eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 13/25

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2010
1325 Dronsch Strecker Vogel

Der Raum des Geistes

2010
Kristina Dronsch
1. Ansatz zur Erfassung der topographischen Struktur des Geistes im Johannesevangelium Die diesem Vortrag zugrunde liegende These lautet, dass das Verständnis der johanneischen Rede von Geist sich über eine Topo-Graphie erschließt - in der Doppelaspekthaftigkeit von topos und graphein. D.h.: der Raum des Geistes entfaltet sich innerhalb der Schrift des Johannesevangeliums. Die Schrift ist der Ort, an dem die Topographie sich zeigt, nämlich in der Art und Weise, wie in dem johanneischen Text toposrelevante Bezüge und Differenzierungen aufgenommen werden. Anders als die Größe Zeit hat die Größe Raum in der Theologie bisher keinen prominenten Platz eingenommen. Für gewöhnlich wird eher Zeit mit dem Geist in Verbindung gestellt, während Raum mit Dingen und Körpern in Zusammenhang gebracht wird, so dass die von dem Soziologen Markus Schroer gemachte Feststellung durchaus auch für die Theologie ihre Gültigkeit beanspruchen darf. »Während die Zeit für das Mobile, Dynamische und Progressive, für Veränderung, Wandel und Geschichte steht, steht der Raum für Immobilität, Stagnation und das Reaktionäre, für Stillstand, Starre, Festigkeit«. 1 Gleichwohl zeigt sich gerade in gegenwärtigen exegetischen Arbeiten zur Zeit - wie beispielsweise in der umfassenden Monographie von Jörg Frey zur johanneischen Eschatologie, dass auch die Größe Raum mit zu bedenken ist, wenn das johanneische Zeitverständnis zur Sprache gebracht wird: So hält Frey einerseits ganz im Duktus der von Schroer gemachten Feststellung fest: »Die kerygmatische Erzählung des vergangenen Wirkens Jesu, die vorliegende Evangelienschrift, ist dementsprechend in ihrem Selbstverständnis vergegenwärtigende Erinnerung seiner Worte und Taten, aktualisierende Auslegung des vergangenen Heilsgeschehens für die gegenwärtigen Leser und Hörer. Im Bewusstsein des Wirkens des Geistes versucht der Evangelist den temporalen Abstand zwischen seiner Gegenwart und der Zeit des Wirkens Jesu zu überbrücken«. 2 Gleichzeitig hält Frey wenige Seiten vorher fest, dass sich die Gestalt des Werkes als kerygmatische Erzählung nicht nur den temporalen, sondern auch den topographischen Elementen der sprachlichen Darstellung verdankt. Frey führt aus: »Sachlich-theologisch bekräftigen die wiederholten Hinweise auf Zeit und Raum des Erzählten die raumzeitliche Konkretheit des erzählten Heilsgeschehens. Die präzisen chronologischen und (topographischen) Notizen stehen damit jeder enttemporalisierenden oder spiritualisierenden Lektüre des 4. Evangeliums entgegen«. 3 Aus der Aussage von Frey wird ein Zweifaches mit Blick auf die Raumthematik im Johannesevangelium ersichtlich: a.) dass eine Entgegensetzung von Raum und Zeit nicht der johanneischen Schrift angemessen ist; und dass b.) vor dem Hintergrund des von Frey eruierten dynamischen Zeitverständnisses des Johannesevangeliums auch mit einem dynamischen Raumverständnis zu rechnen ist - und genau dies möchte ich im Folgenden kurz darlegen. Schon bei einer oberflächlichen Durchsicht des Johannesevangeliums lässt sich feststellen, dass das Johannesevangelium - wie kein anderes Evangelium - ein Evangelium ist, in dem topographische Angaben zentral stehen, die gerade keine stabile Raumordnung signifizieren, der die Attribute Stillstand, Starre oder Immobilität zuzusprechen sind. Gleich der erste Vers, mit dem in hymnischer Sprache das Evangelium beginnt, ist hierfür signifikant. Dort heißt es: der Logos war »zu Gott hin« (gr. pros ton theon; vgl. auch V. 2). Zwischen dem Logos und Gott wird eine sich räumlich vorzustellende dynamische Beziehung durch die Präposition pros im Akkusativ installiert. In V. 14 heißt es von eben diesem Logos, dass er Fleisch ward und Wohnung nahm unter uns. Hier wird dieser in V. 1f. genannte Logos nun zum zweiten Mal erwähnt, und es wird von ihm ausgesagt, dass er en hymin wohnte. 4 Doch nicht nur im Prolog gibt es solche räumlichen Verhältnisbestimmungen, vielmehr sind diese auch in der nachfolgenden mit V. 19 beginnenden Erzählung des Johannesevangeliums zu finden. Die gesamte Rede vom Gesandtsein Jesu fällt durch die Verben pempein und apostellein 5 in den Bereich räumlicher Ausdehnung (vgl. z.B. Joh 4,34; 5,23.24.30.37; Zum Thema Kristina Dronsch Der Raum des Geistes Die topographische Struktur der Rede vom Geist im Johannesevangelium 38 ZNT 25 (13. Jg. 2010) »Anders als die Größe Zeit hat die Größe Raum in der eologie bisher keinen prominenten Platz eingenommen.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 38 Kristina Dronsch Der Raum des Geistes 6,38.39.44; 7,17.18.28.33; 8,18.26.29; 13,17). »Gehen«, »Kommen« und »Bleiben« sind Hauptverben der johanneischen Jesus-Christus-Geschichte, zu der auch die Rede vom Herabsteigen und der Rückkehr gezählt werden kann. Ebenso die Raummarker »von oben« - als Raum des Göttlichen - und »von unten« als Raum des Irdischen - prägen das Evangelium. Gehäuft lassen sich topographische Angaben in den sogenannten Abschiedsreden in Joh 13-17 finden. Das zentrale Stichwort dieses Abschnittes lautet »hinübergehen« (gr. hypagein; vgl. z.B. Joh 13, 33.36; 14,4.5.28, 16,5.10.17), welches nicht anders als eine Translokation zu verstehen ist. Diese knappe oberflächliche Durchsicht zeigt, dass sich im Johannesevangelium zahlreiche topographische Beziehungen finden lassen, bei denen es maßgeblich darauf ankommt, Räume zu durchqueren, Strecken zurückzulegen und Orientierung zu gewinnen. Diese topographisch dynamische Raumordnung überlagert gewissermaßen auch die sich im Johannesevangelium findende örtlich gebundene Raumordnung und transformiert diese. Zu dieser örtlich gebundenen Raumordnung gehören institutionalisierte Orte, wie beispielsweise der Tempel und die Synagoge. Tempel und Synagoge sind im Johannesevangelium die einzigen Orte, an denen Jesus lehrt. Anders als bei den Synoptikern, wo Jesus auch »unterwegs« (z.B. Lk 13,22), »am See« (z.B. Mk 4,1), »im Boot« (z.B. Lk 5,3), »auf dem Berg« (z.B. Mt 5,1ff.) lehrt, lehrt der johanneische Jesus nie außerhalb dieser Orte (vgl. Joh 6,59; 7,14.28; 8,20; 18,20). Wenn nun etwas genauer in den Blick genommen wird, was Jesus an bzw. in diesen Orten lehrt, dann lehrt er, dass er das Brot des Lebens sei, das vom Himmel gekommen ist, dass seine Lehre nicht von ihm sei, sondern von dem, der ihn gesandt habe (vgl. Joh 6). Seine Lehre ist »aus Gott« (Joh 7,17). Und der gesamte Lehrdiskurs von Joh 7,28ff., der im Tempel zwischen Jesus und »einigen aus Jerusalem« stattfindet, dreht sich um die Frage, woher (gr. pothen) Jesus ist und wohin (gr. pothen oder pou) er geht. Ebenso in Joh 8, wo Jesus im Tempel zu den Pharisäern lehrt, ist der zentrale Streitpunkt, dass Jesus um das Woher seines Gekommenseins und das Wohin seines Gehens weiß. D.h. in die konkreten Orte, die Zentren religiöser Orientierung sind, spannt der johanneische Jesus durch seine Lehre einen dynamischen Raumdiskurs, in denen Tempel und Synagoge dezentriert werden. 6 Diese topographische Verfasstheit in der Syntagmatik des Johannesevangeliums trifft nun auch für das Lexem pneuma zu: Schon beim ersten Auftauchen des Lexems in Joh 1,32 wird festgehalten, dass der Täufer gesehen hat, dass das pneuma »herabsteigt« (gr. katabainon) und auf Jesus bleibt. Das prominente Lexem taucht hier ebenfalls zum ersten Mal im Johannesevangelium auf (vgl. zu der lokalen Bestimmung von pneuma im Zusammenhang dieser beiden Verben auch 1,33). Auch die Aussage »Gott gibt den Geist ohne Maß« aus Joh 3,34 verweist durch die Verwendung von metron auf eine räumliche Ausdehnung, die in einem Zusammenhang mit dem Geist steht. In 3,8 wird ausgesagt, dass to pneuma »weht, wo es will«. Das »Wo« (gr. hopou) qualifiziert to pneuma im Sinne einer räumlichen Ausdehnung. Vom parakletischen Geist in den Abschiedsreden wird ausgesagt, dass er gesendet wird (vgl. Joh 14,26; 15,26), dass er »bleiben« und »in euch« sein wird (vgl. Joh 14,17), dass er vom Vater ausgeht (vgl. Joh 15,26), und dass er der »Wegführer sein wird« (vgl. Joh 16,15: hodēgeō). Auch das Lexem pneuma partizipiert an der topographischen Struktur, die sich innerhalb des Johannesevangeliums finden lässt. Kristina Dronsch, Jahrgang 1971, studierte Evangelische eologie in Bonn, Göttingen, Zürich, Neuchâtel und Hamburg. Seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche am Fachbereich Ev. eologie an der Goethe-Universität in Frankfurt und wurde dort 2006 promoviert. Zurzeit Arbeit am Habilitationsprojekt zum Geist im Johannesevangelium. Für weitere Informationen siehe: http: / / www.evtheol.uni-frankfurt.de/ nt/ personen/ dronsch/ index.html Kristina Dronsch ZNT 25 (13. Jg. 2010) 39 »Diese topographisch dynamische Raumordnung überlagert gewissermaßen auch die sich im Johannesevangelium [ndende örtlich gebundene Raumordnung« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 39 Zum Thema 40 ZNT 25 (13. Jg. 2010) Schon diese kurze oberflächliche Durchsicht lässt eines deutlich werden: »Raum ist ein Modell von Zusammenhängen«. 7 Raum realisiert sich nach zusammenhangskonstitutiven Regeln, die sich in den zahlreichen topographischen Verhältnisbestimmungen finden lassen. So dass gesagt werden kann, dass im Text des Johannesevangeliums Raumkonfigurationen konstitutiv sind, die sich ausgehend von den narrativen Akteuren und deren Handlungsmöglichkeiten im Evangelium entfalten und die nichts anderes als eine relationale Bestimmung von »Raum« vorsehen. Der Gedanke, dass »Raum« eine relationale Größe ist, ist nicht neu, sondern findet sich bei Vertretern eines strukturalistischen Ansatzes, wie beispielsweise Gille Deleuze in seinem grundlegenden Aufsatz »Woran erkennt man den Strukturalismus? «: »Was struktural ist, ist der Raum, aber ein unausgedehnter, präextensiver Raum, reines spatium, das sich nach und nach als Ordnung der Nachbarschaft herausgebildet hat und in dem der Begriff der Nachbarschaft zunächst einen ordinalen Sinn hat und eine Bedeutung in der Ausdehnung«. 8 Nach Deleuze ist die Bedeutung eines Lexems bzw. eines sprachlichen Zeichens aufgrund seiner Lokalisierung in einer Topographie, die sich durch Nachbarschaftsbeziehungen in einem Text herausbildet, zu erschließen. 9 Diese Nachbarschaftsbeziehungen - beispielsweise zwischen zwei Lexemen - gilt es (in einem Text) herauszuarbeiten. Doch auch Arbeiten von Lotman, 10 Foucault, 11 Agamben 12 und Derrida 13 verstehen Raum als eine relationale Größe. Angewendet auf das Johannesevangelium heißt dies, dass im Folgenden in der narrativen Struktur des Johannesevangeliums die relationalen Bestimmungen von pneuma untersucht werden sollen. Dies setzt voraus, dass sich die Rede vom Raum des Geistes durch die Relationsbeziehungen zwischen den narrativen Figuren und Handlungsmöglichkeiten ausgehend von der Position im Narrativ des Johannesevangeliums deutlich machen lassen muss. Dies bedeutet, dass sich pneuma vor allem mittels der Positionierung in einem Gefüge, durch welches pneuma sich als pneuma erweist, beschreiben lassen muss. Im Verlauf unserer Ausführungen wird sich zeigen, dass pneuma - mengentheoretisch gesprochen - eine Singularität ist. Die Relation zu denen, bei denen es weht (vgl. Joh 3,8), ist eine sich aus der Nichtteilhabe konstituierende, gleichwohl ist es genau diese Beziehung, die es zum pneuma macht. Diese provokant formulierte Aussage, die sich gegen eine funktionale aber auch gegen eine substanz-ontologische Bestimmung von pneuma im Johannesevangelium wendet, 14 geht von der grundlegenden relationalen Topographie des Geistes aus, 15 die es im Folgenden im Johannesevangelium nachzuzeichnen gilt. 2. Die topographische Rede vom Geist im Johannesevangelium als Ausnahme Programmatisch beginnt die Erzählung des Johannesevangeliums mit dem Zeugnis des Täufers, in dem Geistempfang, die Geistträgerschaft und die Geistübermittlung Jesu erzählt wird, und in dem zum ersten Mal das Lexem pneuma im Narrativ des JohEv verwendet wird. In Joh 1,32-34 heißt es: »Und Johannes legte Zeugnis ab und sagte: Ich sah den Geist wie eine Taube vom Himmel herabschweben und auf ihm bleiben. Und auch ich kannte ihn ja nicht, aber der mich dazu gesandt hat, mit Wasser zu taufen, der hatte zu mir gesagt: Der, auf den du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist taufen wird. Und eben das habe ich gesehen und habe Zeugnis abgelegt: Dieser ist Gottes Sohn.« Ganz im Gegensatz zu der synoptischen Darstellung findet sich im Johannesevangelium kein Hinweis auf die Taufe Jesu, vielmehr wird die »Geistbegabung Jesu […] retrospektiv aus der Sicht des Täufers geschildert und als gültige und beständige Markierung benutzt, die die Identifikation Jesu als des erwarteten Messias und als ›Sohn Gottes‹ (1,34b) durch Johannes den Täufer begründet«. 16 Dies impliziert, dass nach der johanneischen Konzeption der Geistempfang nicht im Sinne eines christologischen Gründungsgeschehens zu begreifen ist, sondern ausschließlich als ein Identifizierungszeichen gelten kann. Der Geist hat die Funktion eines identity markers, der von Gott kommt und der es dem Täufer ermöglicht, Jesus als den Geistträger und Geistspender zu identifizieren. Indem der Täufer gesehen und bezeugt hat (vgl. das zweimalige Perfekt): »Dieser ist Gottes Sohn« (vgl. die Differenz zu Mk 1,11, wo von einer Gottesstimme die Rede ist, die Jesus als hyios mou ho agapētos proklamiert), gibt der Text zu verstehen, dass pneuma eine Wahrnehmbarkeit einschließt, die Jesus von anderen unterscheidbar macht und zwar dergestalt unterscheidbar macht, dass er durch das pneuma in Geltung gesetzt wird, um als der Sohn Gottes proklamiert werden zu können. »Auch das Lexem pneuma partizipiert an der topographischen Struktur« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 40 Kristina Dronsch Der Raum des Geistes ZNT 25 (13. Jg. 2010) 41 Das »Bleiben« des Geistes auf Jesus ist eine zweite Besonderheit in der johanneischen Erzählung gegenüber den Synoptikern. In der Sekundärliteratur wird bezüglich des Bleibens des Geistes auf Jesus des Öfteren vermerkt, dass dadurch (im Zusammenhang mit der Partizipialkonstruktion ho baptizōn en pneumati hagiō) eine »bleibende Verfassung des Subjektes zum Ausdruck« 17 gebracht werden soll. Das Bleiben des Geistes wird in diesem Sinne als eine bleibende Wesensbestimmung verstanden, die festhält, dass der Geist Jesus wesen- und ursprungshaft zukommt und er ihn deshalb anderen zu spenden vermag. Doch ein solches Verständnis führt zu folgender, nicht zu lösender Aporie: Ist dann die Herabkunft des Geistes nur äußeres Zeichen, um denjenigen erkennen zu können, der immer schon mit Geist Gottes gefüllt ist, oder handelt es sich um ein wirkliches Geschehen, in dem Neues sich ereignet? D.h. dieses Modell baut eine nicht aufzuhebende Spannung zwischen dem Geistempfang und dem Geistträger auf, die in der Syntagmatik des Johannesevangeliums aufgrund ihrer parataktischen Verknüpfung mit kai in keinem Spannungsverhältnis steht, denn zweimal wird in V. 32 und in V. 33 vom »herabsteigen« und »bleiben« gesprochen. Ein anderes Modell bietet Tricia Gates Brown. Sie führt aus: »The fact that the spirit remains on Jesus signifies him as a bearer of the heavenly benefit of spirit that he will give to his potential clients. Thus the remaining of the spirit does seem to serve a legitimating function here«. 18 Während hier keine Spannung zwischen Geistempfang und Geistträger herrscht, so entsteht nach diesem Modell aber eine Spannung zwischen dem Geistempfang und der Geistübermittlung. Denn nach Brown kann der Geistempfang kein identity marker des Sohnes Gottes mehr sein, weil ja alles darauf hinzielt, dass Jesus nur als derjenige identifiziert wird, der den Geist weitergibt. Beide vorgestellten Modelle argumentieren - obwohl erstes substanz-ontologisch fundiert ist und zweites funktional - mit einem schlichten Zugehörigkeitsverständnis des pneuma-Begriffs. Während im ersten Modell von Porsch eine Inklusion im Sinne der wesenhaften Zugehörigkeit von pneuma zu Jesus herausgearbeitet wird, die darauf hinausläuft, dass Jesus der »Pneumatiker par exellence« 19 ist, wird bei Brown eine funktionale Zugehörigkeit von pneuma zu Jesus postuliert, bei der sich Jesu einzigartiger Status als der »mediator between God and humanity« 20 zeigt. Wenn jedoch gilt, dass der Geist als identity marker von Jesus, dem Sohn Gottes, fungiert, dann macht dieser ihn - wie wir gesehen haben - unterscheidbar von anderen, mit der Konsequenz, dass der Täufer nun in die Lage gesetzt ist, zu sehen und zu bezeugen, dass dieser der Sohn Gottes ist. Das zweimal betonte »nicht kennen« von Jesus durch den Täufer (gr. kagō ouk ēdein auton) vor dem Auftreten des pneumas hebt ja gerade hervor, dass Johannes der Täufer erst in der Lage ist, Jesus als den Sohn Gottes zu sehen und zu bezeugen, im Zuge des Auftretens des Geistes. Der Geist stiftet in diesem Sinne eine Ausnahme, denn durch den Geistempfang, die Geistträgerschaft sowie die Geistübermittlung ist Jesus, der Sohn Gottes, herausgenommen aus einer Menge, so dass er erkennbar wird. Das pneuma schafft deswegen eine Situation der Unterscheidbarkeit von Jesus in Bezug auf eine Menge und ist keineswegs so zu verstehen, dass Jesus durch das pneuma erst etwas erfahren habe, was ihn zum Sohn Gottes gemacht habe, oder dass das pneuma der Repräsentant Gottes sei. Vielmehr gilt, dass das pneuma die Situation »schafft und garantiert«, die der Sohn Gottes für seine eigene Geltung bedarf, und die durch den Täufer bezeugt wird (vgl. das zweimalige houtos estin V. 33.34). Die hier aufgebaute relationale Beziehung zwischen Jesus und pneuma, die Johannes bezeugt, kann als eine Ausnahme-Beziehung angesehen werden, in der der Sohn Gottes durch seine Ausschließung aus einer Menge - garantiert durch das pneuma - eingeschlossen ist: D.h.: der, von dem gilt, dass er »unter uns zeltet« (Joh 1,14), vom dem Johannes der Täufer berichtet, dass er »mitten unter euch steht« (Joh 1,26), von dem ist zu sagen, dass dieser durch das pneuma ein eingeschlossener Ausgeschlossener ist, denn »der Sohn Gottes ist in die Welt gekommen«, wie es in Joh 11,27 heißt. Der Sohn Gottes, der keine andere Gestalt als die eines Menschen hat, 21 ist durch das pneuma herausgehoben aus den Menschen. Der pneumatische identity marker, der Jesus als den Sohn Gottes ausweisbar macht und ihn als Ausnahme unter den Menschen garantiert, ist also nicht ohne Beziehung zu den Menschen zu verstehen. Liest man unter dem Blickwinkel dieser so skizzierten Ausnahmebeziehung die vielfach bevorzugte 22 textkritische Variante in Joh 1,34, die statt »Sohn Gottes« (gr. hyios tou theou) eklektos tou theou bietet, dann kann gesagt werden, dass diese Lesart die Ausnahmebeziehung sprachlich eindrücklich in Kraft gesetzt hat. Jesus ist der durch das »Der pneumatische identity marker, der Jesus als den Sohn Gottes ausweisbar macht [...], ist also nicht ohne Beziehung zu den Menschen zu verstehen.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 41 Zum Thema 42 ZNT 25 (13. Jg. 2010) pneuma garantierte »Ausgewählte«, der herausgenommen aus der Menge ist, in die er, als der unter uns Zeltende, eingeschlossen ist. Unter dem Blickwinkel dieser Ausnahme-Beziehung möchte ich im Folgenden die zwei letzten pneuma-Stellen im JohEv einbeziehen - nämlich 19,30 und 20,22 -, die in der Sekundärliteratur überaus kontrovers bestimmt werden. Als erstes zu Joh 19,30: Das Kapitel 19 handelt von Jesu Verurteilung und Kreuzigung. Während der lukanische Jesus am Kreuz mit lauter Stimme ruft »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist«, spricht der johanneische Jesus: »es ist vollbracht« (gr. tetelestai), darauf lässt uns der Erzähler des Evangeliums wissen, dass Jesus seinen Kopf neigte und das pneuma übergab (gr. paredōken to pneuma), was häufig mit »und gab den Geist auf« übersetzt wird. Da diese Formulierung als Ausdruck des Sterbens eines Menschen in der gesamten griechischen Literatur ohne Parallele ist, ist von einer absichtsvollen Doppeldeutigkeit dieser Wendung auszugehen. »Denn diese Hingabe des Geistes […] muß den Leser ja daran erinnern, dass es abgesehen von jenem Geist, der seit der Stunde seiner Taufe auf Jesus geblieben war (1,37), zu dessen Lebzeiten den verheißenen Geist noch nicht gab« 23 , - weil dieser erst in der Stunde der Verherrlichung Jesu in die Welt kommen sollte, wie die Erzählerstimme in Joh 7,39 den Leserinnen und Lesern mitteilt. Dort heißt es: »Noch gab es den Geist nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.« Erzähltechnisch stellt doxazō einen Vorausverweis dar (vgl. z.B. Joh 8,54; 11,4; 12,16.23.28). Eine Prolepse greift »auf ein Ereignis vor, kündigt es zu einem Zeitpunkt im Erzählverlauf an, wo es noch nicht hingehört«. 24 D.h. 7,39 weist auf die Geistgabe an die Seinen voraus, die in den Zusammenhang mit Jesu Verherrlichung gestellt wird. Wenn nun andere Textstellen im Johannesevangelium, die von Jesu Verherrlichung sprechen mit einbezogen werden, dann legt es sich nahe, die Verherrlichung Jesu in den Zusammenhang mit Jesu Verurteilung und Kreuz zu stellen. So kündigt beispielsweise der johanneische Jesus in Joh 12,23 die kommende Zeit seiner Verherrlichung an und verwendet, um diese Verherrlichung auszudrücken, die Metapher vom Weizenkorn, das stirbt (12,24): »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, dann bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.« Diese Metapher verknüpft die Verherrlichung also mit Jesu Kreuzigung. Die Aussage von 7,39 weist also darauf hin, dass das Kreuz als Ort der Verherrlichung die Bedingung für die Gabe des Geistes darstellt. Folglich wird in der Sekundärliteratur Joh 7,39 in den Zusammenhang mit Joh 19,30 gestellt, um die Frage zu beantworten, ab wann der Geist bei den Glaubenden ist. Jedoch unter dem Aspekt der Frage nach dem Wann kompliziert sich die Sache, wenn nun noch Joh 20,22 einbezogen wird: Denn dort erscheint der Auferstandene den Jüngern und lässt sie den heiligen Geist empfangen. Das Problem der Frage nach dem Wann vor dem Hintergrund von Joh 7,39 ist also, dass von einer zweifachen Verleihung des Geistes gesprochen werden müsste. Nun kann diese Verdopplung der Geistgabe vermieden werden, indem einfach gesagt wird, dass bei der pneuma-Stelle in 19,30 einfach nur das Sterben Jesu beschrieben wird. Dann hätte man das Problem einer zweifachen Geistverleihung gelöst, jedoch nicht erklärt, warum das Evangelium diese exzeptionelle Wendung für das Sterben Jesu wählt. Oder man erklärt die zweifache Geistverleihung damit, dass der Evangelist die in Joh 20,22 erzählte in der Tradition vorgefunden habe und diese auch auf Kosten der entstehenden Inkohärenz des Textes übernommen hätte. Oder die letzte Variante besagt, dass es zwei Adressaten gibt. »Da in der Kreuzigung die Inthronisation Jesu geschieht, ist die letzte Wendung von V. 30 (›und gab den Geist auf‹, K.D.) von daher auszulegen. Wie der Vater Jesus in die Hände der Menschen übergeben hat (19,11), so gibt Jesus in der Stunde der Vollendung seinen Geist an den Vater zurück, so dass die Jünger erst in 20,22f. den Geist erhalten.« 25 Jedoch: Die Frage nach dem Wann der Geistgabe ist für die Verhältnisbestimmung von Joh 19,30 und Joh 20,22f. nicht weiterführend, vielmehr erschließt sich das Verhältnis der beiden Textstellen durch die soeben skizzierte Topographie der Ausnahme, bei der die Verherrlichung Jesu ganz im Sinne der einschließenden Ausschließung zu begreifen ist und den Grund liefert, warum in Joh 19,30 davon erzählt wird, dass Jesus den Geist aufgab. Denn es gehört zu den Paradoxien des Johannesevangeliums und zur erzählerischen Signatur der johanneischen Jesus-Christus-Geschichte, dass Jesu Verurteilung und Kreuzigung konsequent aus dem Blickwinkel der im Vorfeld skizzierten Ausnahme-Beziehung verstanden wird, in der der Sohn Gottes durch seine Ausschließung aus einer Menge - die seit 1,32f. durch das pneuma garantiert ist - eingeschlossen ist. »Jesus, der durch das pneuma in Geltung gesetzte Sohn Gottes, ist als Ausgeschlossener eingeschlossen« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 42 Kristina Dronsch Der Raum des Geistes ZNT 25 (13. Jg. 2010) 43 In der narrativen Gestaltung der johanneischen Erzählung von Verurteilung und Kreuzigung in Kapitel 19 wird gegenüber Jesus, der mehrfach als »dieser Mensch« (vgl. 18,29; 19,19) ausgewiesen wird, der Vorwurf erhoben, dass er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht habe (gr. hoti hyiou theou heauton epoiēsen in 19,7 - ein Vorwurf, der auch in 5,18; 10,33 laut wird), so dass er nach dem für jeden geltenden Gesetz sterben muss. Schlicht gesprochen führt hier eine Normübertretung, auf welche die entsprechende Sanktion folgt, zum Tod. Der Mensch Jesus muss also sterben nach dem für alle geltenden Gesetz, weil er sich zum Sohn Gottes gemacht hat. Dies heißt, dass Jesus in der Logik des Todes als der ausgeschlossene Eingeschlossene verstanden wird, nämlich als der, der aus der Menge durch seine Verurteilung ausgeschlossen wird, weil er gerade dazugehört - deswegen ist das Gesetz, das für alle gilt, auf ihn anwendbar, wie es in 19,7 heißt: »wir haben ein Gesetz und nach dem Gesetz muss er sterben«. Diese Szene hat nicht einfach nur einen »episodischen Charakter« 26 noch soll hiermit erwiesen werden, dass der »Unglaube der wahre Grund für den Tod Jesu« sei, 27 sondern hier wird die Konsequenz der Ausnahmebeziehung bis zum Äußersten entfaltet: Jesus, der durch das pneuma in Geltung gesetzte Sohn Gottes, ist als Ausgeschlossener eingeschlossen, und zwar dergestalt eingeschlossen, dass das den Menschen geltende Gesetz sich auf die Ausnahme anwendet, indem es sich von ihm abwendet, d.h. den Sohn Gottes der Verurteilung übergibt. Das Johannesevangelium lässt dementsprechend - wie auch die synoptischen Evangelien - keinen Zweifel daran, dass Jesus am Kreuz starb, vielmehr gilt nach diesem Evangelium, dass sich am Kreuz auf die paradoxeste Weise die Ausnahmebeziehung, die Jesus, den Sohn Gottes, als eingeschlossenen Ausgeschlossenen versteht, bestätigt. Der Ausspruch »es ist vollbracht« (Joh 19,30) hat keine andere Funktion als darauf hinzuweisen. Aber weil von Jesus gilt: »Niemand nimmt das Leben von mir, sondern ich selber gebe es. Ich habe die Vollmacht, es zu geben, wie ich die Vollmacht habe, es wieder zu nehmen. Dieses Gebot (gr. entolē) habe ich von meinem Vater empfangen« (Joh 10,18), zeigt sich in seiner Verurteilung und seinem Tod, dass er zu Recht Sohn Gottes ist, der durch den Geist garantiert wird, denn er hat die souveräne Vollmacht, die der Ausnahme zukommt. Es ist somit das Proprium der johanneischen Jesus-Christus-Geschichte, dass sie das Kreuz konsequent als eine narrative Inszenierung darstellt, um die eingeschlossene Ausgeschlossenheit des Sohnes Gottes auszudrücken. Wenn nun noch einmal bedacht wird, dass paredōken to pneuma in Joh 19,30 eine singuläre Aussage des Sterbens darstellt, haben wir auch diese Wendung im Sinne der skizzierten Ausnahmebeziehung zu verstehen. Der johanneische Jesus überlässt in dem Moment das pneuma, da er als Sohn Gottes nicht mehr dieser Markierung, die ihn ausschließt aus einer Menge, bedarf, denn die Beziehung zur Menge - nämlich als der, der unter uns wohnt - hat sich durch die nun mit dem Kreuz ermöglichte Auferstehung und durch seine angekündigte Rückkehr zum Vater aufgehoben. Dies könnte in diesem Sinne eine triumphale Geschichte sein, in der sich die souveräne Freiheit des Gekreuzigten realisiert, und zwar dergestalt realisiert, dass der Sohn Gottes die Ausnahmebeziehung, die durch das pneuma garantiert wird, aufhebt, als er das pneuma sozusagen nicht mehr braucht. Jedoch würde dieses Verständnis der Übergabe des pneuma die johanneische Topographie des Geistes verfehlen. Vielmehr ist die Formulierung paredōken to pneuma als Voraussetzung zu verstehen, dass die Ausnahme zur Regel werden kann. 3. Die topographische Rede vom Geist im Johannesevangelium als Ausnahme, die die Regel bestätigt Hier ist nun zuerst ein Blick auf die letzte pneuma-Stelle des JohEv zu werfen: auf Joh 20,22f. Dort wird mit folgenden Worten die Geistgabe durch den auferweckten Gekreuzigten an die Jünger erzählt: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und dieses sagend hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten« (Joh 20,22f.). Es geht in Joh 20,22f. mit der Sendung der Jünger und ihrer Bevollmächtigung, Sünden zu vergeben bzw. nicht zu vergeben, nicht um eine spezifische Funktion des Geistes oder gar um die Verleihung eines spezifischen Amtscharismas exklusiv an die Zwölf, sondern hier wird die Ausnahmebeziehung, die zwischen Jesus und pneuma bestand, nun zur Regel, die ihre Voraussetzung in der Geistüberlassung Jesu hat. Die Neuerung hinsichtlich der Rede vom Geist besteht nicht darin, dass sich das, was in 1,32f. bei der Geistgabe an Jesus angekündigt war, nun vollzieht, sondern dass die Ausnahme-Beziehung, die zwischen pneuma »die Formulierung paredōken to pneuma [ist] als Voraussetzung zu verstehen, dass die Ausnahme zur Regel werden kann.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 43 Zum Thema 44 ZNT 25 (13. Jg. 2010) und Jesus, dem Sohn Gottes, garantiert war, losgelöst wird und Geltung erlangt, indem sie für die Jüngerinnen und Jünger Jesu ermöglicht wird. Gewiss nicht absichtslos werden die Leserinnen und Leser bei der Gabe des Heiligen Geistes in die Atmosphäre der Genesis (vgl. Gen 2,7; Ez 37,9) versetzt, wo es von Gott mit Blick auf den von ihm gebildeten Erdenkloß Adam heißt: »und er hauchte in seine Nase Lebensodem. Da wurde Adam zum lebendigen Wesen« (in der LXX wird dasselbe Wort wie in Joh 20,22 verwendet: enephusēsen). Dunn hält deshalb für Joh 20,22 fest: »John presents the act of Jesus as a new creation«. 28 Die Geistgabe ist für die Jünger eine neue Schöpfung. So wie der Erdenkloß Adam erst durch den Lebensodem unterscheidbar von der Erde wird, so erhalten die Jünger den »lebendig machenden« Geist - wie es in Joh 6,63 heißt, der nun zu ihrem identity marker in der Welt wird und sie gleichzeitig herausnimmt aus der Welt. Die mit Geist Begabten haben sozusagen zwei Leben: ein Leben, das sie in der Welt führen, und ein Leben im Raum des Geistes. Als die mit dem Geist Begabten sind sie aus der Welt herausgenommen, denn sie sind neu Geborene in der Welt. Damit sind sie nun die eingeschlossenen Ausgeschlossenen. Diese eingeschlossene Ausgeschlossenheit wird maßgeblich in dem Abschnitt des Johannesevangeliums thematisiert, den Thyen als den langen Abschied Jesu von seinen Jüngern bezeichnet hat und der Joh 13,1-17,26 umfasst. 29 Es handelt sich um die Abschiedsworte des scheidenden Jesus, wobei zu betonen ist, dass das hier dominierende Zeitverhältnis ein paradoxes ist. Denn es handelt sich um »eine als prospektive Verhältnisgabe Jesu erzählte retrospektive Verhältnisnahme«, 30 der durch das Evangelium Angesprochenen. In diesen Abschiedsworten führt der scheidende Jesus aus, dass die Jünger nicht ohne Bezug zur Welt sind, denn sie sind en tō kosmō, in der Welt (17,11), aber sie sind nicht mehr ek tou kosmou, aus der Welt (17,16). Im Gegensatz zu Jesus, der »schon nicht mehr in dieser Welt« ist, sind die Jünger »in der Welt« (Joh 17,11) und deswegen sind die Jünger nun gesandt in die Welt (vgl. Joh 17,18). Dies ist der Grund, warum die johanneische Erzählung keine Aussendung der Jünger während des »irdischen Wirkens« Jesu kennt. Solange Jesus anwesend ist, ist er die souveräne Ausnahme. Die Jünger sind bleibend in die Welt eingeschlossen, sie sollen nicht aus der Welt genommen werden, wie es in 17,15 heißt, aber sie sind als die mit dem Geist Begabten Ausgeschlossene, denn sie sind die Ausgewählten aus dem Kosmos. Deshalb werden in den Abschiedsreden die Seinen in der Welt (Joh 13,1ff.) als die »Kinder Gottes« (Joh 13,33) angesprochen und es wird ihnen vergewissert durch Jesus, dass sie Auserwählte sind. So heißt es in Joh 15,19: »Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt«. Die Seinen sind die durch Jesus Auserwählten aus der Menge, die nun als die Geistbegabten Kinder Gottes sind. Zugleich sind sie in dieser eingeschlossenen Ausgeschlossenheit bleibend verbunden mit Jesus. Dies ist der Sinn der Rede vom parakletischen Geist, denn es ist - um in Anlehnung an Alain Badiou zu sprechen - in der Konzeption des Johannesevangeliums gerade der Geist, der bleibt. Das, was die Stärke und der Unterscheidungsmarker der mit Geist Begabten ist, ist, dass sie zwei Leben erhalten. Die Gabe des parakletischen Geistes, der nach Jesu Weggang zum Vater bleibend bei den Kindern Gottes sein wird, stellt sie in eine Ausnahme-Beziehung, die sie von der Welt trennt. Aber es ist zugleich die Gabe des Geistes, der ihnen das Bleiben in der Welt ermöglicht. Trotz ihrer Angst in der Welt (Joh 16,33) ist dies bleibend der Wirkort der Angeredeten. So heißt es in Joh 15,18ff.: »Wenn euch die Welt hasst, so bedenkt, dass sie mich schon vor euch gehasst hat. Wäret ihr aus der Welt, dann liebte die Welt euch als ihr eigenes. Weil ihr aber nicht aus der Welt seid, ich euch vielmehr aus der Welt heraus erwählt habe, hasst euch die Welt«. Die Rede vom »Geist« im Johannesevangelium dient deshalb gerade nicht dazu, »die Sphäre Gottes und der Welt auseinanderzuhalten« 31 , in der sich auf der einen Seite »Geist«, »Gott« und »von oben« und auf der anderen Seite »Fleisch«, »von unten«, »Teufel« und »Welt« gegenüberstehen, sondern vielmehr etabliert das Lexem pneuma eine Topographie des Geistes, von der aus die eingangs genannten dynamischen Raumtransformationen zwischen Gott und Welt über den Geist, der bleibt, sich erschließen. Die Rede von oben und unten, von dem Woher und Wohin, die die gesamte johanneische Erzählung durchzieht, hat folglich nur einen Sinn, wenn es einen Pol der Relation gibt, der markiert, von Wo gesprochen wird. Dieses ist der Raum des Geistes. Nach dem Johannesevangelium befinden wir uns schon im Raum des Geistes, es ist die Fiktion dieses Evangeliums, dass es einen Zeit-Raum gegeben habe vor der Geistgabe. Es entscheidet die Stellung zu Jesus Christus, dem mit Geist begabten und begabenden Sohn Gottes, in welchem Raum wir stehen. »Das, was die Stärke und der Unterscheidungsmarker der mit Geist Begabten ist, ist, dass sie zwei Leben erhalten.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 44 Kristina Dronsch Der Raum des Geistes ZNT 25 (13. Jg. 2010) 45 Anmerkungen 1 M. Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Frankfurt a.M. 2006, 21. 2 J. Frey, Die johanneische Eschatologie II. Das johanneische Zeitverständnis (WUNT 110), Tübingen 1998, 296. 3 Frey, Eschatologie II, 289. 4 M.E. ist die Kontroverse zwischen Bultmann und Käsemann um das Verständnis von V. 14 sachgemäß dahingehend aufzulösen, dass die räumlichen Transformationen der ausschlaggebende Punkt sind. Denn das Wohnen in der lokalen Bestimmung »unter uns« gibt die empirisch erschließbare Möglichkeit, die Herrlichkeit des Logos wahrnehmbar werden zu lassen: »Seine Herrlichkeit besteht genau darin, dass er eins mit Gott ist und zwar als ein Mensch, der solidarisch den von Gott geschaffenen Kosmos bewohnt, ihn als Wohnstätte des geschöpflichen Lebens aufzeigt und dessen Leben und Sterben unter den Bedingungen der fleischlichen Existenz ein Leben und Sterben für die anderen, für den Kosmos als Gottes geliebte Schöpfung ist.« (s. Alkier, Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des neuen Testaments (NET 12), Tübingen 2009, 150). 5 Die Differenzen im Gebrauch von apostellein und pempein werden bei K. Rengsdorf, Art. apostellō, ThWNT I, 404, damit erklärt, dass »apostellein von Jesus da gebraucht wird, wo es sich um die Begründung seiner Autorität in Gottes Autorität als der Autorität des für seine Worte und Werke Verantwortlichen […] handelt, daß dagegen die Formel ho pempsas me dazu dient, die Beteiligung Gottes am Werke Jesu in der actio seiner Sendung festzustellen«. 6 Hierfür ist auch die programmatisch vorangestellte Tempelreinigung in Joh 2 von Relevanz. 7 M. Fassler, Cerbernetic Localism. Space reloaded, in: J. Döring/ T. Thielmann (Hgg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, 185-217: 192. 8 G. Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus, in: Die einsame Insel. Texte und Gespräche von 1953- 1974, hg. v. D. Lapoujade, aus d. Franz. v. E. Moldenhauer, Frankfurt a.M. 2003, 248-281: 253. 9 »Anders als der linguistische oder ethnologische Strukturalismus, der von einem einheitlichen und axiomatischen Verteilungsgesetz der Sprach- und Verwandtschaftssysteme ausgeht, verstehen Foucault und Deleuze jede Struktur als eine in Veränderung begriffene Mannigfaltigkeit von Relationen und Elementen. Deleuze verdeutlicht dies mit dem aus der Botanik entnommenen Begriff des ›Rhizoms‹ […], einem Wurzelgeflecht, das sich ohne die Unterscheidung von Haupt- und Nebenwurzel als vielfältige Verästelung mit erneuten Bündelungen und Überschneidungen ausbreitet« (D. Quadflieg, Philosophie, in: St. Günzel (Hg.), Raumwissenschaften (stw1891), Frankfurt a.M. 2009, 274-289: 276f. 10 Vgl. z.B. J.M. Lotman, Die Struktur literarischer Texte, aus dem Russ. v. R.-D. Keil, München 1970. 11 Vgl. z.B. M. Foucault, Raum, Wissen Macht, in: ders., Schriften. Dits et Ecrits, Bd. 4, hg. v. D. Defert u. F. Ewald, Frankfurt a.M. 1994, 324-340. 12 Vgl. z.B. G. Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, aus dem Ital. v. H. Thüring, Frankfurt a.M. 2002. 13 Vgl. z.B. J. Derrida, Chora, Wien 1995. 14 Zentraler Vers für eine ontologische versus funktionale Bestimmung des Geistes im Johannesevangelium ist Joh 7,39. Porsch, [Pneuma und Wort, 53] nennt diese Stelle das »›Grundgesetz‹, unter dem alle Pneuma-Aussagen im JohEv stehen«. 15 Ich danke Annette Weißenrieder für die Einsicht in ihr Manuskript, zu dem von ihr und Troy Martin herausgegebenen Quellenbuch zur antiken Anthropologie. Die Anregung zu einer relationalen topographischen Bestimmung von pneuma verdanke ich den in diesem Manuskript dargebotenen Quellentexten. 16 St. Alkier, Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften Neuen Testaments (NET 12), Tübingen 2009, 152. 17 F. Porsch, Pneuma und Wort. Ein exegetischer Beitrag zur Pneumatologie des Johannesevangeliums (FThSt 16), Frankfurt a.M. 1974, 49. 18 T.G. Brown, Spirit in the Writings of John, Johannine Pneumatology in Social-scientific Perspective (JSNT.SS 253), London/ New York 2003, 90. 19 Porsch, Pneuma, 36. 20 Brown, Spirit, 96. 21 H. Thyen, Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 2005, 92. 22 So beispielsweise Brown, John, 157; Y. Ibuki, Die Wahrheit im Johannesevangelium, Bonn 1972, 240; Porsch, Pneuma, 38; G.M. Burge, The Anointed Community. The Holy Spirit in the Johannine Tradition, Grand Rapids 1987, 60f.; C. Bennema, The Power of Saving Wisdom. An Investigation of Spirit and Wisdom in Relation to the Soteriology of the Fourth Gospel (WUNT II/ 148), Tübingen 2002, 163, die hierbei von der schwierigeren Lesart ausgehen. 23 Thyen, Johannesevangelium, 744f. 24 J. Zumstein, Johanneische Interpretation des Kreuzes, in: ders., Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, übers. v. E. Straub, Zürich 1999, 219-240: 221. 25 C. Dietzfelbinger, Das Evangelium nach Johannes (ZBK NF 4/ 2), Zürich 2001, 305. 26 K. Wengst, Das Johannesevangelium (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 4,2), Stuttgart 2001, 237. 27 U. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes (ThHKNT 4), Leipzig 1998, 303. 28 J.D.G. Dunn, Baptism in the Holy Spirit. A Re-examination of the New Testament Teaching on the Gift of the Spirit in Relation to Pentecostalism Today, London 1970, 178. 29 Vgl. Thyen, Johannesevangelium, 582. 30 J. Rahner, Vergegenwärtigende Erinnerung. Die Abschiedsreden, der Geist-Paraklet und die Retrospektive des Johannesevangeliums, ZNW 91 (2000), 72-90: 74. 31 So E. Schweizer, Art. Pneuma, pneumatikos, ThWNT VI, 389-451: 437. 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 45