eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 2/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
2017
21 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Annett Giercke-Ungermann / Sandra Huebenthal (Hg.), Orks in der Gelehrtenwerkstatt? Bibelwissenschaftliche Lehrformate und Lernumgebungen neu modelliert. Berlin 2016, LIT (Theologie und Hochschuldidaktik Bd. 7), 214 Seiten, kartoniert, ISBN 978-3-643-13466-0, € 29,90.

2017
Norbert Brieden
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 2-- 2017, Heft 1 Annett Giercke-Ungermann / Sandra Huebenthal (Hg.), Orks in der Gelehrtenwerkstatt? Bibelwissenschaftliche Lehrformate und Lernumgebungen neu modelliert. Berlin 2016, LIT (Theologie und Hochschuldidaktik Bd. 7), 214 Seiten, kartoniert, ISBN 978-3-643-13466-0, € 29,90. rezensiert von Norbert Brieden Der vorliegende Band verbindet unterschiedliche Konzepte, Studierende in die Fragestellungen biblischer Exegese einzuführen� Seinen Titel erhält der Band durch den Beitrag von Giercke-Ungermann „Lernen in gamifizierten Lernumgebungen‘“ (69-90). Er analysiert die didaktische Chance, den Lernprozess der Studierenden durch eine in der Lernplattform „Induriel“ verankerte Fantasy-Story zu motivieren. Die gamifizierte Lernumgebung kreierte einen narrativen Rahmen für bibelwissenschaftliche ‚Quests‘� In diesem Rahmen konnten die Studierenden Punkte sammeln und unterschiedliche Level erreichen, die als Kompetenznachweise bzw� Vorbedingung für die Zulassung zur Modulabschlussprüfung dienten� Solche ‚Achievements‘ (Lernerfolge der Studierenden) wurden wahrgenommen und rückgemeldet; für alle Mitspieler / innen sichtbare ‚Badges‘ (Trophäen) waren zu erwerben und stärkten wie auch die Gildentreffen den Wettbewerb unter den Studierenden (78-83). Deren (insgesamt positive) Rückmeldungen gaben Anlass zu zwei Verbesserungen für den künftigen Einsatz: Den Gildenbereich auf der Lernplattform zu stärken, so dass eine bessere Teamarbeit ermöglicht wird, und die Leistungen bei den Live-Quests der Gildentreffen auf die individuellen Leistungen anzurechnen (89)� Das Lehrprojekt von Heilmann / Wick „Exegese des Neuen Testaments in einer Gelehrtenwerkstatt“ (105-119) orientiert sich an rabbinischen Traditionen der Textauslegung, indem es „den potentiellen Mehrfachsinn eines Textes nicht reduzieren, sondern zur Geltung bringen lassen will“ (106)� Die didaktische Kern- 108 Rezensionen idee ist, die Studierenden über die Arbeit an in Kleingruppen erstellten Wikis - Kommentare zu biblischen Texten, die ähnlich Wikipedia immer weiter ergänzt und überarbeitet werden - für das forschende Lernen zu begeistern. Auch die Projekte von Neuber - „Online-Lernplattformen als Bereicherung für exegetische Seminare“ (91-103) - und Luther - „Die Übersetzung der Kindheitserzählung des Thomas nach dem Codex Sabaiticus“ (121-136) - nutzten eine E-Learning-Plattformen zur Strukturierung des Lernprozesses� Bei Neuber wurden in einem Seminar zu alttestamentlichen Texten der Exilszeit (96 f�) durch auf ‚Moodle‘ von den Studierenden termingebunden hochzuladende Bearbeitungen von Literatur- und Textaufgaben (Beispiele: 98-101) die jeweiligen Sitzungen vorbereitet und bereits vor der Sitzung von der Lehrkraft korrigiert und mit einem positiven Feedback versehen � Weil die Lehrkraft die Konstruktionen des Themas durch die Studierenden erfasste, war sie für das Gespräch mit den Studierenden präpariert (101 f�)� Kurzreferate der Studierenden wurden in knapper Form als ‚Glossareintrag‘ auf der Plattform hinterlegt und von den Kommiliton / inn / en in einem ‚peer-review-System‘ bewertet (102)� Bei Luther wurden die Studierenden in einem über zwei Semester in fünf Phasen laufenden Projekt zunächst im ‚Seminarstil‘ in apokryphe Evangelien eingeführt (Phase I, 126-128); in der vorlesungsfreien Zeit im Anschluss an einen Workshop zu den Grundlagen des Übersetzens fertigten sie selbst eigene Übersetzungen der apokryphen Kindheitserzählung des Thomas nach dem Codex Sabaiticus an� Diese wurden „auf der eLearning-Plattform uni�versity�org eingestellt“ und mit Hilfe der „Social Reading-Funktion“ wechselseitig kommentiert, so dass am Ende eine gemeinsame Übersetzung erarbeitet war (Phase II , 128-130). Im folgenden Semester wurden Hintergründe des Textes in thematischen Workshops zum Codex Sabaiticus und anlässlich der Teilnahme an Gastvorträgen erarbeitet (Phasen III und IV , 130-132). Diese Phasen veranlassten eine kollaborative Überarbeitung der Übersetzung, die schließlich publiziert werden konnte (Phase V, 132 f�)� Hier sticht heraus, wie Studierende über die Aufgabe des Übersetzens in einen ergebnisoffenen Forschungsprozess einbezogen wurden und so einen „forschenden Habitus entwickelten bzw. erkennen ließen“ (135)� Eingeleitet wird der Band mit vier Beiträgen zur ‚Kompetenzorientierung‘ (9 f�): Jöris beschreibt in seinem Aufsatz „Die Grundlagen der historischen Quellenarbeit“ (15-26) eine Lehrsequenz von vier Sitzungen, die einen ersten Baustein des Moduls „Texte und Textverständnis“ im interdisziplinären Studiengang „Gesellschaftswissenschaften“ umfasst (15-26). Die detaillierte Beschreibung zeigt, wie Studierende am exemplarischen Material lernen können, durch Quellenvergleiche die Perspektivität von Quellen wahrzunehmen, historisches Hintergrund- Rezensionen 109 wissen zur Interpretation der Quellen zu nutzen sowie zwischen literarischer Besonderheit der Quelle und historischem Entstehungskontext zu unterscheiden und beide aufeinander zu beziehen � Huebenthal stellt in ihrem Beitrag „Wirtschaftsgleichnisse“ (27-42), ein komplexes Setting aus Vorlesungsanteilen und Eigenarbeiten der Studierenden vor, die teilweise wiederum zum Inhalt der Vorlesungen werden (vgl. 31-36). Didaktisch zentral ist, dass Studierende an ihren eigenen Auslegungen von Wirtschaftsgleichnissen sowie aus Fragmenten exegetischer oder pastoraler Auslegungen lernen, mit der „doppelten Kontextgebundenheit“ umzugehen � Rydryck / Schneider zeigen in ihrem Beitrag „Methoden der Auslegung in Exegese und Bibeldidaktik“ (43-54), wie aus bibelwissenschaftlicher Perspektive - das heißt auf der Basis biblischer Hermeneutik und der Kenntnis unterschiedlicher biblischer Methoden - bibeldidaktische Entwürfe kritisch „in den Blick genommen und auf ihre jeweiligen texthermeneutischen Implikationen und didaktischen Konsequenzen hin befragt“ werden (45)� Beachtenswert ist die Beurteilung des Constructive Alignments: Als Prüfungsleistung ist ein „bibeldidaktischer Essay vorgesehen“, in dem „exemplarisch ein Schulbuchabschnitt nach dem jeweiligen Umgang mit biblischen Texten analysiert, ein bibeldidaktischer Ansatz nach seinen exegetischen und hermeneutischen Implikationen befragt oder eine eigenständige Textexegese mit einem bibeldidaktischen Unterrichtsentwurf korreliert werden“ (51 f�)� Die konstatierten Unsicherheiten der Studierenden zeigen, dass in dieser Veranstaltung zu viel verlangt und erwartet wurde� Einen enger gefassten Rahmen setzt der Beitrag von Winkler „Exegetische Kompetenzen aufbauen und prüfen“ (55-67), indem er sich auf den zweiten Kompetenzbereich der Texthermeneutik konzentriert� Am Beispiel der Erzählung von Geburt und Berufung Mose (Ex 1,1-4,17), parallel mit dem exegetischen Kommentar von Utzschneider / Oswald erarbeitet, werden die Learning Outcomes, die Lernaktivitäten während der Lehrveranstaltung und die Prüfungsformen aufeinander bezogen (59-65). Ähnliche Probleme der Studierenden wie im Beitrag von Rydryck / Schneider werden hier auf der Basis der gestuften Prüfungserfahrungen anders interpretiert und gelöst� Die vier letzten Beiträge des Bandes dienen der „Praxisorientierung“ (11-13). Das interdisziplinäre Lehrprojekt von Eder / Prettenthaler : „Lebendige Textbegegnung“ (137-155) zeigt, wie durch das Lernen am Modell der im Titel genannten Bibeltexte Studierende zum einen erleben, dass „sich exegetische Erschließung und erfahrungsbezogene bibeldidaktische Ansätze wechselseitig bedingen“ (141) und sich das „auf der Ebene der Metareflexion“ auch bewusst machen (147�150)� Der Beitrag zeigt, wie durch permanente „Feedbackschleifen“, „intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit“, „organisches Ineinander von Text 110 Rezensionen und bibeldidaktischen Zugängen“ sowie eine „angenehme Lehr / Lernatmosphäre“ (152) ein Rahmen geschaffen wurde, der den Erwerb komplexer Kompetenzen „im Auseinandersetzungsprozess mit konkreten Inhalten“ (139) ermöglichte und zugleich ein „Repertoire für die Umsetzung im Religionsunterricht“ schuf (153)� Sterck-Degueldre zeigt mit seinem Beitrag „Ist Jesus übers Wasser gegangen? “ (157-172), wie durch den Einstieg mit der Anforderungssituation der Titel gebenden Schülerfrage (161 f�), die Thematisierung der jeweils eigenen Wunderverständnisse (162-164), einen aktivierenden Lehrervortrag zur Frage (164 f.) und didaktisch orientierte und begleitete Kurzreferate der Studierenden (166 f�) eine Basis geschaffen wurde, die schwierige Gattung der Wundererzählung in den Religionsunterricht einzubringen, hier durch den Auftrag an Kleingruppen von Studierenden, im letzten Drittel der Seminarveranstaltung eine Wundererzählung ihrer Wahl „in den heutigen Kontext zu übertragen“ (167)� Strube „‚Bei euch aber soll es nicht so sein‘“ zeigt in einer hochschuldidaktischen Mikroanalyse, wie durch das Bewusstwerden der eigenen Haltung zum „Herrschen und Dienen“ die Studierenden Impulse erhalten, „mit der appellativen Wirkung von Mk 10,35-45 doppelt kompetent, d. h. sowohl textangemessen als auch rezipient_innenorientiert, umzugehen“ (177) � Der letzte Beitrag von Paganini „Biblische Theologie als Objekt von Problem- Based Learning“ (189-202) basiert auf Case studies (196). Die Fälle hat er auf der Basis der von den Studierenden gewählten Themen „ad hoc konstruiert“; sie wurden in „kleinen Gruppen von acht bis zehn Studierenden“ bearbeitet (193)� Fazit: Ein Buch, das zum Weiterdenken anregt Insgesamt kommt im Buch eine eindrucksvolle Fülle innovativer Lehrprojekte zur Sprache� In den Beiträgen ist erstens Konsens, dass der Methodeneinsatz von den Learning Outcomes zu begründen ist und niemals einen Selbstzweck darstellt� Zweitens wird deutlich, dass die Beobachtung erster Ordnung (wie ich den Biblischen Text wahrzunehmen gewohnt bin) durch eine Beobachtung zweiter Ordnung aufzubrechen ist: Wie lenke ich den Blick auf meine eigenen Beobachtungsroutinen? Hier zeigen besonders die Beiträge von Huebenthal, Heilmann / Wick, Luther, Strube, Eder / Prettenthaler und Sterck-Degueldre geeignete Wege auf, indem etwa Arbeiten der Studierenden selbst zum Inhalt der Veranstaltung werden� Drittens ist auffällig, dass die Arbeitsergebnisse von Studierenden in verschiedenen Prüfungsformen wahrzunehmen und mit einem möglichst unmittelbaren Feedback zu versehen sind (Winkler, Neuber, Giercke- Ungermann)� Wie bei jeder guten Forschung entstehen im Vergleich der Beiträge weitere Fragen, die in der hochschuldidaktischen Erforschung von Lernprozessen mit biblischen Texten weiter zu verfolgen sind� An dieser Stelle sollen drei Fragen- Rezensionen 111 komplexe genannt sein: bezogen auf das Verhältnis von Theorie und Praxis, von fachlichen Inhalten und erworbenen Kompetenzen sowie von Kompetenzniveau- und Kompetenzentwicklungsmodellen� 1) Die Kompetenzorientierung ist durch die Berücksichtigung von Anforderungssituationen ab ovo praxisorientiert� Welche Rolle spielt der Theorie-Praxis-Zirkel auch in rein bibelwissenschaftlichen Veranstaltungen? Von welcher Praxis wäre diesbezüglich zu sprechen? Inwiefern weitet die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Religionspädagog / innen den Praxisbegriff aus bzw� erleichtert oder erschwert den theoretischen Zugriff auf Situationen der Praxis (vgl� die Beiträge von Rydryck / Schneider, Eder / Prettenthaler und Paganini)? 2) Die Beiträge wecken den Wunsch, mehr über die Zusammenhänge von erarbeiteten Inhalten und daran erworbenen Kompetenzen zu erfahren, wie es etwa Strube durch ihre Konzentration auf eine Sitzung gelingt� Meistens reicht der Raum nicht aus, um diese Zusammenhänge, wenn auch nur exemplarisch wie im Beitrag von Paganini, detailliert zu erörtern� Wie können die Arbeitsergebnisse der Studierenden im Blick auf die in ihnen zum Ausdruck kommenden Kompetenzen kriterienbezogen analysiert werden? Wann sind, beispielsweise bezogen auf den Beitrag von Winkler, Bezüge zur Sekundärliteratur stimmig, wann nicht? Welche Vorannahmen liegen solchen Kriterien zugrunde und wie können sie zusammen mit den Studierenden gefunden und evaluiert werden? 3) Kompetenzniveaumodelle beschreiben Kriterien einer transparenten Leistungsmessung� Kompetenzentwicklungsmodelle unterscheiden aufeinander aufbauende Lernräume� Inwiefern sind Lerntaxonomien wie diejenige von Bloom hilfreich für sinnvoll begrenzte Lernerwartungen? Bei den Beiträgen fällt auf, dass für alle Ausbildungsstufen Kompetenzen im Bereich von Synthese- Leistungen (Stufe 5 nach Bloom) formuliert werden� Selbst wenn diese Leistungen nicht erreicht werden: Welchen Zweck erfüllen sie, um den Zielhorizont des Kompetenzerwerbs zu beschreiben und Studierende zu motivieren? Wie gehen wir mit Leistungen um, die sich den gefundenen Kompetenzbeschreibungen entziehen? Welche blinden Flecken erzeugt die Kompetenzorientierung? Wie können wir diese blinden Flecken wahrnehmen und dekonstruieren? Inwiefern bleibt in den das Gefühl von Machbarkeit erzeugenden Modellierungen von Kompetenzstrukturen, -niveaus und -entwicklungen das Bewusstsein für die Freiheit des einzelnen wach, sein Lernen selbst zu steuern und ggf� auch zu verweigern?