eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 3/2

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
2018
32 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Speeddating – Speedhating

2018
Florian Oepping
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 3 -2018, Heft 2 Lehr-/ Lernbeispiele Speeddating-- Speedhating Ein innovatives Lehrbeispiel zu den zwölf kleinen Propheten Florian Oepping 1 Didaktische Herausforderungen und Ziele Neben den individuellen Herausforderungen, die jede Lehrveranstaltung mit sich bringt, steht der Fachbereich der Bibelwissenschaft auch generell vor großen Herausforderungen. Neben dem Bologna-Prozess und den generationsbedingten Veränderungen ist namentlich auch der gesamtgesellschaftliche Bedeutungsverlust der Bibel zu nennen. 1 Insbesondere Sandra Huebenthal wies darauf hin, dass auch bei Fachleuten wie Religionslehrerinnen und Religionslehrern, Pfarrerinnen und Pfarrern oder Theologiestudierenden ein positiver Zugang zur Bibel nicht mehr ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann, da ihnen dieser nicht vermittelt wurde. 2 Sofern sie diesen Zugang selbst allerdings nicht haben, können sie diesen auch 1 Siehe für eine ausführliche Beschreibung dieser Herausforderungen Biggs, Teaching, 3 f., und Fischer/ Wagner, Verstehen von Anfang an, 3 - 17 , für den Bologna-Prozess sowie Ungermann/ Huebenthal, Orks in der Gelehrtenwerkstatt, 7 , für die Beschreibung der heutigen Generation. Eine negative Prognose für Kirche und Religion zieht z. B. die jüngste Jugendstudie Generation What? (http: / / www.generation-what.de/ #); letzter Zugriff: 7 . Juni 2018 . 2 Huebenthal, Vom Zauber der Schriftauslegung, 19 f., und Huebenthal, Exegetische Werkstatt, 180 f. 78 Florian Oepping nicht an ihre Schülerinnen und Schüler, Konfirmandinnen und Konfirmanden oder Gemeindemitglieder vermitteln. Der Bedeutungsverlust der Bibel nimmt dadurch mehr und mehr zu. Als eine der ersten Veranstaltungen, die Studierende in der Bibelwissenschaft besuchen, prägt die Bibelkunde-Übung deren Einstellung gegenüber der Bibel erheblich. Die Veranstaltung kann dazu beitragen, ebendiese Einstellung maßgeblich zu beeinflussen und im besten Fall die oben beschriebene Abwärtsspirale zu durchbrechen. Das folgende Lehrbeispiel versucht, sich diesen Herausforderungen durch Interaktivität und Dynamik zu stellen und hat zum Ziel, den Studierenden vor allem ein positives Bild über die Bibel zu vermitteln. 2 Einbettung in die Lehrveranstaltung Das Lehrbeispiel eignet sich für eine wöchentlich stattfindende, zwei Semesterwochenstunden umfassende Veranstaltung, deren Ziel es ist, die Grundkenntnisse über das Alte Testament für das weitere Theologiestudium zu vermitteln. Bei einer solchen Veranstaltung werden die biblischen Bücher so auf die wöchentlichen Sitzungen aufgeteilt, dass sich die Lesebelastung für die Studierenden in Grenzen hält. Das Buch der zwölf kleinen Propheten nimmt bei dieser Lehrveranstaltungskonzeption eine Sitzung ( 2 SWS ) in Anspruch. Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass es das Curriculum nicht an allen Universitäten zulässt, eine eigenständige Bibelkunde-Übung anzubieten. An manchen Hochschulen wird diese gemeinsam mit dem Grundkurs abgehalten, entweder als integrierte Übung oder lediglich als Grundkurs mit einem Fokus auf bibelkundliches Wissen. Dabei verfolgt die Veranstaltung höhere und weitere Lernziele als die einfache Vermittlung von bibelkundlichem Grundlagenwissen. In diesen Fällen eignet sich das Lehrbeispiel nicht, da sich die mit dieser Methode zu erreichenden (Lern-)Ziele nicht mit den Lernzielen eines Grundkurses decken. 3 Darstellung des Beispiels Der Name des Lehrbeispiels Speeddating - Speedhating ist bereits selbsterklärend. Während der Begriff ‚Speeddating‘ einen Einblick in die Methode gibt, lässt ‚Speedhating‘ auf die Inhalte der Konversationen schließen. Trotzdem gilt es, einige Punkte zu beachten. Im Folgenden wird daher die Vorbereitung der Stunde, ihre Durchführung sowie eine mögliche Auswertung besprochen. Speeddating-- Speedhating 79 3.1 Vorbereitung der Stunde Ein Erfolgsfaktor für die Gestaltung der Lehrveranstaltung ist eine sorgfältige Vorbereitung. Die Studierenden erhalten bereits in der Unterrichtsstunde vor der betreffenden Sitzung unterschiedliche Leseaufträge, die die zwölf kleinen Propheten abdecken. Dafür müssen die Studierenden auf die Prophetenbücher aufgeteilt werden. Die Gruppengröße spielt bei der Aufteilung eine entscheidende Rolle. Eine Gruppengröße von zwölf Studierenden wäre ideal, allerdings kaum realistisch. Je nach Größe ist es aber entweder möglich, direkt zwei Gruppen zu bilden und die Propheten doppelt zu verteilen, weitere Propheten ( Jesaja, Ezechiel, Jeremia) hinzuzunehmen oder aber Studierende zu Zweiergruppen zusammenzuschließen. Den Studierenden braucht im ersten Schritt nicht bereits die konkrete Methode bekannt gegeben werden. Es ist aber ratsam, anzukündigen, dass jeder von ihnen den ‚eigenen‘ Propheten vorstellen muss. Dadurch wissen sie, was von ihnen erwartet wird, und können sich besser auf die Unterrichtsstunde vorbereiten. 3 Um den Studierenden die Vorbereitung zu erleichtern, werden einige Leitfragen für die Lektüre zur Verfügung gestellt. 4 Die Fragen sollten einerseits so allgemein sein, dass alle Studierenden mit den gleichen Fragen arbeiten können. Andererseits sollten sie gleichzeitig die spezifischen Charakteristika jedes einzelnen Propheten im Blick haben. Die Studierenden sollten sich mit der Biografie ‚ihres‘ Propheten vertraut machen. Dies sollte der allgemeine Vorbereitungsauftrag sein, weitere Vorbereitungsfragen könnten folgendermaßen lauten: • Lässt sich eine Gliederung des Buches vornehmen? Gibt es ein Schema? • Wann ist der Prophet aufgetreten? Und wie sah die historische Situation zu dieser Zeit aus? • Woher stammt der Prophet? Wo verkündigte er? • Wie lautet die zentrale Botschaft des Propheten? • Welche (Fremd-)Völker verflucht der Prophet? Was droht er ihnen an? • Wie lautet die Heilsbotschaft des Propheten? • Hat der Prophet Visionen oder Gesichte? • Vollbringt der Prophet Zeichenhandlungen? • Gibt es entscheidende Fakten über den Propheten oder das biblische Buch, die bisher nicht abgedeckt sind? 3 Vgl. Biggs, Teaching, 140 . 4 Idealerweise wurden die Studierenden bereits vorher mit einer Lesetechnik vertraut gemacht, geeignet wäre beispielsweise die PQ 4 R-Methode (siehe Lange, Fachtexte, 31 f.). 80 Florian Oepping 3.2 Die Regeln Für einen reibungslosen Ablauf der Unterrichtsstunde ist die Sitzordnung elementar. Denn anders als bei einem normalen Speeddating, bei dem nur die Damen oder nur die Herren ihren Platz wechseln, müssen hier alle ‚Propheten‘ einmal mit einander gesprochen haben. Als eine der Regeln der Methode kann somit: ‚Jeder spricht mit jedem! ‘, bezeichnet werden. Damit der Wechsel problemlos funktioniert, muss ein Prophet an seinem Platz bleiben, die restlichen Propheten rücken im Uhrzeigersinn einen Platz auf. Entscheidend dafür ist jedoch, dass der feste Platz an einem der Endtische liegt (Tisch 1 / 12 oder 6 / 7 ), ansonsten funktioniert die Methode nicht. Spätestens nach dem siebten Wechsel käme es zu einem Durcheinander, da sich in einem solchen Fall bereits einander bekannte Propheten noch einmal gegenübersitzen würden. 1 . 1 2 3 4 5 6 12 11 10 9 8 7 2 . 11 1 2 3 4 5 12 10 9 8 7 6 3 . 10 11 1 2 3 4 12 9 8 7 6 5 4 . 9 10 11 1 2 3 12 8 7 6 5 4 5 . 8 9 10 11 1 2 12 7 6 5 4 3 Speeddating-- Speedhating 81 6 . 7 8 9 10 11 1 12 6 5 4 3 2 7 . 6 7 8 9 10 11 12 5 4 3 2 1 8 . 5 6 7 8 9 10 12 4 3 2 1 11 9 . 4 5 6 7 8 9 12 3 2 1 11 10 10 . 3 4 5 6 7 8 12 2 1 11 10 9 11 . 2 3 4 5 6 7 12 1 11 10 9 8 Abb. 1 Sitzordnung in den Spielrunden Ein entscheidender Vorteil der Methode ist ihre Interaktivität. Die Studierenden müssen in dieser Sitzung kommunikativ sein. Darin liegt allerdings auch eine Schwäche. Nicht allen Studierenden fällt es leicht, präzise und vor allem eloquent über ihren Propheten zu berichten. Gerade daran bemisst sich allerdings, wie die anderen Studierenden die einzelnen Beiträge und letztlich auch die Unterrichtsstunden insgesamt empfinden. Ein Glücksfall ist sicherlich, wenn 82 Florian Oepping Studierende von sich aus bereits mit der Methode ‚Storytelling‘ vertraut sind. 5 Neben der Geschichte des Propheten sollen vor allem seine Persönlichkeit, seine Botschaft und damit seine Absichten bzw. seine Ziele deutlich werden. 6 Ansonsten lässt sich bereits mit einer einfachen Regel die Qualität der Redebeiträge erheblich verbessern: Die Studierenden sollen nur Ich-Botschaften verwenden. Der Faktor Zeit ist sowohl für die Methode Speed dating als auch für eine auf 90 Minuten begrenzte Unterrichtsstunde entscheidend. Da sowohl für die Einführung, als auch die abschließende Auswertung ausreichend Zeit eingeplant werden muss, dürfen die einzelnen Gesprächszeiten nicht zu lang sein. Es empfiehlt sich, die Redezeit auf maximal fünf Minuten zu beschränken. Die Dozentin oder der Dozent muss auf die Einhaltung der Zeitvorgabe achten. Mit einem Gong oder einer Klingel kann den Studierenden ein Zeichen zum Platzwechsel gegeben werden. Bei fünf Minuten pro Paar verbleiben für Einführung und Auswertung noch 35 Minuten. Als letzte Regel sollte den Studierenden die Aufgabe mitgegeben werden, Notizen während des Speeddatings - Speedhatings anzufertigen (Wer passt zu euch? Wer verkündigt etwas vollkommen anderes? ). Diese werden ihnen für die abschließende Auswertung und ihre Nachbereitung hilfreich sein. 3.3 Die abschließende Auswertung Nach der Dürchführung des Speeddatings - Speedhatings sollte die verbleibende Zeit (ca. 15 - 20 Minuten) für eine Auswertung genutzt werden. Die Studierenden kommen dafür im Plenum zusammen. Die Dozentin oder der Dozent moderiert das Gespräch. Dabei können z. B. die oben aufgelisteten Vorbereitungsfragen besprochen werden. Allerdings wird dieses Auswertungsgespräch für die Studierenden nur von besonderem Gewinn sein, wenn bei den Fragen stets eine Gesamtperspektive eingenommen wird. Das Verhältnis der Propheten(bücher) untereinander, zu dem sich die Studierenden während des Speeddatings - Speedhatings bereits Notizen machen sollten, kann somit nochmals vertieft besprochen werden. Die Studierenden haben mit dieser Unterrichtseinheit nicht nur einen vertieften Einblick in ‚ihren‘ Propheten sowie Grundkenntnisse zu den anderen Propheten, sondern auch Erkenntnisse zum Gesamtaufbau des Zwölfprophetenbuches gewonnen. 5 Eine prägnante Einführung bietet z. B. Gálvez, Storytelling, 84 - 89 ; ausführlicher Herbst, Storytelling, 91 - 133 . 173 - 186 . 6 Siehe Gálvez, Storytelling, 28 - 33 . Speeddating-- Speedhating 83 4 Reflexion der Einheit anhand einer Evaluation Die Methode hat, wie jede andere Unterrichtsmethode auch, Stärken und Schwächen. In ihr bewahrheitet sich grundsätzlich die Lerntheorie von William Glasser. Dieser hat den prozentualen Faktor des Lernerfolges in Bezug auf die Art der Aufnahme bestimmt. Demnach behalten bzw. lernen die meisten Menschen … … 10 % von dem, was sie lesen. … 20 % von dem, was sie hören. … 30 % von dem, was sie sehen. … 50 % von dem, was sie sehen und hören. … 70 % von dem, über das sie mit anderen reden. … 80 % von dem, was sie in ihrem alltäglichen Leben nutzen und anwenden. … 95 % von dem, was sie einer anderen Person beibringen. Lernprozesse werden allerdings von weiteren Faktoren beeinflusst, sodass die Theorie nicht allzu wörtlich genommen werden sollte. 7 In der Tendenz scheint sie allerdings richtig zu sein. An der obigen Aufstellung lassen sich ebenfalls einige Stärken und Schwächen der Methode verdeutlichen. Selbsteinleuchtend ist, dass die Studierenden natürlich in erster Linie ihren eigenen Propheten einüben. Sie wiederholen ihre Vorstellung elf Mal. Und auch wenn die ersten Durchgänge noch neu sind und voneinander variieren, da sie erst eine passende Form finden müssen, wiederholt sich der eigene Redebeitrag letztlich nur noch. Dies kann leicht zu etwas Überdruss führen. Dies haben die Studierenden in der Evaluation der Lehrmethode auch angegeben. Darüber hinaus merkten sie an, dass sie, je nach Prophetenbuch, die Vorbereitung und Wiedergabe ihres Propheten unterschiedlich schwierig fanden. Dieses Gefühl entspricht logischerweise dem biblischen Befund und lässt sich nicht verändern. 8 Die sonstigen Rückmeldungen waren insgesamt positiv. Die Studierenden schätzen besonders die Interaktivität und Dynamik, lauschten mit großer Aufmerksamkeit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen und stellten mit Begeisterung ‚ihren‘ Propheten vor. Die Methode verspricht somit vor allem eines: eine Menge Spaß! 7 Vgl. Biggs, Teaching, 63 f. 8 Zu fragen wäre, ob mit einer gezielten Zuordnung von schwierigeren Prophetenbüchern zu leistungsstärkeren Studierenden etwas gewonnen wäre. 84 Florian Oepping Literatur Biggs, John/ Tang, Catherine: Teaching for Quality Learning at University. What the Student Does, Berkshire 4 2011. Fischer, Stefan/ Wagner, Thomas: Verstehen von Anfang an - Exegese und Hochschuldidaktik, VvAa 1/ 1 (2016), 3-18. Gálvez, Christián: 30 Minuten Storytelling, Offenbach 4 2012. Giercke-Ungermann, Annett/ Huebenthal, Sandra (Hg.): Orks in der Gelehrtenwerkstatt? Bibelwissenschaftliche Lehrformate und Lernumgebungen neu modeliert (Theologie und Hochschuldidaktik 7), Münster 2016. Herbst, Dieter Georg: Storytelling, Konstanz/ München 3 2014. Huebenthal, Sandra: Exegetische Werkstatt oder ‚Es lohnt sich, früh aufzustehen und sich mit der Bibel zu beschäftigen‘, in: Auferkorte-Michaelis, Nicole (Hg.): Hochschuldidaktik für die Lehrpraxis. Interaktion und Innovation für Studium und Lehre an der Hochschule, Opladen 2010, 180-189. Huebenthal, Sandra: Vom Zauber der Schriftauslegung. Ein hochschuldidaktischer Blick auf die Exegese, VvAa 1/ 1 (2016), 19-38. Lange, Ulrike: Fachtexte. lesen - verstehen - wiedergeben, Paderborn 2013.