer so zum Ausdruck, dass die Kontingenz der Welt nicht in neutralisierter Distanz, sondern im sympathetischen Verhältnis erscheint. So wie das Geschaffene im Prozess seiner Realisierungen vergänglich, endlich, begrenzt sein muss, so gehören zu dieser Welt Freiheits- und Möglichkeitsspielräume, Alternativen und die Unvergesslichkeit des Ursprungs in unbedingter Kreativität. Diese widerstreitenden Dimensionen also stehen in genau dieser Spannung zusammen, und es ist dieser Zusammenhang, der nicht einfach zu sehen oder zu messen ist, sondern sich - im religiösen Glauben - erschließen lässt. Christologisch gesprochen liegt die Erschließungserfahrung gerade darin, dass die unbedingte Liebe zwischen Vater und Sohn die prozesshafte Welt, ihre Endlichkeit und ihr Leiden, mitnimmt, mit betrifft - sich ihr ausliefert, wie in der Perspektive der Passionserzählungen gesagt werden muss. Das sind die Erfahrungen, die von den »Propheten« (VV. 25.27) zu lernen sind. Konkret wird dieses Lernen aber erst, wenn anthropologisch gesehen die conditio humana in Sünde, Leiden und Tod trinitarisch, d.h. im Sohn des Vaters wiedererkannt werden kann. Die trinitarische Verhältnisbildung zeigt dann ihre ontologische Fundierung, denn es ist das menschliche Dasein, das seine Verfassung unwiderruflich aufgedeckt sieht. Das Brotbrechen (V. 30) in der Erinnerung an die Passion hat seine Kraft deshalb nicht in einem historischen Verhältnis, sondern in der teilnehmenden Gemeinschaft, in der der innere Zusammenhang von Christusleiden und conditio humana angeeignet wird. Für die Pneumatologie ist entscheidend, dass diese Aneignung sich eben auf diese (anthropologisch-christologische) Bestimmtheit bezieht. Was der Hl. Geist wirkt, stammt aus dem Verhältnis Vater - Sohn - Aneignung. Der Geist macht die Bestimmtheit von Schrift und Brotbrechen ausdrücklich, kann an ihnen gemessen werden; »Jesus als der Christus« ist, mit P. Tillichs Worten, »das Mittelglied in der Kette der geschichtlichen Manifestationen des Geistes« 10 . Das schließt die Beweglichkeit der Auslegungs- und Verstehensgeschichte im Blick auf das dynamische Objekt Schrift ebenso ein wie die situationsintensive Aneignung im Sinne des unmittelbaren Objektes des messianischen, versöhnenden Brotbrechens - nämlich in der Gemeinschaft des Geistes: »Der Christus ist Geist und nicht Gesetz.« 11 Allerdings muss auch hier - auf der zweiten Stufe: Erzählung - die Bewusstheit der akuten Aneignung von Schrift und ihrem Verstehen im Brotbrechen noch ausgegrenzt, d.h. dem nächsten Schritt vorbehalten bleiben. Das sich aufbauende und in der Erzählung dramatisch motivierte Verstehen hat Implikationen, die es selbst noch nicht weiß. Ganz analog hat ja das Nizänische Bekenntnis aus dem Jahr 325, das nur einen lapidaren Satz über den Hl. Geist enthielt, erst im 381 folgenden Bekenntnis von Konstantinopel die bewussten Ausführungen seines 3. Abschnitts hinzugewonnen. 12 Denn inzwischen hatten die Erfahrungen des geistlichen Lebens in christlichen Gemeinschaften, biblische Studien und begrifflich-theologische Arbeiten dazu geführt, den trinitarischen Grundgedanken des Nizänums konsequent und explizit auch auf den Hl. Geist auszudehnen. Es waren besonders die Kappadozier (vor allem Basilius der Große [330-379]), unter deren Einfluss die gleichwesentliche Stellung von Vater, Sohn und Geist gedacht und schließlich durchgesetzt werden konnte. Dass dieser Schritt zur vollständigen Trinität erst so spät hatte erfolgen können, hat Gregor von Nazianz (329/ 30-390) so begründet: Als die »Gottheit des Vaters« noch nicht voll anerkannt war, »wäre es nicht klug gewesen«, schon von der Gottheit des Sohnes zu sprechen; und solange letztere noch umstritten war, musste die Gottheit des Hl. Geistes unausgesprochen bleiben. 13 In dieser frühen geschichtstheologischtrinitarischen Spekulation steckt jedenfalls die richtige Beobachtung des strukturell-integrativen Aufbaus der semiotischen Dreigliedrigkeit: Die erste und die zweite Kategorie, Zeichen selbst und Objektbezug, enthalten in gewissem Sinne bereits die dritte Kategorie - müssen dies aber nicht eigens ins Bewusstsein heben. Die Bestimmtheit des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn aber als Verhältnisbildung zu erkennen verlangt »Was der Hl. Geist wirkt, stammt aus dem Verhältnis Vater - Sohn - Aneignung.« »Das sich aufbauende und in der Erzählung dramatisch motivierte Verstehen hat Implikationen, die es selbst noch nicht weiß.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 82 Hermann Deuser Geistesgegenwart ZNT 25 (13. Jg. 2010) 83 die selbständige Instanz des Geistes: Die kreative Ermöglichung von Verstehen, die doch zugleich die Einheit mit Vater und Sohn verbürgt - wie es an Schrift und Brotbrechen zu sehen ist. V. Interpretation - steht hier im Blick auf Sprache, Texte und Erzählen anstelle des formaleren Begriffs des Interpretanten. Kein Verstehen ohne diese dritte Instanz, die den Zusammenhang von vorliegender Qualität und ihrem Objektbezug als dreistellige Relationalität vollzieht. Geistige Prozesse sind erst vollständig, wenn sie dieser Aufbaustruktur genügen und um sie wissen. Die Emmaus-Erzählung markiert in V. 31f. diesen geistigen Akt des Verstehens in mehrfacher Hinsicht: 1) Voraus geht die Qualität der Passionserfahrung, die in der Frage der Messianität, in der Frage nach dem Christus gipfelt; und beide Fragen sind konkret bezogen auf die Gegenständlichkeit der Schrift bzw. die Gegenwärtigkeit des Gesuchten im Brotbrechen. 2) Das neue und kreative Verstehen ergibt sich nicht automatisch auf der zweistelligen Ebene (etwa in der rein dyadischen Relation von Zeichen und Bedeutung), sondern es ereignet sich als etwas hinzutretendes Drittes: »Da gingen ihnen die Augen auf« (V. 31)! Jetzt erst wird neu »erkannt«, was vorher nicht gewusst, allenfalls geahnt werden konnte. 3) Die ursprüngliche Ermöglichung (Erstheit) kommt im Verstehen so zum Zuge, dass durch den Objektbezug zwar einschränkende Bestimmungen in Kraft getreten sind, die Möglichkeitsfülle gerade dadurch aber zur konkreten Kreativität qualifiziert wird: Die Relationalität von Zeichen, Objekt und Interpretant wird gefühlt und gewinnt dadurch in der existentiellen Situation (Ausgangsfrage der Erzählung) erst recht das Potenzial für neues Erkennen. 4) Was die Erzählung leistet, ist die Bildung eines objektbezogenen Zusammenhanges von Schrifttradition, d.h. der Auslegungsfrage vergangener Texte, mit der - erzählten - Gegenwart der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus. Was die Erzählung nahebringt ist Präsenz und Entzug zugleich: »dann sahen sie ihn nicht mehr« (V. 31). Hierin liegt die Besonderheit der indirekten Mitteilung religiöser Gegenstände: Ihre Kreativität und Unbedingtheit kann im Objektbezug nur durchgehalten werden, wenn die Gegenständlichkeit zugleich als gebrochene erscheint. Was der religiöse Glaube weiß, ist immer nur unter Vorbehalt empirisch - bzw. sieht die Gegenstände in ihrer prozesshaft-kreativen Ermöglichung. 5) Es ist schließlich dieser andere Blick (V. 32: »Brannte uns nicht das Herz in der Brust«), der sehend macht (»als er […] uns den Sinn der Schrift erschloss«/ in Luthers Übers.: »als er uns die Schrift öffnete«). Es ist das Feuer des Geistes, 14 das das neue, befreiende Verstehen möglich macht, kurz: die Kraft des Hl. Geistes. Was aber wäre nun dieser Hl. Geist selbst? Seine Kraft der Interpretation jedenfalls ist trinitarisch vollständig, es muss kein Relat des Zeichenereignisses mehr eingeklammert werden. Das schöpferisch Erste wird ebenso präsent wie das gegenständliche Zweite, und das zusammenhangbildende Dritte ist aktual neu und kann um sich selbst wissen: Geist ist Verstehen im Selbstverhältnis. Selbstsein steht dann zugleich auch in einem Möglichkeitshorizont kommender Ereignisse, so dass mit der geistigen Relationalität Zukunft als dritte Dimension der Lebensorientierung zu Vergangenheit und Gegenwart hinzutritt; im Beispiel der Emmaus- Erzählung: Die Vergangenheit der fraglichen Schriften und die Gegenwart des fraglichen Verstehens in der Gemeinschaft des Brotbrechens schießen zusammen in die Gültigkeit und Gewissheit des »Bleib doch bei uns« (V. 29) - jetzt in Verbindung mit dem »und sie erkannten ihn« (V. 31). Den Christus zu erkennen bedeutet, seine Gottesliebe auch für die Zukunft des Lebens gelten lassen zu können. Deshalb die Präsenz und Entzogenheit des Auferstandenen, sobald der Geist erkannt hat. Im Christus des Schriftzeugnisses, des Brotbrechens und der Auferstehung kommen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen - lebensdienlich und orientierungswirksam. Die Identifikation von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist nun die Auszeichnung der neuen religiösen Interpretation: Was in Apk 1,4 (vgl. 1,8; 4,8) mit christologischem Akzent gesagt wird: 15 »der ist und der war und der kommt« - hat sein Bestehen, seine differenzierte Einheit in der Kraft des Hl. Geistes, die in der Auslegung des Vergangenen und im sichtbaren Jetzt zugleich dieselbe messianische Zukunft entdeckt. Diese Entdeckung geschieht mit brennendem Herzen (Lk 24,32) und in der dreigliedrigen Einheit der schöpferisch-liebenden Geistesgegenwart. Die kosmologischen und anthropologischen Zeiterfahrungen im Nacheinander von Vergan- »Was die Erzählung nahebringt ist Präsenz und Entzug zugleich: ›dann sahen sie ihn nicht mehr‹.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 83 Hermeneutik und Vermittlung 84 ZNT 25 (13. Jg. 2010) genheit, Gegenwart und Zukunft werden dadurch nicht beseitigt, aber es wird an, mit und in ihnen das religiös Unbedingte, trinitarisch gesagt: der schöpferische Grund (Vater) als die Liebe Gottes (Sohn) wirksam »erkannt« (Geist [V. 31]). Der Preis für diese Auszeichnung des religiös Unbedingten, des Wahrnehmungsaugenblicks 16 des Hl. Geistes, der sich menschlichen Ableitungen entzieht, weil er ihnen kreativ vorausliegt, ist seine in sich unbestimmbare und überwältigende Überzeugungskraft: Leidenschaft und Fülle des Augenblicks gehören ebenso dazu wie das Ausgeliefertsein und die immer nur indirekten Vermittlungsmöglichkeiten der (kontrollierenden) Verständigung. Die frühen biblischen Zeugnisse des Geistes tragen demgemäß durchaus auch chaotische Züge. 17 Von charismatischen Führerfiguren bis zur trinitarischen Ordnung des Geistes ist es ein langer Weg. Die damit erreichte Klärung aber verengt nicht die Spielräume des Geistes, sondern zeigt die Aufbauformen einer Relationalität, die dem Prozess der Realität und darinnen der gestaltenden Kreativität der Gottesliebe entsprechen. Das »Bleib doch bei uns« (V. 29), wie es Whitehead markiert hat 18 , ist der Augenblick der Fülle, die der Hl. Geist - im Blick auf die Verheißungsgeschichte und die Gegenwart des Christus - erschließt. Was die Frage nach der Realität dieses Augenblicks betrifft, also die metaphysische oder ontologische Frage, um welche Wirklichkeit es sich dabei denn handeln könne, so ist zu antworten: Die hier anzuwendenden Denkvoraussetzungen liegen nicht mehr, wie schon gesagt, 19 in einer als real und vorrangig unterstellten platonischen Ideenwelt; auch nicht in einer universal ersten Substanz, wie sie für das aristotelisch-christliche Mittelalter prägend war; auch nicht in einem neuplatonischen Dualismus des in allem abgestuft (schlechten) Weltlich-Vielen doch wirksamen Einen; auch nicht in der neuzeitlichen Substanzendualität von Welt und Geist; auch nicht in dem transzendentalen 20 Gegenüber von empirischer Bindung (im naturwissenschaftlichen Sinn) einerseits und begrifflicher Konstitutionsebene andererseits, was zur Auflösung des Theoriestatus nicht-empirischer Begriffe (z.B. Gott) führen musste. Alle diese metaphysischen Bedingungen, aus denen sich nicht zuletzt die Religionskritik der Moderne als Gegenbewegung speiste - bis in die Debatten der Gegenwart um die Bedeutung neurophysiologischer Forschungsergebnisse, die für die Beschreibung des Menschen an die Stelle aller traditionell als »Geist« vermuteten Wesenheiten zu treten hätten 21 -; alle jene Denkkontexte sind dank kategorialer Semiotik für die trinitarische Strukturbildung wohl historisch interessant, aber nicht mehr bindend. Kurz gesagt: An die Stelle von Substantialität oder Transzendentalität tritt die Relationalität. Von Geistesgegenwart zu sprechen bedeutet dann: Es ist das Kennzeichen gerade des naturwissenschaftlichen Erfahrungsbegriffs der Moderne, zugleich Auftreten, Gewissheit und Entwicklung von Erfahrung im Prozess der Realitätsbildung so denken zu müssen, dass nicht restriktiv nur die gemessenen Fakten als Erfahrung gelten; im Gegenteil: Diese existierende, durch Experiment und Messungen präparierte Welt muss im Kontext ihrer Erschließungsmöglichkeiten und begrifflichen (gesetzes- und vorhersagekonformen) Allgemeingültigkeit verstanden werden. Es geht also um einen Erfahrungsbegriff 22 dreigliedriger (phänomenologischer) Zugänglichkeit: Kreative Ermöglichung, existierende Wirklichkeit und deren Zusammenhang im Kontinuum der Realitätsbildung sind kategorial zu unterscheiden, obwohl Ereignisse gerade einheitlich unter dieser dreigliedrigen Voraussetzung auftreten. So werden Erfahrungen gemacht, ihre Wirklichkeit besteht in ihrer Relationalität von Ermöglichung, Wirklichkeit und (geistigem) Zusammenhang. In diesem Sinne setzt das Auftreten von Ereignissen - zumindest in der Zugangsperspektive für Menschen - Geistesgegenwart schon voraus. Eine rein empirische Betrachtung kann nun jederzeit die kategorialen Bedingungen der Ermöglichung und des geistigen (lebendigen) Zusammenhanges neutralisieren, d.h. stillschweigend voraussetzen und gerade nicht thematisieren; und das gilt auch für die entsprechend verfahrenden religionswissenschaftlichen, sich rein deskriptiv verstehenden Disziplinen. Anders dann, wenn auf die Bedingungen von Kreativität und Gewissheit im Zusammenhang, die mit allem Existieren gegeben sind, eigens geachtet und sie trotz ihres sich immer wieder entziehenden, d.h. nicht-empirischen Charakters thematisiert, vermittelt und bearbeitbar gehalten werden sollen. Menschlich gesehen liegt hier eine kulturelle Unumgänglichkeit, der bevorzugt der religiöse Glaube dient; und dezidiert nicht mehr nur strukturell beschreibend ist diese fundamentale Zugänglichkeit der Realität erst dann, wenn die Geistesgegenwart sich im Rahmen einer bestimm- »Das ›Bleib doch bei uns‹ [...] ist theoretisch erkennbar in der relationalen Realitätsstiftung des Hl. Geistes, lebenspraktisch im Geschenk der Geistesgegenwart.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 84 Hermann Deuser Geistesgegenwart ZNT 25 (13. Jg. 2010) 85 ten religiös-existentiellen Situation ereignet. 23 Im Fall der christlichen Bekenntnisse und ihrer sich korrespondierend entwickelnden theologischen Dogmatik ist es zudem so, dass sich in Trinitätslehre und Pneumatologie die Relationalität früh durchgesetzt hat. Die Gegenwart des Geistes lehrt verstehen, was durch schöpferische Ermöglichung unter Existenzbedingungen (die das Leiden der Liebe einschließen) schon da ist und immer neu erschlossen werden muss. Das »Bleib doch bei uns« - die Gegenwart des Auferstandenen und zugleich das Problem der Metaphysik zwischen Vergänglichkeit und Fülle - ist theoretisch erkennbar in der relationalen Realitätsstiftung des Hl. Geistes, lebenspraktisch im Geschenk der Geistesgegenwart. Anmerkungen 1 A.N. Whitehead: Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie, übers. v. H.G. Holl, Frankfurt am Main 2 1984, 386 u. 604f.; vgl. H. Deuser: Religionsphilosophie, Berlin/ New York 2009, 93 u. 314. 2 Lk 24 wird zitiert nach der Übersetzung der Neuen Jerusalemer Bibel, 1985; anders nur im folgenden Textblock der Gesamtperikope. 3 Vgl. Deuser, Religionsphilosophie, § 1 Anm. 4 u. § 10.2. 4 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 6 1964, 314. 5 S. Anm. 1 (zu Whiteheads Interpretation). 6 Zum religionsphilosophisch begründeten Begriff des Unbedingten vgl. Deuser, Religionsphilosophie, § 1 u. § 10.3. 7 Vgl. I.U. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994, 225: »Der Ausdruck ›Trinität‹ bezeichnet nicht das, wovon die Trinitätslehre handelt, sondern fasst den Regelkomplex zusammen, mit dessen Hilfe diese die Grammatik des christlichen Gebrauchs von ›Gott‹ zu explizieren sucht.« - Vgl. auch H. Deuser, Trinität. Relationenlogik und Geistesgegenwart, in: M. Welker/ M. Volf, Der lebendige Gott als Trinität. FS J. Moltmann, Gütersloh 2006, 68- 81: 80f. 8 Vgl. (unter Berufung auf P. Ricœur und D. Thomä) Deuser, Religionsphilosophie, 483. 9 Vgl. zu dieser semiotischen Unterscheidung im Objektbezug St. Alkier: Neutestamentliche Wissenschaft - Ein semiotisches Konzept, in: Chr. Strecker (Hg.), Kontexte der Schrift II, Stuttgart 2005, 343-360: 348; vgl. Deuser, Religionsphilosophie, 268f. 10 P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1966, 174. 11 Tillich, Theologie, 173. 12 Vgl. den jetzt als »Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum« bezeichneten Text (alte Überschrift: »Symbolum Nicaenum«) in: BSLK, 26f.; zur historischen Rekonstruktion J.N.D. Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie, Göttingen 2 1993, 294ff. 13 Vgl. den dt. Textauszug aus Gregors »5. theologischer Rede«, in: G.L. Müller (Hg.): Der Heilige Geist (Pneumatologie). Texte zur Theologie: Dogmatik 7,2, Graz 1993, 57. 14 Zur Feuersymbolik im Hinweis auf Apg 2, 3 und Lk 3, 16, sowie zum Öffnen der Schrift im Hinweis auf 2Kor 3,15f. vgl. W. Eckey, Das Lukasevangelium. Unter Berücksichtigung seiner Parallelen II, Neukirchen-Vluyn 2004, 982. 15 Zur Auslegung dieser Zeitdimensionen für das »Sein« und den »Namen« Gottes (in Verbindung von Ex 3,14 mit den genannten Stellen der Apk) vgl. K. Barth, KD I/ 2, 59f. 16 Vgl. zur Auslegung des Unbedingten im Wahrnehmungsaugenblick Deuser, Religionsphilosophie, § 11. 17 Vgl. M. Welker, in: J. Polkinghorne/ M. Welker: Faith in the Living God. A Dialogue, 2001 (Fortress Press), 93: »God’s Spirit is experienced as an unexpected power not to be disposed of, and via such people it exercises its power that saves the community.« (Dt.: An den lebendigen Gott glauben. Ein Gespräch, Gütersloh 2005, 131.) 18 S. Anm. 1. 19 S. Abschnitt II. 20 Zu I. Kants Wissenschaftstheorie und Religionskritik vgl. Deuser, Religionsphilosophie, § 8.2. 21 Zur Metakritik der angeblichen bzw. unbegründeten Konsequenzen der Neurowissenschaften für die Philosophie des Geistes vgl. P. Janich, Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung, Frankfurt am Main 2009. 22 Vgl. Deuser, Religionsphilosophie, Teil V, bes: 421-427. 23 Vgl. H. Deuser, Kleine Einführung in die Systematische Theologie, Stuttgart (1999) 2005, 37f. u. Teil III. 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 85