eJournals Kodikas/Code 32/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Rap und Slam sind verkörperte und interaktive Formen des Selbstausdrucks und gemeinschaftsbildender Wirklichkeitserfahrung. Sie antworten auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen, durch die sich im Spätkapitalismus Abstraktion, Entortung und Entkörperung derart verdichtet haben, dass das Individuum mit einem gesteigerten Bedürfnis nach Präsenz, Lokalität, sinnlichem Erleben und Authentizität reagiert. Da es sich bei diesen Kommunikationsformen um poetische, narrative und an Performance gebundene Sprechkulturen handelt, sind sie im Kontext der seit der Antike reflektierten Funktionen und Wirkungen der mündlichen Dichtung zu betrachten. Wurde der Poesie als einziger der artes liberales eine schöpfende Kraft zugeordnet, so hatte der Reim auch in der christlichen Verkündigung eine besondere Stellung; er verlieh einem gesprochenen Text eine, die messianische Zeit verdichtende, an den Sprechakt gebundene eigene Zeit und dem Sprechenden eine den göttlichen Willen durch seine Worte inkarnierende Aura. Die Sprechkulturen des Rap und Slam werden vor dem Hintergrund dieser Wirkungsmacht poetischen Sprechens und der genannten Bedürfnisse des spätkapitalistischen Individuums beleuchtet. Wirklichkeits- und Selbstdarstellungstechniken des Rap und Slam werden daher einerseits vor dem Hintergrund der in die Narratologie übernommenen possible world-Theorie und der aus der Psychotherapie stammenden Konzept, der possible selves sowie des histionischen Erzählens beleuchtet, andererseits mit dem die Wirkungsmacht des Reims erhellenden Konzept des Kairos. Auf diese Weise kann gezeigt werden, wie Rap und Slam Forderungen in die Praxis umsetzen, die bereits von der europäischen Avantgarde der 1920er und 1930er Jahren erhoben wurden, auch wenn diese sich in einem anderen gesellschaftlichen Kontext entwickelt haben und daher in keiner Weise als Nachfolger der Avantgarde zu sehen sind.
2009
321-2

Poem und Präsenz: Primodridale (Inter)Medialität im Zeitalter der Postabstraktion

2009
Eva Kimminich
Rap-Rhetorik 119 O.G. - Abkürzung für “Original Gangsta”. Das heißt jemand, der wirklich von der Straße kommt und ein hartes Leben hatte und nicht nur dies verherrlicht, auch: Gründer einer Streetgang oder älteres Gangmitglied Player/ Playa - (Subst.) Prolet oder auch “Pimp” Propz/ Props - (Subst.) von engl. proper respect; Respektsbekundungen (People Respect Other People Seriously) Punchline - engl. Pointe; Humorvolle Textzeile, die den Gegner hart trifft Punk(s) - Schimpfwort, jedoch nicht auf politische Meinung zu beziehen Pussy - Weibliches Geschlechtsorgan oder auch (abfällige) Bezeichnung für Frauen oder als Diss an Männer Rapgame oder auch Rapbizz - (Subst.) das Rapgeschäft oder die Rapszene Shit - steht für 1. Haschisch, 2. für Musikstücke (häufig im folgenden Zusammenhang: “Dein Shit ist tight! ”) oder allgemeiner “Zeug” Shorty - Bezeichnung für Mädchen/ Frauen. Bedeutet so viel wie “Süße/ Kleine”. Umgangssprachlich auch als “Shawty” verwendet. spitten - (Verb) von engl. fauchen, spucken: Synonym für rappen straight - geradlinig, zielgericht, beschreibt einen zielstrebigen Rapper strugglen - (Verb) von engl. to struggle (mit etwas ringen): Probleme haben, mit dem (alltäglichen) Leben zurechtzukommen Studio-Gangster - Bezeichnung für Gangster die nur im Studio abhängen und Musik machen anstatt das übliche Gangsta-Ding Stunners - Aus dem Ebonix-Slang farbiger US-Rapper, damit ist die Sonnenbrille gemeint, wird aber auch als Slang- Wort für Ecstasy benutzt tight - (Adj.) von engl. tight: eng, fest, gut. Wird immer in Bezug auf einen Künstler der Szene oder dessen Produkt verwendet und heißt so viel wie sehr gut, in der ursprünglichen/ engeren Bedeutung steht es für sehr präzise auf den Takt gerappte Strophen. Im Slang mancher Künstler der Szene steht dieses Wort jedoch auch als Synonym für betrunken oder breit. Vereinfacht wird es im Deutschen mittlerweile auch Tait oder Teit geschrieben Timbs und Air Ones - Kurzform für Timberland Boots und Nike Air Force 1 - die Klassiker unter den Hip Hop Schuhen Wack MC/ Whack MC/ Weak MC - (Subst.) Ein in der Gemeinschaft nicht respektierter MC Wack/ Whack - Adjektiv für schlecht, ein “whack” MC ist ein schlechter MC Whigger - ein amerikanischer Neologismus aus den Worten “white” und “nigger”, um weiße Personen zu bezeichnen, die sich wie Schwarze kleiden, wie sie sprechen bzw. rappen. Gleich ob von Schwarzen oder Weißen verwendet, ist der Begriff meist abwertend gemeint Word (oder auch: “Wort drauf”) - dies ist entweder eine Kurzform für “Ich schwöre”, wenn man eine eigene Aussage damit abschließt, oder eine Zustimmung oder ein Beipflichten, wenn ein anderer eine Aussage damit kommentiert. Oft auch “Word Up” (z.B.: “Word up dog! ” - “Genau Alter! ” oder “Word Is Bond [Son]”). Als Frage betont am Ende einer eigenen Aussage auch die Bitte um Zustimmung Wannabe - Ein “möchtegern”. Menschen, die sich als “Hip Hopper sehen”, aber nur so tun als wären sie “hart” Yo - Grußformel, kollegial. Dient mitunter auch als Substitut für das Wort Ja oder einfach nur als Füllwort, z.B. wenn ein Rapper anfängt zu rappen zwölf-zehner - legendärer Technics-Plattenspieler 7 Literaturhinweise Androutsopoulos, Jannis 1998: Deutsche Jugendsprache. Untersuchungen zu ihren Strukturen und Funktionen, Frankfurt/ Main etc.: Peter Lang Androutsopoulos, Jannis (ed.) 2003: HipHop: Globale Kultur - lokale Praktiken, Bielefeld: transcript Androutsopoulos, Jannis 2003: “HipHop und Sprache: Vertikale Intertextualität und die drei Sphären der Popkultur”, in: id. (ed.) 2003: 111-136 Androutsopoulos, Jannis 2005: “Musiknetzwerke: Identitätsarbeit auf HipHop-Websites”, in: Neumann-Braun, Klaus & Birgit Richard (eds.) 2005: Coolhunters. 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Susanne Hess (Universität Bern); das hier auch nicht ansatzweise zu resümierende umfangreiche Material des Berner Rap-Corpus kann eingesehen und geprüft werden in Hess 2007 (Auszug s. dort im Anhang). 2 Alle Zitate sind im folgenden ohne Einzelnachweis diesem Corpus entnommen (s. Anm. 1). 3 Leicht bearbeitete Übersetzung ins Standarddeutsche von Susanne Hess. Quelle des folgenden Glossars zum HipHop-Jargon: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Hip-Hop-Jargon [04.04.2010] Poem und Präsenz: Primordiale (Inter)Medialität im Zeitalter der Postabstraktion Eva Kimminich Rap and Slam are incarnated and interactive forms of self-expression creating a common experience of reality. They are a reaction to social and technological developments by which abstraction, uprooting and disembodiment have been reinforced in late capitalism to a degree to which individuals react with increased requirements of presence, locality, sensual experience and authenticity. Since these forms of communication are poetic, narrative and performancebound speech culture they are to be investigated in context with functions and effects of oral poetry ever since reflected in the Ancient World. The artes liberales granted creative power only to poetry, while in Christian Annunciation the rhyme also had a particular function: it granted the spoken words with a special sense of time, consolidating the messianic time within the time of the speech-act; thus the speaker diped in an aura of incarnating God’s will by his words. The speech cultures of Rap and Slam are viewed before the background of this powerful effect of poetic speech and of the above mentioned needs of late capitalistic individuals. Presentation techniques of reality and self-presentation by Rap and Slam are examined before the background of the possible-world-theory adopted by narratology, the concept of possible selves and of histrionic narration developed by psychotherapy on the one side, and on the other side before the background of the concept of Kairos, explaining the efficacy of rhyme. Thus can be demonstrated how Rap and Slam put into practice the demands raised by the European Avantgarde already in the 1920th and 1930th, although they developed into another social context and therefore cannot be seen as the successors of the Avantgarde. Rap und Slam sind verkörperte und interaktive Formen des Selbstausdrucks und gemeinschaftsbildender Wirklichkeitserfahrung. Sie antworten auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen, durch die sich im Spätkapitalismus Abstraktion, Entortung und Entkörperung derart verdichtet haben, dass das Individuum mit einem gesteigerten Bedürfnis nach Präsenz, Lokalität, sinnlichem Erleben und Authentizität reagiert. Da es sich bei diesen Kommunikationsformen um poetische, narrative und an Performance gebundene Sprechkulturen handelt, sind sie im Kontext der seit der Antike reflektierten Funktionen und Wirkungen der mündlichen Dichtung zu betrachten. Wurde der Poesie als einziger der artes liberales eine schöpfende Kraft zugeordnet, so hatte der Reim auch in der christlichen Verkündigung eine besondere Stellung; er verlieh einem gesprochenen Text eine, die messianische Zeit verdichtende, an den Sprechakt gebundene eigene Zeit und dem Sprechenden eine den göttlichen Willen durch seine Worte inkarnierende Aura. Die Sprechkulturen des Rap und Slam werden vor dem Hintergrund dieser Wirkungsmacht poetischen Sprechens und der genannten Bedürfnisse des spätkapitalistischen Individuums beleuchtet. Wirklichkeits- und Selbstdarstellungstechniken des Rap und Slam werden daher einerseits vor dem Hintergrund der in die Narratologie übernommenen possible world-Theorie und der aus der Psychotherapie stammenden Konzept, der possible selves sowie des histionischen Erzählens beleuchtet, anderseits mit dem die Wirkungsmacht des Reims erhellenden Konzept des Kairos. Auf diese Weise kann gezeigt werden, wie Rap und Slam Forderungen in die Praxis umsetzen, die bereits von der europäischen Avantgarde der 1920er und 1930er Jahren erhoben wurden, auch wenn diese sich in einem anderen gesellschaftlichen K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 32 (2009) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Eva Kimminich 124 Kontext entwickelt haben und daher in keiner Weise als Nachfolger der Avantgarde zu sehen sind. 1 Rap und Slam als Intermedium der Wirklichkeitserfahrung In meinem Forschungsseminar “Laut und Lyrik - Reim und Rhythmus” haben wir uns im SS 2008 mit Sprech- und Stimmkulturen befasst, die seit einigen Jahrzehnten eine auffallende Renaissance erfahren. Insbesondere in Popular-, Sub- und Jugendkulturen sind Stimmparties oder Karaoke, vor allem aber Rap und Slam zu Medien eines verkörperten Selbstausdrucks geworden. Sie sind als ausgefeilte Techniken performierten und interaktiven Sprechens zu betrachten. Wir haben es mit einer an eine raumzeitliche Situation gebundenen Präsentation emotionaler und mentaler Prozesse zu tun. Poetizität und Literarizität sind für Rap und Slam konstitutiv und charakteristisch. Es handelt sich dabei allerdings um unkonventionelle Formen, die auf den Poesie und Dichtung innewohnenden anthropologischen Eigenschaften des gereimten Sprechens und des Erzählens beruhen. Daher lassen sie sich mit Kategorien beschreiben, die seit der Antike für Poesie und Literatur diskutiert werden: Katharsis, Ethos und Kairos. Diese der Mündlichkeit und dem ursprünglichen Charakter der Poesie zugeordneten Eigenschaften waren seit der Nach-Avantgarde in Vergessenheit geraten. Erst im Rahmen der multimedialen und interaktiven Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts wurden sie auch für poetische Formen des Selbstausdrucks wiederentdeckt, allerdings nicht im etablierten Literaturbetrieb, sondern von marginalen und gegenkulturellen Gesellschaftsgruppen. Ich möchte diese Art der erlebbaren Inszenierung von Sprache primordiale Intermedialität nennen. Sie charakterisiert das gegenwärtige Zeitalter der Postabstraktion, das sich insbesondere dadurch auszuzeichnen scheint, dass es Wirklichkeit und Authentizität über eine unmittelbare Subjektivität erfährt, verbalisiert und inszeniert. Denn beim Rappen und Slammen steht nicht das sprachliche Kunstwerk, sondern der reimende, erzählende und interagierende Körper im Mittelpunkt. Er ist gleichzeitig ein Ort der Wahrnehmung und der Darstellung. Das macht ihn zur Schnittstelle individueller und kollektiver Selbst- und Wirklichkeitserfahrung und damit zu einem Intermedium. Diese Beobachtungen beruhen auf Entwicklungen, mit denen sich gleichzeitig auch das Entstehen und die Beliebtheit dieser Sprechkulturen erklären lassen. Sie scheinen dem von verschiedener Seite vorhergesagten Ende schriftbasierter Kultur eine Fülle von kreativen Sprechpraktiken entgegenzusetzen. Sieht Paul Virilio mit dem Zeitalter des Fernsehens und der Bildverarbeitung gleichzeitig ein Ende des Sprechens heraufziehen und ‘unsere Gesellschaft im Schweigen der Lämmer versinken’, so spricht Mihai Nadin hingegen von einem Jenseits der Schriftkultur und einem Zeitalter des Augenblicks. Dieses Jenseits ist ein lebendiges und kreatives Zeitalter der Interaktion, das - so Nadin - auch eine soziale Erneuerung ermöglichen kann. Er erklärt diese Verschiebung mit der durch die neuen Technologien eingeleiteten Beschleunigung unseres Lebensalltags. Sie hat unser gesamtes Dasein dynamisiert, insbesondere die kognitiven Prozesse. Dieser Dynamik kann Schriftkultur nicht mehr Folge leisten, sie kann die komplexer gewordene Praxis der menschlichen Erfahrungswelt nicht mehr erfassen. Nadin führt dies auch darauf zurück, dass in der Schriftkultur gebildet zu sein immer auch heißt, den Erfahrungen der Vergangenheit verhaftet zu sein und ihren Regeln unterworfen zu bleiben. Daher kann Schriftkultur neuen Entwicklungen nur langsam oder gar nicht folgen. Poem und Präsenz 125 Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung betrachtet Nadin die menschliche Interaktion als “konkreten Ausdruck der Einbindung unendlich vieler kognitiver Ressourcen - und sogar als die letzte verfügbare Ressource, von der die Zukunft unserer Gattung abhängen könnte” (Nadin 1999: 343). Popkulturwissenschaften sowie Cultural Studies haben hinreichend gezeigt, dass afrikanische und afroamerikanische Traditionen der Oral Culture über die westlichen Jugend- und Subkulturen in die Populärkultur eingedrungen sind und mit ihnen auch eine interaktive, verstärkt an den Körper gebundene Form der Kommunikation (siehe dazu v.a. Siedler 1995 und Fuhr 2007). Damit setzte eine Wiederaneignung und Aktualisierung mündlicher Kulturpraktiken ein, die auch mit neuen Formen der Identitätsher- und -darstellung sowie des Selbst- und Gemeinschaftserlebens in einem immer wieder neu zu erzeugenden Hier und Jetzt verbunden sind. Mit ihnen wird einerseits dem von verschiedenen Disziplinen diagnostizierten, durch die Globalisierung eingeleiteten Verlust an Orientierung und Perspektiven entgegengewirkt. Andererseits gleichen sie eine durch zunehmende virtuelle Vernetzung entstehende Entortung aus. Sie hat das Bedürfnis nach Lokalität, Authentizität und Performanz verstärkt, das nun durch eine der Selbstformung und unmittelbaren Wirklichkeitsgestaltung dienende Kreativität befriedigt wird. Die dabei entstandenen und entstehenden neuen Ausdrucksformen verlangen auch nach einer neuen Definition von Kunst und Ästhetik. Wir müssen daher auch unsere poetisch-narrativ-perfomativen Sprechkulturen im Rahmen eines Medienkulturkonzepts betrachten, das Körperlichkeit und Interaktion von Mündlichkeit berücksichtigt. Denn einerseits werden dabei die stimmlich-sinnlichen Möglichkeiten der Sprache und des artikulierenden Körpers genutzt, um die Abstraktionskraft von Sprache durch Verkörperung derselben von der Ebene der Repräsentation auf die der Präsenz zurückzuholen. Andererseits wirkt diese Verkörperung auf die kognitiven Konzepte und narrativen Strukturen der Texte zurück. 2 Kunst, Poiesis und Kreativität Kreativität, Kultur, Kunst und Körper stehen über ihre problematischen Konzeptualisierungen in einer ebenso spannungsvollen wie unauflösbaren Wechselbeziehung. Bevor der Begriff Kreativität geläufig wurde, sprach man von Schöpferkraft, ein Begriff, der tief in den das abendländisch europäische Denken strukturierenden Kategorien verankert ist und dessen konzeptuelle Aura - mehr oder weniger bemerkt - in den pragmatischen Kontext des Kreativitätsbegriffs einfloss. Als höchste Bestimmungen des Menschen (transcendentalia) ist die Schöpferkraft in die Trichotomie der Philosophie des Guten, Schönen und Wahren (Platon) involviert und sie wird den Tätigkeitstypen Theorie, Handeln und Schaffen (Aristoteles) zugeordnet, aus denen sich über Kant die Aufspaltung der Philosophie in Logik, Ethik und Ästhetik bzw. in vereinfachter Formulierung die Untergliederung von Wissenschaft, Moral und Kunst entwickelt hat. Die Philosophie der Ästhetik befasst sich mit physischen Dingen (bildende Künste) und Vorgängen (darstellende Künste) bzw. Tätigkeiten des Künstlers, nämlich mit dem Nachbilden (Mimesis), das vom Schaffen von etwas Neuem unterschieden wird. Dadurch gelangte das Konzept der Schöpferkraft in das Einzugsgebiet der bildenden Künste bzw. der philosophischen Disziplin der Ästhetik, denen sie über Jahrhunderte hinweg zugeordnet blieb, bis ihr Nutzen zur techn(olog)ischen Weltgestaltung und ökonomischen Gewinnpotenzierung ihre Entmythologisierung und Demokratisierung einleitete (siehe dazu Kimminich 2007: Eva Kimminich 126 9-21). Das schöpferische Vermögen wurde dadurch zur anthropologischen Selbstverständlichkeit und zu einem Forschungsgegenstand, den man nun auch im Alltagsleben entdeckte. Jeder rückte als Künstler ins Blickfeld - im Lebensalltag wie in der Forschung; so wandten sich weitere Wissenschaftszweige, besonders Psychologie, Sozial- und Erziehungswissenschaften, dem Phänomen der Kreativität zu. Leicht übersehen wird an der Begriffsgeschichte, wie der Philosoph und Kunsthistoriker W adys aw Tatarkiewicz in seiner Geschichte und Analyse der Grundbegriffe der Ästhetik herausstellt, dass die Begriffe Schöpfer und Künstler genuin nicht zusammengehören. Denn in der Antike unterschied insbesondere Platon den nachbildenden und sich dabei Gesetzen und Regeln unterordnenden Künstler von einem Schöpfer, dessen Schaffen sich durch Handlungsfreiheit auszeichne. Das heißt, der Kunst wurde als einer etwas herstellenden Kunstfertigkeit zunächst keine Schöpferkraft zugeschrieben. Ausnahme bildete allein die poiesis, die Dichtung. Sie wurde von der Kunst getrennt, weil der Dichter mit seinen Worten eine neue Welt erfinde. Nur das Dichten galt daher als eine schöpferische Tätigkeit. Warum das lateinische creare nicht zur Bezeichnung schöpferischen Vermögens eingesetzt wurde, erklärt sich aus der theologischen Vereinnahmung des Begriffs. Der Ausdruck creatio erfuhr in der christlichen Ära einen folgenreichen Bedeutungswandel. Er wurde zur Bezeichnung des göttlichen Schöpfertums eingesetzt, als ein Erschaffen aus dem Nichts (creatio ex nihilo). Schöpferkraft wurde der menschlichen Schaffenskraft daher zunächst abgesprochen. Die antike Vorstellung der Kunst als eine mimetische Leistung blieb erhalten und wurde im Mittelalter auch auf die Dichtung ausgeweitet. Das änderte sich erst seit der Renaissance, als der Mensch mit seiner Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und Freiheit auch seine Einbildungs- und Schöpferkraft entdeckte. Die von Tatarkiewicz diagnostizierten Schwierigkeiten diesem Gefühl und Vermögen einen sprachlichen Ausdruck zu geben (2003: 359-61), sind in enger Verbindung mit dem Emanzipationsprozess von dem göttlichen Vorrecht auf ein Schöpfertum zu sehen, das in der Kraft des gesprochenen Wortes gründet. Da sich der Begriff des Schöpfens in der europäischen Kultur nicht durch seine Zuordnung zur Kunst, sondern über seine Verankerung in der christlichen Religion bzw. Emanzipation von derselben entwickelt, mündet das Bewusstsein der eigenen Schöpferkraft in letzter Konsequenz im Anspruch auf Welt- und Selbsterschaffung, die sich im Verlauf der weiteren Entwicklung einerseits in der (bio)technologischen Neuerschaffung und (Um)Gestaltung von Welt und Körper bzw. der Selbst(er)findung und -gestaltung manifestieren; sie versprechen kein Seelenheil, den Akteuren der Neuschöpfung aber Kapital bzw. Authentizität und Lebensraum. Anderseits ist die Beobachtung zu machen, dass kreatives Handeln im Sinne eines (durchaus auch auf göttliche Inspiration zurückgeführten) Schaffens, im Rahmen der in den letzten Jahrzehnten sich manifestierenden Formen der Oral poetry auch an die einst ausschließlich der poeisis zugeordnete Kraft der Invention anknüpft. Wer Welt und Mensch neu imaginieren will, muss über die Möglichkeit der Eingebung verfügen, d.h. er muss Vorstellungen haben, die die Darstellung verändern. Über die an Dominanz und Herrschaft geknüpfte Konzeptualisierung der zunächst nur als abbildend verstandenen Künste wurde die Entfaltung des kreativen Vermögens im Sinne eines Könnens über Jahrhunderte hinweg nur einer kleinen, als ‘genial’ definierten Gruppe gestattet, mit gutem Grund. Der Zugang zur Codierung des abendländischen Weltbildes war über Jahrhunderte hinweg durch Bildungsschranken bzw. Schriftwie Bildexegese geregelt und gesichert. Spätestens seit der Postmoderne stehen die Fragmente dieser Vor- und Darstellungen jedoch jedem und überall zur eigenen Bedeutung zur Verfügung. Werbung, Alltags-, Pop- und Subkulturen nutzen nicht nur zentrale christologische Metaphern, sondern greifen Poem und Präsenz 127 auch tief in die Kiste magisch mythologischer Zeichen und Rituale, um diese zu vergegenwärtigen (siehe dazu Kimminich 2006). Das heißt aber nichts anders, als dass die Kraft und Macht einer auf spezifischen Sinnzuschreibungen beruhenden Repräsentativität durch die Möglichkeit subjektspezifischer Interpretation und Präsentierbarkeit gebrochen wird: es entsteht semiotische Autonomie. Kultur und Künste werden auf diese Weise zu einem sinnlich erlebbaren und unterhaltsamen Spiel mit dem eigenen Körper und mit den Prototypen menschlicher Kommunikation (Butler 2007: 75-101 und Kimminich 2007: 53-74). Mit ihnen wird nicht nur individuelles, sondern auch soziales Wissen vermittelt, und zwar interaktiv. Auf diese Weise entfalten sich Selbst- und Gemeinschaftsbewusstsein, personale wie kulturelle Identität nicht durch eine entkoppelte Anverwandlung auslösende Rezeption, sondern durch (re)kreative Partizipation, physische Präsenz und gemeinsames Erleben. 3 Ästhetik und Demokratie Die dabei frei werdenden reflexiven (noesis) und sinnlich erfahrbaren (aisthesis) Energien kreativen Handelns rücken damit ebenso ins Blickfeld wie die Konsequenzen, die sich daraus für die Konzeptualisierung von Ästhetik und Kunst, aber auch von Unterhaltung (im Sinne einer Rekreation) ergeben, wie dies insbesondere von Richard Shusterman (2005 und 2006) erarbeitet wurde. Er versteht Ästhetik und ästhetisches Empfinden nicht mehr als eine festgeschriebene, klassenspezifisch hierarchisierte Dimension von sich in Stilen manifestierenden kulturellen Errungenschaften, sondern als ein kontinuierliches, im Alltagsleben stattfindendes Erproben. Sein methodischer Ansatz konzentriert sich daher auf die ästhetische Aufwertung von populärer Kultur und die Entmythisierung ‘hoher’ oder ‘wahrer’ Kunst. Dazu befasst sich Shusterman auf philosophisch-pragmatischer Ebene mit dem Verhältnis von Leben, Kunst und Körperlichkeit. In Performing life (2005) zeigt er, dass ästhetische Erfahrung nicht an jene dem traditionellen Kunstbegriff innewohnende Sphärentrennung gebunden ist, sondern als grundlegendes menschliches Bedürfnis betrachtet werden muss. Diese Argumentation stützt das verstärkte Aufkommen alternativer ästhetischer Kunstformen in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts sowie von ästhetischen Lebensstilen, die sich vor allem auf die Schönheit und Gestaltung des Körpers konzentrieren. Beide sind als das Alltagsleben bereichernde Erfahrungen zu verstehen, die auf einer Verknüpfung von Affektivität und Authentizität beruhen. Ästhetische Ausdrucksformen der Populärkultur sind daher als anthropologische Konstanten zu betrachten, weil sie der künstlerischen (Selbst)Gestaltung dienen. Der Körper und die leiblich-ästhetische Erfahrung nehmen dabei einen bedeutenden Stellenwert ein. Vor dem Hintergrund einer die ästhetische Erfahrung weniger auf noesis als auf aisthesis begründenden philosophischen Anthropologie, wie sie von Shusterman entworfen wird, sind diese Techniken Anlass für die Entwicklung eines neuen Verständnisses des Körpers als Schnittstelle zwischen (re)kreativer Selbst(er)findung und -gestaltung bzw. Gemeinschaftsbildung. Im Zuge dieser ‘sinnlich-pragmatischen Wende’ des ‘Schöpfungsbegriffs’ wurde dem einstmals ‘göttlichen’ Verbum creare also eine zentrale Stellung im Rahmen der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur zugewiesen. Beide sind nun nicht mehr an die mit Macht gekoppelten Hierarchien künstlerischer Darstellung und deren spezifische, Sinn gebende oder Sinn erhaltende Rezeptionsformen gebunden, sondern beruhen, wie Gernot Böhme darlegt, auf der Wahrnehmung “verstanden als die Erfahrung der Präsenz von Menschen, Gegen- Eva Kimminich 128 ständen und Umgebungen” (Böhme 1995: 25). Böhme greift dazu auf Walter Benjamins Definition der Aura zurück, die er als “etwas räumlich Ergossenes” und als etwas, das man atmet, umschreibt: “Die Aura spüren heißt, sie in die eigene leibliche Befindlichkeit aufnehmen. Was gespürt wird, ist eine unbestimmt räumlich ergossene Gefühlsqualität” (ebd.: 27). Auf den Benjaminschen Gedanken zur Aura baut Böhme daher auch sein Konzept der Atmosphäre als eine “gemeinsame Wirklichkeit des Wahrgenommenen und des Wahrnehmenden” auf: “Sie ist die Wirklichkeit des Wahrgenommenen als Sphäre seiner Anwesenheit und die Wirklichkeit des Wahrnehmenden, insofern er, die Atmosphäre spürend, in bestimmter Weise leiblich anwesend ist” (ebd.). Auch Böhmes an der Befindlichkeit des Menschen ansetzende Ästhetik der Atmosphäre betrachtet diese also nicht mehr nur als Angelegenheit von Eliten, sondern als ein Grundbedürfnis des Menschen. Sie ist ein Phänomen des Alltags, das sowohl politische als auch ökonomische Dimensionen hat und sie kann individuell wie kollektiv hergestellt und genutzt werden. Als Grundbedürfnis des Menschen manifestiert sich diese Wirklichkeit des Wahrgenommenen besonders in Jugend- und Subkulturen (siehe dazu Kimminich 2008). Befindlichkeiten und gemeinsames Wahrnehmen erfüllen dort das durch den ästhetischen Schein der gewinnbringenden Selbstinszenierung der spätkapitalistischen Gesellschaft (im Sinne Guy Debords) gesteigerte Bedürfnis nach Erleben und Authentizität. 4 Präsenz und Performance Wie Boris von Preckwitz in seinem Buch zur Slampoetry herausarbeitet, weist die Slambewegung sowohl charakteristische Merkmale der Avantgarden als auch solche dissidenter Kulturen auf. Die Merkmale avantgardistischer Künste, insbesondere des Dadaismus, sind jedoch keineswegs als Vorläufer zu betrachten, da sie sich in einem völlig anderen gesellschaftspolitischen Kontext entwickelt haben, aber sie weisen im Hinblick auf die Beschreibung dieser ästhetischen Kommunikationsformen Merkmale auf, die auch auf Slam und Rap zutreffen. Dada war mit einer Revolte gegen die im Zeitalter des bürgerlichen Akademismus erschaffene Institution Kunst verknüpft und leitete eine Abkehr von Schriftlichkeit ein sowie die Entwicklung einer mündlichen Textpräsentation mit szenischen Mitteln. Diese poetologischen Neuerungen der Avantgarden waren, wie Rainer Warning und Winfried Wehle feststellen, vor allem eine Reaktion auf das “Unzeitgemäße der Wirklichkeitsbehandlung” (1982: 32). Rationalität und Abstraktionsverfahren gerieten damit in die Kritik. Betrachten wir daher zunächst die Merkmale avantgardistischer Texterzeugung und Textpräsentation ein wenig näher. Gefordert wurde eine Erneuung der Ausdrucksmittel “gegen das klassische Bildungsideal des ordnungsliebenden Bürgers”, so Raoul Hausman im seinem Pamphlet gegen die Weimarische Lebensauffassung (1995: 172). Neue Verfahren entwarf Hausmann insbesondere mit seinem sogenannten Präsentismus. In seiner Schrift PRÉsentismus: gegen den Puffkeismus der deutschen Seele (1921) (ebd.: 231f.) entwickelte er gleichzeitig eine auf dem Haptischen basierende Kunsttheorie, in der er das Sinneserleben als alleiniges Erkenntnismoment und als interaktives Verständigungsmittel propagierte: “Wir fordern die Erweiterung und Eroberung all unserer Sinne. Wir wollen unsere bisherigen Grenzen sprengen! ! ” (ebd.: 231). Das sollte die unmittelbare Inszenierung von Spannungsverhältnissen zwischen Akteur und Umgebung, also die Konfiguration der Präsenz im hic et nunc ermöglichen. Es ging ihm also um die Repräsentation der Welt in der eigenen Wahr- Poem und Präsenz 129 nehmung und zugleich in ihrer medialen Vermittlung. Was das bedeutet, führte Hausmann im seiner 2. präsentistischen Deklaration von 1929 aus (ebd.: 300f.); dort heißt es: [Wir erheben] die Forderung nach einer Erweiterung und Erneuerung unserer Sinnesemanationen nur […], weil die Geburt eines unerschrockenen und unhistorischen Menschen in der Klasse der Werktätigen vorausgegangen ist! […] Unsere Aufgabe ist es, im Sinne einer universalen Verbindlichkeit an den physikalischen und physiologischen Problemen der Natur und des Menschen zu arbeiten und wir werden unsere Arbeit dort beginnen müssen, wo die moderne Wissenschaft aufhört, weil sie inobjektiv ist, weil sie nur das System der Ausbeutungsfähigkeit verfolgt und fortwährend Standpunkte einnimmt, die einer erledigten Zivilisationsform angehören. Wir haben voraussetzungslos und unvoreingenommen die ersten Schritte einer Naturbetrachtung zu unternehmen, die Physik und Physiologie auf ihre eigentliche Wirkungsebene bringt, im Sinne einer klassenlosen Gesellschaft […]. Der Generalnenner aller unserer Sinne ist der Raum-Zeit-Sinn. Die Sprache, der Tanz und die Musik, waren Höchstleitungen der intuitiven Zeit-Raum-Funktionalität, […] (ebd.: 300f.). Hausmanns Kunsttheorie kann daher auch als eine Reaktivierung primordialer lyrischer Verfahren betrachtet werden, die wir sowohl in der Avantgarde als auch in Rap- und Slamkulturen beobachten können, selbst wenn diese in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten entstanden sind und kein direkter Zusammenhang zwischen ihnen besteht (siehe dazu auch Preckwitz 2002 und 2005). • War es Ziel des Dadaismus, die Kunst zur Lebenspraxis zurückführen, so ist es Ziel von Rap und Slam, aus der Kunst eine neue Lebenspraxis zu organisieren, um Lebensraum für Stimmlose zu schaffen. • Agierte die Avantgarde eher politisch-utopisch, so ist das Selbstverständnis von Slam und Rap politisch-pragmatisch. • War die Avantgarde auf sich selbst und ein spezielles Publikum gerichtet, so versuchen Rapper und Slammer im Moment der Performance mit ihrem Publikum zu kommunizieren; dazu wird eine gemeinsame Sphäre der Wahrnehmung hergestellt. • Im Gegensatz zur Avantgarde sind Rap und Slam nicht Produkte einer Elite, sondern entfalten sich in der Öffentlichkeit einer Gemeinschaft. Rap und Slam folgen daher auch keinen Poetiken, sondern sind als eine Summe von Verfahren, Handgriffen und Kunstmitteln zu verstehen, die selbstreferentiell für sich stehen und keinen Anspruch erheben, ein dauerhaftes Kunstwerk zu sein. Auch ihre Verschriftung hat einen anderen Stellenwert. Sie ist eher als Hilfsmittel der Erzeugung bzw. als Abfallprodukt zu verstehen. Damit aber praktizieren Rap und Slam gleichzeitig ein neues Verständnis von Dichtung und Literatur: Unmittelbarkeit, Alltagsnähe, Sprachwitz und Lustgewinn sind ihnen wichtiger als künstlerisches Expertentum. Trotz dieser konzeptionellen Unterschiede weisen Hausmanns Forderungen und Experimente eine wesentliche Gemeinsamkeit mit Slam und Rap auf: die Dimension der Verkörperung des Sprechens sowie die interaktive Erzeugung des Gesprochenen, durch die Produktion und Rezeption, Künstler und Publikum vorübergehend in eine osmotische Beziehung zueinander treten. Eva Kimminich 130 5 Sprache und Evidenz: Erlebte Wirklichkeit, Wahrnehmung und Körperlichkeit Sprache ist ein Medium, das Erlebtes und Wahrgenommenes durch Abstraktion kommunizierbar macht. Sie erzeugt Distanz als Grundlage der (Selbst)Reflexion. Sprache scheint daher der unmittelbaren sinnlich-synästhetischen Wahrnehmung entgegenzustehen. Um die leibliche Befindlichkeit, die Lust am Unmittelbaren sprachlich zum Ausdruck zu bringen und Anspruch auf Authentizität des Gesprochenen erheben zu können, wird die Abstraktionskraft von Wörtern und Sätzen daher an das körperlich-sinnliche Erleben des Sprechenden und der Hörenden, das heißt an deren Wahrnehmungen, rückgebunden. Im Rap geschieht dies zum einen durch einen auffallend häufigen Gebrauch von Verben der sinnlichen Wahrnehmung, zum anderen anhand von metaphorischen Konzepten, die Sprache zu “linguistischen Streicheleinheiten” (Beispiel 1) oder zu einem physiologischen Bestandteil des Gehirns (Beispiel 2) werden lassen. B EISPIEL 1: Le frère originaire de la terre mère / Shurik’ quoi? N éveille des sensations issues du Noumène / Vibrations provoquées par le Phénomène / Du toucher magique, poétique, physique / Caresse linguistique au son de ma musique / Le souffle de la basse sur le satin d’une peau / Achève sa courbe dans le bas du dos (IAM, “1 peu trop court”, De la Planète Mars 1991). B EISPIEL 2: Mon premier reflex / est de faire naître un texte, dans les zones de mon cortex (IAM, “La tension monte”, De la planète Mars, 1991). Eines der wohl zentralsten transnationalen metaphorischen Konzepte des Rap, das Wort ist eine Waffe (Kimminich 2001 und Neumann 2009), hat ein vielschichtiges System von Bildbzw. Assoziationsfeldern in Gang gesetzt, die dem “Kampf mit dem Wort” einen missionarischen Charakter verleihen. Er beginnt da, wo Projektionen und Klischees wirken: nämlich im Gehirn bzw. in der Psyche. Erklärtes Ziel von Busta Flex beispielsweise ist es deshalb, in die Gehirne seiner Hörer einzudringen und sie dort umzuprogrammieren. Mission de pénétrer les consciences en effraction. / Chasser l’illusion, rétablir l’information, exécuter les préjugés. / Pour libérer tes opinions, guerre cérébrale, J’m’étale dans les cerveaux en feu (Busta Flex, “Ma force”, Busta Flex, 1997). Rap wird hier als ein verbales Werkzeug zum Umprogrammieren sprachlich kodierter Einstellungen definiert, die sich ihrerseits in materialisierter Form in den Gehirnwindungen befinden, wie auch folgendes Zitat verdeutlicht: Facile et subtil, la résistance est inutile / Futile, car mon premier réflexe / Est de faire naître un texte, dans les zones de mon cortex / Promesse que leur défaite reste / Et les vexe car elle est Life sur une mémorex (IAM, “La Tension Monte”, De la planète Mars 1991). Dem Sprechenden ist also ein Sprech-Denken ‘eingehirnt’, das ihm Authentizität und Autorität verleiht. Diese Rückbindung des Sprechens an die Physiologie des Gehirns lässt ihn gleichzeitig zum ‘Wahrseher’ werden, wie das Lyric der Gruppe 2 Bal 2 Neg’ mit dem resümierenden Titel “Ma vision des choses” (auf: 3 x plus efficace, 1996) nahelegt: “Par mes yeux observe ma vision du monde, la vision d’un monde où enfer et béton se confondent. J’habite la grisaille, le tour de béton armé.” Die Vision des sprechenden Ichs wird dem Adressaten vermittelt, indem er dazu aufgefordert wird, mit den Augen der Erzählerinstanz zu sehen, weil dieser den erzählten Wirklichkeitsausschnitt bewohnt und aus eigener Anschauung kennt. Denn was der Rapper sagt, das hat er auch gesehen. Das verschafft ihm Poem und Präsenz 131 Anspruch auf Wahrhaftigkeit und erzeugt Evidenz. Folglich können seine Worte auch nicht lügen, weil seine Augen für die Wahrhaftigkeit seiner Rede bürgen, das formuliert z.B. die Gruppe La Brigade in ihrem Song “La matrice” (Le cercle de la haine 2002): “Tu doutes de moi / Alors regardes si mes yeux aussi mentent.” Bei diesem ‘Seh-sprechen’ wird dem Klang eine wichtige Rolle zugeschrieben, denn er lässt das Gesagte über ‘die Euphorie der Netzhäute durchdringen’: “C’est là [dans les sons] qu’la vision du monde se disperse / c’est là que mes dits percent / Dans l’euphorie des rétines qui s’bousculent c’est là qu’j’exerce” (Freeman “Mars Eyes”, Mars Eyes, 2004). So kann das Hören die Augen öffnen und der Rapper sein Publikum anhand einer ‘Mikrofonbrille’ eine andere Wirklichkeit sehen lassen kann: “En bref, mon taf c’est faire la toilette, armé d’un micro lunette” (Aggression verbale: “Nettoyage”. Auf: Ce n’est que le debut, 1998). Diese Beispiele zeigen einerseits, wie der Traum Raoul Hausmanns, eine synästhetische Sinnesverschmelzung in den Raum zu projizieren, im Rap zumindest teilweise seine Erfüllung bzw. Zielrichtung findet. Dies vollzieht sich über zwei gegenläufige, sich indes ergänzende Bewegungen, die Innen und Außen, Subjekt und Welt für einen Augenblick miteinander verbinden. Denn die Verkörperung des Gesprochenen beruht auf der Inkorporierung von Sprache. Nur so kann der medialen Repräsentation durch Präsenz und Authentizität eine selbst wahrgenommene, erlebte Wirklichkeit entgegengesetzt werden. Die Form des Gedichts und der Reim spielen dabei eine wichtige Rolle, weil sie einen Organismus entstehen lassen, der seine eigene, auf die Gegenwart seiner Artikulation fokalisierte Zeit entfaltet (siehe dazu Punkt 6). 6 Erzählen: possible selves und possible worlds Rapper und Slammer sind Storyteller par excellence. Sie brauchen deshalb auch Zuhörer, um sich selbst zu erleben. Wie eine Beziehung zwischen Sprecher, Zuhörern und Welt hergestellt wird, hat Edda Grimm am Slam untersucht. Sie hat sich dazu auf Überlegungen S.J. Schmidts (2001 und 2003) zum Storytelling und zur Identitätsbildung sowie auf die Possible-Worlds- Theorie gestützt. 1 Die possible-worlds theory (Surkamp 2002) geht davon aus, dass bereits vergangene Ereignisse anders hätten verlaufen können, als sie wirklich verlaufen sind. Das heißt, wir könnten in einer anderen, alternativen Welt leben, die in der Philosophie als mögliche Welt angesehen wird, wenn sie in einer Beziehung zur realen Welt (accessibility relation) steht und dabei den Prinzipien der Logik gerecht wird. Narrative Texte entwerfen aber auch philosophisch unmögliche (unlogische) Welten, die auf einem System von Möglichkeiten und Aktualisierungen beruhen, auf das der Leser oder Zuhörer sich erst einlassen muss: die textual actual world. In dieser textual actual world ist es nicht wichtig, ob bestimmte Ereignisse in unserer tatsächlichen Welt hätten passieren können. Es wird vielmehr ein eigener Referenzbereich geschaffen, der es ermöglicht zu prüfen, ob Ereignisse mit der fiktionalen Wirklichkeit der vermittelten (möglichen) Welt in Einklang gebracht werden können. Wenn eine Geschichte von einem personalisierbaren Sprecher erzählt wird, wie im Falle des Rap oder Slam, dann spricht man von einer narrational actual world. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Sprecher sein eigenes, individuelles Wirklichkeitsbild darlegt. Dabei überprüften Rapper und Slammer ihr Selbst- und Weltbild immer wieder neu, um ihre Autorität und Glaubwürdigkeit aufrecht zu erhalten. Sie können ihren Dichtungen und Eva Kimminich 132 Geschichten vor allem dadurch Wahrheitswert verleihen, dass sie sie auf ihre persönliche sinnliche Wahrnehmung zurückführen. Im Rap manifestiert sich dies sich durch die oben erwähnte auffallende Frequenz von Verben der Sinneswahrnehmung und entsprechend metaphorische Konzepte. Im Slam hängt die Überzeugungskraft und Authentizität der Identität des Slammers vor allem von der sprachlichen Inszenierung und der Performance des Slammers ab. Grimm hat den Schwerpunkt ihrer Untersuchung daher auf das Verhältnis von Narrativität und Identität gelegt. Sie stützt sich dazu auf das Konzept der possible selves von Markus und Nurius (1989) und auf das Konzept der histrionischen Selbstdarstellung von Renner und Laux (2006). Macht die Idee der possible selves deutlich, dass die vielfältige Her- und Darstellung von Identität den Slammer motiviert und die Veränderbarkeit seines Selbst ins Zentrum rückt, so zeigt die in die Antike zurückreichende histrionische Darstellungsform des Als-ob, wie sich das ständige Wiederaufgreifen und Modifizieren verinnerlichter Verhaltens- und Handlungsmuster vollzieht. Die possible selves entstehen - so Markus und Nurius (1989) - immer dann, wenn sich das Subjekt selbst zum Gegenstand seiner Wahrnehmung macht und aus der Evaluation seines eigenen Verhaltens ein facettenreiches Selbstschema entfaltet. Dies geschieht im Slam öffentlich, denn der Slammer generiert seine möglichen Selbste auf der Bühne. Er betreibt das, was Stephen Lester Thompson am Rap beobachtet hat, das persona shuttling, das heißt es wird zwischen erfundenen Charakteren gewechselt, über die aber durchaus auch persönliche Erfahrungen zum Ausdruck gebracht werden können: “personae are genuine extensions of lived lives of rap artists. And so lyrics are at once the words and (thus) the thoughts of actual lyricistes and the characters they adopt” (2006: 129f.). Wie Grimm an verschiedenen Texten zeigt, ermöglicht persona shuttling auch den Slammern die Facetten ihrer Selbste bzw. ihrer möglichen Selbste als Bühnen-Ichs und zwar in Interaktion mit dem Publikum zu erleben und zu erproben. Wie Grimm an verschiedenen französischen und deutschen Beispielen demonstriert, nimmt der Slammer dabei sein Publikum durch den gezielten Einsatz oder Wechsel der Personalpronomina in seine textual actual world mit und stellt eine emotionale Verbindung zwischen Publikum, sich selbst und dem Personal seiner textual actual world her. In “Qu’est-ce que change”, einem Slamtext des 12jährigen Jamal, geschieht das anhand des unpersönlichen und alle gleichmachenden ‘on’. Es macht alle Menschen gleich und verstärkt die Kernaussage: die Sinnlosigkeit von Diskrimination und Rassismus: Qu’est-ce que ça change d’être noir ou blanc / (…) on est tous des êtres humains / on est tous des frères / qu’on soit rabbin, cheikh ou encore père / c’est bon ça devient carrément relou de s’entretuer / ça me tape sur les nerfs / donc que tu sois noir ou blanc / ça change rien / alors autant un être fier. Das auf diese oder andere Weise erzeugte emotional aufgeladene Wir-Gefühl kann durch Mehrsprachigkeit auch eine universale Ausdehnung erfahren wie in “I wanna speak” der französischen Slammerin Yas. Der mit einem Wechsel zwischen “tu” und “vous” agierende Text, über den auch durch paralinguistische Techniken eine vielfältige Beziehung zum sprechenden “je” hergestellt wird, switcht zwischen Französisch, Spanisch, Italienisch und Englisch. Slam ist daher als eine Kommunikationsplattform zu betrachten, auf der gemeinsam mit einem wechselnden Publikum Selbst- und Weltbilder überprüft bzw. mögliche Alternativen entworfen und durchgespielt werden. Durch Interaktion mit dem Publikum wird eine gemeinsame Erfahrenssphäre hergestellt, in der der Slammer einerseits sein Selbst erproben kann;