eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 3/2

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
2018
32 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Bibelkunde als Studieninhalt

2018
Carl Henrich
Sarah Krebs
Jennifer Schaaf
Jessica Schaaf
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 3 -2018, Heft 2 Bibelkunde als Studieninhalt Ein Interview mit Studierenden in Pfarr- und Lehramtsstudiengängen sowie in den Religionswissenschaften Carl Henrich / Sarah Krebs / Jennifer Schaaf / Jessica Schaaf Abstract | This interview deals with the perspective of students learning bible content within different study programs as majors in divinity and comparative religion. The students express their varying experiences in self-instruction and course work. They emphasize the need of the inclusion of bible content in the introduction to Biblical studies. Finally, they reflect on expectation of a professional usage of Biblical stories in various vocational fields. Einführung In den Prüfungsordnungen verschiedener Studiengänge ist Bibelkunde als ein verpflichtender Bestandteil des Studiums vorgesehen. Veranstaltungen, die auf die Prüfungen vorbereiten sollen, werden meist polyvalent, d. h. bezogen auf alle Prüfungsordnungen hin angeboten. Während durch Lehrende vielfach die Lernvoraussetzungen der Studierenden aufgrund regionaler Voraussetzungen stark differierender Vorkenntnisse zur Planung der Lehrveranstaltungen hinterfragt werden, ist die divergierende Zielsetzung der Studierenden in den einzelnen Studiengängen nur selten ein Kriterium für die Auswahl der Lehrgehalte. Die Installation von religionswissenschaftlichen Studiengängen, die im Gegensatz zu den auf das Pfarr- und Lehramt ausgelegten theologischen Studiengängen nicht auf ein konkretes Berufsziel bezogen sind, führt dazu, dass Wissen über christlich-theologische Themen und religiöse Phänomene im weiteren Kon- 68 Carl Henrich / Sarah Krebs / Jennifer Schaaf / Jessica Schaaf text einer universalen Geistes- und Kulturgeschichte wahrgenommen werden. Bezogen auf derartige Kontexte stellt sich den Lehrenden die Frage nach der Relevanz der Lehrinhalte. Während die Prüfungsordnungen der einzelnen Landeskirchen für das Biblicum und die sich oftmals an diesen Ordnungen orientierenden Prüfungen in den Lehramtsstudiengängen einen umfassenden Überblick über die biblischen Schriften vorsehen, sind die Prüfungsinhalte in den religionswissenschaftlichen Studiengängen stärker divergent. Hier bietet sich die Möglichkeit einer Fokussierung vor allem auf Textbereiche an, die wirkungsgeschichtlich bedeutsam wurden. Blickt man von einer derartigen religions- (und evtl. auch theologiegeschichtlichen) Pespektive auf die Verwendung biblischer Texte innerhalb der christlichen Theologie, so stellt man fest, dass es auch hier eine Auswahl an Texten gibt, die für die kirchliche und schulische Praxis von besonderer Bedeutung sind. Diese Perspektive wird teilweise in den Prüfungsordnungen der Landeskirchen gespiegelt, indem Textbereiche benannt werden, die einen besonderen Schwerpunkt in der Prüfung bilden bzw. die auswendig gelernt werden sollen. Auf diese Weise bildet sich ein Kanon im Kanon heraus, der notwendigerweise zu Schwerpunktsetzungen in den Bibelkundeveranstaltungen führt. Während persönliche Zugänge, Beobachtungen zu Vorkenntnissen von Studierenden früherer Jahrgänge, Prüfungsordnungen sowie Erfahrungen eigener Berufspraxis in Pfarr- und Schulamt Lehrende oftmals zu Schwerpunktsetzungen führen, sind Eingangstests zur Abbildung von Vorkenntnissen und eine Einbindung von Lernzielen von Studierenden, die sich häufig an den Vorstellungen der späteren Berufspraxis orientieren, unüblich. Mit dem folgenden Interview, in dem sich Sarah Krebs, Jennifer Schaaf, Jessica Schaaf und Carl Henrich, vier Studierende der Goethe-Universität Frankfurt am Main, zu ihren Erfahrungen und Zielsetzungen beim Erlernen der Bibelkunde äußern, soll die Perspektive einer beruflich orientierten Zielsetzung in der Planung von polyvalenten Lehrveranstaltungen zur Vorbereitung auf das Biblicum resp. die Bibelkundeprüfung durch Statements von Studierenden unterschiedlicher Studiengänge gestärkt werden. 1. Erzählen Sie uns etwas über ihre religiöse Sozialisation. Welche Bedeutung hatten biblische Erzählungen in ihrem Elternhaus? Kamen Sie im Laufe Ihrer Kindheit/ Jugend auch in anderen Umfeldern in Kontakt mit biblischen Texten? Welcher Art war Ihr Vorwissen, als Sie Ihr Studium an der Uni Frankfurt begannen? Jes.S.: Ich kann für uns beide sprechen, da wir ja aus demselben Elternhaus stammen. Wir besaßen zu Hause eine Kinderbibel, aus der wir Geschichten vorgelesen bekamen und in der wir selber blättern konnten. Wir waren auch Bibelkunde als Studieninhalt 69 in einem kath.-ev. Kindergarten, also einem ökumenischen mit Kindergottesdiensten und ähnlichem. Ansonsten wurden wir aber sehr frei erzogen, mussten am Sonntag nicht in die Kirche gehen und konnten uns selbst entscheiden, ob wir am Konfirmandenunterricht teilnehmen wollten oder nicht. Jen.S. (ergänzt): In engeren Kontakt kam ich mit dem Christentum dann erst durch meinen damaligen Freund, der sehr gläubig war. Dadurch hat sich dieser lose Kontakt dann bei mir gefestigt. C. H.: Eine Kinderbibel hatten wir auch zu Hause, aber das ist ja selbstverständlich, wenn der Vater Pfarrer ist. Ich bin im Religiösen aufgewachsen; wir haben abends immer gebetet, Kindergottesdienste gestaltet, Jungscharkreise geführt. Das haben wir alles als Familie zusammen gemacht. Später bin ich dann in die Kinder- und Jugendbetreuung eingestiegen, als ich noch in meinem Heimatort lebte. Ich bin einfach in das kirchliche Leben hereingewachsen. S. K.: Ich bin selbst katholisch getauft. Größtenteils bin ich bei meiner Tante aufgewachsen, die sich um mich kümmerte, wenn meine Eltern arbeiteten. Meine Familie stammt aus Polen und ist streng katholisch. Bei ihnen habe ich unter hohem religiösem Einfluss gelebt. Für sie ist die Bibel unwiderlegbar und das Fundament, auf dem der Alltag aufbaut. Deshalb habe ich als Kind auch viel in der Bibel lesen müssen. Ich war dann auch selber Messdienerin, halb freiwillig, halb unfreiwillig, und hatte daran dann aber viel Spaß. Ich könnte mich jetzt als Religionswissenschaftlerin nicht hinstellen und Menschen anderer Religionnen ihren Glauben absprechen, denn ich selber glaube an keinen christlichen Gott. 2. Mit welchen Erwartungen/ Befürchtungen sind Sie in Ihre Bibelkundeveranstaltung gestartet? C. H.: Ich fang vielleicht mal an. Es ist eine große Herausforderung am Anfang des Studiums, wenn man sieht, was für ein dicker Schinken die Bibel ist und was es alles zu lernen gibt. Aber ich denke, es ist einfach wichtig, sich dem in den Sarah Krebs, * 1997, Studium der Vergleichenden Religionswissenschaften und der Ethnologie, Uni Frankfurt, 4 . Semester Carl Henrich, * 1995 Studium der Ev. Theologie mit dem Ziel Pfarramt, Uni Frankfurt, 4. Fachsemester Jessica Schaaf, * 1995 , Studium des Unterrichtsfach Ev. Theologie für Lehramt an Grundschulen, Uni Frankfurt, 2. Semester Jennifer Schaaf, 1999, Studium des Unterrichtsfach Ev. Theologie für Lehramt an Grundschulen, Uni Frankfurt, 2. Semester 70 Carl Henrich / Sarah Krebs / Jennifer Schaaf / Jessica Schaaf ersten Semestern zu stellen. Wie der Bäcker den Mürbeteig herstellen können muss, um Kuchen zu backen, so braucht der Theologe die Bibel, um wirklich arbeiten zu können. Deshalb habe ich mir auch das Ziel gesetzt, gewissenhaft daran zu arbeiten. Eine Veranstaltung besuchte ich nicht. Im Pfarramtsstudium muss ich meinen Lernweg selber gestalten und mich auf die Prüfung vorbereiten. Jen.S.: Ich finde eine solche Grundlage auch wichtig. Ich fand es gut, dass ich die wichtigsten Bibelstellen schon kannte. Gleichnisse zum Beispiel hat man schon im Kopf, weil man die einfach schon häufig hörte. Es ist wichtig, Vergleiche zu Texten zu ziehen, Parallelen kennenzulernen und zu wissen, wo die Texte vielleicht anders stehen, um zu anderen Auslegungen zu kommen. Es ist gut, das so im Kopf zu haben und aus der Veranstaltung dafür Hilfestellungen zu erhalten. Dabei ist die Bibelkunde im Lehramtsstudium nicht so vertiefend konzipiert, sondern dient allein als Backgroundwissen, um im Unterricht reagieren zu können. S. K.: Ich habe keine Bibelkundeveranstaltung belegt, da ich die Texte schon recht gut kannte und ich mich auf andere Bereiche konzentrieren wollte. In meinem Studium ist das alles fakultativ gestaltet, so dass ich die Bibelkunde umgehen konnte. Ich konnte zwischen den vergleichenden Religionswissenschaften und spezifischen, also Christentum, Judentum und Islam wählen. Ich habe mich für die vergleichenden Religionswissenschaften entschieden, so dass sich mir die Frage nie stellte. 3. Welche Bedeutung hatten Berichte von älteren Studierenden für Sie am Anfang Ihres Studiums und besonders vor der Bibelkundeveranstaltung? C. H.: Bei uns aufs Pfarramt zielenden Theologiestudierenden sind die Sprachen und die Bibelkundeprüfung die großen Hürden am Anfang des Studiums. Von ihnen wird meistens nur Schlechtes berichtet. Deshalb haben wir auch mit ein paar Kommilitonen aus dem Hebräisch-Kurs eine kleine Lerngruppe für die Bibelkunde gegründet, um uns gegenseitig zu unterstützen. Jes.S.: Im Lehramt steht an der Uni Frankfurt keine reine Bibelkundeprüfung an. Sie ist Teil der Einführungsveranstaltung. Und da zu dem Semester, in dem ich die Veranstaltung belegte, das Konzept der Klausur verändert wurde, weg von einem Abfragen von bibelkundlichen Inhalten hin zu einem Essay, konnte uns keiner vorher sagen, was auf uns zukommt. So ein reines Auswendiglernen halte ich für die Grundschule auch nicht für sinnvoll, da ich immer nachlesen kann, worum es gut. Ich muss halt nur grob wissen, wo ich was finde. Jen.S. (ergänzt): Und ich hätte mich vor Rückfragen bei älteren Studierenden auch gescheut. Grundsätzlich sind Vorerfahrungen anderer ja immer sehr subjektiv geprägt. Ich wollte lieber meine eigenen Erfahrungen sammeln. Bibelkunde als Studieninhalt 71 4. Welche Erwartungen an die Veranstaltung hatten Sie, als sie sich für eine Vorbereitung der Prüfung durch den angebotenen Kurs entschieden? Jen.S.: Dadurch, dass es eine Einführungsveranstaltung war, in deren Rahmen die Bibelkunde unterrichtet wurde, hatte ich hohe Erwartungen. Mit ihr sind die Grundlagen für das weitere Studium gelegt worden. Ich bin mit mehr Wissen aus der Veranstaltung gegangen, als ich es vorher besaß. 5. Welche alternativen Lernwege haben Sie sich geschaffen, wenn keine Veranstaltung zur Vorbereitung auf die Bibelkundeprüfung angeboten wurde? C. H.: Zum Wintersemester wird bei uns immer eine Informationsveranstaltung angeboten, in der man erfährt, wie man Bibelkunde lernen kann. Und es gibt zwei, drei Begleitwerke, die man zur Vorbereitung nutzen kann. Außerdem war es für meine Lerngruppe eine große Unterstützung, dass die zuständige Professorin sich mit uns traf, ihre Erwartungen benannte, Hinweise gab, was wichtig zu lernen ist und wie wir beim Lernen vorgehen können. Ich denke, ich spreche da im Namen aller Theologiestuierenden auf Magister/ Pfarramt, dass wir gerne mehr Begleitung hätten. Erwartungshaltungen zu klären, wäre uns eine große Hilfe. Einem begleitenden Tutorium, das viele gerne hätten, stehe ich eher kritisch gegenüber. Man könnte sich zu schnell dazu verleiten lassen, die Texte nicht selber zu lesen. Jes.S.: Was mir in der Vorbereitung sehr half, waren die Dialoge über die Texte. Einfach nur den Inhalt zu kennen, ist ja das eine. Ein Verstehen des Textes ist etwas Anderes. Das ergibt sich erst im Austausch. 6. Welche Bedeutung haben die biblischen Schriften für Ihr Studium? Warum beschäftigen Sie sich überhaupt mit diesen Texten? Jes.S.: Was ich sehr spannend fand, und darauf hat unsere Veranstaltung aufgebaut, war der Vergleich von Gleichnissen und Psalmen. Hier war mir besonders wichtig, einen Blick auf die kritischen Stimmen und deren Textgebrauch zu werfen. Oftmals werden ja in Deutungen einfach Aspekte aus Texten ausgespart, so dass die Kritik begründet erscheint. Ich wollte kritikfähig gegenüber Kritikern werden. Jen.S.: Die Textvergleiche zwischen mehrfach überlieferten Texten waren für mich sehr eindrücklich. Da wurde mir bewusst, wie wichtig die Kontextualisierung für die Deutung des Textes ist. S. K.: Abgesehen von einzelnen Textstellen finde ich ein fundiertes bibelkundliches Wissen sehr wichtig. Mir ist es in der Oberstufe mehrfach begegnet, dass ich von Lehrenden auf Rückfragen die Antwort bekam, wir würden im Schulunterricht nicht so tief in die Texte einsteigen. Ich hatte immer den Eindruck, 72 Carl Henrich / Sarah Krebs / Jennifer Schaaf / Jessica Schaaf dass die Lehrenden eigentlich nicht mehr wussten, als das, was sie uns gerade vermittelt hatten. Das hat mich in meinen Lernprozessen häufig behindert und hier würde ich mir eine bessere Ausbildung der Lehrenden wünschen. 7. Wenn ich Sie jetzt konkret nach einem Text frage, z. B. nach Hos 14 , was kommt Ihnen dann in den Kopf ? Jes.S.: Oh je, ich glaube, der Text kam in der Veranstaltung nicht vor. C. H.: Ich glaube, es ist wichtiger, grob zu wissen, was Hosea für eine Geschichte ist, als zu wissen, was in dem einzelnen Kaptiel steht. Wenn man irgendwie merkt: Das erinnert mich an Hosea, dann kann man mal schnell in der Bibel nachschlagen. Die hat man als Theologiestudent eh überall herumliegen oder man nutzt eine App. Es gibt aber manche Stellen, z. B. Gen 22 , die Opferung Isaaks, die kommen so oft vor, dass man wissen muss, wo der Text steht. Bei anderen Texten halte ich das für zu viel; da muss man nur grob wissen, wo man sie suchen muss. Die wichtigen biblischen Texte behandelt man ja außerhalb des Bibelkundelernens in anderen Veranstaltungen. In ihnen muss man die Texte intensiv lesen. Da prägen sich Stellen und Inhalte einfach ein. 8. Blicken wir mal auf die Zeit nach Ihrem Studium voraus. Welches Berufsziel verfolgen Sie? Welche Bedeutung besitzen biblische Texte bezogen auf ihre vermutliche spätere berufliche Praxis? Jes.S.: Ich finde es für den Grundschulunterricht wichtig, ein breites Spektrum abzudecken und biblische Geschichten in ihrer ganzen Breite anzubieten. Die Schülerinnen und Schülern sollen aus den Erzählungen Verhaltens- und Handlungsoptionen ableiten können. Dieses ist m. E. der wichtigste Vermittlungsschritt in der Grundschule. Für Kinder ist eine Übertragung aus einer Geschichte in die eigene Lebenswelt oftmals ein gutes Mittel, zum eigenen Umgang mit anderen Menschen zu finden. Zu Lernen, was in der Bibel steht und wie die Erzählungen unser Leben bestimmen, hilft uns auch, die Schriften anderer Religionen zu verstehen. So können Kinder auch verstehen, woher Gedanken kommen. S. K.: Ich finde es aus religionswissenschaftlicher Perspektive sehr schön, was du sagst, und würde mir wünschen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer so denken. Es ist in einer pluralen Gesellschaft wichtig, auf die Textgrundlagen aller Religionen zu gucken, um von einer in unserer Gesellschaft teilweisen schon sehr starken Christozentrik weg zu kommen. Lernende, die anderen Religionen enstammen, können mit so einem Zugang wenig anfangen. Im Umgang mit einer religiös diversen Lerngruppe erscheint es mir wichtig, die Geschichte der einzelnen Religionen und das Zustandekommen ihrer Vorstellungen zu ver- Bibelkunde als Studieninhalt 73 stehen. Aus diesem Wissen können wir dann über die Unterschiede, die sich ja auf unseren täglichen Umgang miteinander auswirken, ins Gespräch kommen. C. H.: Ich muss zwar sagen, dass es mir wichtig ist, im Umgang mit anderen Religionen Vergleiche ziehen zu können, da wir aber als Christentum ein anderes Verständnis vom Alten Testament als Judentum und Islam besitzen gibt es Vieles, was uns trennt. Wir betrachten das Alte Testament vom Kreuzestod und der Auferstehung aus ganz anders, nämlich hin zur Verheißung unseres Messias. Darum ist es zwar wichtig, Gemeinsamkeiten zu zeigen, aber die Unterschiede nicht aus den Augen zu verlieren. Wir gehören nunmal nicht alle derselben Religion an und glauben sehr verschieden. Das muss man offenlegen. Dieser Einheitsbrei, wir hätten uns alle lieb, funktioniert so nicht immer. Er ist m. E. eines der großen Probleme, die unsere Gesellschaft derzeit hat. Wir verfallen zurzeit immer in Extreme: Entweder Christentum, Judentum und Islam sind gleich oder wir wollen nichts mit den anderen zu tun haben, da nur unserer der richtige Weg ist. Ich denke, man muss immer klar machen, dass beide Extreme nicht funktionieren. Gemeinsamkeiten und Unterschiede müssen kenntlich gemacht werden. Jes.S.: Ja, das ist genau das, was wichtig ist. Was haben wir gemein und was trennt uns voneinander. S. K.: Vielleicht sollten wir dann auch bedenken, wie wir die Unterschiede fruchtbar machen. Ich finde es wichtig, dass es nicht diese beiden extremen Pole gibt. Uns muss auch bewusst sein, dass es auch innerhalb der Religionen Pluralismus gibt. Sollte die Wahrheitsfrage in unserer ja auch religiös pluralen Gesellschaft eigentlich noch solch ein Gewicht besitzen? Mir scheint die daraus resultierende Koexistenz ein Problem zu sein und die Wahrheitsfrage ist der ‚Brocken‘, der da im Weg steht. C. H.: Das Lernen der Bibelkunde hat meine Perspektive eigentlich nicht verändert. Ich stelle vielmehr fest, dass ich Texte, die ich beim Lernen neu entdecke, immer in einer christlichen Perspektive, d. h. bezogen auf Christus lese. Das kommt einfach automatisch. Im Studium ist das vielleicht nicht immer so, aber in der religiösen Praxis ist das so. Mir ist es wichtig, eine christliche Identität auszuprägen und anderen dabei zu helfen, eine solche zu finden. S. K.: Ich habe mein Forschungspraktikum während des Studiums bei den Zeugen Jehovas absolviert und in der Gemeinde sehr aufgeschlossene Menschen angetroffen. Sie besaßen ein großes Wissen über die Inhalte biblischer Texte. Jüngeren Menschen scheinen solche kleineren Gruppierungen mit einer festen Bildungstradition auch hinsichtlich biblischer Inhalte anzusprechen. Mir stellt sich die Frage, warum das so ist. C. H.: Den Gruppendruck in solchen Gemeinschaften darf man nicht unterschätzen. Was ich beobachte, ist ein eklektischer Umgang mit biblischen Schriften 74 Carl Henrich / Sarah Krebs / Jennifer Schaaf / Jessica Schaaf eigentlich in allen religiösen Kreisen. Und der beginnt schon in der Bibelkunde, weil es halt Texte gibt, die wichtiger als andere sind. 9. Haben sich Ihre Zielsetzungen für Ihre spätere berufliche Praxis durch die Auseinandersetzung mit den biblischen Schriften verändert? Jes.S.: Ich habe gemerkt, dass es schwieriger sein wird, die Texte, die wir derzeit im Studium besprechen, im Unterricht zu verarbeiten. Ich würde mich da eher an ‚Klassiker‘ halten, die Kinder schon von zu Hause kennen. Gerade bei kleinen Kindern ist das wichtig, die Texte auch mit Blick auf mögliche Deutungen durch die Kinder auszusuchen. Bibelkunde bietet mir einen Pool an Texten, aus dem ich dann später gut auswählen kann. 10. Wie sähe denn ihr Kanon an Texten aus, den Sie für wichtig halten und wie würde dann eine Prüfung aussehen, die dem entspricht? S. K.: Unter ein paar religionswissenschaftlichen Studierenden gab es ein Brainstorming zur Frage, was uns wichtig ist, wenn es um heilige Schriften geht. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es eine Basic -kundigkeit geben sollte, damit Menschen bewusst wird, wie Religion unseren Alltag prägt. Dabei finde ich es auch wichtig, auf Randgruppen und deren Texttraditionen zu gucken, um einen Alltagskanon zu kennen und mit ihm so vorurteilsfrei wie möglich umgehen zu können. Dieser ‚Kanon aus den Kanons‘ müsste dann aber schon innerhalb einer Einleitungsveranstaltung in das Studium einfließen, damit man eine Orientierung bekommt. Danach sollte man in der Lage sein, sich einen Schwerpunkt auszusuchen um sich dort weiter einzuarbeiten. C. H.: Eine Bibelkundeprüfung für das Lehramt würde sich auf die prominenten Erzählungen, also auf den ‚Kanon im Kanon‘ beziehen; fürs Pfarramt finde ich es wichtig, einen Überblick über alle Schriften zu besitzen. Man sollte schon grob zu jedem Buch wissen, was seine Inhalte sind, um dann nach Interesse Themen vertiefen zu können. Dann kann man von dort aus seinen Fokus im Studium legen. Jes.S.: Im Rückblick auf das, was ich für die Bibelkunde gelernt habe und was Umfang der Prüfung war, fällt mir im weiteren Studium auf, dass in der Kirchengeschichte oder der Systematischen Theologie immer wieder auf Texte zurückgegriffen wird, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Hier scheint es dann so etwas wie einen anderen ‚Kanon im Kanon‘ zu geben. Ich würde mir hier häufiger einen Blick aus der Wirkungsgeschichte auf die Inhalte der Bibelkunde wünschen. Aber damit wächst auch das Wissen, da ich nur Texte dann wahrnehme, wenn sie für mich relevant sind. So lerne ich mehr, da ich mir die Inhalte selber erschlossen habe. Das war in der Bibelkunde nicht so. Sie hat da je eher den Charakter des Bulimie -lernens. Die Prüfung am Anfang des Studiums Bibelkunde als Studieninhalt 75 kann dann aber nur Grundlinien abfragen, da sich spezifisches Wissen erst im Laufe der Bechäftigung mit den Texten ergibt. Für mich ist das ein lebenslanges Lernen. So bleibt die Auseinandersetzung mit der Theologie auch spannend. Das Interview führte Daniel Schmitz, Bergische Universität Wuppertal.