eJournals Kodikas/Code 32/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Für Partnersuchende war die printmediale Kontaktanzeige lange Zeit eines der wichtigsten Instrumente zur Erweiterung ihres Suchradius. Diesen Rang dürft sie verloren haben, denn die medial vermittelte Suche nach einem Partner findet heute vorwiegend im Internet statt: Virtuelle Kontaktbörsen erfreuen sich großer Beliebtheit. Wie die quantitative Analyse von Profilen zweier Schweizer Kontaktbörsen zeigt, benutzen die Suchenden hier immer noch Kategorien der Selbst- und Fremdrepräsentation, die auch in printmedialen Kontaktanzeigen gefunden werden können. Die qualitative Analyse aber zeigt, dass virtuelle Kontaktbörsen viel komplexere Selbstdarstellungen zulassen und damit den Suchenden die Möglichkeit geben, die Beschränkungen der printmedialen Anzeigen zu überwinden und mit neuen Arten der Selbstinszenierung gleichzeitig auch die kommunikative Gattung "Kontaktanzeige" zu transzendieren.
2009
321-2

"Aus Liebe zu dir": Selbst- und Fremdrepräsentationen in Profilen auf Schweizer online-Partnerbörsen

2009
Daniel H. Rellstab
Pimp your profile 195 Abb. 4: Profilfoto-Thumbnails bei Myspace Deutschland (http: / / www.myspace.com [Zugriff 29.05.08]) Profilfotos, die somit dem Suchenden als visuelle Repräsentationen der Mitglieder dienen (siehe Abb. 4). Sie sind Teil des kommunizierten Images auf den Mitgliedsseiten, sie geben ihnen quasi ein Gesicht. Schaut man sich die einzelnen Profilfotos an, so fällt auf, dass diese erheblich weniger den anhand von Flickr vorgestellten fotografischen Codes entsprechen. Es dominiert das Porträt, das jedoch kaum eine gezielte Lichtführung bzw. Hintergrund- Vordergrund-Gestaltung der Genrefotografie enthält. Vielmehr scheint hier das Motiv bzw. die dargestellte Person selbst im Fokus zu stehen. Das Porträt ist nicht als Genre thematisiert, sondern als Mittel der direkten Imagekonstruktion bzw. Selbstdarstellung des entsprechenden Users oder der Userin. Auch in den Fotostrecken auf den persönlichen Seiten der Community- Mitglieder zeigen sich sehr häufig Personen in konkreten situativen Kontexten wie Partys, Urlaub, Freizeitaktivitäten. Oftmals lassen sich konkrete Personen durch ihr bestimmbares Stefan Meier 196 Antlitz ausmachen. Die Networker zeigen sich somit in ihren vermeintlich privaten Offline- Kontexten, geben so dem realisierten Image eine authentische Anmutung. Sie arbeiten mit bildlichen Andeutungen auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mittels Szene-Insignien (z.B. Tatoos, Kleidung) und zeigen bestimmte Fanorientierungen (z.B. erkennbare Band-Logos, Vereins-Wappen). Sie inszenieren sich als attraktive und aktive Mitglieder in Vergnügungsgemeinschaften und Eventkulturen, visualisieren somit das angestrebte Fremdbild direkt, wobei die Profilfotos bei Flickr eher durch kreative Perspektiven, Ausschnitte, Motivwahlen etc. dem hegemonialen Werte- und Geschmackskonsens kreativer Fotografie als Mittel der Selbstdarstellung verpflichtet zu sein scheinen. Die genannten social networks favorisieren dem gegenüber verstärkt die dokumentarische Funktion von Fotografie. Hierfür wird kalkuliert, was gezeigt, sprich fotografisch preisgegeben werden kann und was nicht. Fotografie wird somit als Mittel der bildlichen Präsentation realer Personen und deren Charaktereigenschaften angesehen und weniger als ästhetische Ausdrucksform. Dies zeigt sich in einem qualitativen Interview, das Master-Studierende der Medienkommunikation im Rahmen regelmäßig stattfindender Forschungsseminare geführt haben. Auf die Frage, wie der Interviewpartner mit Fotos in social networks umgehe, antwortet dieser wie folgt: Das kommt aufs Netzwerk an. Sind meistens Fotos, wo ich schon erkennbar bin, aber auch nicht ganz. Naja ich hab das ’ne zeitlang mal ziemlich intensiv betrieben, mit Fotos und Partyfotos hochladen und da war irgendwann mal der Punkt: die Daten können verkauft werden und das kriegst du eh nicht mit. Und da hab ich aufgehört, so viele Fotos reinzustellen. Nehme aber jetzt immer Fotos, also Profilfotos, da sieht man zwar das Gesicht, aber du würdest mich in der Realität nicht erkennen, bei MySpace, StudiVZ nicht erkennbar, bei Facebook würdest du mich erkennen. Hat aber den Hintergrund, dass ich bei Facebook viel mehr oder schneller Kontakte knüpfe. An einer anderen Stelle gibt der Interviewpartner Auskunft, wie er die Fotos der anderen User nutzt. Hierbei zeigt sich, dass die Nutzer vermittels der Bilder zuweilen das Gefühl haben, den anderen in ihren bildlich inszenierten Offline-Welten zuzuschauen. Damit werden das Bedürfnis nach Selbstdarstellung und der voyeuristische Drang nach verborgener Beobachtung von Personen synchron bedient. Hierdurch kann es zu konkreten Handlungsentscheidungen kommen, wie es sich im folgenden Zitat zeigt: Du hast halt beispielsweise bei 20 Mädels ja angeklickt. Dann kriegen die ne Benachrichtigung, gucken dein Profil an, deine Fotos und sagen: ‘Ey, der ist ja ganz süß’, und dann weißt du das auch, und dann suchst du dir halt irgendeinen Punkt auf ihrer Website, wo du anhaken kannst. In einer weiteren Interviewstelle zeigt sich nochmals, dass Fotos als Authentizitätsabgleich herangezogen werden. Durch die Betrachtung der im Album gezeigten Bilder versucht der Suchende über die visuellen aber auch charakterlichen Eigentümlichkeiten der Person Hinweise zu bekommen. Er unterstellt der Fotografie eine Darstellungsfunktion bezogen auf die entsprechende Offline-Person und erwartet durch die Fotografien, die er sich auch aus unterschiedlichen Portalen zusammensucht, den realen Menschen näher kennen zu lernen. Nur so lässt sich sein Erstaunen bei dem folgend geschilderten Zusammentreffen mit einer Online-Bekanntschaft erklären: Und ich wusste halt nicht, dass sie vietnamesischer Abstammung ist, also zur Hälfte, das hab ich zum Beispiel auch nicht über die Facebook-Seite rausbekommen. Auch nicht über die Fotos, als ich sie jedoch live gesehen hab, schon ein bisschen, weil da sieht man ja schon ein bissl anders aus als auf den Fotos. Pimp your profile 197 5 Fazit Es wurde deutlich, dass Fotografie in der Image- und Beziehungsarbeit in so genannten Web 2.0-Anwendungen eine besondere Rolle spielt. In den einzelnen Portalen lassen sich jedoch Unterschiede hinsichtlich Funktion und Gestaltung ermitteln. Während in der Community Flickr aufgrund eines komplexen Voting- und Ratingsystems das Foto selbst bzw. seine Erstellung als Leitthema fungiert, dient es in den so genannten social networks eher als Mittel der direkten Selbstdarstellung und Veranschaulichung realer Personen. Sie bilden Verkörperungen der Netzwerk-Teilnehmerinnen und -teilnehmer im digitalen Raum. Diese unterschiedlichen Funktionen haben Auswirkungen auf die visuelle Umsetzung der Fotos. Mittels einer bestimmten Nutzung des kollaborativen Folksonomy-Systems hat sich bei Flickr ein dominanter Wertekonsens herausgebildet, der Fotografie als ästhetische Ausdrucksform begreift. Daran koppelt sich die Beschäftigung und Umsetzung bestimmter fotografischer Stilcodes, die sich in fachlichen Spezialdiskursen entwickelt haben. Die prominent wahrnehmbaren Community-Aktivisten gründen ihr kollektives Selbstverständnis auf der variierenden Reproduktion des in diesen Spezialdiskursen produzierten Wissens und nutzen es als Mittel der Vergemeinschaftung nach innen sowie der Distinktion nach außen. Beziehungsstiftung bzw. positive Imagezuschreibungen organisieren sich so zum einen aus der unterstellten Fülle des in den Einzelbildern umgesetzten fotografischen Wissens, zum anderen aus einer als innovativ und ideenreich empfundenen Brechung dieser Stilkonventionen. Entscheidend ist zudem die Beteiligung am community-internen networking, das die Gründung und Bekanntmachung von Gruppen beinhaltet sowie den Aufbau eines durch taggen einzelner Bilder verursachtes Verlinkungsgeflecht. Hieraus entsteht soziales Kapital. Das Mitglied oder eine Gruppe wird so in eine prominente, sprich leichter wahrnehmbare Position innerhalb der Community versetzt. In so genannten social networks kommt Fotografie ebenfalls intensiv zum Einsatz. Es zeigt sich dort jedoch, dass Fotografie bzw. ihre Machart nicht als konkretes Leitthema dient, sondern dass die Imagepflege, Beziehungsstiftung sowie -arbeit im Vordergrund steht. So werden eher die Bildinhalte thematisiert, in denen konkrete Personen bzw. deren Eigenschaften gezeigt werden. Fotos dienen damit der Spezifizierung des angestrebten Images in den Profilen. Sie fungieren als kommunikative Mittel zur visuellen Charakterisierung des dargestellten Selbst. Dabei ist weniger die ästhetische Umsetzung der Bilder entscheidend, auch wenn dies ebenfalls als Mittel der Imagearbeit eingesetzt werden kann, sondern die glaubhafte Vorführung einer bestimmten Persönlichkeit in authentisch anmutenden Offline- Situationen. Diese Praxis mag Attraktivität bei den Betrachtenden erreichen, indem ihnen das Gefühl vermittelt wird, einen Ausschnitt realen Lebens der entsprechenden Person beobachten zu können. Dabei scheint es zunächst egal zu sein, ob sich das einzelne Profil an eher anonyme Rezipienten oder an bereits aus Offline-Kontexten bekannte Adressaten richtet. Gerade wenig gestaltete Fotos können für diese dokumentarische Wirkung zweckdienlicher sein, da ihnen höhere Evidenz, Situativität und konkrete Verortung zugeschrieben werden kann. Denn Fotos werden zur Herstellung von Authentizität unter den Interaktanten genutzt, die sich in der online-medialen Kommunikationssituation in einem entkörperlichten und örtlich entkontextualisierten Austausch befinden. Neben dieser unterstellten dokumentarischen Funktion von Fotografie kommen außerdem die sogenannten Profilfotos als visuelle Repräsentationen der Portal-Nutzerinnen und -nutzer zum Einsatz. Diese Funktion unterscheidet sich zwischen den communities und social networks kaum. Profilfotos sind visuelle Ansichten des kommunizierten Images und stiften Stefan Meier 198 (körperliche) Präsenz innerhalb der digitalen Welt des Netzwerks. Sie können dabei jedoch auch hohe Arbitrarität zum entsprechenden networker besitzen, da sie selbst bestimmte visuelle Eigennamen sind, die nur bestimmte Eigenschaften des anvisierten Images zu fokussieren brauchen. Profilfotos sind demnach visuelle Stellvertreter eines Images mit bildkommunikativer Kommentarfunktion. Dabei lassen sich durchaus Parallelen zu der Wahl bestimmter Nicknames wie blumenkind, superman etc. in Chat- und Foren-Kommunikationsformen finden. Allerdings verursachen die syntaktische Dichte und Fülle der ikonischen Repräsentationen eine bildspezifische Wahrnehmungs- und Interpretationsaktivität beim Rezipienten und damit eine andere Art der Vorstellung über den Interaktionspartner als arbiträre Symbolzeichen. Literatur Döring, Nicola 2003: Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Göttingen: Hogrefe Ebersbach, Anja und Markus Glaser und Richard Heigl 2008: Social Web, Konstanz: UTB Goffman, Erving 2004: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, 2. Auflage, München: Piper Fraas, Claudia 2008: “Online-Diskurse - Neue Impulse für die Diskursforschung”, in: O. Stenschke und S. Wichter (eds.): Wissenstransfer und Diskurs, (= Transferwissenschaften 7), Frankfurt a.M.: Lang: 363-379 Fraas, Claudia und Christian Pentzold 2008: “Online-Diskurse. Theoretische Prämissen, methodische Anforderungen und analytische Befunde”, in: I. Warnke und J. Spitzmüller (eds.): Methoden der Diskurslinguistik. 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Nowadays, the printed personal ad has been displaced by profiles of online dating-sites; online dating-sites have become very popular in the last few years. A quantitative analysis of profiles of two Swiss dating-sites shows that people advertising themselves online still use a set of categories similar to the set used in printed personal ads. However, the qualitative analysis reveals that online dating-sites grant people much more freedom to perform themselves, to construct complex self-images, and to transcend thereby the genre of the printed personal ad. Für Partnersuchende war die printmediale Kontaktanzeige lange Zeit eines der wichtigsten Instrumente zur Erweiterung ihres Suchradius. Diesen Rang dürfte sie verloren haben, denn die medial vermittelte Suche nach einem Partner findet heute vorwiegend im Internet statt: Virtuelle Kontaktbörsen erfreuen sich großer Beliebtheit. Wie die quantitative Analyse von Profilen zweier Schweizer Kontaktbörsen zeigt, benutzen die Suchenden hier immer noch Kategorien der Selbst- und Fremdrepräsentation, die auch in printmedialen Kontaktanzeigen gefunden werden können. Die qualitative Analyse aber zeigt, dass virtuelle Kontaktbörsen viel komplexere Selbstdarstellungen zulassen und damit den Suchenden die Möglichkeit geben, die Beschränkungen der printmedialen Anzeigen zu überwinden und mit neuen Arten der Selbstinszenierung gleichzeitig auch die kommunikative Gattung “Kontaktanzeige” zu transzendieren. 1 Partnersuche im Medienwandel Aus Sicht der Evolutionsanthropologie sind Partnersuche und Partnerwahl Grundaufgaben des Menschen (cf. etwa Buss 1994). Allerdings variiert natürlich die Art der Partnersuche mit dem historischen und kulturellen Kontext. Die Beschreibungen und Analysen ihrer historischen und kulturellen Ausprägungen füllen anthropologische, kulturhistorische, soziologische, ja selbst linguistische Bände und Zeitschriften (cf. etwa Berghaus 1985; Eustace 2001; Fitzmaurice 2009; Otte 2007). Ein Blick zurück macht deutlich, dass sich die Möglichkeiten der Partnersuche auch mit der Entwicklung der Medien und insbesondere der Massenmedien veränderte. Die Kontaktanzeige etwa entstand mit der Zeitung. Die ersten überlieferten Exemplare dieser kommunikativen Gattung, die bis ins letzte Jahrhundert wohl präziser als Heiratsanzeige zu bezeichnen wäre (cf. Riemann 1999: 38), erschienen gegen Ende des 17. Jahrhunderts und damit knapp hundert Jahre, nachdem mit der Zeitung “ein neues Medienzeitalter” (Schröder 1995: 1) eingeläutet worden war. Sie stammen aus England und wurden dort am 19. Juli 1695 vom Herausgeber der Collection for the Improvement of Husbandry and K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 32 (2009) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Daniel H. Rellstab 200 Trade im Auftrag suchender Herrschaften publiziert. Sie sind nicht als Selbstinserate der Suchenden, sondern aus einer Außenperspektive verfasst; in den Vordergrund werden Vermögensverhältnisse gerückt: A Young Man about 25 Years of Age, in a very good Trade, and whose Father will make him worth £ 1000, would willingly embrace a suitable match. A Gentleman about 30 Years of Age, that says he has a Very Good Estate, would willingly Match Himself to Some Young Gentlewoman that has a Fortune of £ 3000 or thereabout (zit. in Kaupp 1968: 9). Schon diese Kontaktanzeigen weisen ein Merkmal auf, welches Justine Coupland 300 Jahre später als typisch für gedruckte Kontaktanzeige bezeichnet: Suchende und Gesuchte erscheinen als “commodified selves”, als verdinglicht und zu Produkten geronnen, die auf dem Heiratsmarkt erfolgreich abgesetzt werden können (cf. Coupland 1996). Trotzdem scheinen diese Anzeigen nicht erfolgreich gewesen zu sein. Wie Werner Kaupp schreibt, sah sich der Herausgeber der Collection einen Monat nach Erscheinen der Anzeigen dazu gezwungen, die Beteuerung zu publizieren, dass das Ansinnen der Inserenten ernsthaft sei und er allfällige Heiratsanträge mit “much Secresie and Prudence” behandeln werde (Kaupp 1968: 9) - ein Zeichen dafür, dass die Zielgruppe offensichtlich noch nicht über die Kompetenz verfügte, die Texte den Intentionen der Schreibenden gemäß zu interpretieren. In Deutschland erschienen ähnliche Inserate gut vierzig Jahre, in Frankreich knapp hundert Jahre später, und die Gattung fand schon bald einen festen Platz im “kommunikativen Haushalt” der deutsch- und französischsprachigen Gesellschaften. 1 Dafür spricht die Tatsache, dass schon 1787 Ch. M. Favarts Le mariage singulier. Comédie en un acte, en prose, mêlée de vaudevilles, eine Komödie um einen Junggesellen, der per Inserat eine Frau sucht, in Paris uraufgeführt wurde; in Deutschland fand zur selben Zeit Friedrich Ludwig Schröders Die Heirat durch ein Wochenblatt (1786) großen Zulauf (cf. Kaupp 1968: 10). Einen festen Platz im kommunikativen Haushalt hält die Kontaktanzeige auch heute noch inne. Ihre Funktion, Partnersuchende zusammenzubringen, teilt sie heute mit einer Reihe anderer Gattungen. Zwar ist die Partnersuche per Hörfunk oder per Inserat und Ansagetext auf Tonband nicht mehr populär. 2 Die Partnersuche per Fernsehen, wie sie Kontakt- und Flirtshows ermöglichen sollen 3 , hat an Beliebtheit nichts eingebüßt und erscheint in ihren neuesten Varianten als bundesdeutsches Bauer sucht Frau auf RTL oder schweizerisches Bauer, ledig, sucht… auf 3+ (cf. Riemann 1999: 46; Vollberg 1997). Wichtigstes Medium zur Partnersuche dürfte aber heute das Internet geworden sein. 2 Virtuelle Kontaktbörsen: Viele User, große Vielfalt Wie Patti Valkenburg und Jochen Peter in ihrem Überblick über die Nutzung virtueller Kontaktbörsen schreiben, haben sich die Möglichkeiten, im Internet Beziehungen zu knüpfen und zu unterhalten, in den letzten paar Jahren vervielfacht: Zwischen 2005 und 2007 stieg die Zahl weltweit um 17 % (cf. Valkenburg & Peter 2007: 849). Die Akzeptanz, virtuelle Kontaktbörsen zu nutzen, ist in der westlichen Welt sehr hoch. Valkenburgs und Peters Befragung holländischer Internetnutzer zeigt, dass 43 % der Alleinstehenden das Internet nutzen, um eine Partnerin oder einen Partner zu suchen; einer amerikanischen Studie des Pew Internet and American Life Projects aus dem Jahr 2006 gemäß nutzen 37 % der amerikanischen Internetnutzer, die auf Partnersuche sind, die Möglichkeiten virtueller Kontaktbörsen (cf. “Aus Liebe zu dir” 201 Madden & Lenhart 2006); die erste repräsentative Studie für Deutschland geht davon aus, dass rund 12 % der Internetnutzer mindestens gelegentlich auch virtuelle Kontaktbörsen nutzen. Das wären für Deutschland immerhin 5.4 Mio. Personen. 4 Wie eine erste repräsentative Erhebung der Demographie deutscher Cyberdater zeigt, sind diese mehrheitlich männlich, um die Dreißig und im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eher höher gebildet. Sie leben in städtischen Gebieten oder großen Ballungszentren vorwiegend in Einpersonenhaushalten (cf. Schulz et al. 2008). Für die Schweiz fehlen bis jetzt repräsentative Studien. Allerdings kommt eine Stichprobenbeschreibung von Nutzern der Schweizer Kontaktbörse partnerwinner.ch zu ähnlichen Ergebnissen: 5 Das Durchschnittsalter der Befragten beträgt hier 34.4 Jahre, 89 % sind ledig, geschieden, verwitwet oder getrennt, 59 % leben allein und 62 % sind männlich (cf. Bühler-Ilieva 2006: 197-213). Dass sich Kontaktbörsen derart großer Beliebtheit erfreuen, ist nicht erstaunlich. Erstens vergrößern sie den Suchradius in lokaler und zeitlicher Hinsicht enorm: Partnersuche kann hier ständig, selbst während der Arbeitszeit, erfolgen; der Suchradius ist theoretisch bloß auf die Internetnutzer beschränkt. Die Nutzer von Kontaktbörsen schätzen zudem die Anonymität, die Möglichkeit, unverbindliche Kontakte knüpfen zu können, und sie erleben die Kommunikation auf Kontaktbörsen als zwangloser und einfacher als die face-to-face-Interaktion. Die von den Nutzern genannten Nachteile sind die sprichwörtliche Kehrseite der Medaille: Die in face-to-face-Interaktion unterstellte Maxime, die Wahrheit zu sagen, fällt weg: “Schreiben kann man alles.” Die Reduktion der Sinneskanäle wird als fehlende Präsenz des andern erlebt und kann sogar zur Überforderung werden: “Man kann sich kein Bild des anderen machen”. Einigen scheint die Kommunikation auf Partnerbörsen gar zu enthemmt zu sein, andere wiederum schätzen die Erfolgschancen als sehr gering ein (Bühler-Ilieva 2006: 237-38; cf. auch Ellison 2006). Allerdings machen die Nachteile die Vorteile längst wett - diesen Schluss legen jedenfalls die Umsatzzahlen der Branche nahe: Die neuen Kanäle der Partnervermittlung sind ein einträgliches Geschäft. Laut Financial Times Deutschland wurden 2007 in Deutschland 138.1 Mio. für Online-Partnervermittlungsdienste ausgegeben; ein Jahr später waren es schon 163.6 Mio. . In den USA sollen die Umsatzzahlen um ein Drittel höher ausfallen als in Deutschland (cf. Bayer 2009) - für die Schweiz liegen die Umsatzzahlen noch nicht vor. Die virtuelle Kontaktbörse gibt es allerdings nicht, denn der Service, der Aufbau der Websites und die Benutzerkosten variieren stark. Behauptet Parship, einer der kommerziell erfolgreichsten Anbieter der Branche, Partnersuchende gezielt und auf “wissenschaftlicher Grundlage” zusammenzuführen und verlangt dafür nicht gerade geringe Abonnementsgebühren 6 , so sind andere Anbieter fast oder vollständig kostenlos, bieten aber auch nichts anderes als eine Plattform mit Profilen, die durchsucht werden können, plus vielleicht einen Chatroom und die Möglichkeit, andere kontaktieren zu können. Zudem variieren die Zielgruppen beträchtlich. Neben Anbietern, die sich an alleinstehende heterosexuelle Singles ohne spezifische Bedürfnisse richten, finden sich Kontaktbörsen für alleinerziehende Singles (www.halbvoll.net), für Menschen mit körperlichen Besonderheiten (www.rundnaund.ch, www.partnervermittlung.ch), für Ältere (www.fiftyplus.ch), für wiedergeborene Christen (www.feuerundflamme.ch, www.christl-singles.ch) oder praktizierende Katholiken (www.kathtreff.org), für Naturschützer (www.lovepeace.ch), für Schwule und Lesben (www.gayromeo.com, www.lesarion.de), oder, als alternative Version, für Lesben, Schwule, Bisexuelle und deren Freunde und Freundinnen (www.purplemoon.ch). Die Möglichkeiten, Partner zu suchen, haben sich also vervielfältigt. Die kommunikativen Anforderungen an Partnersuchende sind damit aber keineswegs kleiner geworden. Daniel H. Rellstab 202 3 Von der ‘Kontaktanzeige’ zum Profil auf der virtuellen Kontaktbörse - neue Möglichkeiten, neue Anforderungen Printmediale wie auch virtuelle Anzeigen haben die Funktion, eine bestimmte Handlung des anderen zu evozieren. Das anvisierte Verhalten besteht nicht bloß in der Rezeption und dem Verstehen der Intention des Autors, sondern einem “aktiven Antwortverhalten” (Marfurt 1978: 30). Verfasser von Kontaktanzeigen und Profilen auf Kontaktbörsen stehen deshalb vor der Aufgabe, in einer Eigenbeschreibung ein möglichst attraktives Bild ihrer selbst zu konstruieren. Die Differenz zwischen Eigenbeschreibung und Realität darf indessen nicht zu groß sein, da die anvisierte Beziehung zum Gegenüber ja selten in der Virtualität verbleiben soll. Wer also einen Partner per Inserat oder Kontaktbörse sucht, überlegt sich normalerweise genau, wie er sich präsentieren soll, welche Hinweise über sich er wie in sein Profil integrieren könnte, um damit bestimmte Effekte zu evozieren (cf. Ellison 2006: 424-425). Der Textproduzent printmedialer Kontaktanzeigen kann zur Lösung dieser Aufgabe auf ein vor allem durch ökonomische Sachlagen stark standardisiertes Textmuster zurückgreifen, a text genre closely allied in its formal characteristics to media advertisements for the selling and buying of houses, cars, or second-hand furniture - small ads which, interestingly enough, are conventionally used for trading in used rather than new goods (Coupland 1996: 188). Das Selbst wird im Text auf eine Liste wünschenswerter und als attraktiv erscheinender demografischer, physischer und auch emotionaler Attribute reduziert. 7 Denn die Inserierenden sind dazu angehalten, sich auf möglichst kleinem Raum in möglichst positivem Licht zu präsentieren. Die Gattung veranlasst den Schreibenden dazu, sich zu einem Personentypus zu verdinglichen. Das Gleiche gilt für die Beschreibung des Wunschpartners: Auch dieser muss auf eine Liste von Attributen reduziert werden. Die Gattung fordert zudem von ihrem idealen Rezipienten, dass er sich in der typisierten Darstellung wiederfindet - und sich damit ebenfalls verdinglicht (cf. Coupland 1996: 188). Dass auch die Beziehungsbeschreibung typischerweise lakonisch ausfällt, zeigt folgendes, schon fast historisches Beispiel: Gemütlicher Pfeifenraucher, Kaufmann, 30jährig, sucht nach schwerer Enttäuschung eine nette und aufrichtige schlanke Sie, zum Verbringen der Freizeit. Spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Hobbys: Volksmusik, Reisen, Tanzen, miteinander ein Leben aufbauen, Geselligkeit. Fühlst du dich angesprochen, zögere nicht und sende mir ein Brieflein mit einem Foto unter Chiffre … (Berner Zeitung, 4. Juni 1983). Die kommunikative Binnenstruktur der Kontaktanzeige ist stark standardisiert. Das Register ist einfach, Vokabular und Syntax sind simpel. Die sequentielle Struktur folgt typischerweise dem Muster 1. Suchender, 2. sucht, 3. Ziel, 4. Zweck, 5. Kommentar, 6. Referenz. Ebenfalls typisch ist die Vorherrschaft von Abfolgen von Nomen und Adjektiven. Diese Standardisierung ist teilweise sogar kultur- und subkulturunabhängig, und Variationen lassen sich, wenn überhaupt, vor allem auf der lexikalischen Ebene finden (cf. Bruthiaux 1994; Coupland 1996: 192-93; Jones 2000: 39ff.; Nair 1992). Kontaktbörsen können Partnersuchenden neue Möglichkeiten der Selbst- und Fremddarstellung eröffnen und den Inserierenden die Gelegenheit geben, sich in den Profilen differenzierter und vielschichtiger zu präsentieren, als dies in printmedialen Kontaktanzeigen der Fall ist. Auch ist die Standardisierung hier aus verschiedenen Gründen weniger ausgeprägt. Erstens besteht im Internet nur bedingt ein ökonomischer Druck, der Inserierende dazu veranlasst, sich möglichst kurz zu fassen (cf. dazu auch Coupland 1996). Gegen starke “Aus Liebe zu dir” 203 Standardisierungstendenzen spricht zweitens die Tatsache, dass die Möglichkeiten der individuellen Gestaltung des Profils von Anbieter zu Anbieter variieren. Fällt die Standardisierung weg, fallen auch wichtige Hilfestellungen bei der Abfassung von Texten weg. Die neuen medialen Möglichkeiten, einen Partner zu suchen, stellen Cyberdater damit vor neue kommunikative Anforderungen. Im Netz muss das Selbst in einem multimodalen Text präsentiert werden. Also sind die zu kalkulierenden Wirkungen anders. Bilder können einerseits Unbestimmtheiten reduzieren, welche in der Sprache, wie schon Charles S. Peirce schrieb, notwendigerweise herrschen (cf. etwa Peirce 2000: 343), und eröffnen damit eine Reihe neuer Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Doch muss der Verfasser mit Text und Bild so geschickt umgehen, dass ein möglichst glaubwürdiges Profil entsteht. Denn Angaben auf Kontaktbörsen stehen unter dem Verdacht, nicht oder zumindest nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen (cf. Bühler-Ilieva 2006: 238). 4 Daten und Methoden Um Selbst- und Fremddarstellungen auf Kontaktbörsen im Internet zu untersuchen, wählte ich zwei Börsen aus, die sich an unterschiedliche Zielgruppen wenden: www.swissflirt.ch und www.purplemoon.ch. Swissflirt (Abk. SF), eine der bedeutendsten virtuellen Kontaktbörsen der Schweiz, ist seit über zehn Jahren in Betrieb und hat laut Eigenwerbung über 300’000 registrierte Benutzer. Laut eigenen Angaben verzeichnet SF über 14’000 Besucher pro Tag und sechs bis acht Millionen Seitenaufrufe pro Monat. Zielgruppe von SF sind vor allem heterosexuelle Singles. Darauf weist die Eigenwerbung hin: Swissflirt schreibt, dass die “Rubriken sie sucht ihn und er sucht sie” eine “unkomplizierte Kontaktaufnahme” erlauben würden und dass dank SF viele “ihren Partner fürs Leben gefunden, den Bund der Ehe geschlossen oder gar Nachwuchs bekommen” hätten. SF ist einerseits werbefinanziert. Gleichzeitig muss, wer seine Suchresultate abspeichern oder auf eine Annonce antworten will, Abonnent werden, was ihn 4.90 sFr pro Monat kostet. 8 Purplemoon (Abk. PM), ebenfalls eine Schweizer Plattform, ist viel kleiner. Laut www.singleboersen-vergleich.ch 9 nutzen rund 5’000 Personen das Angebot. PM richtet sich, anders als etwa www.gayromeo.ch, der große Anbieter für männliche Homosexuelle, nicht nur an Männer, sondern auch an Frauen, und nicht nur an Homo- und Bisexuelle, sondern auch an Heterosexuelle: “Auch Heteros sind willkommen! ” Anstößige Inhalte bildlicher und verbaler Art sind ausdrücklich verboten. PM ist kostenlos, allerdings wird man, wenn man PM finanziell unterstützt, “Power-user”. PM will sich also von kommerziellen, an ein hetero- oder homosexuelles Zielpublikum gerichtete Kontaktbörsen unterscheiden und positioniert sich bewusst “anders”. 10 Der untersuchte Datensatz ist nicht repräsentativ, mein Interesse ein exploratives. Der Datensatz umfasst 100 Profile, je 50 Profile von PM und 50 Profile von SF. Um gender- und altersspezifische Unterschiede zu umgehen, wählte ich aus jeder Kontaktbörse zufällig 50 Profile von Männern zwischen 30 und 40 Jahren, die eine “ernsthafte” Beziehung eingehen wollen. Die Auswahl der Alters- und Geschlechtergruppe drängte sich in Anbetracht der Tatsache, dass Männer kurz nach Dreißig die häufigsten Nutzer von Kontaktbörsen sind, auf. Die sexuelle Orientierung spielte bei der Auswahl der Profile keine Rolle. Es geben jedoch alle Männer des Samples von SF an, heterosexuell zu sein. Auf PM identifizieren sich 8 als heterosexuell, 14 als bisexuell und 38 als homosexuell. Alle Profile waren zum Zeitpunkt der Daniel H. Rellstab 204 Datensammlung im September 2008 öffentlich zugänglich. Auf www.swissflirt.ch sind sie es, falls sie noch vorhanden sind, immer noch; www.purplemoon.ch ist in der Zwischenzeit zu einer passwortgeschützten Kontaktbörse geworden. Die Profile sind nur noch für Mitglieder sichtbar. Die Mitgliedschaft ist aber nach wie vor kostenlos. 11 Die Analyse selbst ist dreigestuft, um die spezifischen multimodalen Bedingungen sowie die Unterschiede der Kommunikationstechnologien berücksichtigen zu können. In einem ersten Schritt wird analysiert, welche Möglichkeiten der Selbst- und Fremddarstellung die beiden Kontaktbörsen bieten. Diese Analysen dienen als Basis der weiteren Untersuchungen. In einem zweiten Schritt werden Aspekte der Selbst- und Fremddarstellung der Profile beider Plattformen quantitativ erhoben und verglichen. Dieser Vergleich ermöglicht erste Aussagen über bestehende Gemeinsamkeiten und Differenzen bei den Selbst- und Fremddarstellungen der beiden Börsen und damit die Skizzierung des Kontextes, in welchem die einzelnen Profile stehen, die in einem dritten, qualitativen und semiotisch informierten Schritt analysiert werden. Hier stehen drei unterschiedliche Profile und deren Selbstinszenierungen im Zentrum, und hier interessiert vor allem der Umgang der Profilinhaber mit den Möglichkeiten des Systems 12 und die durchgeführten kommunikativen Akte visueller und sprachlicher Art (cf. dazu van Leeuwen 2004), also die multimodalen Inszenierungen des Selbst. Methodisch orientiere ich mich dabei an semiotisch informierten Ansätzen zur “Sprache und Identität”- Forschung, wie sie innerhalb der linguistischen Anthropologie entwickelt wurden (cf. etwa Bucholtz 2004; Bucholtz & Hall 2007). 5 Swissflirt und Purplemoon: Aufbau der Börsen und der Profile SF ist nach dem Karteikartenprinzip aufgebaut. Auf der Einstiegsseite (cf. Abb. 1) erscheint als erstes eine Suchmaske, die drei Genauigkeitsstufen enthält. Suchparameter sind auf der untersten Stufe das eigene Geschlecht, das Geschlecht des gesuchten Partners, die Altersspanne möglicher Partner, der geografische Suchradius sowie das Alter des Profils. Auf der zweiten Stufe können die Profile nach Rubriken (“Alle”, “Reden/ E-mail”, “Spontan”, “Ernsthaft”, “Abenteuer”, “Heirat”, “Reisen/ Ferien”, “Party”, “Anlass”, “Freizeit”, “Sport”, “Tanzen”, “Kino”, “Wiedersehen”, “Klassenkameraden”, “Andere”), Körperbau (“Alle”, “keine Angaben”, “normal”, “schlank”, “athletisch”, “einige Extrapfunde”, “anderer”), Körpergröße sowie Sternzeichen gefiltert werden. Die dritte Stufe erlaubt es, die Profile nach Zivilstand, Kindern und Kinderwunsch sowie Rauchgewohnheiten zu filtern. Die Registerkarten der Einstiegsseite, die sich hinter der Suchmaske verbergen, beinhalten 1. das eigenen Konto, 2. den Flirt-Radar, 3. den Foto-, 4. den Video-Flirt, 5. die Chat-Plattform. Der Flirtradar zeigt in Form einer Zielscheibe an, welche Profile auf SF dem eigenen Profil am nächsten kommen; unter den Reitern “Foto-Flirt” und “Video-Flirt” lassen sich diejenigen Profile finden, die ein Foto bzw. ein Video aufweisen. 13 Die Suchresultate werden in Form von Listen angezeigt. Diese Listen enthalten die Überschrift des Profils, das Profilfoto, Geschlecht, Alter, Wohnregion und Datum der Abfassung des Profils. Die Profile selbst bestehen aus einer Hauptseite, welche zuoberst die gewählte Beziehungskategorie enthält. Darunter folgen die wichtigsten Angaben des Profils: Foto, Nickname, Alter und Herkunft, ein Textfenster mit Überschrift sowie auf der rechten Seite weitere Fotos, falls vorhanden. Der Link “Ganzes Profil ansehen” öffnet eine Box mit den vier Registerkarten “Über mich”, “Allgemein”, “Bilder” und “Video” (cf. dazu Abb. 5). Auf der Registerkarte “Über mich” erscheinen noch einmal der Nickname und das Alter. “Aus Liebe zu dir” 205 Abb. 1 Neue Informationen sind hier die Herkunftsregion, die sexuelle Orientierung, das Sternzeichen, die Nationalität sowie der Zeitpunkt der letzten Anmeldung auf SF. Auch Angaben zum Aussehen sind hier publiziert. Genannt werden können Augenfarbe, Haarfarbe, Größe, Gewicht, Körperbau und Fitnesslevel. Unter “Allgemeines” erscheinen weitere Angaben zur Person: Aszendent, Zivilstand, Kinder, Kinderwunsch, Schulbildung, Beruf und Beschäftigungssituation, Rauchgewohnheit, Religion und Heiratsvorstellung, Freizeit/ Hobbies, Haustiere, Musik und Sport (cf. Abb. 6). Der linke Rand der Registerkarte enthält zwei Links, die der Kontaktaufnahme dienen: der eine ermöglicht das Abschießen eines Amorpfeils, der andere das Senden einer Meldung. Ein weiterer Link ermöglicht das Weiterempfehlen, einer das Blockieren des Profils, der dritte die Meldung eines Missbrauchs der Plattform, der etwa dann vorliegen könnte, wenn “falsche und unsittliche Inhalte sowie solche, die gegen geltendes Recht verstossen”, platziert sind. 14 Außer bei Größe, Augenfarbe, Haarfarbe, Gewicht und Beruf werden die Angaben auf den Registerkarten aus einem Set vorgegebener Möglichkeiten ausgewählt. Gestaltungsspielraum bietet Swissflirt vor allem bei Nickname, Bildern, Überschrift des Profils und dem Textfenster, dessen Umfang nicht beschränkt ist. Allerdings stellt Swissflirt gerade für die Bereiche, wo individualisierte kommunikative Akte möglich sind, Regeln auf: Der “Textinhalt der Kontaktanzeige” darf nicht “zweckentfremdet” sein, das heißt für kommerzielle oder finanzielle Interessen genutzt werden, er darf nicht “anrüchig, rassistisch, geschlechtsfeindlich oder fundamentalistisch religiös” sein, er darf zudem keine persönlichen Kontaktinformationen enthalten und nicht ein Plagiat von Texten anderer Inserenten sein. Die Bilder der Kontaktanzeige dürfen nicht “überdimensioniert” sein, nicht “zweckentfremdet eingesetzt” werden, keine “pornografischen oder rassistischen Darstellungen” sowie keine “unkenntlich gemachten Bildausschnitte” wie Zensurbalken enthalten. 15 Daniel H. Rellstab 206 Abb. 2 Purplemoon bezeichnet sich selbst als “Online-Community für Lesben, Schwule, Bisexuelle und deren Freundinnen und Freunde”. Die Einstiegsseite besteht grob gesagt aus einem großen, zwei mittleren und einem kleinen Rechteck (cf. Abb. 2). Die zwei kleineren Rechtecke am linken Bildrand dienen der Registrierung und Anmeldung. Das große Rechteck in der Mitte ist in vier Bereiche geteilt. Im linken, oberen Teil wird beschrieben, welche Kommunikationsmöglichkeiten PM bietet. Hier macht PM auch deutlich, dass man sich nicht allein als Beziehungsanbahnungsplattform versteht. Der Hinweis darauf, dass man auf Purplemoon einen Partner suchen kann, ist ganz ans Ende der Auflistung möglicher Handlungsziele und hinter eine konditionale Adverbialbestimmung gesetzt: Auf Purplemoon kannst du chatten, Freunde finde, diskutieren, Spass haben und - bei Bedarf - nach einem Partner Ausschau halten. 16 Auf der rechten Seite steht die Suchmaske, gleich darunter beschreibt PM die eigene Ideologie: “Jeder ist willkommen - egal mit welchem Geschlecht, Sexualität oder Alter. Auch ohne etwas zu bezahlen kann man fast alles ohne Einschränkung nutzen. Rein sexuelle Kontakte sind nicht erwünscht. Eine einfache und angenehme Kommunikation steht für uns im Vordergrund”. Auf der linken Seite stehen News über PM-spezifische Aktivitäten. Die einfache Suchmaske erlaubt ein Filtern der Profile nach Geschlecht, sexueller Orientierung, Land und Region. Eine erweiterte Suchmaske ermöglicht es, Profile nach Alter, Beziehungsstatus, Rauch-, Ess- und Trinkgewohnheiten, Kindern und Kinderwunsch sowie religiösen und politischen Orientierungen auszuwählen. Wie bei SF werden die Suchresultate in einer Liste präsentiert. Der einzelne Listeneintrag beinhaltet Foto, Nickname, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, den Begrüßungstext, eine präzise Angabe zur Herkunft der Profilschreiber und deren Status als normale oder “Power-user”. Gleichzeitig wird auch ersichtlich, ob und wie lange der Profilinhaber schon online ist. “Aus Liebe zu dir” 207 Das Profil selbst ist auch in Registerkartenmanier aufgebaut (cf. dazu Abb. 10). Es besteht aus “Steckbrief”, “News”, “Über mich”, “Bildern”, einer Karte mit “Freunden” und einer Karte mit der Überschrift “Gästebuch”. Der Steckbrief, der gleichzeitig auch die Eingangsseite des Profils ist, beinhaltet in einer ersten Zeile Nickname, Altersangabe, Geschlecht, sexuelle Orientierung sowie wieder einen Hinweis darauf, ob der Schreiber Power-user ist. Dann folgt eine Navigationsleiste, welche das Wechseln zwischen dem Steckbrief und den anderen Karteikarten ermöglicht. Anschließend folgen acht Teiltexten sowie das Profilbild. Im Teiltext “Über mich” werden der reale Vorname, der Spitzname - damit ist nicht der Nickname gemeint, sondern der Spitzname aus der “realen” Welt -, Wohnort, Sternzeichen, Sprachkenntnisse und Beruf aufgelistet. Unter “Aussehen” werden ethnische Herkunft, Körpergröße, Gewicht, Haarfarbe und -länge, Augenfarbe und Gesichtsbehaarung angegeben. Unter “Überzeugungen” können Rauch-, Trink- und Essgewohnheiten aufgelistet, die politische Ausrichtung, Kinder und Kinderwunsch angegeben sowie ein Hinweis darauf publiziert werden, ob und bei wem sich der Profilinhaber schon geoutet hat - dies ist eigentlich die einzige spezifisch “subkulturelle” Kategorie, die vorhanden ist. Unter “Kontakt” stehen Kontaktinformationen, die aber nur dann sichtbar werden, “wenn du dir ein Profil erstellt hast und damit eingeloggt bist”. Unter dem Profilbild erscheint ein Hinweis darauf, wie viele Bilder auf dem Profil vorhanden sind sowie eine Notiz darüber, wie viele PM-user der Profilinhaber persönlich kennt. Unter “Überzeugungen” erscheint der so genannte “Vorschautext, der anderen Usern einen Eindruck” dessen gibt, “was sie auf deinem Profil erwartet”. Dieser muss mindestens 20 Zeichen betragen. Unter diesem Vorschautext erscheinen die ersten News-Einträge, die wie Blog-Einträge mit Datum, Zeit der Abfassung und einer Überschrift versehen sind. Alle News-Einträge sind auf der zweiten Registerkarte ebenfalls publiziert. Der Steckbrief wird abgeschlossen durch die Rubrik “Wen ich kennenlernen möchte”. Diese ist zweigeteilt. Im einen Teil kann erläutert werden, wen man “Für Freundschaften” sucht, im anderen, wen “Für eine Beziehung”. In beiden Teiltexten kann spezifiziert werden, welches Geschlecht präferiert wird, wie weit entfernt zukünftige Bekanntschaften wohnen dürfen und wie sie denn so sein sollten. Die Angaben zum eigenen Aussehen, dem eigenem Beziehungsstatus und den Überzeugungen sowie zum gewünschten Geschlecht der Freunde/ Partner und deren Alter und Wohnregion sind vorgegeben. Doch besteht Spielraum für eigene Gestaltungsmöglichkeiten: Die Wunschpartner und -freunde können in Textfeldern beschrieben werden, das Selbst kann auf der Registerkarte “Über mich” näher charakterisiert werden. Die Auswahl möglicher Kategorien ist hier riesig: Zuerst werden Hobbies, Lieblingsmusik, Lieblingsfilme, Lieblingsbücher, Lieblingsmusicals und -theater sowie Lieblingsspiele angegeben. Unter “Über meine Person” können die Profilinhaber ihr Äußeres in zehn Stichworten, sich selbst in drei Sätzen beschreiben, ihr Inneres nach außen kehren, das, was ihnen wichtig ist, was am eigenen Ich gefällt oder missfällt und was sie gerne an sich ändern würden, mitteilen. Hier können sie kund tun, was sie von anderen Menschen unterscheidet, was ihre Vorstellung von Glück ist. Hier können sie ihre Wünsche preisgeben, ihre Strategien für schlechte Zeiten verraten, ihre drei Lieblingsgegenstände benennen, das peinlichste und das schönste Erlebnis und ihre Stärken und Schwächen schildern, beschreiben, was ihnen Geld und Status und Liebe bedeuten. Sie können ihr Lebensmotto hinschreiben, ihre größte Leidenschaft beschreiben, den Sinn des Lebens skizzieren und darüber sinnieren, wo sie in zehn Jahren stehen werden. Unter “Erlebnisse/ Aktivitäten” können sie noch einmal ihre Hobbies und Interessen beschreiben. Daniel H. Rellstab 208 Hier können sie auch erzählen, was sie tun, wenn sie nichts tun, was für sie ein perfekter Abend ist, welche Bedeutung Sex für sie hat oder welche drei Dinge sie auf eine Insel mitnehmen würden. Unter “Andere Menschen/ Lebewesen” können sie kund tun, was sie an anderen mögen und was nicht, was Freundschaft und Liebe für sie ausmacht, was sie einem Partner nie verzeihen würden, was der Partner über sie wissen müsste, was nie in einer von ihnen verfassten Kontaktanzeige stehen würde, ob sie Tiere mögen und wenn ja, welche, und welches die drei wichtigsten Personen in ihrem Leben sind. Hier können sie auch angeben, wieso sie sich anderen empfehlen würden oder wie sie ihr Coming-out erlebten. Hier sind einzig die Angaben darüber, wie gerne man Sport betreibt, ins Kino geht, liest oder spielt, vorgegeben. Alle anderen Angaben werden in Textboxen ohne Zeichenbeschränkung gemacht. 6 Selbst- und Fremddarstellungen: Ein quantitativer Vergleich Ein quantitativer Vergleich der beiden unterschiedlichen Kontaktbörsen ist ein eingeschränkter Vergleich. Denn quantitativ können nur diejenigen Aspekte der Selbst- und Fremddarstellung erfasst und verglichen werden, die auch auf beiden Plattformen vorkommen. 6.1 Selbstdarstellung Bei den Selbstdarstellungen sind vor allem diejenigen Aspekte vergleichbar, die von den Systemen vorgegeben sind. Dies sind notabene auch solche Angaben, die oft in printmedialen Kontaktanzeigen auftauchen: Alter, Sternzeichen und das Erscheinungsbild. Von letzterem sind folgende Angaben vergleichbar: Haar- und Augenfarbe werden auf allen SF-Profilen angegeben; auf PM nennen 49 von 50 Profilen die Augenfarbe, die Haarfarbe 48 von 50. 17 Auch Körpergröße, Gewicht und Körperbau werden auf beiden Kommunikationssystemen angegeben: 18 Die Körpergröße wird auf SF in allen, auf PM in 49 von 50 Profilen genannt. 19 Erste statistisch signifikante Unterschiede sind beim Umgang mit Körperbau und Gewicht zu finden. Auf PM geben 47 Männer ein Gewicht an, das notabene nicht das ihre sein muss. Auf SF sind es bloß 33, was statistisch signifikant ist: Purplemoon Swissflirt Gewichtsangabe 47 33 Keine Gewichtsangabe 3 17 Zweiseitige Signifikanz < 0.001 Chi-Quadrat-Wert 12.250 Freiheitsgrade 1 Tab. 1 Umgekehrt proportional sind die Resultate für die Kategorie “Körperbau”. Auf PM spezifizieren lediglich 13 Männer ihren Körperbau, jedoch betrachten die meisten Männer des Samples von SF die Angabe des Körperbaus als wichtigen Bestandteil ihrer Selbstdarstellung: “Aus Liebe zu dir” 209 Purplemoon Swissflirt Körperbau 13 47 Keine Angabe 37 3 Zweiseitige Signifikanz < 0.001 Chi-Quadrat-Wert 48.167 Freiheitsgrade 1 Tab. 2 Offensichtlich geben die Männer auf PM lieber Informationen über ihr Gewicht als ihren Körperbau preis. Umgekehrt verhält es sich mit den Männern auf SF. Diese geben eher ihren Körperbau als ihr Gewicht an. Allerdings bedarf diese Tendenz einer etwas genaueren Analyse. 25 Profilinhaber auf SF bezeichnen ihren Körperbau als “normal”, 11 als “athletisch”, 8 als “schlank”, und nur 3 geben an, “einige Extrapfunde” aufzuweisen. Die häufige Verwendung der Kategorie “normal” auf SF ist bemerkenswert und wohl nicht ganz zufällig. “Normal”, ein Adjektiv mit einer ausgesprochen vagen Wortbedeutung, ermöglicht es unterschiedlichsten Männern, die Kategorie “Körperbau” zu verwenden. Wie ein kleiner Test der 16 Männer, die gleichzeitig ihr Gewicht, ihre Größe und die Kategorie “Normaler Köperbau” angeben, zeigt, ist die Spannbreite derer, die behaupten, einen “normalen” Körperbau zu haben, sehr groß. Legt man den Body Mass Index zugrunde, dann gehören stark und schwach übergewichtige wie auch normalgewichtige Profilinhaber dazu. Sich selbst einen “normalen” Köperbau zu geben ist demnach ein wichtiger performativer Akt, um sich “normal” zu machen. Wichtig sind natürlich auch die Angaben der Hobbies. Vergleichbar sind aber erstens nur diejenigen Angaben, die auf beiden Plattformen auftauchen. Dies sind folgende: SF Swissflirt Purplemoon Signifikanz gemäß Chi 2 -Test: Auto 15 1 < 0.001 Filme 34 22 Nicht signifikant Fotografieren 0 6 Nicht berechenbar Kochen 32 4 < 0.001 Lesen 17 18 Nicht signifikant Musik 29 33 Nicht signifikant Natur 25 3 < 0.001 Reisen 37 9 < 0.001 Shoppen 15 2 < 0.001 Spiele 10 14 Nicht signifikant Sport 41 17 < 0.001 Tiere 15 7 Nicht signifikant Tab. 3 Daniel H. Rellstab 210 Jedoch dürfen nur “Sport” und “Filme” verglichen werden, denn die Männer auf SF haben ihre Angaben zu den Hobbies aus einem Set vorgegebener Möglichkeiten auszuwählen. Neben der Möglichkeit, in mehreren Textboxen Hobbies anzugeben, steht auf PM auch ein Auswahlset für Hobbies zur Verfügung, und dieses beinhaltet “Kunst”, “Musik”, “Lesen”, “Filme/ Sendungen”, “Sport”, “Spiele” und “Theater”. Also sind nur “Sport” und “Filme” vergleichbar. Hier bestehen allerdings signifikante Unterschiede: Die Männer des SF-Samples geben öfter “Sport” und “Filme” als Hobbies an, als dies die Männer auf PM tun. Fünf weitere Aspekte der Selbstdarstellung sind sowohl auf PM wie SF vorhanden und deshalb vergleichbar: Beruf, Religion, Rauchgewohnheiten, Kinder haben, Kinderwunsch. 27 Männer auf SF geben ihren Beruf an; auf PM sind es 29. Unterschiede im Hinblick auf die Angabe der Religiosität sind vorhanden, aber ebenfalls nicht signifikant: 25 Männer auf PM verwenden die Kategorie “Religion”, um sich zu beschreiben, auf SF sind es 16. Auf beiden Plattformen verweisen je 46 Männer auf ihre Rauchgewohnheiten. Hier ist der Unterschied der Antworten statistisch signifikant ist: Auf PM geben 25 an zu rauchen, auf SF sind es lediglich 9: Purplemoon Swissflirt Raucher 25 9 Nichtraucher 25 41 Zweiseitige Signifikanz < 0.001 Chi-Quadrat-Wert 11,943 Freiheitsgrade 1 Tab. 4 Diese Rechnung verbirgt aber, dass die Plattformen Raucher unterschiedlich behandeln. Während der rauchende Inserent auf PM angeben kann, ob er “fast nie”, “nur am Wochenende”, “mittelmäßig viel” oder “viel” raucht, gibt es auf SF keine Zwischenstufen, sondern nur ein Entweder-Oder. So ist es gut möglich, dass jemand, der auf PM die Kategorie “nur am Wochenende” wählen würde, sich auf SF als Nichtraucher bezeichnen würde. Der Vergleich der Angabe der Kinder ist uninteressant: Auf SF geben 5 Männer an, Kinder zu haben, 37, dass sie keine haben, 8 lassen die Frage unbeantwortet. Auf PM weist 1 Mann darauf hin, Kinder zu haben (einer der 8 heterosexuellen), 34 geben an, dass sie keine haben, 12 lassen die Kategorie leer. Interessanter ist der Vergleich der Kinderwünsche. Obwohl gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz keine Möglichkeit haben, Kinder zu adoptieren, können Partnersuchende auf PM genauso wie auf SF angeben, ob sie Kinder möchten oder nicht. Die Angabe zu dieser Frage ist für die Männer des PM-Samples wie für diejenigen des SF-Samples fast gleich relevant: Sie wird in 28 PM-Profilen und in 31 SF- Profilen beantwortet. Allerdings bestehen Unterschiede hinsichtlich des Kinderwunsches. Auf PM geben 19 an, keine Kinder zu wollen, 4 möchten gerne Kinder. 20 5 geben an, es noch nicht zu wissen. 21 Auf SF wollen nur 5 keine Kinder haben; 11 geben an, unentschlossen zu sein, 15 möchten gerne Kinder haben. Diese Verteilung ist signifikant: “Aus Liebe zu dir” 211 Purplemoon Swissflirt Kinder wollen 4 15 Keine Kinder wollen 19 5 Unentschlossen 5 11 Zweiseitige Signifikanz < 0.001 Chi-Quadrat-Wert 16,676 Freiheitsgrade 2 Tab. 5 Inwiefern sich hier Stereotypen oder auch die bestehenden Gesetze bemerkbar machen, müsste eine viel umfassendere, anders ausgerichtete und repräsentative Studie zeigen. Vergleichen lassen sich auch die Profilbilder. Signifikante Unterschiede gibt es hier indessen nicht. Auf PM weisen 36 Profile ein Foto auf, das höchst wahrscheinlich die Inserenten abbildet; zwei User verwenden als Profilfoto Abbildungen fremder Personen, einmal dasjenige eines weiblichen Musikstars, einmal dasjenige eines amerikanischen High School Studenten aus einem Jahrbuch der 1970er Jahre. Auch 36 SF-Profile enthalten ein Bild des Inserenten. Hier sind aber keine Darstellungen vorhanden, die offensichtlich fremde Personen darstellen. Auf SF präsentieren sich 24 Männer auf einem Porträtbild, 8 präsentieren ihren Torso, 4 stellten Ganzkörperfotos ins Netz. Auf PM sind die Porträts etwas weniger häufig (15), dafür kommen etwas öfter Torsi (14) und Ganzkörperfotos (7) vor - signifikant sind diese Unterschiede aber nicht. Genau gleich viele Männer auf PM und SF, nämlich je 8, präsentieren sich mit halb verdecktem Gesicht, sei dies mit einer Sonnenbrille und/ oder einer Mütze, die ins Gesicht gezogen wurde. Ein augenfälliger Unterschied besteht darin, dass 7 der 36 Männer auf PM mit nacktem Oberkörper posieren, etwas, was bei SF nicht vorkommt. Alle der etwas freizügigeren Männer identifizieren sich als homosexuell. Das Ergebnis des quantitativ ausgerichteten Vergleichs der Selbstdarstellung von Männern auf PM und SF lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die wichtigsten Aspekte der Selbstdarstellung lassen sich quantitativ zwar vergleichen, die Unterschiede sind meist nicht signifikant. Die wichtigsten körperlichen Attribute werden sowohl auf PM wie auch auf SF genannt. Die Männer des PM-Samples geben eher das Gewicht, die Männer auf SF eher den Körperbau an, allerdings oft mit dem nicht gerade gehaltvollen Adjektiv “normal”. Unterschiede bestehen auch darin, dass die Männer der SF-Profile öfter angeben, Sport zu treiben und Filme zu mögen und Kinder zu wollen. Die Männer auf PM geben eher an, dass sie rauchen, allerdings können sie ihre Rauchgewohnheiten differenziert darstellen - auf SF müssen sich die Profilinhaber dafür entscheiden, sich als Nichtraucher oder Raucher zu präsentieren. 6.2 Partnerdarstellung Die beiden Systeme bieten unterschiedliche Möglichkeiten, den Wunschpartner zu beschreiben. Auf PM wird die Charakterisierung des gewünschten Partners dem User nahe gelegt (cf. Abb. 3): Daniel H. Rellstab 212 Abb. 3 Will der Inserent auf SF seinen Partner beschreiben, so muss er sich zuerst überlegen, wo er dies tun könnte. Die einzige Möglichkeit dazu findet er in der Box “Text” (cf. Abb. 4). Diese Unterschiede müssen bei dem quantitativen Vergleich berücksichtigt werden. Die Angaben der Altersspanne der Wunschpartner kann nicht verglichen werden, weil diese Angabe von PM nahe gelegt wird, von SF aber nicht. Verglichen werden kann aber, ob überhaupt ein Wunschpartner skizziert wird - und interessanterweise entspricht das Resultat nicht der Erwartung, dass aufgrund der Systemkonfiguration mehr Männer auf PM Angaben über gewünschte Eigenschaften eines Partners machen würden als auf SF. Von den 50 PM- Profilen nennen nur gerade 21 Profile wünschenswerte Attribute eines zukünftigen Partners. Auf SF sind es immerhin 34 Profile, in denen steht, wie die Wunschpartnerin sein sollte. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant: Purplemoon Swissflirt Angaben über Wunschpartner 21 34 Keine Angaben über Wunschpartner 29 16 Zweiseitige Signifikanz 0.009 Chi-Quadrat-Wert 6,828 Freiheitsgrade 1 Tab. 6 Die Fremdbeschreibungen der Profile auf beiden Kontaktbörsen bestehen vor allem aus Adjektiven (“humorvoll”) oder Nomen (“Ehrlechkeit”) und einzelnen Phrasen (“en gwösse Ehrgiz”). Insgesamt werden in den 55 Profilen der beiden Plattformen, die Fremddarstellungen beinhalten, 134 verschiedene Eigenschaften der Wunschpartnerin oder des Wunschpartners genannt. Der Vergleich zeigt, dass die Attribute, die auf PM und auf SF verwendet “Aus Liebe zu dir” 213 Abb. 4 werden, weder gendernoch subkulturspezifisch sind. Eine Ausnahme bildet einzig das Attribut “nichttuntig”, das 1 mal auf PM auftaucht. Zur Charakterisierung einer Wunschpartnerin eignet es sich natürlich nicht. Da die Eigenschaften auf beiden Börsen in freiem Text aufgelistet werden, sind Mehrfachnennungen einer Eigenschaft schon auf einer Kontaktbörsen selbst eher selten, und nur gerade folgende 27 der insgesamt 134 genannten Eigenschaften werden auf beiden Plattformen verwendet: Daniel H. Rellstab 214 Eigenschaft Purplemoon Swissflirt Aufgestellt 1 2 Bodenständig 2 2 Direkt 1 2 Ehrlich 6 12 Einfach 1 2 Hübsch 1 1 Humorvoll 2 7 Klug 1 2 Liebevoll 1 1 Nichtraucher 2 1 Offen 4 4 Romantisch 2 4 Schlank 2 1 Spontan 2 4 Sportlich 2 9 Sympathisch 2 2 Treu 2 11 Unkompliziert 1 5 Unternehmungslustig 1 2 Viel Freiraum gebend 1 1 Wie ich 2 7 Witzig 1 1 Zärtlich 4 3 Zufrieden 1 1 Zuverlässig 2 1 Tab. 7 Einen Unterschied, der statistisch signifikant wäre, gibt es hier nicht. Etwas aussagekräftiger wird das Bild, wenn alle aufgelisteten Eigenschaften in semantische Felder gegliedert und diese Felder verglichen werden. Diese fünf Felder werden konstituiert aus 1. Wesenseigenschaften der zukünftigen Partnerin oder des zukünftigen Partners (z.B. “liebevoll”, “ehrlich”, “offen”, “keine Schlaftablette”), 2. Aspekten des Erscheinungsbildes (z.B. “stilvoll”, “hübsch”, “süss”), 3. Aspekten, welche die Beziehungsgestaltung betreffen (z.B. “viel Freiraum geben”, “treu”, “kein Verarscher”), “Aus Liebe zu dir” 215 4. Hobbies (z.B. “kunstliebhabend”, “liebt Autos”), 5. Adjektiven, die das Berufsleben betreffen (“erfolgreich”). Auf beiden Plattformen werden Lexeme aus den ersten vier Bereichen genannt. Die letzte Kategorie taucht nur auf PM auf: ad 1. Auf PM werden 49 verschiedene Adjektive zur Wesenscharakterisierung verwendet. Insgesamt werden in 18 Profilen 70 mal Adjektive verwendet, die das Wesen des Wunschpartners charakterisieren. In 27 SF-Profilen werden 42 Adjektive zur Wesenscharakterisierung verwendet, und insgesamt werden 63 mal Adjektive verwendet, die das Wesen der Partnerin charakterisieren. ad 2. Auf PM werden 10 Adjektive zur Charakterisierung des Äußeren verwendet; Adjektive aus dieser Kategorie werden in 9 Profilen 17 mal verwendet. Auf SF sind es 12 Adjektive, insgesamt werden 23 mal Adjektive aus dieser Kategorie in 14 Profilen verwendet. ad 3. Auf PM werden in 9 Profilen 10 Adjektive, die für die zukünftige Beziehung relevant sind, verwendet, insgesamt 26 Mal, auf SF werden 9 Adjektive dieses Feldes insgesamt 16 mal in 18 Profilen verwendet. ad 4. Auf PM wird nur 1 Adjektiv verwendet, das passende Hobbies nennt, und zwar nur 1 mal in einem Profil, auf SF werden 3 Adjektive insgesamt 5 mal in je 5 Profilen verwendet. ad 5. Das einzige Adjektiv, das den Beruf beschreibt, ist “erfolgreich”; es wird 1 mal auf PM erwähnt. Wie Mann-Whitney-Tests zeigen, sind jedoch die Unterschiede im Hinblick auf die Häufigkeit der genannten Adjektive in keiner Kategorie signifikant. Auffallend ist einzig, dass die Beschreibung wünschenswerter Wesenszüge auf beiden Plattformen mehr Raum einnimmt als die Beschreibung des Äußeren des oder der Zukünftigen oder die Aufzählung von Eigenschaften, welche die Beziehungsgestaltung betreffen. Der quantitative Vergleich zeigt aber auch, dass die Fremddarstellungen beider Kontaktbörsen ausschließlich Kategorien verwenden, die auch in printmedialen Kontaktanzeigen auftauchen könnten. Der quantitative Blick konstatiert deshalb vor allem die Kontinuität zwischen den beiden kommunikativen Gattungen “printmediale Kontaktanzeige” und “Profil auf einer virtuellen Kontaktbörse”. Anders sieht dies bei der qualitativen Analyse aus. 7 Zweimal Swissflirt, einmal Purplemoon: Qualitative Analysen Auf Swissflirt beschränken sich die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten des Profils auf die Bilder und das Textfenster (cf. Abb. 4). Die Vorgaben von SF sind aber nicht so eng wie bei printmedialen Kontaktanzeigen, denn die Länge des Textes im Fenster “Text” ist nicht beschränkt. Zwar bietet SF mit dem Titel “Kontaktanzeige” auch eine Gattungsvorgabe und damit gleichzeitig eine Formulierungshilfe an; zwar gibt es spezifische Richtlinien, an welche sich die Verfasser halten müssen (cf. Kap. 5). Wie der Text geschrieben, strukturiert und gestaltet wird und wie er sich ins Gesamt des Profils einfügen soll, das lässt SF aber offen. Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass die Textgestaltungen und damit auch die Selbst- Daniel H. Rellstab 216 Abb. 5 präsentationen auf SF variieren. Die Bandbreite der Variabilität lässt sich anhand zweier Beispiele illustrieren. Purplemoon dagegen bietet seinen Nutzern sehr viel mehr Raum, um ein individuelles Profil zu entwerfen. Dieser Raum wird genutzt und führt zur Texten, in welchen zwar die kommunikativen Teilhandlungen, welche in der printmedialen Kontaktanzeige mit Hilfe der einzelnen Textbausteine realisiert werden, noch auffindbar sind. Die Selbstdarstellungen, die hier entstehen, sind indessen mit den Reifizierungen der traditionellen Kontaktanzeige nicht mehr vergleichbar. Dies zeigt eindrücklich Beispieltext 3. 7.1 Swissflirt 1: “Gibt es denn keine Frau…..” Der gewählte Nickname, der in der Abbildung eingeschwärzt wurde, nennt Alter sowie eine Charaktereigenschaft des Inserenten. Im Textfenster steht: Gibt es denn keine Frau….. die nicht mehr allein sein will. Ein bisschen die selben Interessen sollten vorhanden sein. Ansonsten bin ich offen. Also schreibt , bitte nur mit Fotos. Gruss Das Profil selbst ist sehr ökonomisch gestaltet. In der Textbox schreibt der Inhaber nur an einer Stelle über sich selbst: Er charakterisiert sich als “offen”. Die Möglichkeiten der Selbstdarstellung, welche durch die Registerkarten gegeben sind, nutzt er aber bis auf die Angabe des Aszendenten alle. Er nennt Alter, Wohnort, Sternzeichen, Nationalität, beschreibt sein Äußeres mit der Angabe von Größe und Gewicht. Seinen Körperbau bezeichnet “Aus Liebe zu dir” 217 Abb. 6 Abb. 7 er als “normal”, den Fitnesslevel als “durchschnittlich”. Er ist alleinstehend, hat keine Kinder, gibt an, Angestellter und Christ zu sein und kann sich vorstellen zu heiraten. Mit Hilfe der Aufzählungen unter Freizeit/ Hobbies präsentiert er sich als sportlichen und aktiven Menschen, der gerne reist, Autos und Motorräder mag und sich um seine Gesundheit und sein Äußeres kümmert. Haustiere hat er keine; 22 auf eine bestimmte Musikrichtung legt er sich nicht fest: Offensichtlich hört er, abgesehen von E-Musik, alles (cf. Abb. 6). Mit Hilfe der Angaben auf den Registerkarten konstruiert der Inserent allerdings kein sehr präzises Bild seiner Selbst. Die Vielzahl von Angaben unter Sportarten und Musik evozieren vielmehr Unbestimmtheit; die Verwendung der Adjektive “durchschnittlich” und “normal” verstärken diesen Eindruck des Unbestimmten. Einzig der Hinweis darauf, dass er raucht, verleiht dem Profilinhaber etwas Eigenständigkeit, denn die Raucher sind im Sample von SF klar in der Minderheit (cf. Kap. 6.1). Auf dem Profilbild blickt der Inserent direkt in die Kamera, das Gesicht ist nicht verdeckt. Der Fotografierte befinden sich irgendwo draußen: Im Hintergrund ist ein blätterloser Baum sichtbar. Die Kleidung ist unauffällig: Graues Kapuzenshirt und Jeansjacke. Wie ein Blick in sein Fotoalbum zeigt (cf. Abb. 7), ist das Profilbild ein Ausschnitt aus einem Ganzkörperbild, das dort zu sehen ist. Der Mann steht auf einer Brücke, die über einen begradigten Bach führt, in einer unspektakulären Landschaft, die sogar etwas trist wirkt. Es liegt etwas Schnee, der Himmel ist wolkig. Das Farbspektrum des Bildes ist verhalten: Blasse Grau-, Blau- und Grüntöne herrschen vor. Das verwendete Profilbild hilft damit nur bedingt, den Eindruck des Unbestimmten zu zerstreuen. Denn es zeigt nicht mehr vom Inserenten als dessen Äußeres. Es akzentuiert weder eines seiner Hobbies noch illustriert es eine seiner Freizeitaktivitäten. Das konstruierte Selbst dieses Profilinhabers bleibt so auch mit Bild relativ unbestimmt und unterkomplex, und die Informationen, welche der Profilinhaber über sich selbst kund tut, unterscheiden sich kaum von Informationen, wie sie auch in einer printmedialen Kontaktanzeige zu finden wären. Das sieht im nächsten Beispiel anders aus. Daniel H. Rellstab 218 Abb. 8 7.2 Swissflirt 2: “nun bin ich an der Reihe” Dieser Profilinhaber wählte einen englisch klingenden Fantasienamen als Nickname. Im Textfenster seines “Profils” steht: Hallo, Nun ist es Zeit, die Sache selbst anzupacken; so wie alle die hier inserieren, bin auch ich auf der Suche nach meiner Hälfte. Ich bin mitte September 40 geworden und ich bin immer noch single; ich hoffe es wird ab nun ändern. Sport brauche ich, um den Altagsstress ab zu baun; mein Haupsport ist Wasserball; neben bei spiele ich auch gerne Beachvolley (leider in diesem Sommer nicht dazu gekommen), fahre Rad. Abends lese ich oder mache Kreuzworträtzel um besser einschlafen zu können. Ich backe auch gerne, sowie bereite Desserts vor. Ich bin eine Vertrauensperson mit eher ruhigem Karakter. Ich habe keine Altlasten. Nun zu dir : gerne etwas jünger als ich, Du solltest auch Sport mögen. Ideal hast Du helleres Haar mit braune Augen; aber eben idealerweise. Und sonst was man sich so als Traumfrau sich vorstellt. Nicht Raucherin wäre von Vorteil. Auf den Fotos sieht man mich mit einem Rottweiler; keine Angst es ist leider nicht meiner; ich muss allerdings sagen, war; man hat ihn vor zwei Wochen einschäfern müssen. Ich mag Tiere, aber aus Mitleid habe ich keins; ich habe keine Zeit mich um sie zu kümmern, meine Arbeitszeit lässt es nicht zu. Ach, was Du auch noch wissen solltest, ich komme aus dem Kanton Neuenburg; Französisch ist meine Hauptsprache; spreche aber sonst Hochdeutsch, ich wollte es einfach sagen. Da ich gerne Autofahre oder Rad, macht es mir noch nichts aus, wenn Du etwas weiter wohnst. “Aus Liebe zu dir” 219 Abb. 9 So, wenn jetzt noch mehr schreibe, wird sich keine mehr trauen, mir zu antworten : -) Wenn Du noch ein Foto mit der Antwort beilegst bin ich ganz froh. Ich wünsche alle die meine Anzeige bis zum Ende gelesen haben einen schönen Tag. Liebe Grüsse. (Nickname) Anders als im ersten Fall lässt der Inhaber dieses Profils einige Angaben zu seiner Person auf den Registerkarten offen: Er nennt Nationalität und Gewicht nicht - letzteres ist auf SF allerdings nicht erstaunlich (cf. Kap. 6.1). Er lässt die Angaben zu Beruf und Heiratswunsch ebenfalls offen. Er gibt aber an, dass er keine Kinder hat, aber gerne Kinder haben würde, und bezeichnet sich selbst als Atheist. Wie der Inserent des ersten Beispiels gibt auch er eine Vielzahl unterschiedlicher Freizeitaktivitäten und Hobbies an. Sein Musikgeschmack ist aber schon viel präziser definiert, als dies im ersten Beispieltext der Fall war, und bei den Sportarten beschränkt er sich darauf, drei zu nennen (cf. Abb. 9). Sein Profilbild ist eine Illustration seiner Freizeitgestaltung und damit gleichzeitig auch ein Beleg der Wahrhaftigkeit dieser Angaben. Es zeigt ihn auf einem Feldweg in Sportkleidung neben einem Rottweiler kniend, um den er den Arm gelegt hat. Damit signalisiert er Sportlichkeit, Naturverbundenheit und Tierliebe - Sport, Natur und Tiere sind denn auch Lexeme, die auf seiner Registerkarte unter Freitzeit/ Hobbies auftauchen. Dieses Selbstbild, das auf dem Foto und den Registerkarten inszeniert wird, wird im Textfenster weiter verdichtet, den Informationen auf Bild und Registerkarten damit mehr Sinn verliehen. Der Inserent präzisiert hier sein Alter und gibt dieses auch als Grund dafür an, weshalb er jetzt auf SF inseriert. Er erläutert, welcher Sport und weshalb ihm Sport wichtig ist. Er begründet, weshalb er liest, und wiederholt, dass er gerne in der Küche steht. Er beschreibt seinen Charakter und erklärt, weshalb er selbst kein Haustier mehr hat. Mit dem Verweis auf den gemäß landläufiger Meinung gefährlichen Hund auf dem Bild, neben dem er kniet, signalisiert er gleichzeitig auch ein gewisses Maß an Eigenständigkeit. Er präzisiert ebenfalls seine Herkunft und informiert darüber, dass seine Muttersprache Französisch sei. Der Inserent hier will sicherlich nicht als Durchschnittstyp erscheinen. Seine Selbstdarstellung weist gleichzeitig Brüche auf. Das Bild, das in dieser Anzeige entsteht, ist nur bedingt das eines rundum erfolgreichen Mannes. Zwar ist er “eine Vertrauensperson” und hat “keine Altlasten”; zwar scheint er ein aktiver Berufsmann zu sein. Doch sein Le- Daniel H. Rellstab 220 ben ist nicht einfach problemlos: Der Schreibende braucht Sport, um Alltagsstress abbauen zu können. Dies präsupponiert, dass er Stress hat. Er liest, um abends besser einschlafen zu können. Dies implikiert, dass er nicht einfach gut einschläft. Außerdem scheint er wenig Zeit zu haben, denn er kann sich kein Haustier halten: “meine Arbeitszeit lässt es nicht zu”. Diese Selbstoffenbarungen wirken nicht nur als Brüche, sondern suggerieren auch Nähe, denn in intimer Kommunikation darf über eigene Schwächen geschrieben werden (cf. Laurenceau et al. 1998). Diese Nähe zu seinen Rezipienten verstärkt der Inserent mit Hilfe sprachlicher Merkmale: Er schreibt keine traditionelle Kontaktanzeige, sondern einen Brief an ein unbestimmtes Du, der mit “Hallo” beginnt und mit “Liebe Grüße” endet. Und er emuliert mit dem Seufzer “Ach” und dem Adverb “So” Mündlichkeit, was ebenfalls Näher suggeriert. 23 Das Bild, das er so von sich selbst konstruiert, ist komplex, aber nicht undeutlich, weist Brüche auf, aber so, dass sie ins Bild passen. 7.3 Purplemoon: “Ich habe dich sehr gern, drum lass ich dich los” Das letzte Beispiel widerlegt Ellisons These, dass Inserenten auf online-Kontaktbörsen genau überlegen, was sie publizieren, um ein möglichst ideales Bild ihrer selbst zu präsentieren, zwar nicht (cf. Ellison 2006). Es zeigt aber, dass ein Selbstbild auf Kontaktbörsen nicht unbedingt aus gemeinhin als attraktiv erscheinenden Charaktereigenschaften oder beschönigten Gewichtsangaben bestehen muss. Denn nicht allen gefällt das Gleiche, und Geschmack ist kulturell und subkulturell geprägt (cf. Bourdieu 1982). Dass jedoch ein solchermaßen komplexes Selbstbild konstruiert werden kann, wie dies hier der Fall ist, liegt nicht nur in der Intention des Inserenten begründet. Die Bedingung der Möglichkeit dieser Inszenierung liefert die Systemarchitektur der Website von PM. In seinem “Steckbrief” (cf. Abb. 10) kommuniziert der Inhaber dieses Profils Name, Nickname - dieser weist ihn als Liebhaber von Pflanzen aus -, Wohnort, Sternzeichen, Sprachkenntnisse, Beruf, Beziehungsstatus, Aussehen und seine Überzeugungen. Augenfällig sind seine Einträge unter der Rubrik “Spitznamen”: Er listet fünf Spitz- und Rufnamen auf und signalisiert mit Auslassungspunkten, dass er noch mehr Rufnamen hat. Gleichzeitig stellt er klar, dass der Gebrauch des einen Namens jemandem vorbehalten ist: “so nennt mich aber nur jemand ganz spezieller! ” Er indiziert mit diesen Angaben, dass er Mitglied eines Netzwerks von Freunden ist und dass er zu jemandem in einer speziellen Beziehung steht - was für ein Profil auf einer Kontaktbörse einigermaßen erstaunlich ist, denn wer will seinen zukünftigen Partner schon mit “jemand ganz spezieller” teilen? 24 Relevant ist auch sein Hinweis darauf, dass er bei allen geoutet ist: Mit seiner Homosexualität scheint er keine Probleme zu haben. Auf dem Profilbild, einem Porträt, trägt der Inhaber eine Schirmmütze und zieht eine leichte Grimasse. Er inszeniert sich damit als Mann mit Witz und Selbstironie. Gleichzeitig zeigt schon die Bildlegende, die darauf hinweist, dass er insgesamt 33 Bilder in 3 Ordnern publiziert hat, dass er auch keine Probleme damit hat, sich den anderen auf dieser Plattform zu präsentieren. Viel über sich gibt der Profilinhaber auch auf der Registerkarte “Über mich” preis. Die Einträge hier sind konsequent aus der Ich-Perspektive formuliert. Allerdings signalisiert der Profilinhaber auch, dass ihm das Abfassung von Selbstbeschreibungen Probleme bereitet: ja … viles halt … ach ja, und malen … wer lust hat, kann die bilder ja angucken … nicht? www.yyy.com 25 “Aus Liebe zu dir” 221 Abb. 10 Kunst und Musik interessieren ihn, wie er angibt, stark. Auf einzelne Künstler oder Musiker will er sich aber nicht festlegen. Zu Kunst sagt er: “entweder gefällt es, oder es gefällt nicht.” Und: “jeder mensch macht kunstwerke”. Zu den Büchern, die er gerne liest, schreibt er: Es gibt so viele, ich kann sie nicht aufzählen. Lesen ist Wissen, Verstehen. Man kann nicht genug lesen! Etwas zeitgenössisches: Lies mal “Die Mitte der Welt” oder “Die Lewins” … beides umwerfende Bücher, über 500 Seiten und man wünscht sich, es wären mehr Seiten … Auch Filme/ Sendungen interessieren ihn “stark”: “ups… alles, ich sammle gute Filme … und hab deshalb schon über 600… : -) Filmabend? : -)”. Diesem Profilinhaber ist es wichtig, als eigenständige Person mit einem reichen Innenleben wahrgenommen zu werden. In “Über meine Person”, “Aktivitäten und Hobbies” und “Lebenseinstellungen” beschreibt er seine Wünsche, Ansichten, Gefühle, Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte en détail. Er tut seine Lebenseinstellungen mit Lebensmotto und Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, der Bedeutung von Geld und Status, von Liebe und Sex, der größten Leidenschaft und der politischen Ausrichtung kund, und er teilt den anderen mit, was er an anderen Menschen mag. Zu seinem Äußeren aber schreibt er: Hm…wieso soll ich mich beschreiben? Schau dir die Fotos an und du weisst, was auf dich zukommt … oder eben nicht. Äußeres und Gefallen ist ja so was von relativ. Oder nicht? Auf die Frage, wieso er sich anderen empfehlen würde, schreibt er: Wieso sollte ich? Ich will so erwünscht oder begehrt sein, wie ich bin. Freundschaften und Liebe sind doch kein Business, für das man Werbung macht und Empfehlungen abgibt … Der Profilinhaber indiziert, dass er gerne diskutiert. Zu “Was mir Liebe bedeutet” schreibt er an Ende des Eintrags: “Diskussionsstoff für einen Abend, aber nicht für diese Box”. Zu “Das bedeutet Sex für mich” meint er: “Sex ist für mich etwas ganz spezielles und nichts alltäg-