eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 3/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
2018
31 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem.

2018
Michael Schneider
Michael Rydryck
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 3 - 2018, Heft 1 Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. Konzeption und Ertrag einer interdisziplinären Summer School Michael Rydryck / Michael Schneider Abstract | This article presents and reflects concepts, learning processes, and outcomes of a summer-school in regard to a wide range of translation phenomena. Based on these and on an included case study the authors favour a concept of connective teaching and learning for the effective acquisition of language skills. ‚Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem‘ war der Titel einer Summer School , die wir mit einigen vorbereitenden Sitzungen am Ende des Sommersemesters 2017 gemeinsam mit einer religionspädagogischen Kollegin und mit Studierenden unterschiedlicher Studiengänge und philologischer Kompetenzen (ohne Griechischkenntnisse, mit ‚klassischen‘ Griechischkenntnissen, mit Kenntnissen des ‚biblischen Griechisch‘) durchführen konnten. Der Leitgedanke war dabei schon in der Vorbereitung des Seminars, dass ein Übersetzungsbegriff, der lediglich im engen Sinn Probleme des Übertragens neutestamentlicher Texte aus dem griechischen Urtext in eine Bibelausgabe der Gegenwart in den Blick nimmt, übersetzungstheoretisch und hochschuldidaktisch zu kurz greift. Diese Ausgangsthese soll in diesem Beitrag in drei Schritten entfaltet werden: Ein erster Abschnitt stellt das Seminarkonzept und die wesentlichen Arbeitsschritte vor. Abschnitt 2 liefert im Anschluss an das Seminar eine studentische Fallstudie; am Beispiel der Pfingstgeschichte werden exemplarisch die 2017 er Lutherübersetzung , die Gute Nachricht und die Bibel in gerechter Sprache gegenübergestellt. Darauf baut der letzte Abschnitt auf, der ‚Übersetzung‘ in einem weiteren kulturtheoretischen Zusammenhang beleuchtet. 68 Michael Rydryck / Michael Schneider 1 Übersetzungen, Übersetzung, Über-Setzungen und Über-Setzungen Das Thema Übersetzung begegnet auch Studierenden der Theologie zunächst einmal durch das schlichte Nebeneinander im Buchhandel verfügbarer sowie in gemeindlicher und schulischer Praxis eingesetzter Bibelübersetzungen. Es gilt also, sich einen Überblick über die Vielfalt der Übersetzungsangebote und damit der Konzeptionen und Zielgruppen auf dem Markt befindlicher Bibeln zu verschaffen. Diese Bibeln, die Grundlage kirchlicher, schulischer, gesellschaftlicher (und zumeist auch universitärer) Rezeption sind, sind dabei nicht einfach deutsche Fassungen eines gegebenen Urtextes; der Buchtitel Übersetzung ist daher zumindest nicht eindeutig. Bibelübersetzungen sind in dieser Form vielmehr Emergenzen des reformatorischen und des konfessionellen Zeitalters, Produkte von divergierenden Entscheidungen über Umfang und Anordnung des Kanons sowie von theologischen wie sprachlichen Translationen in die jeweilige Nationalsprache. „In Wahrheit handelt es sich bei der reformierten und der lutherischen Bibel jedoch gar nicht um die Übersetzung eines feststehenden Urtextes, sondern um die protestantische Version eines christlichen Kanons, die überhaupt nur in Form von Übersetzungen existiert. Ähnlich wie bei der Septuaginta ist also auch hier die Übersetzung das Original.“ 1 Wenn sich ein erster Seminarteil also mit Bibelübersetzungen auseinandersetzte, dann führt das Thema automatisch zu kanon- und schrifttheologischen Fragestellungen. Kanon ist kein historisches Artefakt, das allein religionsgeschichtlich mit seiner Entstehungsgeschichte hinreichend beschrieben, ausgelegt und interpretiert wäre. Genauso sind Bibelübersetzungen nicht nur eine bestimmte Form der Rezeption griechischer und hebräischer Texte, sondern zugleich Ergebnis eines produktiven Prozesses. Diesen zentralen Aspekt von Bibelübersetzungen haben sich Studierende der unterschiedlichen Studiengänge gemeinsam erarbeitet. Die Studierenden, deren Studiengänge aufgrund von Sprachkenntnissen exegetische Proseminare vorsehen, hatten dabei sogar einen gewissen perspektivischen Nachteil: Sie hatten methodisch gerade nicht gelernt, mit der Schrift umzugehen und sie als Grundlage theologischer Urteilsbildung zu interpretieren, sondern hatten verstärkt den historischen Entstehungskontext einer Einzelschrift im Blick. Nach dieser ersten kirchenhistorischen und hermeneutischen Orientierung zu Bibelübersetzungen wurden mehrere Seminareinheiten zu Theorie und Praxis der Bibel-Übersetzung gestaltet. Übersetzungstheoretisch ging es dabei v. a. um die Spannung zwischen Ausgangstext und Zieltext. Auch eine Bibelüberset- 1 Körtner, Kanon, 31 . Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. 69 zung kann sich als ‚urtextnahe‘, ‚philologische‘ bzw. ‚formale Übersetzung‘ stärker an der Struktur des Ausgangstexts orientieren. 2 Demgegenüber stehen solche Übersetzungen, die in besonderer Weise auf Verständlichkeit in einer bestimmten Zielgruppe ausgerichtet sind; diese lassen sich als ‚dynamischgleichwertig‘, ‚wirkungstreu‘, ‚verständnisorientiert‘ bezeichnen. Während die 2 Auch den entsprechenden Seminareinheiten lag einführend der Abschnitt Übersetzung des Textes und Verwendung von Übersetzungen aus Egger/ Wick, Methodenlehre, 88 - 105 , zugrunde; Egger/ Wick führen grundlegend in die Unterscheidung dieser zwei Übersetzungstypen ein. Michael Schneider, * 1977, 1996-2002 Studium der Evangelischen Theologie, Philosophie und Mathematik (Gymnasial-Lehramt); 2008 Promotion zum Dr. theol.; Leiter/ Geschäftsführer des Dekanats am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt a. M.; Forschungsschwerpunkte und -interessen: Matthäusevangelium, Paulinische Theologie, Biblische Intertextualität, Bibeldidaktik, Bibel in Liturgie, Predigt und Kirchenmusik. Diverse Fortbildungen im Bereich e- Learning und Hochschuldidaktik; Mitantragsteller im Programm Starker Start ins Studium der Goethe-Universität; Mitglied fachbereichs- und universitätsweiter Gremien zur Evaluation und Studiengangsentwicklung; Mitglieder Fachkommission II ( EKD / Ev.-theol.Fakultätentag) zur Reform des Theologiestudiums. Michael Rydryck, * 1980, Studium der Vergleichenden Religionswissenschaft, Philosophie und Alten Geschichte (M. A.) sowie der Evangelischen Theologie (Dipl.); 2016 Promotion zum Dr. theol.; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche und im Programm Starker Start ins Studium am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt a. M.; Forschungsschwerpunkte und -interessen: lukanisches Doppelwerk, Wunderhermeneutik, Paulus, antike Zeit-, Religions- und Wirtschaftsgeschichte, Bibeldidaktik. Diverse Fortbildungen im Bereich Hochschuldidaktik; Organisation des Arbeitskreises Hochschuldidaktik Evangelische Theologie am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität; Mitarbeit (Redaktion und Mitherausgeber) am wissenschaftlichen Bibellexikon im Internet (WiBiLex); Mitglied fachbereichsinterner Gremien und Arbeitsgruppen zur Evaluation und Studiengangsentwicklung. 70 Michael Rydryck / Michael Schneider konkrete Übersetzungsarbeit mit neutestamentlichen Texten von den Studierenden selbstverständlich Sprachkenntnisse verlangt, ist die Charakterisierung gegebener Übersetzungen ( formal versus dynamisch-gleichwertig ) von allen Studierenden gleichermaßen zu leisten. In drei thematischen Panels wurde dann besonders die Lutherübersetzung in exegetischer, homiletischer und religionspädagogischer Perspektive in den Blick genommen. 3 Dabei wurde eine doppelte Kontextualisierung der auf Martin Luther zurückgehenden Übersetzung angestrebt: Einerseits lassen sich die verschiedenen Entwicklungsstufen und Revisionen der Lutherübersetzung exegetisch-philologisch, wirkungsgeschichtlich und bibeldidaktisch analysieren. Gleichzeitig (im Seminarteil Über- Setzungen. Der Text der Luther-Bibel im Kontext ) schlägt gerade Luther mit seiner Übersetzung so viele Brücken in andere theologische Disziplinen, dass auch hier ein zweiter Blick lohnenswert ist. Wir haben im Seminar daher nach dem Umgang mit Schrift in Luthers Kirchenlieddichtungen gefragt, sowie im Besonderen noch einmal nach Transformationen des Luther-Textes in liturgischen und didaktischen Kontexten. Die Übersetzungsthematik wird damit sachlogisch und didaktisch notwendig in ein mehrperspektivisches intertextuelles und intermediales Setting eingeordnet. Ein abschließender Seminarteil Über -Setzungen . Zur Geltung Heiliger Texte ging dem Problem nach, inwieweit mit Übersetzungen jeweils auch die Frage nach Gültigkeit und Geltung des Textes gestellt ist. Ist ein Heiliger Text in einer Übersetzung genauso gültig wie in der Ursprache? Oder kann ein ganz anderer, nicht kanonischer Text ebenfalls Geltung für sich beanspruchen, da er ein Thema aus einem biblischen Text neu/ anders in Geltung setzt? Die vier kurz skizzierten Perspektiven - Bibelübersetzung als kanontheologisches Problem, Übersetzungstheorie, Übersetzung als intertextuelles und intermediales Phänomen und Geltungsaspekte von Übersetzung - zeigen, dass das Phänomen Übersetzung weit mehr theologische Fragen in sich birgt und sich kaum nur auf philologische Aspekte des Übersetzens positiv gegebener (Bibel-) Texte engführen lässt. Für diese Mehrperspektivität war die Gruppenzusammensetzung (Pfarramts- und Lehramtsstudierende mit ganz unterschiedlichen Studienvoraussetzungen und philologischen Kompetenzen) äußerst produktiv. Das gilt zum einen für interdisziplinäre Anregungen aus der Literaturwissenschaft und Übersetzungstheorie, die wiederholt durch Lehramtsstudierende eingebracht wurden. Zum anderen führten die unterschiedlichen hermeneutischen, exegetischen, didaktischen und theologischen Perspektiven auf das Thema 3 Grundlegend waren dabei die folgenden Texte: Stolt, Übersetzungstheorie, 241 - 278 ; Deeg, Predigt, 359 - 388 ; Nicol/ Deeg, Wechselschritt, 13 - 44 ; Krasselt-Maier, Luther, und Petri/ Thierfelder, Grundkurs. Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. 71 Übersetzung zu regen Diskussionen und einem Austausch sowohl auf Augenhöhe, als auch auf hohem Niveau. Im Anschluss an das Seminar wurden entsprechend vielfältige Hausarbeiten erstellt. Exemplarisch soll im folgenden Abschnitt ein besonders gelungener Übersetzungsvergleich als Fallstudie präsentiert werden. 2 Falls tudie: Übersetzungen von Apg 2 , 1 - 13 (von Sophie Hopp) 4 In der folgenden Analyse soll die Perikope Apg 2 , 1 - 13 , in der die Nachfolger Jesu vom Heiligen Geist erfüllt werden und beginnen, in fremden Sprachen zu reden, in drei verschiedenen deutschen Übersetzungen vergleichend nebeneinandergelegt werden. Die für diese Untersuchung verwendeten Übersetzungen sind die Lutherbibel 2017 ( LU 17 ), die Bibel in gerechter Sprache 2006 (BigS) und die Gute Nachricht Bibel 1997 ( GNB ). 5 Zunächst werden markante Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Bibeltextes in den drei Fassungen vorgestellt, bevor in einem zweiten Schritt die Entscheidungen der drei Übersetzungen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Intentionen kritisch beleuchtet werden. 2.1 Übersetzungsvergleich Die ersten Unterschiede fallen bereits vor dem Lesen der Perikope auf. Die gewählten, sekundären Überschriften sagen schon einiges über die verschiedenen Übersetzungen aus: LU 17 wählt hierfür „Das Pfingstwunder“, die GNB „An Pfingsten kommt der Heilige Geist“ und die BigS hat (wie durchgehend) gar keine Überschrift. Zuerst fällt in V. 1 auf, dass die griechische Formulierung τὴν ἡμέραν τῆς πεντηκοστῆς bei LU 17 mit „der Pfingsttag“ übersetzt wird. Die GNB übersetzt es ähnlich mit „das Pfingstfest“, während die BigS mit „der 50 . 4 Anm. der Autoren: Da es sich um eine studentische Abschlussleistung handelt, wurde in den Text nicht eingegriffen. Der Abdruck erfolgte in Rücksprache mit der Verfasserin. 5 Die Ausführungen beziehen sich auf folgenden Textausgaben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers [LU 84 ]; Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung [LU 17 ]; Bibel in gerechter Sprache [BigS]; Gute Nachricht Bibel [GNB], und Novum Testamentum Graece [NTG]. Der Übersetzungsvergleich wird exemplarisch an den drei genannten Bibeln durchgeführt, weil von diesen ein breites Spektrum unterschiedlicher Übersetzungstypen repräsentiert wird. Während LU 17 neben einer Bindung an den Urtext auch die ‚Luthertreue‘, also die Bindung an die von Luther geprägte Sprache anstrebt, richtet sich die GNB als erste Vollbibel im deutschen Sprachraum dezidiert an der Gegenwartsbzw. Zielsprache aus. Die BigS eignet sich besonders für eine Übersetzungskritik, da hier explizit ein Metakriterium für eine gelungene Übersetzung (‚Gerechtigkeit‘ in verschiedener Hinsicht) eingeführt wird, das am konkreten Textbeispiel diskutiert werden kann. 72 Michael Rydryck / Michael Schneider Tag“ noch am ehesten dem griechischen Wortlaut gerecht wird. Die BigS fügt erklärend hinzu, dass es sich um „den Tag des Wochenfestes“ handelt. Alle drei Übersetzungen verweisen bei der Beschreibung des Festtages auf Anmerkungen oder Parallelstellen aus dem AT , in denen der Ursprung des Festes näher erläutert wird. In V. 2 erleben die Apostel ein ἦχος - „ein Brausen“ bei LU 17 , „ein Tosen“ bei der BigS und „ein mächtiges Rauschen“ in der GNB ; im Wörterbuch findet man dagegen eher die Übersetzungsmöglichkeiten „Schall“ oder „Getöse“. 6 Auch in V. 3 treten in Hinblick auf das sich Niederlegende unterschiedliche Beschreibungen auf. In allen Übersetzungen kommen „Zungen“, sowie „Feuer“ und eine Art des Teilens oder Zerteilens vor und doch formuliert es jede Version etwas anders. LU 17 und BigS verwenden eine ähnliche Wortwahl, die GNB kreiert den Neologismus „Flammenzunge“. Diese Erscheinung lässt sich nun in allen Übersetzungen auf die Anwesenden nieder. Hierbei ist bereits eine erste geschlechtergerechte Formulierung zu beobachten, da sich die Zungen in der BigS auf „jede und jeden“ niederlassen, bei LU 17 und GNB auf „jeden“. In V. 4 werden die Beteiligten mit πνεύματος ἁγίου erfüllt. Dies übersetzt LU 17 mit „Heiliger Geist“ und die GNB mit „Geist Gottes“. Die BigS weicht hier erstmals eindeutig von den anderen Übersetzungen ab, da es heißt, dass alle „von heiliger Geistkraft“ erfüllt werden. Diese Entscheidung begründen die Übersetzenden im Glossar, in dem sie den hebräischen Begriff ruach und das griechische pneuma gleichsetzen. Sie argumentieren dann, dass der Geist Gottes, sowohl ruach , als auch pneuma , eine Kraft besitzt, die Leben schafft, und dass mit dieser Formulierung das Geschlecht des Geistes nicht vorherbestimmt ist. 7 Außerdem will die GNB in diesem Vers Frauen explizit miteinbeziehen, da „jeder und jede“ begann, in Sprachen zu reden. Auffällig ist, dass bereits in V. 5 die Übersetzer der GNB sich dazu entscheiden, nur noch von „Juden“ zu reden, während die BigS explizit aufführt, dass es sich um „Jüdinnen und Juden“ handelt. Des Weiteren wird sichtbar, dass die GNB im Gegensatz zu den anderen beiden Übersetzungen diesen Vers zusammenfasst. Man kann hier auch sehen, dass die BigS z. B. mit dem Ausdruck „fromme Menschen“ anstatt „gottesfürchtige Männer“ ( LU 17 ), die Festlegung eines Geschlechts umgeht. Interessant ist hierbei auch, dass LU 17 „gottesfürchtig“ verwendet, anstatt „fromm“, wie es die beiden anderen Übersetzungen tun. Außerdem spricht die GNB hier von „Welt“, anstatt von „Volk“ oder „Völkern“ wie LU 17 und BigS. Die BigS verweist damit sogar auf das Glossar, wo die Übersetzer die Wortbedeutung „Volk“ genauer erklären: Sie machen darauf aufmerksam, dass dieses im Griechischen verwendete Wort alle 6 Gemoll, „ἦχος“, 388 . 7 BigS, 2377 . Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. 73 Menschen aus nichtjüdischen Völkern meint, nicht etwa „Heiden“, wie sonst häufig übersetzt wird. 8 In V. 6 ist zu beobachten, dass die Übersetzungen sich inhaltlich nicht wesentlich voneinander unterscheiden, einige Formulierungen sich jedoch in der Wortwahl voneinander abgrenzen. So weicht die Übersetzung von τῆς φωνῆς ταύτης in der BigS mit „je eigene Landessprache“ von LU 17 und GNB , die dies mit „in seiner eigenen Sprache“ übersetzen, ab. Auch die Reaktionen der Zuschauer sind in jeder Übersetzung etwas anders formuliert. Die Apostel bei LU 17 und GNB reden in V. 8 in ihrer „Muttersprache“, während sich die Übersetzer der BigS dazu entscheiden, sie in „je [ihrer] eigenen Landessprache, die [sie] von Kindheit an sprechen“, reden zu lassen. Die Aufzählungen der Völker aus aller Welt in V. 9 - 11 unterscheiden sich in allen drei Übersetzungen. Zunächst variieren sowohl LU 17 als auch GNB in der Bezeichnung der Völker als Substantiv (z. B. „Parther“ [LU 17 ; V. 9 ]) oder als Ortsangabe (z. B. „Wir kommen aus Persien.“ [ GNB ; V. 9 ]), was aus den Formulierungen des griechischen Textes abzuleiten ist. Die BigS verwendet ausschließlich die Bezeichnung als Ortsangabe und umgeht damit abermals eine Geschlechterzugehörigkeit. Außerdem versucht die GNB das Verständnis der verschiedenen Völkernamen zu erleichtern, indem sie einige Länder in den Sacherklärungen beschreibt und den Völkernamen sinngemäße Bedeutungen zuschreibt. So werden Kreter und Araber z. B. zu „Insel- und Wüstenbewohnern“. In V. 13 tritt eine letzte erwähnenswerte Auffälligkeit auf. Die griechische Aussage, γλεύκους μεμεστωμένοι εἰσίν, also wörtlich etwa „sie sind gefüllt des süßen Weins“, übersetzt LU 17 mit „Sie sind voll süßen Weins“, die BigS mit „Sie sind mit Federweißem abgefüllt“, und GNB mit „Die Leute sind doch betrunken“. 2.2 Übersetzungskritik Die drei analysierten Bibelübersetzungen geben in Einleitungen und begleitender Literatur Informationen über ihre jeweilige Intention, die hier kurz zusammengefasst werden sollen: LU 17 will einerseits Luthers Originaltext treu sein. Demnach wird darauf geachtet, dass Luther den Text verständlich und somit für das breite Volk zugänglich machen wollte. Bei seiner Übersetzung stand außerdem der eine Schriftsinn im Vordergrund, woraufhin die sprachliche Gestaltung folgte. LU 17 will außerdem philologisch richtig sein. Bei LU 17 handelt es sich um eine sinngetreue 9 Übersetzung. 8 BigS, 2356 . 9 Alle hier genannten Übersetzungstypen stammen aus Salevsky, Übersetzungstyp, 128 . 74 Michael Rydryck / Michael Schneider Bei BigS steht die Gerechtigkeit gegenüber dem Ausgangstext im Mittelpunkt. Das heißt, geschlechtergerecht zu übersetzen, gerecht in Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog zu sein und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Die BigS lässt sich dem Typ der strukturgetreuen Übersetzung zuordnen. Die GNB setzt sich zum Ziel, so verständlich wie möglich sowohl für Bibelfremde, als auch für Bibelkundige zu sein. Demnach ist die GNB eine wirkungstreue Übersetzung. Sie soll außerdem verlässlich in Hinblick auf den Urtext sein. Zuletzt will sie auch zwischen Menschen und Konfessionen verbinden . Die Übersetzerintentionen der LU 17 wurden weitestgehend erfüllt. Bereits die Überschrift gibt Hinweise auf die Übersetzung als sinngetreuen Typ. Es wird zwar eine Überschrift eingefügt, womöglich um das Lesen zu erleichtern. Diese gibt jedoch nicht viel Auskunft über die Perikope selbst. Auch in V. 1 , in dem LU 17 das Pfingstfest als solches benennt, verweisen die Übersetzer zwar auf eine atl. Stelle, verzichten aber auf eine komplizierte Erklärung des Festes. Sie scheinen hier Luthers Prinzip übernommen zu haben - den Sinn des Textes zuerst zu erfassen und sich dann für eine dem breiten Volk verständliche Wortwahl zu entscheiden. Dies wird auch sichtbar in der Wortwahl in V. 5 , in dem das Adjektiv „gottesfürchtig“ verwendet wird, im Gegensatz zu den anderen beiden Übersetzungen, die sich für „fromm“ entscheiden. Da beide Übersetzungen laut Wörterbuch 10 möglich sind, kann man annehmen, dass das Adjektiv eher der Wortwahl Luthers Zeit, also dem breiten Volk, entspricht. Auch an Luthers Übersetzung von γλεύκους in V. 13 ist zu sehen, dass er sich an den einen Schriftsinn hielt. Während die anderen beiden Übersetzungen die Bedeutung dessen sehr frei formulieren, bleibt Luther der griechischen Wortbedeutung treu und übersetzt dies mit „voll süßen Weins“. LU 17 bleibt auch Luthers Originaltext weitestgehend treu. Lediglich in V. 8 fällt auf, dass LU 17 die Übersetzung „Muttersprache“ verwendet, und damit die Version von 1984 bevorzugt, die unter anderem Grundlage für die Revision von 2017 war. Der Anspruch, dass LU 17 philologisch korrekt sein soll, wird in V. 11 sichtbar, wo die einzige auffällige Revision zur Lutherbibel 1984 ins Auge sticht: Aus „Judengenossen“ werden „Proselyten“ in LU 17 . Auch in der BigS können die Übersetzerintentionen in großen Teilen nachvollzogen werden. Dadurch, dass in dieser Perikope sowie in der gesamten BigS keine Überschriften zu finden sind, wird die Zuordnung zu einer strukturgetreuen Übersetzung unterstrichen. Auch an V. 3 , in dem das Ereignis der niedersetzenden Flammenzungen sehr genau wiedergegeben wird, kann man sehen, wie sich die BigS bemüht, dem Ausgangstext gerecht zu werden. Eine nicht nachvollziehbare Entscheidung im Hinblick darauf lässt sich in V. 13 fin- 10 Gemoll, „εὐλαβης“, 359 . Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. 75 den, in dem die BigS γλεύκους mit „Federweißem“ übersetzt. Warum sie sich für diese Wortbedeutung entscheiden, eine doch eher regionale Bezeichnung für nicht lange gereiften Wein, bleibt fraglich und steht nicht in Einklang mit der sonst so sorgfältigen Übersetzungsarbeit in dieser Perikope. Ihrem Anspruch, geschlechtergerecht zu übersetzen, folgt die BigS durchgehend: Ob in V. 3 , in dem die Rede von „jeder und jeden“ ist, in V. 8 , in dem die Leute nicht in ihrer Muttersprache, sondern „in unserer je eigenen Landessprache, die wir von Kindheit an sprechen“, oder in den Versen 9 - 11 , in denen alle Völkergruppen geschlechtsneutral übersetzt werden. Vor einer erheblichen Verlängerung mancher Verse scheinen die Übersetzer der BigS nicht zurückzuschrecken. Die auffälligste geschlechtergerechte Entscheidung in dieser Perikope bezieht sich auf die in V. 4 gewählte Übersetzung von πνεύματος ἁγίου als „heilige Geistkraft“. Die Übersetzer der BigS sind der Überzeugung, dass auch Gottes Geist nicht zwingend männlich oder eine Person sein muss. 11 Diese Herleitung mag zwar für diese Textstelle plausibel sein, kann aber so ohne weiteres nicht auf jede Stelle, in der von Gottes Geist die Rede ist, zutreffen. 12 Auch die Gerechtigkeit im Hinblick auf den jüdisch-christlichen Dialog wird beachtet. In V. 1 hebt die BigS die jüdischen Traditionen des Pfingstfestes hervor, in dem sie es „den 50 . Tag, den Tag des Wochenfestes“ nennt. Auch durch die Anmerkung, wie z. B. zu „Volk“ in V. 5 , 13 oder durch die Betonung auf „gebürtige und konvertierte Juden“ in V. 11 , wird dieser Fokus sichtbar. Die Intentionen der GNB , die Übersetzung wirkungstreu, also verständnisorientiert zu gestalten, wird in dieser Perikope sehr deutlich: Zunächst beginnen die Übersetzer mit einer im Gegensatz zu den anderen beiden Übersetzungen erklärenden Überschrift. Auch die Wortschöpfung der „Flammenzunge“ in V. 3 erleichtert dem Leser das Verständnis. Die GNB bemüht sich, komplizierte und verschachtelte Sätze kurz zusammenzufassen, wie z. B. in V. 5 ., oder zu vereinfachen, wie z. B. die erklärenden Bezeichnungen für einige Völker in V. 9 - 11 . Auch der letzte Vers wird verständlicher gemacht, indem die Leute nur noch „betrunken“ sind. Dass die GNB auch verlässlich im Hinblick auf den Urtext sein möchte, ist im Text selbst zwar nicht zu finden. Das Kriterium wird aber dadurch erfüllt, dass Begriffe wie z. B. das Pfingstfest in V. 1 , Apostel in V. 6 , oder einige Völker in den Versen 9 - 11 im Anhang erklärt werden. Das verbindende Kriterium, insbesondere der Anspruch, in frauengerechter Sprache zu schreiben, ist in dieser Perikope nur teilweise erfüllt. Auffällig ist, dass in V. 3 von „jeder und jeden“ die Rede ist, woraufhin im nächsten Vers nur noch die männliche Form 11 BigS, 2377 . 12 Zum Beispiel in Joh 14 , 26 , wo dem Heiligen Geist das menschliche Attribut, der Helfer, zugeschrieben wird. 13 BigS, 2356 . 76 Michael Rydryck / Michael Schneider verwendet wird. Auch in den Versen 9 - 11 werden Frauen nicht explizit miteinbezogen. In manchen Versen scheinen die Übersetzer also Wert darauf gelegt zu haben, Frauen sprachlich miteinzubeziehen; dies wird allerdings nicht konsequent durchgehalten. Ähnliches bilanziert auch Wegener in ihrem Artikel 14 zur Umsetzung von frauengerechter Sprache in der neuen GNB . Abschließend lässt sich sagen, dass nach diesem Übersetzungsvergleich von Apg 2 , 1 - 13 deutlich wurde, dass es allen Übersetzungen weitestgehend gelungen ist, ihre Kriterien und Prinzipien einzuhalten. Es scheint, als hätte der Fokus von LU 17 - zumindest in dieser Perikope - sehr auf der Treue zu Luthers Originaltext gelegen. Nur einige wenige auffällige Veränderungen hinsichtlich des philologischen Kriteriums werden hier sichtbar. Die BigS bleibt ihren Gerechtigkeitsprinzipien treu und hält dies auch in der gesamten Perikope durch. Das Kriterium der sozialen Gerechtigkeit konnte hier nicht gefunden werden. Dennoch sind einige Übersetzungsentscheidungen nur schwer nachvollziehbar. Dass Gottes Geist die Personalität abgesprochen wird, ist eine theologisch bedeutsame Entscheidung, die schwerwiegend ist. Die hier verwendete Textstelle aus der GNB Übersetzung zeigt, dass versucht wurde, die gesetzten Kriterien so gut wie möglich einzuhalten. Es liegt jedoch ein eindeutiger Fokus auf der Verständlichkeit des Textes, was die Erfüllung der beiden anderen Kriterien zwingendermaßen benachteiligt. Dass Völker z. B. auf ihre territoriale Herkunft reduziert werden, ist hinsichtlich eines verbindenden Ziels sehr fraglich. 3 Übersetzungskompetenz als hermeneutische Kompetenz „Ich will Ihnen etwas sagen. Es hat Jahre gedauert, ehe ich der Kirche beitrat, weil die Geistlichen in unserer Gegend immer predigten, daß die Bibel dergleichen Dinge gutheiße. Und da ich ihnen mit ihrem Griechisch und Hebräisch nicht das Wasser reichen konnte, habe ich mich gegen sie und die Bibel und alle aufgelehnt. Ich bin nicht eher der Kirche beigetreten, bis ich einen Geistlichen fand, der es ihnen allen in Griechisch und allem gleich tat und der genau das Gegenteil sagte, und dann schloß ich mich der Kirche an - ja, das ist eine Tatsache.“ 15 Am Anfang des Verstehens steht die Übersetzung. Das Textverständnis von Studierenden hat seinen Ausgangspunkt in der intermedialen Begegnung mit bereits konkret vorliegenden Übersetzungen. Dieser Ausgangspunkt ist nicht nur der kulturgeschichtlichen und lebensweltlichen Vorgegebenheit von Übersetzungen geschuldet, sondern er ist auch didaktisch sinnvoll, will man sich 14 Wegener, Menschen, 72 f. 15 Beecher Stowe, Onkel Toms Hütte, 112 . Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. 77 nicht mit einer Deutungshoheit philologischer Experten abfinden, die Bildungsprozesse nachhaltig zu sistieren vermag. Übersetzung ist Interpretation. Der Akt des Übersetzens ist daher notwendig ein Akt der Horizontverschmelzung, nicht zuletzt deshalb, weil Übersetzung - auch als historisch-philologisch orientierte - immer einen vorgegebenen Text auf eine Gegenwart bezieht mit dem Interesse, das Verstehen, die Tradierung und ggf. die Geltung dieses Textes gegenwärtig und zukünftig zu ermöglichen. Der Ausgangshorizont liegt dabei interpretationsethisch fest in der realen Vorgegebenheit der Texte. 16 Der Zielhorizont liegt dagegen nicht fest, sondern bildet sich, wie auch an dem Beispiel Apg 2 , 1 - 13 deutlich wird, erst im Spannungsfeld von Übersetzungstheorien, von Kanontheologien, von intertextuellen und intermedialen Bezügen sowie von Geltungsfragen. Es mag nur auf den ersten Blick paradox erscheinen, dass die Übersetzungsbewegung von diesem variablen Zielhorizont ihren Anfang nimmt, sich von dort dem Ausgangshorizont des Textes zuwendet und von diesem schließlich wieder dem Zielhorizont der Rezipienten. Die Arbeit mit Wörterbuch und Grammatik steht dabei weder am Anfang noch am Ende der Übersetzung, sondern in der Mitte. Dies gilt gleichermaßen für moderne sowie für antike Rezipienten, die sich von ihren jüdischen, christlichen, paganen und ihren unterschiedlichen lebensweltlichen und religiösen Horizonten ausgehend den biblischen Texten zuwandten und versuchten, deren Horizont durch sprachliche und kulturelle Dekodierung und Transformation in ihren jeweiligen Rezeptionshorizont zu übersetzen. Am Beispiel von Apg 2 , 1 - 13 wird diese Bewegung anschaulich: Der griechische Text war bereits in der Antike nur für einige Rezipienten muttersprachlich zu erfassen und selbst diese mussten aus dem jeder Sprache eigenen semantischen Spektrum auswählen. Viele antike und alle modernen Rezipienten begegnen dem Text jedoch zunächst in Gestalt von mündlichen oder verschriftlichten Übersetzungen. Wollen sie deren Gültigkeit und Prägnanz überprüfen, müssen sie zunächst Sprachkompetenz erwerben - sei es durch Griechischkenntnisse, sei es durch den sprachlichen Vergleich von Übersetzungen. Um die für die Übersetzungsarbeit notwendige Horizontverschmelzung jedoch leisten zu können, reichen philologische Kompetenzen indes nicht aus. Es bedarf gerade mit Blick auf einen Text wie Apg 2 , 1 - 13 auch intertextueller Kompetenz, um den Ausgangstext adäquat verstehen zu können. Lektüren des Lukasevangeliums und des Buches Joel wären hier das absolute Minimum. Zudem können gegenwärtige Übersetzungen von Apg 2 , 1 - 13 nicht die fast zwei Jahrtausende Rezeptionsgeschichte des Textes ignorieren und bedürfen daher auch intermedialer sowie kulturhermeneutischer Kompetenzen. Die religiöse Praxis des Pfingstfestes, 16 Vgl. zu den Kriterien einer Ethik der Interpretation Alkier, Neues Testament, 69 - 71 . 78 Michael Rydryck / Michael Schneider die Darstellungen des Textes in der bildenden Kunst und die vielgestaltigen Predigten über diesen Text prägen Sprachgewohnheiten und Verständnis des zu übersetzenden Textes in je konkreten Interpretationsgemeinschaften. Ein erster vergleichender Blick auf den Gebrauch des Textes in landeskirchlichen Kontexten in Deutschland und in Pfingstkirchen der sog. Dritten Welt führt schließlich die Geltungsproblematik einer Übersetzung von Apg 2 , 1 - 13 vor Augen. Damit verbunden ist auch die sowohl übersetzungstheoretische als auch theologische Frage, ob dem Ausgangs- oder dem Zielhorizont eine größere Bedeutung für die Übersetzung zugeschrieben werden muss. Fasst man die konkreten Lehr- und Lernerfahrungen der Summer School und die hier angestellten übersetzungshermeneutischen Erwägungen zusammen, lassen sich einige Konsequenzen für die didaktische Arbeit skizzieren: Der Erwerb von Sprachkompetenz in theologischen Studiengängen lässt sich nicht auf den Erwerb von philologischen Kenntnissen und Fertigkeiten beschränken. Ausgangspunkt der didaktischen Arbeit sind vielmehr konkret vorgegebene Übersetzungen in Bibelausgaben, Kommentaren, Predigten, künstlerischen Darstellungen etc. Verbunden mit der notwendigen, auf differenzierten Wegen generierbaren philologischen Kompetenz, diese Übersetzungen kritisch nachzuvollziehen, bedarf es dazu auch intertextueller, intermedialer, schrifttheologischer und praxisbezogener Kompetenzen. Diese sollten in enger Korrelation mit den altsprachlichen Kompetenzen erworben werden, denn sie sind keineswegs sekundär gegenüber dem Erwerb der alten Sprachen, sondern erschließen zuallererst den Zielhorizont der Übersetzung, von dem jedes Übersetzen ausgeht und zu dem jedes Übersetzen hinführt. Erst in der wechselseitigen Spannung von Ausgangs- und Zielhorizont wird Übersetzung als Horizontverschmelzung möglich. Und erst im methodischen und reflektierten Nachvollziehen und Vollziehen dieser Horizontverschmelzung wird Übersetzung didaktisch fruchtbar. Mit diesem Ansatz vernetzten Lernens lässt sich sowohl einem arkandisziplinär verengten Fokus und einem damit einhergehenden Deutungsmonopolanspruch auf Seiten von Pfarramtsbzw. Magisterstudierenden, als auch einer motivationalen Leerstelle 17 sowie einer ungerechtfertigten exegetischen Selbstminderung auf Seiten von Lehramtsstudierenden didaktisch wirksam begegnen. Übersetzungskompetenz und damit Sprachkompetenz in einem theologisch wie religionsdidaktisch umfassenden und adäquaten Sinn können nach unseren Lehrerfahrungen besser und nachhaltiger erworben werden durch ein 17 Die theologische, exegetische und religionsdidaktische Problematik, dass der Sprachkompetenzerwerb weder in der Motivation zum Studium noch in den Interessenschwerpunkten während des Studiums für Lehramtsstudierende eine entscheidende Rolle spielt, belegen empirische Studien. Vgl. hier etwa Feige u. a., Religionsunterricht, 13 - 27 . Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. 79 Lehr- und Lernumfeld, das Perspektiven, Kompetenzen und Studiengänge zu vernetzen vermag. 4 Sprachkompetenz in theologischen S tudiengängen-— Probleme und Perspektiven Das Gegenmodell zu dem hier skizzierten Ansatz vernetzten Lernens und einem ebenso hermeneutisch wie enzyklopädisch ausgerichteten Erwerb von Sprachkompetenz wäre ein altsprachlicher Unterricht, der überkommene Wissenbestände zwar zu lehren, aber nicht als bedeutsam und praxisrelevant zu vermitteln vermag. 18 Einen derart kontextlosen und traditionalistischen Unterricht beschreibt Winston Churchill in seinen Jugenerinnerungen: „‚Latein hast du bisher noch nicht gehabt, nicht wahr? ‘ sagte er. ‚Nein, Sir.‘ ‚Dies ist eine lateinische Grammatik.‘ Er schlug eine stark abgegriffene Seite auf und wies auf zwei Reihen eingerahmter Wörter. ‚Das hast du jetzt zu lernen‘‚ sagte er. ‚In einer halben Stunde komme ich wieder und höre dich ab.‘ So saß ich denn an einem trüben Nachmittag in einem trüben Schulraum, Weh im Herzen und die erste Deklination vor mir. Mensa der Tisch Mensa o Tisch Mensam den Tisch Mensae des Tisches Mensae dem Tische Mensa von oder mit dem Tisch Was zum Henker sollte das bedeuten? Was hatte es für einen Sinn? Reines Kauderwelsch schien es mir. Nun, eins konnte ich wenigstens tun: auswendig lernen. Also nahm ich denn, soweit es mein innerer Kummer gestattete, die rätselhafte Aufgabe in Angriff. Nach einiger Zeit kam der Lehrer zurück. ‚Hast du’s gelernt? ‘ fragte er. ‚Ich glaube, ich kann es aufsagen‘, antwortete ich und schnurrte die Lektion herunter. Er schien befriedigt, und das gab mir Mut zu einer Frage. ‚Was bedeutet denn das eigentlich, Sir? ‘ ‚Das, was da steht. Mensa, der Tisch. Mensa ist ein Hauptwort der ersten Deklination. Fünf Deklinationen gibt es. Du hast den Singular der ersten Deklination gelernt.‘ ‚Aber‘, wiederholte ich, ‚was bedeutet es denn? ‘ ‚Mensa bedeutet der Tisch‘, war die Antwort. ‚Warum bedeutet dann aber Mensa auch: O Tisch‘, forschte ich weiter, ‚und was heißt 18 Zur Problemanzeige vgl. Jung, Einführung, 143 - 145 . 80 Michael Rydryck / Michael Schneider das: O Tisch? ‘ ‚Mensa, o Tisch, ist der Vokativ.‘ ‚Aber wieso: O Tisch? ‘ Meine angeborene Neugierde ließ mir keine Ruhe. ‚O Tisch - das wird gebraucht, wenn man sich an einen Tisch wendet oder ihn anruft.‘ Und da er merkte, daß ich ihm nicht folgen konnte: ‚Du gebrauchst es eben, wenn du mit einem Tisch sprichst.‘ ‚Aber das tu ich doch nie‘, fuhr es mir in ehrlichem Erstaunen heraus. ‚Wenn du hier frech wirst, wirst du bestraft werden, und zwar ganz gehörig, das kann ich dir versichern‘, lautete seine endgültige Antwort.“ 19 Vernetzes Sprachenlernen und der Erwerb hermeneutisch ausgerichteter Übersetzungskompetenz im oben skizzierten Sinn ermöglichen dagegen, Bedeutsamkeit und Praxisrelevanz alter (und neuer) Sprachen für theologische Studiengänge nicht nur aufzuzeigen, sondern auch praktisch zu vermitteln. Ein entsprechendes hochschuldidaktisches Konzept hat etwa David Käbisch gerade mit Blick auf die (Churchill zeitlebens verhasste) lateinische Sprache vorgelegt. 20 Sprachkompetenzorientierte Konzepte wie z. B. das von Käbisch entwickelte oder das hier beschriebene benötigen indes personelle Ressourcen und vor allem Zeit. Hochschuldidaktisch wäre es fatal, lediglich auf eine Emergenz von Sprachkompetenz aufgrund von altsprachlichem Unterricht, Proseminaren und Sprachanteilen in Prüfungen zu hoffen. Werden indes spezifisch Ressourcen und Zeit für ein vernetzes Sprachenlernen im Studium zur Verfügung gestellt, kann ein von Alexander Deeg programmtisch für das Pfarramt imaginiertes, aber auf alle theologischen Studiengänge übertragbares Bild Kontur gewinnen, das Sprachkompetenz, Lektürekompetenz und einen weiten Begriff von Übersetzungskompetenz als hermeneutische Kompetenzen zu intergrieren und praxisrelevant zu denken vermag: 21 „Es gelte, so Anne M. Steinmeier, sich als Pfarrerin und Pfarrer immer wieder auf die ‚schöpferischen Quellen‘ eigenen Lebens zu konzentrieren und die Notwendigkeit dieser Konzentration nicht sofort wieder durch den Verweis auf ‚Zeitmangel‘ im Pfarramt beiseite zu schieben. Neben der Zeit aber brauchen Pastores legentes als zweite Voraussetzung eine Ausbildung, die in die Lebensform des Lesens führt: Das Studium der Theologie müsste zum Lesen in seinen verschiedensten Formen motivieren, zu lebenslanger Neugier, zum historisch-philologischen Eros genauso wie zum literarisch-stilistischen. Die ‚Lust am Text‘ (Roland Barthes; m. E. keine schlechte Metapher für die enzyklopädische Suche nach der ‚Einheit‘ der Theologie) sollte oberstes Bildungsziel sein; die Lust 19 Winston Churchill, zitiert nach Haffner, Churchill, 19 - 21 . 20 Vgl. die didaktischen Reflexionen und Praxishinweise hinsichtlich der Sprach- und Übersetzungsproblematik in theologischen Studiengängen bei Käbisch, Latinum, 146 - 162 . 21 Vgl. Deeg, Pastor; sowie Grözinger, Kirche, 134 - 141 : „Die Menschen in der Postmoderne suchen im Pfarrer, in der Pfarrerin nicht den großen Kommunikator, sondern den Interpreten, die Interpretin der biblisch-christlichen Tradition in jeweils bestimmten lebensweltlichen Kontexten.“ ( 139 ). Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. 81 an der Schrift und den Schriften über sie, an den Spuren ihrer Wirkunsggeschichte intra et extra muros ecclesiae , an Philosophischem und Bellestristischem.“ 22 In diesem Sinne kann eine hochschuldidaktische Reflexion Sprach- und Übersetzungskompetenz gerade nicht engführen auf die Kompetenz zur Übertragung einzelner Verse aus einer Ausgangsin eine Zielsprache. Die Frage nach dem fachwissenschaftlich und fachdidaktisch notwendigen Erwerb von Sprachkompetenz erschöpft sich erst recht nicht in der rein formalen Diskussion über für bestimmte theologische Studiengänge zu erbringende Sprachzertifikate. Wenn etwa bei der Weiterentwicklung theologischer Studiengänge in den Bereichen Lehramt oder Pfarramt, aktuell aber auch bei der Einführung theologischer Master-Programme, die Frage nach der Sprachkompetenz auf die Alternative zwischen staatlichem Graecum und fakultärer Sprachkenntnisprüfung reduziert wird, greift dies erheblich zu kurz. 23 Konzepte vernetzten Sprachenlernens tragen dagegen zu einem umfassenden Verständnis theologischer Sprachkompetenz bei. Sie können und müssen indes fachwissenschaftlich und fachdidaktisch für differenzierte Studiengänge (Pfarramtsstudiengänge bzw. Magister Theologiae , aber auch für die Bandbreite der Lehramtsstudiengänge 24 sowie religionsbezogene Bachelor- und Masterstudiengänge) je individuell reflektiert und konkret ausgearbeitet werden. Praxisbezogen kann hier das protestantische Pfarrhaus des 19 . Jh.s als Hort humanistischer Gelehrsamkeit ebenso wenig wie eine als bloße Verzweckung verstandene Praxisorientierung als ideales Leitbild dienen, die altsprachliche Kompetenzen nach ihrer unmittelbaren Verwertbarkeit taxiert. Um gleichwohl der drohenden Selbstisolation und Selbstmarginalisierung von wissenschaftlicher Theologie entgegen zu wirken, müssen Reflexion und Konkretion von Sprachkompetenzerwerb auf eine tatsächliche oder angestrebte Praxis bezogen werden. Vernetztes Sprachenlernen ist dabei keinesfalls auf eine Art Vorstudium oder die Studieneingangsphase zu beschränken, sondern sollte das gesamte Studium (sowie im Idealfall die zweite Ausbildungsphase in Referendariat und Vikariat) in unterschiedlichen Ausprägungen und Anteilen durchziehen und integrieren. Neben herkömmlichen Sprachkursen bedarf es dazu zum einen neuer Lehr- und Lernformate besonders für gestufte und berufsbegleitende Studiengänge und 22 Deeg, Pastor, 424 f. 23 Vgl. grundlegend zur Diskussion im Bereich der Studiengänge Pfarramt bzw. Magister Theologiae Ahme u. a., Theologische Ausbildung sowie die Dokumente des Ev.-theol. Fakultätentags zum Thema, abrufbar unter www.evtheol.fakultaetentag.de. 24 Die entsprechenden Rahmenbeschlüsse des Ev.-theol. Fakultätentages finden sich ebenfalls auf der o. g. Homepage. Verschiedene einschlägige Texte der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums/ Fachkommission II werden dokumentiert in dem Band Lehnhard u. a., Theologie. 82 Michael Rydryck / Michael Schneider zum anderen (für alle Studiengänge) der Integration von sprachkompetenzorientierten Inhalten und Methoden in bestehende Strukturen. Erwerb und Erweiterung von Sprachkompetenz kann nicht ohne konkreten Sprachgebrauch erzielt werden. Dass Sprachgebrauch im Kontext theologischer Studiengänge immer auch Schriftgebrauch meint, verweist erneut auf die mögliche und notwendige Integrationsleistung einer theologische Teildisziplinen und Studiengänge vernetzenden, interdisziplinär anschlussfähigen, 25 hermeneutisch orientierten und praxisbezogenen Sprachkompetenz. Literatur A. Bibelausgaben Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984, hg. v. der Evangelischen Kirche in Deutschland, Stuttgart 1999. Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Mit Apokryphen. Bibeltext in der revidierten Fassung von 2017, hg. v. der Evangelischen Kirche in Deutschland, Stuttgart 2016. Bibel in gerechter Sprache, hg. v. U. Bail u. a., Gütersloh 2006. Gute Nachricht Bibel. Altes und Neues Testament. Ohne die Spätschriften des Alten Testaments (Deuterokanonische Schriften/ Apokryphen). Revidierte Fassung 1997 der „Bibel in heutigem Deutsch“. Im Auftrag und in Verantwortung der evangelischen Bibelgesellschaften und katholischen Bibelwerke in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Stuttgart 2000. Novum Testamentum Graece, hg. v. Nestle, Erwin/ Aland, Kurt, Stuttgart 28 2012. B. Weitere Literatur Ahme, Michael/ Beintker, Michael: Theologische Ausbildung in der EKD . Dokumente und Texte aus der Arbeit der Gemischten Kommission/ Fachkommission I zur Reform des Theologiestudiums (Pfarramt und Diplom) 1993-2004, Leipzig 2005. Alkier, Stefan.: Neues Testament (utb 3404), Tübingen 2010, 69-71. Beecher Stowe, Harriet: Onkel Toms Hütte, München 2006. Deeg, Alexander: Pastor legens. Das Rabbinat als Impulsgeber für ein Leitbild evangelischen Pfarramts, in: PT h 93 (2004), 411-427. Deeg, Alexander: Predigt und Derascha. Homiletische Textlektüre im Dialog mit dem Judentum, Göttingen 2006. Egger, Winfried/ Wick, Peter: Methodenlehre zum Neuen Testament. Biblische Texte selbständig auslegen, Freiburg u. a. 6 2011. 25 Auch in der Altphilologie ist die hochschul- und fachdidaktische Diskussion um Erwerb und Praxisbezug von Sprach- und Übersetzungskompetenzen gegenwärtig virulent und eröffnet einen Referenzrahmen für die analoge Diskussion mit Blick auf die theologischen Studiengänge. Vgl. hier Frisch, Sprachen; sowie Nickel, Übersetzen. Übersetzen als hermeneutisches, exegetisches und theologisches Problem. 83 Feige, Andreas u. a. (Hg.): Religionsunterricht von morgen? Studienmotivationen und Vorstellungen über die zukünftige Berufspraxis bei Studierenden der ev. und kath. Theologie und Religionspädagogik. Eine empirische Studie an Baden-Württembergs Hochschulen, Ostfildern 2007. Frisch, Magnus (Hg.): Alte Sprachen - neuer Unterricht (Ars Didactica 1), Speyer 2015. Gemoll, Wilhelm/ Vretska, Karl (Hg.): Gemoll. Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, Oldenburg 10 2012. Haffner, Sebastian: Winston Churchill, Hamburg 10 2016. Jung, Martin H.: Einführung in die Theologie, Darmstadt 2004. Käbisch, David: ‚Das Latinum schaffe ich nie…‘. Überlegungen zu einer Didaktik der alten Sprachen für Theologiestudierende, in: Heller, Thomas/ Wermke, Michael (Hg.), Universitäre Religionslehrerbildung zwischen Berufsfeld‐ und Wissenschaftsbezug, Leipzig 2013, 146-162. Körtner, Ulrich H. J.: Arbeit am Kanon. Studien zur Bibelhermeneutik, Leipzig 2015. Krasselt-Maier, J.: Luther: Gottes Wort und Gottes Gnade. Bausteine für den Religionsunterricht, Göttingen 2012. Lenhard, Hartmut/ Schneider-Harpprecht, Christoph (Hg.): Evangelische Theologie Lehramt. Texte und Dokumente aus der Arbeit der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums/ Fachkommission II von 1993 bis 2015, (in Vorbereitung). Nickel, Rainer (Hg.): Übersetzen und Übersetzung. Anregungen zur Reflexion des Übersetzens im altsprachlichen Unterricht (Ars Didactica 3), Speyer 2016. Nicol, Martin/ Deeg, Alexander: Im Wechselschritt zur Kanzel, Göttingen 2005. Petri, Dieter/ Thierfelder, Jörg: Grundkurs Martin Luther und Reformation, Stuttgart 2017. Salevsky, Heidemarie: Übersetzungstyp, Übersetzungstheorie und Bewertung von Bibelübersetzungen. Ein Beitrag aus übersetzungstheoretischer Sicht, in: Gross, Walter (Hg.): Bibelübersetzung heute - Geschichtliche Entwicklungen und aktuelle Anforderungen. Stuttgart 2001, 119-150. Stolt, Birgit: Luthers Übersetzungstheorie und Übersetzungspraxis und Siegfried Raeder, Luther als Ausleger und Übersetzer der Heiligen Schrift, in: Junghans, Helmar: Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe seinem 500. Geburtstag, Göttingen 1983, 241-278. Wegener, Hildburg: „… und macht die Menschen zu meinen Jüngern und Jüngerinnen“. Die Revision der Gute Nachricht Bibel in gemäßigt „frauengerechter Sprache“, in: Jahr, Hannelore (Hg.): Die neue Gute Nachricht Bibel (Bibel im Gespräch 5), Stuttgart 1998, 62-73.