eJournals Kodikas/Code 32/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Der Text stellt exemplarisch Praktiken der Imagekonstruktion mittels Fotografie im so genannten neuen Netz, social web bzw. Web 2.0 vor. Dabei zeigen sich in den verschiedenen kollaborativen Online-Anwendungen wie der Foto-Plattform Flickr und den so genannten social networks wie MySpace, Facebook oder StudiVZ unterschiedliche Stilkonventionen. Ziel des Beitrags ist es, diese analytisch zu ermitteln und die ihnen zugrundeliegenden kommunikativen Aushandlungen zu explizieren.
2009
321-2

Pimp your profile - Fotografie als Mittel visueller Imagekonstruktion im Web 2.0

2009
Stefan Meier
My body style(s) 183 Abb. 3 Fotos im Album, sondern durch die Verkettung verschiedener Aufnahmen in einem einzigen Bild. Durch die Nachbearbeitung in Bildbearbeitungsprogrammen lassen sich so relativ komplexe Collagen erstellen, die Körperbilder ineinander verschachteln oder in einigen Beispielen kunstvoll nebeneinander stellen (vgl. Abb. 3). Durch die unterschiedliche Perspektive auf den Körper - ob er von vorn oder in der Rückansicht, ob von unten oder in der Draufsicht aufgenommen - können sich so multiperspektivische Bilder, die an die Werke von Picasso erinnern, ergeben. Dies lässt sich einerseits mit der verlorenen, körperlichen Präsenz im Internet erklären, wird doch so der Versuch unternommen, durch zweidimensionale Abbildungen der dreidimensionalen Konstitution des realen Körpers Rechnung zu tragen. In der Interaktion mit anderen Nutzern ist jedoch vielmehr der Julius Erdmann 184 pragmatische Aspekt einer solchen Darstellung zu betonen. Der abgebildete Körper wird in der dadurch intendierten Dreidimensionalität als Ganzes für den Rezipienten greifbar, es wird eine kulturelle Einheit konstruiert. Dies führt dazu, dass der Nutzer als authentische und reale Person erscheint und seine textuelle Identitätskonstruktion im Profil an Glaubwürdigkeit gewinnt. Zudem muss ein Akzent auf die Konstruktion solcher ganzheitlicher Bilder gelegt werden. Der Nutzer erarbeitet hier eine neue Form von Körperlichkeit, die nicht nur als Ersatz für die reale Existenz zu sehen ist. Vielmehr wird die Inszenierung besonders ausdrucksstark, wenn sie mit der realkörperlich subkulturellen Ausschmückung gekoppelt wird. Die Jugendlichen nutzen die Gegebenheiten im Ich-Album, um sich effektiver in ihrer Subkultur inszenieren zu können, Zugehörigkeit herzustellen und darüber hinaus jugendkulturelle Interaktion zu gewährleisten. 7 Mediale Identitäten? Die Jugendlichen stellen sich in ihren digitalen Fotoalben aus, nicht nur in Form von zufälligen, fotografischen Aufnahmen im Urlaub, sondern über gezielt für das soziale Netzwerk erstellte Autoporträts, die in Ich-Alben veröffentlicht werden. Dennoch dürfen diese Abbildungen nicht nur als Wiedergabe ihrer realen Körperlichkeit gedacht werden. Die jungen Nutzer übersteigen in ihren Körperzeichen das Niveau der Abbildung im Sinne des ikonischen Zeichens nach Peirce. Die Zeichen besitzen vielmehr eine neue, symbolische Ebene, die neben der vermittelten Glaubwürdigkeit auch der gezielten virtuellen Identitätskonstruktion dient. Jedoch ist dies nicht im Sinne von ehemaligen, grafischen Darstellungen, wie z.B. Avataren, zu verstehen. Vielmehr steht die Körperlichkeit als komplexer Anklang an die reale Existenz in elementarer Verbindung zu den restlichen textuellen, hypertextuellen und grafischen Identitätsinformationen. In diesem Sinne begegnet die Funktion der Ich-Alben der Subkultur: In beiden Bereichen suchen die jungen Nutzer nach Zugehörigkeit und Abgrenzung durch Identitätskonstruktion. Wie am Beispiel der Emo-Subkultur gezeigt wurde, kann in den Selbstporträts ein subkulturelles, virtuelles Ich kreiert werden. Die Jugendlichen inszenieren sich über die Ich-Alben im Rahmen ihrer Subkultur als Individuen - sie greifen nicht auf starre Symboliken zurück, sondern sampeln Subkulturtechniken anderer Strömungen, um sie in ihre kulturell-individualistische Symbolik einzufügen. Die Zeichen ihrer Subkultur entstehen demnach aus der diskursiven Vermittlung zwischen ihren individuellen Collagen und dem subkulturellen Konsens. Dieser Vorgang zeigt sich für alle Jugendsubkulturen im Übergang in die virtuelle Welt: Sie nutzen die Materialität des Körpers, um sie in die Virtualität zu überführen. Auf dem Weg dorthin ändert sich seine Darstellung grundsätzlich. Einerseits versuchen sie durch neue Techniken dem Anspruch der mangelnden Materialität gerecht zu werden, andererseits spielen sie mit den Techniken der Köperinszenierung, entfremden sie durch fotografische Kunstgriffe und betten sie in neue, digitale Zusammenhänge ein. Dadurch erstellen die Jugendlichen eine neue Identität für das Internet, im Sinne von Lutz Ellrich: “Mediale Identität ist […] ein genuines Phänomen und keine technische Reproduktion einer natürlichen oder eigentlichen Gegebenheit” (Ellrich 2000: 90). In der Exponierung ihres neuen Körpers im Internet stellt sich der potenzierte Widerstand der Subkultur dar: Für die Jugendlichen ist das Web keine abstrakte Welt mehr, sondern ein greifbar real-sozialer Raum zur Darstellung ihrer Identität. My body style(s) 185 Literatur Barthes, Roland 1989: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Becker, Barbara 2000: “Cyborgs, Robots und ‘Transhumanisten’ - Anmerkungen über die Widerständigkeit eigener und fremder Materialität”, in: Becker, B. & I. Schneider (Hrsg.) 2000: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit - Identität - Medien, New York / Frankfurt/ M.: Campus, 41-70 Brake, Mike 1981: Soziologie der jugendlichen Subkulturen. Eine Einführung, Frankfurt/ M. u.a.: Campus Diemand, Vanessa 2007: “Gesicht wahren im Web 2.0 - Blogs zwischen Authentizität und Selbstinszenierung”, in: Diemand, V. (Hrsg.) 2007: Weblogs, Podcasting und Videojournalismus: neue Medien zwischen demokratischen und ökonomischen Potenzialen, Hannover: Heise, 58-89 Ellrich, Lutz 2000: “Der verworfene Computer. Überlegungen zur personalen Identität im Zeitalter der elektronischen Medien”, in: Becker, B. & I. Schneider (Hrsg.) 2000: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit - Identität - Medien, New York / Frankfurt/ M.: Campus, 71-102 Goffman, Erving 1967: “On Face-Work. An analysis of ritual elements in social interaction”, in: Goffman, E. (Hrsg.) 1967: Interaction Ritual, New York: Anchor, 5-45 Hamann, Götz 2007: “Meine Daten sind frei”, in: Die Zeit 62.45 (31.10.2007), Hamburg: Zeitverlag Gerd Bucerius Kösch, Sascha 2001: “Ein Review kommt selten allein…”, in: Bonz, J. (Hrsg.) 2001: SoundSignatures, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 173-189 Paris, Rainer 2000: “Schwacher Dissens - kultureller und politischer Protest”, in: Roth, R. & D. Rucht (Hrsg.) 2000: Jugendkulturen, Politik und Protest. Vom Widerstand zum Kommerz? , Opladen: Leske + Budrich, 49-62 Peirce, Charles Sanders 1993: Phänomen und Logik der Zeichen, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Roth, Roland & Dieter Rucht 2000: “Jugendliche heute. Hoffnungsträger im Zukunftsloch? ”, in: Roth, R. & D. Rucht (Hrsg.) 2000: Jugendkulturen, Politik und Protest. Vom Widerstand zum Kommerz? , Opladen: Leske + Budrich, 9-35 Scherger, Simone 2000: “Die Kunst der Selbstgestaltung”, in: Becker, B. & I. Schneider (Hrsg.) 2000: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit - Identität - Medien, New York / Frankfurt/ M.: Campus, 235-251 Schmidt, Jan 2006: Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie, Konstanz: UVK Schneider, Irmela 2000: “Anthropologische Kränkungen - Zum Zusammenhang von Medialität und Körperlichkeit in Mediendiskursen”, in: Becker, B. & I. Schneider (Hrsg.) 2000: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit - Identität - Medien, New York / Frankfurt/ M.: Campus, 13-39 StudiVZ Ltd. (Hrsg.): Über uns, im Internet unter http: / / www.StudiVZ.net/ l/ press [15.01.2009] Tillmann, Angela 2006: “Doing Identity: Selbsterzählung in virtuellen Räumen”, in: Tillmann, A. & R. Vollbrecht (Hrsg.) 2006: Abenteuer Cyberspace. Jugendliche in virtuellen Welten, Frankfurt/ M. u.a.: Lang, 33-49 Notes 1 Im Folgenden wird unter der Realität in Abgrenzung zur Virtualität des Internets all das gemeint, was in der Welt außerhalb des Internets, sprich der real greifbaren Welt, stattfindet. Keinesfalls soll dadurch die Realität virtuell vermittelter Informationen oder Beziehungen hinterfragt werden. 2 Hierbei sei nur auf die anhaltende Debatte über Vertragsabschlüsse im Internet hingewiesen. 3 So gibt es Gruppen, die explizit auf bestimmte körperliche Eigenschaften, wie Haarfarbe, Gewicht, oder Augenfarbe verweisen. Diese sind interessanterweise meist mit normativen Komponenten gekoppelt, die die jeweilige Eigenschaft gegenüber anderen vorziehen. 4 Gemäßigt, aber dennoch deutlich tritt diese Neukontextualisierung auch bei männlichen Vertretern auf. 5 Dieses 'dunkle' Comic-Mädchen vereint beispielhaft die melancholisch aggressiven mit den emotional lieblichen Zügen der Emos. Inzwischen ist es auf T-Shirts, Portemonnaies, Taschen und in sämtlichen anderen Printformen erhältlich. Pimp your profile - Fotografie als Mittel visueller Imagekonstruktion im Web 2.0 Stefan Meier The text shows exemplary practices of image construction by photography in the so-called social web or Web 2.0. Especially in collaborative online applications like Flickr or social networks like MySpace, Facebook or StudiVZ you can see different style conventions. The aim of the text is to explain its reasons and to describe communicative practices in the background. Der Text stellt exemplarisch Praktiken der Imagekonstruktion mittels Fotografie im so genannten neuen Netz, social web bzw. Web 2.0 vor. Dabei zeigen sich in den verschiedenen kollaborativen Online-Anwendungen wie der Foto-Plattform Flickr und den so genannten social networks wie MySpace, Facebook oder StudiVZ unterschiedliche Stilkonventionen. Ziel des Beitrags ist es, diese analytisch zu ermitteln und die ihnen zugrundeliegenden kommunikativen Aushandlungen zu explizieren. 1 Einleitung Obwohl das so genannte Mitmachnetz als Infrastruktur userbasierter Inhaltsproduktion schon seit geraumer Zeit im öffentlichen aber auch wissenschaftlichen Fokus steht, beginnt die Beschäftigung mit den damit verbundenen Bildpraktiken erst. Grund dafür scheint die Hybridität und Dynamik des Mediums Internet zu sein, das nicht nur die vermeintlich professionelle Bildproduktion der Werbung, der PR sowie des Bildjournalismus etablierter Massenmedien aufnimmt, sondern vermehrt auch Fotografie und Bewegtbilder privater Produzenten enthält. Diese werden je nach kommunikativem Anlass und genutzter Kommunikationsform einer Weböffentlichkeit präsentiert, die durch soziale Netzwerk-Bildungen in spezifische Teilöffentlichkeiten aufgegliedert ist. Durch die zunehmende Nutzung breitbandiger Übertragungswege unterliegen außerdem die genutzten Kommunikationsformen (Blogs, Foren, Wikis etc.) ständiger technischer Erweiterung, die auch eine zunehmend datenintensivere Bildkommunikation zur Folge hat. In bestimmten Online-Plattformen wie Flickr, Youtube oder MySpace kommt es außerdem zu fortschreitenden Konvergenzen. So werden dort Fotos und Videofiles nicht nur hochgeladen und von anderen Usern kommentiert oder bewertet, sondern durch weitere Verlinkungen können diese auch in andere Webseiten eingebunden und so durch andere bedeutungsmodifizierende Inhalte als so genannte mashups kontextualisiert sein. Diese Dynamik und Hybridität des neuen Netzes erschwert es der Forschung, valide empirische Befunde und nachhaltigere medientheoretische Konzeptualisierungen zu entwikkeln (cf. Rössler und Wirth 2001; Pentzold und Fraas 2008). Jedoch kann Wissenschaft es K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 32 (2009) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Stefan Meier 188 sich nicht leisten, diese Entwicklungen zu ignorieren, wenn der inflationäre Gebrauch kooperativer Netzumgebungen nicht unreflektiert bleiben soll (cf. Meier 2008). Der Beitrag wird somit beispielhaft die kommunikative Fotopraxis in aktuellen kooperativ-kollaborativen Netzanwendungen behandeln und mögliche Konventionalisierungspraktiken rekonstruieren. Dabei wird zunächst kurz auf das hier favorisierte Konzept des Images eingegangen. Danach steht das Filter- und Ratingsystem der foto community Flickr im Fokus, das eine techniksowie kommunikationsbasierte Konventionalisierung von Fotografie zu bewirken scheint. Im Anschluss tritt exemplarisch die Folgekommunikation in den Blick, die ebenfalls die fotografische Produktion zur Kontaktstiftung und Imagekonstruktion zum Anlass nimmt. Es werden des Weiteren fotografische Praktiken innerhalb so genannter social networks (z.B. StudiVZ, Facebook) gezeigt, die eine abweichende Bildkommunikation in der Image-, Beziehungsbzw. Netzwerkarbeit (cf. Schmidt 2006) der Userinnen und User aufweisen als die dezidiert auf Fotografie fokussierte Community Flickr. Welche möglichen Motive bei diesen Praktiken eine Rolle spielen, wird anhand von Auszügen eines qualitativen Beispielinterviews gezeigt, das Bestandteil einer Studie ist, die innerhalb eines studentischen Forschungsseminars zu soziokulturellen Aspekten des Web 2.0 an der TU Chemnitz erstellt wurde. Abschließend wird der Text anhand kommunikationspragmatischer und zeichentheoretischer Überlegungen zur digitalen Imagekonstruktion im neuen Netz mögliche Ergebnisse zusammenfassen. 2 Zum Konzept des Images in der Internet gestützten Onlinekommunikation Ich vermeide in dem Beitrag den Begriff Identitätskonstruktion, obwohl dieser auch in der sozialpsychologischen Internet-Forschung (cf. Döring 2003) gängige Verwendung gefunden hat. Hier wird jedoch der Begriff des Images bzw. der Imagearbeit als kommunikatives Verhalten favorisiert, das von Goffman inspiriert als eine kontextabhängige, performative Aufführung eines Selbst (cf. Goffman 2004) in Webkontexten (cf. Meier 2008: S. 72ff.) meint. Gerade bei den hier fokussierten Plattformen und social networks wird eine kommunikative Arbeit im Sinne einer Self-PR realisiert. Sie zielt darauf ab, das dargestellte Ich als möglichst attraktives Fremdbild erscheinen zu lassen, um kommunikative Ziele, wie breite Wahrnehmbarkeit, Beliebtheit etc., zu erreichen. Diese kommunikative Arbeit ist in Form multimodaler Online-Daten im Netz manifest. Sie können ganz unabhängig davon untersucht werden, welche realen Personen hinter den Daten stehen. Aktuelle Identitätskonzepte nehmen jedoch eher eine Metaperspektive ein und gehen davon aus, dass das Individuum sich aus Teilidentitäten oder mixed identities zusammensetzt (cf. Keupp u.a. 2002). Je nach sozialer Rolle bzw. sozialem oder situativem Kontext wird das Individuum demnach bestimmten Teilidentitätszuschreibungen ausgesetzt und agiert entsprechend dieser und eigener kommunikativer Ziele. Solche Fokussierungen von Teilidentitäten setzen jedoch weiterhin voraus, dass die kontextabhängigen, unterschiedlichen Teilidentitäten immer auf ein bestimmbares Individuum zurückzuführen sind. In kollaborativen Netzwerken ist der Aktant jedoch nur hinsichtlich einer ganz konkreten, nur auf die Community bezogenen Teilidentität wahrnehmbar. Um dort als glaubhaft gelten zu können, muss er in seiner kommunikativen Aufführung als kohärente Einheit bzw. Ganzheit wahrgenommen werden, da angesichts geringerer Rückkopplungsmöglichkeiten leicht Irritationen und somit kommunikative Misserfolge verursacht werden können. Attraktivität erzielen Aktanten, indem sie dem in der Community Pimp your profile 189 unterstellten kollektiv getragenen Wertekonsens in ihrem kommunikativen Zeichenhandeln innovativ entsprechen. Dies zwingt sie zur Ausbildung und Verfolgung eines einheitlichen in diesem Sinne positiven Images, wie es auch Firmen mittels PR verfolgen, um ein angestrebtes Fremdbild in der Öffentlichkeit zu etablieren. Man ist in kollaborativen Netzwerken also nur mit jeweils einer aufgeführten Teilidentität konfrontiert, die hier als Image begriffen wird und die neben der kooperativen Konventionalisierungspraxis als Untersuchungsgegenstand bestimmt wurde. 3 Das software- und usergestützte Konventionalisierungssystem bei Flickr Das Web-Portal Flickr, das 2002 von Caterina Fake und Stewart Butterfield im kanadischen Ludicorp gegründet wurde, ist mittlerweile wohl die weltweit bekannteste Online-Plattform für Fotografie. Im Juni 2007 wurden zahlreiche Ableger in unterschiedlichen Landesprachen wie Französisch, Spanisch und Deutsch gegründet. Trotz großer Proteste gegen ein restriktives Filtersystem, das in der deutschsprachigen Version die Anzeige von Fotos unterdrückt, die von den Fotografen als mittel, oder eingeschränkt markiert wurden (Spiegelonline: http: / / www.spiegel.de/ netzwelt/ web/ 0,1518,488542,00.html [Zugriff 13.12.08]), genießt das Portal immense Zuwächse in der Nutzung. Während im November 2007 im deutschsprachigen Raum bereits zwei Milliarden Fotos eingestellt wurden, durchbrach die Community schon im November 2008 die drei Milliarden-Grenze (http: / / de.wikipedia. org/ wiki/ Flickr [Zugriff 13.12.08]). Übertroffen wird das Portal in dieser Hinsicht nur von Facebook, das nicht explizit als Foto-Portal gilt, aber in seiner Funktion als social network (s.u.) noch größere Mengen an hochgeladenen Bildern enthält (http: / / blog.firstmedia.de/ ? p= 1622 [Zugriff 13.12.08]). Bei Flickr scheint jedoch die fotografische Praxis, Technik und Foto-Publikation im Vordergrund zu stehen, von der weitere Anschlusskommunikation entscheidend geprägt ist. Zwar lassen sich seit April 2008 dort auch Videos einstellen, allerdings wenden sich Teile von Community-Aktivisten engagiert gegen diese Funktionalität, weil sie hierdurch eine Beeinträchtigung des Portal-Profils und ihrer eigenen Netzwerkarbeit sehen (http: / / www.flickr.com/ groups/ no_video_on_flickr/ discuss/ 72157604451870444 [Zugriff 13.12.08]). Wie diese Netzwerkarbeit in Korrespondenz mit Softwaredispositionen zu Flickr spezifischen Ratings und fotostilistischen Konventionen führt, wird folgend näher beleuchtet. Die Startseite von Flickr (cf. Abb. 1: http: / / www.flickr.com [Zugriff 13.12.08]) zeigt wechselnde Fotografien, die einem recht hohen fotografischen Qualitäts-Standard bzw. einem bestimmten professionellen Genre-Muster zu entsprechen scheinen. Eine solche Musterhaftigkeit lässt sich anhand gewisser Gestaltungskriterien festmachen, die sich als visuelle Kodes im Laufe fotografischer Spezialdiskurse herausgebildet haben und die durch vergleichende Stilanalysen zu ermitteln sind. Grob lassen sich diese mustergeleiteten Kriterien in Mittel aufteilen, die sich zum einen nach bestimmten Genre-Vorgaben in der Motivauswahl und Gestaltung richten und zum anderen Techniken anwenden lassen, die das Hauptmotiv des Bildes betonen bzw. ihm Prägnanz oder Salienz verleihen. So deuten die in Abb. 1 dargestellten Titelfotos konkrete Genres wie Landschaft, Architektur, Sport und Makrofotografie mit den ihnen eigenwilligen Gestaltungsmustern an. Sie weisen dabei eine harmonische Bildaufteilung auf, die bei der Landschaftsaufnahme beispielsweise durch die Wahrung des Golden Schnitts (Flächenaufteilung ca. 1: 2) in der Positionierung des Horizonts oder in der Architekturfotografie durch die prägnante Betonung von Linienstrukturen verfolgt wird. In der Stefan Meier 190 Abb. 1: (http: / / www.flickr.com [Zugriff 13.12.08]) Sportfotografie kommt es außerdem auf eine gekonnte Schärfedarstellung von bewegten Motiven aus dynamisch wirkenden Perspektiven an und das Einfangen eines interessanten, spektakulären Augenblicks, der den Betrachter quasi zu einem Zeugen des Geschehens selbst machen soll. Gestalterisch wird zumeist die Hervorhebung eines konkreten Motives verfolgt, indem es fotografisch oder bei der Nachbearbeitung durch gezielte Schärfeverteilung betont wird. Dabei verschwinden vermeintlich unwichtige Kontexte in der Unschärfe. Ähnliches lässt sich auch mit gezieltem Lichteinsatz, spezifischer Farbgebung, Kameraeinstellung oder Hintergrund-Vordergrund-Inszenierungen erreichen. All diese Kriterien sind bei den verschiedenen Fotos auf der Startseite von Flickr prototypisch umgesetzt. Ein Klick auf die entsprechenden Namensangaben, die am unteren Rand der Fotos angebracht sind, zeigt dem User, dass die Fotos von ganz normalen Nutzern des Portals stammen. Ihr Erscheinen auf der Startseite lässt sie gleichzeitig jedoch als stilgebende Prägetexte begreifen, von denen sich das anvisierte Image des Portals ableiten lässt und nach denen sich anvisierte Userinnen und User für ihre eigene Fotoproduktion richten mögen. Dabei stellt sich die Frage, wie es zu dieser hohen professionellen Musterhaftigkeit bzw. Konventionalisierung in den aufgeführten Mitglieder-Fotografien bei Flickr kommt, einer Community, die wie MySpace oder StudiVZ vornehmlich frei, sprich unmoderiert und vermeintlich unhierarchisch organisiert ist. Um dieser Frage nachzugehen, wird zunächst auf die Funktionalitäten eingegangen, die jeder angemeldete Nutzer vermittelt durch das Flickr-Interface zur Verfügung gestellt bekommt. Darunter befindet sich eine Hauptrubrik mit dem Namen Entdecken, die durch ein Dropdown-Menü u.a. das Feature Interessantes der letzten 7 Tage anbietet. Ruft man die Pimp your profile 191 Abb. 2 entsprechend verlinkte Seite auf, so zeigen sich Miniaturfotografien (thumbnails). Auch hier werden gewisse Genre- und Gestaltungsmuster deutlich, die sich in gezielter Schärfeverteilung, Perspektiven- und Ausschnittwahl ausdrücken (siehe Abb. 2). Im gleichen Dropdown-Menü befindet sich der Link Neuste Fotos und Videos. Hier kommt man auf eine Seite, die einen Überblick über thumbnails bietet, die weniger den genannten fotografischen Mustern entsprechen (siehe Abb. 3). Man erkennt Privatpersonen in unterschiedlichen Alltagssituation sowie Bilder mit wenig kontrollierter Lichtführung und Schärfeverteilung. Nicht die Genre-Fotografie mit entsprechender Motiv-Inszenierung ist hier dominant, sondern Fotos, deren kommunikativer Gehalt auf die direkte Persönlichkeitsdarstellung bzw. auf die Dokumentation persönlicher Ereignisse bzw. Erlebnisse zielt. Zwischen den vorliegenden Rubriken Interessantes und Neue Fotos scheint somit ein Filtersystem zu wirken, das die Hervorhebung der benannten Standards in den favorisierten Fotos und somit die beschriebene Konventionalisierung veranlasst. Flickr selbst beschreibt die Wirkungsweise der Rubrik Interessantes wie folgt: Viele Faktoren beeinflussen, ob etwas auf Flickr interessant ist (oder nicht). Es kommt darauf an, woher die Klicks stammen, wer das Bild wann kommentiert, wer es als Favorit kennzeichnet, welche Tags verwendet werden und noch viele Faktoren mehr, die sich ständig ändern. (http: / / www.flickr.com/ explore/ interesting [Zugriff 29.05.08]). Stefan Meier 192 Abb. 3 Zwischen den vorgestellten Unterrubriken ist also ein Filtersystem wirksam, das seine Auswahl in einem Zusammenspiel von Useraktivität und Systemfunktionalität erstellt. Wie anhand der ungefilterten Rubrik Neue Fotos deutlich wird, besteht bei Flickr wie auch bei anderen social networks (z.B. MySpace, StudiVZ) die wenig reglementierte Möglichkeit der Imagearbeit in Form direkter fotografischer Selbstdarstellung. User können über ihre Person, aber auch über andere Gegenstände mit (audio)visuellen Mitteln frei berichten. Dennoch finden sich an favorisierter Position innerhalb der Flickr-Community eher visuelle Artefakte, die nach Maßgabe fachlicher Genrefotografie angefertigt wurden. Das eingesetzte software- Pimp your profile 193 gestützte Votingsystem befördert somit die Durchsetzung dieser fotografischen Muster. Es belohnt ein Nutzerverhalten mit größerer Wahrnehmbarkeit, sprich höherem Sozialkapital, das danach ausgerichtet ist, Fotografie als künstlerische bzw. kreative Ausdrucksform zu betreiben. Somit bilden die aktiven Mitglieder nicht nur ein softwaregestütztes Netzwerk, sondern auch eine Wertegemeinschaft (cf. Hepp und Tepe 2008), die ähnliche Ansichten über visuelle Stilgebung sowie kulturelle Funktionen von Fotografie teilt. Aus diesen Wertvorstellungen erwachsen die Kriterien für die persönliche Imagearbeit der Community-Mitglieder. Sie erreichen soziale Anerkennung, wenn sie als innovative bzw. kreative und (quasi-)professionelle Fotografen innerhalb der Community gelten und als entsprechende Referenz in den Kommentaren und Verlinkungen bekannt werden. Mit der beschriebenen netzgestützten Kollaborationspraxis weist Flickr ein grundsätzliches Strukturmerkmal des sogenannten social web (cf. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008) bzw. des onlinegestützten Netzwerkens im Web 2.0 (cf. Schmidt 2008) auf. Solche Anwendungen gelten allgemein zum ersten als alternative Medien, in denen Wissensbestände produziert werden, die jenseits etablierter Nachrichtenflüsse oder institutioneller Bildungseinrichtungen wie Universitäten entstehen. Dabei bedienen sie sich alternativer jenseits des etablierten massenmedialen Systems befindlicher Distributionswege. Zum zweiten sind Produkte dieser kollaborativen Wissensproduktion weniger einer urheberrechtlich bestimmbaren Autorenschaft unterworfen, sondern unterliegen gemäß des Open-source-Gedankens einer allgemeinen Plausibilitäts- und Verwertbarkeitsprüfung sowie der freien Modifikation und Weiterverwertung (cf. Pentzold 2007; Fraas 2008; Guenther und Schmidt 2008). Dieses Merkmal ist bei Flickr jedoch eingeschränkt vorzufinden. Hier kann der User kostenlose oder durch bestimmte Bezahlung graduell abgestufte Lizenzierungen seiner Fotos erreichen. Auch ist die Einstellung fremder Fotos oder deren Bearbeitung mit anschließender Publikation untersagt. Die Community-Regeln von Flickr befördern somit eher die Produkte und damit die Imagearbeit des Einzelnen als eine kollektive Inhaltsproduktion. Allerdings gibt es auch die Möglichkeit, Gemeinschaften innerhalb der Community zu gründen und als themenorientierte Gruppen vor die Portalöffentlichkeit zu treten. Diese Praxis bewirkt die grundsätzliche Strukturierung der Community. Die daraus resultierende Wirkung auf das Filter- und Ratingsystem der Gesamt-Community wird folgend näher erläutert. Prinzipiell kann jede Nutzerin und jeder Nutzer eine thematische Gruppe gründen. Dabei wird zumeist ein besonderer fotografischer Aspekt zur Identitätsstiftung gewählt. So wenden sich Gruppen bestimmten Genres zu, nutzen ähnliche Fototechnik oder verfolgen gemeinsame fotografische Aufgaben der Motivwahl, Bildgestaltung etc. Die Gruppenmitglieder nehmen die Fotos in ihr Portfolio auf, die sie als gelungene bzw. innovative Umsetzung ihres Gruppenthemas empfinden. Dies geschieht über eine Verlinkung (tagging) des Einzelfotos. Dadurch wird eine Selektierung verursacht, die die ausgewählten Fotos gegenüber nicht ausgewählten favorisiert. Auswahlen von Gruppen bzw. stark vernetzten Einzelprofilen zählen zudem mehr als die Bestimmung eines Fotos durch einen einzelnen User mit einer geringen Anzahl von Verlinkungen. Dieser kann einzelne Fotos jedoch ebenfalls taggen und sie so als seine persönlichen Favoriten bestimmen. Eine solche für alle Userinnen und User zugängliche und wahrnehmbare Auswahlpraxis, das gemeinhin als Folksonomy bezeichnet wird, gilt als weiteres Strukturelement des social web. Tim O’Reilly, der Begründer des Web 2.0, beschreibt dieses Phänomen wie folgt: Sites like del.icio.us and Flickr, two companies that have received a great deal of attention of late, have pioneered a concept that some people call folksonomy (in contrast to taxonomy), a style of collaborative categorization of sites using freely chosen keywords, often referred to as Stefan Meier 194 tags. Tagging allows for the kind of multiple, overlapping associations that the brain itself uses, rather than rigid categories. In the canonical example, a Flickr photo of a puppy might be tagged both puppy and cute - allowing for retrieval along natural axes generated user activity (O’Reilly 2005: 2). Diese Praxis soll folgend anhand eines Beispiels verdeutlicht werden. Klickt man den Namen tarostas an, der am unteren Rand von einem der Titelfotos auf der Startseite von Flickr erscheint, so gelangt man auf die Profil-Seiten dieses Fotografen. Darin zeigt sich, dass tarostas zahlreichen unterschiedlichen Flickr-Gruppen angehört. Er ist somit ein sehr aktives Mitglied und wird von vielen ebenfalls bereits organisierten Aktivisten geschätzt. Betrachtet man die Kommentierungen, die von anderen Flickr-Nutzerinnen und -Nutzern unter die von tarostas publizierten Fotos hinterlassen wurden, so fallen neben der hohen Zahl an positiven Stimmen auch die zahlreichen Anfragen auf, die den Fotografen bitten, seine Arbeiten auch im Portfolio der entsprechenden Gruppe zu platzieren und als Mitglied beizutreten. Kommentierungen, Aufnahmen einzelner Fotos in den Favoritenordner einzelner Flickr-Mitglieder und in Portfolios großer Gruppen sowie die Bestimmung von Einzelarbeiten als interessant, all dies sind Komponenten, die den Flickr-eigenen Algorithmus veranlassen, bestimmte Fotografien und Fotografen an prominenter Stelle innerhalb des Netzwerkes zu präsentieren, sodass deren Wahrnehmbarkeit gesteigert wird. Da die Auswahlen sich nach den zugrundegelegten Kriterien der Nutzerinnen und Nutzer selbst organisieren, wirken die Kriterien am dominantesten, die von den meisten auswählenden Mitgliedern angelegt werden. Diese scheinen sich in der vorliegenden Community mehrheitlich nach den genannten fotografischen Mustern zu richten, was zu den beschriebenen Selektionsergebnissen führt und die Community ihrerseits wieder als Wertegemeinschaft bestätigt. Erfolgreiche Imagearbeit des Einzelnen, sprich die hohe Wahrnehmbarkeit innerhalb der Community, entsteht somit nach dem Grad innovativer und kreativer Umsetzung intersubjektiv dominanter Qualitätsvorstellungen von Fotografie und nicht durch direkte Selbstdarstellung. 4 Fotografische Kommunikation in social networks Durch die beschriebene Folksonomy-Praxis weist Flickr zwar ein weiteres Strukturmerkmal des social web auf, das Jan Schmidt (2006) anhand von Weblogs mit der Praxis der Identitäts- und Beziehungsorganisation beschreibt, jedoch bleibt bei Flickr die Fotografie das Hauptthema zur Strukturierung der Kommunikation und Netzwerkdynamik. Nicht die Nutzerinnen und Nutzer stehen im Vordergrund, sondern ihre fotografischen Arbeiten. Dies scheint in genannten social networks wie MySpace, Friendster oder StudiVZ, die ebenfalls der onlinegestützten Vergemeinschaftung dienen, anders organisiert zu sein. Hier machen sich an prominenten Stellen die Userinnen und User mittels Fotografie selbst zum Thema. Sie entwerfen ein Bild von sich, arbeiten direkt an einem Image, das sie anderen Portal-Mitgliedern zur Kenntnis geben. Ähnlich wie bei Flickr wählen oder erstellen die Mitglieder dieser social networks Profilfotos, die nicht nur auf den eigenen Seiten zu sehen sind, sondern immer erscheinen, wenn das entsprechende Mitglied kommunikativ aktiv ist. Sie werden zudem präsentiert, wenn ein angemeldeter oder nicht angemeldeter Gast bestimmte Suchkriterien wie Alter, Geschlecht, Hobbies etc. in die Suchmaschine des Portals eingibt. Die Suchmaschine erzeugt dann eine Liste von Mitgliedern, die diesen Kriterien nach ihren Profilangaben bzw. realisierten Imagekonstruktionen am ehesten entsprechen. Die Liste zeigt die entsprechenden