eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 4/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
2019
41 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Vanessa Bigot Juloux/Amy Rebecca Gansell/Alessandro Di Ludovico (Hg.): CyberResearch on the Ancient Near East and Neighboring Regions: Case Studies on Archaeological Data, Objects, Texts, and Digital Archiving. Leiden/Boston 2018 (Digital Biblical Studies 2), 460 Seiten, ISBN 978- 90-04-34674-1, € 149,00 (kartoniert), ISBN 978-9-004-37508-6 (DOI: https://doi.org/10.1163/9789004375086)

2019
Juan Garcés
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 4 -2019, Heft 1 Vanessa Bigot Juloux/ Amy Rebecca Gansell/ Alessandro Di Ludovico (Hg.): CyberResearch on the Ancient Near East and Neighboring Regions: Case Studies on Archaeological Data, Objects, Texts, and Digital Archiving. Leiden/ Boston 2018 (Digital Biblical Studies 2), 460 Seiten, ISBN 978- 90-04-34674-1, € 149,00 (kartoniert), ISBN 978-9-004-37508-6 (DOI: https: / / doi.org/ 10.1163/ 9789004375086) rezensiert von Juan Garcés Dieser bemerkenswerte englischsprachige Band, der vorbildhaft gleich auch als Open Access-Publikation frei zum Download zur Verfügung steht (s. DOI oben), veranschaulicht die internationale (europäische sowie nordamerikanische) und interdisziplinäre (vorwiegend aus der Archäologie, Anthropologie, Kunstgeschichte und [Alt-]Philologie) Anwendung digitaler Methoden am Beispiel von elf (im weitesten Sinne) altorientalistischen Forschungsprojekten und Fragestellungen. Der Großteil der Aufsätze geht auf Vorträge zurück, die 2016 und 2017 in den Jahresversammlungen der American Oriental Society (AOS), der American Society for Oriental Research (ASOR), und Computer Applications and Quantitative Methods in Archaeology (CAA) gehalten wurden (s. S. 11). Das Ziel ist die Vermittlung eines breit verständlichen Zugangs zu digitalen Werkzeugen, Methoden und Forschungsresultaten, der durch das zugrundeliegende editorische Konzept ermöglicht wird. Die Aufsätze versuchen demnach sowohl den technisch versierten Spezialisten als auch den traditionell arbeitenden Geisteswissenschaftler als implizite Adressaten anzusprechen. Praktisch hieß dies, dass die Beiträge nicht nur auf technische und faktische Korrektheit überprüft wurden, sondern auch im Besonderen auf ihre Zugänglichkeit und Verständlichkeit hin überarbeitet wurden. Zu Karten und Registern bietet die Sammlung am 116 rezensiert von Juan Garcés Ende ein nützliches, sechzigseitiges (! ) Glossar technischer und disziplin-spezifischer Termini, die man bei Bedarf leicht nachschlagen kann. Der so konzipierte Band zielt nicht nur auf eine interdisziplinäre Verständigung, sondern auch auf dessen pädagogischen Einsatz im Methodenseminar. In der Einleitung legen die Herausgeber zunächst ihre Absicht, Motivation und das eingangs erwähnte editorische Konzept sowie einen Überblick der Beiträge dar. Auffällig ist hier, wie umfassend (8 Seiten) der von den Herausgebern gewählte Begriff CyberResearch (mitunter auch mit Bindestrich geschrieben) legitimiert wird. Der sich mittlerweile etablierte Begriff der Digital Humanities (DH) hat den doppelten Nachteil, dass er einerseits unpräzise und uneinheitlich gebraucht, andererseits vorwiegend mit bestimmten Teilbereichen der Geisteswissenschaften assoziiert wird und andere relevante Bereiche innerhalb und außerhalb der Geisteswissenschaften deshalb nicht ohne Weiteres damit in Zusammenhang gebracht werden können. Dem gegenüber schlagen die Herausgeber den Neologismus CyberResearch als neuen Sammelbegriff für die Gesamtheit der in diesem Band beschriebenen (digitalen) Methoden vor. Ob dieser Begriff Aussicht hat, sich über die Autorengruppe hinaus durchzusetzen, ist zweifelhaft. Die Vorteile gegenüber ‚DH‘ sind nur minimal - ‚digital‘ und ‚cyber‘ werden weithin als synonym gesehen (s. S. 4) und ‚Research‘ ist zu generisch, um aussagekräftig zu sein. Die elf Beiträge, die jeweils am Ende mit ausführlichen Bibliographien versehen sind, werden vier Themen zugeordnet. Die beiden Aufsätze im ersten Teil ( Archaeology ) beschäftigen sich mit Daten, die im Rahmen archäologischer Feldforschung, Ausgrabungen und Landschaftsarchäologie gewonnen wurden. Sveta Matskevich und Ilan Sharon nehmen im ersten Beitrag die Ausgrabungen in Tel Dor (heutiges Israel) zum Anlass, sich grundsätzlichen Fragen der Datengenerierung, -modellierung und des -managements zu widmen und schlagen ein Graphendatenbankmodell als Lösungsansatz für das Management heterogener archäologischer Daten vor. Marco Ramazzotti wendet (in Zusammenarbeit mit Paolo Massimo Buscema und Giulia Massini) Ansätze der Künstlichen Intelligenz (KI) auf die Evaluierung von Theorien der urbanen Revolution in Mesopotamien an. Hierbei deckt er bisher unbeachtete Wechselbeziehungen auf, die auf eine bessere Erklärung des Siedlungsprozesses hinweist. Im ersten des ebenfalls aus zwei Aufsätzen bestehende zweiten Teils ( Objects ) ist es eine Sammlung mesopotamischer Rollsiegel aus dem späten dritten vorchristlichen Jahrtausend, die Alessandro di Ludovico zum Anlass nimmt, deren Ikonographie mithilfe computergestützter Korrespondenzanalyse zu beschreiben, klassifizieren, analysieren und vergleichen. Dieser insgesamt dritte Beitrag zeigt wie dieser methodische Ansatz zu Fortschritten bei der Analyse u. a. geographischer Verteilung der glyptischen Tradition führt. Im vierten Aufsatz des Rezensionen 117 Sammelbandes geht es Shannon und Matthew Martino um die Überwindung der Subjektivität bei der Erstellung von Typologien für die Klassifikation von Statuen und Keramiken aus der frühen Bronzezeit in der heutigen Türkei. Eine Lösung bei der Überwindung des Subjektivitätsvorwurfs bietet die Anwendung informatischer Ansätze. Der umfangreichste dritte Teil des Bandes ( Texts , bestehtend aus vier Beiträgen) widmet sich der Analyse von Texten. Vanessa Bigot Juloux verfolgt im fünften Aufsatz das Ziel, die Handlungen zwischen den Figuren in einem ugaritischen Mythos aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend insbesondere auch hinsichtlich der Geschlechterrollen zu untersuchen. Basierend auf einer Taxonomie zeichnet sie hierfür den Text in TEI-XML aus, um ihn anschließend auszuwerten. Im sechsten Beitrag untersucht Émilie Pagé-Perron die Beziehungen zwischen den Personen, die in einem Korpus akkadischer Texte aus dem dritten vorchristlichen Jahrtausend erwähnt werden. Mithilfe einer Netzwerkanalyse untersucht sie die juristischen und administrativen Texte insbesondere hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse. In der von Saana Svärd, Heidi Jauhiainen, Aleksi Sahala und Krister Lindén durchgeführten Sprachuntersuchung akkadischer Texte (siebter Beitrag) werden sprachstatistische Methoden zur Analyse semantischer Felder angewendet. Schließlich geht es M. Willis Monroe (achtes Kapitel) um die computerunterstützte Textanalyse babylonischer astrologische Texte aus dem späten siebten und sechsten vorchristlichen Jahrhundert. Monroes Ergebnisse führen zu einem besseren Verständnis der zeitgenössischen wissenschaftlichen und editorischen Praxis spätbabylonischer Astrologie. Der abschließende vierte Teil ( Online Publishing, Digital Archiving, and Preservation ) behandelt in drei Beiträgen die derzeit besonders im Mittelpunkt der digitalen Infrastrukturentwicklung stehenden Fragen nach offener Veröffentlichung, Nachnutzung und Langzeitarchivierung digitaler Forschungsdaten. Anhand von drei textbasierten Fallbeispielen zeigen Doğu Kaan Eraslan (neunter Aufsatz), wie mehrsprachige Texte - in seinem Fall geht es um eine Vase mit einem viersprachigen Text - wissenschaftlich nachhaltig erschlossen werden können, Miller C. Prosser (zehnter Beitrag), wie man mithilfe des Online Cultural and Historical Research Environment den Ras Šamra-Ugarit Corpus mit Linked Data anreichert, und Terhi Nurmikko-Fuller Vergleichbares anhand des Electronic Text Corpus of Sumerian Literature durchführt. Es ist erstaunlich, wie gerade ein ‚kleines‘ Fach wie die Altorientalistik so zahlreiche Anwendungsbeispiele für digitale Methoden bietet. Man mag sich im Anschluss auch fragen, ob denn gerade altorientalistische Beispiele dafür geeignet sind, der weiteren bibelwissenschaftlichen Community, von der nur wenige Mitglieder sich intensiv mit altorientalischen Texten beschäftigt, digitale Methoden nahe zu bringen. Immerhin forschen die Bibelwissenschaften wie die 118 rezensiert von Juan Garcés Altorienatlistik gleichermaßen sowohl philologisch und archäologisch. Beide Forschungszweige werden durch die in diesem Band vorgestellten Methoden bereichert. So habe ich den Band mit Gewinn gelesen und wäre überrascht, wenn dies für andere, methodologisch Interessierte nicht auch der Fall sein sollte. Gerade anhand der konkreten Beispiele, die für den Nicht-Altorientalisten gleichsam ‚fremd‘ und vertraut sind, zeigt sich die Kreativität und Innovation der digitalen Methoden. Man wird den Sammelband aber nicht ohne den Vorbehalt weiter empfehlen wollen, dass es sich bei der Anwendung digitaler Methoden besonders auf alte Texte um einen Bereich handelt, der noch weiter kritisch reflektiert werden sollte und diese Sammlung nicht immer ihrem hohen didaktischen Anspruch gerecht wird. Bei der dem Band gewidmeten Session im Jahrestreffen der Society of Biblical Literature in Denver 2018 wurden zwei weitere Bände, von denen einer bereits in Bearbeitung ist, angekündigt. Dies ist angesichts des zweifelsfrei wachsenden Stellenwerts digitaler Forschungskompetenz auch in den Bibelwissenschaften sowie des zunehmenden Desiderats der Integrierung der DH in die bestehenden geisteswissenschaftlichen Fächer nur zu begrüßen.