eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 13/26

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2010
1326 Dronsch Strecker Vogel

»novam sprach, celeste deudsch«

2010
Charlotte Methuen
Luthers deutsche Übersetzung des Neuen Testaments erschien im September 1522. Dies war das so genannte Septembertestament, das er innerhalb von elf Wochen, während seines Wartburgaufenthaltes, übersetzt hatte. Eine zweite Auflage wurde schon im Dezember desselben Jahres gedruckt: Das Dezembertestament. Ein Jahr später veröffentlichte Luther die erste Teilübersetzung des Alten Testaments - den Pentateuch. 1524 kamen der zweite und dritte Teil des Alten Testaments heraus - die Bücher Josua bis Esther und Hiob bis zum Hohenlied - sowie eine revidierte Übersetzung des Neuen Testaments. Eine zweite Revision der Übersetzung des Neuen Testaments erschien 1530. Die Übersetzung der Propheten wurde dann 1532 herausgegeben. Schließlich publizierte Luther 1534 die erste von ihm ins Deutsche übersetzte Vollbibel (Biblia Deutsch) - fünf Jahre nach der Züricher Bibel. 1 Weitere Ausgaben kamen 1535, 1539, 1540 (jeweils eine) und 1541 (zwei) heraus. 2 Die letzte Überarbeitung der Übersetzung, die von Luther selbst durchgesehen werden konnte, wurde 1545 in Wittenberg gedruckt (Germanica). Kurz nach seinem Tod folgte 1546 eine weitere Edition, die von den Herausgebern der Weimarer Ausgabe als Grundtext übernommen wurde. Luthers Bibelübersetzung ist sicher eines seiner wirkungsvollsten Werke. Über die Geschichte und Theologie der Lutherbibel einen Aufsatz zu schreiben, ist schon insofern gewagt, als bereits eine Definition der Geschichte der Übersetzung schwierig zu sein scheint. Geht es um Entstehungsgeschichte, Wirkungsgeschichte, Rezeptionsgeschichte oder um die verschiedenen Revisionen der Lutherübersetzung? Geht es bei der Theologie um die Intentionen Luthers, die Wahrnehmung durch seine Gegner oder die Auseinandersetzungen innerhalb der lutherischen Kirche? Jede dieser Möglichkeiten wäre im Hinblick auf dieses Thema zu rechtfertigen. In diesem Aufsatz geht es hauptsächlich um die Entstehungsgeschichte der Lutherbibel, die Wichtiges über das Sprachverständnis seiner Bibelübersetzung beleuchtet. Hier spielt Luthers hohe Wertschätzung der deutschen Sprache als Mittel und Mittlerin der Heilsbotschaft eine wichtige Rolle. Die Verknüpfung von Sprache und Theologie in Luthers Übersetzungen des Neuen Testaments wird exemplarisch anhand seiner Behandlung der Stellen Mt 3,2 und 4,17, Luk 1,28 und Röm 3,28 untersucht. Luther war sich sehr bewusst, dass die deutsche Sprache anders als Latein, Griechisch oder Hebräisch funktioniert. Seine Aufgabe lag seiner Meinung nach darin, die Verheißung Gottes so in der Volkssprache sprechen zu lassen, dass auch die deutsche Sprache zu einer himmlischen Sprache wurde. 1. Der Weg zum »newen Testament Deutzch« 1.1 Die deutsche Bibel vor Luther Rückblickend erinnerte sich Luther im Februar 1538, dass er erst mit zwanzig Jahren in der Erfurter Universitätsbibliothek eine Bibel gesehen und sie dann sofort zu lesen angefangen habe. Zuvor, so berichtete er, seien ihm die Evangelien und Episteln alleine aus den Postillen - d.h. aus den Lesungen der Sonntagslesereihe - bekannt gewesen. 3 Er hatte - wie viele andere - ein solches Postillenbuch gekauft, bevor er ins Kloster eintrat. Aber nachdem er die Bibel entdeckt hatte, wollte er eine solche besitzen. Die Bibel hatte ihn sofort fasziniert - und bald wollte er, dass auch andere sie entdecken. »Vor dreißig Jahren«, soll er gesagt haben, »las niemand die Bibel, sie war allen unbekannt.« 4 Luther war durchaus stolz darauf, dass sich diese Situation durch die Verbreitung der Reformation und vor allem seiner Bibelübersetzung verändert hatte. Zweifelsohne sorgte seine Übersetzungsarbeit für die Verbreitung der Bibel und die Vertiefung der Bibelkenntnisse in vielen deutschsprachigen Gebieten. Die Biblia Deutsch in der Übersetzung Martin Luthers wurde zu einem der meistverkauften Bücher des sechzehnten Jahrhunderts. Luther hatte allerdings unrecht mit seiner Behauptung, vor der Reformation habe niemand die Bibel ge- Zum Thema Charlotte Methuen »novam sprach, celeste deudsch« Eine Untersuchung der theologischen Sprache von Luthers Bibelübersetzung* 38 ZNT 26 (13. Jg. 2010) »Seine Aufgabe lag seiner Meinung nach darin, die Verheißung Gottes so in der Volkssprache sprechen zu lassen, dass auch die deutsche Sprache zu einer himmlischen Sprache wurde.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 38 Charlotte Methuen »novam sprach, celeste deudsch« lesen. Es gibt deutliche Hinweise dafür, dass im späteren Mittelalter die Bibel gerne gekauft und gelesen wurde, auch von Laien. 5 Das erste von Gutenberg in Mainz gedruckte Buch war eine lateinische Bibel; wer des Lateinischen mächtig war und das Geld dazu hatte, konnte ohne Schwierigkeiten eine Bibel erwerben. Mindestens 94 verschiedene zwischen 1450 und 1519 gedruckte Editionen der Vulgata sind noch heute bekannt; 6 Uwe Neddermeyer schätzt, dass in diesem Zeitraum alleine im deutschen Reich 65 Editionen der lateinischen Bibel gedruckt wurden. 7 Die Bibel - und vor allem der Psalter, der »bis zur Reformation mit großem Abstand der meistgedruckte Text« war - diente nicht nur zur spirituellen Lektüre, sondern auch als »grundlegendes lateinisches Schul- und Lesebuch«. 8 Lateinkenntnisse waren aber zur Bibellektüre nicht nötig: Es gab ebenfalls deutsche Übersetzungen der Bibel. Heimo Reinitzer zählt achtzehn Editionen - vierzehn auf Hochdeutsch und vier auf Niederdeutsch - die in den Jahren 1466 bis 1522 verlegt wurden; dazu kamen noch vier Editionen auf Niederländisch, das dem Niederdeutschen sehr ähnlich war. 9 Gedruckt wurden die von Reinitzer verzeichneten Ausgaben in Straßburg (drei Editionen), Augsburg (neun Editionen), Nürnberg (zwei Editionen), Köln (zwei Editionen), Lübeck und Halberstadt (jeweils eine Edition). 10 Dabei handelt es sich um Übersetzungen aus dem Lateinischen - das heißt, es waren ins Deutsche übertragene Fassungen des Vulgata-Textes. Versuchte vermutlich mancher Prediger, die Auslegung der Heiligen Schrift in den Händen der kirchlichen Hierarchie zu halten, so konnte ein Bürger in seinem Tagebuch doch behaupten, sein Land sei »voll« mit Bibeln, Traktaten über die Erlösung, Editionen der Väter und ähnlicher Werke. 11 Auf die Verbreitung von Bibelübersetzungen und die damit verbundenen Bibelkenntnisse deutet auch ein Predigthandbuch von 1515 hin: Hier wurden Prediger ermutigt, nach der Vorlesung des Evangeliums im Gottesdienst zu sagen: »Dis ist der Synn der Worte des heyligen Evangeliums«: »Ich sage absichtlich […] der Synn der Worte, deßhalb, weil die Evangelien in der deutschen Sprache gedruckt sind und der Eine so, der Andere anders übersetzt, und die Laien, die zu Hause vorher das Evangelium gelesen haben dann sagen könnten, ›in meinem Buche steht nicht so, wie der Prediger sagt‹, gleich als ob er unrichtig gelesen hatte.« 12 Es waren demnach ausreichend Bibeln in Laienhand, dass ein Prediger mit Widerspruch gegen seine Übersetzung der Lesung rechnen konnte. Die Gefahr, dass Laien glauben könnten, der Besitz einer Bibel reiche zum Verständnis des Wortes Gottes aus, ist wohl der Hintergrund der sich im Baseler Evangelienbuch (1514) befindenden Empfehlung, wer eine Bibel besitze, solle trotzdem zur Predigt gehen: »Bist du ein frummer mensch, hör das Wort Gottes und verschmahe es nit, wiltu nit leyden den ewigen hunger. Ob schon du hast bücher in deinem hauß, die ewangelia oder ander geistliche bücher, darumb solt du nit verseumen das wort gottes, wann du bist es schuldig zu hören bey deiner selen heyl.« 13 Aber die Predigt sollte auch zur Lektüre - und deshalb zum Kauf - der heiligen Schrift auf Deutsch führen, ermahnte 1513 die Himmelstür, ein Handbuch für Laien: »Alles, was die heylige kirche lehrt, alles, was du in predigen horest und in anderen unterweysungen horest und liesest, was in geystlichen büchern geschrieben steet, was du singest zu Gottes lob und ere, was du betest zu diner sele seligkeit, und was du Dr. Charlotte Methuen (*1964) ist Dozentin für Reformationsgeschichte an der Universität Oxford sowie Dozentin für Kirchengeschichte und Liturgik am Ripon College Cuddesdon. Im Sommersemester 2010 hatte sie die Gastprofessur für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Mainz inne. Von 1996 bis 2001 arbeitete Charlotte Methuen als Assistentin am Lehrstuhl für Reformationsgeschichte und Neuere Kirchengeschichte an der Evangelisch-eologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. 2002-2004 war sie Lise Meitner-Stipendiatin des Landes NRW. Charlotte Methuen ist anglikanische Priesterin und Mitglied der Meißen Kommission (Beziehungen der EKD zur Church of England), der Anglican-Lutheran International Commission sowie der Inter-Anglican Standing Commission for Unity, Faith and Order. Dr. Charlotte Methuen ZNT 26 (13. Jg. 2010) 39 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 39 Zum Thema 40 ZNT 26 (13. Jg. 2010) lidest in widderwertikaiten und trübsal, alles so dich anreizen zu lesen mit frummhait und demütikait in den heiligen schriften und bibeln, als sy yetzund in dutsche zungen gesetzt werden und getruckt und als du sy umb wenig geld yetzund keuffen magst.« 14 Auch wenn Luther selbst erst mit zwanzig Jahren eine Bibel gesehen und nach seinem Eintritt ins Kloster sie zu lesen begonnen hätte (was angesichts seiner Schulbildung äußerst unwahrscheinlich wäre 15 ), stimmt es nicht, dass die Bibel nicht von anderen schon längst gelesen wurde - auch in der Volkssprache. Spätestens ab dem Zeitpunkt, zu dem Luther sich mit der Mystik des Johannes Tauler und der Theologia Deutsch zu beschäftigen begann, hatte er selbst mit deutschen Übersetzungen der Heiligen Schrift zu tun. Nach seinem Selbstzeugnis stieg Luther also während seiner Erfurter Klosterzeit in die Bibellektüre ein. In einer Phase der Verzweiflung hatte er seine Mitbrüder um eine Bibel gebeten und eine in rotem Leder gebundene Ausgabe bekommen, die er, zur Bewunderung seines Beichtvaters Johannes Staupitz, gelesen, wieder und wieder gelesen hatte. Er erwarb dadurch umfassende Bibelkenntnis, die ihn mit dem Wunsch erfüllte, statt Philosophie Theologie zu studieren »die den Nusskern, das Weizenkorn, das Knochenmark erfasst«, 16 wie er es 1509, während seiner Anfangszeit in Wittenberg, seinem Freund Johannes Braun gegenüber ausdrückte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt scheint Luther eine in der Heiligen Schrift erhaltene Essenz des Glaubens erkennen und begreifen zu wollen. Als er 1512 zum doctor bibliae ernannt wurde und gleichzeitig den Auftrag als Lectura in Biblia an der Universität Wittenberg erhielt, entschied er sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger, Johannes Staupitz, tatsächlich über ein biblisches Buch - die Psalmen - Vorlesungen zu halten. Es waren gerade die biblischen Texte, mit denen er sich durch das Klosterleben und das regelmäßige Stundengebet vertraut gemacht hatte. Während der nächsten Jahre las er über den Römerbrief (1515- 1516), den Galaterbrief und das Richterbuch (1516-1517), den Hebräerbrief (1517-1518) und wieder über die Psalmen (1521). Er ging diese Arbeit mit Hilfe der neusten humanistischen Erkenntnisse an: Trotz seiner eingeschränkten Hebräischkenntnisse verwendete er für die Psalmenvorlesung wahrscheinlich eine 1494 in Brescia herausgegebene hebräische Bibel. 17 Für seine Römerbriefvorlesung nutzte er den von Jacques Lefevre d’Étaples (Faber Stapulensis) verfassten Kommentar zu den Paulinischen Episteln und ab 1516 mit großer Wahrscheinlichkeit den von Erasmus in seinem Novum Instrumentum gedruckten griechischen Text. 18 Durch seine Vorlesungen setzte sich Luther sehr genau mit dem Wortlaut des Textes der von ihm behandelten biblischen Bücher sowie dessen Bedeutung auseinander. Diese Vorlesungen hielt er allerdings auf Latein, sodass er dadurch noch keine durchgehende Übersetzung ins Deutsche vorbereiten konnte. 1.2 Das Evangelium und die deutsche Sprache Neben seinen Vorlesungen fing Luther spätestens im Jahre 1512 an, regelmäßig auf Latein zu predigen. Deutsche Predigten Luthers aus dieser Zeit sind uns nicht überliefert, aber es hat sie wohl gegeben. Schon im Jahre 1516 gab Luther unter dem Titel »ein geistlich edles Büchlein« eine Teilausgabe des später von ihm »Theologia Deutsch« genannten und 1518 vollständig erschienenen Werks der Mystik heraus. Im Vorwort zur »Theologia Deutsch« erklärte Luther, das Werk sei ein Beweis dafür, dass er mit seiner Theologie keine Neuigkeiten verkünde. Ebenfalls wichtig war für ihn die Entdeckung, dass er in seiner eigenen Muttersprache das Wort Gottes gehört hat: »Ich danck Gott, das ich yn deutscher zungen meynen gott alßo hoere und finde, als ich und sie mit myr alher nit funden haben, Widder in lateynischer, krichscher noch hebreischer zungen.« 19 Die Scholastik und die Universitätstheologie hatten dazu geführt, »das das heylig wortt gottis nit allein under der bangk gelegen, sundernn von staub und mutten nahend vorweßet.« 20 Luther sah in den Schriften Taulers - zu denen er auch die »Theologia Deutsch« zählte - ein Mittel gegen die nahende »Verwesung« des Heiligen Wortes. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt hatte Luther die deutsche Sprache als ein Mittel entdeckt, durch das die Erkenntnis der Heiligen Schrift - und somit das Evangelium - weiter vermittelt werden konnte. Luther war der Ansicht, wie er 1524 in einer Schrift über die Schulreform schrieb, »Luther sah in den Schriften Taulers - zu denen er auch die ›eologia Deutsch‹ zählte - ein Mittel gegen die nahende ›Verwesung‹ des Heiligen Wortes.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 40 Charlotte Methuen »novam sprach, celeste deudsch« ZNT 26 (13. Jg. 2010) 41 dass gerade wegen dieser Fähigkeit, eine Beziehung zu Christus zu vermitteln, die Sprache für die Verkündigung des Evangeliums unabdingbar sei, und er erkannte, »Das wyr das Euangelion nicht wol werden erhallten on die sprachen.« Denn: »Die sprachen sind die scheyden, darynn dis messer des geysts stickt. Sie sind der schreyn, darynnen man dis kleinod tregt. Sie sind das gefess, darynnen man disen tranck fasset. Sie sind die kemnot, darynnen dise speyse ligt. Und wie das Euangelion selbs zeygt, Sie sind die koerbe, darynnen man dise brot und fische und brocken behellt.« 21 Die biblischen Sprachen sind für Luther offensichtlich heilig. Das Alte Testament ist auf Hebräisch geschrieben, weshalb »auch die Ebreische sprach heylig heysset.« 22 Bei der Übersetzung des Psalters sei ihm klar geworden, dass diese Sprache sogar besonders für das Heilige geeignet sei, weil sie so viele Möglichkeiten bot, über Gott zu reden. So schrieb er in der Vorrede zum Psalter (1524): »Vnd sonderlich ynn goettlichen heyligen sachen ist sie reich mit worten, das sie wol zehen namen hat, da sie Gott mit nennet, da wyr nicht mehr haben denn das eynige wort, Gott, das sie wol billich eyn heylige sprache heyssen mag.« 23 Hebräisch sei schon von Paulus als eine heilige Sprache verstanden worden. Griechisch als Sprache des Neuen Testaments ist besonders geeignet für die Vermittlung des Evangeliums: »Und sanct Paulus Roem. 1. nennet sie die heylige schrifft on zweyffel umb des heyligen worts Gottis willen, das drynnen verfasset ist. Also mag auch die Kriechische sprach wol heylig heyssen, das die selb fur andern dazu erwelet ist, das das newe testament drinnen geschriben wuerde.« 24 Aber andere Sprachen können dadurch heilig werden, dass sie das Evangelium - den Kern der heiligen Schrift - vermitteln: So ist die Botschaft des Neuen Testaments »alls aus eym brunnen ynn andere sprach durchs dolmetschen geflossen und [hat] sie auch geheyliget.« 25 Auch die deutsche Sprache zeigt die Fähigkeit dem Leser bzw. dem Hörer »diesen Trank, diese Speise« des Geistes anzubieten; somit ist sie als eine heilige, himmlische Sprache zu verstehen. Als Luther mit der Bibelübersetzung anfing, begriff er, wie schwierig diese Aufgabe ist. »Es sey ja ein schande,« berichtete Amsdorff über die Übersetzungsarbeit am Alten Testament, »das er offt etwas verstehe vnd doch davon nicht konne reden.« 26 Luther war es wichtig, dass seine Übersetzung in einem verständlichen Deutsch verfasst wurde. Moses und die Propheten sollten Deutsch reden, und nicht als Hebräer erkennbar sein. 27 Nur wenn die Bibel mit der Sprache des Marktplatzes spräche, könnten die Menschen die Sprache des Evangeliums verstehen und selber sprechen lernen. Denn es gehe ihm darum - so Luther 1532 in einer Predigt zu 1 Kor 15 - dass ein jeder Christ, eine jede Christin »novam sprach, celeste deudsch« reden könne. 28 »In der conformitas seines Herzens mit dem Wort weiß sich der Glaubende sogleich in den Prozess eines allumfassenden Umdenkens versetzt. Indem er dabei das Urteil Gottes übernimmt, gebraucht er ›novam Grammaticam‹, ›novam rhetoricam‹, ›novam sprach‹.« 28 1535 betonte Luther in einer Predigt zu Psalm 5, dass alle Christen in der Lage sein sollten, den Glauben zu bezeugen und Gottes Wort zu verkünden: »Omnes sumus Theologi, heisst ein iglicher Christ. Theologia: Gottes Wort, Theologus: Gottes Worte reden. Das sollen alle Christen sein.« 30 Mit der Übersetzung der Heiligen Schrift wollte Luther das Wort Gottes unmittelbar zugänglich machen, um jedem gläubigen Menschen eine tiefere Beziehung zu Gott und Christus als Heiland zu ermöglichen und in der eigenen Sprache »himmlisch« darüber sprechen zu können. 1.3 Die ersten deutschen Übersetzungen Im Jahre 1517 veröffentlichte Luther seine ersten ins Deutsche übertragenen Bibeltexte als Teil seiner ersten eigenen theologischen Veröffentlichung: Seine Auslegung der sieben Bußpsalmen (d.h. Ps 6, 32, 38, 51, 102, 130 und 143). In seinem Vorwort merkte Luther an, dass er zur Erstellung der deutschen Übersetzung sowohl die Vulgata als auch die Reuchlin-Übersetzung verwendet habe: »von dem text dißer sieben psalmen, ist zu wissen, dass derselb yn etlichen versen umb klerer vorstands willen uber die gemeynen translation nach der translation sancti Hieronymi genomen ist, auch darzu beholffen die translation doctors Johannis Reuchlin yn seyner hebreischer septene.« 31 Luther erklärte, dass seine Textkommentare (d.h. die glossae) sowie die Auslegung des Textes dazu dienen sollten, den Menschen zu zeigen, »das Christus also nah bey yhn sey«. 32 Denn die wichtigste und einzige »Moses und die Propheten sollten Deutsch reden, und nicht als Hebräer erkennbar sein.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 41 Zum Thema 42 ZNT 26 (13. Jg. 2010) Möglichkeit des Heils bestehe darin, »ynn demutiger furcht nach gnade und barmhertzickeyt sich ernstlich sehnen.« 33 In seiner Auslegung der Bußpsalmen wurde schon erläutert, was Luther noch im selben Jahr in der ersten seiner 95 Thesen gegen den Ablass erklären würde: »Dominus et magister noster Iesus Christus dicendo ›Poenitentiam agite etc.‹ omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit.« 34 Sein Hauptanliegen lag darin, dass alle Menschen in der Schrift Christus als Erlöser erkennen, nicht als abwesende Natur, sondern in seiner Präsenz und Nähe: »Christus ist gottis gnaden, barmhertzickeit, gerechtickeit, warheit, weißheit, stercke, trost und selickeyt, uns von gott gegeben an allen vordinest. Christus sag ich, nit (als etlich mit blinden worten sagen) causaliter, das er gerechtickeit gebe unnd bleybe er draußen. Dan die ist tod, ja sie ist nymmer gegeben, Christus sey dan selbs auch da, gleich wie die glentz der sonnen unnd hitze des feurs ist nit, wo die sonne und das feur nit ist.« 35 Die Lektüre der Bibel sollte Luthers Meinung nach keine abstrakte Vorstellung von Jesus Christus vermitteln, sondern eine gelebte Beziehung zu ihm. Luther hatte mit Hilfe der Bibel genau das selbst erfahren, wozu er seine Leser in seiner Auslegung der Bußpsalmen anhielt: »In allem leiden und anfechtung sal der mensch zu aller ersten zu got lauffen«, denn nur von Gott kommt Hilfe. Wichtig war aber auch, solche Anfechtungen »[zu] erkennen und auff[zu]nemen, als von got zugeschickt werde, es kom von teuffel ader von menschen.« 36 Gott schickt sowohl die Anfechtungen und Schwierigkeiten im Leben als auch die Hilfe, diese zu überstehen. Die auf Deutsch veröffentlichten Bußpsalmen samt Luthers Kommentar dazu sollten als Wegweiser zur richtigen Einstellung in schweren Zeiten dienen. Auch wenn er weiterhin seine Vorlesungen auf Latein gehalten und viele seiner theologischen Schriften auf Latein verfasst hat, war es Luther spätestens seit 1517 ein Anliegen, dass seine theologischen Erkenntnisse nicht wegen der Unzugänglichkeit der gehobenen akademischen Sprache ein Sondergut blieben. Es ging Luther also darum, nicht nur die Heilige Schrift »unter der Bank« hervorzuholen und möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, sondern die Leser und Leserinnen der Schrift auch von seiner Interpretation derselben profitieren zu lassen. Auch wenn er noch keine komplette Bibelübersetzung plante, übersetzte Luther im Rahmen der Abfassung theologischer Predigten und Schriften auf Deutsch mehrere Bibelstellen ins Deutsche, da die Bibel die Grundlage seiner Theologie war. Heinz Bluhm hat Luthers deutsche Übersetzungen von einzelnen, in Predigten und anderen Schriften aus den Jahren 1517 bis 1521 zitierten Stellen aus dem Matthäusevangelium sowie die erste uns noch überlieferte von Luther ins Deutsche übersetzte Perikope aus dem neuen Testament (Mt 16,13-19), die sich in einer Predigt von 1519 findet, untersucht. Bluhm ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Luther als Übersetzungsgrundlage sowohl die Vulgata als auch - so bald er erschienen war - den von Erasmus herausgegebenen griechischen Text in den Fassungen von 1516 und 1519 verwendet hat. 37 Diese Schlussfolgerung wird ebenso von Stephan Frech durch seine Auswertung von Luthers Übersetzungen des Magnificat und Benedictus in sechs zwischen 1521 und 1545 erschienenen Versionen bestätigt: »Als direkte Vorlage sind neben der mittelalterlichen Vulgata, der griechische Archetyp des Erasmus und seine Nachdrucke, besonders die zweite Ausgabe von 1519, anzusehen, zusammen mit der lateinischen Parallelversion, mit der Erasmus auf die Abweichungen vom Wortlaut der Vulgata hinweisen wollte.« 38 Frech weist ebenso darauf hin, dass bei Luthers Bibelübersetzung »alle drei heiligen Bibelsprachen - Hebräisch, Griechisch und Lateinisch - berücksichtigt werden müssen«. So auch bei der Übersetzung und Auslegung des Neuen Testaments, da Luther ständig überlegte, welches hebräische Wort einem griechischen zugrunde liegen könnte. 39 Sowohl Bluhm als auch Frech sind der Meinung, dass keine der auf Deutsch gedruckten Bibelübersetzungen Luther als Vorlage für seine Übersetzung gedient habe. 40 Da aber die Lesungen aus den Perikopenreihen auch in der Volkssprache im Gottesdienst gelesen werden sollten, gab es oft lokal angefertigte, handschriftliche Übersetzungen dieser Texte - die so genannten Plenaria. Bluhm schließt daraus: »Luther’s Bible may well be indebted to these rather than to the printed Bibles«. 41 Weiter ist er der Meinung, dass Luther anders mit den von ihm übersetzten Predigttexten umging als mit der Überset- »Es ging Luther also darum, nicht nur die Heilige Schrift ›unter der Bank‹ hervorzuholen und möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, sondern die Leser und Leserinnen der Schrift auch von seiner Interpretation derselben proatieren zu lassen.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 42 Charlotte Methuen »novam sprach, celeste deudsch« ZNT 26 (13. Jg. 2010) 43 zung des Neuen Testaments an sich. Ein Vergleich der Übersetzung von Mt 2,1-12, die in der wohl im Sommer oder Herbst 1521 auf der Wartburg verfassten Weihnachtspostille erschienen war, mit der im Septembertestament erschienenen Übersetzung derselben Stelle, die Ende 1521 bzw. Anfang 1522 erfolgte, zeigt »that the W[eihnachts]P[ostille] version is based on the Vulgate, the S[eptember]T[estament] version on the Greek original.« 42 Bluhm glaubt, dass die für die Weihnachtspostille erstellte Matthäus-Übersetzung kein Entwurf für die Septembertestament-Übersetzung sei, sondern lediglich eine Übersetzung, die als Grundlage für eine Predigt gedacht war. »In WP what matters is the sermon; the translation is but a prelude. In ST what matters is the translation itself.« 43 Beutel hat Luthers Übersetzung des Johannes-Prologs in der Weihnachtspostille mit der Übersetzung im Septembertestament verglichen und stellt fest: Die in der Predigt zitierte Übersetzung darf »vor allem in der Wort- und Tempuswahl sowie der syntaktischen Struktur als bedeutsame Annäherung an die im Septembertestament dann konsequent verfolgten Dolmetschungsregeln gelten«. 44 Wie Bluhm sieht auch er in den verschiedenen Übersetzungen einen wesentlichen Funktionsunterschied: »Den biblischen Urtext für illiterate Prediger volkssprachlich zu reproduzieren, war die Aufgabe der Postillenübersetzungen. Demgegenüber sollte das Septembertestament nicht den biblischen Buchstaben erneuern, sondern deren Geist.« 45 Leppin fasst zusammen: Bei der Bibelübersetzung gehe es »um die autoritative Bedeutung der Bibel, nicht so sehr um deren Popularisierung.« 46 Luther war sich sehr bewusst, dass er in einer Predigt seine Übersetzung auslegen und erklären konnte, während die Bibelübersetzung ohne Auslegung und Erklärung verstanden werden musste. 2. Sprache und Theologie im »newen Testament Deutzch« 2.1 Die Deutung der Heiligen Schrift Da es Luther um eine autoritative Übersetzung ging, wollte er, dass seine Übersetzung verständlich und deutlich sei. Sie sollte dem Leser und der Leserin ermöglichen, die Schrift selbst zu lesen und zu deuten, wie er es schon 1520 in der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation verlangt hat. 47 Aber die Leser und Leserinnen der Schrift sollten sie auch richtig - was für Luther so viel wie evangeliumstreu bedeutete - verstehen. Als Mittel verwendete er nicht nur die Übersetzung selbst, sondern auch Randbemerkungen und Vorreden zum Neuen sowie zum Alten Testament und zu einzelnen Büchern und Luther entwarf auch zusätzliche Hilfsmittel: So dienten ab 1529 der Kleine und der Große Katechismus - »der gantzen heiligen schrifft kurtzer auszug und abschrifft« 48 - als zusätzliche Deutungsmittel für Hausväter bzw. für Pfarrer und Lehrer. Luther war es aber ein Anliegen, dass seine Bibelübersetzung ohne externe Hilfsmittel gerade die »claritas scripturae« zeigen konnte, deren Existenz er 1525 gegen Erasmus betonte. 49 Vorreden und Randbemerkungen dienten u.a. dazu, wichtige Fragen der Interpretation hervorzuheben. Die Anmerkungen zwischen den Spalten weisen auf Paralleltexte hin; die am Seitenrand bieten chronologische oder archäologische Informationen zum besseren Verständnis des Textes, deuten auf die Anwendung einer bestimmten Stelle hin, oder machen auf wichtige Stellen aufmerksam. 50 Besonders die Vorreden unterstützen die Auslegung und das rechte Verständnis eines Buches. Sie sollten »eyn eyngang da zu bereytten«, es ermöglichen, dass die wahre Bedeutung des Textes »von yderman verstanden werde«. 51 So unterschieden sich die Vorreden Luthers sowohl von denjenigen des Hieronymus in der Vulgata als auch von denjenigen in früheren deutschen Bibelübersetzungen, die wenig über die Deutung eines Buches sagten. 52 Luthers Vorreden boten eine Zusammenfassung seiner Theologie. Er schrieb in seiner Vorrede zum Römerbrief: »Djse Epistel ist das rechte hewbtstuckt des newen testaments, vnd das aller lauterst Euangelion, Wilche wol wirdig vnd werd ist, das sie eyn Christen mensch nicht alleyn von wort zu wort auswendig wisse. Sondern teglich da mit vmb gehe als mit teglichem brod der seelen, denn sie nymer kan zu viel vnd zu wol gelesen odder betrachtet werden, Vnd yhe mehr sie gehandelt wirt, yhe kostlicher sie wirt.« 53 Der Römerbrief war für Luther Mittelpunkt der Schrift, Dreh- und Angelpunkt seiner Theologie. Aber auch dieser Brief hatte einen eigenen Mittelpunkt, nämlich Röm 3,22-23, auf den er in einer Randbemerkung aufmerksam machte: »Luther war sich sehr bewusst, dass er in einer Predigt seine Übersetzung auslegen und erklären konnte, während die Bibelübersetzung ohne Auslegung und Erklärung verstanden werden musste.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 43 Zum Thema 44 ZNT 26 (13. Jg. 2010) »Merck diß, da er sagt, Sie sind alle sunder &c. ist das hewbtstuck vnd der mittel platz dißer Epistel vnd der gantzen schrifft. Nemlich, das alles sund ist, was nicht durch das blut Christi erloset, ym glauben gerechtfertiget wirt, Drumb fasse disen text wol. Denn hie ligt darnyder aller werck verdienst vnd rhum, wie er selb hie sagt, vnd bleybt alleyn lautter gottis gnad vnd ehre.« 54 Seine Glossen und Randbemerkungen sollten das Licht des Evangeliums leuchten lassen. Besonders bei der Römerbriefauslegung sei dies nötig: »Denn sie biss her, mit glosen vnd mancherley geschwetz vbel verfinstert ist, die doch an yhr selb eyn helles liecht ist, fast gnugsam die gantze schrifft zu erleuchten.« 55 Das wichtigste Mittel dafür war die Sprache. Paenitentiam agite (Mt 3,2 und 4,17) Lorenzo Valla hatte schon Mitte des 15. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass sich manche in der Vulgata erhaltenen Formulierungen zwar als Beweisstellen für Theologie und Praxis der mittelalterlichen Kirche erwiesen hatten, den Sinn des griechischen Textes aber nicht wiedergaben. Schlüsselstellen waren dabei die Übersetzung der Aufforderung von Johannes dem Täufer und von Jesus »metanoeite« als paenitentiam agite in Mt 3,2 und 4,17 und die Übersetzung des Wortes »kecharitōmenē« im Engelgruß an Maria als gratiae plena. Paenitentiam agite - Tut Buße! - konnte zur Unterstützung der Buß- und später der Ablasspraxis herangezogen werden. Gratiae plena bekräftigte den Eindruck, dass die Gnade als etwas Messbares verstanden werden könnte. Über die Arbeiten des Jacobus Faber Stapulensis und vor allem des Erasmus von Rotterdam kannte auch Luther die humanistische Kritik an diesen Übersetzungen. Daraus wurde sehr deutlich, dass eine neue Übersetzung gleichwohl eine neue Theologie mit sich bringen könnte. Eine bessere Übersetzung als die der Vulgata von »metanoeite« ins Deutsche - oder gar ins Lateinische - zu finden, fiel weder Erasmus noch Luther leicht. Während im Englischen das Verb »to repent« kurz und prägnant den Sinn dieser Aufforderung wiedergibt (wie Tyndale in seiner 1526 erschienen englischen Übersetzung des Neuen Testaments erkannt hat), existiert diese Alternative weder im Lateinischen noch im Deutschen. Erasmus versuchte es 1516 mit poeniteat vos. 1519 übersetzte er »metanoeite« mit resipiscite. Im Jahr 1522 entschied er sich für paenitentiam agite vitae prioris. Mit keiner dieser Lösungen scheint er allerdings wirklich zufrieden gewesen zu sein: Diese Stelle gehört zu den wenigen, die er bei fast jeder neuen Edition des Novum Testamentum neu übersetzte. 56 Luther wies auf das Problem der Vulgata-Übersetzung schon 1517, in der ersten der 95 Thesen gegen den Ablass, hin: »Dominus et magister noster Iesus Christus dicendo ›Penitentiam agite &c.‹ omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit.« 57 Es ging nicht um einen sakramentalen Akt, sondern um eine Lebensumstellung. In der eigenen Übersetzung dieser Stelle versuchte er es zunächst im Septembertestament mit Bessert euch! Diese Übersetzung fand er scheinbar bald problematisch, da sie so verstanden werden konnte, als ob ein Mensch sich selber in Gottes Augen »bessern« könne. In der Biblia Deutsch von 1534 schrieb er (nach dem Vorbild seines Gegners Hieronymus Emser! ) Tut Buße. Allerdings hat Emser an diesen Stellen jeweils eine Randbemerkung eingefügt. So schrieb er zu Mt 3,2, »Merck diesen Anfang der Predigt Ionnis / das wir von aller ort buss thun mussen / Und hut dich vor den Ketzern so die buss und beicht verachten«, und zu Mt 4,17, »Merck das auch Jhesus sey predigt mit der Buß angefangen / und hut dich vor allem so die buss verachten.« 58 Poenitentiam agite sei Emsers Meinung nach zu interpretieren »nit auff ein jede besserung / sonder allein auf die buess / dass ist auff rew unnd leyd / peyn unnd schmertzen für die vorgangen sund«. 59 Im Gegensatz zu Emser ließ Luther seine Übersetzung - sowohl in der Biblia Deutsch von 1534 als auch in der Germanica aus dem Jahr 1545 - kommentarlos. In diesem Fall scheint er davon auszugehen, dass das Wort Buße an dieser Stelle nicht falsch verstanden wird. Da Luther der Meinung war, dass die Buße »eigentlich nicht anders ist denn die Tauffe« (»Denn was heisset busse anders denn den alten menschen mit ernst angreiffen und yn ein newes leben tretten? «), befürwortete er weiterhin die Bußpraxis bzw. die Beichte, wenn auch für ihn keine Pflicht dazu bestand und sie auch nicht von einem Priester bzw. Pfarrer gehört werden musste. 60 Gratiae plena (Lk 1,28) Der Engelgruß an Maria bot ein zweites, den Humanisten schon bekanntes Übersetzungsproblem. In der Vulgata-Übersetzung wurde Maria mit den Worten »Ave gratiae plena« angesprochen. Die Vorstellung, dass Maria »voll Gnaden« sei, bestätigte den Eindruck, dass die Gnade Gottes als etwas Messbares gedacht werden könnte. Deshalb übersetzte Erasmus in seinem Novum Instrumentum den griechischen Begriff »kecharitōmenē« mit gratiosa. 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 44 Charlotte Methuen »novam sprach, celeste deudsch« ZNT 26 (13. Jg. 2010) 45 Luther beschäftigte sich bereits Anfang 1522 mit dieser Stelle. Im Betbüchlein übernimmt er kommentarlos die traditionelle Übersetzung des Ave Maria: Gegrusset seystu voll Gnaden. 61 Diese Begrüßung zeigt, dass Maria »on alle sund bekandt wirtt […] Denn gotis gnade macht sie voll alles gutten und ledig alles boeßen.« 62 Weiter bedeutet der Engelgruß, »das alle yhr thun und lassen ist gottlich unnd geschicht yn yhr von gott, datzu beschuetzt er sie und bewaret fur allem das yhr schedlich seyn mag.« Wichtig sei, zu verstehen, dass Maria in einer besonderen Beziehung zu Gott stehe. Jedoch sieht die Übersetzung im Septembertestament ganz anders aus: Gegrüßet seiest du, Holdselige! Hier steht die Beziehung zwischen Maria und Gott ausdrücklich im Vordergrund. »Welcher Deutscher verstehet, was gsagt sey, vol gnaden? « fragte Luther im Sendbrief zu Dolmetschen im Jahre 1530. »Er mus dencken an ein vas vol bier, oder beutel vol geldes.« 63 Maria sei nicht in diesem Sinne »voll« Gnaden, sondern sie sei von Gott viel geliebt. »Gott grusse dich, du liebe Maria« wäre Luthers Meinung nach eine noch bessere Übersetzung, denn er glaubte, dass der Engel Gabriel an dieser Stelle auf dieselbe Art und Weise mit Maria spricht, wie er im Alten Testament mit Daniel gesprochen hat: »Denn ich halt, S. Lucas als ein meister in Hebreischer und Greckicher sprache, hab das Hebreisch wort, so der Engel gebraucht, woellen mit dem Greckischen kecharitomeni, treffen und deutlich geben. Und denck mir, der Engel Gabriel habe mit Maria geredt, wie er mit Daniel redet, und nennet jnn Ha-mudoth und Isch Hamudoth, vir desideriorum, das ist, du lieber Daniel [Dan 9,23; 10,11.19]. Denn das ist Gabrielis weise zu reden, wie wir jhm Daniel sehen.« 64 Mit seiner Übersetzung wollte Luther ein verständliches Deutsch schreiben, um eine für ihn normale Grußform eines Engels nicht theologisch zu überfrachten: »Darumb mus ich hie die buchstaben faren lassen, unnd forschen, wie der Deutsche man solchs redet, welchs der Ebreische man isch Hamudoth redet, So finde ich, das der deutsche man also spricht, Du lieber Daniel, du liebe Maria, oder du holdselige mad, du medliche junckfraw, du zartes weib, und der gleichen.« 65 Luthers Umgang mit dem Engelgruß an Maria ist ein Beispiel dafür, wie er sich bemühte, die im NT verwendeten griechischen Begriffe auf eine hebräische Basis zurückzuführen. Ebenso zeigt dieser Umgang, wie Luther sich um die Verständlichkeit der Sprache bemühte: »Jch hab mich des geflissen ym dolmetzschen, das ich rein und klar teutsch geben moechte.« 66 Einfach war dieses Bemühen nicht. So betonte er in seiner Vorrede zum Propheten Jesaja (1528), dass er und die anderen Übersetzer: »zwar haben mueglichen vleys gethan, das Jesaias gut klar deudsch redet, wie wol er sich schweer dazu gemacht vnd fast geweeret hat.« 67 Trotzdem verstand er die Sprache der Heiligen Schrift als verständliche Sprache des täglichen Lebens. Die deutschen Formulierungen der Übersetzung waren deshalb aus der Alltagssprache zu lernen, wie er bekanntermaßen betonte: »Den man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie diese esel thun, sondern, man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen, so verstehen sie es den und mercken, das man Deutsch mit jn redet.« 68 Es ging Luther stets darum, die von ihm übersetzten Texte »gut klar deutsch zu reden«, in einer Art und Weise, dass der tiefere Sinn der jeweiligen Stelle ersichtlich wurde. Diese Beobachtung zur Sprache darf nicht die Tatsache verschleiern, dass Luther mit der Übersetzung »Holdselige« nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine theologische Aussage getroffen hat. Diese wurde von Hieronymus Emser identifiziert und kritisiert: »so hat doch der engel nit geredt von menschlicher huld, sonder von der gnad gotes, und Marie die ehr und wirdigkeit / das sie werden solt ein muter gottes, nit auß menschlicher holdseligkeyt / sonder auß gottes gnaden gehabt.« 69 Für Emser ging Luthers Verallgemeinerung der Sprache Hand in Hand mit einer Verallgemeinerung der Theologie, die die Rolle der Maria völlig unterschätzte: »Dann die Gnade die Eva vorschütt hat Maria uns wieder erholet / und ist die maledeyung Eve / in die benedeyung Marie bekert worden.« 70 In seiner eigenen Übersetzung blieb Emser bei der traditionellen Übersetzung »gegrusset syestu vollgnaden«, und fügte eine Randbemerkung hinzu: »Es ging Luther stets darum, die von ihm übersetzten Texte ›gut klar deutsch zu reden‹, in einer Art und Weise, dass der tiefere Sinn der jeweiligen Stelle ersichtlich wurde.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 45 Zum Thema 46 ZNT 26 (13. Jg. 2010) »Aus diesem won arguieren die ketzer das Maria nichtzit mehr sey denn eyn mayd und das man sie nit soll nenen eyn konigin der hymel. Wiewol sie sich nun selbs aus grosser diemut ansderst nicht nenen dann eyn mayd / so heyßet sie doch den engel vol gnaden und Elizabeth eyn muter des Herrn / unnd die benedeyte under den weyben […] darum o lob und preyse du Marien mit dem Engel mit Elisabeth und mit der Christlichen kirchen.« 71 Diese Randbemerkung ist offensichtlich gegen Luther gerichtet, der Maria durchaus als Vorbild des Guten und als Mutter Christi verstand, allerdings überzeugt war, dass der beste Lobgesang der Maria darin bestand, richtig zu glauben: »Es wirt diße mutter und yhre frucht zweyerley weyße benedeyet, leyplich und geystlich. Leyplich mit dem mund unnd mit den wortten des Aue Maria, […] Geystlich mit dem hertzen, das ich yhr kind Christum ynn alle seynen wortten, wercken und leyden lobe und benedey, das thut niemant denn der recht Christlich glewbt.« 72 Er empfahl: »wer nicht glewbt, dem ist tzu ratten, er laß das Aue Maria und alle gepett anstehen.« 73 Wegen seines Marienverständnisses gehörte gerade Emser für Luther zu den »ergiste[n] lesterer[n] und vermaledeyer[n]« der Maria, die ihre Beziehung zu Gott und ihre Funktion als Vorbild falsch verstanden hätten. Luthers Übersetzung dieser Stelle sollte diese seiner Meinung nach richtige - freilich auch neuinterpretierte - Einstellung zu Maria unterstützen. Sie zeigt, wie humanistische Kritik, theologische Neuorientierung und sprachliche Überlegungen seine Bibelübersetzung prägten. Ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben (Röm 3,28) Ein ähnliches Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren ist bei der Übersetzung von Röm 3,28 zu beobachten. Hier standen im Griechischen Urtext und in der Vulgata »das der mensch gerechtfertigt werde / durch den glauben / one die werck des gesetzs« wie Emser seine Übersetzung korrigierte. Luther fügte seiner Übersetzung das Wort »allein« hinzu: »So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben«. In seinem Sendbrief zu Dolmetschen behauptete Luther, dass diese Übersetzung zunächst eine Frage der sprachlichen Gewohnheit sei. Es war ihm klar, dass das Wort »allein« nicht im Urtext stehe: »Also habe ich hie Roma. 3. fast wol gewist, das ym Lateinischen und krigischen text das wort ›solum‹ nicht stehet, und hetten mich solchs die papisten nicht dürffen leren. War ists. Dise vier buchstaben s o l a stehen nicht drinnen.« Seine Entscheidung, das Wort »allein« hinzuzufügen, sei eine Entscheidung der Sprache wegen: »Das ist aber die art unser deutschen sprache, wenn sie ein rede begibt, von zweyen dingen, der man eins bekennet, und das ander verneinet, so braucht man des worts ›solum‹ (allein) neben dem wort ›nicht‹ oder ›kein‹, Als wenn man sagt: Der Baur bringt allein korn und kein geldt, Nein, ich hab warlich ytzt nicht geldt, sondern allein korn. Jch hab allein gessen und noch nicht getruncken. Hastu allein geschrieben und nicht uberlesen? Und der gleichen unzeliche weise yn teglichen brauch.« 74 Dies sei eine Eigenschaft der deutschen Sprache: »hilfft hie das wort ›Allein‹ dem wort ›kein‹ so viel, das es ein vollige Deutsche klare rede wird.« 75 Deutsch funktioniert Luther zufolge also anders als Latein oder Griechisch, was für die Übersetzungskunst problematisch war, »denn die lateinischen buchstaben hindern aus der massen, seer gut deutsch zu reden.« 76 Die deutsche Sprache sei für diese Übersetzung aber entscheidend. Luther gab allerdings ebenfalls im Sendbrief zu, dass diese Übersetzungsentscheidung auch seine Paulusinterpretation unterstütze. Wie Ambrosius und Augustinus glaubte Luther, dass Paulus selbst betonen wollte, der Mensch sei allein durch Glauben und nicht durch Werke gerechtfertigt: »Seine wort sind zu starck, und leiden kein, ja gar kein werck. Jsts kein werck, so mus der glaube allein sein.« 77 Das Wort »allein« hinzuzufügen sei eine sprachlich bedingte Entscheidung, die mit den Intentionen des Paulus völlig übereinstimme. In der Tat hat Luther bei seiner Besprechung dieser Stelle in der Römerbriefvorlesung kein zusätzliches allein bzw. sola hinzugefügt. In der Glossa zu der Stelle betonte er zwar, dass die Rechtfertigung ohne Werke geschehe, erwähnt den Glauben jedoch gar nicht: »Arbitramur i. e. decernimus et asserimus, colligimus ex dictis enim iustificari Iustum apud Deum reputari hominem siue Graecus sit siue Iudaeus per fidem sine »[...] die lateinischen buchstaben hindern aus der massen, seer gut deutsch zu reden.« 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 46 Charlotte Methuen »novam sprach, celeste deudsch« ZNT 26 (13. Jg. 2010) 47 operibus legis sine adiutorio et necessitate operum legis«. 78 In der Schola unterschied er zwischen unterschiedlichen Arten von Werken: »Vnde Quando Apostolus dicit, Quod sine operibus legis Iustificamur, Non loquitur de operibus, quae pro Iustificatione quaerenda fiunt. Quia haec iam non legis opera sunt, Sed gratiae et fidei, cum qui haec operatur, non per haec sese Iustificatum confidat, Sed Iustificari cupiat, Nec legem se per haec implesse putat, Sed impletionem ipsius quaerit.« 79 »Wenn der Apostel sagt, dass wir ohne die Werke des Gesetzes gerechtfertigt werden, spricht er nicht von den Werken, die der Rechtfertigung wegen gemacht werden. Denn diese sind nicht die Werke des Gesetzes, sondern der Gnade und des Glaubens, weil, wer sie macht, nicht für seine Rechtfertigung darauf vertraut, sondern gerechtfertigt werden will und nicht denkt, dass er durch diese Werke das Gesetz erfüllt, sondern nach dessen Erfüllung sucht.« Luther sprach in der Römerbriefvorlesung zu Röm 3,28 noch nicht davon, dass die Rechtfertigung allein durch Glauben geschehe: Vielmehr arbeitete er noch daran, sein Verständnis vom Werk zu differenzieren, indem er die »Werke des Gesetzes« von den, von ihm noch so genannten, »Werken der Gnade« unterschied. Während der Römerbriefvorlesung redete Luther bei der Auslegung von Röm 3,28 noch nicht explizit von der Rechtfertigung allein durch Glauben. 1518 aber verwendete er die Formulierung »sola fide« in einer Predigt über die richtige Vorbereitung zum Empfang der Eucharistie auf Grund einer Stelle bei Paulus »ubi clamat omnes esse peccatores et sola iustificandos fide«. 80 Die Herausgeber der WA sehen hier einen Bezug auf Röm 3,28; Luther selbst nannte ausschließlich den »Apostolos« als Quelle, bestimmte aber weder Brief noch Kapitel. Sicher ist, wie diese Stelle zeigt, dass Luther spätestens seit 1518 ausdrücklich der Meinung war, die Rechtfertigung geschehe allein durch Glauben. 81 So betonte er in den theologischen Thesen der Heidelberger Disputation: »25. Non ille iustus est, qui multum operatur, sed qui sine opere multum credit in Christum. 26. Lex dicit ›fac hoc‹, et nunquam fit: gratia dicit ›Crede in hunc‹, et iam facta sunt omnia.« 82 Trotzdem zitierte er Röm 3,28 in seinem Beweis der 25. These nach der Vulgata-Übersetzung, ohne ein »sola« hinzuzufügen: »Et Roma. 3. Arbitramur enim iustificari hominem per fidem sine operibus Legis, id est, ad iustificationem nihil faciunt opera.« 83 Im Jahr 1519 zitierte er in der Galaterbriefvorlesung sowie in einer Predigt de duplici iustitia ebenso Röm 3,28 nach der Vulgata-Übersetzung. 84 1518 bei den Acta Augustana fügte er doch das Wort »gratis« dem Zitat hinzu: »Sic enim arbitratur Apostolus gratis iustificari hominem per fidem.« 85 Die Rechtfertigung sei von Gott umsonst gegeben; dass sie sola fide geschehe, ist zwar impliziert, lässt sich aber nicht anhand Luthers Zitierweise von Röm 3,28 erkennen. Auch nach der Veröffentlichung des Septembertestaments zitierte Luther diese Stelle (wenn überhaupt) weiterhin in lateinischen Texten anhand der Vulgata-Übersetzung. 86 Luthers Zitierweise von Röm 3,28 ist in seinen deutschen Schriften unterschiedlich. In einer Predigt zu Epiphanias 1521 zitierte Luther Röm 3,28 und Gal 2,16: »Als bald nun Christus geborn wirt, das ist, wenn man predigt, das wir nit frumm werden auß unsern wercken, sonder allain auß dem glauben in Christum, als Paulus zů den Roemern spricht am iij. und zů den Galath. am ij. ca.« 87 Hier fügte er ausdrücklich das Wort »allein«, das an keiner der beiden Stellen - weder im Griechischen noch im Lateinischen - vorkommt, hinzu. Die dadurch entstandene Übersetzung deutete somit auf die spätere Übersetzung im Septembertestament und in der Biblia Deutsch hin. Ähnlich verwendete er in einer Predigt aus dem Jahr 1524 seine eigene Bibelübersetzung: »Paul. Rom. sagt ›Sy werden gerechtfertigt on alle werck, allayn durch den glawben‹[…]« 88 Diese Fälle blieben allerdings die Ausnahme, denn an anderer Stelle zitierte Luther die Worte Pauli ohne »allein«: »Wyr hallten, der mensch werde gerecht durch den glauben on werck« 89 ; Jona bestätige »den spruch S. Pauli Ro. iij., das durch die werck des gesetzs niemand muege fur gott frum werden, sondern der mensch mus on alle werck des gesetzs durch den glauben frum werden.« 90 Luther war in seiner deutschen Zitierweise von Röm 3,28 also nicht konsequent. Dass Luther bei der Erwähnung von Röm 3,28 auf Latein den Zusatz »sola« bzw. »allein« nie verwendet hat, deutet darauf hin, dass es ihm in der Tat bei seiner Übersetzung um die Verständlichkeit der deutschen Sprache ging. Allerdings zeigt seine unterschiedliche deutsche Zitierweise, dass er sich bewusst war, der deutsche Satz sei auch dann verständlich, wenn das Wort »allein« nicht hinzufügt werde. Es ging Luther bei seiner Übersetzung von Röm 3,28 durchaus um die Sprache, aber noch wichtiger war ihm die Überzeugung, die Rechtfertigung geschehe sola fide, die 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 47 Zum Thema 48 ZNT 26 (13. Jg. 2010) unmissverständlich ausgedrückt werden sollte. Das war bei seiner gesamten Bibelübersetzung nicht anders: Die Sprache war ihm wichtig - aber die Sprache musste das richtige Verständnis des Wortes Gottes ausdrücken. Anders als bei einer Predigt, in der die evangelische Botschaft von einem Prediger dargestellt und verantwortet werden konnte, musste die Bibelübersetzung für sich sprechen. Luther versuchte durch Vorreden, durch Randbemerkungen und vor allem durch die Sprache der Übersetzung deutlich zu machen, wie die Texte der Heiligen Schrift zu verstehen waren. Es ging ihm nicht darum, eine wissenschaftliche Untersuchung des Textes zu ermöglichen, sondern darum, dass die Leser und Leserinnen die wahre Botschaft des Textes begreifen, ausleben und weitergeben konnten. Durch seine Theologie und sein reformatorisches Tun wollte Luther das Wort und die Verheißung Gottes so in das Leben und in die Herzen des Volkes bringen, dass auch sie die Botschaft des Evangeliums verstehen und weitergeben konnten. Seine Bibelübersetzung war eine Möglichkeit und ein wichtiges Mittel dazu, das Evangelium in der Volkssprache zu unterrichten und zu verbreiten. Anmerkungen * Mit Dank an die Redaktion der ZNT für die Einladung, einen Aufsatz über Geschichte und Theologie der Lutherbibel zu schreiben und an Prof Dr. Irene Pieper, Dr. Judith Becker und Anna Imhof für ihre sprachliche Unterstützung. 1 Volker Leppin, »Biblia, das ist die ganze Heilige Schrift deutsch«. Luthers Bibelübersetzung zwischen Sakralität und Profanität, in: J. Rohls/ G. Wenz (Hgg.), Protestantismus und deutsche Literatur, Göttingen 2004 (Münchener Theologische Forschungen 2), 13-26, hier: 15. 2 Leppin, »Biblia«, 16. 3 WA.TR 3, Nr. 3767; vgl. auch seine ähnlichen Aussagen im November 1531 (WA.TR 1, Nr. 116) und im Sommer 1540 (WA.TR. 5346). 4 WA.TR 3, Nr. 3767. 5 Vgl. H. Rost, Die Bibel im Mittelalter, 37-66; zur Historiographie dieser Frage siehe auch A.C. Gow, The Contested History of a Book. The German Bible of the Later Middle Ages and Reformation in Legend, Ideology, and Scholarship, in: JHS 9 (2009) (37pp.), hier: 8-10, bes.: 5-6. 6 O. Chadwick, The early Reformation on the continent, Oxford 2001, 1. 7 U. Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch. Schriftlichkeit und Leseinteresse im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit; quantitative und qualitative Aspekte, 2. Bde., Wiesbaden 1998, 418-419. 8 Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch, 479. 9 Vgl. H. Reinitzer, Biblia deutsch. Luthers Bibelübersetzung und ihre Tradition, Wolfenbüttel/ Hamburg 1983, 80. Vgl. auch Th. Kaufmann, Vorreformatorische Laienbibel und reformatorisches Evangelium, in ZThK 101 (2004), 138-174; hier: 140-141; weiter Gow, Contested History, hier: 8-10. 10 Reinitzer, Biblia deutsch, 80; vgl. auch Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch, 812. 11 H. Daniel-Rops, The Protestant Reformation, London/ New York 1961, 295; zit. nach Gow, Contested History, 20. 12 Gow, Contested History, 31. 13 Gow, Contested History, 30. 14 Gow, Contested History, 30-31. 15 Vgl. W.J. Kooiman, Luther and the Bible, Philadelphia 1961, 5-6. 16 Luther an Johannes Braun, 17. März 1509; WA.B 1, 17; Nr. 5: »ea […] theologia, quae nucleum nucis et medullam tritici et medullam ossium scrutatur«. 17 Luther besaß vermutlich mindestens zwei vollständige hebräische Bibelausgaben: die 1494 in Brescia gedruckte Quarto-Ausgabe sowie eine - nicht erhaltene - »grosse Hebreische Bibel« (WA DB 11/ 2, xx). 18 Vgl. z.B. H. Bluhm, Martin Luther, creative translator, St. Louis 1965, 37. 19 WA 1, 379. 20 WA 1, 379. 21 WA 15, 38. 22 WA 15, 37. 23 WA.B 10/ 1, 94. 24 WA 15, 37-38. Vgl. Leppin, »Biblia«, 20. 25 WA 15, 37-38. Vgl. Leppin, »Biblia«, 20. 26 WA.TR 2, 2781a. 27 So soll Luther von der Übersetzung des Pentateuchs gesagt haben: »Si nunc a me Moses transferendus esset, wolt ich yhn wol deutsch machen, quia vellem ei exuere Hebraismos, et ita, ut nemo diceret Haebreum esse Mosen.« WA.TR 2, 2771a. Während er die prophetischen Bücher übersetzt hat, schrieb er an Wenzeslaus Link, dass es sehr schwierig sei, die Propheten dazu zu bringen, statt Hebräisch Deutsch zu sprechen: »Deus, quantum et quam molestum opus, Hebraicos scriptores cogere Germanice loqui, qui resistunt, quam suam Hebraicitatem relinquere nolunt et barbariem Germanicam imitari, tanquam si philomela cuculum cogatur, deserta elegantissima melodia, unisonam illius vocem detestans, imitari« (Luther an Wenzeslaus Link, 14.06.1528; WA.B 4, 484). 28 WA 36, 646b. Hierzu vgl. A. Beutel, In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis, Tübingen 1991 (HUTh 27), 456-465. 29 Beutel, In dem Anfang, 464-465. 30 WA 41, 11. 31 WA 1, 158. 32 WA 1, 158. 33 WA 1, 220. 34 WA 1, 233. 35 WA 1, 219. 36 WA 1, 159. 37 Bluhm, Martin Luther, creative translator, 4-36 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 48 Charlotte Methuen »novam sprach, celeste deudsch« ZNT 26 (13. Jg. 2010) 49 (Matthäus-Stellen), 37-48 (Predigt). Die Predigt ist abgedruckt in WA 2, 244-249 (Übersetzung WA 2, 246). 38 St.V. Frech, Magnificat und Benedictus Deutsch: Martin Luthers bibelhumanistische Übersetzung in der Rezeption des Erasmus von Rotterdam, Bern 1995, 261. 39 Frech, Magnificat und Benedictus Deutsch, 261. 40 Bluhm vergleicht Luthers Übersetzung mit der Mentel Bibel (ca. 1466) und die Silvanus Otmar Bibel (1518); Frech bezieht sich auf die Mentel Bibel sowie eine in Köln im Jahre 1478 gedruckte Ausgabe. 41 Bluhm, Martin Luther, creative translator, 5. 42 Bluhm, Martin Luther, creative translator, 77. Für die Datierung der Wartburgschriften vgl. Beutel, In dem Anfang, 7, basierend auf Sören Widmann, Die Wartburgpostille. Untersuchungen zu ihrer Entstehung und zu Luthers Umgang mit dem Text, diss. (masch.), Tübingen 1969, 28-30. 43 Bluhm, Martin Luther, creative translator, 77. 44 Beutel, In dem Anfang, 27-28. 45 Beutel, In dem Anfang, 28. 46 Leppin, »Biblia«, 17. 47 In seiner Widerlegung des »zweiten Mauers«, nämlich der Behauptung »es gepur die schrifft niemant ausztzulegenn, den dem Bapst«: WA 6, 406, 411-412. 48 WA 30/ 1, 128. 49 WA 18,609. 50 Kooiman, 123-124. 51 WA.B 7, 3. 52 Kooiman, 109-110. 53 WA.B 7, 3. 54 WA.B 7, 38. 55 WA.B 7, 3. 56 C.A.L. Jarrott, Erasmus’ Biblical Humanism, in: Studies in the Renaissance 17 (1970), 119-52, hier: 125. 57 WA 1, 223. 58 Hieronymus Emser, Das naw Testament nach lawt der Christlichen kirchen bewerten Text, Dresden 1523, fol. 4r, 4v. 59 Hieronymus Emser, Auß was gruend unnd vrsach Luthers dolmatschung / vber das nawe testament / dem gemeinen man billich verboten worden sey (1523), in: Hermann Gelhaus, Der Streit um Luthers Bibelverdeutschung im 16. und 17. Jahrhundert, Bd. 1, Reihe Germanistische Linguistik 89, Tübingen 1989, Bd. 2, 17-54, hier: 39. 60 Luther erläutert sein Verständnis von der Buße im Großen Katechismus: WA 30/ 1, 221. 61 WA 10/ 2, 408. 62 WA 10/ 2, 408. 63 WA 30/ 2, 638. 64 WA 30/ 2, 638-639. 65 WA 30/ 2, 639. 66 WA 30/ 2, 636. 67 WA.B 11/ 1, 22. Vgl. auch Anmerkung 27. 68 WA 30/ 2, 637. 69 Hieronymus Emser, zit. nach B. Stolt, »… und fühl’s im Herzen …« Luthers Bibelübersetzung aus der Sicht neuerer Sprach- und Übersetzungswissenschaft, ZTK 98 (2001), 186-208, hier: 194. 70 Emser, zit. nach Stolt, »… und fühl’s im Herzen …«, 194. Seltsamerweise verwendete Emser selbst jedoch die Übersetzung »Gegrusset seystu holdselige« in der eigenen Übersetzung, statt sie nach liturgischem Gebrauch mit den Worten »voll Gnaden« zu ersetzen. 71 Emser, Das naw Testament, fol. 39r. 72 WA 10/ 2, 409. 73 WA 10/ 2, 409. 74 WA 30/ 2, 637. 75 WA 30/ 2, 637. 76 WA 30/ 2, 637. 77 WA 30/ 2, 642. 78 WA 56, 39; vgl. WA 57, 41. 79 WA 56, 264. Die Diskussion wird in der Mitschrift gar nicht erwähnt. 80 WA 1, 332. 81 Die Datierung des so genannten »reformatorischen Durchbruchs« von Luther - seine Erkenntnis, dass die Rechtfertigung allein durch Glauben geschehe - ist umstritten. Für einen Überblick der Diskussion vgl. B. Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, 97-109. Meiner Meinung nach hat Luther schon in der Römerbriefvorlesung angefangen, diese Einstellung zu entwickeln, hat aber erst im Laufe der Kontroverse um die 95 Thesen selbst die Rechtfertigung allein durch Glauben als Leitgedanken seiner Theologie erkannt. 82 WA 1, 354. 83 WA 1, 364. 84 WA 2, 146; 499. 85 WA 1, 15-16. 86 Luther zitiert die Stelle selten: WA 11, 299; 17/ 1, 375a; 18, 765.767 [letzteres in De servo arbitrio]. 87 WA 7, 241. 88 WA 15, 666b. 89 WA 15, 115. 90 WA 19, 194. 074910 ZNT 26 - Inhalt 22.09.10 14: 14 Uhr Seite 49