eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 1/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
2016
11 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Susanne Luther/Ruben Zimmermann (Hg.): Studienbuch Hermeneutik. Bibelauslegung durch die Jahrhunderte als Lernfeld der Textinterpretation: Portraits – Modelle – Quellentexte. Gütersloh 2014, Gütersloher Verlagshaus, 392 Seiten mit CD-ROM, gebunden, ISBN: 978-3-579-08137-3, € 34,99

2016
Katharina Pyschny
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an Jahrgang 1 - 2016, Heft 1 Susanne Luther/ Ruben Zimmermann (Hg.): Studienbuch Hermeneutik. Bibelauslegung durch die Jahrhunderte als Lernfeld der Textinterpretation: Portraits-- Modelle-- Quellentexte. Gütersloh 2014, Gütersloher Verlagshaus, 392 Seiten mit CD - ROM , gebunden, ISBN : 978-3-579-08137-3, € 34,99 rezensiert von Katharina Pyschny »Verstehst du auch, was du liest? « (Apg 8 , 30 )-- Bereits in der Bibel werden Fragen nach dem rechten Verständnis biblischer Texte aufgeworfen und hermeneutische Überlegungen angestellt. Auch nach 200 Jahren historisch-kritischer Forschung wird niemand behaupten können, dass die Hl. Schrift leicht oder gar eindeutig zu verstehen ist. Die gegenwärtige evangelische und katholische Theologie, und darin insbesondere die Bibelwissenschaften, zeichnen sich durch eine Pluralität von Textinterpretationen, Auslegungsmethoden und Wirklichkeitsdeutungen aus. Gerade vor diesem Hintergrund verwundert es, dass hermeneutische Fragestellungen und Perspektiven sich in der jüngeren Zeit immer mehr auf Ausführungen zum Verhältnis von Altem und Neuen Testament (vgl. die Slenczka-Debatte) und zur Methodenlehre fokussierten, aber eine inter- und intradisziplinäre Verständigung über Bedingungen und Möglichkeiten von Textinterpretation kaum stattfindet. Dabei könnte eine begründete Verstehenslehre angesichts der Interpretationsoffenheit der Schrift und der Methodenvielfalt in den Bibelwissenschaften durchaus als Instrument dienen, um die Offenheit vor Beliebigkeit zu bewahren. Umso interessanter erscheint von daher der Versuch, das »Unverständnis« von biblischen Texten als Katalysator der Verstehenslehre und zur Ausbildung einer gewissen hermeneutischen Kompetenz zu nutzen. Ein solcher liegt mit dem von Susanne Luther und Ruben Zimmermann- - beide evangelische Neutestamentler an der Universität Mainz-- herausgegebenen Studienbuch zur Hermeneutik vor. 108 Rezensionen Ausgangspunkt dieses Bandes ist nicht nur die Beobachtung, dass die Relevanz der Theologie bzw. der Bibelwissenschaften für die Hermeneutik in Philosophie, Literatur- und Rechtswissenschaft zunehmend in Vergessenheit geraten ist, sondern auch die Feststellung, »dass selbst Theologen die Kritik der Hermeneutik übernehmen und sich von ihren eigenen Wurzeln abschneiden« ( 10 ). Mit dem Ziel, der Stimme der Theologie im intra- und interdisziplinären Dialog neu zu Gehör zu verhelfen, bietet das Studienbuch einen Überblick über 2000 Jahre Schrifthermeneutik. Neben einer umfangreichen Einführung in die gegenwärtige Hermeneutik-Diskussion durch die beiden Herausgeber liefert das Studienbuch Porträts von ausgewählten Theologinnen und Theologen, die wesentliche Beiträge zur Bibelauslegung leisteten. Dabei wird Bibelauslegung zwar nicht exklusiv, aber doch modellhaft für die Kunst der Textauslegung bzw. für eine allgemeine Verstehenslehre angesehen. Im Bewusstsein, dass sich Bibelauslegung ideal als Lernfeld der Hermeneutik eignet, möchte der Band keine Methodologie oder exemplarische Auslegungen bieten, sondern vielmehr prominente, aber durchaus auch weniger bekannte Metatexte zugänglich machen, in denen Autorinnen und Autoren über die Bedingungen und Möglichkeiten der Bibelauslegung nachdenken. Dabei soll die Beschäftigung mit eben diesen Metatexten sichtbar machen, »dass die Vielfalt der Perspektiven von Anfang an gegeben war.-[…] Die Geschichte der Bibelhermeneutik erhebt die Stimme gegen den Absolutheitsanspruch sowohl historisch-ursprungsorientierter als auch engagiert-diesseitsorientierter Lesarten des Textes. Sie schärft zugleich den Blick für die Weite der Fragen, die die Bibelhermeneutik nach wie vor mit einer allgemeinen Verstehenslehre und Interpretationsphilosophie verbindet« ( 10 f.). Somit verfolgt das Studienbuch neben dem interdisziplinären Brückenschlag auch ein innertheologisch bzw. spezifisch bibelwissenschaftlich ausgerichtetes Ziel: Der Einblick in die Geschichte der Bibelinterpretation soll nicht nur die zentrale Stellung der Bibelhermeneutik als Schnittstelle der einzelnen theologischen Disziplinen neu aufscheinen lassen, sondern vermag auch für die gegenwärtige Suche nach Methoden und Ausrichtung in der Exegese neue Impulse zu liefern. Das Studienbuch, das sich nicht nur an Theologen, sondern gleichermaßen an Philosophinnen und Philosophen, Historikerinnen und Historiker sowie Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler richtet, gliedert sich grob in zwei Teile: eine Einführung in die gegenwärtige Hermeneutikdiskussion und einen Durchgang durch eine zweitausendjährige Auslegungsgeschichte in 28 Einzelkapiteln. Auch wenn in dem Band auf eine Epocheneinteilung der einzelnen Kapitel verzichtet wurde, liegt ihrer Anordnung eine chronologische Ordnung und das sichtliche Bemühen um eine gewisse Ausgewogenheit zugrunde. So umfassen sie Positionen aus der Patristik bzw. dem Mittelalter ( 3 .- 12 . Jh.: Origenes, Viktorin Rezensionen 109 von Pettau, Didymos der Blinde, Johannes Chrysostomos, Augustinus, Hugo von Saint-Victor, Hildegard von Bingen), der Reformation und der Frühen Neuzeit ( 16 .- 17 . Jh.: Martin Luther, Thomas Müntzer, Matthias Flacius Illyricus, Johann Arndt, Johann Gerhard, Johann Conrad Dannhauer, Baruch de Spinoza), der Orthodoxie, dem Pietismus und der Romantik ( 18 .- 19 . Jh.: August Hermann Francke, Johann Martin Chladenius, Johann Salomo Semler, Johann Georg Hamann, Friedrich D. E. Schleiermacher, Ferdinand Christian Baur, David Friedrich Strauß) sowie der Moderne bzw. Postmoderne ( 20 .- 21 . Jh.: Rudolf Bultmann, Gerhard Ebeling, Joseph Ratzinger- - Benedikt XVI ., Carlos Mesters, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Hans Weder vs. Klaus Berger, Pierre Bühler). Damit durch eine ahistorisch-synchrone Betrachtungsweise der hermeneutischen Konzepte keine Missverständnisse befördert werden, sind den Quellentexten jeweils Hinführungen vorangestellt. Diese sind von unterschiedlichen-- überwiegend evangelischen Theologinnen und Theologen-- verfasst bzw. gestaltet, weisen aber alle den gleichen idealtypischen Aufbau auf: Leben-- Werk im Überblick-- Hermeneutische Grundlagen und Positionen-- Aufgaben und Lesehinweise-- Literaturangaben für die vertiefte Weiterarbeit. Die Quellentexte werden auf der beigefügten CD-ROM im PDF-Format zur Verfügung gestellt. Dabei ist eine Fülle an unterschiedlichen Gattungen vertreten: Neben Auszügen aus Hauptwerken, kürzeren Abhandlungen und Artikeln sowie Kommentierungen biblischer Bücher finden sich auch alternative Äußerungsformen wie Visionsberichte, Briefe, Gleichnisse, Predigten/ Homilien oder Gebete. Die Quellentexte werden alle- - teilweise erstmalig (z. B. Viktorin von Pettau)- - in deutscher Übersetzung dargeboten; in vielen Fällen handelt es sich dabei um eigene, bislang unveröffentlichte Übersetzungen. Um die quellensprachlichen Begriffe und Ausdrucksweisen einsehen zu können, sind die älteren Texte auch in Griechisch und Lateinisch abgedruckt und in den Schriften von Dannhauer und Spinoza auch hebräische Phrasen wiedergegeben. Durch das einheitliche Layout und die Zeilennummerierung der Quellentexte wird ein gemeinsames Bearbeiten und Besprechen in der Lehrveranstaltung sichtlich erleichtert. Das dem Studienbuch zugrunde liegende didaktische Konzept ist deutlich handlungs- und kompetenzorientiert. Während die Einführung in die gegenwärtige Hermeneutik-Diskussion einer sachlichen Grundlegung dient und die Hinführungen zu den porträtierten Theologinnen und Theologen und ihren hermeneutischen Prinzipien als historische Kontextualisierungen fungieren, bildet die konkrete Arbeit an den Quellentexten das Herzstück des Bandes. Dieser Eindruck wird durch die jeweils beigefügten Aufgaben bestätigt. So finden sich nicht nur deskriptive und analytische Aufgaben, sondern auch Anforderungen mit Applikations- und Urteilscharakter und mindestens jeweils eine kreativ handlungsorientierte Aufgabe. Im Sinne einer mimetischen Didaktik wird dabei oftmals auch das Medium des Quellentextes wieder aufgenommen. Dabei wird angenommen, dass die Ausein- 110 Rezensionen andersetzung mit Quellentexten, in denen hermeneutische Prinzipien behandelt werden, auch bei den Lernenden einen Reflexionsprozess über die Möglichkeiten und Bedingungen von Textinterpretation auslöst. Auf Visualisierungen wird weitestgehend verzichtet, was aber durchaus thematisch begründet ist. Mit Ausnahme von einzelnen schematischen Darstellungen (z. B. das hermeneutische Dreieck des Bibelverstehens) und »Porträts« der ausgewählten Theologen finden sich keinerlei Bilder, Grafiken oder Tabellen. Durch seinen klaren Aufbau, die Bereitstellung von Quellentexten und auf diese bezogene Aufgaben samt Musterlösungen eignet sich das Studienbuch für eine autodidaktische Erarbeitung der Thematik und ermöglicht so nicht nur selbstständiges bzw. -gesteuertes Lernen, sondern auch eine effektive Lernkontrolle. Das Studienbuch ist vielfältig einsetzbar. Neben dem selektiven Rezipieren einzelner hermeneutischer Konzepte kann es ebenfalls all denjenigen als Nachschlagewerk dienen, die nach Quellentexten zu bestimmten hermeneutischen Positionen suchen. Das Potenzial des Studienbuches für den Einsatz im Hochschulunterricht ist sehr hoch. Die Einzelkapitel sind im Textumfang so gestaltet, dass sie als Grundlage einer Seminarsitzung dienen können. Die Herausgeber schlagen in diesem Zusammenhang folgendes Konzept vor: Vorbereitende Lektüre des Hinführungs- ( 5 - 10 Seiten) und Quellentextes ( 20 - 30 Seiten)-- schriftliche Beantwortung der beigefügten Aufgaben-- gemeinsame Besprechung der Lösungen in der Präsenzveranstaltung und ggf. Vertiefung oder Verdeutlichung der betreffenden hermeneutischen Prinzipien anhand von praktischen Beispielen. Angesichts der Menge an dargebotenen hermeneutischen Konzepten ist eine Schwerpunktsetzung bzw. Auswahl oder auch eine arbeitsteilige Bearbeitung in einer vergleichenden Perspektive in Erwägung zu ziehen. Angesichts des klaren Aufbaus, des durchweg verständlichen Schreibstils sowie der kompetenz- und handlungsorientierten Aufgaben lässt sich das Studienbuch relativ früh im Studienverlauf, angesichts der teilweise vorausgesetzten Sprachkenntnisse m. E. ab dem 3 . Semester einsetzen. Man darf auf Erfahrungen mit diesem Studienbuch in der universitären Lehrpraxis gespannt sein und kann der Herausgeberin und dem Herausgeber sowie den Autorinnen und Autoren nur wünschen, dass es nicht nur zu dem erhofften inter- und intradisziplinären Gespräch anregt, sondern auch eine Strahlkraft auf die aktuellen Debatten um Schriftverständnis und Methodologie entwickelt.