eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 13/26

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2010
1326 Dronsch Strecker Vogel

Vom Vorrang des Hebräischen

2010
Stefan Schorch
Im Hinblick auf die Kanonisierung des Alten Testaments ist zwischen der Kanonisierung der einzelnen Schriftenkorpora (Tora/ Gesetz, Propheten, sonstige Schriften), der Einzelschriften als Teil dieser Schriftengruppen sowie der Kanonisierung einer bestimmten Textgestalt zu unterscheiden. Deutlich ist, dass das Problem, ob die neutestamentlichen Schriften die Ausrichtung des alttestamentlichen Kanons an der Septuaginta verlangen, vor allem den dritten der genannten Punkte betrifft, also die Textgestalt, und zwar sowohl hinsichtlich der Sprache dieser Textfassung (d.h. Griechisch versus Hebräisch) als auch hinsichtlich der Textsemantik, denn die Texte der Septuagintaüberlieferung unterscheiden sich ja von den hebräischen Textfassungen, also insbesondere vom Masoretischen Text, auch auf dieser Ebene in nicht unerheblichem Maße. Als Ausgangspunkt der Betrachtungen können die neutestamentlichen Referenzen auf das Alte Testament dienen. Sie verweisen selbstverständlich in griechischer Sprache auf das Alte Testament. Indes rechtfertigt diese erste Beobachtung der Textoberfläche keineswegs die Schlussfolgerung, das Neue Testament legitimiere das Alte Testament ausschließlich in seiner griechischen Fassung, wie die folgenden Argumente vor Augen führen mögen: 1.) Auch wenn die einzelnen alttestamentlichen Zitate im neutestamentlichen Schrifttum sich mindestens in einzelnen Handschriften der Septuagintaüberlieferung meist wortgetreu nachweisen lassen, ist uns aufgrund der Überlieferungsvielfalt der alttestamentlichen Texte die in einer bestimmten neutestamentlichen Schrift zitierte griechische Textfassung der betreffenden alttestamentlichen Schrift letztlich nicht bekannt. Dieser Einwand fällt ins Gewicht, weil die in einer bestimmten neutestamentlichen Schrift auf Griechisch zitierten und im Allgemeinen wenig umfänglichen Passagen aus dem alttestamentlichen Schrifttum ja aus ihren ursprünglichen Ko- und Kontexten herausgenommen sind, um im NT rekontextualisiert zu werden. Unsere Unkenntnis der genauen Textfassung verhindert daher, dass wir diese Ko- und Kontexte der zitierten Passagen wahrnehmen und berücksichtigen können. Das allerdings trifft nicht nur für uns heutige Leser zu, sondern hat auch die Situation der Leser während der neutestamentlichen Zeit bereits bestimmt. Nach allem, was wir derzeit über die alttestamentliche Textüberlieferung wissen, konnten jene nämlich keineswegs von einem eindeutigen und einheitlichen Wortlaut des alttestamentlichen Textes ausgehen, sondern sahen sich im Hinblick auf das alttestamentliche Schrifttum mit einer Vielzahl von verschiedenen Textfassungen konfrontiert, sowohl bezüglich der hebräischen als auch bezüglich der griechischen Textüberlieferung. Von daher verbietet sich auch die Annahme, die vorliegenden Zitate könnten einen bestimmten, in den Köpfen der zeitgenössischen Leser der neutestamentlichen Schriften präsenten alttestamentlichen Text aufrufen und intertextuell einbinden. 2.) Teilweise scheint diese Loslösung zitierter alttestamentlicher Passagen aus ihrem ursprünglichen Überlieferungskontext nicht erst mit deren Aufnahme durch die neutestamentlichen Autoren geschehen zu sein, sondern hat wohl bereits zu deren Voraussetzungen gehört. Dies dürfte etwa in Röm 3,10-18 der Fall sein, wo mutmaßlich ein Florilegium zitiert wird. 1 Eine solche Sammlung und Zusammenstellung alttestamentlicher Passagen ist nun allerdings selbst kein alttestamentlicher Text, sondern kreiert einen neuen, eigenständigen Text. Mit dem Zitat eines Florilegiums verschiedener alttestamentlicher Passagen wird mithin keineswegs ein bestimmter alttestamentlicher Text zitiert und aufgerufen. 3.) Bisweilen müssen wir wohl sogar davon ausgehen, dass der in der neutestamentlichen Textüberlieferung vorliegende Wortlaut eines vermeintlichen alttestamentlichen Zitates in der zitierten Fassung gar nicht aus dem griechischen Alten Testament stammt. Kontroverse Stefan Schorch Vom Vorrang des Hebräischen ZNT 26 (13. Jg. 2010) 55 »[Es] verbietet sich auch die Annahme, die vorliegenden Zitate könnten einen bestimmten, in den Köpfen der zeitgenössischen Leser der neutestamentlichen Schriften präsenten alttestamentlichen Text aufrufen und intertextuell einbinden.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 55 Kontroverse 56 ZNT 26 (13. Jg. 2010) Dabei sind verschiedene Varianten bezeugt, zwischen denen eine trennscharfe Abgrenzung allerdings nicht immer leicht fällt: - In einigen Fällen wurde der Wortlaut alttestamentlicher Zitate von den Verfassern der neutestamentlichen Schriften offenkundig verändert, um die betreffenden Zitate dem neuen Kontext zu adaptieren, wobei die Veränderungen den Intentionen des zitierenden Textes folgen. Ein beredtes Beispiel dafür findet sich etwa in Eph 4,7, wo der Text von Psalm 68,19 (LXX Ps 67) von der zweiten Person in die dritte umgesetzt wurde, um so einen Bezug auf Christus herstellen zu können, der dem neuen Kontext entspricht. - Dieses Verfahren einer freien Behandlung des zitierten Textes scheint bisweilen sogar bis zur Schaffung von Pseudozitaten ausgeweitet worden zu sein, jedenfalls finden sich im Neuen Testament mehrfach Schriftreferenzen, deren Vorlage völlig im Dunkeln bleibt, wie etwa in 1Kor 2,9, wo Paulus schreibt: »Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht: ›Was kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.‹« Trotz der das Zitat einführenden ausdrücklichen Behauptung steht es jedenfalls so in keinem der alttestamentlichen Texte geschrieben, die wir kennen, und da wir einerseits für die Mitte des 1. Jh. n. Chr. im Allgemeinen mit einer bereits relativ hohen Überlieferungsstabilität der alttestamentlichen Texte zu rechnen haben, angesichts derer solch gravierende Abweichungen eine Ausnahme darstellen würden, und wir andererseits im neutestamentlichen Schrifttum wie auch in der zeitgenössischen jüdischen Literatur Zitiergewohnheiten beobachten können, die einen durchaus flexiblen Umgang mit Zitaten zeigen, legt sich die Vermutung nahe, dass Paulus die Zitatformel nur benutzt hat, um die Autorität eines bestimmten Wortlautes im Interesse seiner eigenen Argumentation zu fingieren. Kurz gesagt, das vermeintliche alttestamentliche Zitat in 1Kor 2,9 ist wahrscheinlich ein rein fiktives Zitat. 4.) Insgesamt kann mithin festgestellt werden, dass die Tatsache der Verwendung alttestamentlicher Zitate im Neuen Testament wie auch deren explizite Markierung als Zitate zwar durchaus als eine Autoritätszuschreibung an bestimmte alttestamentliche Schriften oder an das alttestamentliche Schrifttum überhaupt aufzufassen ist, nicht aber als eine Autoritätszuschreibung an einen bestimmten Wortlaut oder eine bestimmte Textfassung. Selbst in denjenigen Fällen, wo sich der zitierte Wortlaut in der alttestamentlichen Textüberlieferung verifizieren lässt, also tatsächlich im eigentlichen Sinne von einem »wörtlichen« Zitat gesprochen werden kann, ist die Bezugsgröße ein durch den verweisenden neutestamentlichen Text intendierter Sinn und nicht der alttestamentliche Kontext oder gar ein konkreter Wortlaut des alttestamentlichen Textes. Damit entfällt auch die Möglichkeit, vom neutestamentlichen Schrifttum her etwa eine bestimmte Textfassung in griechischer Sprache in einen (prä-)kanonischen Status gerückt zu sehen. 5.) Diesem letzteren Schluss entspricht auch, dass das Griechische an keiner Stelle des Neuen Testaments als »Heilige Sprache« in Anspruch genommen wird. Das Konzept von »Heiliger Sprache« war zwar im palästinischen Judentum der Zeitenwende durchaus bekannt und verbreitet, wurde aber eben spezifisch auf das Hebräische (sowie darüber hinaus z.T. auch auf das Aramäische) bezogen. 2 So wird es etwa durch Jub 12 vorausgesetzt, wo die hebräische Sprache als die Sprache der Schöpfung erscheint, welche, nach einer Phase der Vergessenheit in der Folge der babylonischen Sprachverwirrung, von einem Engel an Abraham vermittelt worden sei, und auch durch den Prolog des Buches Ben Sira. Terminologisch fassbar ist der Ausdruck l e šōn ha-qōdæš erstmals in dem hebräischen Qumranfragment 4Q464, das aus dem 1. Jh. v. Chr. stammt. 3 6.) Das aus der Perspektive des Judentums der Spätzeit des Zweiten Tempels deutliche Statusgefälle vom Hebräischen zum Griechischen hat eine klare Entsprechung in dem gegenüber den hebräischen Originalen minderen Status, der den griechischen Textfassungen der alttestamentlichen Texte im Allgemeinen zugeschrieben wurde, wie dies sowohl in der Aristeasbrieffassung als auch in der Josephusfassung der Septuagintalegende zum Ausdruck kommt. Die von Philo im Hinblick auf die Septuaginta vertretene Inspirationstheorie dürfte demgegenüber kaum repräsentativ gewesen sein. Eine prononcierte und offenkundig auch sprachphilosophisch fundierte Statusminderung der griechischen Übersetzungen im Gegenüber zu ihren hebräischen Vorlagen findet sich im Prolog des griechischen Übersetzers des Ben Sira-Buches. Dieser er- »Bisweilen müssen wir wohl sogar davon ausgehen, dass der in der neutestamentlichen Textüberlieferung vorliegende Wortlaut eines vermeintlichen alttestamentlichen Zitates in der zitierten Fassung gar nicht aus dem griechischen Alten Testament stammt.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 56 Stefan Schorch Vom Vorrang des Hebräischen kennt zwar die Notwendigkeit solcher Übersetzungen zum Zwecke des Wissenstransfers vom hebräischsprachigen ins griechischsprachige Judentum und dessen Unterweisung an, verdeutlicht aber, dass die übersetzten Texte keineswegs die gleiche inhaltliche und ästhetische Wirkung auf den Leser auszuüben vermöchten wie die hebräischen Originale: »Denn nicht hat etwas die gleiche Bedeutung, was ursprünglich auf Hebräisch gesagt wurde und danach übersetzt wird in eine andere Sprache.« (Prolog Ben Sira 21f.) 4 Im Hinblick auf das Neue Testament und seine Umwelt ist folglich zusammenfassend festzustellen, dass die neutestamentlichen Schriften zwar das alttestamentliche Schrifttum als »Heilige Schrift« voraussetzen, dabei aber keineswegs eine spezifische Textfassung autorisieren oder aber auch einen Rezeptionsprozess in Gang setzen, der sich auf eine bestimmte Sprache, in diesem Fall auf das Griechische, richtet. Die Frage, welche Textfassung des Alten Testaments für das Christentum kanonisch sei, und ob dafür die griechische Übersetzung in Frage komme, muss daher ausschließlich auf der Grundlage der alttestamentlichen Überlieferung selbst beantwortet werden. In Bezug auf die griechische Überlieferung erscheinen dabei die folgenden Beobachtungen von besonderer Bedeutung: 1.) Der Wortlaut des griechischen Alten Testaments ist wenigstens teilweise von zufälligen Einflüssen auf den Übersetzungsprozess und Missverständnissen der hebräischen Vorlage durch deren Übersetzer geprägt. Ein deutlicher Beleg dafür findet sich beispielsweise in Gen 15,10f., wo es im Zusammenhang mit Abrahams Opfer zum Bundesschluss im griechischen Text folgendermaßen heißt: »Er nahm aber für ihn alle diese [sc. Opfertiere] und teilte sie in der Mitte durch und legte sie einander gegenüber, die Vögel aber zerteilte er nicht. Vögel aber kamen auf die Körper herab, auf ihre Hälften, und Abram setzte sich neben sie [kai sunekathisen autois Abram].« (LXX Gen 15,10f ) 5 Der vorliegende Wortlaut, nach dem Abraham sich gemeinsam mit den Vögeln bei den geschlachteten Opfertieren niedersetzte, ist weder im unmittelbaren Kontext noch auch im weiteren Kontext sinnvoll und nachvollziehbar. Verständlich wird die griechische Textfassung nur im Zusammenhang mit ihrer hebräischen Übersetzungsvorlage, die sich aus dem Masoretischen und dem Samaritanischen Text rekonstruieren lässt. Der Masoretische Text liest in Vers 11 nämlich folgendermaßen: »Raubvögel aber kamen auf die Tierleiber herab, und Abram verscheuchte sie [wajjaššeb ’otam ’abram].« (MT Gen 15,11) Der Vergleich zwischen dem griechischen und dem hebräischen Text macht deutlich, dass die Differenz zwischen beiden aus der abweichenden Vokalisierung des im Masoretischen Text wie der rekonstruierten hebräischen Vorlage der Septuaginta identischen Konsonantengerüsts wyšb ’tm entsprungen ist: Während nämlich der Masoretische Text (ebenso wie auch die Samaritanische Toralesung) an dieser Stelle WaYYaŠŠēB ’ōTāM überliefert, das Verb mithin als Hif‘il der Wurzel nšb und das folgende Wort als suffigierte nota accusativi auffasst, liegt der griechischen Übersetzung offenkundig die Vokalisierung *WaYYēŠēB ’iTTāM zugrunde, also eine Ableitung von dem Verb yšb mit folgender suffigierter Präposition. Die Ursache für diese Misslesung des hebräischen Konsonantengerüsts liegt höchstwahrscheinlich darin, dass der Übersetzer das seltene hebräische Verb nšb »verscheuchen« schlicht nicht kannte. 6 Stefan Schorch, geb. 1966, ist Professor für Bibelwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg. Er studierte in Leipzig, Berlin und Jerusalem. 1998 wurde er in Leipzig promoviert, 2003 folgte die Habilitation im AT an der kirchlichen Hochschule Bethel. Stationen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit sind Berlin, Bethel, London und Halle. Seit 2008 ist Stefan Schorch Mitglied des Steering committee der Arbeitsgruppe »Orality, Textuality and the Formation of the Hebrew Bible« beim Annual Meeting der Society of Biblical Literature und seit 2009 Leiter des deutschen Herausgeberkreises von »Henoch«. Prof. Dr. Stefan Schorch ZNT 26 (13. Jg. 2010) 57 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 57 Kontroverse 58 ZNT 26 (13. Jg. 2010) Solche Missverständnisse der hebräischen Vorlage, die auf mangelnden hebräischen Sprachkenntnissen der griechischen Übersetzer beruhen, sind keineswegs selten, sondern haben die griechischen Textfassungen der biblischen Bücher in beträchtlichem Maße beeinflusst. Nicht wenige Texte der griechischen Bibel sind daher aus sich selbst heraus betrachtet durchaus unsinnig, insofern sie nicht als Träger einer kohärenten Botschaft betrachtet werden können, durch welche Sender und Adressat in einer Verbindung stehen. 7 2.) Die im vorangehenden Punkt behandelte Beobachtung, dass der Text der griechischen Fassung(en) des Alten Testaments oft nur im Zusammenhang mit seiner hebräischen Vorlage als Träger einer sinnvollen Botschaft zu verstehen ist, bedeutet letztlich zugleich, dass der griechische Text nicht losgelöst von der hebräischen Textüberlieferung betrachtet werden kann. Zu fragen ist nun allerdings weiterhin, ob diese Schlussfolgerung lediglich für das Verständnis des griechischen Textes aus historisch-kritischer Perspektive relevant ist, oder aber bereits das Selbstverständnis der Übersetzer und deren Werk prägte. In anderen Worten: Wollten die griechischen Übersetzer die hebräische Textfassung vollgültig ersetzen oder aber eine griechische Textfassung produzieren, die von vornherein und ausschließlich als Verständnishilfe des hebräischen Originals gedacht war und niemals von diesem losgelöst und unabhängig gelesen werden sollte? - Jedenfalls hinsichtlich der aramäischen Targumim wird man weitestgehend von dem letzteren Modell auszugehen haben. 8 Aber auch bezüglich der griechischen Übersetzung des Alten Testaments scheint es deutliche Hinweise zu geben, dass diese mindestens ihrer ursprünglichen Konzeption nach auf einer fortbestehenden Verbindung mit der hebräischen Übersetzungsvorlage beruht, also stets im Zusammenhang mit letzterer gelesen wurde. Diesen Schluss legen insbesondere die Transliterationen hebräischer Wörter nahe, wie sie sich etwa in Gen 22,13 (sabek für hebr. sbk »Gestrüpp«) und 1Sam 5,4 (amapheth für hebr. mptn »Schwelle«) finden. 9 Die Tatsache, dass diese transliterierten hebräischen Wörter im griechischen Text zwar unübersetzt bleiben, aber doch nicht einfach weggelassen, sondern vielmehr durch Platzhalter repräsentiert werden, lässt sich kaum anders denn als Indiz dafür deuten, dass die griechische Textfassung nur als Zusatz und Verständnishilfe zur hebräischen konzipiert wurde, nicht aber als eigenständiger und unabhängiger Text. Der Versuch, die griechische Textfassung des Alten Testaments losgelöst von ihrer hebräischen Vorlage zu lesen und zu verstehen, erscheint daher nicht nur aus historisch-kritischer Perspektive problematisch, sondern dürfte auch den impliziten Verständnisvorgaben des griechischen Textes kaum gerecht werden. Zusammenfassend ergibt sich mithin, dass weder das neutestamentliche Schrifttum einerseits noch auch die griechische Überlieferung des Alten Testaments andererseits es als gerechtfertigt erscheinen lassen, den christlichen Kanon des Alten Testaments an der LXX auszurichten. Vielmehr ist die hebräische Überlieferung des alttestamentlichen Textes sowohl aus historisch-kritischer Perspektive als auch in den zeitgenössischen Horizonten des Neuen Testaments die autoritative Textbasis, die durch die griechischen Übersetzungen nicht abgelöst oder ersetzt, sondern lediglich im Hinblick auf die konkreten und kontingenten Bedürfnisse des hellenistischen Judentums ergänzt werden sollte. Anmerkungen 1 M. Rose, »Wie denn geschrieben steht: Da ist nicht, der rechtfertig sei, auch nicht einer« (Römer 3,10). Ein Alttestamentler sieht Paulus auf die Finger, Wort und Dienst 28 (2005), 345-359. 2 Siehe hierzu M. Rubin, The Language of Creation or the Primordial Language. A Case of Cultural Polemics in Antiquity, JJS 48 (1998), 306-333. 3 Siehe hierzu E. Eshel/ M. Stone, The Holy Language at the End of the Days in Light of a New Fragment Found at Qumran (Hebräisch). Tarbitz 62 (1992/ 93), 169-177, Tal, Abraham: »Leschon ha-qodesch« und »laschon ivri« zwischen Juda und Samaria (hebr.), in: M. Bar-Asher (Hg.), Mehkarim be-laschon 11/ 12: Festschrift Avi Hurvitz, Jerusalem: Hebräische Universität, 2008, 121-132, sowie S. Schorch, The Pre-eminence of the Hebrew Language and the Emerging Concept of the »Ideal Text« in Late Second Temple Judaism, in: G.G. Xeravits/ J. Zsengellér (Hgg.), The Book of Ben Sira. Papers of the Third International Conference on the Deuterocanonical Books, Pápa, Hungary, 2006, Leiden 2008 (JSJ.Suppl. 127), 43-54. 4 Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Übersetzungstheorie des Ben Sira-Übersetzers siehe S. Schorch, Sakralität und Öffentlichkeit. Bibelübersetzungen als Pa- »Nicht wenige Texte der griechischen Bibel sind daher aus sich selbst heraus betrachtet durchaus unsinnig, insofern sie nicht als Träger einer kohärenten Botschaft betrachtet werden können, durch welche Sender und Adressat in einer Verbindung stehen.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 58 Stefan Schorch Vom Vorrang des Hebräischen ZNT 26 (13. Jg. 2010) 59 radigmen jüdischen Übersetzens, in: E. Lezzi/ D. Salzer (Hgg.), Dialog der Disziplinen. Jüdische Studien und Literaturwissenschaft. Berlin 2009 (minima judaica 6); 51-76, bes.: 59f. 5 Die Übersetzung folgt P. Prestel/ S. Schorch, Die Genesis-Septuaginta. Übersetzung, in: M. Karrer/ W. Kraus (Hgg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009. 6 Siehe hierzu J. Barr, ›Guessing‹ in the Septuagint, in: D. Fraenkel et al. (Hgg.), Studien zur Septuaginta - Robert Hanhart zu Ehren. Göttingen 1990 (Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens 20), 19-34, hier: 23, sowie S. Schorch, The Septuagint and the Vocalization of the Hebrew Text of the Torah, in: M.K.H. Peters (Hg.), XII Congress of the International Organisation for Septuagint and Cognate Studies, Leiden 2004. Leiden/ Boston 2006 (Septuagint and Cognate Studies 54), 41-54, hier: 43f. 7 Die hier zu Grunde liegende Definition des Begriffes »Text« folgt K. Ehlich, Textualität und Schriftlichkeit, in: L. Morenz/ S. Schorch (Hgg.), Was ist ein Text? Alttestamentliche, ägyptologische und altorientalistische Perspektiven. Berlin 2007 (BZAW 362), 3-17. 8 Siehe A. Tal, Is there a raison d’être for an Aramaic Targum in a Hebrew-speaking society? , RÉJ 160 (2001), 357-378. 9 Für weitere Beispiele und deren Einzelanalyse siehe E. Tov, Loan-words, Homophony and Transliterations in the Septuagint, in: Ders., The Greek and Hebrew Bible. Collected Essays on the Septuagint. Leiden u.a. 1999 (VT.S 72), 165-182, hier: 179. 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 59