eJournals Kodikas/Code 31/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
In diesem Artikel werden als dritte Etappe einer Revision der Großen Syntagmatik des Films von Chr. Metz die deskriptiven Syntagmen behandelt. Dazu wird in sich geschlossen auch ein Instrumentarium für die Analyse deskriptiver filmischer Repräsentationen entwickelt. Dies geschieht im Anschluss an die in dieser Zeitschrift im Band 25 (2002), pp. 64-94 und Band 27 (2004), pp. 95-123 erschienenen Artikel zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (I) und (II). Insgesamt wird mit allen drei Artikeln eine Reformulierung aller chronologischen Syntagmen bei Metz geleistet. Deskription heißt hier im Ergebnis, dass ein diegetisches Raumzeitgebiet genauer ausgeleuchtet wird ohne einen "Fortschritt" in der diegetischen Zeit. Dies heißt insbesondere, dass es keinen Fortschritt einer Handlung gibt. Wir definieren mehrere basal deskriptive Syntagmen, untersuchen komplexe Kopräsenzen, behandeln Dramaturgien mit deskriptiven Syntagmen und schließlich ihre Limitationen.
2008
313-4

Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (III): Deskriptive Syntagmen

2008
Karl-Heinrich Schmidt
Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (III): Deskriptive Syntagmen Karl-Heinrich Schmidt In diesem Artikel werden als dritte Etappe einer Revision der Großen Syntagmatik des Films von Chr. Metz die deskriptiven Syntagmen behandelt. Dazu wird in sich geschlossen auch ein Instrumentarium für die Analyse deskriptiver filmischer Repräsentationen entwickelt. Dies geschieht im Anschluss an die in dieser Zeitschrift im Band 25 (2002), pp. 64-94 und Band 27 (2004), pp. 95-123 erschienenen Artikel zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (I) und (II). Insgesamt wird mit allen drei Artikeln eine Reformulierung aller chronologischen Syntagmen bei Metz geleistet. Deskription heißt hier im Ergebnis, dass ein diegetisches Raumzeitgebiet genauer ausgeleuchtet wird ohne einen “Fortschritt” in der diegetischen Zeit. Dies heißt insbesondere, dass es keinen Fortschritt einer Handlung gibt. Wir definieren mehrere basal deskriptive Syntagmen, untersuchen komplexe Kopräsenzen, behandeln Dramaturgien mit deskriptiven Syntagmen und schließlich ihre Limitationen. 1. Gliederung Nach der Exposition der Problemstellung in Abschnitt 2 werden in Abschnitt 3 kurz strukturierte cinematographische Dokumente eingeführt. In Abschnitt 4 “Diegetische Zeit und chronologische Dokumente” modellieren wir Fragen der diegetischen Zeit und definieren chronologische Dokumente. Dieser Abschnitt liefert zusammen mit Abschnitt 5 “Deskriptivität und Kopräsenz” die Mittel, eine Menge von Einstellungen als “deskriptiv” zu klassifizieren. In den folgenden fünf Abschnitten findet sich dann die eigentliche Definition deskriptiver Syntagmen: Im Abschnitt 6 werden szenische Deskriptionen, im Abschnitt 7 perzeptive Deskriptionen und im Abschnitt 8 epistemische Deskriptionen definiert. In den Abschnitten 9 und 10 erfolgt die Analyse syntagmatisch komplexerer deskriptiver Strukturen. In den Abschnitten 11 und 12 behandeln wir deskriptive Dramaturgien. Im Abschnitt 13 gehen wir mit dem Syntagma der (zusammenfassenden) Klammerung auf die exemplifikatorische Grenzen unserer Begriffsbildung ein. In Abschnitt 13 erfolgt empirisch die Anwendung auf nicht narrative Segmente in dem Metz von paradigmatisch analysierten Film “Adieu Philippine”. Den Schluss bilden ein zusammenfassender Ausblick in Abschnitt 15 und ein kurzer Dank in Abschnitt 16. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 31 (2008) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl-Heinrich Schmidt 218 2. Einleitung: Klassische Filmtheorie und das “deskriptive Syntagma” Seit Mitte der 1960er Jahre veröffentlichte Christian Metz Untersuchungen 1 zum Problem einer Grammatik des Films, in denen er besonders zwei Fragestellungen behandelte: 1. Fragen der so genannten autonomen Einstellungen; 2. Fragen der Zusammenfassung von - autonomen und nicht autonomen - Einstellungen zu komplexeren syntagmatischen Formen. Das Ergebnis dieser Arbeit nannte er Große Syntagmatik des Films 2 . Die Metz’schen Untersuchungen insgesamt lieferten keine formale Grammatik, aber eine Klassifikation von Filmsegmenten, welche auf den ersten Blick recht ansprechend wirkt. In der theoretischen Weiterentwicklung und der applikativen Filmanalyse führte die Große Syntagmatik aber zu vielfältigen praktischen und theoretischen Problemen (cf. Schmidt, Strauch 2002, passim). Die Große Syntagmatik muss daher komplett überarbeitet werden 3 . Für die so genannten “basalen Syntagmen” (s.u.) sind in Schmidt, Strauch (2002) dazu die Grundlagen gelegt worden. Insbesondere wurden drei monochrone und monospatiale Syntagmen (Planszene, Szene und Sequenz) identifiziert und empirisch auf den auch von Metz paradigmatisch untersuchten Film “Adieu Philippine” angewendet. Darauf aufbauend wurden in Schmidt (2004) dann für den polyspatialen Fall für n Raumzeitumgebungen zunächst so genannte (B,n)-partite Strukturen für eine Beobachtermenge B gekennzeichnet, um dann n-alternierbare Strukturen als Nachfolger des Metz’schen “alternierten Syntagmas” zu definieren. In dieser Arbeit wird der deskriptive Fall untersucht. Wir behandeln also den dritten und letzten Teil der Reorganisation des chronologischen Anteils der Metzschen Syntagmatik. Damit schließen wir die Metz’schen chronologischen Syntagmen ab. Eine chronologische Syntagmatik als eine systematische Untersuchungen der Montageformen auf Einstellungsebene ist zu unterscheiden von jeder chronologischen Syntagmatik, die wenigstens ein Segment unterhalb der Einstellungsebene mit einbezieht. Für die Theoriebildung und insbesondere für das Phänomen der filmischen Deskription ist eine Trennung beider Ebenen zur Vermeidung von Klassifikationsfehlern entscheidend 4 . Allgemein formuliert, sind in einer großen Syntagmatik alle zu klassifizierenden Objekte adressierbar (wie Seiten in einem Buch). Dies gilt auch noch für eine Theorie auf Ebene des einzelnen Filmbildes. Unterhalb dieser Ebene haben wir es aber (ohne weitere Bildverarbeitung) nicht mehr mit strukturierten (Teil-)dokumenten zu tun, auf die in einer Theorie einfach Bezug genommen werden kann. Dies zeigt sich im Weiteren insbesondere bei filmischen Fusionen, die sich im allgemeinen nicht im Rahmen einer großen Syntagmatik behandeln lassen 5 . Methodisch und inhaltlich ist der deskriptive Fall deshalb besonders interessant, weil er von einem naiven Standpunkt aus dem “Wesen des Films” besonders zu entsprechen scheint: Eine deskriptive Einstellungsfolge ist eine Folge von Blicken auf die Welt; auch ihre unterschiedliche Anordnung “erzählt” nicht. Metz selbst führt sein “deskriptives Syntagma” entsprechend wie folgt ein: “Abfolgen auf der Leinwand (entsprechen) keine diegetischen Abfolgen” Metz (1972, 175). Metaphorisch gesprochen ist die Deskription in einer großen Syntagmatik der “Nulldurchgang” filmischer Narrationen. Dieser Intuition und möglichen Präzisierungen werden wir nun nachgehen. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 219 Im Ergebnis ordnen wir einem filmischen Segment auf Einstellungsebene in einer Großen Syntagmatik dann ein deskriptives Syntagma zu, wenn: 1. Beobachter aus den Daten einen raumzeitlichen Zusammenhang konzeptionalisieren können und dieser raumzeitliche Zusammenhang einen Zustand oder eine Aktivität “kopräsent beschreibt”, ohne z.B. einen telischen Vorgang zu verfolgen; 2. Beobachter zwar keinen raumzeitlichen Zusammenhang erzeugen können, aber einen (intra- oder extradiegetischen) Narrator oder Fokalisierer annehmen können, der die in einem Segment dargestellten raumzeitlichen Sachverhalte korrekt in einen räumlichen Zusammenhang kopräsent einbetten kann. Der erste Fall entspricht den Intuitionen. Der zweite Fall ist zum Beispiel für Stationen eines Intinerars eines Agenten A gegeben, wenn einzelne Stationen seiner Reise in einer Menge von Einstellungen gezeigt werden und seitens eines Beobachters angenommen werden kann, dass von A eine Einbettung der Urbilder der Einstellungen in einen raumzeitlichen Zusammenhang verlässlich vorgenommen werden kann (s.u.). 3. Strukturierte und cinematographische Dokumente Auf ein Dokument kann man grundsätzlich drei Sichten haben: eine Layoutsicht (layout view), eine logische Sicht (logical view) und ein Inhaltssicht (content view) 6 . Die Inhaltssicht betrifft das typische Beobachterinteresse an einem Dokument: Der “Leser” möchte den in ihm repräsentierten “Inhalt” aufnehmen. Dessen Repräsentation kann denotativ intendiert sein (wie auf einem Passfoto), kann aber auch andere Weisen der Referenz zulassen (z.B. exemplifikatorische Bezugnahmen (cf. Abschnitt 13)). - Für die logische Sich und die Layoutsicht, die im weiteren im Vordergrund stehen, benutzen wir die folgenden Annahmen und Definitionen (Eine ausführliche Behandlung der logischen Sicht und der Layoutsicht auf ein cinematographisches Dokument erfolgte in Schmidt (2004)). Sowohl die Layoutsicht als auch die logische Sicht modellieren ein Dokument als Baum. Dies führt für beide Sichten zu drei verschiedenen Typen von Objekten: • einem Wurzelknoten eines Dokuments (dieser heißt document (logical oder layout) root); • einem oder mehreren Endknoten (diese heißen basic (logical oder layout) objects); • einem oder mehreren Knoten zwischen Wurzelknoten und Endknoten (diese heißen composite (logical oder layout) objects). Mit diesen Objekten ergibt sich als erste Definition: (1) Ein Dokument D heißt strukturiert, wenn seine logische Struktur mindestens zwei composite logical objects enthält. Karl-Heinrich Schmidt 220 Die einzelnen Einstellungen eines filmischen Dokuments werden den basic logical objects (als “Inhaltsstück” oder “content portion”, hier gekennzeichnet mit “ ”) zugeordnet: Fig. 1 Eine solche Einstellung ist als audiovisuelles Inhaltsstück ein Datensatz, der einer vorgegebenen Menge von audiovisuellen Normen von Bewegtbilddaten genügt. Diese Menge ist festzulegen. Wie das geschieht, kann hier (mit allerdings wichtigen) Randbedingungen offen bleiben. Für den cinematographischen Fall ist bei der Festlegung sicherzustellen, dass für den Beobachter ein benevolentes “So sei es gewesen! ” grundsätzlich möglich ist. Dies wiederum legen wir so aus, dass der Beobachter Veridikalität der beobachteten Filmdaten annehmen können muss. Im allgemeinen muss dafür eine “cinematographische Messung”, also die sensorielle Erstellung von Filmbildern erfolgen, die ein cinematographisches Inhaltsstück (als “content portion”) erzeugt 7 . Denotativ unterstellen wir dabei Treue der sensoriellen Abbildung in dem Sinne, dass die aufgenommenen content portions im folgenden Sinne als “gute Messungen” angesehen werden können: Grundsätzlich (d.h. mit definierten Ausnahmen) herrscht für den Beobachter kein Zweifel über den gemessenen Gegenstandsbereich 8 . Wir verwenden die folgende (unter den genannten Voraussetzungen nicht zirkuläre) Definition: (2) Ein Dokument D heißt cinematographisch, wenn • jedem basic logical object mindestens eine cinematographische content portion zugeordnet werden kann; • ein Layoutprozess L existiert, der für mindestens eine audiovisuelle content portion eines jeden basic logical object des Dokumentes ein basic layout object generiert; • L die Menge aller Einstellungen des Dokumentes einer strengen zeitlichen Ordnung unterwirft. Die Anforderungen an die zeitliche Ordnung werden in Abschnitt 4 ausgearbeitet. Warum sprechen wir von cinematographischen Dokumenten und nicht einfach von “Film”? Bei geeigneter Wahl der Zulässigkeitsbedingungen für cinematographische Inhaltsstücke kann auch ein Videoprotokoll medizinischer Operationen ein cinematographisches Dokument sein, das alltagssprachlich nicht gleich als “Film” angesehen werden würde. Nur während einer “Aufführung”, einem so genannten Imaging, eines layoutierten cinematographischen Dokumentes kann ein menschlicher Beobachter ein cinematographisches Dokument oder einen Teil davon betrachten. Die Aufführung kann die Reihenfolge der Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 221 Einstellungen einmalig und nicht vorhersagbar verändern. Darum bezieht sich unsere weitere Begriffsbildung von Teilen eines cinematographischen Dokumentes auf seine Logik und sein Layout. Wir definieren zunächst für layoutierte Teile eines Dokuments: (3) Ein Segment in einem cinematographischen Dokument ist eine nichtleere Teilfolge in der layoutierten zeitlichen Folge aller Einstellungen für einen gegebenen Layoutprozess. Diese Definition erlaubt “unzusammenhängende” Segmente: Ein Beobachter betrachtet auch dann einen Teil eines Films, wenn “mittendrin” etwas ausgelassen wird. Ein Segment S kann aus zwei oder mehr identischen Einstellungen bestehen (cf. Abschnitt 9). Sollen nur die Einstellungen eines Segmentes ohne ihre layoutierte Ordnung untersucht werden, betrachten wir die Menge M S seiner Einstellungen. Zur notationellen Erleichterung wird bei der Behandlung mehrerer Segmente S i typischerweise ein Index i aus kleinen natürlichen Indexmengen verwendet und die zugehörige Menge von Einstellungen mit M i , 1 i k bezeichnet. Für ein Segment S bezeichnet |S| seine Länge im layoutierten Dokument, |M S | die Anzahl der in ihm enthaltenen Einstellungen. Zwei Segmente S und S' mit M S M S' = können zu einem neuen Segment S*S' verknüpft werden mit M S*S' =M S M S' . Die Menge aller Einstellungen eines cinematographischen Dokuments D bezeichnen wir mit M D ; das Segment, das aus allen Einstellungen M D eines cinematographischen Dokumentes D durch einen Layoutprozess erzeugt wird, bezeichnen wir auch mit S D,L . Ein Segment kann, muss aber nicht Teil der Darstellung eines Syntagmas sein: (4) Ein Syntagma klassifiziert Teilbäume der logischen Struktur eines Dokuments, die mindestens ein composite logical object enthalten und durch einen Layoutprozess auf mindestens ein Segment abgebildet werden. Gemäß (4) sprechen wir im weiteren von den Segmenten eines Syntagmas. Abkürzend reden wir auch von den Einstellungen eines Syntagmas, wenn sie zu einem seiner Segmente gehören. 4. Diegetische Zeit und chronologische Dokumente Für die weitere syntagmatische Analyse ist es nötig, eine diegetische Raumzeit “DieSpaceTime” zur Verfügung zu haben; diese ist ein universeller Bildraum für Beobachtermodelle der Urbilder filmischer Messungen 9 . Detaillierte Fragen zu kognitiv adäquaten Randbedingungen von DieSpaceTime für menschliche Einzelbeobachter lassen wir hier für unsere syntagmatischen Fragen weitgehend unentschieden. Es genügt, dass die sich ergebenden Klassifikationen von Segmenten plausibel sind. DieSpaceTime = DieSpace x DieTime behandeln wir als direktes Produkt eines (im weiteren für die Anschauung euklidischen, aber im folgenden nur als sogenannten Messraum festgelegten) R 3 und eines Messraumes “DieTime”, wie wir nun ausführen. Grundsätzlich benutzen wir zwei (ggf. partielle) Abbildungen dieS und dieT, die Segmente S aus der Menge aller Segmente Seg(D) eines cinematographischen Dokuments D für eine Beobachtermenge B in eine diegetischen Raum ‘DieSpace’ und in eine diegetische Zeit ‘DieTime’ abbilden: Karl-Heinrich Schmidt 222 dieS: B x Seg(D) ———-———>DieSpace (B,S) | ——-———> dieS(B,S) und dieT: B x Seg(D) ———-——> DieTime (B,S) | ——-———> dieT(B,S) In beiden Abbildungen behandeln wir einzelne Einstellungen als (einpunktige) Segmente. Ferner schreiben wir dieS(B,M S ) für dieS(B,S) und dieT(B,M S ) für dieT(B,S), wenn wir nur die Einstellungen eines Segmentes ohne ihre layoutierte Ordnung untersuchen. Wir kombinieren dieS und dieT in dieST: B x Seg(D) ——-———> DieSpace x DieTime (B,S) | ——-———> dieS(B,S) x dieT(B,S) Wir sagen, dass für eine Beobachtermenge B eine räumliche Relation zwischen zwei Segmenten S und S' (und damit auch zwischen zwei Einstellungen T und T') besteht, wenn es für alle B B ein mit dieS(B,S) x dieS(B,S') gibt, welche wenigstens ein nichtleeres Raumgebiet aus dieS(B,S) mit einem nichtleeren Raumgebiet aus dieS(B,S') relationiert. Bis auf Zweistelligkeit unterwerfen wir räumliche Relationen keinen weiteren Anforderungen. Wir sagen, dass für eine Beobachtermenge B eine zeitliche Relation zwischen zwei Segmenten S und S' (und damit auch zwischen zwei Einstellungen T und T') besteht, wenn für alle B B in dieT(B,S) x dieT(B,S') ein nichtleeres Zeitgebiet aus dieT(B,S) mit einem nichtleeren Zeitgebiet aus dieT(B,S') relationiert wird. Nehmen wir als Beispiel ein Raumgebiet Space1, welches in 4 Einstellungen gemessen worden sei. Mit der üblichen Interpretation der folgenden Visualisierungen (cf. Davis (1990), p. 148f) nehmen wir für die diegetischen Zeiten von dieT(B, (T 1,1 , T 1,2 , T 1,3 , T 1,4 )) an: Ein zugehöriges Drehbuch sei etwa: In T 1,1 sehen wir eine Auseinandersetzung zweier Personen Person1 und Person2 in einem Wohnraum Space1, der mit dem Weggang von Person2 endet. T 1,2 , T 1,3 zeigen nahtlos den weiteren alleinigen Aufenthalt von Person1 in diesem Wohnraum, T 1,4 nach einem zeitlichen Abstand. Es sei S1=(T 1,1 , T 1,2 , T 1,3 ) eine Szene und S1'=(T 1,1 , T 1,2 , T 1,3 , T 1,4 ) eine S1 enthaltende Sequenz. Betrachten wir 4 weitere Einstellungen T 2,1 , T 2,2 , T 2,3 , T 2,4 eines Raumgebietes Space2, deren zeitliche Anordnung in dieT(B,( T 2,1 , T 2,2 , T 2,3 , T 2,4 )) wie folgt visualisiert sei: In T 2,1 sehen wir Person2 in einem “ganz anderen” Raum Space2 seien. In T 2,2 wird (im Layout später) das diegetisch frühere Hineinkommen von Person2 in Space2 gezeigt, vielleicht nach einer Auseinandersetzung (Schluchzen! ). In T 2,3 sehen wir nahtlos zu T 2,1 , wie Person2 sich wieder beruhigt. In T 2,4 sehen wir einen diegetisch früheren Aufenthalt von Person1 in Space2. Es sei S2=(T 2,1 , T 2,2 , T 2,3 ) offenbar eine Szene und S2'=( T 2,1 , T 2,2 , T 2,3 , T 2,4 ) eine S2 enthaltende Sequenz. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 223 Wir nehmen nun an, dass S1' und S2' ineinander geschnitten werden mit der nachstehend angegebenen Ordnung der Einstellungen und der folgenden Verteilung der diegetischen Zeiten für Beobachter B B: dieT(B, S1'): dieT(B, S2'): Dann lässt sich die Geschichte wie folgt erzählen: In T1 sehen wir eine Auseinandersetzung zweier Personen Person1 und Person2 in einem Wohnraum Space1, der mit dem Weggang von Person2 endet. T2, T4 zeigen nahtlos den weiteren Aufenthalt von Person1 in diesem Raum, T6 nach einem zeitlichen Abstand. In T3 sehen wir Person2 in einem anderen Raum Space2, offenbar nach dem Streit in T1. In T5 wird das diegetisch vor T3 erfolgende Hineinkommen von Person2 in Space2 gezeigt nach der Auseinandersetzung (Schluchzen! ). In T7 sehen wir nahtlos zu T3, wie Person2 sich wieder beruhigt. In T8 sehen wir einen diegetisch früheren Aufenthalt von Person2 in Space2, der den Grund des Streites visualisiert. Dass uns als Beobachtern auch diese Geschichte plausibel erscheint, liegt wesentlich daran, dass uns die Verknüpfung der beiden Stränge gelingt. Die diegetisch nach T1 angesiedelte Einstellung T5 “paßt” auch deshalb, weil es - situationsemantisch gesprochen - eine “konventionelle Bindung” (cf. Devlin (1993), p. 114ff) von Schluchzen als Folge eines Streites gibt. Gäbe es diese Bindung nicht, ließe sich dieser Ineinanderschnitt zweier Sequenzen auch zeitlich nicht so glatt interpretieren; insbesondere kämen wir nicht darauf, dieT(B,T3) etwa mittig zu dieT(B,T2) zu legen und dieT(B,T5) wegen des Raumwechsels “etwas später” beginnen zu lassen als dieT(B,T2). Wenn wir so die obige Geschichte interpretieren und z.B. einen “kurzen” Streit in T1 als Ursache der zwei längeren Beruhigungsphasen in T2, T4 und T3, T7 mit dem Geschehen T8 als sachlichem Anlaß (am Ende des Segmentes) “herauslesen”, leisten wir als Beobachter bei der Behandlung von dieT(B,(T1,…,T8)) zwei Dinge: 1. Wir interpretieren die Länge der einzelnen Einstellungen (“kurzer” Streit); 2. wir bringen alle Einstellungen in einen zeitlichen Zusammenhang, indem wir sie als zu einer (! ) Geschichte gehörig auffassen: Alle Einstellungen haben paarweise ein zeitliches Verhältnis zueinander. Beide Punkte sollen nun analysiert werden. Wir beginnen mit der Unterscheidung zwischen Zeiten des layoutierten cinematographischen Dokuments und der diegetischen Zeit. Für erstere reicht auf Einstellungsebene für einen Beobachter die Fähigkeit, Intervalle behandeln zu können. Dies modellieren wir auch als erstes. Zur Behandlung der vom Layout vorgesehenen Abspielzeiten eines cinematographischen Dokuments D für ein Layout L benötigen wir eine partiell oder total geordnete Menge als Messraum MR(D,L) 10 . Für X, Y, und Z aus einem solchem Messraum M(D,L) gelten wenigstens die beiden folgenden Eigenschaften: (5) ORD.1. X<Y -(Y < X) (6) ORD.2. X<Y (Y<Z) X<Z Karl-Heinrich Schmidt 224 Eine Menge MR(D,L), die diese Eigenschaften erfüllt, heißt üblicherweise partiell geordnet (“Poset”). Gilt auch noch die folgende Eigenschaft: (7) ORD.3. X<Y Y<X X=Y, liegt eine total geordneter Messraum vor (“Toset”). Wir ordnen zunächst jedem Filmbild F aus einem Dokument D eine “Spielzeit” über eine Funktion “Playtime” in MR(D,L) zu 11 : (8) PlayTime: D —————> MR(D,L) F | —————> PlayTime(F) Für ein “sauberes” Abspielen eines cinematographischen Segmentes S wird ORD. 3 und für PlayTime Injektivität angenommen (gleichsam zur Paginierung). Da wir cinematographische Einstellungen untersuchen, brauchen wir ferner Intervalle: (9) interval(I) X,Y I, Z MR(D,L) [X<Z<Y Z I ]. Von den Intervallen I sind wiederum die Ränder start(I) und end(I) besonders wichtig, die wir über obere und untere Schranken einführen: (10) lower_bound(X,I) Y I Y X (11) upper_bound(X,I) Y I Y X (12) X=start(I) lower_bound(X,I) Y lower_bound(Y,I) Y X (13) X=end(I) upper_bound(X,I) Y upper_bound(Y,I) Y X Obere und untere Schranken gestatten es dem Beobachter, sich bei Blenden von oben oder unten an einzelne “tatsächliche” Ränder einer Einstellung heranzutasten. Hier wird (insbesondere bei Blenden) nicht festgelegt, wie der “Start” und das “Ende” einer Einstellung T definiert und in einem cinematographischen Dokument gemessen wird (üblicherweise wird man die Abspielanzeige eines Players und sein eigenes Urteilsvermögen als Beobachter zur Hilfe nehmen). Unter Umgehung (für unsere Anwendung haarspalterischer) Diskussionen nehmen wir aber auf jeden Fall an, dass für eine Einstellung T genau ein Filmbild TF start dem “Start” und genau ein Filmbild TF end dem “Ende” zugeordnet werden kann und dass diese ungleich sind. Sei nun die Menge aller Einstellungen “M D ” eines cinematographischen (Teil-)Dokuments gegeben und MR(D,L) ein zugehöriger Messraum für das layoutierte Dokument. Jede Einstellung kann dann in die Menge aller abgeschlossenen, nicht entarteten Intervalle Int(MR(D,L)) über MR(D,L) abgebildet werden, so dass mit start(PlayTime(T)) = PlayTime(TF start ) und end(PlayTime(T)) = PlayTime(TF end ) gelte: (14) PlayInt: M D —————> Int(MR(D,L)) T |————> PlayInt(T)=[start(PlayTime(T)), end(PlayTime(T))] Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 225 Als layoutierte Dauer/ Länge einer Einstellung l(T) ergibt sich dann auf dem Integralraum Int(MR(D,L)) von MR(D,L) (cf. Davis (1990, 155)): (15) l : M D —————> Int(MR(D,L)) T | ————> l(T)= end(PlayTime(T)) - start(PlayTime(T)) Wir verlangen für jeden Layoutprozess, dass für jedes Segment S = (T1, T2 ,…, Tn) start(PlayTime(Ti)) “vor” end(PlayTime(Tj)) liegt für 1 i<j n. Die Länge eines Segmentes bleibt zunächst undefiniert. Was hat es nun mit der diegetischen Zeit auf sich? Die diegetische Zeit dieT(B,T) einer einzelnen Einstellung T sollte für den menschlichen Beobachter B ein Intervall sein. Dessen “diegetische Dauer” entspricht bei einer treuen Abbildung (kein Zeitraffer, keine Zeitlupe) der layoutierten Länge der Einstellung l(T), was wir für das Weitere (soweit ich sehe: o.B.d.A.) auch annehmen. Um die diegetischen Zeitverhältnisse zwischen mehreren Einstellungen zu beschreiben, benutzen wir die Allen’sche Zeitlogik, insbesondere in der in Allen, Hayes (1985) publizierten Fassung. Es sind die folgenden Fälle zu diskutieren: 1. diegetisches Aufeinanderfolgen “ohne Lücken” (wie in einer Szene); 2. diegetisches Aufeinanderfolgen “mit Lücken” (wie in einer Sequenz); 3. diegetische Gleichzeitigkeit/ Kopräsenz; 4. diegetische Überlappung; 5. kein zeitliches Verhältnis zueinander. (ad 1.) Wird von einem Beobachter B einer Beobachtermenge B keine Lücke zwischen zwei Einstellungen in einem Segment S=(T1, T2) konzeptionalisiert, schließt für ihn dieT(B,T2) nahtlos an dieT(B,T1) an. Dann wird er unabhängig von der räumlichen Einheit des Dargestellten die diegetische Zeit des Segmentes S = (T1, T2) als eine “Summe” der Längen von dieT(B,T1) und dieT(B,T2 ) behandeln, deren Wert l(T1) + l(T2) entspricht. Wenn wir für den “nahtlosen Anschluss” mit Allen, Hayes (1985) als diegetische Basisrelation MEETS annehmen und “dieT(B,T1) MEETS dieT(B,T2)” schreiben, so ergibt sich: dieT(B,T1) MEETS dieT(B,T2) dieT(B,S)= l(T1) + l(T2). Damit definieren wir für einer Beobachtermenge B die temporale Relation “meets B ” auf M D x M D : (16) Es gilt meets B (T1,T2) gdw. dieT(B,T1) MEETS dieT(B,T2) für alle B B. (ad 2.) Wenn ein Beobachter B B eine Lücke zwischen zwei Einstellungen T1 und T2 konzeptionalisiert, passiert diegetisch etwas zwischen den Einstellungen. Er wird dieT(B,T1) als “BEFORE” (oder invers “AFTER”) dieT(B,T2) liegend konzeptionalisieren und die diegetische Zeit von S = (T1, T2) als “Summe” von l(T1), l(T2) und einer diegetischen Länge diz12 eines Zwischenintervalls IZ12, in der diegetische Zeit wirklich verbraucht wird, behandeln. Es gilt im weiteren zunächst: Karl-Heinrich Schmidt 226 BEFORE(dieT(B,T1), dieT(B,T2)) gdw. IZ 12 DieTime mit diz12 > 0 und dieT(B,T1) MEETS IZ 12 MEETS dieT(B,T2); AFTER(dieT(B,T1), dieT(B,T2)) gdw. IZ 12 DieTime mit diz12 > 0 und dieT(B,T2) MEETS IZ 12 MEETS dieT(B,T1). BEFORE und AFTER sind im weiteren die beiden einzigen zeitlichen Relationen auf DieTime, die Lücken lassen. Wir benutzen für eine Beobachtermenge B die entsprechenden temporalen Relationen “before B ” und “after B ” auf M D x M D : (17) before B (T1, T2) gdw. BEFORE(dieT(B,T1), dieT(B,T2)) für alle B B, after B (T1, T2) gdw. AFTER(dieT(B,T1), dieT(B,T2)) für alle B B. Es ist offenbar dieT(B,S)= l(T1) + l(T2) + diz12 > l(T1) + l(T2), B B. (ad 3.) Wenn von einem Beobachter B B für ein S = (T1, T2) diegetische Kopräsenz angenommen wird, gibt es grundsätzlich für I = dieT(B,T 1 ) und J = dieT(B,T 2 ) die folgenden vier Möglichkeiten, diegetisch kopräsent zu sein: (i) “Gleichzeitig” im strikten Sinne (Allen’sch gesprochen “EQUAL(I,J)”), graphisch I: ————— J: ————— . Für EQUAL(I,J) muss B geeignete diegetische “Davor” und “Danach” konzeptionalisieren mit: Davor MEETS I MEETS Danach & Davor MEETS J MEETS Danach. Es gilt im weiteren für die temporale Relation “equal B ” auf M D x M D für eine Beobachtermenge B: (18) equal B (T1, T2) gdw. EQUAL(dieT(B,T1), dieT(B,T2)) für alle B B. Für für alle B B sollten bei equal B (T1, T2) die Abspielzeiten l(T1) und l(T2) in einem Imaging gleich lang sein. (ii) “Gleichzeitig” in dem Sinne, dass I o.B.d.A. in J echt enthalten ist: “STARTS(I,J)”, graphisch I: ——— J: —————, “DURING(I,J)”, graphisch I: ——— J: —————, “FINISHES(I,J)”, graphisch I: ——— J: —————. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 227 Für STARTS(I,J) muss ein Beobachter B geeignete diegetische “Davor”, “Danach1” und “Danach2” konzeptionalisieren mit: Davor MEETS I MEETS Danach1 MEETS Danach2 & Davor MEETS J MEETS Danach2. Es gilt im weiteren für die temporale Relation “starts” auf M D x M D für eine Beobachtermenge B: (19) starts B (T1, T2) gdw. STARTS(dieT(B,T1), dieT(B,T2)) für alle B B. Für DURING(I,J) muss ein Beobachter B geeignete diegetische “Davor1”, “Davor2”, “Danach1” und “Danach2” konzeptionalisieren mit: Davor1 MEETS Davor2 MEETS I MEETS Danach1 MEETS Danach2 & Davor1 MEETS J MEETS Danach2; Es gilt im weiteren für die temporale Relation “during B ” auf M D x M D für eine Beobachtermenge B: (20) during B (T1, T2) gdw. DURING(dieT(B, T1), dieT(B, T2)) für alle B B. Für FINISHES(I,J) muss ein Beobachter geeignete diegetische “Davor1”, “Davor2” und “Danach” konzeptionalisieren mit: Davor1 MEETS Davor2 MEETS I MEETS Danach & Davor2 MEETS J MEETS Danach. Es gilt im Weiteren für die temporale Relation “finishes B ” auf M D x M D : (21) finishes B (T1, T2) gdw. FINISHES(dieT(B, T1), dieT(B, T2)) für alle B B. Es gilt ferner im Weiteren für die temporale Relation “contains B ” auf M D x M D : (22) contains B (T1,T2) gdw. equal B (T1, T2) oder starts B (T1, T2) oder during B (T1, T2) oder finishes B (T1, T2). Falls contains B (T1,T2) gilt, aber equal B (T1, T2) nicht gilt, muss die von B B beobachtete “normale” Abspielzeit l(T1) kürzer als l(T2) sein. Für die diegetische Zeit von S=(T1, T2) gilt dann: dieT(B, S) < max{dieT(B,T1), dieT(B,T2)}= max{l(T1), l(T2)}, B B. (ad 4.) Wenn von einem Beobachter B für ein S = (T1, T2) eine Überlappung diegetischer Zeiten angenomen wird, gibt es auch einen Bereich der Kopräsenz sowie eine diegetische Teilzeit einer Einstellung, die “vorangeht”, und eine diegetische Teilzeit der anderen Einstellung, die “folgt”: dieT(B,T1): ————— dieT(B,T2): —————. Karl-Heinrich Schmidt 228 Für OVERLAPS(I,J) muss ein Beobachter B für I = dieT(B,T1) und J = dieT(B,T2) und geeignete diegetische “Davor1”, “Davor2”, “Danach1”, “Danach2” sowie “Gemeinsam” konzeptionalisieren mit: Davor1 MEETS I MEETS Danach1 MEETS Danach2 & Davor1 MEETS Davor2 MEETS J MEETS Danach2 & Davor2 MEETS Gemeinsam MEETS Danach1 Es gelte im weiteren für die temporale Relation “overlaps” auf M D x M D : (23) overlaps B (T1, T2) gdw. OVERLAPS(dieT(B,T1), dieT(B,T2)) für alle B B. Die Länge der beiden Einstellungen l(T1) und l(T2) liefert die folgende Abschätzung für die diegetische Zeit “dieT(S)”: max{dieT(B,T1), dieT(B,T2)} < dieT(B,S) < l(T1) + l(T2), B B. (ad 5.) Der letzte Fall fällt nicht in den Bereich einer chronologischen Syntagmatik. Für ihn müssen in einem Dokument mehrere zeitliche Zusammenhangskomponenten vorgesehen werden. Praktisch kann man sich das so vorstellen, dass man ein Dokument in mehrere chronologische Teildokumente zerlegt, für die dann die ersten vier Fälle diskutiert werden müssen. Dazu ist nun noch festzulegen, was eine chronologisches Dokument ist 12 . Unsere obige Streitgeschichte kann von einem geeigneten Beobachter offenbar problemlos als ein chronologisches Dokument aufgefasst werden: dieT(B,S1'): dieT(B,S2'): Für je zwei Einstellungen T und T' der acht in der Reihenfolge der Nummerierung montierten Einstellungen existiert eine zeitliche Relation B {meets B , before B , contains B , overlaps B } mit B (T,T') oder B (T',T). Wir definieren allgemein: (24) Ein Teilbaum T der logischen Struktur eines cinematographischen Dokuments heißt für eine Beobachtermenge B chronologisch oder B-chronologisch, wenn für die zugehörige Menge von Einstellungen M T ={T 1 ,…T i ,…T n | 1 i n} B (T,T') oder B (T',T) mit B {meets B , before B , contains B , overlaps B } für T,T' M T gilt. 5. Deskriptivität und Kopräsenz Metz selbst führt sein “deskriptives Syntagma” (wie gesagt) wie folgt ein: “Abfolgen auf der Leinwand (entsprechen) keine diegetischen Abfolgen” Metz (1972, 175). Möller-Naß schreibt entsprechend in Möller-Naß (1986, 244): “Beim deskriptiven Syntagma entspricht die Folge Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 229 der Bilder eher einer Folge von Blicken auf Dinge, die gleichzeitig präsent sind (kopräsent), selbst aber keinen Zeitverlauf bilden (Landschaft, Teil der Landschaft usw.)” Beide, Metz und Möller-Naß, behandeln also ihr deskriptives Syntagma als chronologisches Syntagma, das keine diegetischen Abfolgen zu etablieren erlaubt; bei Möller-Naß wird sogar strenger diegetische Gleichzeitigkeit der Einstellungen eines Segmentes für eine Beobachtermenge gefordert. Mit der Begriffsbildung im letzten Kapitel können wir nun “diegetische Abfolgen” und “diegetische Gleichzeitigkeit” in den folgenden Fällen hinsichtlich ihres deskriptiven Potentials untersuchen. Wir unterscheiden vier Fälle: 1. diegetisches Aufeinanderfolgen “ohne Lücken”; 2. diegetisches Aufeinanderfolgen “mit Lücken”; 3. diegetische Gleichzeitigkeit/ Kopräsenz; 4. diegetische Überlappung. (ad 1. und 2.) Diese Situationen liegt in Szenen und Sequenzen vor 13 . Wir fassen sie auf nicht als deskriptiv auf. (ad 3.) Unsere bisherigen Überlegungen verlangen für zwei Einstellungen T und T', die nach der Metz’schen und Möller-Naß’schen Auffassung deskriptive Kandidaten sind, dass für eine Beobachtermenge B contains B (T,T') gilt. Um nun allgemein an deskriptive Syntagmen heranzukommen, muss festgelegt werden, wann mehr als zwei Einstellungen eines Segmentes als diegetisch kopräsent angesehen werden können. Liegt strikte diegetische Gleichzeitigkeit von wenigstens drei Einstellungen vor, hat dies paarweise die obigen Verhältnisse zur Folge - ggf. mit entsprechender Komplexität bei der Berechnung. Diese lässt sich für menschliche Beobachter über mehrere Einstellungen hinweg i.a. noch durchführen, wenn (z.B. bei der cinematographischen Dokumentation eines Experimentes) die Länge der Einstellungen auch aus dem Dokument ersichtlich ist (z.B. durch einen entsprechenden Kommentar) oder mit dem Abspielen des Dokumentes leicht gemessen werden kann. Ist diegetische Gleichzeitigkeit aber nicht gegeben, wird ein menschliche Beobachter B bei mehr als zwei Einstellungen großzügiger. Vielleicht analysiert er noch bei drei Einstellungen ihr zeitliches Verhältnis paarweise zueinander und bewertet dann die Kopräsenz der drei gegebenen Einstellungen im obigen Sinne. Aber bei mehr als drei Einstellungen geht er oft wie folgt vor: Die mit den Einstellungen T 1 , T 2 ,…, T n eines Segmentes S gegebenen diegetischen Zeiten werden in der Weise als gleichzeitig konzeptionalisiert, dass von B ein zeitlicher Container “dieConT(B)” angenommen wird, “innerhalb dessen alles geschieht” ohne genaue Analyse der Verteilung der diegetischen Einzelzeiten. Geeigneter Kandidat für die Modellierung von “dieConT(B)” ist der Join aller beteiligten dieT(B,T ), 1 n, Wenn wir zwei Intervalle I und J in DieTime haben, für die weder BEFORE(I,J) noch AFTER(I,J) gilt, können wir den Join von I und J bilden; dies sei das kleinste Intervall K aus DieTime, das I und J enthält: (25) K=JOIN(I,J) -BEFORE(I,J) -AFTER(I,J) K' [interval(K') start(K') start(I) start(K') start(J) end(K') end(I) end(K') end(J) start(K') start(K) end(K') end(K))] Karl-Heinrich Schmidt 230 Der Join JOIN(I 1 , I 2 ,…, I n ), n > 2 für mehr als zwei Intervalle ist hier dann definiert, wenn sich die Intervalle so anordnen lassen, dass für I 1 , I 2 ,…, I n der JOIN(I 1 ,…,I , I +1 )= JOIN(JOIN(I 1 ,…,I ),I +1 ) für 1 n-1 existiert. Wir schreiben JOIN 1 n I = JOIN(JOIN(I 1 ,I 2 ,…,I n-1 ),I n ) für n > 2. Wegen JOIN(I, I) = I können wir schreiben: (26) JOIN 1 n I = JOIN(JOIN(I 1 ,…,I n-1 ), I n ) für n > 1. Wenn nun für kein T , 1 n, dieT(B,T ) in DieTime “vor allen andern” oder “hinter allen anderen” liegt, dann liegt alles beieinander und ist potentiell deskriptiv. Es gebe also für einen Beobachter B kein T mit AFTER(dieT(B,T ), dieT(B,T µ )) oder AFTER(dieT(B,T ), dieT(B,T µ )) für alle µ .,1 ,µ n, B B. Wenn wir ferner den Join aller beteiligten Intervalle bilden können, kann man minimal JOIN 1 n dieT(B,T ) = dieConT(B) verlangen. Ein solcher (hier möglichst kleiner) Container wird von menschlichen Beobachtern B den Einstellungen T1,T2,…,Tn statt der jeweiligen diegetischen Zeit dieT(B,T ),1 n als minimale diegetische Zeit zugeordnet. Für den strikten Fall ändert sich dann nichts; ansonsten erfolgt auf diese Weise eine “strikte” Interpretation, die eine Containerlösung “eigentlich” komplexer zeitlicher Verhältnisse dadurch zur Folge hat, dass für eine solche Menge von Einstellungen keine zeitliche Binnenstruktur mehr angenommen wird. Dies entspricht auch den Auffassungen von Metz und Möller-Naß. Man kann also (notwendig) verlangen, dass ein deskriptives Syntagma für einen Beobachter B die Bildung eines Zeitcontainers dieConT(B) wie angegeben erlaubt, in dem kein “Ereignis-Fortschritt passiert”. Betrachtet man einen klassischen Film, so ist eine metaphorische Beschreibung dieses Sachverhalts, dass in einem solchen deskriptiven Teil ein Erzählfluss “verweilt”, wenn vorher eine Geschichte (mit Ereignisfortschritt) erzählt wurde, oder dieser sich aus einer Deskription “herausentwickelt”, wenn deskriptiv begonnen wurde; insbesondere gibt es keinen Fortschritt einer Handlung über mehrere Einstellungen hinweg. Auf jeden Fall sind alle hier behandelten diegetischen Zeitverhältnisse “potentiell deskriptiv”. Es sind aber weitere Kriterien beizubringen, um diese Verhältnisse auch tatsächlich als deskriptiv auszuzeichnen. Dies zeigt auch der vierte und letzte Fall chronologischer Zeitverhältnisse zwischen mehreren Einstellungen. (ad 4.) Auch dieser Fall ist noch für mehr als zwei Einstellungen zu diskutieren und hinsichtlich potentieller Deskriptivität abzuklopfen. Sei eine echte Kaskade von diegetischen Zeiten für Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n gegeben: dieT(B,T 1 ): ————— dieT(B,T 2 ): ————— dieT(B,T 3 ): ————— … dieT(B,T n-1 ): ————— dieT(B,T n ): ————— Dabei sei so kaskadiert, dass die “letzte” diegetische Zeit dieT(B,T n ) nicht aus dieT(B,T 1 ) “herausrutscht”. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 231 Einerseits gibt es dann paarweise diegetische Kopräsenzen: Für jedes Paar (T i ,T j ), 1 i,j n, i j, kann stets einen kopräsenter Bereich strikter Gleichzeitigkeit und ein “Davor” und ein “Danach” angegeben werden: I=dieT(B,Ti): ————— — ———— J=dieT(B,Tj): ————— — Darüber hinaus existiert der Join aller diegetischen Zeiten JOIN 1 n dieT(B,T ), so dass man wieder einen Zeitcontainer dieConT(B) für einen Beobachter B bilden könnte. Andererseits würde man im gesamten Segment mit jeder Einstellung einen zeitlichen Fortschritt in der diegetischen Welt zeigen können: Damit kann diese Zeitstruktur auch die temporalen Anforderungen an Szenen erfüllen, wenn es gelingt, für das layoutierte Segment S= (T1,T2,…,Tn) die Homomorphiebedingung zu erfüllen. Wenn dann auch die anderen (nicht temporalen) Eigenschaften erfüllt sind, liegt eine Szene vor. Diese fassen wir auf Segmentebene sicher nicht als deskriptiv auf. Damit stellt sich die Frage nach dem deskriptiven Potential der basal narrativen Syntagmen der Szene und der Sequenz. Können diese vielleicht deskriptiv so umformuliert werden, dass wir von diesen Syntagmen Kriterien für eine syntagmatische Zusammenfassung deskriptiver Einstellungsmengen erben können? 6. Szenische Deskriptionen Deskriptive Sequenzen kann es nach unseren bisherigen Definitionen nicht geben, da in Sequenzen Kopräsenz ausgeschlossen ist. Sind also wenigstens deskriptive Szenen vorstellbar? Betrachten wir zunächst noch einmal, was es überhaupt heißt, dass eine Beobachtermenge B eine Menge von Einstellungen grundsätzlich als szenisch aggregiert einstuft: (27) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist syntagmatisch für eine Beobachtermenge B eine Szene, wenn 1. dem Teilbaum mindestens zwei Einstellungen als content portions zugeordnet sind, 2. die Vereinigung aller diegetischen Räume dieS(B,T ), 1 n, der dem Teilbaum zugeordneten Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n von allen B B als zusammenhängend konzeptionalisiert werden kann, 3. die Vereinigung der den Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n zugeordneten diegetischen Zeiten dieT(B,T ), 1 n, von allen B B als zusammenhängend konzeptionalisiert werden kann, 4. ein Layoutprozess existiert, so dass die durch ihn erzeugte Reihenfolge der Einstellungen und der diegetische Ablauf von allen B B als homomorph etabliert werden kann, 5. in D keine weitere Einstellung, die die 2.,3. und 4. Anforderung erfüllt, einem basalen narrativen Syntagma außerhalb des Teilbaums zugeordnet ist. Karl-Heinrich Schmidt 232 Eine deskriptive “Bearbeitung” dieser Definition muss so erfolgen, dass alle Einstellungen nur als zusammengestellte kopräsente Messungen eines räumlichen Sachverhalts betrachtet werden können, ohne eine diegetische Ordnung festzulegen. Was bleibt dann von der obigen Definition noch übrig? Die ersten 1. und 2. Anforderung bleiben auch bei einer solchen Lesart so erhalten. Auch die 3. Anforderung bleibt erhalten, wenn man im Anschluss an Abschnitt 5 verlangt, dass für ein deskriptives Syntagma notwendig von allen B B ein minimal überdeckender Zeitcontainer für die einzelnen Einstellungen konzeptionalisert werden kann. Hinsichtlich der dritten Bedingung ergibt sich also notwendig, dass die den Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n zugeordneten diegetischen Zeiten wie folgt als gleichzeitig konzeptionalisiert werden: Für die diegetischen Zeiten dieT(B, T ), 1 n, wird von jedem Beobachter B B dieConT(B) = JOIN 1 n dieT(B,T ) für T 1 ,T 2 ,…,T n angenommen. Genau dies führt aber dazu, dass die 4. Forderung überarbeitet werden muss. Der nahe liegendste Vorschlag ist, nur solche Einstellungen T1,T2,…,Tn einem deskriptiven Syntagma zuzuschlagen, die für jeden Beobachter B einer Beobachtermenge B diegetisch ohne Einschränkung im Layout untereinander vertauschbar sind (natürlich ohne irgendeine ästhetische Rücksichtnahme). Es muss also für jede Permutation P der Einstellungen eines Segmentes S mit P(S) = S' gelten: dieST(B,S) = dieST(B,S'). Genau diese Invarianz gegenüber Permutationen erlaubt es, Deskriptivität auf Einstellungsebene als Eigenschaft der logischen Struktur eines cinematographischen Dokuments und damit gleich als syntagmatische Kategorie zu betrachten. Natürlich können unterschiedlich layoutierte Reihenfolgen von Einstellungen für einen Beobachter B pragmatisch unterschiedlich komfortabel oder ästhetisch verschiedenen Ranges sein; syntagmatisch ist dies für deskriptiv zu klassifizierende Segmente aber unerheblich 14 . Die 5. Bedingung formuliert für Szenen ein implizites Maximalitätskriterium, da die Hinzunahme einer weiteren Einstellung keine Szene mehr ergibt. Hier ist nun der Fall der “deskriptiven Insel” relevant: Es ist der Fall zu untersuchen, dass sich “am Rand” einer Deskription noch narrative Elemente (etwa aus einer Szene oder Sequenz) befinden können, die in der Deskription ggf. “zum Halten kommen” oder sich aus ihr “herausentwickeln”. Dann könnte eine Einstellung deskriptiv/ narrativ fusioniert sein. Dies kann nach Definition (3) nur dann geschehen, wenn zwei verschiedene Partitionierungen vorliegen. Die Maximalitätsbedingung für Szenen und Sequenzen erzwingt es zunächst aber, dass diese deskriptiv/ narrativ fusionierten Einstellungen den narrativen Syntagmen zugeschlagen werden. Damit stellt sich die Frage, wann überhaupt deskriptive Syntagmen von einem Segment realisiert werden, die von narrativen Segmenten umgeben sind. Wir diskutieren zunächst einen “kleinen” Fall: Es gebe ein Szene S 1 = (T 11 ,T 12 ,…,T 1n ) und eine Szene S 2 = (T 21 ,T 22 ,…,T 2m ), n, m > 1. Ferner existiere eine weitere Einstellung T, die durch einen Layoutprozeß in der Mitte eines Segments (T 1n ,T,T 21 ) positioniert wird. Es sei S D,L = (T 11 ,T 12 ,…,T 1n ,T,T 21 ,T 22 ,…,T 2m ) ein Layout des Gesamtdokuments D. Denotiert T einen anderen Raum als S 1 und S 2 , handelt es sich, falls eine chronologische Interpretation von D möglich ist, nach unseren bisherigen Begriffsbildung um eine Planszene (oder eine Einfügung). Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 233 Denotiert T für alle B B mit den anderen Einstellungen in D für B einen gemeinsamen Raum, ergeben sich zwei Fälle. Da zunächst S 1 und S 2 ihrerseits schon jeweils ihre Maximalitätsbedingung erfüllen, können beide nicht über T zu einer umfassenden Szene integriert werden. Da sie aber mit T einen gemeinsamen Raum denotieren, kann immerhin noch eine Sequenz vorliegen (mit S 1 und S 2 als in dieser Sequenz enthaltene Szenen). Dies kann aber wiederum nur dann der Fall sein, wenn wenigstens ein Zeitsprung vor oder nach T liegt. Weil T aufgrund der Maximalitätsbedingung für Szenen weder von S 1 noch S 2 “szenisch geschluckt” werden kann, müssen zwei Verletzungen des zeitlichen Zusammenhangs vor und nach T vorliegen. Es sind damit die folgenden beiden chronologischen Fälle möglich: Fall 1: Es gibt eine Reihenfolge der Einstellungen in D, so dass diese und der zeitliche Ablauf im Urbild von allen B B als homomorph etabliert werden kann. Dann muss sowohl vor als auch nach T ein Zeitsprung konzeptionalisiert werden, da sonst (T,T 11 ,T 12 ,…,T 1n ) oder (T,T 21 , T 22 ,…,T 2m ) eine Szene wäre. Insgesamt liegt in S notwendig eine Sequenz mit zwei Zeitsprüngen vor und nach T vor. Dieser Fall tritt in der folgenden Skizze ein: In S 1 sei ein Teil einer zusammenhängenden, morgendlichen Landschaft, in S 2 ein zusammenhängender Teil einer anderen, abendlichen Landschaft szenisch repräsentiert; in T werden mit einem Schenk diesen beiden Zusammenhänge für alle B B erkennbar räumlich verbunden werden - und zwar so, dass “vor T” und “nach T” erkennbar zeitliche Lücken gegeben sind (z.B. durch eine Aufnahme zur Mittagszeit). Fall 2: Keine durch einen Layoutprozess erzeugte Reihenfolge der Einstellungen in D und der zeitliche Ablauf im Urbild kann von B B als homomorph etabliert werden. Dann ist D keinesfalls sequentiell. Da D aber nach Voraussetzung chronologisch ist, kann T nur eine autonome Einstellung (cf. Schmidt, Strauch 2002) sein mit einer diegetischen Zeit, die eine Anordnung verhindert etwa dadurch, dass dieT(B,T), B B enthalten ist in der diegetischen Zeit einer Einstellung aus S 1 oder S 2 . Beide Fälle treten (wie gesagt) nur ein, wenn D chronologisch interpretiert werden kann. Insgesamt wird eine einzelne Einstellung nur dann “narrativ geschluckt”, wenn sie sich in einer “anderen” Sequenz unterbringen lässt und dazu einen Raum denotiert, der im restlichen Dokument auch “vorkommt”; ansonsten handelt es sich um eine autonome Einstellung. Soweit zur Diskussion eines “kleinen Falles”. Als nächst größeren Fall, der uns nun wirklich zu deskriptiven Syntagmen führt, behandeln wir das folgende Setting: Es gebe wieder ein Szene S 1 = (T 11 ,T 12 ,…,T 1n ) und eine Szene S 2 = (T 21 ,T 22 ,…,T 2m ), n,m > 1; ferner gebe es zwei (! ) weitere Einstellungen T und T', die durch einen Layoutprozeß in der “Mitte” eines Segments (T 1n ,T,T',T 21 ) positioniert werden und einen zusammenhängenden Raum denotieren. Ferner sei für dieT(B,T) und dieT(B,T') für alle Beoabachter B B die strenge Gleichzeitigkeitsbedingung “equal B (dieT(B,T), dieT(B,T'))” aus Abschnitt 5 gegeben. Für keinen Beobachter B sei eine homomorphe Abbildung von (T 1n ,T,T',T 21 ) auf einen diegetischen Ablauf möglich. Unabhängig davon, ob das Zwischenstück (T,T') mit S 1 und S 2 einen gemeinsamen Raum denotiert, sind in dem Segment (T 1n ,T',T,T 21 ) für das Teilsegment (T,T') die Bedingungen an eine Sequenz nicht erfüllt. Insbesondere werden diese Einstellungen nicht narrativ “ge- Karl-Heinrich Schmidt 234 schluckt”. Da (T, T') einen gemeinsamen Raum denotiert und die Einstellungen kopräsent sind, muss (T,T') als Realisation eines minimalen deskriptiven Syntagmas aufgefaßt werden. Für den allgemeinen Fall mit beliebig vielen, aber mindestens zwei Einstellungen ergibt sich damit: (28) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist syntagmatisch für eine Beobachtermenge B eine szenische Deskription oder szenisch deskriptiv, wenn 1. dem Teilbaum mindestens zwei Einstellungen als content portions zugeordnet sind, 2. die Vereinigung der den Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n zugeordneten diegetischen Räume die S(B,T ), 1 n von allen B B als zusammenhängend konzeptionalisiert werden kann, 3. die den Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n zugeordneten diegetischen Zeiten dieT(B,T ), 1 n, in der Weise als gleichzeitig von allen B B konzeptionalisiert werden, dass für jeden Beobachter B B dieConT(B) = JOIN 1 n dieT(B,T ) existiert, 4. von allen Beobachtern B B und für alle , 1 n dieT(B,T ) = dieConT(B) angenommen werden kann; 5. jedes Layout der Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n den diegetischen Raum und die diegetische Zeit invariant lässt, 6. in D keine weitere Einstellung, die mit T 1 ,T 2 ,…,T n die 2., 3., 4. und 5. Anforderung erfüllt und keiner Szene oder Sequenz zugeordnet ist, einem basalen logischen Objekt außerhalb des Teilbaums zugeordnet ist. Eine szenische Deskription ist natürlicher Bestandteil einer großen Syntagmatik des Films. Hier kommen die einzelnen Filmbilder zu Ehren: Sie müssen als Ganzes (räumlich) zusammen passen - es geht nicht nur um irgendwelche (ggf. salienten) Teile. Entsprechend verlangt die szenische Deskription vom Beobachter lediglich, Kriterien des räumlichen Passens zur Klassifikation einer Menge von Einstellungen bei Annahme von Gleichzeitigkeit anwenden zu können. Allein die 6. Bedingung enthält ein Zugeständnis an die Geschichtenfixierung des menschlichen Beobachters: Sie formuliert Maximalität der szenischen Deskription nach Herausnahme solcher Einstellungen, die sich szenisch oder sequentiell anderswo unterbringen lassen. Diese Herausnahme ist hier deshalb erforderlich, weil wir für Narrationen eine größere innersegmentäre Bindung annehmen. 7. Perzeptive Deskriptionen Kann nun eine Menge von Einstellungen deskriptiv sein, ohne für eine Beobachtermenge B eine szenische Deskription zu sein? Nach unseren bisherigen Definitionen liegen dann einfach nur mehrere Planszenen 15 vor. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 235 Der menschliche Beobachter kann mehrere Einstellungen trotz fehlenden räumlichen Zusammenhangs als gemeinsam deskriptiv auffassen: z.B. bei der “vorzeigenden” filmischen Einführung einer größeren Landschaft, in der alle Einstellungen paarweise verschiedene Raumgebiete denotieren und die zeitliche Diegese der Einstellungen bei geeigneter Granularisierung als kopräsent aufgefasst werden kann. Es stellt sich also die Frage, ob es andere, nicht räumliche Gemeinsamkeiten von Einstellungen gibt (über ihre von Beobachtern angenommene Gleichzeitigkeit hinaus), die es erlauben, eine Menge von Einstellungen als deskriptiv auszuzeichnen. Will man in diesem Sinne ein Segment S = (T 1 ,T 2 ,…,T n ) mit mindestens zwei Einstellungen als gemeinsam “nichtszenisch” deskriptiv auffassen, müssen sich die räumlichen Zusammenhangsbedingungen für szenische Deskriptionen ersetzen lassen durch andere Zusammenhangsbedingungen, die für B B “deskriptiv funktionieren”. Wir prüfen also, ob die 2. Bedingung der obigen Definition variiert werden kann. Um die restlichen Bedingungen der szenischen Deskription unabhängig von der 2. Bedingung und der Maximalitätsanforderung in der 6. Bedingung benutzen zu können, definieren wir zunächst: (29) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist für eine Beobachtermenge B kopräsent permutierbar, wenn 1. dem Teilbaum mindestens zwei Einstellungen als content portions zugeordnet sind, 2. die den Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n zugeordneten diegetischen Zeiten dieT(B,T ), 2 n, in der Weise als gleichzeitig von allen B B konzeptionalisiert werden, dass damit für alle Beobachter B B dieConT(B) = JOIN 1 n dieT(B,T ) existiert, 3. von allen Beobachtern B B und für alle , 1 n angenommen werden kann: dieT(B,T ) = dieConT(B), 4. jedes Layout der Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n den diegetischen Raum und die diegetische Zeit invariant lässt. Um die raumzeitlichen Kontextuierungsleistung der Beobachter in der szenischen Deskription zu ersetzen, kann von einem Beobachter B B ein geeigneter Perzeptor P angenommen werden, dem die einzelnen Einstellungen als zu seinen visuellen Erfahrungen gehörig zugeschrieben werden. Die Plausibilität einer solchen Annahme beruht auf dem “perzeptiven Naturalismus” des Films: Die einzelnen Einstellungen können für menschliche Beobachter als Repräsentationen einer veridikalen visuellen Erfahrung eines geeigneten Perzeptors gelten. Sie repräsentieren ihren so genannten äußeren Inhalt 16 . Was ist ein geeigneter Perzeptor? Wenn ein Perzeptor P die in den Einstellungen repräsentierten Inhalte bloß wahrnimmt (wie etwa bei den Aufzeichnungen einer mobilen Kamera, die selbständig eine Einteilung ihrer Einstellungen anlegen und archivieren kann), ist die Klassifikation eines nichtszenischen Segmentes, dessen Einstellungen sich auch nicht teilweise in Szenen einbetten lassen, als eine Menge von Planszenen (s.o.) vollkommen adäquat: Verschiedene raumzeitliche Sachverhalte werden gemessen und gespeichert. Karl-Heinrich Schmidt 236 Dies ändert sich, wenn angenommen werden kann, dass für P über das bloße Wahrnehmen hinaus ein “Sehen” zunächst im folgenden Sinne grundsätzlich möglich ist: “Was das Sehen im Gegensatz zum bloßen Wahrnehmen ausmacht, ist die Individuation und Konzeptualisierung von (Aspekten der) wahrgenommenen Szene - das heißt die Durchführung einer Analog-Digital-Wandlung” (Devlin (1993), p. 235). Damit wird aus dem perzeptiven Agenten ein kognitiver Agent (cf. Devlin (1993), p. 34). Einem kognitiven Agenten P mit Perzeptionsfähigkeiten schreiben wir im weiteren Einstellungen eines Segmentes als “von P gesehen” (und nicht nur wahrgenommen) zu, wenn er sie wahrgenommen hat und sie selbst in einen raumzeitlichen Zusammenhang einbetten kann. Dieser Fall begegnet uns im täglichen Leben, wenn wir ein Photoalbum einer photographisch dokumentierten Reise gezeigt bekommen und der Photograph uns die räumlichen Umstände der Aufnahmen erklärt; oder wenn uns ein Radiologe den räumlichen Zusammenhang mehrerer Bildgebungen unseres problematischen Rückens erklärt (“Sie sehen eine seitliche und eine frontale Ansicht ihres desaströsen Rückens ….”). - Ein klassisches Beispiel für einen künstlichen kognitiven Perzeptor ist “Mercator”: ein mobiles Device, das sich in einer Bürolandschaft bewegt, einzelne Raumteile misst, weiterverarbeitet und die Ergebnisse in einen (von ihm autonom aufgrund der neuen Daten aufdatierten) Atlas der Bürolandschaft einordnet (cf. Davis (1990, p. 274ff)). Das Beispiel eines künstlichen Systems wie Mercator motiviert die Anforderungen, die an einen geeigneten Perzeptor P gestellt werden müssen: 1. die von P in einen raumzeitlichen Zusammenhang gebrachten Einstellungen müssen als (gemessenene) Repräsentationen raumzeitlicher Sachverhalte raumzeitlich treu sein; 2. die raumzeitliche Kontextuierungsleistung von P muss vom Beobachter als korrekt durchgeführt akzeptierbar sein. Die erste Anforderung wurde im Abschnitt 3 behandelt. Bei der zweiten Anforderung könnte ein künstliches System wie Mercator für die Konstruktion seines Atlanten ein zunächst unverständliches, vielleicht sogar “wirr” erscheinendes geometrisches Vorgehen zeigen. Bei Mercator könnten wir als Beobachter dann ggf. in Programme hineinsehen und entscheiden, ob wir sein Treiben akzeptieren oder nicht. Das ist bei allen filmischen Narratoren wenigstens unwahrscheinlich, bei vielen speziellen Narratoren wie intradiegetischen Fokalisierern sogar unmöglich. Was wir aber in Analogie zu unseren Anforderungen an Mercator von P verlangen können, ist die Zuschreibung “epistemischer Neutralität” bei der Einbettung der einzelnen Einstellungen in einen räumlichen Zusammenhang 17 . In diesem Sinne sehen wir hier ein einzelnes Messdatum dann von einem Perzeptor als epistemisch neutral verwendet an, wenn nur die Attibute, die es misst, ausgewertet werden (cf. Schmidt (1999), insb. Kapitel 3). Bei technischen Messungen wie einer Temperaturmessung ist dies zum Beispiel bei einer Messreihe einer Körpertemperatur durch ein Thermometer die jeweilige Höhe der Temperatur - und nicht die mit zusätzlichem medizinischem Beobachterwissen erschlossene Erkrankung eines Menschen; bei einer Zählung des Pulsschlags ist es die Anzahl der Schläge pro Zeiteinheit - und nicht die mit zusätzlichem Beobachterwissen erschlossene innere Unruhe eines Menschen. Für filmische Daten sind die hier relevanten gemessenen Attribute die raumzeitlichen Sachverhalte aus dem Urbild: Welche Sachverhalte dies im einzelnen sind, ist natürlich auch abhängig von der Definition eines cinematographischen Dokuments, z.B. bei der Festlegung der cinematographisch zulässigen Messverfahren 18 . Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 237 Betrachten wir nun drei “deskriptive” Kandidaten, die nicht szenisch integriert sind und epistemisch neutral verwendet werden sollen: 1. Auf einem Lästerabend englischer Ladies werden nach einer planszenischen Einleitung drei Einstellungen als (CamCorder-)Perzepte mit P=LadyRosa als intradiegetischem Perzeptor gezeigt: “Mein früherer Liebhaber John in seinem Garten im August”, “Mein früherer Liebhaber Peter in seinem Garten im August”, “Mein früherer Liebhaber Harry in seinem Garten im August”; 2. In einer radiologischen Praxis werden drei sich nicht überlappende, dreidimensionale CT- Messdatensätze entlang je einer Trajektorie gezeigt. Ein Radiologe erklärt: “Dies sind drei in einer Messung aufgenommene CT-Datensätze ihres Rückens im Abstand von 2 cm von diesem Punkt aufwärts” (der Arzt drückt auf einen Punkt an meinem Rücken und gibt weitere Erklärungen). 3. In einem TV-Reisejournal werden drei Einstellungen gezeigt: “Charakteristische Ansichten des sommerlichen St. Petersburg”, “Charakteristische Ansichten des sommerlichen Moskau”, “Charakteristische Ansichten des sommerlichen Wladiwostok”; Der 1. Fall besteht zunächst aus Planszenen, wenn die LadyRosa besuchenden Damen B nicht wissen, wo John, Peter und Harry wohnen. Gelingt es LadyRosa in ihrer Einleitung, die tatsächlichen räumlichen Verhältnisse der drei Wohnorte hinreichend korrekt mitzuteilen und ist die Zeit so granuliert, dass monatsweise diegetische Gleichzeitigkeit herrscht, kann für alle B B {LadyRosa}eine Deskription von “Drei Herrengärten am 1. August in einem Vorort von London” vorliegen. Im 2. Fall könnte man (als Nichtmediziner) ohne die räumliche Kontextuierungsinformation des Arztes mit den drei Einstellungen vermutlich nicht viel anfangen. Man wäre als Nichtmediziner auf jeden Fall nicht im Stande, sie syntagmatisch anders als als Planszenen zu behandeln. Die den inhaltlichen Zusammenhang liefernden Kontextuierungsleistungen erfolgen hier durch einen Narrator außerhalb des Dokuments. Der 3. Fall ist hinsichtlich der Kontextuierungsleistung noch einmal anders gelagert: P und B können sich hier bei genügender geographischer Kenntnis auf ein gemeinsames common knowledge beziehen (das tun sie i.a. implizit). Wenn P und B dieselben charakteristischen Merkmale den drei russischen Städten zuordnen, kann für B eine Deskription der drei sommerlichen russischen Städte vorliegen, wenn die Granulierung der diegetischen Zeit alles Sommerliche diegetisch kopräsent macht. Insbesondere unterscheidet sich dieser Fall von den beiden vorangehenden dadurch, dass B selbst als verlässlicher Perzeptor fungieren kann, also P=B gelten kann. Dazu muss B mittels positiver Introspektion nur glauben, dass er über genügend raumzeitliches Wissen verfügt. Es ergibt sich: Wenn ein Beobachter B annehmen kann, dass ein Perzeptor P alle Einstellungen eines Segmentes S = (T 1 ,T 2 ,…,T n ) in der skizzierten Weise epistemisch neutral in einen raumzeitlichen Zusammenhang integrieren kann, dann konstituiert dies bei angenommener diegetischer Kopräsenz der Einstellungen einen deskriptiven Zusammenhang: Die Einzeleinstellungen, die von B ggf. nicht raumzeitlich integriert werden können, werden von B B als “durch P raumzeitlich verlässlich integrierbar” angenommen - in S sieht B gemessene Ausschnitte einer von P verlässlich konzeptionalisierten Raumzeit, von der einige Perzepte gezeigt werden. Für den Perzeptor P muss die Beobachtermenge B ein Argument aus der Autorität (cf. Salmon (1983, p. 184ff)) anwenden. Das Argument aus der Autorität ist eine induktive Karl-Heinrich Schmidt 238 Argumentform 19 , die voraussetzt, dass eine Autorität vertrauenswürdig ist und über den Gegenstand in einem festgelegten Sinne Bescheid weiß. Dies führt zur folgenden Argumentform: P ist bezüglich p eine verlässliche Autorität P behauptet, dass p ————————— p. Diese Argumentform ist nicht deduktiv gültig, da die Prämissen wahr sein können und die Konklusion falsch sein kann; induktiv ist sie aber bei nicht missbräuchlicher Verwendungsweise korrekt 20 . Es ergibt sich: (30) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist für eine Beobachtermenge B eine perzeptive Deskription oder perzeptiv deskriptiv, wenn 1. er für B kopräsent permutierbar ist, 2. für alle B B das Raumurbild aller zugehörigen Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n von einem Perzeptor P für alle B B als verlässliche Autorität in einen räumlichen Zusammenhang eingebettet werden kann. 3. in D keine weitere Einstellung, die gemeinsam mit T 1 ,T 2 ,…,T n die 1. und 2. Anforderung erfüllt und keiner Szene oder Sequenz zugeordnet ist, einem basalen logischen Objekt außerhalb des Teilbaums zugeordnet ist. In diesem Sinne können einzelne räumlich unzusammenhängende Darstellungen einer Landschaft in einem Segment S = (T 1 ,T 2 ,…,T n ) für eine Beobachtermenge B als deskriptiv gelten - so wie Möller-Naß es beschreibt (s.o. in Abschnitt 5). S ist insbesondere dann als Segment deskriptiv, wenn für alle B B der Perzeptor P intradiegetisch als Fokalisierer in der Weise funktioniert, dass er einen raumzeitlichen Zusammenhang zwischen den Einstellungen im Dokument erzeugt und sich ansonsten “epistemisch neutral” verhält. In konventionellen filmischen Dokumentationen wird P häufig mit dem “historischen Autor” Genüge getan und dessen angenommene Kenntnis einer Örtlichkeit aus einer Aufnahmesituation heraus genügt vielen B zur Annahme der gemeinsamen Deskription von S. In der Anwendung auf ein Segment S eines cinematographischen Dokumentes D kann P B gelten, wie wir im 2. und 3. Fall gesehen haben. Ist B ={B, P} und B P, wird B von P als Narrator dritter Person ein raumzeitlicher Sachverhalt verlässlich gezeigt (wie im obigen Fall 2). Eine typische Situation für P=B B={B} ist ein individuelles Schwelgen eines Narrators erster Person in eigenen Videoerinnerungen. Falls schließlich ein Segment S mit Einstellungen M S = M S' M S'‘ gegeben ist, in dem M S' einem Teilsegment S' zugeordnet ist, das eine perzeptive Deskription realisiert, und M S'' einem Teilsegment S'', das eine szenische Deskription realisiert, schlagen wir M S' M S'' . der szenischen Deskription zu, da wir räumlichen Zusammenhang in der ganzen Begriffsbildung stärker gewichten als epistemischen Zusammenhang. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 239 8. Epistemische Deskriptionen Bei der perzeptiven Deskription sind die Einstellungen Aufnahmen der Welt und repräsentieren das, was ein Perzeptor P sieht, als den äußeren Inhalt der Perzeption von P. Wie verhält es sich nun bei mentalen Zuständen wie Glauben, Beabsichtigen oder Wünschen “in” P? Könnte eine cinematographische Visualisierung des äußeren Inhaltes eines Glaubens, Beabsichtigens oder Wünschens (das, was man glaubt, beabsichtigt oder wünscht) nicht genauso zu deskriptiven Syntagmen führen? Für die genannten drei elementaren mentalen Zustände gilt das sicher nicht: Nichts von dem, was ein Narrator oder Fokalisierer F glaubt, beabsichtigt oder wünscht, muss für einen Beobachter etwas mit der sonstigen diegetischen Welt von F in einem cinematographischen Dokument zu tun haben. Grundsätzlich anders (und analog zur Perzeption) verhält es sich dagegen, wenn B annimmt, dass ein Fokalisierer F das in einem Segment S Dargestellte “weiß”. Dabei geht ein, dass Wissen kein reiner Geisteszustand (cf. Devlin p. 215ff) ist: Man kann nur Dinge wissen, die wahr sind. Das hat hier gravierende Konsequenzen: Nimmt ein Beobachter B B für einen Narrator oder Fokalisierer F in einem cinematographischen Dokument an, dass F das in S Dargestellte weiß (wie auch immer er dazu kommen mag), lässt sich B auch auf eine Denotation eines raumzeitlichen Sachverhalts in der diegetischen Welt ein, auf die F sich bezieht. Wenn B annimmt, den äußeren Inhalt eines Wissens von F in S zu sehen, kommt er nicht umhin, S zunächst als treue Abbildung raumzeitlicher Sachverhalte der diegetischen Welt von F zu akzeptieren. Die epistemische Neutralität der Perzeption macht den Kern einer allgemeineren Definition aus, die die räumlichen Zusammenhangsbedingungen für szenische Deskriptionen ersetzt durch epistemische Kontextuierungsleistungen von Narratoren: (31) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist für eine Beobachtermenge B eine epistemisch neutrale Deskription oder epistemisch neutral deskriptiv, wenn 1. er für B kopräsent permutierbar ist, 2. jeder Beobachter B B die zugehörigen Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,T n einem Fokalisierer F als äußeren Inhalt seines Wissens zuordnet, 3. in D keine weitere Einstellung, die die 1. und 2. Anforderung erfüllt und keiner Szene oder Sequenz zugeordnet ist, einem basalen logischen Objekt außerhalb des Teilbaums zugeordnet ist. Filmsyntagmatisch ist nun eine entscheidende Frage, in welcher Weise die syntaktischen Verhältnisse in einem Segment S im Rahmen einer großen Syntagmatik für das Wissen von F oder B epistemisch relevant sein können. Wird nämlich die Reihenfolge der Einstellungen so genutzt, dass z.B. auch eine Erkenntnisgeschichte von F erzählt wird, ist diese “epistemisch positiv” - im Unterschied zur obigen neutralen Deskription, deren Einstellungen ohne Einschränkung kopräsent permutierbar sind. Einer epistemisch positiven Deskription ist dagegen zusätzlich eine Repräsentation einer Erkenntnisgeschichte beigemischt. Ein Beispiel: Sei F=SherlockHolmes; dieser löse in einem Krimi einen Fall mit n Inspektionen, die sequentiell in S = (T 1 ,T 2 ,…,T n ), n 2, dargestellt seien 21 . Für geeignet ge- Karl-Heinrich Schmidt 240 wählte diegetische Zeitpunkte t , 1 n, gelte für Beobachter B einer Beobachtermenge B von S: F weiß das in T 1 Dargestellte zum Zeitpunkt t 1 , F weiß das in (T 1 ,T 2 ) Dargestellte zu einem t 1 folgenden Zeitpunkt t 2 , …, F weiß das in (T 1 ,T 2 ,…,T n ) Dargestellte zu einem t n-1 folgenden Zeitpunkt t n , n 2. Die Reihenfolge der Einstellungen des Segmentes S ist “epistemisch positiv”, da in S auch der Erwerbsprozeß des Wissens von F (in der layoutierten Reihenfolge) repräsentiert ist. Der in den Einzeleinstellungen von S repräsentierte äußere Inhalt des Wissens von F=SherlockHolmes kann sich dabei für B sehr wohl auf kopräsente raumzeitliche Sachverhalte beziehen - unabhängig davon, ob sie einem epistemischen Fokalisierer zeitlich geordnet oder ungeordnet zugeschrieben werden. Der epistemische Prozess von SherlockHolmes ist eine Sache - der äußere Inhalt seines Wissens für B eine andere: B kann die verschiedenen Repräsentationen als Inhalt des Wissens von SherlockHolmes etwa in der Umgebung eines Mordopfers als diegetisch kopräsent auffassen. Das ganze Segment kann für B also deskriptiv sein; in der speziellen Serialisierung der Einstellungen in S findet sich aber zusätzlich für B noch eine Erkenntnisgeschichte. Wir müssen hier also im Unterschied zum epistemisch neutralen Fall auch zwischen Layout und Logik in der Begriffsbildung unterscheiden. Zunächst ergibt sich: (32) Ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B epistemisch positiv (L,B)-deskriptiv, wenn 1. S unter L Bild eines kopräsent permutierbaren Teilbaums der logischen Struktur von D ist, 2. jeder Beobachter B B die zugehörigen Einstellungen T 1 ,T 2 ,…,Tn einem Fokalisierer F als äußeren Inhalt seines Wissens zuordnet, 3. die durch L erzeugte Reihenfolge der Einstellungen von allen B B für wenigstens 2 Einstellungen als Repräsentation eines epistemischen Prozesses von F angesehen werden kann. 4. in D keine weitere Einstellung, die die 1., 2. und 3. Anforderung erfüllt und keiner Szene oder Sequenz zugeordnet ist, einem basalen logischen Objekt außerhalb des Teilbaums zugeordnet ist. Sind der Layoutprozess L und die Beobachtermenge B unerheblich, reden wir abkürzend von einem epistemisch positiven Segment. Für die logische Struktur ergibt sich: (33) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist syntagmatisch für eine Beobachtermenge B epistemisch positiv layoutierbar, wenn es einen Layoutprozess L gibt, der ein zugehöriges epistemisch positives (L, B)deskriptives Segment erzeugt. Kann für einen Teilbaum unentschieden bleiben, ob er epistemisch positiv layoutierbar oder epistemisch neutral deskriptiv verwendet wird, sprechen wir von einem epistemisch des- Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 241 kriptiven Teilbaum. Ebenso abkürzend reden wir von einer epistemischen Deskription (durch einen epistemisch neutral deskriptiven oder positiv layoutierbaren Teilbaum), wenn der Teilbaum nicht eigens hervorgehoben werden muss. Falls ein Segment S mit Einstellungen M S = M S' M S'' gegeben ist, in dem M S' einem Teilsegment S' zugeordnet ist, das eine epistemische Deskription realisiert, und M S'' einem Teilsegment S'', das eine szenische Deskription realisiert, schlagen wir M S' M S'' der szenischen Deskription zu, da wir räumlichen Zusammenhang in der ganzen Begriffsbildung stärker gewichten als epistemischen Zusammenhang In einem epistemisch positiven Segment teilen sich B und F eine visuelle Repräsentation des Wissens von F in S. Wenn B und F allerdings hinsichtlich dieser gemeinsamen visuellen Basis Aussagen bilden, dann tun sie es unter Umständen auf gleiche, unter Umständen auf je spezifische Art und Weise 22 . Dafür, dass die Aussagen von F und die Aussagen von B in einem für das Verstehen des Gesamtdokuments “richtigen” Verhältnis zueinander stehen, ist ein Narrator verantwortlich. Ist zum Beispiel F=SherlockHolmes und B=LangeLeitung, wird F vielleicht sehr früh auf Basis von S eine Aussage p bilden und B nur mit (“später” im Dokument bereitgestellten) zusätzlichen Informationen ein zu p äquivalentes q bilden können. Ein Narrator des Dokuments muss also dafür sorgen, dass die Aussagen p, die F im Gesamtdokument auf S bezieht, auch von B auf S bezogen werden können. B kann oft nur mit Hilfe eines Narrators das Dokument als Ganzes “richtig” verstehen. Wir kommen damit auch bei der Analyse der epistemischen Deskription wieder in das Herz narrativer Fragestellungen: “Narration is the overall regulation and distribution of knowledge which determines how and when the spectator acquires knowledge.” (Branigan (1992, p.76)). 9. Basale Syntagmen und Fusionen Szenische, perzeptive und epistemische Deskriptionen sind basal in dem Sinne, dass sie Segmente klassifizieren, die kein anderes Segment mit mehreren Einstellungen enthalten müssen, das einem anderen Syntagma zugeordnet ist. In diesem Sinne legen wir zunächst fest: (34) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist syntagmatisch für eine Beobachtermenge B eine basale Deskription oder basal deskriptiv, wenn er von B B als szenische Deskription, perzeptive Deskription, epistemische Deskription klassifiziert wird. Szenische Deskription, perzeptive Deskription und epistemische Deskription nennen wir auch basal deskriptive Syntagmen. Im Anschluß an Schmidt (2004) definieren wir noch einmal: (35) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist syntagmatisch für eine Beobachtermenge B eine basale Narration oder basal narrativ, wenn er von B B als Planszene oder Szene oder Sequenz klassifiziert wird. Planszene, Szene und Sequenz nennen wir auch basal narrative Syntagmen. Empirisch sind an den Übergängen zwischen Narration und Deskription auf Einstellungsebene (wie oben im Abschnitt 6 gesagt) oft filmische Fusionen erwartbar: Dass auf Einstellungsebene ein klarer Schnitt zwischen Deskription und Narration erfolgt, ist vermutlich Karl-Heinrich Schmidt 242 eher selten (wir belassen es hier zur Begründung mit einem Appell an Seherfahrungen 23 ). Da aber in einer Großen Syntagmatik auf Einstellungsebene klassifiziert werden muss, haben wir bisher für eine einzelne Einstellung eine Entscheidung für erforderlich angesehen, ob sie innerhalb eines Segmentes deskriptiv oder aber - im Restdokument - als Teil einer narrativen Realisation gelten soll. Für eine technische Behandlung solcher Konfliktsituationen legen wir zunächst fest: (36) Eine Einstellung T in einem cinematographischen Dokument D heißt für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B • narrativ-deskriptiv (L,B)-fusioniert, wenn zwei Segmente S=(T 1 ,…,T) und S' = (T,…,T n ), n >0, existieren mit M S M S' ={T}, von denen S als Realisation einer Szene oder Sequenz und S' als Realisation einer basalen Deskription von allen B B klassifiziert werden kann; • deskriptiv-narrativ (L,B)-fusioniert, wenn zwei Segmente S=(T 1 ,…,T) und S'=(T,…,T n ), n >0, existieren mit M S M S' ={T}, von denen S als Realisation eines basalen Deskription und S' als Realisation einer Szene oder Sequenz von allen B B klassifiziert werden kann. Unterscheiden wir nicht den Übergang von Deskription zu Narration und umgekehrt, reden wir kurz von einer (L,B)-fusionierten Einstellung. Sind der Layoutprozess L und die Beobachtermenge B unerheblich, heißt eine solche Einstellung kurz narrativ-deskriptiv bzw. deskriptiv-narrativ fusioniert bzw. einfach nur fusioniert. (37) Ein Segment S eines Dokumentes D heißt für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B fusionsfrei, wenn es keine (L,B)-fusionierten Einstellungen T in S gibt. Bei der Klassifikation zweier in einem Layout benachbarter Segmente mit einer gemeinsamen fusionierten Einstellung kann man sich nun behelfen: Ist für eine Einstellung T am Rand eines deskriptiven Segmentes auch die Zugehörigkeit zu einem narrativen Segment für eine Beobachtermenge B diskutabel, verdoppelt man diese Einstellung in ein potentiell deskriptiv und narrativ zu lesendes Paar (T des , T narr ) bzw. (T narr , T des ), so dass man grundsätzlich einen klassifikatorischen Schnitt zwischen dieses Paar legen kann: T narr und T des können unabhängig voneinander zu Realisationen von basal narrativen oder basal deskriptiven Syntagmen geschlagen werden. Damit klassifiziert man allerdings nicht mehr das ursprüngliche Dokument, sondern ein entsprechend modifiziertes (s.u.). Jede Realisation einer basalen Deskription wird i.a. am Anfang bzw. am Ende eine fusionierte Einstellung T aufweisen. Für den Verdoppelungsvorgang wählen wir das folgende Vorgehen: Das Segment S D,L = (T 1 ,…,T,…T n ) mit allen Einstellungen des Dokumentes D ersetzen wir durch das Segment (T 1 ,…,T,T,…T n ) und behandeln dieses Segment als neues S D,L aller layoutierten Einstellungen des Dokumentes D für einen gegebenen Layoutprozeß. Es ergibt sich: (38) Eine Expansion einer (L,B)-fusionierten Einstellung T in einem cinematographischen Dokument D liegt vor, wenn bei: Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 243 1. einer narrativ-deskriptiv (L,B)-fusionierten Einstellung T mit {T}=M S M S' in D ein Segment (T,T) = (T narr , T des ) mit {T narr , T des } = {T} an die Stelle von (T) eingefügt wird. Das sich ergebende neue Segment (T 1 ,…,T narr ,T des ,…T n ) wird als neues Segment S D,L aller unter L layoutierten Einstellungen von D behandelt. Dabei gilt: Von allen B B kann S * (T narr ) als Realisation einer Szene oder Sequenz und S'* (T des ) als Realisation eines basal deskriptiven Syntagmas klassifiziert werden. 2. einer deskriptiv-narrativ (L,B)-fusionierten Einstellung T mit {T}=M S M S' in D ein Segment (T,T) = (T des , T narr ) mit {T des , T narr } = {T} an die Stelle von (T) eingefügt wird. Das sich ergebende neue Segment (T 1 ,…,T des ,T narr ,…T n ) wird als neues Segment S D,L aller layoutierten Einstellungen von D behandelt. Dabei gilt: Von allen B B kann kann S * (T des ) als Realisation eines basal deskriptiven Syntagmas und S'* (T narr ) als Realisation einer Szene oder Sequenz klassifiziert werden. Im Falle einer narrativ-deskriptiv (L,B)-fusionierten Einstellung kann man oft before B (T narr , T) annehmen für alle T M S , wobei S das folgende deskriptive Segment im Ausgangsdokument D ist. - Im Falle einer deskriptiv-narrativen (L,B)-fusionierten Expansion kann man oft after B (T, T narr ) annehmen für alle T M S' , wobei S' das folgende narrative Segment ist. Die jeweilige Einstellung T des wird dagegen i.a. den Anforderungen zur Kopräsenz deskriptiv verwendeter Einstellungen unterworfen. (39) Ein Dokument D heißt für einen gegebenen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B narrativ/ deskriptiv (L,B)-expandiert, wenn alle (L,B)-fusionierten Einstellung T in D expandiert sind. Ein narrativ/ deskriptiv expandiertes Dokument ist für gegebenen Layoutprozess L und gegebene Beobachtermenge B fusionsfrei. Für die logische Struktur ist eine Fusion als syntagmatische Kategorie nicht vorzusehen, da die Expansion einer Einstellung ja gerade dazu dient, mit narrativen und deskriptiven Syntagmen zu klassifizieren. 10. Kopräsente Strukturen Wird eine zweite Montageebene konzeptionalisiert, verlassen wir den Bereich der obigen basalen deskriptiven oder narrativen Syntagmen, wie es in der folgenden Graphik mit einer einpunktigen zweiten Montageebene unterhalb der Wurzel des Dokumentes und einer zweipunktigen basalen Montageebene skizziert ist, die aus einer vierelementigen basalen Deskription “links” und einer zweielementigen Szene “rechts” bestehe: Fig. 2 Karl-Heinrich Schmidt 244 Damit auch die zweite Montageebene syntagmatisch von einem Beobachter B B deskriptiv aufgefasst werden kann, bedarf es zeitlicher Kopräsens zwischen den konstituierenden Segmenten der ersten Montageebene. Um dies für “nicht-basale” Deskriptionen zu diskutieren, führen wir zunächst notationelle Hilfsmittel ein. Die diegetische Dauer einer Einstellung T stellen wir (unter Vernachlässigung einer Skalierung) wieder mit einfachen Längsstrichen dar. dieT(B,T): , alternativ T Bei der alternativen Repräsentation verzichten wir auf die explizite Angabe des Beobachters. Sind (für eine Beobachtermenge B) zwei oder mehrere Einstellungen diegetisch kopräsent, repräsentieren wir diese wieder parallel, im Defaultfalle von oben nach unten geordnet in der layoutierten Reihenfolge des Dokuments. Für ein Segment S=(T 1 ,T 2 ) mit equal B (T 1 ,T 2 ) ergibt sich also: T 1 T 2 Ein senkrechter Strich wie in T 21 T 22 bedeutet, dass meets B (T 21 ,T 22 ) gilt. Um grundsätzlich die Vertauschbarkeit zweier verschiedener Einstellungen T und T' zu notieren, schreiben wir [T,T'] und bezeichnen in diesem Falle beide Einstellungen als (miteinander) kommutierbar. Entsprechend schreiben wir für n verschiedene Einstellungen T 1 , T 2 ,…, T n komma-separiert [(T 1 ,T 2 ,…,T n ),(T 1 ,T 2 ,…,T n )], wenn alle n Einstellungen miteinander kommutierbar sein sollen. Es gelte ferner [T,T] für alle Einstellungen T. An die Stelle der Einzeleinstellungen können auch Segmente treten, die nur als ganzes mit anderen Einträgen im einschließenden Kommutator vertauschbar sind. Für S=(T 2 ,…,T n ) bedeutet [T 1 ,(S)], dass T 1 vor oder nach S stehen kann ohne Einfluss auf die raumzeitliche Diegese. [T1,(S)] stellt also schwächere Vertauschbarkeitsanforderungen als [T 1 ,S]. Für die Deskriptivität eines Segmentes S verlangen wir zunächst [S,S] in Modifikation der obigen 4. Bedingung. Betrachten wir nun das folgende Postskript: In einem Sportbericht sehen wir einen 100- Meter-Lauf in einer Planszene T 11 , dann eine szenische Repräsentation dieses Laufes in einem Segment S=(T 21 , T 22 ) mit den skizzierten diegetischen Zeiten: T 11 T 21 T 22 Wenn wir [T 11 , (S)] annehmen, können wir das Segment S'= (T 11 , T 21 , T 22 ) als nicht basale Deskription auffassen, die eine Szene S enthält: Die Vertauschungsanforderung wird nicht von den einzelnen Einstellungen erfüllt, wohl aber vom szenischen Segment S und der Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 245 Einstellung T 11 . Im Unterschied zu einer basalen Deskription wird hier eine einzelne Einstellung durch ein syntagmatisch klassifiziertes Segment ersetzt. Dabei könnte die Einstellung T 11 auch einem als basale Deskription klassifizierten Teilbaum zugeordnet sein, etwa mit vier Einstellungen: T 1i , 1 i 4 T 21 T 22 Dann liegt für die logische Struktur von Fig. 2 eine Interpretation der diegetischen Zeit vor. Ausgehend von diesem Beispiel können wir für einen Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D, der für eine Beobachtermenge B kopräsent syntagmatisch klassifizierbare Strukturen enthält, annehmen, dass • die Wurzel dieses Teilbaumes mindestens zwei logische Objekte als Nachfolger enthält, • wenigstens ein (nichttrivialer) Nachfahre der Wurzel sich von B als Szene oder Sequenz klassifizieren lässt, • sich alle (Teil-)segmente des dem Teilbaum über einen Layoutprozeß zugeordneten Segments sich von B als basal narrativen oder als basal deskriptiven Syntagmen zugehörig klassifizieren lassen, • zwischen all den diesen Segmenten von B “diegetische Kopräsenz” konzeptionalisiert werden kann. Dies wird nun ausgearbeitet. Auf jeden Fall müssen die “Ränder” potentiell kopräsent strukturierbarer Teildokumente speziell behandelt werden. Betrachten wir zunächst die folgende Variation des Sportberichts mit einer Planszene in M 1 = {T 11 } und einer Sequenz in S 2 = (T 21 , T 22 , T 23 ) mit zugrundeliegender Einstellungsmenge M 2 = {T 21 , T 22 , T 23 }, die eine Szene (T 21 , T 22 ) enthält: T 11 T 21 T 22 T 23 Hier spielt T 23 mit after B (T 23 , T 11 ), after B (T 23 , T 22 ) und damit after B (T 23 , T 21 ) bei Überlegungen zur Kopräsenz keine Rolle, so dass überhaupt nur solche Segmente S behandelt werden müssen, in denen keine Einstellung T existiert mit after B (T,T') oder before B (T,T') für alle T' S, T' T. Dasselbe gilt für eine szenische Variation von M 2 : T 11 T 21 T 22 T 23 Karl-Heinrich Schmidt 246 Auch wenn meets B (T 22 , T 23 ) gilt, kann man T 23 aus deskriptiven Überlegungen ausklammern, da after B (T 23 , T 11 ) gilt. Allgemein kommen also für kopräsent strukturierbare Teildokumente nur solche Segmente S in Frage, in denen keine Einstellung T aus einer Partition M existiert mit after B (T,T') oder before B (T,T') für alle anderen Einstellungen T' aus allen anderen Partitionen, also für alle T' M µ mit µ . Damit ist allerdings noch nicht ausgeschlossen, dass das Folgende passiert: T 11 T 12 T 21 T 22 T 23 T 24 In diesem Falle lassen sich aber zwei verschiedene Joins der beteiligten Einstellungen bilden. Diese Situation können wir dadurch ausschließen, dass wir die Existenz nur eines Join verlangen für ein Segment, das eine kopräsente Struktur aufweisen soll. Allgemein ergibt sich die folgende Definition: (40) Ein fusionsfreies Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für eine gegebene Beobachtermenge B und einen Layoutprozess L zu (den Syntagmen) S passend kopräsent (B, k)-partit für k 2, wenn für alle B B 1. eine Partition von M S mit M S = 1 i k M i und nichtleeren Mengen von Einstellungen M 1 ,…,M k existiert; 2. in keiner Partitionsmenge M eine Einstellung T existiert mit after B (T,T') oder before B (T,T') für alle T' M µ mit µ , 1 µ, k; 3. ein Join J existiert mit J =JOIN 1 i k, 1 |Mi| dieT(B,T i, ); 4. für jedes M i das zugehörige Segment S i mit einem Syntagma aus S klassifiziert werden kann; 5. für die diegetische Zeit dieT(B,M i ) einer Partition M i , 1 i k, für die kein Join existiert, eine Überdeckung aller diegetischen Zeiten dieT(B,T i, ) mit dieT(B,T i, ) JOIN 1 j k,j i,1 |Mj| dieT(B,T i, ) angenommen werden kann. Die letzte Bedingung erlaubt es, auch nicht zeitlich zusammenhängende Stücke eines Segments auf Layoutebene in Fragen der Kopräsenz zu behandeln. Wenn ein JOIN in einer Partition nicht existiert, wird verlangt, dass die Einstellungen dieser Partition in den diegetischen Zeiten der anderen Partionsmengen enthalten sind. Abkürzend nennen wir ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D für eine Beobachtermenge B szenisch k-partit bzw. sequentiell k-partit, wenn es zu dem Syntagma S={Szene} passend kopräsent (B, k)-partit bzw. zu dem Syntagma S={Sequenz} passend kopräsent (B, k)-partit ist. Die Formulierung “zu den Syntagmen S passend kopräsent (B, k)-partit” klingt kompliziert. Sie wurde mit Absicht gewählt: Diese Definition ist für die weitere Begriffsbildung wichtig, da sie auf logische Strukturen eines cinematographischen Dokumentes “passend” Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 247 bezogen werden kann; sie deckt aber auf Segmentebene nur einen absoluten Spezialfall ab und wird in der tatsächlichen Analyse eines cinematographischen Dokumentes eher selten benötigt werden. Betrachten wir dazu zunächst ein Beispiel mit einer “diegetischen Brücke”: T 11 T 12 T 21 T 22 T 31 T 32 T' Die Einstellungsmengen M 1 ={T 11 } und M 1 '={T 12 } seien für alle B B planszenisch; M 2 = {T 21 , T 22 } bzw. M 3 = {T 31 , T 32 } seien als Szene bzw. Sequenz klassifiziert. Durch die “Brücke” T' gebe es hier einen Join der diegetischen Zeit aller Einstellungen: T' sorgt also für einen zeitlichen Zusammenhang zwischen T 11 und T 12 sowie T 22 und T 31 . Wir nehmen an, dass die “Brücke” T' räumlich nichts mit den Einstellungen aus M 1 , M 1 ', M 2 , M 3 zu tun hat; es handele sich um eine weitere Planszene. Die ganze Menge D = {T', T 11 , T 12 , T 21 , T 22 , T 31 , T 32 } ist damit gemäß der obigen Definition zu den Syntagmen {Planszene, Szene, Sequenz} passend kopräsent (B, 4)-partit. Es erfüllt aber auch die Menge D'={T 11 , T 21 , T 22 } die obige Definition: Sie ist zu den Syntagmen {Planszene, Szene} passend kopräsent (B, 2)-partit. Ebenso ist auch die Menge D''={T 12 , T 31 , T 32 } zu den Syntagmen {Planszene, Sequenz} passend kopräsent (B, 2)-partit. Allerdings ist D'' deutlich “nach” D' positioniert: Auf jeden Fall würde man die M 2 und M 3 zugehörigen Segmente S 2 und S 3 a priori nicht für vertauschbar halten und damit D insgesamt auch nicht als kopräsent strukturiert auffassen. Dies motiviert die folgende Definition: (41) Ein Teilbaum in einem cinematographischen Dokument D ist für eine Beobachtermenge B unter (den Syntagmen) S kopräsent strukturierbar oder kopräsent Sstrukturierbar, wenn ein Layoutprozeß L existiert, so dass 1. das zugehörige Segment S fusionsfrei ist, 2. S zu den Syntagmen S passend kopräsent (B, k)-partit ist für partitionierende Mengen M i , 1 i k, wobei jedes Syntagma aus S basal narrativ oder basal deskriptiv ist, 3. für je zwei partitionierende Mengen M i , M j , 1 i,j k, gilt, dass die zugehörigen und mit einem Syntagma aus S klassifizierten Teilsegmente S i und S j vertauschbar sind, also [(S i ), (S j )] gilt, 4. wenigstens ein S i ,1 i k, als Szene oder Sequenz klassifiziert werden kann, 5. in D keine weitere Einstellung T außerhalb des Teilbaums einem Segment zugeordnet ist, das von allen B B als Szene oder Sequenz klassifiziert wird und zugleich für ein i, 1 i k, die Menge M i '= M i {T} anstelle von M i die 1.,2., 3. und 4. Bedingung erfüllt. Kann für einen Teilbaum unentschieden bleiben, unter welchen Syntagmen sich für ihn eine kopräsente Strukturierbarkeit ergibt, nennen wir diesen abkürzend kopräsent strukturierbar. Karl-Heinrich Schmidt 248 Im Sinne dieser Definition liegt für die logische Struktur von Fig. 2 als Teilbaum eines größeren Dokumentes D ein unter den Syntagmen {Szene, epistemische Deskription} kopräsent strukturierbarer Teilbaum unter der Annahme vor, dass eine epistemische Deskription für das Segment S 1 der Einstellungsmenge M 1 ={T 1i | 1 i 4} vorliegt mit der oben vorgegebenen diegetischen Zeit der Einstellungen: T 1i , 1 i 4 T 21 T 22 Kopräsent strukturierbare Teilbäume sind nicht als Ganzes deskriptiv wie es basale Deskriptionen sind. Vielmehr passen in ihnen einzelne syntagmatisch klassifizierbare Segmente in der logischen Struktur nach Art einer Deskription zusammen. Die obige Definition lebt davon, dass zu der kopräsenten Struktur überhaupt passend ein composite logical object vorhanden ist. Zwar ist man an dieser Stelle auch versucht - analog zu unseren Analysen zur epistemischen Deskription -, die Einheit dieses Dokumententeiles einem Narrator N zuzuordnen, im obigen Beispiel etwa dadurch, dass für einen Narrator die epistemische Deskription in S 1 und die Szene in S 2 gemeinsam “Sinn machen”. Dies ist aber definitorisch nicht erforderlich. Betrachten wir nun den folgenden Fall: M 1 T 2 T 2 +1 T 2 +2 T 3µ T 3µ+1 T 3µ+2 Gegeben seien drei Partitionsmengen: Eine aus zwei Einstellungen bestehende Partition M 1 = {T 11 , T 12 }, die wir im Bild nicht eigens benennen und die basal deskriptiv klassifiziert sei; ferner eine Menge M 2 ={T 2 , T 2 +1 }, die echter Teil der Einstellungsmenge einer größeren Szene S sei und eine Menge M 3 = {T 3µ , T 3µ+1 }, die echter Teil der Einstellungsmenge einer größeren Sequenz S' sei mit entsprechender Indizierung 1 |S| und 1 µ |S'|. Alle zugehörigen Segmente der drei Partitionsmengen M 1 , M 2 , M 3 seien en bloc miteinander vertauschbar. Dieses Segment kann als solches nicht syntagmatisch klassifiziert werden, da die Einstellungen in M 1 und M 2 mit der Klassifikation von S und S' “schon weg” sind. Nur noch “innerhalb” dieser Segmente kann es auf Segmentebene eine deskriptive Struktur für eine geeignete Beobachtermenge B geben. Es ergibt sich: (42) Ein fusionsfreies Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für eine Beobachtermenge B innerhalb der Syntagmen S kopräsent (B, k)-partit oder kopräsent (S, B, k)-partit, wenn für alle B B 1. eine Partition von M S mit M S = 1 i k M i und nichtleeren Mengen von Einstellungen M 1 ,…, M k existiert; 2. in keiner Partitionsmenge M eine Einstellung T existiert mit after B (T,T') oder before B (T,T') für alle T' M µ mit µ , 1 µ, k; Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 249 3. ein Join J existiert mit J =JOIN 1 i k, 1 |Mi| dieT(B,T i, ); 4. für jede der partitionierenden Mengen M i , 1 i k, eine Menge M i ' mit M i M i ' existiert, so dass ein M i ' zugehöriges Segment S i von allen B B mit einem Syntagma aus S klassifiziert werden kann; 5. für die diegetische Zeit dieT(B,M i ) einer Partition M i , 1 i k, für die kein Join existiert, eine Überdeckung dieT(B,T i, ) JOIN 1 j k,j i,1 |Mj| dieT(B,T i, ) angenommen werden kann. Die hier vorgenommene “innerhalb”-Definition (42) kopräsenter (B, k)-Partitheit verallgemeinert mit der vierten Bedingung die vorherige “passend zu”-Definition (40), die wir auf Segmentebene wie angekündigt nun als Spezialfall reformulieren können: (43) Ein fusionsfreies Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für eine Beobachtermenge B und einen Layoutprozess L zu den Syntagmen S passend kopräsent (B, k)-partit, wenn 1. S innerhalb der Syntagmen S kopräsent (B, k)-partit oder kopräsent (S, B, k)partit ist und 2. jeder Partition ein einem Syntagma aus S zugehöriges Teilsegment von S zugeordnet werden kann. Dass eine Beobachtermenge B innerhalb einer schon klassifizierten Menge von Einstellungen kopräsent (B, k)-partite Strukturen entdeckt, ist empirisch erwartbar, wenn eine Menge von Einstellungen einem narrativen Zusammenhang unterliegt und zeitlich dazu überlappend eine weitere Menge von Einstellungen existiert, die einem (i.a. inhaltlich anders begründeten) narrativen Zusammenhang unterliegt. Da wir narrative Bindungen stärker gewichten als zeitliche Kopräsenz, wird dies syntagmatisch aber nur im passenden Fall klassifikatorisch sichtbar. 11. Elementare deskriptive Dramaturgien Zum Anwendung der bisherigen Begriffsbildung diskutieren wir beispielorientiert weitere Variationen der obigen Sportberichterstattung eines 100-Meter-Laufes ein zu {Szene, Planszene} passend kopräsent (B, 2)-partites Segment S' = (T 11 , T 21 , T 22 ) mit einer Planszene T 11 und einer szenischen Repräsentation dieses Laufes in einem Segment S = (T 21 , T 22 ) mit den folgenden diegetischen Zeiten: T 11 T 21 T 22 . Karl-Heinrich Schmidt 250 Es gebe nun zwei weitere Einstellungen T und T', die etwa die gute Stimmung im Publikum während der gesamten Veranstaltung repräsentieren sollen. Dramaturgisch sind dann die folgenden Varianten möglich: 1. T und T' werden einleitend vor S' in beliebiger Reihenfolge gezeigt (“Schauen Sie, wie gut die Stimmung war…”) 2. T und T' werden nach S', dem eigentlichen Berichtskern, in beliebiger Reihenfolge gezeigt (“…insgesamt eine gelungene Verantstaltung”) 3. T oder T' wird vor und die verbleibende Einstellung T' oder T wird nach S' gezeigt - etwa als Stimmungsrahmen. Wir nehmen o.B.d.A. an, dass das Segment, das S', T und T' enthält, die Länge 5 hat und diskutieren die obigen Fälle in drei Gruppen (A), (B) und (C). (A) Zunächst werde von Beobachtern angenommen, dass die beiden Publikumsaufnahmen T und T' nicht zur diegetischen Zeit des Laufes, sondern diegetisch davor oder danach in beliebiger Verteilung angesiedelt seien; und dass T und T' nicht mit S' oder Teilen von S' in ein als narrativ basal zu klassifizierendes Segment integriert werden können. Allen der insgesamt 3 x 2 = 6 dramaturgischen Möglichkeiten ist dann auf jeden Fall gemeinsam, dass T und T' einerseits und S nach obiger Annahme andererseits nicht kopräsent sind. Nehmen wir an, dass T und T' eine perzeptive Deskription realisieren, insbesondere in sich kopräsent sind, dass sich aber ihre jeweilige diegetische Zeit mit der diegetischen Zeit von S' nicht berührt. Dann liegen ein deskriptives Syntagma in dem {T,T'} zugeordneten Segment einerseits und in S' ein kopräsent (B, 2)-partites Segment andererseits vor, die sich inhaltlich auf dasselbe Ereignis beziehen. (B) Für eine zweite Gruppe von Beispielen nehmen wir an, dass T,T' und S' für Beobachter kopräsent sind. Dann können auch die Voraussetzungen für ihre gemeinsame Zughörigkeit zu einem kopräsent strukturierbaren Teildokument vorliegen. Dann muss ein {T,T'} und S' enthaltendes zugeordnetes Segment zu geeigneten Syntagmen S passend kopräsent (S, B, k)partit für k > 1 sein. Dabei gibt es erneut zwei Möglichkeiten: Die Einstellungen in M 1 = {T,T'} und M 2 = M S' beziehen sich auf einen gemeinsamen Raum oder nicht. Beziehen sich die Einstellungen aus M 1 und M 2 für eine Beobachtermenge B erkennbar auf den gemeinsamen Raum der Sportveranstaltung, ist zu prüfen, inwieweit eine szenische Deskription vorliegen kann. Dabei kann S = (T 21 , T 22 ) keine Rolle spielen, da S bereits eine Szene ist. Also stellt sich nur für T 11 die Frage einer räumlichen Einheit mit T und/ oder T'. Ist nur für eine Stimmungseinstellung, etwa {T 11 , T}, eine räumliche Einheit zu ermitteln, hängt die andere Stimmungseinstellung T' räumlich in der Luft. Dies kann nach Voraussetzung nicht sein. Also muss ein {T 11 , T, T'} zugehöriges Segment einen gemeinsamen Raum denotieren. Im letzten Falle kann mit einer szenischen Deskription für {T 11 , T, T'} und der Szene S = (T 21 , T 22 ) ein kopräsent strukturierbarer Teilbaum vorliegen, für die das M 1 M 2 zugehörige Segment zu den Syntagmen S={Szene, szenische Deskription} passend kopräsent (B, 2)-partit ist. Nehmen wir nun an, dass M 1 und M 2 von einer Beobachtermenge B nicht auf eine gemeinsamen Raum der Sportveranstaltung bezogen werden können. Für die Behandlung solcher Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 251 Fälle, in denen die Partition auch zu einer räumlichen Zerlegung führt, nutzen wir die folgende Definition: (44) Ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für eine Beobachtermenge B innerhalb der Syntagmen S räumlich (B, k)-partit oder räumlich (S, B, k)partit, wenn 1. sich eine Partition von M S mit M S = 1 i k M i mit k 2 und nichtleeren Mengen von Einstellungen M 1 ,…, M k findet, so dass für alle B B für alle (T,T') M i x M j , 1 i, j k, i j, gilt: dieS(B,T) dieS(B,T') = ; 2. für jede der partitionierenden Mengen M i , 1 i k, eine Menge M i ' mit M i M i ' existiert, so dass ein M i ' zugehöriges Segment S i von allen B B mit einem Syntagma aus S zugeordnet werden kann. Wenn im Beispiel M 1 = {T,T'} und M 2 räumlich (B,2)-partit innerhalb geeigneter Syntagmen S sind, kann das M 1 = {T,T'} zugehörige Segment eine szenische Deskription sein und S' ein zu {Szene, Planszene} passend kopräsent (B, 2)-partites Segment bleiben; und im Falle [T,(S')] und [T',(S')] liegt in dem M 1 M 2 zugehörigen Segment das Bild eines kopräsent strukturierbaren Teilbaums vor, sofern auch die 5. Bedingung der Definition erfüllt ist. Sonst können M 1 = {T}, M 2 = {T'} und M 3 = M S' ' noch räumlich (B,3)-partit innerhalb geeigneter Syntagmen S sein: M 1 = {T} und M 2 = {T'} können dann jeweils eine Planszene sein; oder {T,T'} eine perzeptive Deskription (etwa als Beobachtungen eines Teilnehmers der Sportveranstaltung). Im Falle [T,(S')] und [T',(S')] liegt in dem M 1 M S' zugehörigen Segment wieder das Bild eines kopräsent strukturierbaren Teilbaums vor, sofern ebenfalls die 5. Bedingung ihrer Definition erfüllt ist. Dramaturgisch sind insgesamt 3! =6 Lösungen für die Vertauschung von S' mit T und T' und 2 für die Vertauschung von S mit T 11 möglich; insgesamt gibt es also 12 Möglichkeiten der Realisation. (C) Betrachten wir schließlich eine letzte Variation unserer Sportübertragung des 100- Meter-Laufes, die uns auch an die Grenzen der bisherigen Begriffsbildung führt. Es seien eine autonome Einstellung des ganzen Laufes in einer Menge M 1 ={T 11 }, ferner einzelne isolierte Stücke dieses Laufes in M 2 ={T 21 ,T 22 ,…,T 2n }, n>1 als Material gegeben; die isolierten Stücke können wir (als Beobachter) ohne eine einleitende Darstellung des Gesamtlaufes in T 11 diegetisch paarweise nicht anordnen, aber sonst auf dieses Ereignis beziehen. Von den Einstellungen in M 2 nehmen wir ferner an, dass sie sich auf verschiedene Phasen des Laufes ohne Überlappung und Berührung beziehen, dass aber die Anordnung in der angegeben Reihenfolge nur mit der Darstellung des Gesamtlaufes in T 11 für die Beobachter B möglich sei (insbesondere sehen wir keinen Start und keinen Zieleinlauf). Es ergibt sich: T 11 ist o.B.d.A. eine Planszene, Einstellungen aus M 2 können ohne T 11 diegetisch nur in dem Sinne auf dieT(B, T 11 ) bezogen werden, dass ein Beobachter B sagen kann: Das in T 2i Dargestellte fand während dieT(B,T 11 ) statt, also contains B (T 2i ,T 11 ), 1 i n; ferner wird die “normale” Abspielzeit l(T i ) kürzer als l(T 11 ) sein, so dass nicht equal B (T 2i ,T 11 ) gilt, 1 i n; schließlich ist starts B (T 2i ,T 11 ) und finishes B (T 2i ,T 11 ) ausgeschlossen, so dass during B (T 2i ,T 11 ) für 1 i n gilt. Eine Layoutierung aller Einstellungen erzeuge das Segment S*= (T 11 ,T 21 ,…,T 2n ), n >1. Erst die im Beispiel den Beobachtern a priori Information liefernde Einstellung in T 11 macht Karl-Heinrich Schmidt 252 dann aus (T 11 ,T 21 ,…,T 2n ) eine Sequenz. Dies beruht darauf, dass im Layoutprozeß T 11 “kognitiv adäquat” vor (T 11 ,T 21 ,…,T 2n ), n >1, gelegt wurde. Diese “kognitive Adäquatheit” ist Ergebnis klassischer dramaturgischer Eingriffe, für den unsere syntagmatische Begiffsbildung vielleicht analytische Kriterien, aber sonst keinen Hinweis liefert. Grundsätzlich liefert die ganze Begriffsbildung keine Kriterien für kognitive Adäquatheit. 12. Alternante Dramaturgien mit deskriptiven Syntagmen Wir haben uns bisher mit “allein stehenden” deskriptiven Strukturen beschäftigt. Speziell in kopräsent strukturierbaren Teilbäumen können dabei narrative Syntagmen “eingebaut sein”. Wie aber ist es nun um die Kombination von deskriptiven Syntagmen mit deskriptiven und nicht deskriptiven Syntagmen - besonders in alternanten Strukturen - bestellt? Rein deskriptive Alternanz kann z.B. vorliegen, wenn zwei deskriptive Segmente ineinander geschnitten sind.- Allgemein gibt es bei Alternanzen von deskriptiven Segmenten mit weiteren deskriptiven Segmenten oder anderen narrativen Segmenten vier Fälle: 1. ein Segment mit wenigstens einem deskriptiven (Teil-)Segment bezieht sich für eine Beobachtermenge B auf denselben Ort zu verschiedener Zeit (“Vorher - Nachher”); 2. ein Segment mit wenigstens einem deskriptiven (Teil-)Segment bezieht sich für eine Beobachtermenge B auf verschiedene Orte zu verschiedener Zeit (“Heute hier - Morgen dort”); 3. ein Segment mit wenigstens einem deskriptiven (Teil-)Segment bezieht sich für eine Beobachtermenge B auf verschiedene Orte zu gleicher Zeit (“Unterdessen”); 4. ein Segment mit wenigstens einem deskriptiven (Teil-)Segment bezieht sich für eine Beobachtermenge B zu “gleicher” Zeit auf einen gemeinsamen Raum (“Hic et nunc”). Der erste und der vierte Fall sind monospatial, die mittleren beiden Fälle sind polyspatial. Im ersten und zweiten Fall muss die Beobachtermenge B eine Relation “VorherNachher” bilden und geeignet in der diegetischen Zeit verankern. Der dritte Fall ist, wenn er alternant layoutiert wird, schon von sich aus sehr verwandt mit unserem “alten” alternanten Syntagma (cf. Schmidt 2004), ggf. nur unter den Bedingungen der Kopräsenz. Im vierten Fall ist es definitorisch nicht möglich ist, dass sich zwei als szenische Deskription klassifizierte Segmente kopräsent auf einen gemeinsamen Raum beziehen. Es müssen also wenigstens zwei verschiedene basale Deskriptionen vorliegen. Eine Gemeinsamkeit aller vier Fälle liegt neben einer deskriptiven Basis darin, dass eine Beobachtermenge jeweils eine Zusammenhangsbedingung unterstellt, um mehrere deskriptiv oder narrative klassifizierte Segmente als größere Einheit zu konzeptionalisieren. Insbesondere an den Wechselstellen (T,T') von einem klassifizierten Teilsegment zum nächsten unterstellen wir bei alternanter Schnittweise eine Relation, die diegetische Raumzeitgebiete der Teilsegmente verbindet. Um dies für jedes vorgegebene Layout L zu beschreiben, benötigen wir wieder (cf. Schmidt (2004)) für ein alternantes Segment S und der zugehörigen Einstellungsmenge M S einen n-partiten Wechselgraph Alt L (M S ,E), der die Alternanz wie folgt repräsentiert: die Kanten E bestehen aus den im Layout L benachbarten Einstellungspaaren (T i ,T j ) mit T i M i und T j M j aus verschiedenen Partitionsmengen M i M S und M j M S ,1 i k, i j, einer zu Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 253 k Teilmengen führenden Partititon P. In Alt L (M S ,E) sind damit alle layoutierten “Sprünge” zwischen den Partitionen eines alternanten Segmentes repräsentiert. Für die Behandlung alternanter Dramaturgien mit Deskriptionen sind zunächst sowohl polytemporale als auch polyspatiale Alternanzen begrifflich zu fassen. Wir beginnen mit der Polytemporalität von alternanten Segmenten. Eine polytemporale alternante Struktur setzt zunächst voraus, dass sich ein Segment überhaupt erst einmal zeitlich “zerlegen” lässt: (45) Ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für eine Beobachtermenge B innerhalb der Syntagmen S zeitlich (B, k)-partit oder zeitlich (S, B, k)partit, wenn 1. sich eine Partition von M S mit M S = 1 i k M i mit k 2 und nichtleeren Mengen von Einstellungen M 1 ,…, M k findet, so dass für alle B B für alle (T,T') M i x M j , 1 i, j k, i j, gilt: dieT(B,T) dieT(B,T') = ; 2. für jede der partitionierenden Mengen M i , 1 i k, eine Menge M i ' mit M i M i ' existiert, so dass ein M i ' zugehöriges Segment S i von allen B B mit einem Syntagma aus S zugeordnet werden kann. Für eine polytemporale alternante Struktur setzen wir weiter voraus, dass im gemeinsamen Beobachterwissen von allen Beobachtern B B eine symmetrische Relation existiert, die überhaupt (wie schon in Schmidt (2004) gezeigt) eine Alternanz konstituiert, und setzen zusätzlich voraus, dass eine zeitliche Relation AfterBefore B (M i ,M j ) auf dieT(B,M i ) x dieT(B,M j ) für alle 1 i, j k, i j existiert, so dass die Beobachtermenge die Partitionsmengen als Ganze zeitlich anordnen kann. Wie die Relation AfterBefore B (M i ,M j ), 1 i, j k(P), i j operationalisiert ist, wird hier nicht festgelegt. Eine strenge Forderung ist, dass AfterBefore B (M i ,M j ) gilt genau dann, wenn für alle B B after B (T,T') für alle (T,T') M i x M j oder before B (T,T') für alle (T,T') M i x M j und alle 1 i, j k, i j gegeben ist. Schwächer ist es, wenn für alle B B und für jedes Paar (T,T') mit T M i und T' M j -contains B (T,T') gilt. Noch schwächer ist es, keine zeitliche Relationierung auf allen Einstellungspaaren (T,T') M i x M j , 1 i, j k, i j, je zweier verschiedener Partitionsmengen zu fordern, sondern nur auf den Einstellungspaaren, die tatsächlich im Layout als Wechselpaare vorkommen, also für alle (T,T') (M i x M j ) E mit E aus Alt L (M S ,E). Die genauere Festlegung setzt eine Festlegung des Beobachtermodells voraus. Wir legen für polytemporale Alternanz fest: (46) Ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B polytemporal (L, B, k)-alternant, wenn 1. S innerhalb einer nichtleeren Menge von Syntagmen zeitlich (S,B,k)-partit ist mit Partitionsmengen M 1 ,…, M k ; 2. für alle B B und für alle Paare (i,j) mit 1 i, j k, i j eine zeitliche Relation AfterBefore B (M i ,M j ) auf dieT(B,M i ) x dieT(B,M j ) existiert; Karl-Heinrich Schmidt 254 3. es für alle Partitionsmengen M i und M j , 1 i, j k(P), für die überhaupt ein Paar (T,T') E aus Alt L (M S ,E) mit T M i und T' M j existiert, im gemeinsamen Beobachterwissen von B für alle (T,T') E mit T M i und T' M j eine nicht-räumliche, nicht-zeitliche und symmetrische Relation R ij dieST(B,T) x dieST(B,T') existiert; 4. in der Darstellung des gemäß L layoutierten Dokumentes D für jede partitionierende Menge M i zwischen dieser und einer anderen partitionierenden Menge M j , i j, mindestens dreimal in Alt L gewechselt wird, also (T,T') | (T,T') E(Alt L ) mit T M i oder T' M i } 3 gilt. Ein Segment in einem cinematographischen Dokument D heißt abkürzend polytemporal (B, k)-alternant, wenn es polytemporal (L, B, k)-alternant ist und der Layoutprozess L nicht explizit gemacht werden muss; es heißt polytemporal k-alternant, wenn zusätzlich die Beobachtermenge nicht explizit gemacht werden muss. In der obigen Definition stellen die ersten beiden Bedingungen sicher, dass überhaupt von mehreren zu klassifizierenden Segmenten mit polytemporaler Diegese ausgegangen werden kann. Die dritte Bedingung sorgt für den “sinnhaften” Zusammenhang des Segments. Die vierte Bedingung sorgt für die Alternanz. In allen Bedingungen von Definition (46) wird offen gelassen, ob es zwei Einstellungen aus zwei verschiedenen Partitionen gibt, die sich auf einen gemeinsamen Raum beziehen. Zur Behandlung dieser Frage legen wir für polyspatiale Alternanz fest: (47) Ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B polyspatial (L, B, k)-alternant, wenn 1. S innerhalb einer nichtleeren Menge von Syntagmen S räumlich (S,B,k)-partit ist mit Partitionsmengen M 1 ,…, M k ; 2. es für je zwei Partitionsmengen M i und M j , 1 i, j k, für die überhaupt ein Paar (T,T') E aus Alt L (M S ,E) mit T M i und T' M j existiert, im gemeinsamen Beobachterwissen von B für alle (T,T') E(Alt L ) mit T M i und T' M j eine nicht-räumliche, nicht-zeitliche und symmetrische Relation R ij dieST(B,T) x dieST(B,T') gibt; 3. in der Darstellung des gemäß L layoutierten Dokumentes D für jede partitionierende Menge M i zwischen dieser und einem anderen M j , i j, mindestens dreimal in Alt L gewechselt wird , also {(T,T') | (T,T') E(Alt L ) mit T M i oder T' M i } 3 gilt. Ein Segment in einem cinematographischen Dokument D heißt abkürzend polyspatial (B, k)alternant, wenn es polyspatial (L, B, k)-alternant ist und der Layoutprozess L nicht explizit gemacht werden muss; es heißt polyspatial k-alternant, wenn zusätzlich die Beobachtermenge nicht explizit gemacht werden muss. Wir haben nun die Möglichkeit, temporale und spatiale Anforderungen in k-partiten Strukturen zu kombinieren, wenn für dieselbe Partititonsmenge zum einen zeitlich Kopräsenz oder polytemporale Alternanz, zum anderen räumlich polyspatiale Alternanz vorliegt. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 255 Kopräsens kombiniert mit Polyspatialität ergibt: (48) Ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B kopräsent polyspatial (L, B, k)alternant, wenn 1. S für L und B polyspatial (L, B, k)-alternant ist mit Partitionsmengen M 1 ,…,M k ; 2. S innerhalb S kopräsent (S,B,k)-partit ist mit diesen Partitionsmengen M 1 ,…,M k . Analog ergibt Polytemporalität kombiniert mit Polyspatialität: (49) Ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B polytemporospatial (L, B, k)-alternant, wenn 1. S für L und B polyspatial (L, B, k)-alternant ist mit Partitionsmengen M 1 ,…,M k ; 2. S polytemporal (L, B, k)-alternant ist mit diesen Partitionsmengen M 1 ,…,M k . Bisher ist nur eine Begriffsbildung für Segmente erfolgt. Es fehlt noch eine Definition für die logische Struktur, so dass sich aus logischen Teilbäumen die angebenen alternanten Strukturen erzeugen lassen. Wir legen fest: (50) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist syntagmatisch für eine Beobachtermenge B kopräsent polyspatial (B,k)-alternierbar, wenn es einen Layoutprozess L gibt, der ein zugehöriges kopräsent polyspatial (L,B,k)-alternantes Segment erzeugt. (51) Ein Teilbaum der logischen Struktur in einem cinematographischen Dokument D ist syntagmatisch für eine Beobachtermenge B polytemporospatial (B,k)-alternierbar, wenn es einen Layoutprozess L gibt, der ein zugehöriges polytemporospatiales (L,B,k)-alternantes Segment erzeugt. Mit diesen Definitionen lassen sich nun alternante Dramaturgien behandeln. Wir diskutieren dazu die obigen vier Fälle (“Vorher - Nachher”; “Heute hier - Morgen dort”; “Unterdessen”; “Hic et nunc”) in der angegebenen Reihenfolge. Dabei beginnen wir in jedem Fall mit der Alternanz zweier deskriptiver Segmente; dann diskutieren wir in jedem Fall jeweils die Konsequenzen der Hinzunahme eines narrativen Segmentes. 1. Fall: Monospatiale und polytemporale Kombinationen mit deskriptiven Syntagmen (“Vorher-Nachher”) Können zwei deskriptiv klassifizierte Segmente mit Bezug auf denselben Raum einfach nur “zeitlich nebeneinander” stehen? Natürlich: Gegeben sei das fiktive Drehbuch einer kontrastierenden “Vorher”-“Nachher”-Alternanz “Dies war/ ist das Haus; dies war/ ist der Baum; dies war/ ist die Bank…” Der gemeinsame räumlicher Bezug sorgt dabei zunächst dafür, dass wenigstens eine Sequenz solche Deskriptionen verbindet: Das liegt daran, dass die Maximalitätsbedingung von Sequenzen diese über das ganze Dokument ausdehnen. Beispielhaft sei für das obige Drehbuch unter Bezug auf ein gemeinsames Raumgebiet ein polytemporal 2-alternantes Segment S=(T 1 , T 2 , T 3 , T 4 , T 5 , T 6 , T 7 ) realisiert mit einem Karl-Heinrich Schmidt 256 “strengen” AfterBefore B (M 1 ,M 2 ) für M 1 ={T 1 , T 3 , T 6 }und M 2 ={T 2 , T 4 , T 5 , T 7 } und der folgenden Verteilung der diegetischen Zeiten: T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 Sobald ein Beobachter aus einem Paar dieser sieben Einstellungen eine Raumeinheit ermitteln kann, liegt mit diesem Paar (wie gesagt: wenigstens ein Mal) zumindest ein Teil einer Sequenz vor. Nehmen wir für das Beispiel o.B.d.A. an, dass für {T 2 , T 3 } diese Raumeinheit gegeben ist. Dann ist im Beispiel etwa (T 2 , T 3 ) eine (Teil-)Sequenz. Damit können auf die ganze Menge {T 1 , T 3 , T 6 } die Definitionen der basalen Deskriptionen nicht angewendet werden, da die Einstellung T 3 “schon weg” ist. Aus demselben Grund ist es ausgeschlossen, dass für die ganze Menge {T 2 , T 4 , T 5 , T 7 } auch bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen das Bild eines kopräsent strukturierbaren Teilbaums vorliegt. Das ganze Segment S ist für eine Beobachtermenge B auch nicht kopräsent (S, B, k)-partit für eine geeignete Menge S {Sequenz}, da kein Join existiert. Allerdings kann zum Beispiel ganz {T 1 , T 3 , T 6 } innerhalb {Planszene, Sequenz} kopräsent (B, 3)-partit und {T 2 , T 4 , T 5 , T 7 } innerhalb {Planszene, Szene, Sequenz} kopräsent (B, 3)-partit sein. Verlassen wir nun die rein deskriptive Situation, indem wir das fiktive Drehbuch der kontrastierenden “Vorher-Nachher”-Alternanz “Dies war/ ist das Haus; dies war/ ist der Baum; dies war/ ist die Bank…” wie folgt modifizieren: Der alternierend eingeschnittene “Nachher”- Halbstrang entwickele für die Beobachtermenge deutlich erkennbar eine sequentielle Geschichte, die sich von der in der “Vorher”-Deskription dargestellten Welt entfernt (“Der Sohn versäuft stückweise den Hof, wie er in seiner ganzen alten Pracht in Darstellungen von früher mit Baum und Bank alternierend eingeschnitten zu sehen ist”). Dieser Fall ist vor dem Hintergrund unserer Begriffsbildung nicht wesentlich anders gelagert als eine rein deskriptive Alternanz; lediglich die narrative Bindung innerhalb des polytemporal 2-alternanten Segmentes ist durch die eingeschnittene Sequenz noch größer als im rein deskriptiven Fall. Insgesamt ist der erste Fall mit den bisherigen Mitteln behandelbar. Syntagmatisch bedarf der erste Fall also keiner über die bisherige Begriffsbildung hinausgehenden Konzepte. 2. Fall: Polyspatiale und polytemporale Kombinationen mit deskriptiven Syntagmen (“Heute hier - Morgen dort”) Im zweiten Fall kann die sequentielle Verbindung zwischen einzelnen Deskriptionen verschiedener Raumgebiete (im Unterschied zum ersten Fall) nicht bestehen. Es geht also um Einstellungen verschiedener Räume zu verschiedenen Zeitpunkten, die einfach nur nebeneinander stehen oder ineinander geschnitten sind: Seien also verschiedene Teilsegmente gegeben, die syntagmatisch deskriptiv klassifiziert sind und die Anforderungen an eine Alternanz eines zeitlich (S, B, k)-partiten Segmentes mit geeignetem S {szenische Deskription, perzeptive Deskription, epistemische Deskription} für ein k > 1 erfüllen. Als dramaturgische Option sieht das zunächst nicht sensationell aus. “Heute hier - morgen dort” liefert allerdings das deskriptive Gerippe von Itineraren, in deren Verlauf an verschiedenen Räumlichkeiten deskriptiv verweilt wird. Ein Ineinanderschneiden der Des- Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 257 kriptionen erlaubt dann dramaturgisch das vergleichende Zeigen herausgehobener Aspekte verschiedener Raumzeitgebiete. Wir betrachten beispielhaft das folgende fiktive Drehbuch: Ein Paar fährt getrennt an zwei verschiedene Orte. In einer aus vier Einstellungen T M1 , T M2 , T M3 , T M4 bestehenden Deskription sehen wir die Perzeptionen des Mannes, in einer aus vier Einstellungen T F1 , T F2 , T F3 , T F4 bestehenden anderen Deskription sehen wir die (jeweils etwas späteren) Perzeptionen der Frau. Diese sind zu einer alternierenden Folge T Mi , T Fi ,… 1 i 4 montiert. Innerhalb der Paare (T Mi , T Fi ), 1 i 4, kann es unterhalb der Einstellungsebene eine Vielzahl von Bezügen geben (und wird es auch bei ästhetischer “Dichte”): So könnten etwa die Perzeptionen des einen die des anderen ironisch kommentieren 24 . Für den polytemporalen Ineinanderschnitt der rein deskriptiven (Teil-)Segmente ergibt sich dann für das Segment S= {T M1 , T F1 , T M2 , T F2 , T M3 , T F3 , T M4 , T F4 }, dass S unter S={perzeptive Deskription} polytemporospatial (L, B, 2)-alternant ist. Allgemein ergibt sich für polytemporal alternierende Kombinationen von rein deskriptiven (Teil-)Segmenten, dass ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B polytemporospatial deskriptiv (L, B, k)-alternant ist, wenn S unter den Syntagmen {szenische Deskription, perzeptive Deskription, epistemische neutrale Deskription, epistemische Deskription} polytemporospatial (B,k)-alternant ist mit Partitionsmengen M 1 ,…, M k(p) für eine Partition P. Lassen wir in Variation der zwei perzeptiven Deskriptionen zweier Räume im obigen Beispiel das deskriptive “Gerippe” an einem Ort sich raumzeitlich entwickeln, um zu sehen, was beim Einbau narrativer Elemente passiert: In T F1 , T F2 , T F3 , T F4 seien nicht mehr kopräsente Perzeptionen, sondern sequentiell eine Bewegung der Frau an “ihrem” Ort repräsentiert. An der Montage werde aber geändert. Für die formale Analyse dieser Alternanz müssen wir dann nur die Menge S geeignet anpassen. Im Beispiel genügt S={perzeptive Deskription, Sequenz}, wobei die einzelnen Partitionsmengen weiterhin paarweise räumlich disjunkt sein müssen. Insgesamt ist der zweite Fall mit den bisherigen Mitteln behandelbar und bedarf syntagmatisch keiner über die bisherige Begriffsbildung hinausgehenden Konzepte. 3. Fall: Polyspatiale und kopräsente Kombinationen mit deskriptiven Syntagmen (“Unterdessen”) Dramaturgisch interessant ist auch hier oft das Ineinanderschneiden der Deskriptionen wie im folgenden Szenario: Bei Fußballturnieren müssen in Gruppenspielen die letzten Partien oft zeitgleich ausgetragen werden. Kommt es zu Deskriptionen dieser Veranstaltungen, werden diese oft zur Spannungssteigerung ineinandergeschnitten, um ganz zum Schluß die Lösung (“qualifiziert” - “ausgeschieden”) zu zeigen. Wenn dieser Fall nur mit deskriptiv klassifizierten Partitionsmengen eintritt, ergibt sich also allgemein: Ein Segment S in einem cinematographischen Dokument D ist für einen gegebenen Layoutprozess L und eine Beobachtermenge B kopräsent polyspatial deskriptiv (L, B, k)-alternant, wenn S unter den Syntagmen {szenische Deskription, perzeptive Deskription, epistemische Deskription} kopräsent polyspatial (L, B, k)-alternant ist. Es ist offenbar ebenso wie in dem vorigen Fall problemlos möglich, ein deskriptives Segment mit einem narrativen alternierend zu kombinieren. Auch hier bedarf es syntagmatisch keiner über die bisherige Begriffsbildung hinausgehenden Konzepte. Karl-Heinrich Schmidt 258 4. Fall: Monospatiale und kopräsente Kombinationen mit deskriptiven Syntagmen (“Hic ent nunc”) Nach der bisherigen Begriffsbildung gibt es drei Kombinationsmöglichkeiten von zwei basalen Deskriptionen: szenische und szenische, szenische und epistemische, epistemische und epistemische Deskription. Der erste Fall ist - wie schon in der Einleitung von Abschnitt 12 schon gesagt - für rein szenische Deskriptionen nicht möglich. Es können monospatial nur zwei basale Deskriptionen desselben Raumgebiets, die nicht beide szenisch deskriptiv sind, kopräsent miteinander kombiniert werden. Sei also ein Segment S mit Einstellungen M S = M S' M S'' gegeben, wobei M S' einem Teilsegment S' zugeordnet ist, das eine perzeptive Deskription realisiert, und M S'' einem Teilsegment S'', das eine szenische Deskription realisiert. Ein fiktives Drehbuch für eine solche Situation sieht wie folgt aus: Ein Raumzeitgebiet eines Marktes wird in mehreren Einstellungen szenisch deskriptiv repräsentiert; eingeschnitten in diese Deskription sind Aufnahmen aus dem Umland, die diegetisch kopräsent Gehöfte der Teilnehmer dieses Marktes zeigen, wobei sich diese eingeschnittenen Einstellungen deutlich in ihrer subjektiven Kameraführung von den Einstellungen der szenischen Deskription unterscheiden mögen. Eine alternierende Kombination zweier perzeptiver Deskriptionen liegt zum Beispiel vor, wenn die Perzeptionen zweier Perzeptoren mit zwei unterschiedlichen Fehlern im Farbensehen ineinander geschnitten sind: Beide mögen London in einem kopräsenten Zeitraum vorstellen, einmal rot-grün-blind, einmal gelb-blau-blind. Keine zwei Einstellungen dürfen sich räumlich überlappen, wenn man keine szenisch deskriptiven Anteile zulassen will. Bei der Kombination eines deskriptiven Segmentes mit einem narrativen Segment liegt schließlich der typische Fall dafür vor, dass sich etwas aus einer Deskription herausentwickelt. Dies wurde bereits bei der Definition der szenischen Deskription diskutiert. Aus allen vier Fällen ergibt sich, dass für alle alternanten Dramaturgien die bisher eingeführten Konzepte zur Klassifikation ausreichend sind. Damit beenden wir die Diskussion der vier Fälle alternanter Dramaturgien mit deskriptiven Syntagmen. 13. Exemplifikation und Deskription: Zum Syntagma der zusammenfassenden Klammerung Eine wesentliche Grundannahme unserer bisherigen Begriffsbildung wurde bisher nicht explizit gemacht. Alle Deskriptionen wurden in der folgenden Weise bezugstheoretisch restriktiv aufgefasst: Ein deskriptives Segment denotiert eine spezifische Situation. Es wurde bisher nicht auf die cinematographische Repräsentation von Situationstypen eingegangen, wie wir nun ausarbeiten. Die obigen Beispiele des Sportberichtes wurden sowohl für basalen Deskriptionen als auch für kopräsent strukturierbare Teildokumente strikt auf die gegebene Situation bezogen. Empirisch wird aber zum Beispiel für die beiden obigen “Stimmungsbilder” in T und T' oft gar nicht die Notwendigkeit bestehen, sie über ihre Zugehörigkeit zur Sportveranstaltung hinaus situational spezifisch zu interpretieren. Eine häufige Form des Sportberichts ist: “Es gab eine tolle Leichtathletik-Veranstaltung in Irgendwo. Die Stimmung im war großartig, wie die Publikumsimpressionen zeigen: T, T'. Höhepunkt war ein 100-Meterlauf: T0. Wir zeigen Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 259 das spannende Rennen noch einmal in zwei Einstellungen aus einer etwas anderen Sicht: T 1 , T 2 .” Für die beiden Stimmungsbilder T und T' ist hier nur wichtig, dass ihre Urbilder vom Beobachter zeitlich und räumlich lokalisiert werden (“während der Veranstaltung und am Ort der Veranstaltung”) und für ihn als gute Proben der Stimmung der Gesamtveranstaltung gelten. Grundsätzlich können in Abhängigkeit von den Fähigkeiten der Beobachter Segmente denotativ oder exemplifikatorisch analysiert werden (das “oder” ist dabei natürlich nicht ausschließend) 25 : Ist Denotation Bezugnahme durch ein Etikett auf etwas, worauf es zutrifft, so ist Exemplifikation umgekehrt Bezugnahme durch Einzelfälle einer Probe auf ein Etikett, das diese Einzelfälle denotiert. So exemplifiziert “ein Farbfleck auf einer Musterkarte die eigene Farbe und den eigenen Glanz” (Goodman, Elgin (1989, 35); cf. auch Goodman, Elgin (1989, 166)). Auf den Film übertragen, ist für Metz das ‘Syntagma der zusammenfassenden Klammerung’ eine Abfolge von Einstellungen, welche typische Elemente aus einer bestimmten Realität aneinanderhängt, um visuell einen Begriff zu exemplifizieren. Syntagma der zusammenfassenden Klammerung und deskriptives Syntagma sind bei Zugrundelegung dieser Definition klassifikatorisch nah benachbart in dem Sinne, dass eine Menge von Einstellungen exemplifikatorisch als Syntagma der zusammenfassenden Klammerung und rein denotativ als ein deskriptives Syntagma gelesen werden kann. Zu diesem Resultat kommt auch Colin in Buckland (1995, 68): “In other words, the bracket syntagma can also be considered as being descriptive; it does not then describe a specific situation, but a type of situation. In the case of the descriptive syntagma, the situation is specific and therefore localised in the diegesis (‘connected to the rest of the narrative’, as Metz would say), which is not true of a type of situation”. Die graphische Nachbarschaft der Metz’schen Repräsentation beider Klassen im Schema der Großen Syntagmatik (cf. Metz (1972, 198) und Abschnitt 2) ist demnach zwar theoretisch zufällig - aber gut platziert: Beide Syntagmen können dieselben Segmente klassifzieren. Man könnte sich im Rahmen eines Gedankenexperiments sogar einen rein exemplifikatorischen Beobachter B und einen rein deskriptiven Beobachter B' denken, die für ein cinematographisches Dokument dieselbe Segmentierung vornehmen, aber nirgendwo dieselben Syntagmen benutzen. Dies zeigt sich weniger extrem, sondern tatsächlich auch in den empirischen Analysen von Metz selbst, da er eher nach Geschmack Segmente einmal als “deskriptiv”, einmal als “geklammert” klassifiziert (s.u. Abschnitt 14). Damit stellt sich natürlich die grundsätzliche Frage, ob und wie sich die bisher in Schmidt, Strauch (2002) und Schmidt (2004) und in diesem Artikel eingeführten Syntagmen exemplifikatorisch dualisieren lassen. Metz tat dies für seine Syntagmen nicht: Er gab als einziges exemplifikatorisches Syntagma das Syntagma mit zusammenfassender Klammerung an und behandelte es als achronologisches Syntagma. Damit sind bei Metz klassifikatorisch wenigstens zwei Dimensionen im Spiel: “chronologisch-achronologisch” und “denotativ-exemplifikatorisch”. Die komplette Metz’sche Klassifikation ist in dem folgenden Vierfeld mit den Achsen “Bezugnahme” und “Zeitlichkeit” noch einmal zusammengefaßt, um deutlich zu machen, dass Metz fast ausschließlich “chronologisch-denotativ” klassifiziert: Karl-Heinrich Schmidt 260 Bezugnahme Zeitlichkeit Denotativ Exemplifikatorisch Chronologisch Narrative Syntagmen und das deskriptive Syntagma sieht die Metz’sche Syntagmatik nicht vor Achronologisch Paralleles Syntagma Syntagma mit zusfass. Klammerung Mit den in Schmidt, Strauch (2002) und Schmidt (2004) und diesem Artikel eingeführten Syntagmen sind alle narrativen und deskriptiven Syntagmen behandelt. Wir haben also im obigen Vierfeld den ersten Quadranten erledigt. Angesichts dieser denotativ-chronologischen Schieflage stellt sich über Metz hinaus die Frage: Sind Chronologie (mit den Ausprägungen “chronologisch - achronologisch”) und Weisen der Bezugnahme (mit den Ausprägungen “denotativ - exemplifikatorisch”) unabhängig voneinander und alle vier möglichen Kombinationen in Segmenten realisierbar? Kann etwa (über Metz hinaus) eine exemplifikatorische Bezugnahme genauso wie eine denotative Bezugnahme auf der Ebene der Syntagmen ein chronologisches Verhältnis exemplifizieren? Erste Versuche einer ad hoc Konstruktion exemplifikatorischer und zugleich chronologischer Segmente 26 sind Gedankenexperimente. Ein Kandidat für ein solches chronologischexemplifikatorisches Segment ist eine metaphorische Exemplifikation von “ungezügeltem Fortschritt” durch mehrere für eine Beobachtermenge zeitlich erkennbar geordnete Einstellungsfolge wild galoppierender Pferde (, die bei pessimistischer Grundeinstellung auf einen Abgrund zulaufen), ggf. mit entsprechender a priori Information. In diesem Beispiel wird offenbar ein zeitlicher Verlauf mit exemplifiziert. Dieses Beispiel ist noch sehr “spielfilmisch” und basiert zudem auf metaphorischer Exemplifikation (also Ausdruck). Aber was ist mit buchstäblicher Exemplifikation, wie wir Sie im wissenschaftlichen Lehrfilm finden - z.B. in der Visualisierung chemischer Prozesse? Auch hier ist zu erwarten, dass Zeitverläufe mit exemplifiziert werden. Das sind nur die Probleme, die mit einer exemplifikatorischen Dualisierung denotativer chronologischer Syntagmen zu tun haben. Damit ist noch gar nicht diskutiert, wie die (meines Wissens von Bierwisch ins Spiel gebrachte (cf. Wuss (1990), p. 6)) Differenz von “Sagen” und “Zeigen” sich im Film mit diesen Fragestellungen überlagert. Man kann sich über einen Mangel an Fragestellungen also nicht beklagen. 14. Empirische Analysen: Segmente aus “Adieu Philippine” Für den Film “Adieu Philippine” von Jacques Rozier liegt die einzige Komplettanalyse eines Films mit der Metz’schen Syntagmatik vor, die Metz selbst geliefert hat. Eine Neuanalyse findet sich mit definierten Ausnahmen in (Schmidt, Strauch 2002). Dort findet sich auch die Nummerierung der Segmente. Inhaltlich geht es um eine Dreiecksgeschichte zwischen zwei jungen Frauen (Liliane und Juliette) und einem jungen Mann (Michel) in Paris und Korsika zur Zeit des Algerienkrieges. Die drei treffen sich zunächst in Paris und dann auf Korsika, wohin Michel gefahren ist, um sich vor Beginn seines Kriegsdienstes noch ein paar schöne Tage zu machen. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 261 Der Film gliedert sich entsprechend in diese zwei Teile: Die erste Hälfte spielt in Paris, die zweite Hälfte in Korsika im Sommer 1960. Die erste Hälfte beginnt mit dem Segment 1, die zweite mit dem Segment 45. - Wir analysieren zunächst Segment 1 (mit Blick in das Segment 2), dann das Segment 45 (mit Blick in das Segment 46); in beiden geht es noch einmal um Exemplifikation und Denotation. Dann behandeln wir das Segment 71 (mit Blick in das Segment 72). Darauf folgt das letzte Segment 83 des Films. Metz klassifiziert diese 4 Segmente wie folgt: Das Segment 1 realisiert nach Metz ‘Syntagma mit Klammerung’; das Segment 45 und das Segment 71 realisieren ein ‘deskriptives Syntagma’. Das Segment 83 klassifiziert Metz als ‘Sequenz’ (jeweils in seinem Sinne). Deskription und Exemplifikation: Das Segment 1 aus “Adieu Philippine” Metz klassifiziert gleich das Segment 1 von Adieu Philippine am Anfang des Films als “Syntagma mit Klammerung”. Es dient der Exemplifikation eines “regen Fernsehbetriebs”: Die Amalgamierung von scheinbar spontan gesehenen Bildern, welche sich einem rhythmischen Gefüge der Musik fügen, dienen der Kreation einer speziellen Atmosphäre. Das anschließende sequentielle Segment 2 denotiert den Gang der Hauptperson Michel durch das Studio und aus dem Studio heraus, durch den er als Kamerassistent einen Kopfhörer holen soll. Eine solche Eröffnung eines Films inklusive einer Fusion des ersten exemplifikatorischen Segmentes mit dem folgenden sequentiellen Segment ist typisch 27 . Gleich an diesem Beispiel wird auch deutlich, dass filmische Fusionen sich inhaltlich über mehrere Einstellungen in Form von Protension/ Retension-Verhältnissen erstrecken können. Michel agiert in mehreren Einstellungen des ‘Syntagmas mit Klammerung’ als Kabelhelfer, ohne dass Zuschauer, welche den Film das erste Mal sehen, ihn als eine potentielle Hauptfigur erkennen können. Erst nach einem Dialog wird für den Beobachter rekonstruierbar, dass Michel, der innerhalb der folgenden Sequenz eindeutig die Hauptrolle spielt, schon innerhalb des ersten Segmentes Rhema war, denn wir kennen ihn, den unscheinbaren Kabelhelfer, als nebensächlichen Teil innerhalb eines dynamischen Ganzen: des lebendigen Aufnahme-Sets im Studio. In dem Moment, in welchem er auf Anweisung eines Kameramanns den Set verlassen muss, um einen Kopfhörer zu holen, wird er als Agent einer Handlung Thema. Was sich in einer Großen Syntagmatik nur als Abfolge zweier klassifizierter Segmente behandeln lässt, ist ein dichtes Geflecht von Vor- und Rückbezügen, das sich durch die syntagmatische Analysen alleine nicht erschließt. Gleich hier zeigen sich die Grenzen einer Großen Syntagmatik. Positiv lässt sich gleichwohl feststellen: Die Klassen ‘Syntagma zusammenfassender Klammerung’ im Metz’schen Sinne (! ) mit anschließender Sequenz lassen sich zur Klassifikation in diesem Beispiel heranziehen, wenn man Probleme der Fusion außen vor lässt. Dies ist auch leicht erklärlich: Die Fusionen verbindet hier Elemente unterhalb der betrachteten syntagmatischen Ebene. Die Metz’sche Klassifizierung des ersten Segmentes durch ein ‘Syntagma mit Klammerung’ als achronologisches Syntagma ist allerdings auch nur dann stichhaltig, wenn man annimmt, dass die zugehörigen Einstellungen exklusive der fusionierten “letzten” Einstellung unter dem Gesichtspunkt einer exemplifikatorischen Bezugnahme vom Beobachter ohne zeitliche Ordnung aufaggregiert werden und vom Rest der Diegese abgekoppelt werden können. In der Tat kann man für das einleitende Segment bei Ausblenden der Fusion und konsequenter Vernachlässigung der restlichen Diegese auch den denotativen Bezug auf die Person Michels aufgeben (in einem Gedankenexperiment etwa durch Austausch des Darstellers) ohne klassifikatorische Konsequenzen; das erste Segment ist dann im Metz’schen Sinne ein Syntagma mit Klammerung. Karl-Heinrich Schmidt 262 Wenn man das Denotat des einleitenden Segmentes mit der restlichen Diegese verknüpft, ist bei Zugrundelegung unserer bisherigen analytischen Mittel auch eine deskriptive Lesart möglich. Dann liegt beim zweiten Hinsehen - also bei einem hinreichend mit a priori Wissen ausgestattetem Beobachter - eine szenische Deskription vor, wenn die räumliche Integration gelingt. Ist dies nicht der Fall, liegt wenigstens eine epistemisch neutrale Deskription vor (unterstellend, dass zu Beginn des Films ein allwissender Narrator angenommen wird, was eine epistemisch positives Segment naturgemäß ausschließt). Ob die Angelegenheit dann szenisch oder perzeptiv deskriptiv ist, ist dann nur noch abhängig von der Modellierung der Fähigkeiten der Beobachtermenge B. Eine szenische Deskription in Segment 45 aus “Adieu Philippine” Segment 45 scheint zunächst eine genau Analogie zu Segment 1 sein: Es wird eine neue Umgebung eingeführt - diesmal auf Korsika -, aus der Michel als Thema wiederum “herausgeht”. Allerdings klassifiziert Metz diese Einstellung (im Unterschied zum ersten Segment) als ‘deskriptiv’: Metz schreibt: “Eine Gruppe junger Leute sitzt am Rande eines Schwimmbeckens; ein Mann, der zwischen ihnen steht, schaut um sich; zwei junge Männer promenieren. Jede Einstellung dauert nur einige Sekunden, so dass es für uns nicht möglich ist, den Personen bei ihren Handlungen zu folgen und zwischen ihnen andere Beziehungen festzustellen als die, dass sie sich gemeinsam im Club Méditerranée befinden an einem bestimmten Tage des Sommers 1960.” Metz (1972, 221) Mit Metz’sche Inhaltsbeschreibung ist speziell, aber akzeptabel; ebenso akzeptabel ist seine Klassifikation des Segmentes als Realisation eines deskriptiven Syntagmas. Legen wir für die Klassifikation unsere Definition einer szenischen Deskription zugrunde, sind die vier Einstellungen aus Segment 45 szenisch deskriptiv, da 1. sie einem Teilbaum mit den vier Einstellungen T 1 , …,T 4 als content portions zugeordnet werden können, 2. das vereinigte Raumurbild von T 1 , …,T 4 von Beobachtern B unter Bezug auf das abgebildete Urbild als zusammenhängend konzeptionalisiert werden kann, 3. die T 1 , …,T 4 zugeordneten diegetischen Zeiten dieT(B,T ), 1 4, in der Weise als gleichzeitig von allen B B konzeptionalisiert werden können, dass für jeden Beobachter B B dieConT(B) = JOIN 1 4 dieT(B,T ) existiert, 4. von allen Beobachtern B B und für alle , 1 4 angenommen werden kann: dieT(B,T ) = dieConT(B), 5. jedes Layout der Einstellungen T 1 ,…,T 4 den diegetischen Raum und die diegetische Zeit invariant lässt, 6. in ganzen Dokument keine weitere Einstellung, die zusätzlich zu T 1 ,…, T 4 die 2. , 3., 4. und 5. Anforderung erfüllt und keiner Szene oder Sequenz zugeordnet ist, einem basalen logischen Objekt außerhalb des Teilbaums zugeordnet ist. Man kann nun fragen, warum Metz hier von vornherein ‘deskriptiv’ klassifiziert und im Unterschied zum Segment 1 ein ‘Syntagma zusammenfassender Klammerung’ gar nicht in Erwägung zieht. Die Antwort liegt darin, dass sich hier die Frage einer nicht-deskriptiven Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 263 Lesart gar nicht stellt, da man schon beim ersten Sehen die Einstellungen dieses ganzen Segmentes mit dem Rest der Diegese verknüpft: In der vorgegebenen Layoutierung sieht man in der zweiten und dritten Einstellung deutlich Michel, wie er es sich gut gehen lässt, so dass es uns mit dem a priori Wissen der ersten 44 Segmente leicht fällt, die Einstellungen dieses ganzen Segmentes denotativ zu lesen 28 . Kopräsente Strukturierbarkeit in Segment 71 aus “Adieu Philippine” In Segment 71 sehen wir eine Bootsfahrt, die nach einer Szene (Segment 70) von Metz wie folgt beschrieben wird: “Der Übergang vom Narrativen zum Deskriptiven ist unmittelbar zu spüren. Die Musik, die diese Bildfolge in ihrem ganzen Ablauf begleitet, verleiht ihr einen lyrischen Akzent. Die verschwommenen Einstellungen, die das fahrende Boot, das Meer, den Himmel, die Jachten ringsumher, die zwei Mädchen am Bug des Bootes zeigen, skizzieren keine fortlaufende Geschichte, sondern eher einen lyrischen Gesang, der Schönheit des Meeres gewidmet. Man sieht weder, dass das Boot ein bestimmtes Ziel ansteuert, noch dass sich die Landschaft ändert; die Zeit scheint aufgehoben zu sein bis zu dem Augenblick, wo mit einem Male die Musik aufhört und das Bild wechselt: das Bild wird klarer und zeigt die Einfahrt des Bootes in den Hafen. Diese letzte Einstellung gehört schon zur folgenden Einheit.” Metz (1972, 221) Das Segment S71 besteht aus 9 Einstellungen S 71 =(T 1 ,…,T 9 ). Die Einstellungen T 1 , T 2 , T 6 , T 7 , T 8 zeigen Liliane, Juliette, Michel und zumeist den Skipper im Gegenlicht ohne erkennbaren narrativen Fortschritt. Es handelt sich im Teilsegment S'= (T 1 , T 2 , T 6 , T 7 , T 8 ) für die Umgebung des Bootes um eine szenische Deskription oder um eine perzeptive Deskription eines extradiegetischen Perzeptors. Die verbleibenden Einstellungen T 3 , T 4 , T 5 und T 9 zeigen Perzeptionen des Meeres: T 3 , T 4 , T 5 zeigen jeweils eine reine Meeresaufnahme; T9 zeigt den ersten Teil einer Einfahrt in einen Hafen und markiert den Übergang zum nachfolgenden (von Metz als alternierend klassifizierten) Segment S 72 . Die ersten drei Einstellungen ergeben für eine geeignete Beobachtermenge B einen kopräsent permutierbaren Teilbaum, da 1. T 3 , T 4 , T 5 zu dritt problemlos einem Teilbaum als content portions zugeordnet werden können, 2. die ihnen zugeordneten diegetischen Zeiten dieT(B,T ), 1 3, in der Weise als gleichzeitig von allen B B konzeptionalisiert werden können, dass für jeden Beobachter B B dieConT(B) = JOIN 1 3 dieT(B,T ) existiert. 3. von allen Beobachtern B B und für alle , 1 3 angenommen werden kann: dieT(B,T ) = dieConT(B) 4. jedes Layout von T 1 , T 2 ,…, T 3 den diegetischen Raum und die diegetische Zeit invariant lässt. Da das Raumurbild von Beobachtern des Filmes bis zu diesem Segment selbst als “Meeresteile bei Korsika” geschätzt werden kann, handelt es beim Teilsegment S''=(T 3 , T 4 , T 5 ) um eine perzeptive Deskription eines extradiegetischen Perzeptors oder einer der intradiegetischen Perzeptoren. Karl-Heinrich Schmidt 264 Es verbleibt die Einstellung T 9 . Diese Einstellung ist deskriptiv-narrativ fusioniert mit dem nachfolgenden Segment 72, was sich naturgemäß aber erst in diesem zeigt. Wir unterstellen für die Klassifikation eine Expansion von T 9 (cf. Abschnitt 6); dann haben wir es in S 71 mit (T 1 ,…,T 9 ,des) und in S 72 mit ( T 9 , narr ,…) zu tun. Für S 71 = (T 1 ,…,T 9,des ) ergibt sich - mit der hier auch empirisch buchstäblich sichtbaren interpretatorischen Härte für die Fusion - insgesamt: Für S * =S''*(T 9,des ) bildet M S' M S* die Einstellungsmenge für eine unter den Syntagmen S={szenische Deskription, perzeptive Deskription} kopräsent strukturierbaren Teilbaums, da 1. das zugehörige Segment S 71 zu den Syntagmen {szenische Deskription, perzeptive Deskription} passend kopräsent (B, 2)-partit ist für die partitionierenden Mengen M S' und M S* ; 2. für M S' und M S* die zugehörigen Segmente S' und S* vertauschbar sind, also [(S'), (S*)] gilt. 3. in Adieu Philippine keine weitere Einstellung T außerhalb von S 71 einem Segment zugeordnet ist, das von allen B B als Szene oder Sequenz klassifiziert wird, wobei zugleich für ein i {S', S*} die Menge M i '= M i {T} anstelle von M i die 1. und 2. Bedingung erfüllt. Die interpretatorische Härte für die Fusion wird abgemildert durch die Annahme, dass hier after B (T, T 9,narr ) gilt für alle T M S72 , womit wenigstens der temporale Übergangscharakter von T 9 für das folgende narrative Segment abgebildet wird. Deskription und Exemplifikation: Das Schlußsegment 83 aus “Adieu Philippine” Mit dem Segment 83 erreicht “Adieu Philippine” sein Ende: Michel, der seinen Einberufungsbefehl erhalten hat, sowie Liliane und Juliette fahren mit einem Auto gemeinsam zu einem korsischen Hafen, wo sich ihre Wege trennen. Metz fasst das Segment inhaltlich wie folgt zusammen: “Es ist heller Tag, als das Auto im Hafen von Calvi ankommt. Damit beginnt die lange und wunderbare Sequenz der Abfahrt des Schiffes und des Abschiedes” (Metz (1972, 231)). Syntagmatisch klassifiziert Metz dieses Segment kommentarlos und ohne Zögern als ‘Sequenz’. Damit tut er seiner ganzen Begriffsbildung sicher keinen empirischen Gefallen. Wollten wir unsere Definition von Sequenz anwenden, ist es (definitionsgemäß) notwendig, dass die Reihung der Einstellungen einen zeitlichen Ablauf homomorph denotiert. Das kann man für dieses Segment nur bis zu einem gewissen Punkt problemlos annehmen; dann muss man differenzierter hinsehen. Zunächst kommt in der Tat ein Segment, das man als Realisation einer Sequenz ansehen und mit ‘Aufbruch zum Schiff’ benennen kann. Diese Sequenz dauert bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Totale, welche links im Bild eine Schiffswand und rechts im Bild die Mole zeigt, durch eine Wischblende beendet wird. Die ersten drei Einstellungen dieser Sequenz sind durch die folgenden räumlich in ein Hafengebiet konzeptionell einbettbar; die vierte Einstellung bis zur Wischblende werden durch räumliche Anker und über den diegetischen Ton räumlich so integiert, dass für das Urbild der Messung von Beobachtern ein Modell der räumlichen Verhältnisse angelegt werden kann. Dann kann man mit Metz versuchen, narrativ weiterzulesen, um die Sequenz fortzuführen. Allerdings können die weitere Reihenfolge der Einstellungen und der raumzeitliche Ablauf nicht homomorph sein: Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 265 1. Die Entfernungen, die das sich entfernende Schiff vom Hafenrand hat, stimmen nicht überein mit den Entfernungen der mehrmals auf den Hafen zurückblickenden Kamera auf dem Schiff; 2. zwei Einstellungen der laufenden und winkenden Frauen Liliane und Juliette auf einer Mole zeigen im wesentlichen dieselben Laufpositionen im Urbild, obwohl die Frauen schon weitergelaufen sein müssten. Diese teilweise offensichtlichen Unstimmigkeiten legen nahe, dass eine rein denotative Lesart wohl gar nicht intendiert ist. - Nach der Wischblende ist eine “alternierende” Folge von “Perzeptionen vom Land aus zum Schiff” und “Perzeptionen vom Schiff aus zum Land” gegeben, welche zunehmend auch exemplifikatorisch - also einen Situationstyp kennzeichnend - gelesen werden können. Im Segment 83 kann man nach der Wischblende bei exemplifikatorischer Lesart auch zwei Segmente mit zwei alternierend aufaggregierten Realisationen eines exemplifikatorischen funktionierenden Syntagmas vermuten: Die eine Realisation drückt Abschied des Fortfahrenden aus, die andere Abschied der Bleibenden. Diese beiden exemplifikatorischen Segmente zusammen bilden eine Einheit höherer Ordnung, welche thematisch insgesamt ‘Abschied’ ausdrückt. Die Einstellungen werden immer totaler, womit in der Tat das Sichentfernen denotiert wird. Dies ist auch der denotative Kern des Ganzen. Der Ausdruck des Abschiedes überlagert zunehmend diesen denotativen Kern, der handwerklich ja auch nicht genau realisiert ist, wie wir oben schon gezeigt haben. Fast könnte man sagen: Das langsame Abdriften in die Visualisierung eines Situationstyps erlaubt die handwerklichen Ungenauigkeiten. Für einen denotativen Klassifikator setzt sich der denotative Kern natürlich durch. Es ist tatsächlich möglich, entlang der Dokumentenordnung eine homomorphe Abbildung eines diegetischen Ablaufes zu konzeptionalisieren, der das exemplifikatorische Crescendo überlagert und bei situationsspezifischer Lesart jede deskriptive Klassifikation ausschließt. Wir sehen hier, wie stark unsere Anforderungen an narrative Syntagmen sind: Sobald eine narrative Linie in einer Menge von Einstellungen auch bei handwerklichen Mängeln von Beobachtern unterstellt werden kann, hat eine deskriptive Auffassung bei einem die Denotation priorisierenden Klassifikator keine Chance. Insgesamt ergibt sich ein mit den bisherigen Mitteln nur mit einem denotativen Auge klassifizierbares Segment, welches den ‘Schluss des Films’ ausmacht und in dem die Trennung der Wege der beiden Mädchen einerseits und Michels andererseits inszeniert wird. Dieser Schluss nimmt inhaltlich auf den Anfang des Films Bezug, wo sich die Wege der Frauen und Michels erstmalig kreuzten. Aber auch formal haben wir hier exakt dieselbe klassifikatorische Ausgangslage wie im Segment 1. Warum Metz allerdings das Segment 1 als ‘Syntagma zusammenfassender Klammerung’, das Schlusssegment aber rein denotativ klassifiziert, ist bei ihm zumindest nicht konsequent zu Ende diskutiert. Empirisch zeigt sich hier auch, dass auch nicht rein denotativ interpretierbare cinematographische Segmente in (ggf. noch zu findende! ) Syntagmen höherer Ordnung aufaggregiert werden können. Im Rahmen einer Analyse von Adieu Philippine ist eine zur Analyse solcher Phänomene umfassende exemplifikatorische Syntagmatik allerdings aufgrund des geringen empirischen Materials nicht plausibel erzeugbar. Ein entsprechende Analyse kann ferner grundsätzlich nicht ohne ein Beobachtermodell, das über die Möglichkeit denotativer Bezugnahmen hinausgeht, durchgeführt werden. Wir stoßen hier auch empirisch an die in Abschnitt 13 theoretisch angesprochenen Grenzen einer rein denotativen Sicht. Karl-Heinrich Schmidt 266 15. Probleme und Aussichten Die exemplifikatorischen Grenzen der Metz’schen Syntagmatik wurden im vorigen Abschnitt und im Abschnitt 13 aufgezeigt. Ferner wurden die Fragen, die das Phänomen der filmischen Fusion aufwerfen, zwar mehrfach angesprochen und im vorigen Abschnitt in der Analyse des Segmentes 1 von “Adieu Philippine” empirisch analysiert; theoretisch behandelt wurden diese Probleme aber nur für den Übergang zwischen einem deskriptiven und einem narrativen Segment (in Abschnitt 9). In welcher Weise beide Problembereiche generell angegangen werden können, muss hier offen bleiben. Vielleicht sind die dahinterliegenden Fragestellungen so allgemein, dass eine Behandlung im Rahmen einer Filmsyntagmatik zwar reichhaltiges Beispielmaterial liefert, aber nicht erschöpfend sein kann. Was bisher ebenfalls weitgehend unbehandelt blieb, ist die Explikation der Beobachtermodelle - selbst für den hier schwerpunktmäßig behandelten denotativ-chronologischen Teil einer Filmsyntagmatik. Schon eine einzelne Einstellung erfordert auf “natürliche Weise” raumzeitlich eine “rationale” Auffassung der abgebildeten Situation. Für eine rationale Beobachtermenge B kann es zum Beispiel nicht sein, dass ein abgebildetes Objekt unbegründet ein perzeptuelles Attribut verändert: Wenn eine Einstellung einen Mann mit einem roten Hut zeigt und denselben Mann mit einem blauen Hut, muss z.B. ein Hutwechsel für alle B B beobachtbar sein oder von ihm geschlossen werden können, dass ein Hutwechsel entweder durch Verdeckung oder außerhalb des Urbildes (durch Schwenk oder Bewegung des Hutträgers aus dem Bild) erfolgte. Jede Annahme von Beobachterrationalität erlaubt nur unter Bedingungen eine Revision seines Glaubens.. Da wir einleitend (cf. Abschnitt 3) verlangt haben, dass ein Beobachter eines Films sich auf das filmische Geschehen einlässt (“So sei es gewesen”), heißt das im allgemeinen, dass er die diegetische Welt wie einen Teil der wirklichen Welt behandelt. In dieser erfüllt der Beobachter die Rationalitätsanforderungen des Common Sense, wie sie etwa in Davis (1990) modelliert werden. Insbesondere wechselt ein rationaler Beobachter nur begründet seine Glaubensannahmen. Dieses Zusammenspiel zwischen Dokument und Beobachter wurde hier immer nur angenommen und nicht ausgearbeitet. Wie geht es weiter? Ein nächster Schritt der Reformulierung der Metz’schen Großen Syntagmatik wird sich mit achronologischen Strukturen auseinandersetzen, da die chronologische Syntagmatik mit der vorliegenden dritten Etappe einer Revision der Großen Syntagmatik des Films und den in dieser Zeitschrift im Band 25 (2002), pp. 64-94 und Band 27 (2004), pp. 95-123 schon erschienenen Artikeln zunächst abgeschlossen ist. Der achronologische Fall wird natürlich aufsetzen bei einer Analyse des Metz’schen “parallelen Syntagmas”. - Eine andere Richtung ist die Analyse von Syntagmen, die auch Elemente unterhalb der Einstellungsebene einbeziehen, womit die Große Syntagmatik allerdings verlassen wird. 16. Dank Ich danke den Inhabern der Restaurants “Waterbör”, “Habichtshöhe”, “Zum Grünen Walde” und “Lindenhof” sowie den Inhabern der Spelunken und Cafes “Miles”, “Fritz Bauch” und “Unter den Linden” für die Bereitstellung von Sitzplätzen bei manchmal schlechtem Umsatz. Meiner Frau Friederike danke ich für die Tolerierung zeitraubender und für die Haushaltsführung vollkommen nutzloser Tätigkeiten wie Forschen und Artikelschreiben. Meine Töchter Carlotta und Constanze beobachten fassungslos meine Bereitschaft, am Computer zu Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 267 sitzen und nicht an den Strand zu gehen. Ich weiß noch nicht, in welcher Form ich ihnen danken können könnte und sollte. 17. Literatur Allen, James (1983) Maintaining Knowledge about Temporal Intervalls, Comm. ACM 26: 832-843. Allen, J., Hayes, P. (1985) A Common-Sense Theory of Time, Proceedings of IJCAI 1985: 528-531. Almeida, Michael J (1995) Time in Narratives, in: Deixis in Narrative - A Cognitive Science Perspective, ed. by J.F. Duchan, G.a. Bruder, L.E. Hewitt, Hillsdale, New Jersey: Lawrence Erlbaum Ass., Inc., pp. 159-189. Barwise, J. (1981) Scenes and other situations, The Journal of Philosophy, Volume LXXVIII, No. 7, 369-397. Branigan, Edward (1992) Narrative Comprehension and Film. London: Routledge (Sightlines Series). Buckland, Warren (1995) (ed.) The Film Spectator: From Sign to Mind. Amsterdam: Amsterdam University Press. Bulgakowa, Okasana (1990) Narration, auf ein Minimum reduziert: Analyse der Anfangssequnzen in einigen Spielfilmen. In: Schweinitz (1990). Colin, Michel (1989) La Grande Syntagmatique Revisitée, in: Cinéma, Télévision, Cognition. Nancy: Presses Universitaires de Nancy, 1992, pp. 47-84. Davis, Ernest (1990) Representations of Commonsense Knowledge, San Mateo, CA: Morgan Kaufmann. Debatin, Bernhard, Wulff, Hans J. (1991) Telefon und Kultur: Das Telefon im Spielfilm (Reihe: Telefon und Gesellschaft, Bd. 4, Forschungsgruppe Telefonkommunikation (Hrsg)). Berlin: Spiess. Devlin, Keith (1993) Infos und Infone. Die mathematische Struktur der Information (engl.: Logic and Information). Basel Boston Berlin: Birkhäuser Verlag. Goodman, Nelson, Elgin. Catherine Z. (1989) Revisionen. Frankfurt: Suhrkamp. Hayes, P. (1978) The Naive Physics Manifesto, in: Expert Systems in the Micro-electronic Age, ed. by D. Michie, Edinburgh, Scotland: Edinburgh University Press. Martinez, Jose M., ISO/ IEC JTC1/ SC29/ WG11, CODING OF MOVING PICTURES AND AUDIO, N4980, MPEG- 7 Overview, http: / / www.chiariglione.org/ mpeg/ standards/ mpeg-7/ mpeg-7.htm. McDermott, D. (1982) A temporal logic for reasoning about processes and plans, in: Cognitive Science, 6, pp. 101-155. Metz, Christian (1964) Le cinéma: langue ou langage? In: Communications 4, pp. 52-90). Metz, Christian (1965) Une étape dans la réflexion sur le cinéma, in: Critique 214, pp. 227-248. Metz, Christian (1966) La grande syntagmatique du film narratif, in: Communications 8, pp. 120-124. Metz, Christian (1972) Semiologie des Films. München: Wilhelm Fink Verlag. Möller-Naß, Karl-Dietmar (1986): Filmsprache - Eine kritische Theoriegeschichte, Münster: MakS Publikationen (Film: Theorie und Geschichte 1). Monaco, James (1995) Film verstehen. Reinbek: Rowohlt. Salt, Barry (1983) Film Style & Technology: History and Analysis. London: Starword. W.C. Salmon, W.C. (1983) Logik, Stuttgart, Philipp Reclam. Schmidt, K.-H. (1999) Wissensmedien für kognitive Agenten, Bonn: Infix-Verlag. Schmidt, K.-H., Strauch, Th. (2002) Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten: Eine semiologische Reklassifikation der Syntagmatik von Metz, in: Kodikas/ Code Vol. 25 (2002), pp. 64-94. Schmidt, K.-H. (2004) Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (II): Polyspatiale Alternanz, in: Kodikas/ Code Vol. 27(2004), pp. 95-123. Vila, Lluis (1994) A Survey on Temporal reasoning in Artificial Intelligence, AICOM Vol. 7, Nr. 1, March 1994, pp. 4-28. Schweinitz, J. (1990) (ed.) Erzählen in Literatur und Film. Materialien eines Symposiums der Forschungsgruppe Film vom 5. Dezember bis 7. Dezember 1989. Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Wulff, Hans J. (1998) Semiotik der Filmanalyse - Ein Beitrag zur Methodologie und Kritik filmischer Werkanalyse, in: Kodikas/ Code Vol. 21 (1998), pp. 19-35. Wuss, Peter Der spaltbare rote Faden der Filmgeschichten. Zur Modellierung narrativ wirksamer Strukturen des Spielfilms, in: Schweinitz (1990). Karl-Heinrich Schmidt 268 Anmerkungen 1 Z.B. Metz (1964), Metz (1965), Metz (1966) und Metz (1972). 2 Zur Übersicht hier noch einmal eine graphische Repräsentation der Metz’schen Syntagmatik (nachgezeichnet nach Metz (1972, 198)): #grafik# 3 Dies ist auch deshalb sinnvoll, weil die Analyse von Bewegtbilddaten außerhalb der Filmwissenschaften zunehmend “kognitive” Gesichtspunkte für die maschinelle Interpretation von Mustern nutzt (in der “Cognitive Vision”). 4 Allerdings ist der menschliche (“kompetente”) Beobachter ständig in Gefahr, diese beiden Ebenen aufgrund salienter Phänomene in einer Einstellung - zum Beispiel durch Fixierung auf Handlungsträger - zu vermischen. Hieraus rühren viele Probleme bei der syntagmatischen Klassifikation von Bewegtbilddaten. 5 Vergleiche dazu die Analysen in Abschnitt 9 und Abschnitt 14. 6 Die englischen Bezeichnungen haben sich auch im deutschen Sprachraum eingebürgert. Wir halten es hier so, dass ohne sprachliche Verrenkungen ins Deutsche übersetzbare Fachbegriffe deutsch verwendet werden; alle anderen werden nicht übersetzt und nur numerisch flektiert. - Ferner werden alle definitorisch eingeführten Termini von der definitorischen Einführung an kursiv ausgezeichnet, sofern (! ) auf die definitorische Einführung Bezug genommen wird. Ebenso sind sonstige Hervorhebungen kursiv. 7 Eine GIF-Animation kommt also i.a. nicht in Frage. 8 Zur exakten Begriffsbildung für diese Forderung cf. (Schmidt 1999), insbesondere Kapitel 3. 9 ”SpaceTime” ist in MPEG-7 Teil der “Narrative World” (cf. Martinez (2002), Fig. 13). 10 Nach Davis (1990, 147ff) im Anschluss an Hayes (1978); im Englischen vielleicht etwas missverständlich “measure space”. 11 Hier geht entscheidend ein, dass wir für cinematographische Dokumente nur einen Ausgabedatenstrom haben. 12 Meines Wissens führte McDermott (1982) zur Analyse der zeitlichen Ordnung der Repräsentation von Zuständen und Ereignissen den Begriff der Chronik ein: “A chronicle is a complete possible history of the universe”. Chroniken dienen ihm zur Anordnung zunächst von Zuständen (“states”). Jeder Zustand ist “an instantaneous snapshot of the universe” (McDermott (1982, 105f)). Die Rede von “snapshots” können wir hier fast wörtlich nehmen: Jedes einzelne Filmbild kann als ein solcher “snapshot” aufgefasst werden. Da wir hier aber an makroskopischen Fragen interessiert sind, werden nur Einstellungen und Einstellungsmengen untersucht. 13 Die verbrauchte diegetische Zwischenzeit IZ mit der Länge diz kann im Verhältnis zu dieT(T 1 ) und dieT(T 2 ) sehr groß, etwa gleicher Dimension und sehr klein sein. Ist diz << l(T 1 ), l(T 2 ), kann man dieT(S)= l(T 1 ) + l(T 2 ) vorsehen; ist diz >> l(T 1 ), l(T 2 ), kann man dieT(S)= iz vorsehen. Das muss aber einer weiteren Untersuchung diegetischer Zeit vorbehalten bleiben. 14 Die Annahme der unbeschränkten Vertauschbarkeit ist ziemlich stark. Algebraisch fomuliert: Die volle symmetrische Gruppe vom Grad der Anzahl der Einstellungen lässt die Diegese invariant. Wir werden diese Annahme später bei der Untersuchung von strukturierten Kopräsenzen abschwächen. 15 Die syntagmatische Kategorie der Planszene wurde in Schmidt, Strauch (2002) zunächst als Residualkategorie eingeführt: Eine Planszene ist für einen gegebenen Layoutprozess einer einzelnen Einstellung zugeordnet, die in einer vollständigen Klassifikation des Dokuments keinem anderen Syntagma zugeordnet werden kann. Die Planszene heißt bei Metz noch ‘Plansequenz’. Wir benutzen ‘Plansequenz’ nicht, wie in Schmidt, Strauch (2002) ausführlich begründet wurde. 16 Zur Repräsentation des (propositionalen) äußeren Inhaltes intentionaler Zustände cf. Devlin (1993, p. 187f) . 17 Die Analyse epistemischer Neutralität im Zusammenhang mit Perzeptionsfragen führt philosophisch vermutlich schnell in Grundsatzdiskussionen. Darum geht es hier nicht. - Barwise (1981) führt mit sprachphilosophischen Focus insbesondere bei der Untersuchung “nackter Infinitive” für natürlich sprachliche Perzeptionsrepräsentationen “epistemische Neutralität” ein. Dessen Analyse führt zu einer Unterscheidung von zwei Operatoren “sehen” (epistemologisch neutral) und “sehen, daß” (epistemologisch positiv), die auch in Devlin (1993), insbesondere p. 232ff für unseren cinematographischen Zusammenhang instruktiv diskutiert wird. 18 Gerade bei Filmdaten gibt es für den menschlichen Beobachter allerdings eine große narrative Verführbarkeit. Dies betrifft insbesondere die Tendenz, bei der Beobachtung von Beobachtern zu fokalisiseren. Ist in einer Einstellung ein Mensch zu sehen, wird er über seine raumzeitliche Positionierung hinaus oft mit allen möglichen mentalen Zuständen und Ereignissen ausgestattet. Diese Verführbarkeit kollidiert im deskriptiven Fall leicht mit unserer Forderung, ein Filmmessdatum epistemisch neutral zu verwenden. 19 Gemäß Salmon (1983, p. 10) verwenden wir das Wort “Argument” generell für eine Menge von Sätzen, die zueinander in definierten Beziehungen stehen wie Prämissen und Konklusionen. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 269 20 Missbräuchliche Verwendungsweisen werden in Salmon (1983, p. 185ff ) erörtert. 21 Die weiteren Argumente lassen sich natürlich auch auf die Laufzeit einer einzelnen Einstellung T übertragen. Das betrifft aber nicht eine große Syntagmatik. 22 Ein restriktives Vorgehen für die Bildung solcher Aussagen wurde in Schmidt 1999 beschrieben: Man lässt nur Aussagen p zu, die sich auf die abbildungstreue cinematographische Daten in S invertierbar beziehen (zu den technischen Details cf. Schmidt (1999, Kapitel 11). 23 In unseren empirischen Analysen in Abschnitt 14 kommen Fusionen gleich in mehreren Segmenten von “Adieu Philippine” zur Sprache. 24 Syntagmatisch können wir diese Ironie natürlich nicht erfassen. 25 Dazu eine Spekulation: Die Leichtigkeit, mit der man Einstellungen wie T und T' in der obigen Sportberichterstattung exemplifikatorisch auffassen kann, liegt m.E. daran, dass man für die denotative Interpretation raumzeitlicher Filmbilder als menschlicher Beobachter oft keine großen geistigen Anstrengungen erbringen muss. Sie stellt sich häufig “von selbst” ein, so dass man sofort für das “Sonstige” (Stimmung, etc.) Ressourcen zur Verfügung hat. Ob nun aus diesen Gründen oder anderen: Eine Deskription wird vom menschliche Beobachter häufig ergänzt durch exemplifikatorische Bezugnahmen. So kann in einer perzeptiven Deskription sehr leicht auch die Schönheit (Traurigkeit, etc.) einer Landschaft durch die einzelnen Einstellungen mit ausgedrückt werden. 26 Zum Status solcher ad hoc-Beispiele cf. Colin in Buckland (1995, p. 60f). 27 ”Wieviel Information über den gesamten Film tatsächlich in den ersten drei bis fünf Minuten von der Leinwand ‘herunterkommt’, …ist…sehr umfangreich. Dabei geben eben diese wenigen Minuten … nicht den Ansatz von Plot oder Fabel”; vielmehr ist hier “so etwas wie ein Lesecode des Films enthalten, der einiges über die semantischen Oppositionen und bestimmenden Gestaltungsmittel (schließlich die Wirkungsabsichten)” aussagt, so Bulgakowa in Schweinitz (1990, p.18). 28 Tatsächlich enthalten von den vier deskriptiven Einstellungen des Segmentes 45 drei eine Darstellung von Michel.