eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 4/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
2019
41 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Der Sprachkurs ‚New Testament Greek Online‘ (Linguistics Research Center, University of Texas at Austin) lrc.la.utexas.edu/eieol/ntgol

2019
Kevin Künzl
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 4 -2019, Heft 1 Frontend Der Sprachkurs ‚New Testament Greek Online‘ (Linguistics Research Center, University of Texas at Austin) lrc.la.utexas.edu/ eieol/ ntgol Kevin Künzl 1 Das Projekt Die zu besprechende Ressource ‚New Testament Greek Online‘ ist Teil des Online-Sprachkursangebotes des ‚Linguistics Research Center‘ der ‚University of Texas at Austin‘. Angesiedelt am ‚College of Liberal Arts‘, hat das ‚Linguistics Research Center das erklärte Ziel „linguistic resources for specialists and non-specialists alike“ 1 zur Verfügung zu stellen. Ein wichtiger Aspekt dessen ist ein breit gefächertes und einheitlich gestaltetes Angebot verschiedenster Online-Ressourcen, die allesamt gratis und ohne Registrierung nutzbar sind. Das Angebot konzentriert sich auf indogermanische Sprachen; zu semitischen Sprachen, etwa Hebräisch, sind keine Ressourcen verfügbar. Die Website ist in englischer Sprache verfasst. Neben dem Sprachkursangebot umfassen die digitalen Ressourcen ein etymologisches Lexikon indogermanischer Sprachen, Online-Editionen diverser Grundlagenwerke der historischen Linguistik (v. a. Indogermanistik) sowie eine Sammlung von Quellentexten unterschiedlicher indogermanischer Sprachen im Original und mit englischer Übersetzung, darunter hethitische Gesetzestexte, eine metrisch wiederhergestellte Fassung des Rigveda, griechische und lateinische Texte verschiedener Epochen, biblische Passagen auf Kirchenslawisch u. v. m. 1 https: / / liberalarts.utexas.edu/ lrc/ . Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. Der Sprachkurs ‚New Testament Greek Online‘ 104 Kevin Künzl Unter dem Titel Early Indo-European Online findet sich das Sprachkursangebot. Es existieren Kurse u. a. für Armenisch, Altenglisch, Gotisch, Hethitisch, altes Kirchenslawisch, Latein und Sanskrit. Das Ziel der Kurse besteht darin, sprach- und kulturgeschichtlich prägende Texte im Original zugänglich zu machen. 2 Das wird zum einen durch das Arbeiten mit den Kursen selbst ermöglicht, die durchgängig mit historisch und kulturell relevanten Originaltexten arbeiten; zum anderen sollen Lerner in die Lage versetzt werden, sich (mit Hilfsmitteln) weiter selbstständig mit der Literatur der jeweiligen Sprache zu befassen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Sprachkurse stammt von zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die alle mit dem ‚Linguistics Research Center‘ assoziiert sind oder waren. Wie auf der Website im Einzelnen ersichtlich, 3 finden sich unter den Verantwortlichen sowohl Professoren, Emeriti, Doktoranden und Postdoktoranden als auch engagierte Studierende. Die technische Umsetzung stammt von Jonathan Slocum, der bis 2011 als Mitarbeiter an der University of Texas at Austin tätig war. 4 Für das Griechische gibt es zwei Sprachkurse: klassisches (attisches) und neutestamentliches Griechisch (Koine). Letztgenannter Kurs wird nun näher vorgestellt. Dabei sei angemerkt, dass sich die Informationen zu Aufbau und Funktionen auf alle anderen angebotenen Kurse übertragen lassen. 2 Content New Testament Greek Online stammt aus dem Jahr 2002. Der Kurs wurde inhaltlich von dem Indogermanisten Winfred P. Lehmann († 2007) erarbeitet, der bis 1986 als Professor und dann als Emeritus an der University of Texas at Austin aktiv war. 5 Bei den grammatikalischen und lexikalischen Glossen zu den einzelnen Lektionstexten hat die damalige Studentin Marie-Claire Beaulieu mitgearbeitet. Sie ist heute Associate Professor für Classics an der Tufts University (Medford, MA) und u. a. Associate Editor der Perseus Digital Library . 6 Der Sprachkurs besteht aus einer Einführung gefolgt von zehn Lektionen. Die Einführung enthält zunächst grundsätzliche Informationen (kulturhistorischer Hintergrund; Alphabet; Lautlehre; Bemerkungen zu den Diathesen des Verbs, 2 Vgl. https: / / lrc.la.utexas.edu/ eieol. Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. 3 Vgl. https: / / lrc.la.utexas.edu/ eieol. Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. 4 https: / / liberalarts.utexas.edu/ lrc/ about/ people/ former-members/ jonathan-slocum.php. Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. 5 https: / / liberalarts.utexas.edu/ lrc/ about/ people/ former-members/ winfred-p-lehmann.php. Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. 6 https: / / ase.tufts.edu/ classics/ people/ facultyBeaulieu.htm. Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. Der Sprachkurs ‚New Testament Greek Online‘ 105 dem Kasus usw.). Diese sind interessant und gut dargestellt, können Personen ohne linguistische Vorkenntnisse in ihrer Ausführlichkeit aber abschrecken. Als erster Eindruck des Griechischen wird das Vaterunser parallel Griechisch/ Englisch geboten. Lektion 1 - die hier exemplarisch erläutert wird - beginnt mit dem Lektionstext Lk 2,1-14. Nach einer kurzen historisch-kritischen Einleitung wird der Text zunächst versweise dargestellt, wobei es sich beim letzten Vers um einen sog. ‚memory vers‘ handelt, der auswendig gelernt werden soll. Die versweise Darstellung beinhaltet das zentrale Feature des Sprachkurses, das die Möglichkeiten digitalen Hypertexts nutzt: Zu jedem Wort lässt sich einzeln eine Glosse ein- und ausblenden, welche das Wort grammatisch bestimmt, mehrere Bedeutungen angibt und eine Übersetzung im jeweiligen Vers vorschlägt. Zu ἐγένετο (Lk 2,1) findet sich z. B. die Angabe „deponent verb; 3rd person singular aorist of <γίγνομαι> happen, become -it happened.“ 7 Diese Glossen sind äußerst nützlich, da sie von Beginn an das eigenständige Erarbeiten der Originaltexte erlauben. Nach der versweisen Darstellung wird der Lektionstext noch zweimal zusammenhängend geboten: zunächst im Griechischen, dann in der Übersetzung der King James Version. Es folgen Grammatikerläuterungen, die stets Syntax und Morphologie behandeln. In Lektion 1 geht es zuerst um Lautlehre und das Alphabet (mit einer gewissen Redundanz zur vorgeschalteten Einführung), dann um die syntaktischen Themen Wortstellung und Satzbau, und schließlich morphologisch um die A- und O-Deklination sowie die Konjugation im Indikativ Präsens Aktiv und Imperfekt. Weil die verwendeten Texte nicht adaptiert sind, können nicht alle sprachlichen Phänomene, die in ihnen auftreten, auch unmittelbar systematisch eingeführt werden. Daher wird nicht jedes Detail der einblendbaren Glossen unmittelbar von den Lernern verstanden werden. Der Kurs arbeitet also einerseits mit induktiven Elementen, die partielles Nichtverstehen in Kauf nehmen und das Ziehen eigener Schlüsse fördern; andererseits sind die Grammatikabschnitte klassisch deduktiv gestaltet und führen Phänomene systematisch ein. Dem Lerner begegnet z. B. bereits im ersten Satz von Lektion 1 der Aorist ἐγένετο, der in der zugehörigen Glosse auch als solcher ausgewiesen wird (s. o.). Systematisch eingeführt wird der Aorist jedoch erst in Lektion 3. Kritisch fällt hier auf, dass der Lektionstext und die Grammatikeinführungen nur teilweise aufeinander abgestimmt sind: Bei den syntaktischen Erläute- 7 https: / / lrc.la.utexas.edu/ eieol/ ntgol/ 10 (Hervorhebung im Original. Letzter Zugriff: 28.01.19). 106 Kevin Künzl rungen erfolgen diese anhand des Lektionstexts. Die folgende Einführung der Morphologie des Imperfekts nimmt jedoch keinen Bezug auf das Imperfekt im Lektionstext (Lk 2,3: ἐπορεύοντο). Es ist etwas bedauerlich, dass das Wechselspiel zwischen Textarbeit und Grammatikvermittlung nicht völlig konsequent umgesetzt wird. Wo dies der Fall ist, werden Lektüre und Grammatik didaktisch fruchtbar miteinander verknüpft. Die Verteilung des Grammatikstoffes über die Lektionen ist mit Blick auf das Kursziel (Lektürefähigkeit) nicht ganz geglückt. Sie folgt eher der linguistischen Systematik des Indogermanisten als dem Auftreten von grammatischen Phänomenen in den Lektionstexten oder deren genereller Häufigkeit im Neuen Testament: Bereits in Lektion 2 wird der marginale Optativ im Verbund mit Konjunktiv und Imperativ behandelt, während die Formen von εἰμί im Präsens und Imperfekt erst in Lektion 9 zusammen mit der athematischen Konjugation eingeführt werden. Hier wäre eine größere Orientierung an den Texten, deren Lektüre man ermöglichen möchte, wünschenswert gewesen. Ressourcen zur gezielten Wortschatzarbeit sind nicht Teil des Repertoires. Zu den einzelnen Lektionen gibt es keine Lernvokabeln. Dies ist mit Blick auf das Konzept des Kurses aber nur bedingt ein Manko. Die einblendbaren Glossen machen das Lernen von Vokabeln für das Durcharbeiten des Kurses nahezu obsolet. In Zeiten zweisprachiger Textausgaben und vielfältiger elektronischer Hilfsmittel empfanden die Ersteller gezielte Wortschatzarbeit wohl als entbehrlich, um eine basale Lektürefähigkeit zu erlangen. Zum Auswendiglernen wird lediglich bei der Grammatik und den bereits erwähnten ‚memory verses‘ aufgefordert. Letztgenannte lassen die Lerner ihren Wortschatz (zusätzlich zu dem, was aus den Lektionstexten ‚hängenbleibt‘) zumindest ein wenig ausbauen. Das heute kaum noch praktizierte Auswendiglernen von Textpassagen hat den Vorteil, dass natürliche Sprachzusammenhänge anstatt isolierter Wörter eingeprägt werden. Auch ohne Lernvokabular wird der Sprachkurs durch lexikographische Referenzressourcen ergänzt: Es gibt ein Glossar aller vorkommender Wörter in den Lektionstexten (einschließlich flektierter Formen), ein alphabetisches Wörterbuch (allerdings ohne Informationen z. B. zur Konstruktion von Verben) und einen englischen Index. Diese Hilfsmittel sind zwar zu begrüßen, dürften aber wegen der einblendbaren Glossen wohl praktisch kaum genutzt werden. Hat man als Lerner alle Lektionen gründlich bearbeitet, was bei drei Stunden pro Woche mindestens ein Semester dauern dürfte (zzgl. wahrscheinlich notwendiger Übungs- und Wiederholungsphasen), ist man mit nahezu allen grammatischen Phänomenen vertraut, die im griechischen Neuen Testament begegnen können. Zudem hat man größere, zusammenhängende Abschnitte des Neuen Testaments auf Griechisch gelesen. Auch wenn etwas mehr Variation in Der Sprachkurs ‚New Testament Greek Online‘ 107 den neutestamentlichen. Schriften wünschenswert gewesen wäre, 8 liegt hier die große Stärke des Kurses: Die Ausrichtung an Originaltexten von Beginn an ist motivierend und wird durch den geschickten Einsatz der Glossen didaktisch handhabbar. 3 Suchfunktionen Im Sprachkurs sind keine Suchfunktionen implementiert. Durch die o. g. Referenzressourcen und eine übersichtliche Auflistung der ‚Contents‘ scheinen solche aber auch nicht notwendig: Sämtliche in den Lektionen behandelte ‚Grammar Points‘ sind einzeln verlinkt und somit gut auffindbar. 4 Hilfefunktionen Abgesehen von einer E-Mailadresse für Support werden keine Hilfefunktionen angeboten. Durch den simplen Aufbau des Kurses dürften weitere Optionen von den meisten Anwendern wahrscheinlich auch nicht vermisst werden. 5 Datenexport Der Datenexport ist in Form einer druckbaren Fassung des Kurses möglich. 9 Diese stellt sämtliche Lektionen als fortlaufendes HTML-Textdokument dar, wobei die Glossen als Liste einzelnen unter jedem Vers dargestellt werden. 6 User Exchange Funktionen zum Austausch zwischen Nutzern sind nicht vorgesehen. Auf der Seite der Sprachkurse bzw. des ‚Linguistics Research Center‘ wird auf dessen Aktivitäten bei Facebook 10 und Twitter 11 hingewiesen. Die Sprachkurse spielen dort allerdings keine Rolle; außerdem werden beide Kanäle wenig gepflegt. 12 8 Acht von zehn Lektionstexten stammen aus den Evangelien, nur jeweils einer aus der Apg und den Paulusbriefen. 9 https: / / lrc.la.utexas.edu/ eieol_printable/ ntgol. Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. 10 https: / / www.facebook.com/ UTLRC. Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. 11 https: / / twitter.com/ utlrc. Letzter Zugriff: 28. Januar 2019. 12 Letzter Facebook-Beitrag vom 18. März 2018; letzter Tweet vom 28. Oktober 2014. 108 Kevin Künzl 7 Einsatzmöglichkeiten im akademischen Unterricht Die Stärke des Sprachkurses besteht in der durchgängigen Verwendung von Originaltexten und deren Annotation durch die einzeln ein- und ausblendbaren Glossen. Lerner haben dadurch von Beginn an Zugang zu Texten , worin bekanntlich das Hauptziel der Beschäftigung mit den alten Sprachen liegt. Diese Stärke lässt sich in Universitätskursen in ntl. Griechisch und u. U. auch im Neuen Testament nutzbar machen. Es wäre denkbar, die annotierten Lektionstexte in Proseminaren und Seminaren zu verwenden, in denen die Studierenden eher geringe Griechischkenntnisse besitzen (z. B. in Lehramtsstudiengängen). In Griechischkursen ließen sich einzelne Lektionstexte einstreuen (die nötige Technik vorausausgesetzt), um Lust an Lektüre - gerade in trockenen Grammatikphasen - zu generieren bzw. aufrechtzuerhalten. Eine Hürde mag sein, dass die Glossen in englischer Sprache verfasst sind; die meisten Studierenden sollten hierfür aber über hinreichende Schulkenntnisse verfügen. Nur bestimmte Fachtermini müssten erläutert werden (z. B. subjunctive für Konjunktiv). Die Grammatikerläuterungen sind korrekt und können evtl. didaktische Anregungen bieten. Aufgrund der Abfassung auf Englisch, einiger konzeptueller Schwächen (s. o.) und der fehlenden Nutzung des Potentials des Hypertexts ist ihr Einsatz im akademischen Unterricht aber nur bedingt zu empfehlen. Zum Selbststudium bzw. zur privaten Weiterbildung sind alle vom ‚Linguistics Research Center‘ angebotenen Sprachkurse vorbehaltslos geeignet.